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2. Das Vorprüfungsverfahren (Phase I)

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Das sich an den Eingang der vollständigen Anmeldung anschließende Fusionskontrollverfahren gliedert sich in zwei Abschnitte, das Vorprüfungsverfahren (Phase I) und das Hauptprüfungsverfahren (Phase II). Innerhalb des Vorprüfungsverfahrens untersucht die Kommission zum einen, ob der Anwendungsbereich der FKVO eröffnet ist und zum anderen, ob der Zusammenschluss Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt gibt. Gelangt die Kommission zu dem Ergebnis, dass die FKVO nicht anwendbar ist, weil entweder kein Zusammenschlusstatbestand erfüllt ist oder die Umsatzschwellen der FKVO nicht erreicht sind, so stellt sie dies durch Entscheidung fest (Art. 6 Abs. 1 lit. a). Fällt der Zusammenschluss zwar unter die FKVO, sieht die Kommission jedoch keine ernsthaften Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt, so gibt sie ihn durch eine Unbedenklichkeitsentscheidung frei (Art. 6 Abs. 1 lit. b). Bereits in der Ersten Phase können die Unternehmen gegenüber der Kommission Zusagen abgeben, mit denen sie sich verpflichten, den Zusammenschluss so zu gestalten, dass er mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist. Entsprechende Angebote müssen die Unternehmen spätestens 20 Arbeitstage ab dem Datum des Eingang der Anmeldung vorlegen (Art. 19 Abs. 1 DVO). Die Kommission kann die Unbedenklichkeitsentscheidung in diesem Fall zur Absicherung der Einhaltung der Zusagen mit Bedingungen und Auflagen verbinden (Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2). Liegen dagegen klare und erhebliche Anhaltspunkte vor, die für eine Behinderung wirksamen Wettbewerbs infolge des Zusammenschlusses sprechen, so leitet die Kommission aufgrund ernsthafter Bedenken das Hauptprüfungsverfahren durch Erlass einer Entscheidung nach Art. 6 Abs. 1 lit. c) ein.

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Grundsätzlich muss die Kommission die Entscheidungen Im Vorprüfungsverfahren innerhalb einer Frist von 25 Arbeitstagen treffen (Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1). Die Frist beginnt mit dem Arbeitstag, der auf den Tag des Eingangs der vollständigen Anmeldung folgt, und verlängert sich auf 35 Arbeitstage, wenn ein Mitgliedstaat einen Verweisungsantrag nach Art. 9 Abs. 2 stellt oder die beteiligten Unternehmen nach der Anmeldung Zusagen anbieten (Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2). Trifft die Kommission innerhalb der vorgenannten Fristen keine Entscheidung, so gilt der Zusammenschluss als freigegeben (Art. 10 Abs. 6).

3. Das Hauptprüfungsverfahren (Phase II)

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Mit der Einleitung des Hauptprüfungsverfahrens beginnt ein neuer Verfahrensabschnitt mit neuer Fristenrechnung. Innerhalb von 90 Arbeitstagen muss die Kommission nun endgültig über die Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt entscheiden (Art. 10 Abs. 2). Diese Frist verlängert sich auf 105 Arbeitstage, wenn die beteiligten Unternehmen Zusagen anbieten, es sei denn, das Zusagenangebot wurde weniger als 55 Arbeitstage nach Einleitung des Verfahrens unterbreitet (Art. 10 Abs. 3). Darüber hinaus wird die Frist gem. Art. 10 Abs. 3 auf Antrag der beteiligten Unternehmen, der spätestens 15 Arbeitstage nach Einleitung des Verfahrens gestellt werden muss, um bis zu 20 Tage verlängert. Erhärten sich die Bedenken der Kommission aufgrund ihrer Ermittlungen, insbesondere in Form von schriftlichen Auskunftsverlangen an die beteiligten Unternehmen bzw. an deren Wettbewerber und Abnehmer, so übermittelt sie den Beteiligten ihre Beschwerdepunkte (statement of objections). Die Beschwerdepunkte – wie auch die anschließende mündliche Anhörung – dienen der Gewährung rechtlichen Gehörs.

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Die Kommission kann das Hauptprüfungsverfahren durch drei mögliche Entscheidungen abschließen: Freigabe des Zusammenschlusses (Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 1), Freigabe unter Bedingungen und Auflagen (Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2) oder Untersagung (Art. 8 Abs. 3). Soweit die beteiligten Unternehmen im Wege von Zusagen eine Änderung des ursprünglichen Zusammenschlussvorhabens vorschlagen, um eine Freigabeentscheidung zu erreichen, sind diese der Kommission nicht später als 65 Arbeitstage nach dem Zeitpunkt der Einleitung des Hauptprüfungsverfahrens vorzulegen (Art. 19 Abs. 2 VerfO FKVO). Genauso wie im Vorverfahren kann die Kommission in diesem Fall ihre Entscheidung mit Bedingungen und Auflagen verbinden, um sicherzustellen, dass die Zusagen auch eingehalten werden.

Haben die Unternehmen den Zusammenschluss bereits vor einer Untersagungsentscheidung oder unter Verstoß gegen eine Bedingung vollzogen, kann die Kommission dessen Entflechtung anordnen (Art. 8 Abs. 4).[75]

4. Vollzugsverbot

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Vor einer Freigabeentscheidung im Vor- oder Hauptverfahren darf ein anmeldepflichtiger Zusammenschluss nicht vollzogen werden (Art. 7 Abs. 1).

a) Inhalt des Vollzugsverbots

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Was genau unter dem Begriff des „Vollzugs“ zu verstehen ist, wird in der FKVO nicht definiert. Unstreitig ist zunächst, dass der Abschluss des dem Erwerbsvorgang zugrundeliegenden Kausalgeschäftes, etwa eines Kaufvertrags über Unternehmensanteile, keinen Vollzug darstellt, da der Erwerbsvorgang hierdurch noch nicht bewirkt wird. Vollzugshandlungen sind jedoch alle Rechtshandlungen, die die Vollendung des Zusammenschlusses herbeiführen, wie etwa die dingliche Übertragung von Gesellschaftsanteilen oder von Vermögenswerten. Aus diesem Grund sollte das dingliche Vollzugsgeschäft in einem Unternehmenskaufvertrag stets unter die aufschiebende Bedingung der Freigabe durch die Kommission gestellt werden. Darüber hinaus können auch rein tatsächliche Handlungen einen faktischen Vollzug eines Zusammenschlusses bewirken. Solche faktischen Vollzugsmaßnahmen sind tatsächliche Handlungen, welche die Wirkungen des Zusammenschlusses vorwegnehmen. Die Abgrenzung zu zulässigen Vorbereitungsmaßnahmen kann im Einzelfall schwierig sein. Nach der Rechtsprechung des EuGH werden vom Vollzugsverbot alle Vorgänge umfasst, die ganz oder teilweise, tatsächlich oder rechtlich zu einer Veränderung der Kontrolle über das Zielunternehmen beitragen bzw. hierfür erforderlich sind.[76] Beispielsfälle für unzulässige faktische Vollzugshandlungen sind die Möglichkeit zur faktischen Einwirkung des Erwerbers auf die Unternehmensführung, auf die Ernennung oder Abberufung von Führungskräften der Zielgesellschaft oder der vorzeitige Transfer von Managementverantwortung auf den Erwerber, die organisatorische Zusammenführung und Integration der sich zusammenschließenden Unternehmen, das Aufsetzen eines gemeinsamen Reportings, die Integration von EDV-Systemen, die Abstimmung und Anpassung von Produkten, die Abstimmung der jeweiligen Marketing- und Absatztätigkeiten, ein gemeinsamer Marktauftritt (z.B. bei Messen) oder ein gemeinsamer Vertrieb. Grundsätzlich zulässig sind dagegen reine Vorbereitungshandlungen wie gemeinsame Personalplanungen und Benennung zukünftiger Teams und Führungspositionen (sofern die Posten erst nach Freigabe übernommen werden), die Erarbeitung der (gemeinsamen) Reporting- und Organisationsstrukturen, das Erarbeiten der zukünftigen Unternehmensstrategie, des gemeinsamen Marktauftritts oder des Geschäftsplans für die Zeit nach Wegfall des Vollzugsverbots und Informationsveranstaltungen mit den Mitarbeitern des Zielunternehmens. Nicht abschließend geklärt ist, ob bereits die einseitige Zahlung des Kaufpreises durch den Erwerber gegen das Vollzugsverbot verstößt. Zum Teil wird argumentiert, dass ein Veräußerer, der bereits den vollständigen Kaufpreis und nicht nur eine Anzahlung erhalten habe, das Geschäft automatisch im Interesses des Erwerbers weiter führen wird. Hiergegen spricht jedoch, dass eine solche Rücksichtnahme im Geschäftsleben keineswegs pauschal angenommen werden kann und überhaupt nur dann in Betracht kommt, wenn der Veräußerer bislang selbst unmittelbar in die Unternehmensführung eingebunden war (z.B. als geschäftsführender Gesellschafter).

b) Maßnahmen zwischen Signing und Closing (pre closing covenants)

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In vielen Unternehmenskaufverträgen wird geregelt, dass der Veräußerer während des Zeitraums zwischen dem Abschluss des Kaufvertrages (Signing) und dessen dinglichem Vollzug (Closing) bestimmte, das Zielunternehmen betreffende Maßnahmen, nicht oder nur mit vorheriger Zustimmung des Erwerbers durchführen darf. Der Erwerber soll hierdurch davor geschützt werden, dass der wirtschaftliche Wert des Zielunternehmens, der Grundlage für die Berechnung des Kaufpreises war, nachträglich geschmälert wird, etwa indem Vermögensgegenstände veräußert oder Darlehen aufgenommen werden. Grundsätzlich sind solche ‚pre closing covenants‘ mit dem Vollzugsverbot vereinbar, wenn sie sich darauf beschränken, den Wert des Erwerbssubstrats zu erhalten und grundlegende Veränderungen zu verhindern.[77] Etwas anderes gilt jedoch, wenn sich die ‚pre closing covenants‘ nicht hierauf beschränken, sondern eine Einflussnahme des Erwerbers auf das Alltagsgeschäft des Zielunternehmens ermöglichen. So hat die Kommission einen Katalog von zustimmungsbedürftigen Maßnahmen als Verstoß gegen das Vollzugsverbot beanstandet, der einen Zustimmungsvorbehalt bei der Bestellung und Abberufung des „Senior Managements“ vorsah, dem Erwerber Einfluss auf die Preispolitik, auf Kundenverträge und Werbekampagnen des Zielunternehmens gewährte und derart niedrige Wertschwellen vorsah, dass der Erwerber Einfluss auf das Tagesgeschäft des Zielunternehmens erhielt.[78] Für die Frage, wann eine Wertschwelle zu niedrig ist, stellte die Kommission vor allem auf einen Vergleich des Schwellenwertes mit dem Unternehmenswert/Kaufpreis und dem Jahresumsatz des Zielunternehmens ab sowie auf eine vergleichende Analyse, welche Verträge der Erwerber in der Due Dilligence als prüfenswert angesehen hatte.

c) Ausnahmen und Befreiung vom Vollzugsverbot

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Auf Antrag der Beteiligten kann die Kommission unter engen Voraussetzungen eine Befreiung vom Vollzugsverbot erteilen (§ 7 Abs. 3). Eine Ausnahme vom Vollzugsverbot gilt für öffentliche Kauf- oder Tauschangebote, die bei der Kommission angemeldet wurden (Art. 7 Abs. 2).

d) Rechtsfolgen eines Verstoßes

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Ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot kann von der Kommission mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 10 % des von den beteiligten Unternehmen erzielten Gesamtumsatzes geahndet werden (Art. 14 Abs. 2 lit. b). Die Kommission geht seit einigen Jahren nachdrücklich gegen Verstöße vor und schreckt dabei auch nicht vor der Verhängung hoher Bußgelder zurück.[79] Darüber hinaus sind unter Missachtung des Vollzugsverbots geschlossene Rechtsgeschäfte schwebend unwirksam (Art. 7 Abs. 4). Davon betroffen sind die als Vollzug zu qualifizierenden Rechtshandlungen, d.h. nach deutschem Recht die dingliche Übertragung. Das zugrundeliegende schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft bleibt dagegen wirksam und zwar auch dann, wenn es keine aufschiebende Bedingung für den Vollzug enthält. Wird der Zusammenschluss später freigegeben, so wird das dingliche Vollzugsgeschäft rückwirkend wirksam; bei einer Untersagung ist es dagegen als von Anfang an unwirksam anzusehen.

5. Gerichtlicher Rechtsschutz

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Die FKVO selbst enthält keine ausdrückliche Regelung des gerichtlichen Rechtsschutzes in Bezug auf Genehmigungs- oder Untersagungsentscheidungen, so dass insoweit die allgemeinen Vorschriften der Art. 263 ff. AEUV zur Anwendung kommen. Wichtigste Klageart ist insoweit die Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV), die sich gegen alle anfechtbaren Handlungen der Kommission richten kann, sofern diese verbindliche Rechtswirkung erzeugen und die Interessen des Klägers durch einen Eingriff in seine Rechtsstellung beeinträchtigen.[80] Danach können die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen sowohl Untersagungs- und Entflechtungsentscheidungen als auch die Nebenbestimmungen einer Freigabe unter Bedingungen oder Auflagen anfechten, da die Zusagen von den Unternehmen regelmäßig nur zur Abwendung einer Verbotsentscheidung abgegeben werden und ihr eigentliches Ziel eine bedingungslose Freigabe ist. Nicht angreifbar ist dagegen die Eröffnung des Hauptprüfungsverfahrens, da es sich hierbei lediglich um eine vorbereitende Maßnahme innerhalb eines mehrstufigen Verfahrens handelt.

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Dritte, die von einer Entscheidung der Kommission unmittelbar und individuell betroffen sind, können Freigabeentscheidungen mit einer Konkurrentenklage angreifen. Die erforderliche Betroffenheit ist dann gegeben, wenn der Dritte am Verwaltungsverfahren vor der Kommission beteiligt war und angehört wurde oder die Entscheidung seine Wettbewerbsposition spürbar beeinträchtigt.[81]

V. Verhältnis zur nationalen Fusionskontrolle

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Für alle Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung gilt der Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit der Kommission (Art. 21 Abs. 3 FKVO). Nach diesem sog. „one stop shop“-Prinzip ist eine gleichzeitige, parallele Fusionskontrolle durch die Kartellbehörden der Mitgliedstaaten ausgeschlossen. Diese dürfen daher weder von der Kommission genehmigte Zusammenschlüsse untersagen noch von der Kommission untersagte Zusammenschlüsse nachträglich genehmigen. Es gibt jedoch einige Durchbrechungen dieses Ausschließlichkeitsprinzips. Zum einen kann die Kommission einen Zusammenschluss ganz oder teilweise an die Kartellbehörde eines Mitgliedstaates verweisen, sofern hierdurch der Wettbewerb auf einem Markt in diesem Mitgliedstaat, der die Merkmale eines gesonderten Marktes aufweist, erheblich beeinträchtigt würde und der Mitgliedstaat die Verweisung beantragt hat (Art. 9 Abs. 2 FKVO). Darüber hinaus sieht die FKVO auch die Möglichkeit einer „umgekehrten“ Verweisung von den Mitgliedstaaten an die Kommission vor. Nach Art. 22 FKVO kann ein Zusammenschluss, dem keine gemeinschaftsweite Bedeutung zukommt, auf Antrag eines Mitgliedstaates oder mehrerer im Einvernehmen handelnder Mitgliedstaaten von der Kommission nach den Regeln der FKVO beurteilt werden.[82]

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Die Verweisung eines Zusammenschlusses kann auch auf Veranlassung der beteiligten Unternehmen erfolgen. Bereits vor Einreichung einer Anmeldung können die Unternehmen bei der Kommission den Antrag stellen, einen Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung an einen oder mehrere Mitgliedstaaten zu verweisen (Art. 4 Abs. 4 FKVO). Voraussetzung hierfür ist, dass der Zusammenschluss den Wettbewerb in einem Markt in einem Mitgliedstaat, der alle Merkmale eines gesonderten Marktes aufweist, erheblich beeinträchtigen könnte. Umgekehrt können die beteiligten Unternehmen eines Zusammenschlusses, der keine gemeinschaftsweite Bedeutung hat aber nach dem Wettbewerbsrecht von mindestens drei Mitgliedstaaten geprüft werden könnte, den Antrag stellen, dass der Zusammenschluss von der Kommission geprüft werden sollte (Art. 4 Abs. 5 FKVO).

C. Deutsche Fusionskontrolle

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Findet die europäische Fusionskontrolle auf einen Unternehmens- oder Beteiligungskauf keine Anwendung, entweder weil die Umsatzschwellen der FKVO nicht erreicht werden oder kein Zusammenschlusstatbestand verwirklicht wird, so sind mögliche Anmeldepflichten in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu prüfen. Der deutschen Fusionskontrolle kommt dabei eine besondere Relevanz zu, da sie aufgrund der im internationalen Vergleich niedrigen Umsatzschwellen und des sehr weit gefassten Zusammenschlussbegriffs auf viele Transaktionen Anwendung findet.

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Die im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) enthaltenen Vorschriften der deutschen Fusionskontrolle wurden zuletzt durch die 9. GWB-Novelle mit Wirkung ab dem 9.6.2017 geändert. Die wesentliche Änderung betrifft die Einführung einer weiteren Aufgreifschwelle für die deutsche Fusionskontrolle, die nicht allein auf die Umsatzerlöse der beteiligten Unternehmen, sondern vor allem auf den Wert der Transaktion abstellt.

I. Zusammenschlusstatbestand

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Der Zusammenschlussbegriff der deutschen Fusionskontrolle ist abschließend in § 37 GWB geregelt. Die einzelnen Zusammenschlusstatbestände schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern sind nebeneinander anwendbar mit der Folge, dass häufig mehrere Tatbestände des Abs. 1 gleichzeitig erfüllt sind. Auch in diesen Fällen liegt jedoch nur ein Zusammenschluss im Rechtssinne vor.[83]

1. Vermögenserwerb

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Nach § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB liegt ein Zusammenschluss vor, wenn ein Unternehmen das Vermögen eines anderen Unternehmens ganz oder zu einem wesentlichen Teil erwirbt. Für den Erwerbstatbestand ist der Rechtsgrund ohne Belang. Er kann auf privatrechtlichem Rechtsgeschäft, auf staatlichem Hoheitsakt oder Gesetz beruhen, in der Zwangsvollstreckung oder von Todes wegen erfolgen. Der Begriff des Vermögens eines Unternehmens ist in Übereinstimmung mit den allgemeinen handels- und bilanzrechtlichen Regelungen zu bestimmen und erfasst alle seine geldwerten Güter und Rechte, sofern sie verkehrsfähig sind. Erwerbsgegenstand können daher alle geldwerten, unternehmerisch genutzten Vermögensgegenstände eines Unternehmens sein, wie z.B. Produktionsstätten, eingeführte Warenzeichen, der Kundenstamm, Forderungen, der Goodwill, Know-how bzw. Betriebsgeheimnisse und die Absatzorganisation.[84] Die Beschränkung auf Vermögensgegenstände schließt die Passiva als Teil des Vermögens aus.

Ein Vermögenserwerb liegt einerseits dann vor, wenn der Käufer das gesamte Vermögen eines anderen Unternehmens erwirbt, sei es durch Kauf- und Übertragungsvertrag (asset deal) oder im Wege der Umwandlung oder Verschmelzung. Werden dagegen nur Teile des Betriebsvermögens aus einer größeren Unternehmenseinheit erworben, so kommt es darauf an, ob es sich hierbei um den wesentlichen Teil des Unternehmensvermögens handelt. Dies ist dann der Fall, wenn es sich um einen abgrenzbaren Vermögensteil handelt, der für die Stellung des Veräußerers auf dem Markt kennzeichnend war und dessen Erwerb abstrakt geeignet ist, die Stellung des Erwerbers auf dem Markt zu verändern.[85] Darunter können nach den Umständen des Einzelfalles etwa auch einzelne Einzelhandelsfilialen, Zementwerke und Titel- und Herausgaberechte für Zeitschrift fallen.[86]

2. Kontrollerwerb

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Der zum Zwecke einer weiteren Harmonisierung mit dem europäischen Kartellrecht eingeführte Zusammenschlusstatbestand des Kontrollerwerbs in § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB folgt weitgehend der Regelung in Art. 3 Abs. 1 FKVO.[87] Erfasst wird daher auch im deutschen Recht der Erwerb der unmittelbaren oder mittelbaren Kontrolle durch ein oder mehrere Unternehmen über die Gesamtheit oder Teile eines oder mehrerer Unternehmen. Die Kontrolle kann dabei durch Rechte, Verträge oder andere Mittel begründet werden, die einzeln oder zusammen unter Berücksichtigung aller tatsächlichen oder rechtlichen Umstände (dem Erwerber) die Möglichkeit gewähren, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben. Entscheidend ist somit, dass der Erwerber rechtlich oder tatsächlich die wesentlichen Entscheidungen des Zielunternehmens inhaltlich beeinflussen kann.

Der wichtigste Fall des Kontrollerwerbs ist der Erwerb von mehr als 50 % des stimmberechtigten Kapitals, der i.d.R. die Alleinkontrolle über das Unternehmen vermittelt, da der Erwerber die Möglichkeit erlangt die Zusammensetzung der Organe zu beeinflussen. Alleinige Kontrolle kann aber auch bei einer Beteiligung von deutlich unter 50 % gegeben sein, z.B. wenn der Erwerber dauerhaft die faktische Mehrheit Hauptversammlung hat, weil sich die übrigen Gesellschaftsanteile in Streubesitz befinden oder aufgrund vertraglich eingeräumter Vetorechte.

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Eine gemeinsame Kontrolle des Zielunternehmens besteht zum einen dann, wenn die Gesellschafter, die gemeinsam die Mehrheit der Stimmrechte des Zielunternehmens halten, die gemeinsame Leitung des Unternehmens vereinbaren (z.B. in einem Stimmbindungs- oder Poolvertrag). Sie ist auch im Falle einer 50:50-Beteiligung gegeben, wenn aufgrund gegenseitiger Blockademöglichkeiten ein faktischer Einigungszwang zwischen den Gesellschaftern besteht. Gemeinsame Kontrolle liegt schließlich aber auch dann vor, wenn der Erwerber nur eine Minderheitsbeteiligung erwirbt, jedoch in wesentlichen Angelegenheiten des Zielunternehmens (z.B. Verabschiedung des jährlichen Geschäftsplans, Bestellung der Geschäftsführung) Vetorechte erhält. Entsprechendes gilt für den umgekehrten Fall (der Erwerber erwirbt die Mehrheit, räumte aber dem Minderheitsgesellschafter solche Vetorechte ein). Keine Kontrolle liegt im Regelfall vor, wenn der Erwerber lediglich eine Minderheitsbeteiligung erwirbt und keine über den gesetzlichen Minderheitenschutz bei sog. Grundlagenentscheidungen (z.B. Satzungsänderungen) hinausgehenden Rechte bzw. Einflussmöglichkeiten erhält.

Ein Kontrollerwerb liegt dann nicht vor, wenn eine bereits bestehende Kontrolle lediglich verstärkt oder inhaltlich modifiziert wird, z.B. wenn eine einfache Mehrheit von über 50 % auf eine qualifizierte Mehrheit von 75 % oder auf 100 % des stimmberechtigten Kapitals aufgestockt wird.[88] Ändert sich jedoch die Qualität der Kontrolle, d.h. kommt es zu einer Umwandlung von alleiniger zu gemeinsamer oder umgekehrt von gemeinsamer zu alleiniger Kontrolle, so wird hierdurch ein neuer Zusammenschluss bewirkt.