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b) Verwaltungsrechtliche Folgen

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Verwaltungsrechtlich können die Kartellbehörden die beteiligten Unternehmen dazu verpflichten, eine Zuwiderhandlung gegen das Kartellverbot abzustellen. Das Verwaltungsverfahren der Kommission richtet sich dabei nach der VO (EG) Nr. 1/2003, das der deutschen Kartellbehörden nach § 32 Abs. 1, 2 GWB. Ein Verschulden der Unternehmen ist – anders als im Bußgeldverfahren – nicht erforderlich. Soweit ein berechtigtes Interesse besteht, können die Kartellbehörden auch die Kartellrechtswidrigkeit einer Maßnahme im Nachhinein feststellen, nachdem diese beendet wurde. Im deutschen Recht kann die Kartellbehörde in der Abstellungsverfügung die zuwiderhandelnden Unternehmen zu einer Rückerstattung der aus der Zuwiderhandlung erwirtschafteten Vorteile an die Abnehmer verpflichten (§ 32 Abs. 2a GWB) bzw. in einer gesonderten Verfügung die Abschöpfung des Vorteils zugunsten der Staatskasse anordnen (§ 34 GWB).

c) Bußgeldrechtliche Folgen

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Vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen das Kartellverbot können von der Kommission und dem Bundeskartellamt mit Bußgeldern geahndet werden (Art. 23 VO 1/2003; § 81 GWB). Bei der Festsetzung der Bußgelder ist sowohl die Schwere der Zuwiderhandlung als auch deren Dauer zu berücksichtigen. Zu den besonders schweren Verstößen zählen horizontale Beschränkungen, wie z.B. Preisabsprachen, und die Aufteilung von Märkten oder Kunden. Während die Kommission nur gegen die den Verstoß begehenden Unternehmen Bußgelder verhängen kann, können im deutschen Kartellrecht auch die Organe eines Unternehmens und sonstige Mitarbeiter wegen Zuwiderhandlungen gegen das Kartellverbot bebußt werden. Anders als etwa in den USA stellen Verstöße gegen das deutsche und europäische Kartellverbot grundsätzlich keine Straftaten dar. Eine Ausnahme gilt im deutschen Recht für Submissionsabsprachen (§ 298 StGB). Wegen der Einzelheiten sei auf das 14. Kap. (Bußgelder bei Kartellverstößen) dieses Buches verwiesen.

II. Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen

1. Verkaufskooperationen

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Kooperationen beim Verkauf bzw. Vertrieb oder der Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen gehören zu den kartellrechtlich riskantesten Kooperationsformen zwischen Wettbewerbern. Derartige Verkaufsvereinbarungen kommen in unterschiedlichen Formen in Betracht. Denkbar sind nicht nur ein arbeitsteiliges Vorgehen im Rahmen eines gemeinsamen Teams, eines Gemeinschaftsunternehmens (Joint Venture) oder durch Verteilung der Aufgaben zwischen den kooperierenden Unternehmen, sondern auch die Übernahme des Vertriebs oder der Vermarktung durch eines der beteiligten Unternehmen oder die gemeinsame Bestimmung eines Vertriebspartners.[80]

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Verkaufsvereinbarungen betreffen unmittelbar den Absatz an Kunden und somit einen zentralen Wettbewerbsaspekt. Sie können zu besonders schwerwiegenden Wettbewerbsbeschränkungen (sog. Kernbeschränkungen), wie z.B. einer Abstimmung der Verkaufspreise, einer Koordinierung von Produktions- oder Absatzmengen oder einer Markt-/Kundenaufteilung führen, und werfen daher grundlegende kartellrechtliche Bedenken auf.[81]

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Die mit Verkaufsvereinbarungen verbundenen kartellrechtlichen Risiken lassen sich auch nicht dadurch ausschließen, dass eine ausdrückliche Abstimmung über Preise, Mengen, Märkte, Kunden oder andere wettbewerbsrelevante Gesichtspunkte vermieden wird. Verkaufskooperationen begünstigen in besonderer Weise den Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen zwischen den kooperierenden Unternehmen, was im Ergebnis ebenso zu Wettbewerbsbeschränkungen führen kann wie eine ausdrückliche Abstimmung.[82] Vor allem bei vertriebs- oder marketingintensiven Produkten kann zudem schon der bloße Umstand, dass beim Vertrieb bzw. der Vermarktung kooperiert wird, zu einer Angleichung der Kosten der kooperierenden Unternehmen führen. Im Ergebnis kann das auf eine Koordinierung der Verkaufspreise hinauslaufen, weil sich mit den Kosten häufig auch die Verkaufspreise angleichen werden.[83] Wettbewerbsbeschränkungen können sich bei Verkaufskooperationen außerdem aus einer Andienungspflicht ergeben, bei der sich die beteiligten Unternehmen verpflichten, ausschließlich die gemeinsame Vertriebsorganisation zu nutzen und auf einen eigenen unabhängigen Vertrieb ganz zu verzichten.[84]

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Aufgrund der besonderen Nähe zum Kunden werden sich Verkaufskooperationen nur in Ausnahmefällen wettbewerbsneutral gestalten lassen.[85] Denkbar ist dies insbesondere in Fällen, in denen einer der Kooperationspartner auf die Verkaufskooperation objektiv angewiesen ist, um in den Markt eintreten oder sich auf diesem behaupten zu können.[86] Wie bei Arbeitsgemeinschaften ist die Kooperation als solche schon nicht wettbewerbsbeschränkend, wenn und soweit sie die Aufnahme von Wettbewerb auf dem relevanten Markt erst ermöglicht, z.B. weil ein Markteintritt unter wirtschaftlichen oder technologischen Gesichtspunkten allein nicht möglich wäre.[87]

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Als im Grundsatz nicht wettbewerbsbeschränkend wird auch die bloße gemeinsame Werbung angesehen,[88] sofern die beteiligen Unternehmen weiterhin frei sind, individuelle Werbung zu schalten, und die gemeinsame Werbung auch nicht z.B. durch gemeinsame Preisempfehlungen oder über eine Angleichung der Kosten (bei marketingintensiven Produkten) zu anderweitigen Wettbewerbsbeschränkungen führt.[89] Grundsätzlich unbedenklich ist insbesondere die kollektive Werbung zur Bedarfsweckung für bestimmte Branchen, Regionen oder gemeinsame Marken.[90]

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Sind mit der Verkaufskooperation Wettbewerbsbeschränkungen verbunden, wird auch eine Freistellung vom Kartellverbot nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen. Die Europäische Kommission sieht es im Rahmen ihrer Verwaltungspraxis immerhin als wahrscheinlich an, dass Verkaufskooperationen die Voraussetzungen einer Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV (§ 2 Abs. 1 GWB) erfüllen, wenn der gemeinsame Marktanteil der Kooperationspartner nicht über 15 % liegt.[91] Das ändert aber nichts daran, dass der Nachweis der Freistellungsvoraussetzungen von den beteiligten Unternehmen zu erbringen und schwierig zu führen ist.

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Einen verlässlichen Rechtsrahmen für eine Freistellung von Verkaufskooperationen bieten somit i.d.R. nur die Gruppenfreistellungsverordnungen der Europäischen Kommission, die über § 2 Abs. 2 GWB auch in das deutsche Recht einfließen. Diese ermöglichen den gemeinsamen Vertrieb bzw. die gemeinsame Vermarktung unter engen Voraussetzungen, insbesondere verhältnismäßig geringen gemeinsamen Marktanteilen, z.B. im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungskooperationen,[92] bei der Spezialisierung von Unternehmen und der gemeinsamen Produktion[93] sowie im Bereich der Seeschifffahrt (sog. Linienkonferenzen)[94]. Im deutschen Kartellrecht kommt eine Freistellung zudem unter dem Gesichtspunkt des „Mittelstandskartells“ nach § 3 GWB in Betracht, wenn der Wettbewerb auf dem relevanten Markt durch die Verkaufskooperation nicht wesentlich beeinträchtigt wird und sie gerade dazu dient, die Wettbewerbsfähigkeit kleiner oder mittlerer Unternehmen zu verbessern.[95]

2. Einkaufskooperationen

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Kooperationen von Wettbewerbern beim Einkauf von Waren oder Dienstleistungen sind wettbewerblich ambivalent. Vor allem auf Märkten mit einem hohen Konzentrationsgrad auf der Anbieterseite und einer von kleinen und mittleren Unternehmen geprägten Nachfrage können Kooperationen von Nachfragern beim Einkauf den Wettbewerb beleben. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs bilden Einkaufskooperationen in derartigen Fällen ein bedeutsames Gegengewicht zur Verhandlungsmacht großer Anbieter und können sich somit in Form niedrigerer Preise zum Vorteil der Verbraucher auswirken.[96] Auch Kartellbehörden und nationale Gerichte stehen Einkaufskooperationen, vor allem von kleinen und mittleren Unternehmen, aufgrund der hiermit häufig einhergehenden Effizienzvorteile grundsätzlich positiv gegenüber.[97]

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Insbesondere im umgekehrten Fall, in dem große Nachfrager einer mittelständisch geprägten Anbieterseite gegenüberstehen, können Einkaufskooperationen aber auch schädlich für den Wettbewerb sein. Einkaufskooperationen können sich in solchen Fällen beispielsweise negativ auf die Angebotsvielfalt auswirken, indem sie übermäßigen Kostendruck erzeugen, der Investitions- und Innovationsanreize auf der Anbieterseite verringert oder sogar zum Ausscheiden von Anbietern aus dem Markt führt, wenn sie mit dem Kostendruck nicht mithalten können.[98] Zudem sinkt mit steigender Konzentration auf der Nachfrageseite die Wahrscheinlichkeit, dass die durch Einkaufskooperationen erzielten Einsparungen bei den Einkaufspreisen an die Verbraucher weitergegeben werden.[99] Das Bundeskartellamt beobachtet nach eigenen Angaben eine zunehmende Konzentration bei Einkaufskooperationen und greift Einkaufskooperationen in letzter Zeit auch verstärkt auf.[100]

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Aufgrund ihrer wettbewerblichen Ambivalenz bedürfen Einkaufskooperationen im Hinblick auf die mit ihnen verbundenen Wettbewerbsbeschränkungen auf der einen und die durch sie erzielbaren objektiven Effizienzvorteile auf der anderen Seite einer genauen Prüfung im Einzelfall. Trotz der in Summe häufig positiven Wirkungen von Einkaufskooperationen gibt es insbesondere kein kartellrechtliches Privileg für Einkaufskooperationen.[101] Hinzu kommt, dass Einkaufskooperationen, je nach Art der Kooperation, neben horizontalen auch vertikale Wettbewerbsbeschränkungen beinhalten können, z.B. wenn der gemeinsame Einkauf über eine selbstständige Gesellschaft, eine Unternehmensvereinigung oder ein von den Kooperationspartnern nicht kontrolliertes Gemeinschaftsunternehmen erfolgt.[102] In derartigen Fällen ist eine zweistufige Prüfung vorzunehmen, bei der in einem ersten Schritt das Horizontalverhältnis zwischen den an der Einkaufskooperation teilnehmenden Nachfragern und in einem zweiten Schritt das Vertikalverhältnis zwischen den teilnehmenden Nachfragern und der Einkaufsorganisation zu untersuchen ist.[103]

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Wettbewerbsbeschränkungen durch Einkaufskooperationen kommen grundsätzlich auf zwei Märkten bzw. Marktstufen in Betracht, zum einen auf dem Einkaufsmarkt, auf dem die Kooperationspartner als Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen deren Anbietern gegenüberstehen, und zum anderen auf dem nachgelagerten Verkaufsmarkt, auf dem die Kooperationspartner die Waren oder Dienstleistungen – ggf. in verarbeiteter Form – an Verbraucher bzw. die nächste Marktstufe weiterveräußern.[104]

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Eine Wettbewerbsbeschränkung auf dem Einkaufsmarkt geht von Einkaufskooperationen i.d.R. schon deshalb aus, weil sie durch die Bündelung der Nachfrage die Anzahl der Absatzmöglichkeiten für die Anbieter auf diesem Markt verringert.[105] Das gilt besonders, wenn die Kooperationspartner auf einen selbstständigen Einkauf neben der Einkaufskooperation verzichten.[106] Eine Wettbewerbsbeschränkung auf dem Einkaufsmarkt ist nur dann nicht zu erwarten, wenn die teilnehmenden Unternehmen erst durch die Einkaufskooperation Zugang zum Einkaufsmarkt erhalten, z.B. weil sie individuell die von den Anbietern geforderten Mindestabnahmemengen nicht erfüllen würden.[107] Der bloße Umstand, dass die Einkaufskooperation den teilnehmenden Unternehmen günstigere Einkaufspreise als bei individuellem Bezug ermöglicht, ist dagegen nicht geeignet, eine Wettbewerbsbeschränkung auszuschließen, kann aber aufgrund der hiermit verbundenen Effizienzvorteile zu einer Freistellung vom Kartellverbot führen.[108] Wettbewerbsbeschränkungen auf dem Einkaufsmarkt können sich auch aus der Schaffung oder Bündelung von Nachfragemacht ergeben, wodurch die Angebotsvielfalt beeinträchtigt werden kann. Zudem können konkurrierende Nachfrager von notwendigen Bezugsquellen abgeschnitten werden, wenn die wesentlichen (effizienten) Anbieter auf dem Einkaufsmarkt durch Einkaufskooperationen gebunden sind und einen darüber hinausgehenden Bedarf nicht im erforderlichen Umfang decken können.[109]

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Wettbewerbsbeschränkungen auf einem nachgelagerten Verkaufsmarkt können zum einen unmittelbare Folge von Wettbewerbsbeschränkungen auf dem Einkaufsmarkt sein. Beispielsweise kann ein Nachfrager auf dem Einkaufsmarkt, der durch die Einkaufsgemeinschaft von notwendigen Bezugsquellen abgeschnitten wird, auch auf dem nachgelagerten Verkaufsmarkt nicht wirksam mit den Teilnehmern der Einkaufsgemeinschaft konkurrieren. Durch die Einkaufsgemeinschaft verursachte Einschränkungen der Angebotsvielfalt wirken sich auf dem Einkaufsmarkt ebenso aus wie auf dem nachgelagerten Verkaufsmarkt. Darüber hinaus können sich aus Einkaufskooperationen selbstständige Wettbewerbsbeschränkungen auf nachgelagerten Märkten ergeben. Das gilt insbesondere für eine Koordinierung der Verkaufspreise. Diese kann sich nicht nur aus ausdrücklichen Vereinbarungen (z.B. über Mindestverkaufspreise)[110] oder einem Informationsaustausch[111] im Rahmen der Einkaufskooperation ergeben, sondern auch aus der Einkaufskooperation an sich, da der gemeinsame Einkauf gerade in Branchen, in denen die Einkaufspreise einen wesentlichen Teil der variablen Kosten ausmachen, neben der Angleichung der Einkaufspreise auch eine Angleichung der Verkaufspreise bewirken kann.[112]

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Aufgrund der mit Einkaufskooperationen verbundenen Effizienzvorteile kommt eine Freistellung vom Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 Abs. 1 GWB häufig in Betracht. Bei Einkaufskooperationen von kleinen und mittleren Unternehmen kann im deutschen Recht zudem § 3 GWB greifen. Im Rahmen ihrer Verwaltungspraxis zu Art. 101 Abs. 3 AEUV sieht die Europäische Kommission die Erfüllung der Freistellungsvoraussetzungen als wahrscheinlich an, wenn die Teilnehmer der Einkaufskooperation sowohl auf dem Einkaufsmarkt als auch auf den nachgelagerten Verkaufsmärkten einen geringen gemeinsamen Marktanteil von nicht mehr als 15 % haben.[113] Grund ist, dass wesentliche wettbewerbliche Bedenken bei Einkaufskooperationen mit der Schaffung von Marktmacht (auf den Einkaufs- und/oder Verkaufsmärkten) zusammenhängen, die bei derart geringen Marktanteilen aber unwahrscheinlich ist.

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Obwohl die Verwaltungspraxis der Europäischen Kommission für die nationalen Kartellbehörden und Gerichte nicht bindend ist, haben sich das Bundeskartellamt und teilweise auch die Rechtsprechung der Auffassung der Kommission angeschlossen.[114] Eine Freistellung kommt aber auch bei höheren gemeinsamen Marktanteilen im Einzelfall in Betracht, insbesondere wenn es darum geht, ein Gegengewicht zu starken Anbietern bzw. einer hohen Konzentration auf der Anbieterseite zu schaffen.[115] Freistellungsfähig sind in jedem Fall aber nur solche Wettbewerbsbeschränkungen, die zur Erzielung der mit der Einkaufsgemeinschaft angestrebten Effizienzvorteile unerlässlich sind (Art. 101 Abs. 3 AEUV/§ 2 Abs. 1 GWB). Aus diesem Grund scheidet die Freistellung einer Bezugspflicht über die Einkaufsgemeinschaft bei gleichzeitigem Ausschluss eines parallelen, eigenen Einkaufs der Teilnehmer regelmäßig aus[116] und kommt allenfalls in Betracht, wenn sie zur Erreichung des für die Erzielung von Größenvorteilen erforderlichen Einkaufsvolumens notwendig ist.[117]

3. Produktionskooperationen

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Es gibt vielfältige Arten der Kooperation bei der Herstellung von Waren oder der Vorbereitung und Durchführung von Dienstleistungen.[118] In Betracht kommen neben der gemeinsamen Produktion (ggf. durch ein Gemeinschaftsunternehmen) insbesondere auch Zuliefervereinbarungen, bei denen ein anderes Unternehmen die Produktion im Auftrag des „Herstellers“ übernimmt, sowie Spezialisierungsvereinbarungen, bei denen Unternehmen (ggf. wechselseitig) die Produktion bestimmter Produkte einstellen und diese künftig beim jeweiligen Kooperationspartner beziehen.[119] Derartige Produktionskooperationen eröffnen weitreichende Möglichkeiten für Wettbewerbsbeschränkungen, können auf der anderen Seite aber auch zu erheblichen Effizienzgewinnen zum Vorteil der Verbraucher führen, die mit der Produktionskooperation verbundene Wettbewerbsbeschränkungen wieder aufwiegen und somit zu einer Freistellung vom Kartellverbot führen können.

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Typische Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit Produktionskooperationen können sich bspw. aus einer Verringerung der Produkt- bzw. Angebotsvielfalt, der Produktqualität, der Produktionsmenge oder des Innovationswettbewerbs sowie aus einer Abstimmung der Verkaufspreise oder – insbesondere im Falle der wechselseitigen Spezialisierung – aus einer Markt- oder Kundenaufteilung ergeben.[120] Schon der bloße Umstand, dass bei der Produktion kooperiert wird, kann zudem in wesentlichem Umfang zu einer Angleichung der Kosten der kooperierenden Unternehmen und somit zu vergleichbaren Ergebnissen führen wie eine Abstimmung über die Verkaufspreise, weil sich mit den Kosten häufig auch die Verkaufspreise der Unternehmen angleichen werden.[121]

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An einer Wettbewerbsbeschränkung wird es dagegen regelmäßig fehlen, wenn es sich bei den im Rahmen der Produktion kooperierenden Unternehmen nicht um (potentielle) Wettbewerber in Bezug auf die von der Kooperation betroffenen Produkte handelt. Das kommt vor allem in Betracht bei Zuliefervereinbarungen, bei denen ein Unternehmen als (bloßer) Auftragsfertiger für ein anderes Unternehmen auf dessen Weisung produziert. Die Europäische Kommission hat die Grundsätze ihrer – für die Gerichte und andere Kartellbehörden nicht bindenden – Verwaltungspraxis zu Zuliefervereinbarungen in einer Bekanntmachung zusammengefasst.[122] Danach sollen Zuliefervereinbarungen und im Zusammenhang damit getroffene Geheimhaltungsverpflichtungen sowie Verwendungsbeschränkungen des Auftragsfertigers in Bezug auf das im Rahmen des Auftrags offenbarte Know-how des Auftraggebers keine Wettbewerbsbeschränkung darstellen, sofern der Auftragsfertiger nicht unabhängig vom Auftrag über das erforderliche Know-How verfügt, um mit dem Auftraggeber in Wettbewerb zu treten.[123]

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Lassen sich Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit einer Produktionskooperation nicht ausschließen, kommt aufgrund der mit Produktionskooperationen regelmäßig verbundenen objektiven Effizienzvorteile häufig eine Freistellung vom Kartellverbot in Betracht. Produktionskooperationen ermöglichen es oft, günstiger zu produzieren, weil mit steigender Stückzahl die Grenzkosten des Outputs sinken.[124] Zudem kann die gemeinsame Produktion durch die Bündelung des Know-how der beteiligten Unternehmen die Produktqualität verbessern.[125]

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Da die Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 Abs. 1 GWB in der Praxis mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden ist, weil die kooperierenden Unternehmen die unbestimmten Freistellungsvoraussetzungen selbst beurteilen und im Zweifelsfall nachweisen müssen, hat die Europäische Kommission bestimmte Formen von Produktionskooperationen in der Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen („Spezialisierungs-GVO“)[126] geregelt. Diese bildet einen verbindlichen Rechtsrahmen auch im deutschen Recht (vgl. § 2 Abs. 2 GWB), der im Rahmen seiner Voraussetzungen eine rechtssichere Gestaltung von Produktionskooperationen ermöglicht.

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Die Spezialisierungs-GVO erfasst neben bestimmten Formen der Spezialisierung, bei denen einer der Kooperationspartner (oder beide gegenseitig in Bezug auf unterschiedliche Produkte) die Produktion bestimmter Produkte einstellt und diese künftig beim anderen Kooperationspartner bezieht, auch die gemeinsame Produktion (Art. 1 Abs. 1 lit. a bis d Spezialisierungs-GVO). Vereinbarungen über die einseitige oder gegenseitige Spezialisierung oder die gemeinsame Produktion sind vom Kartellverbot freigestellt, wenn der gemeinsame Marktanteil der beteiligten Unternehmen auf den von der Kooperation betroffenen Märkten 20 % nicht übersteigt (Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Spezialisierungs-GVO). Die Vereinbarungen dürfen jedoch insbesondere nicht zu Markt- bzw. Kundenzuweisungen oder Absatzbeschränkungen führen, z.B. indem eine der Parteien nicht nur (im Rahmen der Spezialisierung) von der Produktion der betroffenen Produkte absieht, sondern sich ganz als Anbieter dieser Produkte vom Markt zurückzieht (Art. 4 lit. b und c Spezialisierungs-GVO). Aus diesem Grund müssen die Parteien Liefer- und Bezugsverpflichtungen vereinbaren, um sicherzustellen, dass beide Parteien als Anbieter auf dem Markt erhalten bleiben (Art. 1 Abs. 1 lit. b und c, EGr. 9 Spezialisierungs-GVO). Die Parteien können die von der Kooperation erfassten Produkte aber auch gemeinsam vertreiben (vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. q, Art. 4 lit. a, EGr. 9 Spezialisierungs-GVO).