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b) Räumlicher Markt

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Die räumliche Marktabgrenzung dient dem Zweck, das geographische Territorium zu fixieren, auf dem die Auswirkungen des Zusammenschlusses, insbesondere die Marktmacht der beteiligten Unternehmen und ihrer Wettbewerber untersucht werden sollen. Die Bestimmung des räumlich relevanten Marktes ist gerade in dem sich dynamisch entwickelnden europäischen Binnenmarkt einerseits außerordentlich schwierig, andererseits aber von herausragender Bedeutung. Der räumlich relevante Markt wird allgemein definiert als „Gebiet, in dem die beteiligten Unternehmen die relevanten Produkte oder Dienstleistungen anbieten, in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind und das sich von benachbarten Gebieten durch spürbar unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen unterscheidet“.[55] Es kommt mithin auf das Gebiet an, in dem die Marktteilnehmer ihre Produkte und Dienstleistungen zu vergleichbaren Bedingungen ohne wirtschaftlich erhebliche Marktschranken vertreiben können. Die hierfür erforderliche Homogenität der Wettbewerbsbedingungen wird mittels eines zweistufigen Tests geprüft. Zunächst wird untersucht, ob die Wettbewerbsbedingungen innerhalb des Hauptvertriebsgebietes der betreffenden Produkte hinreichend gleichförmig sind. Ist dies der Fall, so ist zu prüfen, ob sich die Wettbewerbsbedingungen hinreichend von denen in angrenzenden Gebieten unterscheiden. Insoweit kommt es vor allem auf das Bestehen von Marktzutrittsschranken an. Weitere Kriterien, die von der Kommission zur Überprüfung der Homogenität eines Marktes herangezogen werden, sind die Zugangsbedingungen zu den Vertriebswegen, der Sitz des Unternehmens, Verbrauchergewohnheiten, das Bestehen erheblicher Unterschiede bei den Marktanteilen der Unternehmen oder nennenswerter Preisunterschiede zwischen dem Gebiet und den benachbarten Gebieten, die Erforderlichkeit einer Gebietspräsenz, um in einem bestimmten Gebiet verkaufen zu können, die Kosten der Errichtung eines Vertriebsnetzes sowie insbesondere die Transportkosten.

Im Einzelnen hat die Kommission bislang unterschieden zwischen lokalen, regionalen, nationalen, mehrere Mitgliedstaaten umfassenden und gemeinschaftsweiten Märkten sowie schließlich Weltmärkten.

2. Erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs

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Nachdem festgestellt wurde, auf welchen relevanten Märkten die beteiligten Unternehmen tätig sind, ist in einem zweiten Schritt zu untersuchen, ob durch den Zusammenschluss wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt erheblich behindert würde, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung. Die Kommission unterscheidet bei der Anwendung des Untersagungskriteriums grundsätzlich zwischen koordinierten Wirkungen und nicht koordinierten Wirkungen.[56] Dahinter steht die Überlegung, dass sich wettbewerbswidrige Effekte eines Zusammenschlusses zwischen Wettbewerbern sowohl aus einer Erhöhung individueller Marktmacht ergeben können, die ein Unternehmen unabhängig von anderen ausüben kann, als auch daraus, dass mehrere Unternehmen die Möglichkeit haben, ihr Verhalten (stillschweigend) aufeinander abzustimmen. Die letztgenannte Fallgestaltung sog. koordinierter Wirkungen stimmt dabei mit der Rechtsfigur der Oligopolmarktbeherrschung überein. Ein Zusammenschluss kann allerdings auch zu einer Verringerung des Wettbewerbsdrucks und damit zu einer Erhöhung der Marktmacht eines oder mehrerer Unternehmen führen, ohne dass die Unternehmen die Möglichkeit zu einem koordinierten Verhalten haben. In den meisten Fällen werden solche nicht koordinierten Wirkungen darauf zurückzuführen sein, dass ein Unternehmen über eine so große Marktmacht verfügt, dass es sich unabhängig von seinen Wettbewerbern, Abnehmern und letztlich den Verbrauchern verhalten kann. Das Unternehmen hat in diesem Fall eine einzelmarktbeherrschende Stellung inne. Eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs kann aber auch dann gegeben sein, wenn ein Unternehmen in einem oligopolistischen Markt zwar nicht beherrschend ist, aufgrund der zusammenschlussbedingten Beseitigung wichtiger Wettbewerbszwänge aber in die Lage versetzt wird, die Wettbewerbsparameter auf dem Markt spürbar und nachhaltig zu beeinträchtigen.

a) Einzelmarktbeherrschung

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Weder die FKVO noch das sonstige europäische Recht enthalten eine Legaldefinition des Begriffs der beherrschenden Stellung. Nach der inzwischen zur Standardformel gewordenen Definition des EuGH ist die beherrschende Stellung als die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens anzusehen, die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten.[57] Ob durch einen konkreten Zusammenschluss nun eine beherrschende Stellung eines Unternehmens begründet oder verstärkt wird, ergibt sich aus einem Vergleich der Wettbewerbsstruktur des betroffenen Marktes vor und nach dem Zusammenschluss und ist differenziert nach der Richtung des Zusammenschlusses zu beurteilen. Horizontal sind Zusammenschlüsse zwischen Unternehmen, die auf demselben sachlichen und räumlichen Markt auf der gleichen Marktstufe tätig sind. Vertikale Zusammenschlüsse sind solche zwischen Anbietern und Nachfragern aufeinander unmittelbar nachfolgenden Marktstufen. Konglomerat sind schließlich alle Zusammenschlüsse zwischen Unternehmen, die sich weder auf einem Markt als Wettbewerber noch auf Vor- oder Nachstufen als Anbieter und Nachfrager gegenüberstehen.

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Bei der Marktbeherrschungsprüfung der Kommission stehen die Marktanteile der neuen Unternehmenseinheit und der Abstand zu den übrigen Konkurrenten ganz im Vordergrund, wobei die FKVO keine expliziten Vermutungsschwellen enthält. Die Gemeinschaftsorgane gehen davon aus, dass sehr hohe individuelle Marktanteile von über 80 % schon per se – wenn nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen – allein aufgrund ihrer absoluten Bedeutung ohne Weiteres den Beweis für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung erbringen, insbesondere dann, wenn die Anteile der übrigen Konkurrenten viel kleiner sind.[58] Bei Marktanteilen zwischen 45 und 80 % genügt der bloße Hinweis auf die Marktanteilshöhe grundsätzlich nicht für die Annahme einer marktbeherrschenden Stellung, da diese dennoch aufgrund effektiven Wettbewerbs im Einzelfall ausgeschlossen sein kann.[59] Obwohl solchen Marktanteilen gleichwohl eine gewisse Indizwirkung zukommt, bedarf es stets der Prüfung weiterer Beherrschungsmerkmale. Ein Anteil zwischen 25 und 45 % lässt hingegen nicht mehr ohne Weiteres auf Marktbeherrschung schließen. Insoweit bedarf es starker, in der Marktstruktur und/oder der Unternehmensstruktur begründeter Faktoren, die die Annahme einer Marktbeherrschung rechtfertigen. Marktanteile von nicht mehr als 25 % indizieren dagegen im Allgemeinen das Nichtvorliegen einer marktbeherrschenden Stellung und die Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt.[60] Unterhalb eines gemeinsamen Marktanteils von 15 % liegt bereits kein betroffener Markt i.S.d. für die Anmeldung erforderlichen Formblatts vor mit der Folge, dass detaillierte Angaben zu diesen Märkten nicht erforderlich sind. Neben der absoluten Höhe der Marktanteile der Zusammenschlussbeteiligten und ihrer Wettbewerber berücksichtigt die Kommission auch den Konzentrationsgrad eines Marktes. Zur Feststellung der Marktkonzentration verwendet die Kommission nach dem Vorbild der US-Kartellbehörden den Herfindahl-Hirschmann-Index (HHI), der sich aus der Addition der Quadrate der in Prozentzahlen ausgedrückten Marktanteile ergibt.[61] Die Veränderung des HHI durch einen horizontalen Zusammenschluss (das sog. Delta) gibt einen Hinweis auf die hierdurch unmittelbar verursachte Änderung der Marktkonzentration. Ein HHI von weniger als 1 000 nach dem Zusammenschluss deutet darauf hin, dass keine horizontalen Wettbewerbsbedenken bestehen. Gleiches gilt, wenn der Index nach dem Zusammenschluss zwischen 1 000 und 2 000 liegt, sofern gleichzeitig das Delta weniger als 250 beträgt, oder der Index zwar bei über 2 000 liegt, das Delta aber weniger als 150 beträgt.[62]

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Neben den Marktanteilen und dem Konzentrationsgrad des Marktes zieht die Kommission auch weitere Faktoren wie die Finanzkraft der beteiligten Unternehmen, ihr Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten und die Entwicklung des Marktes in ihre Bewertung mit ein. Zeigen sich danach bei der Analyse eines Zusammenschlusses wettbewerbswidrige Auswirkungen, so können diese durch eine Reihe von Faktoren neutralisiert werden. Verfügen die Kunden aufgrund ihrer Größe und wirtschaftlichen Bedeutung über Verhandlungsmacht, indem sie im Falle von Preiserhöhungen jederzeit zu einer anderen Lieferquelle wechseln können, so verfügt die neue Unternehmenseinheit nicht über einen unkontrollierten Verhaltensspielraum. Auch hohe Marktanteile verlieren daher bei einer erheblichen Nachfragemacht der Marktgegenseite an Aussagekraft.[63] Das gleiche gilt, wenn mit potentiellem Wettbewerb von – innerhalb oder außerhalb der EU ansässigen – Unternehmen zu rechnen ist, was entscheidend vom Bestehen und der Intensität von Marktzutrittsschranken abhängt. Dabei kann es sich um rechtliche Umstände, z.B. Handelsschranken, technische bzw. kommerzielle Umstände, z.B. fehlender Zugang zu erforderlichen Technologien, Vertriebsnetze oder auch Verbraucherpräferenzen handeln.[64]

b) Oligopolmarktbeherrschung

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Eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs kann sich auch daraus ergeben, dass mehrere Unternehmen – zwischen denen kein Wettbewerb besteht – zusammen eine marktbeherrschende Stellung einnehmen. Auf der Grundlage der Feststellungen des Gerichts der Union im Fall Airtours prüft die Kommission das Vorliegen eines solchen marktbeherrschenden Oligopols anhand von drei Voraussetzungen.[65] Zum einen muss jedes Mitglied des Oligopols das Verhalten der anderen Mitglieder überwachen können, um festzustellen, ob sich alle Unternehmen parallel verhalten oder ein Unternehmen abweicht. Des Weiteren muss die stillschweigende Koordinierung auf Dauer erfolgen können, d.h., es müssen glaubwürdige Abschreckungsmechanismen vorhanden sein, die im Falle einer entdeckten Verhaltensabweichung zum Tragen kommen können. Diese Abschreckungsmechanismen müssen so massiv sein, dass die Oligopolisten ihr Interesse am ehesten in einer Einhaltung des kollusiven Verhaltens gewahrt sehen. Schließlich muss ausgeschlossen sein, dass Außenseiter wie vorhandene oder künftige Wettbewerber oder auch die Abnehmer die Ergebnisse der Koordinierung durch ihr Verhalten gefährden können.

Für die eigentliche Prüfung der Frage, ob auf einem Markt mit nur wenigen Anbietern ein wettbewerblich strukturiertes Oligopol oder oligopolistische Marktbeherrschung vorliegt, werden in der bisherigen Praxis der Kommission die einzelnen Marktfaktoren und die Eigenschaften der Unternehmen üblicherweise daraufhin analysiert und unterschieden, ob sie ein stabiles wettbewerbsbeschränkendes Parallelverhalten der Oligopolisten fördern oder hemmen.

c) Effizienzgewinne

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Hat ein Zusammenschluss wettbewerbsbehindernde Wirkungen, so können diese auch dadurch ausgeglichen werden, dass der Zusammenschluss zu Effizienzgewinnen bei der neuen Unternehmenseinheit führt, z.B. Kosteneinsparungen oder verbesserte Technologien. In ihrer bisherigen Praxis ist die Kommission bei der Berücksichtigung von Effizienzgewinne jedoch sehr zurückhaltend und stellt insoweit hohe Anforderungen an deren Nachweis. So müssen die Effizienzgewinne fusionsspezifisch und erheblich sein, sich rechtzeitig einstellen und den Verbrauchern in den relevanten Märkten nachprüfbar zu Gute kommen.[66]

d) Sanierungsfusion

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Fehlt es an der Kausalität des Zusammenschlusses für die zu erwartende Wettbewerbsbehinderung, so kann die Kommission den Zusammenschluss nicht untersagen. In der Praxis wird die Kausalitätsbetrachtung vor allem bei Sanierungsfusionen (rescue mergers) relevant. Die Kommission orientiert sich hierbei an den Kriterien der „Failing-Company-Defence“-Doktrin des US-amerikanischen Antitrustrechts.[67] Danach müssen drei Bedingungen erfüllt sein: Erstens muss feststehen, dass das zu übernehmende Unternehmen in naher Zukunft wegen finanzieller Schwierigkeiten aus dem Markt ausscheiden würde, falls es nicht durch ein anderes Unternehmen übernommen wird. Zweitens darf sich der angemeldete Zusammenschluss nicht wettbewerblich negativer auswirken als alternative Übernahmeszenarien und drittens muss feststehen, dass die Vermögenswerte des sanierungsbedüftigen Unternehmen ohne den Zusammenschluss zwangsläufig aus dem Markt genommen würden.[68] Die Beweislast für den fehlenden Kausalzusammenhang tragen nach Auffassung der Kommission in jedem Fall die anmeldenden Unternehmen.

e) Beurteilung von Gemeinschaftsunternehmen

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Gemeinschaftsunternehmen sind Unternehmen, die der gemeinsamen Kontrolle durch mindestens zwei andere Unternehmen oder Personen, die sogenannten Mütter oder Gründer, unterliegen (Art. 3 Abs. 1 lit. b). Als ein Mittel der Kooperation zwischen Unternehmen stehen sie auf der Grenze zwischen Kartellen und Unternehmenszusammenschlüssen und werfen eine Vielzahl schwieriger Abgrenzungs- und Bewertungsfragen auf. Gem. Art. 2 Abs. 4 unterliegen Vollfunktions-Gemeinschaftsunternehmen, soweit sie kooperative Elemente enthalten, einer Doppelkontrolle: Neben dem Marktbeherrschungstest, der wie bei allen anderen Zusammenschlüssen durchzuführen ist, prüft die Kommission zusätzlich anhand der Kriterien des Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV, ob die Gemeinschaftsgründung eine Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens unabhängig bleibender Unternehmen mitverursacht (Art. 2 Abs. 4). Allerdings führt nicht jeder Koordinierungssachverhalt zur Anwendbarkeit des Art. 2 Abs. 4, da ein gewisses Maß an Koordinierung für jedes Gemeinschaftsunternehmen wesensnotwendig ist. Entsprechend der Theorie des Gruppeneffektes (spill-over-effect) greift diese Vorschrift nur dort ein, wo die Gründerunternehmen durch ihre Zusammenarbeit im Gemeinschaftsunternehmen – infolge eines Gruppeneffektes – dazu veranlasst werden, ihr Wettbewerbsverhalten außerhalb des Gemeinschaftsunternehmens zu koordinieren. Auf eine mögliche Koordinierung zwischen den Gründerunternehmen und dem Gemeinschaftsunternehmen kommt es dagegen nicht an. Damit tritt zur Marktbeherrschung ein weiterer Untersagungs- und Genehmigungstatbestand hinzu, der allerdings innerhalb des Verfahrens und der Fristen der FKVO anzuwenden ist. Liegt eine Verhaltenskoordinierung vor, die die Kriterien des Art. 101 Abs. 1 AEUV erfüllt, so hat die Kommission innerhalb der Fristen des Art. 10 FKVO über deren mögliche Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV zu entscheiden. Eine auf der Grundlage des Art. 2 Abs. 4 FKVO erteilte Freistellung ist unbefristet und kann nicht widerrufen werden.

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Die wettbewerbliche Beurteilung von kooperativen Gemeinschaftsunternehmen, die nicht in den Anwendungsbereich der FKVO fallen, bemisst sich grundsätzlich nach dem allgemeinen Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV, der Freistellungsnorm des Art. 101 Abs. 3 AEUV und der VO Nr. 1/2003.[69] Allein die Tatsache, dass ein Gemeinschaftsunternehmen einen kooperativen Charakter hat, bedeutet jedoch nicht automatisch auch einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV. Die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen ist vielmehr grundsätzlich erlaubt und nur dann ausnahmsweise verboten, wenn im Einzelfall die Voraussetzungen des Kartellverbots erfüllt sind, d.h. wenn die Grundvereinbarung zwischen den Müttern eine spürbare Beschränkung und Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt und sie außerdem geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

3. Nebenabreden

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Im Zusammenhang mit Unternehmenszusammenschlüssen treffen die Parteien häufig Vereinbarungen mit wettbewerbsbeschränkendem Charakter, wie z.B. Wettbewerbsverbote, die unter das Kartellverbot des Art. 101 AEUV fallen können. Nach Art. 6 Abs. 1 lit. b und Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 3 werden solche Nebenabreden (ancillary restraints) durch die Freigabeentscheidung der Kommission automatisch mit abgedeckt, wenn die Einschränkungen mit der Durchführung des Zusammenschlusses unmittelbar verbunden und für diesen notwendig sind. Als mit der Durchführung des Zusammenschlusses unmittelbar verbunden gelten Nebenabreden dann, wenn sie zwar nicht Bestandteil des Zusammenschlusses sind, aber doch mit ihm untrennbar verbunden sind. Damit Nebenabreden als für die Durchführung des Zusammenschlusses notwendig angesehen werden können, ist erforderlich, dass der Zusammenschluss ohne sie gar nicht, nur unter gewissen Voraussetzungen, zu wesentlich höheren Kosten oder mit erheblich niedrigeren Erfolgsaussichten durchgeführt werden könnte.

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Die Einschätzung, ob die Voraussetzungen der unmittelbaren Verbundenheit und Notwendigkeit vorliegen, obliegt im Einzelfall den beteiligten Unternehmen. Nur in besonderen Fallgestaltungen, die neue oder ungelöste Fragen aufwerfen, prüft die Kommission in ihren Entscheidungen das Vorliegen einer zulässigen Nebenabrede. Anhaltspunkte für die i.d.R. erforderliche „Selbstveranlagung“ enthält die Bekanntmachung der Kommission über Nebenabreden.[70] Typische Beispiele für Nebenabreden, die in der Bekanntmachung der Kommission behandelt werden, sind Wettbewerbsverbote sowie Bezugs- und Lieferverpflichtungen. Die zulässige Dauer von Wettbewerbsverboten, die anlässlich einer Unternehmensveräußerung vereinbart werden, setzt die Kommission i.d.R. bei drei Jahren an.[71] Wird nur der Geschäftswert, jedoch kein Know-how übertragen, wird lediglich ein Zwei-Jahres-Zeitraum als gerechtfertigt angesehen. Bei der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens können Wettbewerbsverbote zwischen den Gründern und dem Gemeinschaftsunternehmen so lange als gerechtfertigt angesehen werden, wie das Gemeinschaftsunternehmen besteht. Die Vereinbarung von den Erwerber oder den Veräußerer treffenden Bezugs- und/oder Lieferpflichten wird für einen Übergangszeitraum von bis zu fünf Jahren als zulässig betrachtet. Verpflichtungen, die unverhältnismäßig hohe bzw. unbegrenzte Liefer- bzw. Bezugsmengen vorsehen oder die den Status eines Vorzugslieferanten oder Vorzugsabnehmers begründen, werden dagegen genauso wie Ausschließlichkeitsbindungen normalerweise nicht als Nebenabreden anerkannt.[72]

IV. Das Fusionskontrollverfahren

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Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung sind nach Art. 4 Abs. 1 FKVO vor ihrem Vollzug bei der Kommission anzumelden. Innerhalb der Kommission ist die Generaldirektion Wettbewerb für die Prüfung zuständig. Die Generaldirektion Wettbewerb empfiehlt den beteiligten Unternehmen eine frühzeitige Kontaktaufnahme und die Einreichung eines Anmeldeentwurfs vor der förmlichen Anmeldung.[73] Im Rahmen von Vorgesprächen können die Parteien vor allem Zuständigkeits- und Rechtsfragen sowie den inhaltliche Umfang der Anmeldung mit der Kommission abstimmen.

1. Anmeldung

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Für die Anmeldung des Zusammenschlusses bei der Kommission gibt es keine Anmeldefrist. Die Anmeldung muss jedoch vor dem Vollzug des Zusammenschlusses erfolgen. Eine Anmeldung ist nicht erst nach Vertragsschluss (signing) zulässig, sondern kann bereits dann erfolgen, wenn die Unternehmen der Kommission gegenüber glaubhaft machen, dass sie gewillt sind, einen Vertrag abzuschließen oder im Falle eines Übernahmeangebots öffentlich ihre Absicht zur Abgabe eines solchen Angebots bekundet haben (Art. 4 Abs. 1 FKVO). Dieser Wille zum Vertragsschluss kann etwa anhand von unterzeichneten Grundsatzvereinbarungen oder Absichtserklärungen (letter of intent) dargetan werden.

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Zur Anmeldung verpflichtet sind die an einer Fusion oder der Begründung einer gemeinsamen Kontrolle beteiligten Unternehmen gemeinsam, in allen anderen Fällen der Erwerber der Kontrolle (Art. 4 Abs. 2). Die formellen Anforderungen an die Anmeldung sind in einer Durchführungsverordnung (DVO) geregelt.[74] Diese bestimmt u.a., dass die Anmeldung auf Grundlage eines Formblattes (Form CO) zu erfolgen hat, in dem sehr detaillierte Informationen zu den beteiligten Unternehmen, zum Zusammenschlussvorhaben, den betroffenen Märkten, den Abnehmern und den Wettbewerbern abgefragt werden. Besonders umfangreich sind die Angaben, wenn sogenannte betroffene Märkte vorliegen. Ein solcher liegt dann vor, wenn die Beteiligten in demselben Produktmarkt tätig sind und dort einen gemeinsamen Marktanteil von 15 % oder mehr haben oder auf einem Produktmarkt tätig sind, der einem anderen Produktmarkt vor- oder nachgelagert ist, auf dem sich ein anderes beteiligtes Unternehmen betätigt und ihr Marktanteil auf dem einen oder anderen Markt einzeln oder gemeinsam 25 % oder mehr beträgt. Für bestimmte, genau definierte, im Allgemeinen von vornherein unproblematische Fälle ist eine Anmeldung in Kurzform möglich. Um vollständig zu sein, muss die Anmeldung alle Angaben enthalten, die im maßgebenden Formblatt CO aufgeführt sind. Die Vollständigkeit der Anmeldung ist Voraussetzung für den Beginn des Fristenlaufs im Vorverfahren (Art. 4 Abs. 2 DVO). Die Kommission veröffentlicht die Tatsache der Anmeldung im Amtsblatt der Europäischen Union, damit interessierte Dritte Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.