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Zwanzig Jahre nachher

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»Mein Herr,« sprach Raoul, sich verbeugend, »ich bin, das versichere ich Euch, ganz und gar Euer Diener.«

»Ich heiße Graf von Guiche,« fuhr der Reiter fort. »Mein Vater ist Marschall von Grammont. Und nun, da Ihr wißt, wer ich hin, so werdet Ihr mir wohl die Ehre erzeigen, mir zu sagen, wer Ihr seid.«

»Ich bin der Vicomte von Bragelonne,« sprach Raoul, erröthend, daß er seinen Vater nicht nennen konnte, wie es der Graf von Guiche gethan hatte.«

»Vicomte« Euer Antlitz, Eure Güte und Euer Muth ziehen mich zu Euch hin, Ihr habt bereits meine ganze Dankbarkeit. Umarmen wir uns, ich bitte Euch um Eure Freundschaft.«

»Mein Herr,« erwiderte Raoul, dem Grafen seine Umarmung zurückgebend, »auch ich liebe Euch bereits mit meinem ganzen Herzen. Gebraucht mich, ich bitte Euch, wie einen er ebenen Freund.«

»Und nun, wohin geht Ihr? fragte von Guiche.

»Zu dem Heere des Herrn Prinzen, Graf.«

»Ich ebenfalls,« rief der junge Mann, im höchsten Maße erfreut. »Schön, schön, wir thun den ersten Pistolenschuß mit einander.«

»So ist es gut; liebt Euch!« sprach der Hofmeister. »Beide noch jung, habt Ihr ohne Zweifel ein Gestirn und mußtet Euch treffen.«

Die zwei jungen Leute lächelten mit dem Vertrauen der Jugend.

»Nun aber,« sprach der Hofmeister, »müßt Ihr die Kleider wechseln. Eure Lackeien, denen ich in dem, Augenblick, wo sie die Fähre verließen, Befehl gegeben habe, müssen bereits im Gasthofe angelangt sein. Frische Wäsche und Wein erwärmen. Kommt!«

Die jungen Leute hatten gegen diesen Vorschlag keine Einwendung zu machen; sie fanden denselben im Gegentheil vortrefflich, stiegen wieder zu Pferde und schauten sich beide einander bewundernd an: es waren in der That zwei schmucke Reiter von schlankem, hohem Wuchse, zwei edle Gesichter mit freier Stirne, sanftem, stolzem Blicke, redlichem, feinem Lächeln. Von Guiche mochte ungefähr achtzehn Jahre alt sein, aber er war kaum größer als Raoul, welcher erst fünfzehn zählte.

Sie reichten sich mit einer unwillkürlichen Bewegung die Hand, spornten ihre Pferde und ritten neben einander von dem Flusse nach dem Gasthofe. Der Eine fand dieses Leben, welches er beinahe hätte verlassen müssen, schön und lachend; der Andere dankte Gott, daß er bereits hinreichend gelebt hatte, um im Stande gewesen zu sein, Etwas zu thun, wodurch er feinen Beschützer erfreuen würde.

Olivain war der Einzige, den diese schöne Handlung seines Herrn nicht völlig befriedigte. Er drehte die Aermel und Schösse seines Kleides und dachte dabei, daß ein Halt in Compiègne ihn nicht allein vor dem Unfalle, welchem er nun entgangen war, sondern auch vor Brustflüssen und Rheumatismen geschützt hätte, welche eine natürliche Folge seines Bades sein müßten.

XII
Das Scharmützel

Der Aufenthalt in Royon war kurz. Jeder schlief, daselbst einen guten Schlaf. Raoul hatte Befehl gegeben, ihn zu wecken, wenn Grimaud ankäme; aber Grimaud kam nicht.

Die Pferde wußten wohl ebenfalls die acht Stunden vollkommener Ruhe und die ausgezeichnete Streu zu schätzen, die ihnen vergönnt waren. Der Graf Guiche wurde um fünf Uhr von Raoul geweckt, der ihm einen guten Morgen wünschte. Man frühstückte eilig und hatte um sechs Uhr bereits zwei Meilen zurückgelegt.

Die Unterhaltung des jungen Grafen war äußerst anziehend für Raoul. Raoul hörte viel und der junge, Graf erzählte fortwährend. Er war in Paris erzogen, welches Raoul nur ein einziges Mal gesehen hatte, an einem Hofe, den Raoul nie erblickt, und so bildeten seine Pagenstreiche und zwei Duelle, die er bereits trotz der Edicte und trotz seines Hofmeisters gefunden hatte, Dinge von dem höchsten Interesse für Raoul. Raoul war nur bei Herrn Starron gewesen; er nannte Gleiche die Personen, die er dort gesehen hatte. Guiche kannte Jedermann: Frau von Neuillan, Fräulein Paulet, Fräulein von d’Aubigné, Fräulein von Scudery, Fräulein Paulet, Frau von Chevreuse. Er spottete über alle Welt mit Geist und Raoul dachte mit Zittern, er könnte auch über Frau von Chevreuse spotten, für die er eine wahre und tiefe Sympathie hegte; aber mag es Instinkt, mag es Vorliebe für die Herzogin von Chevreuse gewesen sein, er sagte alles mögliche Gute von ihr. Die Freundschaft von Raoul verdoppelte sich durch diese Lobeserhebungen.

Dann kam der Artikel der Galanterien und Liebschaften. In dieser Beziehung hatte Bragelonne auch mehr zu hören, als zu sagen. Er hörte also und es kam ihm vor, als erblickte er durch zwei bis drei ziemlich durchsichtige Abenteuer, daß der Graf, wie er, im Grunde seines Herzens ein Geheimniß verbarg.«

Von Guiche war, wie gesagt, am Hofe erzogen, worden und die Intriguen des ganzen Hofes waren ihm bekannt. Es war der Hof, von dem Raoul den Grafen de la Fère hatte sprechen hören; nur hatte derselbe seit der Zeit, wo ihn Athos selbst gesehen, bedeutend die Gestalt verändert. Die ganze Erzählung des Grafen von Guiche war daher neu für seinen Reisegefährten. Spöttisch und witzig ließ der junge Graf alle Welt die Revue passiren. Er erzählte von den ehemaligen Liebschaften von Frau von Longueville mit Coligny und dem Duelle des Letzteren auf der Place Royale, welches für ihn ein so unseliges Ende nahm; von den neuen Liebschaften Frau von Longueville mit dem Prinzen von Marsillac, welcher so eifersüchtig war, wie man sagte, daß er alle Welt zu tödten trachtete, sogar seinen Gewissensrath, den Abbé d’Herblay; von der Liebschaft des Prinzen von Wales mit Mademoiselle, die man später dir große Mademoiselle nannte und die seitdem durch ihre geheime Verheirathung mit Lauzun so berühmt geworden ist; die Königin selbst wurde nicht verschont und Mazarin bekam auch seinen Theil von dem Spotte.

Der Tag ging rasch wie eine Stunde vorüber, der Hofmeister des Grafen, ein Lebemann, ein Weltmann, ein Gelehrter bis unter die Zähne, wie sein Zögling sagte, erinnerte Raoul wiederholt an die tiefe Bildung und den geistreichen, beißenden Witz von Athos. Aber was die Anmuth, die Zartheit und den Adel der äußeren Erscheinung betrifft, so konnte in dieser Beziehung Niemand mit dem Grafen de la Fère verglichen werden.

Mehr geschont, als am Tage zuvor, hielten die Pferde gegen vier Uhr Abends in Arras an. Man näherte sich dem Kriegsschauplatze und beschloß, bis am andern Tag in dieser Stadt zu bleiben, da Abtheilungen von Spaniern zuweilen die Nacht benützten, um Streifzüge bis an die Gegend von Arras zu machen.

Das französische Heer hielt sich von Pont-à-Marr bis Valenciennes. Man sagte, der Prinz selbst sei in Bethune.

Das feindliche Heer erstreckte sich von Cassel bis Courtray, und da es keine Art von Plünderungen und Gewaltthaten gab, welche es nicht verübte, so verließen die armen Bewohner der Flecken ihre vereinzelten Wohnungen und suchten Zuflucht in den befestigten Städten, welche ihnen Schutz verhießen.

Man sprach von einer nahe bevorstehenden Schlacht, welche entscheidend werden sollte, während der Herr Prinz nur in Erwartung von Verstärkungen, die ihm zukommen sollten, manövrirt hatte. Die jungen Leute freuten sich, gerade zu rechter Zeit anzukommen.

Sie speisten mit einander zu Nacht und schliefen in demselben Zimmer. Sie waren in dem Alter rascher Freundschaften. Es kam ihnen vor, als kennten sie sich seit ihrer Geburt und als wäre es ihnen unmöglich, sich je wieder zu verlassen.

Der Abend wurde zu Gesprächen über den Krieg benützt; die Lackeien putzten die Waffen, die jungen Leute luden ihre Pistolen für den Fall eines Scharmützels, und sie erwachten in Verzweiflung, denn Beide hatten geträumt, sie kämen zu spät, um an der Schlacht Theil zu nehmen.

Am Morgen verbreitete sich das Gerücht, der Prinz von Condé habe Bethune geräumt, um sich nach Carvin zurückzuziehen, jedoch nicht ohne eine Garnison in ersterer Stadt zu lassen. Da aber diese Nachricht nichts Bestimmtes ausdrückte, so beschlossen die jungen Leute, ihren Weg nach Bethune fortzusetzen, da es ihnen freistünde, wenn sie unterwegs bestimmte Kunde erhielten, schräg abzureiten und nach Carvin zu marschieren.

Der Hofmeister des Grafen von Guiche kannte das Land vollkommen. Er schlug daher vor, einen Weg zu wählen, welcher die Mitte zwischen der Straße nach Lens und der nach Bethune hielt, wobei man in Albain Erkundigungen einziehen sollte. Für Grimaud wurde eine Marschroute zurückgelassen.

Man brach um sieben Uhr Morgens auf.

Von Guiche, welcher jung und begeistert war, sprach zu Raoul:

»Wir sind drei Herren und drei Knechte; unsere Knechte sind gut bewaffnet und der Eurige scheint mir ein Starrkopf zu sein.«

»Ich habe ihn nie bei der Arbeit gesehen,« antwortete Raoul, »aber er ist ein Bretagner und das verspricht etwas.«

»Ja, ja,« versetzte von Guiche, »ich bin überzeugt, er würde bei Gelegenheit einen Musketenschuß thun. Ich, was mich betrifft, habe zwei sichere Männer, welche mit meinem Vater den Krieg machten. Wir bilden auf diese Art sechs schlagfertige Männer. Wenn wir eine kleine Truppe von Parteigängern, der unserigen an Anzahl gleich oder sogar überlegen fänden, würden wir nicht angreifen, Raoul?«

»Holla! Ihr jungen Leute, holla!« sprach der Hofmeister, sich in das Gespräch mischend. »Wie rasch geht Ihr doch? – Gottes Blut! Und meine Instructionen, Herr Graf? Vergeßt Ihr, daß ich Befehl habe, Euch gesund und wohlbehalten zu dem Herrn Prinzen zu führen? Seid Ihr einmal bei dem Heere, so mögt Ihr Euch tödten lassen, wenn es Euch Vergnügen macht. Aber bis dahin erkläre ich Euch, daß ich in meiner Eigenschaft als Heerführer den Rückzug befehle und bei der ersten Feder, die ich erblicke, den Rücken wende.«

Bon Guiche und Raoul blickten sich lächelnd aus dem Augenwinkel an. Das Land wurde ziemlich bedeckt und man traf von Zeit zu Zeit kleine Truppen von Bauern, welche, ihr Vieh vor sich hertreibend und ihre kostbarsten Gegenstände in Karren führend oder auf den Armen tragend, sich zurückzogen.

 

Man kam ohne Unfall nach Albain. Hier erkundigte man sich und erfuhr, der Herr Prinz habe sich wirklich von Bethune entfernt und halte sich zwischen Cambrin und Venthie. Man schlug nun, beständig eine Anweisung für Grimaud zurücklassend, einen Querweg ein, welcher in einer halben Stunde die kleine Truppe an das Ufer eines schmalen Baches führte, der sich in die Lys ergießt.

Das Land war reizend von smaragdgrünen Thälern durchschnitten. Von Zeit zu Zeit fand man kleine, Gehölze, durch welche sich der Pfad zog, dem die Reiter folgten. Bei jedem von diesen Gehölzen ließ der Hofmeister aus Furcht vor einem Hinterhalte zwei Lackeien des Grafen an die Spitze reiten, welche so die Vorhut bildeten. Der Hofmeister selbst und die jungen Leute stellten das Armeecops vor, und Olivain, den Carabiner auf dem Knie, das Auge auf der Lauer, betrachte den Rücken

Seit einiger Zeit erblickte man ein ziemlich dichtes Gehölze am Horizont. Bis aus hundert Schritte zu demselben gelangt, traf Herr d’Arminges seine gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln und schickte die zwei Lackeien des Grafen voraus.

Die Lackeien verschwanden unter den Bäumen, die jungen Leute und der Hofmeister folgten lachend und plaudernd ungefähr auf hundert Schritte. Olivain hielt sich in gleicher Entfernung hinter diesen, als plötzlich fünf bis sechs Musketenschüsse erschollen. Der Hofmeister schrie Halt, die jungen Leute gehorchten und parierten ihre Pferde. In demselben Augenblicke sah man die zwei Lackeien im Galopp zurückkehren.

Ungeduldig, die Ursache dieses Musketenfeuers zu erfahren, ritten die zwei jungen Leute den Lackeien entgegen. Der Hofmeister folgte ihnen.

»Seid Ihr angehalten worden?« fragten lebhaft die jungen Leute.

»Nein,« antworteten die Lackeien; »wir sind sogar wahrscheinlich nicht gesehen worden. Die Flintenschüsse erschollen ungefähr hundert Schritte vor uns in dem dicksten Theile des Gehölzes, und wir sind zurückgekommen, um Befehl einzuholen.«

»Meine Meinung,« sprach Herr d’Arminges, »und im Falle der Noth mein Wille ist, daß wir uns zurückziehen. Dieses Gehölze kann einen Hinterhalt verbergen.

»Habt Ihr denn nichts gesehen?« fragte der Graf einen Lackeien.

»Es kam mir vor, antwortete dieser, »als erblickte ich gelb gekleidete Reiter, welche nach dem Bette des Baches eilten.«

»So ist es,« sprach der Hofmeister, »wir sind in eine Abteilung von Spaniern gefallen. Zurück, meine Herren, zurück!«

Die jungen Leute berathschlagten aus dem Augenwinkel und in derselben Secunde hörte man einen Pistolenschuß, worauf ein zwei- oder dreimaliges Hilferufen erfolgte.

Die zwei jungen Leute versicherten sich durch einen letzten Blick, daß jeder von ihnen geneigt war, nicht zurückzuweichen, und da der Hofmeister bereits sein Pferd umgedreht hatte, so ritten sie rasch vorwärts, Raoul rief: »Herbei, Olivain!« der Graf von Guiche rief: Herbei, Urbain und Blanchet!«

Und ehe sich der Hofmeister von seinem Erstaunen erholt hatte, waren sie im Walde verschwunden.

Zu derselben Zeit, wo sie ihren Pferden die Sporen gaben, nahmen die jungen Leute die Pistole in die Faust.

Fünf Minuten nachher waren sie an der Stelle, von der der Lärm gekommen zu sein schien. Dann ließen sie ihre Pferde langsam gehen und rückten vorsichtig vor.

»Stille,« sagte von Guiche, »Reiter!«

»Ja, drei zu Pferde und drei, welche abgestiegen sind.«

»Was machen sie? Seht Ihr?«

»Ja, es scheint mir, sie durchsuchen einen Verwundeten oder Todten.«

»Das ist eine feige Mordthat,« sprach von Guiche.

»Es sind jedoch Soldaten,« versetzte Bragelonne.

»Wohl, aber Parteigänger, das heißt Straßenräuber.«

»Vorwärts!« sagte Raoul.

»Marsch!« sprach von Guiche.

»Meine Herren!« rief der arme Hofmeister, »meine Herren, in des Himmels Namen! …«

Aber die jungen Leute hörten nicht. Sie waren wetteifernd fortgesprengt, und das Geschrei des Hofmeisters harte keinen andern Erfolg, als daß es die Spanier aufmerksam machte.

Die drei Parteigänger zu Pferde galoppirten sogleich den jungen Leuten entgegen, während die drei andern die zwei Reisenden vollends plünderten, denn, der Gruppe näher kommend, bemerkten die jungen Leute, daß statt eines Körpers zwei ausgestreckt waren.

Auf zehn Schritte von den Spaniern schoß von Gleiche zuerst und fehlte seinen Mann. Der Spanier, welcher Raoul entgegen ritt, schoß ebenfalls, und Raoul fühlte am linken Arme einen Schmerz, einem Peitschenhiebe ähnlich. Auf vier Schritte drückte Raoul ab und der Spanier streckte, mitten in die Brust getroffen, die Arme aus und fiel rücklings auf sein Pferd, welches sich umwandre und ihn forttrug.

In diesem Augenblick sah Raoul durch eine Wolke einen Musketenlauf nach sich richten. Er erinnerte sich des Rathes von Athos und ließ durch eine Bewegung, rasch wie der Blitz, sein Roß sich bäumen; der Schuß ging los.

Das Pferd machte einen Seitensprung und stürzte, das Bein von Raoul unter sich drückend, nieder. Der Spanier warf sich, seine Muskete beim Laufe nehmend, um Raoul mit dem Kolben den Schädel einzuschlagen, vorwärts.

Unglücklicher Weise konnte Raoul in seiner Lage weder den Degen aus der Scheide noch die Pistole aus dem Halfter ziehen. Er sah den Kolben über seinem Haupte schwingen und drückte unwillkürlich seine Augen zu, als Guiche mit einem Sprunge zu dem Spanier gelangte und diesem die Pistole an die Kehle setzte.

»Ergebt Euch,« sagte er, »aber Ihr seid des Todes!«

Die Muskete entfiel den Händen des Soldaten, und dieser ergab sich in demselben Augenblick.

Guiche rief einen von seinen Lackeien, übergab ihm den Gefangenen zur Bewachung, mit dem Befehl, ihm den Hirnschädel zu zerschmettern, wenn er eine Bewegung zur Flucht machen würde, sprang von seinem Pferde und näherte sich Raoul.

»Meiner Treue, Herr!« sagte Raoul lachend, obgleich seine Blässe die unvermeidliche Aufregung einer ersten Affaire verriet, »Ihr bezahlt Eure Schulden schnell und wolltet keine lange Verbindlichkeit gegen mich haben; ohne Euch,« fügte er, die Worte des Grafen wiederholend, bei, wäre ich todt, dreimal todt!«

»Mein Feind ließ mir, die Flucht ergreifend, die Möglichkeit, Euch zu Hilfe zu kommen,« antwortete von Guiche. »Aber seid Ihr ernstlich verwundet? Ich sehe Euch ganz voll Blut.«

»Ich glaube,« erwiderte Raoul, »ich habe etwas wie eine Schramme am Arm. Helft mir, daß ich mich unter dem Pferde vorziehe, und ich hoffe, wir werden unsere Reise sogleich wieder fortsetzen können.«

Herr d’Arminges und Olivain waren bereits abgestiegen und suchten das Pferd aufzuheben, welches sich im Todeskampfe zerarbeitete. Es gelang Raoul, seinen Fuß aus dem Steigbügel und sein Bein unter dem Pferde hervorzuziehen, und in einem Augenblick stand er aufrecht.

»Nichts gebrochen?« fragte Guiche.

»Meiner Treue, dem Himmel sei Dank,« nichts,« antwortete Raoul.

»Aber was ist aus den Unglücklichen geworden,« welche die Elenden tödteten?«

»Wer sind zu spät gekommen, sie haben die Armen, wie ich glaube umgebracht und, ihre Beute mir sich schleppend, die Flucht ergriffen; meine zwei Lackeien sind bei den Leichnamen.«

»Wir wollen sehen, ob sie völlig todt sind oder ob man ihnen nicht vielleicht Hilfe leisten kann,« sprach Raoul. »Olivain, wir haben zwei Pferde geerbt, aber ich habe das meinige verlorene nimm das bessere von beiden für Dich und gib mir das Deinige.«

Und sie näherten sich dem Orte, wo die Opfer lagen.

XIII
Der Mönch

Zwei Menschen waren ausgestreckt… der Eine unbeweglich, das Gesicht nach dem Boden, von drei Kugeln durchbohrt und in seinem Blute schwimmend. Dieser war todt.

Der Andere, von den zwei Lackeien, an einen Baum gelehnt, schlug die Augen zum Himmel auf, faltete die Hände und verrichtete ein heißes Gebet … Eine Kugel hatte ihm den Oberschenkel zerschmettert.

Die jungen Leute gingen zuerst zu dem Todten und schauten sich erstaunt an.

»Es ist ein Priester,« sprach Beagelonne, »er hat, die Tonsur. Oh, die Verfluchten! welche Hand an die Diener Gottes legen!«

»Komm hierher, gnädiger Herr,« sagte Urbain, ein alter Soldat, der alle Feldzüge mit dem Cardinal-Herzog gemacht hatte, »kommt hierher … es ist nichts mehr mit dem Andern zu machen, während man diesen vielleicht noch retten kann!«

Der Verwundete lächelte traurig.

»Mich retten? Nein,« sprach er, »aber mir sterben helfen, ja!«

»Seid Ihr ein Priester?« fragte Raoul.«

»Nein, Herr.«

»Euer unglücklicher Gefährte schien mir der Kirche anzugehören,« versetzte Raoul.

»Es ist der Pfarrer von Bethune, mein Herr.

Er trug an sichern Ort die heiligen Gefäße seiner Kirche und den Schatz des Kapitels, denn der Herr Prinz hat gestern unsere Stadt verlassen, und vielleicht ist morgen der Spanier darin. Da man aber wußte, daß feindliche Parteien im Lande umherzogen, und die Sendung gefährlich war, so wagte es Niemand, ihn zu begleiten, da bot ich mich an.«

»Und diese Elenden haben Euch angegriffen! Diese Schufte haben auf einen Priester geschossen!«

»Meine Herren,« sagte der Verwundete, um sich herschauend, »ich leide sehr, wünschte aber dennoch in irgend ein Haus gebracht zu werden.«

»Wo Ihr Beistand finden könntet?»sagte von Guiche.

»Nein, wo ich beichten könnte.«

»Aber vielleicht seid Ihr nicht so schwer verwundet, als Ihr glaubt,« sprach Raoul.

»Mein Herr,« antwortete der Verwundete, »glaubt mir, es ist keine Zeit zu verlieren. Die Kugel hat den Schenkelknochen oben zerschmettert und ist bis in die Eingeweide gedrungen.

»Seid Ihr Arzt?« sagte von Guiche.

»Nein,« antwortete der Sterbende, »aber ich verstehe mich ein wenig auf Wunden und die meinige ist tödtlich. Versucht es also, mich irgendwohin bringen zu lassen, wo ich einen Priester finden könnte, oder habt die Güte, mir irgend einen hierher zu führen, und Gott wird Euch für diese fromme Handlung belohnen. Meine Seele muß gerettet werden, denn mein Leib ist verloren.«

»Bei einer guten Handlung sterben ist unmöglich, und Gott wird Euch beistehen.«

»Meine Herren, im Namen des Himmels,« sagte der Verwundete, alle seine Kräfte sammelnd, als wollte er aufstehen, »verlieren wir die Zeit nicht mit unnützen Worten. Helft mir wenigstens, daß ich das nächste Dorf erreiche, oder schwört mir bei Eurem Seelenheile, daß Ihr mir den ersten Mönch, den ersten Priester, den ersten Pfarrer hierher schickt, den Ihr findet. Aber,« fügte er mit dem Tone der Verzweiflung bei, »vielleicht wird es Niemand wagen, denn man weiß, daß die Spanier in der Gegend umherstreifen, und ich werde ohne Absolution sterben. Mein Gott, mein Gott!« rief der Verwundete mit einem Ausdrucke des Schreckens, der die jungen Leute beben machte, nicht wahr. Ihr werdet das nicht zugeben? Es wäre zu schrecklich!«

»Mein Herr, beruhigt Euch,« antwortete von Guiche, ich schwöre Euch, daß Ihr den Trost haben sollt, nach dem Ihr verlangt. Sagt uns nur, wo ein Haus ist, in welchem wir Beistand fordern, und wo ein Dorf, wo mir einen Priester bekommen können.«

»Ich danke und Gott vergelte es Euch. Eine halbe Meile von hier, wenn Ihr diesen Weg verfolgt, findet sich eine Herberge, und ungefähr eine halbe Meile jenseits der Herberge liegt das Dorf Greny. Sucht dort den Pfarrer auf. Ist derselbe nicht zu Hause, so geht in das Augustiner-Kloster, welches das letzte Haus des Fleckens rechts ist, und führt mir einen Bruder herbei; gleichviel, Mönch oder Priester, wenn er nur von unserer heiligen Kirche die Fähigkeit erhalten hat, in articulo mortis zu absolviren.«

»Herr d’Arminges,« sprach von Guiche, »bleibt bei diesem Unglücklichen und wacht darüber, daß er so sanft als möglich transportiert wird. Macht eine Tragbahre aus Baumzweigen, legt alle unsere Mäntel darauf. Zwei von unsern Lackeien tragen ihn, während sich der dritte bereit hält, den Platz desjenigen einzunehmen, welcher müde wird. Der Vicomte und ich suchen einen Priester auf.«

»Geht, Herr Graf,« sprach der Hofmeister, »aber im Namen des Himmels setzt Euch keiner Gefahr aus.«

»Seid unbesorgt. Ueberdies sind wir für heute gerettet: Ihr kennt das Axiom: non bis in idem.«

»Guten Muth, Herr,« sprach Raoul zu dem Verwundeten, »wir vollführen Euern Wunsch.«

»Gott segne Euch, meine Herren,« antwortete der Sterbende mit einem unbeschreiblichen Ausdrücke von Dankbarkeit.

Und die jungen Leute sprengten im Galopp in die angegebenen Richtung fort, während der Hofmeister des Grafen von Guiche die Verfertigung der Tragbahre überwachte.

Nach einem Ritte von zehn Minuten erblickten die jungen Leute die Herberge.

Raoul rief, ohne vom Pferde zu steigen, den Wirth, benachrichtigte ihn, daß man ihm einen Verwundeten bringen werde, und bat ihn, mittlerweile Alles vorzubereiten, was zum Verbinden nothwendig sein dürfte, das heißt, ein Bett, Binden, Charpie, forderte ihn dabei auf, wenn er in der Umgegend einen Arzt, einen Wundarzt oder Operateur kenne, denselben holen zu lassen, und übernahm es, den Boten zu belohnen.

 

Der Wirth, welcher zwei reich gekleidete, vornehme junge Herren vor sich sah, versprach Alles, was sie von ihm verlangten, und unsere zwei Reiter, nachdem sie die Vorbereitungen zu der Aufnahme hatten beginnen sehen, entfernten sich abermals und eilten nach Greny.

Sie hatten mehr als eine Meile gemacht und erblickten bereits die ersten Häuser des Dorfes, deren mit röthlichen Ziegeln bedeckte Dächer kräftig aus den grünen Bäumen, von denen sie umgeben waren, hervortraten, als sie, auf einem Maulthiere reitend, einen armen Mönch auf sich zukommen sahen, den sie nach seinem breiten Hute und seinem Rocke von grauer Wolle für einen Augustinerbruder hielten. Diesmal schien ihnen der Zufall zu schicken, was sie suchten.

Sie näherten sich dem Mönche.

Es war ein Mann von zweiundzwanzig bis dreiundzwanzig Jahren, den jedoch die ascetischen Uebungen merklich gealtert hatten. Er war bleich, aber nicht von der matten Blässe, welche eine Schönheit ist, sondern von dem galligen Gelb. Seine kurzen Haare, welche kaum ein wenig über den Kreis gingen, den sein Hut um seine Stirne zog, waren hellblond und seine blauen Augen schienen des Blickes zu entbehren.

»Mein Herr,« sagte Raoul mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit, »seid Ihr ein Priester?«

»Warum fragt Ihr mich dieß?« sprach der Fremde mit beinahe unhöflicher Unempfindlichkeit.

»Um es zu wissen.« antwortete der Graf von Guiche mit stolzem Tone.

Der Fremde berührte sein Maulthier mit dem Absatze und setzte seinen Weg fort.

Von Guiche war mit einem Sprunge vor ihm und versperrte ihm den Weg.

»Antwortet, Herr,« sagte er. »Man hat Euch höflich gefragt, und jede Frage ist einer Antwort werth.«

»Es steht mir, denke ich, frei, den nächsten besten zwei Personen, welche die Laune haben, mich auszuforschen, zu sagen, wer ich bin, oder es nicht zu sagen.«

Von Guiche unterdrückte mit großer Mühe seine wüthende Lust, dem Mönche die Knochen zu zerbrechen.

»Einmal,« sprach er mit einer gewaltigen Anstrengung gegen sich selbst, »sind wir nicht die nächsten besten zwei Personen; mein Freund hier ist der Vicomte von Bragelonne und ich bitte der Graf von Guiche; dann fragen wir nicht aus Laune, sondern ein verwundeter, sterbender Mann verlangt die Hilfe der Kirche. Seid Ihr Priester, so fordere ich Euch im Namen der Menschheit auf, mir zu folgen, um diesem Manne Beistand zu leisten. Seid Ihr es nicht, dann ist es etwas Anderes. Ich sage Euch übrigens im Namen der Höflichkeit, die Ihr ganz und gar nicht zu kennen scheint, daß ich Euch für Eure Unverschämtheit bestrafen werde.«

Die Blässe des Mönches wurde leichenartig, und er lächelte auf eine so seltsame Weise, daß Raoul, der ihn mit den Augen nicht verliert, fühlte, daß ihm dieses Lächeln das Herz wie eine Beleidigung zusammenschnürte.

»Es ist ein spanischer oder flämischer Spion,« und er und legte die Hand an den Kolben seiner Pistole.

Ein drohender, einem Blitze ähnlicher Blick antwortete Raoul.

»Nun, Herr,« sagte Guiche, »wer-bei Ihr sprechen?«

»Ich bin Priester, meine Herren,« antwortete der junge Mann, und sein Gesicht nahm wieder seine gleichgültige Miene an.

»Dann, mein Vater,« sprach Raoul, ließ seine Pistole wieder in die Halfter fallen und gab seinen Worten einen ehrfurchtsvollen Ausdruck, der nicht von gutem Herzen kam, »wenn Ihr Priester seid, so findet Ihr, wie mein Freund Euch gesagt hat, eine Gelegenheit, Euer Amt auszuüben. Ein unglücklicher Verwundeter wird uns entgegengetragen und soll in der, nächsten Herberge anhalten. Er fordert den Beistand von einem Diener Gottes. Unsere Leute begleiten ihn.«

»Ich begebe mich dahin,« sprach der Mönch.

Und er gab seinem Maulthiere einen Absatz.

»Wenn Ihr nicht dahin geht, mein Herr,« sagte von Guiche, »glaubt mir, wir haben Pferde, welche im Stande sind, Euer Maulthier einzuholen, hinreichend Ansehen, um Euch überall, wo Ihr sein möget, ergreifen zu lassen, und dann, ich schwört es Euch, ist Euer Prozeß bald gemacht: ein Baum und ein Strick finden sich aller Orten.«

Das Auge des Mönches funkelte abermals, aber das war Alles; er wiederholte seine Worte: »Ich begebe mich dahin!« und entfernte sich.

»Folgen wir ihm,« sagte von Gleiche, »das wird sicherer sein.«

Und die jungen Leute ritten fort, wobei sie ihre Schritte nach dem des Mönches richteten, dem sie etwa auf Pistolenschußweite folgten.

Nach fünf Minuten wandte sich der Mönch, um sich zu versichern, ob sie ihm folgen oder nicht,

»Seht,« sprach Raoul, »wir haben wohl daran gethan.«

»Ein furchtbares Gesicht, das des Mönches!« sagte der Graf von Guiche.

»Furchtbar,« erwiderte Raoul, besonders was den Ausdruck betrifft. Diese gelblichen Haare, diese matten Augen, diese Lippen, welche bei dem geringsten Worte, das er ausspricht, verschwinden …«

»Ja, ja,« sprach von Guiche, welcher von allen diesen Einzelheiten weniger berührt worden war, insoferne Raoul den Mönch prüfend anschaute, während von Guiche sprach. »Ja, ein seltsames Gesicht; aber diese Mönche sind auch so entartenden Uebungen unterworfen; das ewige Fasten macht sie bleich, die Disciplinschläge machen sie zu Heuchlern, und durch das viele Weinen über die Güter des Lebens, welche sie verloren haben, während wir dieselben genießen, werden ihre Augen matt.«

»Ganz gewiß.« sprach Raoul; »doch dieser arme Mann bekommt seinen Priester. Aber der Reumüthige sieht aus, als besäße er ein besseres Gewissen, als der Priester. Ich gestehe, ich bin gewohnt, Priester von einem ganz andern Anblicke zu sehen.«

»Ah,« sagte von Guiche, »begreift Ihr? dieser ist einer von den fahrenden Brüdern, welche auf den Landstraßen umher betteln, bis zu dem Tage, wo ihnen ein Benefiz vom Himmel zufällt. Es sind meistens Fremde, Schottländer, Irländer, Dänen. Man hat mir zuweilen ähnliche gezeigt.«

»Eben so häßliche?«

»Nein, aber wenigstens gehörig häßliche.«

»Welch’ ein Unglück für den Verwundeten, daß er in den Armen eines solchen Kuttenmenschen sterben soll!«

»Bah! sagte von Guiche, die Absolution kommt nicht von demjenigen, welcher sie gibt, sondern von Gott. Doch soll ich es Euch sagen, ich würde lieber, ohne Absolution sterben, als es mit einem solchen Beichtvater zu thun zu haben. Ihr seid auch meiner Meinung, Vicomte, nicht wahr? Ich sah Euch den Kolben Eurer Pistole liebkosen, als ob Ihr versucht gewesen wäret, ihm dem Schädel zu zerschmettern.«

»Ja, Graf, es mag seltsam erscheinen und Ihr werdet darüber erstaunen, ich fühlte bei dem Anblick dieses Menschen einen unbeschreiblichen Abscheu. Habt ihr zuweilen auf Eurem Wege eine Schlange aufgejagt?«

»Nie,« antwortete der Graf von Guiche.

»Nun, mir ist dies manchmal in unsern Waldungen in der Heimath begegnet, und ich erinnere mich, daß ich bei dem Anblicke der ersten, die mich mit ihren trockenen Augen, den Kopf wiegend und die Zunge heftig bewegend, auf sich selbst gewunden anschaute, bleich, starr, gleichsam bezaubert bis zu dem Augenblicke blieb, wo der Graf de la Fère …«

»Euer Vater?« fragte von Guiche.

»Nein, mein Beschützer,« antwortete Raoul erröthend.

»Seht gut.«

»Wie zu dem Augenblicke,« fuhr Raoul fort, »wo der Graf de la Fère mir sagte: »»Auf Bragelonne, den Degen gezogen.«« Dann erst lief ich auf die Schlange zu und hieb sie entzwei, gerade in dem Momente, wo sie sich zischend auf dem Schweife erhob, um mir entgegen zu fahren. Ich schwört Euch, daß mich dasselbe Gefühl bei dem Anblicke dieses Menschen ergriff, als er, mich anschauend, sagte: »»Warum fragt Ihr mich dies?««

»Dann müßt Ihr es Euch zum Vorwurf machen, Ihr ihn nicht wie Eure Schlange entzwei gehauen habt.«

»Meiner Treue, ja.« antwortete Raoul.«

In diesem Augenblick kam man in die Nähe der kleinen Herberge, und man erblickte jenseits derselben das Geleite des Verwundeten, der unter Anführung von Herrn d’Arminges herbeigebracht wurde. Zwei Männer trugen den Sterbenden, der dritte führte die Pferde an der Hand.