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Salvator

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Und der General, da er sich bei der Betrachtung des Wappens an den Geschirren getäuscht zu haben glaubte, untersuchte das Wappen am Wagen. Es war wirklich das Wappen der Courtenay mit einer Krone oder vielmehr mit einer Baronenschnur darüber.



»Das ist es, das ist es,« murmelte er: »ich Graf, sein Vater, der Seeräuber, Vicomte, der Baron. Es ist ein Glück, daß er sich mit der Kronenschnur begnügt und nicht die geschlossene Krone genommen hat . . . Und am Ende,« fügte er bei, »wenn er sie genommen hätte, er ist dazu berechtigt, da unsere Ahnen regiert haben.«



Wonach er, einen letzten Blick auf die Pferde, auf die Geschirre, auf die Voliere, auf die Blumen und auf den unter seinen Füßen wie Perlen rollenden Sand werfend, die Treppen seines Neffen hinaufging. Doch im ersten Stockwerke angelangt, blieb er stehen, strich mit seiner Hand über seine Augen, als wollte er eine Thräne abwischen, und murmelte:



»Mein armer Pierre, sollte Dein Sohn ein unredlicher Mensch geworden sein?«



Pierre, das war der Bruder des Grafen Herbel, derjenige, welchen er bei seinen Brummereien mit dem Titel Jakobiner, Seeräuber beehrte.



In dem Momente, wo der Graf Herbel diese Worte vollendete und heimlich die Thränen abwischte, von denen sie begleitet waren, hörte er rasch die Treppe herabsteigen, welche vom ersten Stocke in den zweiten führte, während mit ihrem freudigsten Ausdrucke die Stimme seines Neffen rief:



»Guten Morgen, mein Oheim! guten Morgen, mein lieber Oheim! Warum kommen Sie denn nicht herauf?«



»Guten Morgen, mein Herr Neffe,« antwortete trocken der Graf Herbel.



»Ho! ho! wie Sie mir das sagen, mein Oheim,« rief der junge Mann erstaunt.



»Was willst Du? ich sage es Dir, wie ich es fühle,« erwiderte der General, indem er das Geländer anfaßte und die Treppe weiter hinaufstieg.



Dann trat er, ohne ein Wort beizufügen, ein, wählte mit dem Auge das beste Fanteuil, und sank mit einem Uf von schlimmer Vorbedeutung darein.



»Ah! ah!« murmelte Petrus, »ich täuschte mich nicht.«



Und er näherte sich dem General und sagte zu ihm:



»Mein lieber Oheim, erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß Sie diesen Morgen nicht sehr guter Laune zu sein scheinen.«



»Nein, gewiß nicht,« erwiderte der General, »ich bin nicht guter Laune, und das ist mein Recht.«



»Ich bin weit davon entfernt, Ihnen dieses Recht streitig zu machen, mein lieber Oheim, und ich kenne hinreichend Ihren Gleichmuth, um mir zu sagen, wenn Sie schlimmer Laune seien, so sei dies nicht ohne Grund.«



»Und Sie sprechen die Wahrheit, mein Herr Neffe.«



»Sollten Sie schon in der Morgendämmerung einen unangenehmen Besuch erhalten haben?«



»Nein, doch ich habe einen Brief erhalten, der mir Kummer gemacht hat, Petrus.«



»Ich war dessen sicher, ich wette, es ist ein Brief von der Marquise de la Tournelle.«



»Dieser leichtsinnige Ton ist unziemlich, Petrus! erlaube mir, Dich daran zu erinnern, daß Du in diesem Augenblicke den Respekt gegen zwei Greise verletzt.«



Petrus, der sich aus ein Pliant gesetzt hatte, stand wieder auf, als ob ihn eine Feder aus seine Beine geschnellt hätte.



»Entschuldigen Sie, mein Oheim,« sagte er, »Sie erschrecken mich! ich habe Sie nie mit dieser Härte sprechen hören.«



»Petrus, ich habe Ihnen auch nie so ernste Vorwürfe zu machen gehabt, wie die, welche ich Ihnen heute zu machen habe.«



»Glauben Sie mir, mein Oheim, ich bin bereit, sie mit der Unterwürfigkeit zu empfangen, die ich Ihnen schuldig bin, und besonders mit tiefem Bedauern, sie verdient zu haben; denn sobald Sie mir sie machen, mein Oheim, habe ich sie verdient.«



»Sie sollen selbst darüber urtheilen; hören Sie mich also ernsthaft an, wie ich mit Ihnen sprechen werde, Petrus.«



»Ich höre Sie.«



Der General winkte seinem Neffen, sich niederzusetzen; dieser bat ihn aber durch einen andern Wink um die Erlaubnis, stehen zu dürfen.



Er erwartete also die Anklage in der Stellung eines Verbrechers vor seinem Richter.




XXXIII

Wo Petrus sieht, daß seine Ahnungen ihn nickt betrogen hatten

Der Graf machte es sich so bequem als möglich in seinem Lehnstuhle; denn der alte Sybarite liebte es, behaglich zu sein, um zu moralisieren.



Petrus schaute ihm mit einer gewissen Unruhe zu.



Der Graf zog seine Tabaksdose aus seiner Tasche, schlürfte wollüstig eine Prise Spaniol, stüberte seine Weste ab, um die wohlriechenden Atome zu verjagen, wechselte völlig den Ton und die Manieren und sprach:



»Nun, mein lieber Neffe, wir haben also die Rathschläge unseres guten Oheims befolgt?«



Das Lächeln trat wieder auf die Lippen von Petrus, der schon ein den Umständen angemessenes Gesicht angenommen hatte.



»Welche Rathschläge, mein lieber Oheim?« fragte er.



»Ei! . . . in Beziehung auf Frau von Marande,«



»Frau von Marande?«



»Ja.«



»Ich schwöre Ihnen, mein Oheim, ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen.«



»Discretion? Gut, junger Mann, das ist eine Tugend, die wir zu unserer Zeit nicht ausübten, doch ich hasse es nicht, sie bei den Andern üben zu sehen.«



»Mein Oheim, ich schwöre Ihnen . . . «



»Zu unserer Zeit,« fuhr der General fort, »wenn ein junger Mann von Adel, der einen großen Namen trug, das Unglück hatte, ein jüngerer Familiensohn zu sein, das heißt, keinen Sou zu besitzen, bei meiner Treue! wenn er ein schöner Junge war, von Körper gut gebaut, elegant von Manieren, so zog er Nutzen aus Allem dem. Ist die Natur verschwenderisch gewesen, und Fortuna geizig, so muß man wohl die Gaben der Natur benützen.«



»Mein lieber Oheim, ich gestehe Ihnen, daß ich Sie immer weniger begreife.«



»Ah! willst Du mich etwa glauben machen, Du habest die

Schule der Bürger

 nicht spielen sehen?«



»Doch, mein Oheim, ich habe sie spielen sehen.«



»Und Du habest den Marquis von Moncade nicht beklatscht?«



»Ich habe sein Spiel beklatscht, weil Armand diese Rolle gut spielt, doch ich habe seine Handlung nicht beklatscht.«



»Ah! wahrhaftig, Sie sind spröde, mein Herr Neffe.«



»Nein, mein lieber Oheim; doch zwischen spröde sein und zugeben, daß ein Mann Geld von einer Frau empfangen kann . . . «



»Bah! mein lieber Freund, ist man selbst arm und diese Frau ist reich, wie Frau von Marande oder wie die Gräfin Rappt . . . «



»Mein Oheim!« rief Petrus aufspringend.



»Alles schön, mein Neffe! Alles schön! Das ist nicht mehr die Mode! Sprechen wir nicht mehr hiervon, die Moden ändern sich. Doch was willst Du? ich verlasse Dich vor vier Monaten, mit einem mit Deinen Skizzen ausgeschmückten Atelier und einem daran stoßenden Stübchen, Alles von Deiner Portiere besorgt, der man prunkhaft den Namen Wirthschafterin gegeben; ich wische mir vor der Thüre meine Füße auf einer Strohdecke ab, die nicht mehr neu ist, und ich sehe Dich ruhig zu Fuße nach dem Quartier Latin gehen, um für zweiundzwanzig Sous bei Flicotteaux zu Mittag zu essen; ich sage mir:



»»Mein Neffe ist ein armer Teufel von einem Maler, der mit seinem Pinsel vier bis fünftausend Franken verdient, der keine Schulden machen will, der seinem armen Vater nicht zur Last sein will; mein Neffe ist ein ehrlicher Junge, doch er ist ein Dummkopf. Ich muß folglich meinem Neffen einen guten Rath geben.«« Ich gebe ihm nun den Rath, den Herrn von Lauzun seinem Neffen gibt, und sage zu ihm: »»Junge, Du bist schön, Du bist elegant; hier ist eine Prinzessin: sie heißt nicht Herzogin von Berry, sie ist nicht die Tochter des Regenten, doch sie schwimmt in den Millionen . . . ««



»Mein Oheim!«



»Ich komme wieder, ich finde den Hof in einen Garten verwandelt; mitten im Hose ein Beet von seltenen Pflanzen . . . oh! eine Voliere mit Vögeln, aus Indien, China, Californien . . . oh! oh! Ställe mit Pferden von sechstausend Franken und Geschirre mit dem Wappen der Courtenay . . . oh! oh!«h! und ich gehe ganz freudig hinaus und sage zu mir selbst: »»Nun wohl, mein Neffe ist ein Mensch von Geist, was manchmal mehr werth ist, als ein Mensch von Talent zu sein.«« Ich sehe Teppiche im letzten Stocke, ein Atelier wie das von Gros oder Horace Vernet, und ich sage zu mir: »»Ah! ah! Alles geht gut!««



»Ich bin in Verzweiflung, Ihnen bemerken zu müssen, daß Sie sich völlig täuschen.«



»Dann geht Alles schlecht.«



»Ei! nein, mein Oheim; nur bitte ich Sie, mir zu glauben, daß ich zu stolz bin, um diesen Luxus, zu dem Sie mir Glück zu wünschen die Güte haben, etwas Anderem zu verdanken, als meinen eigenen Mitteln.«



»Ah! Teufel, ich begreife, man hat ein Gemälde bei Dir bestellt, und es im Voraus bezahlt?«



»Nein, mein Oheim.«



»Man hat Dich beauftragt, die Rotunde der Madeleine zu decoriren?«



»Nein, mein Oheim.«



»Du bist zum ordentlichen Maler Seiner Majestät des Kaisers von Rußland mit zehntausend Rubel Gehalt ernannt worden?«



»Nein, mein Oheim.«



»Dann hast Du Schulden?«



Petrus erröthete.



»Du hast Abschlagszahlungen dem Sattler, dem Wagenmacher, dem Tapezierer gegeben, und da Du ihnen diese Abschlagszahlungen unter dem Namen Baron Herbel von Courtenay gegeben hast, da man Dich als meinen Neffen kennt, so hat man Dir Credit bewilligt.«



Petrus neigte das Haupt.



»Nun,« fuhr der Graf fort, »nun begreifst Du, daß ich, wenn sich alle diese Leute mit ihren Rechnungen bei mir einfinden, sagen werde: »»Baron Herbel? Ich kenne ihn nicht.««



»Mein Oheim, seien Sie unbesorgt,« erwiderte Petrus, »man wird sich nie bei Ihnen einfinden.«



»Bei wem denn?«



»Bei mir.«



»Ja, und wenn man kommt, wirst Du im Stande sein?«



»Ich werde mich einrichten.«



»Du wirst Dich einrichten, indem Du die Hälfte des Tages im Walde zubringst, um der Frau Gräfin Rappt zu begegnen, indem Du alle Abende in der großen Oper oder bei den Bouffes zubringst, um von fern die Frau Gräfin Rappt zu begrüßen, indem Du alle Nächte auf dem Ball zubringst, um der Frau Gräfin Rappt die Hand zu drücken.«

 



»Mein Oheim!«



»Ah! ja, nicht wahr, die Wahrheit hört sich schwer an? Doch Du wirst sie hören.«



»Mein Oheim,« sprach Petrus stolz, »sobald ich nichts von Ihnen verlange . . . «



»Bei Gott! ich bekümmere mich darum, ob Du etwas von mir verlangst . . . Sobald Du weder von Deiner Geliebten noch von mir verlangst, und dreißig bis vierzigtausend Franken jährlich ausgibst, verlangst Du von Deinem Piraten von Vater.«



»Ja, und ich muß sagen, mein lieber Oheim, daß mein Pirat von einem Vater mir nichts von dem verweigert, was ich von ihm verlange, sondern sogar mich mit seinen Sittenpredigten verschont.«



»Damit willst Du mir ihn als Beispiel vorstellen? Gut, ich werde mich bemühen, nicht kitzliger zu sein als er; nur muß ich Dir nun sagen, warum ich bei meinem Eintritte schlechter Laune war, und warum ich Anfangs ein wenig hart mit Dir gesprochen habe . . . «



»Sie sind mir keine Erklärung schuldig.«



»Doch, Du hast Recht, sobald Du nichts von mir verlangst . . . «



»Ihre Freundschaft immer, mein Oheim.«



»Nun wohl, damit Du mir die Deinige bewahrst, muß ich Dir die Ursache meiner schlechten Laune sagen.«



»Ich höre, mein Oheim.«



»Kennst Du? . . . Es ist im Ganzen unnöthig, daß Du ihn kennst. Ich will Dir die Geschichte erzählen: wir wollen den Helden *** nennen. Höre und begreife die Ursache meiner schlechten Laune. – Ein braver Arbeiter von Lyon kam vor etwa dreißig Jahren zu Fuße nach Paris, ohne einen Sou in seiner Tasche, ohne Strümpfe an seinen Füßen, ohne ein Hemd aus dem Rücken. Durch Noth und Geduld erlangte er nach Verlauf von fünf Jahren die Stelle des Chefs einer Spinnerei mit dreitausend Franken Gehalt. Er ist reich, nicht wahr? Ein Mensch, der nach Paris ohne Schuhe gekommen ist und dreitausend Livres Einkommen erlangt hat, ist ein reicher Mann: denn derjenige ist reich, welchen die Arbeit den Leidenschaften, den Bedürfnissen, den Launen seines Temperaments oder seiner Einbildungskraft entzogen bat. Nun schenkte ihm seine Frau nach einem zweijährigen Aufenthalte in Paris ein Kind: dann starb sie.



»»Was werde ich aus diesem Knaben machen?«« fragte sich der Vater, als sein Sohn fünfzehn Jahre alt war.



»Es versteht sich von selbst, daß es ihm nicht einen Augenblick einfiel, aus seinem Sohne das zu machen, was er selbst gewesen war, – ein Arbeiter . . . Sie wissen übrigens, daß man mich hohen Ortes beschuldigt, ich sei ein Jacobiner, und ich muß sagen, dieser wohl angebrachte Stolz, dieser väterliche Stolz, der darin besteht, daß man immer seinen Sohn über sich erzieht, ist eine Idee der Revolution von 1789, und hätte sie nur solche gehabt, so wäre ich ihr nicht zu sehr gram . . . Dieser Vater sagte also zu sich selbst:



»»Ich habe mein ganzes Leben lang Blut und Wasser geschwitzt; ich habe gelitten wie ein Elender; mein Sohn soll nicht leiden wie ich. Von den dreitausend Franken Gehalt, die ich habe, will ich fünfzehnhundert der Erziehung meines Sohnes opfern; ist seine Erziehung vollendet, so wird er sein, was er will, Advocat, Arzt, Künstler; mir gleichviel, was er sein wird, wenn er nur etwas ist.««



»Dem zu Folge brachte man den jungen Menschen in eine der ersten Pensionen von Paris. Der Vater lebte mit den fünfzehnhundert Franken, die ihm blieben . . . nein, nicht mit den fünfzehnhundert Franken! mit den taufend; denn Du gibst wohl zu, daß der Unterhalt und das Taschengeld wenigstens fünfhundert Franken kosteten? . . . Hörst Du mich, Petrus?«



»Mit der größten Aufmerksamkeit, mein lieber Oheim, obschon ich nicht weiß, worauf Sie abzielen.«



»Du wirst es sogleich erfahren; folge nur aufmerksam meiner Erzählung.«



Der Graf zog seine Tabaksdose aus seiner Tasche, und Petrus hielt sich bereit, kein Wort von dem zu verlieren, was ihm sein Oheim sagen sollte, wie er kein Wort von dem, was er gesagt, verloren hatte.




XXXIV

Wo bewiesen ist, daß mehr Aehnlichkeit, als man glaubt, zwischen den Musikalienhändlern und den Bilderhändlern stattfindet

Der Graf Herbel schlürfte wollüstig seine Prise, ließ von seinem Jabot die letzte Spur des Niesepulvers verschwinden und fuhr dann fort:



»Man brachte also den Knaben in eines der ersten Colleges von Paris, wo man ihm, außer der Collegialerziehung, einen Lehrer in der deutschen Sprache, einen Lehrer in der englischen Sprache, einen Musiklehrer gab, so daß sich der jährliche Aufwand, statt zweitausend Franken zu belangen, auf zweitausend fünfhundert belief. Der Vater lebte von fünfhundert Franken; was bekümmerte er sich um die physische Nahrung, empfing nur sein Sohn im Ueberflusse die moralische Nahrung.



»Der junge Mensch machte, wie es eben ging, seine Classen durch; es war sogar ein guter Schüler, und der Vater erquickte sich, als Entschädigung für alle seine Opfer, an den Lobeserhebungen, die ihm über den beharrlichen Fleiß, die gute Aufführung und die Fortschritte seines Sohnes zukamen.



»Mit achtzehn Jahren trat er aus dem Collége aus; er konnte ein wenig Griechisch, ein wenig Lateinisch, ein wenig Deutsch, ein wenig Englisch . . . Bemerke wohl, daß er nur ein wenig für die fünfzehntausend Franken konnte, die seine Erziehung seinem Vater kostete, und daß ein wenig nicht genug ist . . . Dagegen, man muß es sagen, hatte er große Fortschritte aus dem Klavier gemacht: so daß er, als ihn sein Vater fragte, was er werden wollte, dreist und ohne Zögern antwortete: »»Musiker!««



»Der Vater wußte nicht genau, was ein Musiker war: der durch diese Worte repräsentierte Künstler schien ihm immer ein Mensch zu sein, der in freier Lust Concerte auf einer Leier, oder aus einer Harfe, oder auf einer Geige gebe. Doch daran lag ihm wenig: sein Sohn wollte Musiker sein: er hatte wohl das Recht, seinen Stand zu wählen.



»Man fragte den jungen Mann, bei wem er seine musikalischen Studien fortzusetzen wünsche: er bezeichnete den ersten Pianisten der Zeit.



»Nur mit großen Schwierigkeiten willigte der Meister ein, drei Lectionen wöchentlich gegen zehn Franken zu geben: das waren zwölf Lectionen, das heißt hundertundzwanzig Franken monatlich.



»Von vierzehnhundertvierzig Franken jährlich zu zweitausend fünfhundert Franken war der Unterschied nicht so groß, daß man etwas an der Pension des unglücklichen Knaben vermindern konnte, und was konnte er sogar mit elfhundert sechzig Franken machen!



»Zum Glücke erhielt um dieselbe Zeit der Vater eine Zulage von sechshundert Franken. Er war hierüber ungemein erfreut: das gab seinem Sohne siebzehnhundert fünfzig Franken Pension. Er, da er bis dahin mit fünfhundert Franken gelebt hatte, bei Gott! er würde wohl auch noch ferner davon leben.



»Aber man brauchte ein Klavier. – Man konnte nur aus einem Klavier von Erard lernen. Der Klavierlehrer sprach ein paar Worte mit dem berühmten Fabricanten: ein Klavier von viertausend Franken wurde auf zweitausend sechshundert reduziert, und man gab dem Zögling zwei Jahre, um es zu bezahlen. Es wurde verabredet, der Zögling sollte hundert Franken monatlich von den siebzehnhundert sechzig Franken abziehen.



»Nach zwei Jahren hatte der Zögling eine gewisse Stärke erlangt, nur nicht für die Nachbarn; ungerecht, wie man im Allgemeinen gegen die Fortschritte ist, die man sich entwickeln sieht oder hört, fanden diese Nachbarn, der junge Klavierspieler sei sehr schwach, daß er nicht rascher die Schwierigkeiten überwinde, mit denen er sie vom Morgen bis zum Abend regalirte. – Die Nachbarn eines Pianisten sind immer ungerecht; doch der junge Mann bekümmerte sich durchaus nichts um diese Ungerechtigkeit. Er spielte mit aller Hartnäckigkeit die Studien von Bellini und Variationen von Mozart, den

Freischütz

 von Weber, die

Semiramide

 von Rossini.



»Mehr noch! durch fortwährendes Spielen kam er auf den Gedanken, er könnte auch Musik machen. Von da zur Ausführung ist es nur ein einziger Schritt; diesen Schritt vollbrachte er mit ziemlich viel Glück.



»Doch man weiß, die Musikalienhändler wie die Buchhändler haben alle eine und dieselbe Antwort, abwechselnd in der Form, unveränderlich im Grunde, über die Ambitionen der debutirenden Romanenschreiber oder Componisten: »»Machen Sie sich bekannt, und ich werde Sie veröffentlichen.«« Das ist dem Anscheine nach ein ziemlich fehlerhaftes Verfahren, da man nur bekannt werden kann, wenn man gedruckt wird . . . Ich weiß nicht, wie das zugeht, diejenigen aber, welche wirklich den Teufel im Leibe haben, werden am Ende immer bekannt. – Doch, ich weiß, wie das zugeht: das geschieht, wie unser junger Mann that.



»Er sparte an Allem, sogar an der Nahrung, und häufte am Ende zweihundert Franken an, mit denen er Variationen über

Di tanti palpiti

drucken ließ.



»Der Namenstag seines Vaters nahte heran: die Variationen wurden für diesen Tag gedruckt.



»Der Vater hatte die Befriedigung, den Namen seines Sohnes in Fettschrift über kleine schwarze Punkte gedruckt zu sehen, die ihm um so ehrwürdiger schienen, als er nichts davon begriff: doch, nach dem Mittagsmahle, legte der Sohn das Stück feierlich aus das Instrument, und, mit Hilfe von Erard, hatte es einen glänzenden Familiensucceß.



»Der Zufall, – damals sagte man die Vorsehung, – wollte, daß das Stück nicht schlecht war, und daß es einen gewissen Succeß in der Welt erhielt. Da der junge Mann darin nur die Schwierigkeiten, die er selbst überwinden konnte, angehäuft, und eine Anzahl von geschwänzten, doppelt geschwänzten, dreifach geschwänzten Noten hatte figurieren lassen, welche in unerfahrenen Augen eine ziemlich majestätische Wirkung hervorbrachten, so fielen die Zöglinge von zweiter Stärke über das Stück her, das sich rasch erschöpfte.



»Unglücklicher Weise konnte der Herausgeber allein den Succeß beurtheilen, und da die Hoffart eine Todsünde ist, und er eine so unschuldige Seele, wie es die des Klienten war, der ihn mit seinen Interessen betraut hatte, nicht gefährden wollte, war er bei seiner dritten Auflage, als er ihm sagte, es bleiben noch tausend von der ersten im Magazin. Er willigte indessen ein, ihm seine zweite Etude auf seine Gefahr drucken zu lassen; die dritte mit Theilung beim Nutzen. – Es versteht sich von selbst, daß nie eine Theilung stattfand. – Im Ganzen aber wurde der Effect hervorgebracht, und der Name unseres jungen Mannes fing an in den Salons in Umlauf zu kommen.



»Man machte ihm den Vorschlag, Lectionen zu geben. Er lief zu seinem Herausgeber und fragte ihn um Rath. Er fand, wenn er drei Franken für die Marke fordere, mache er maßlose Prätensionen; der Herausgeber setzte ihm aber auseinander, die Leute, welche drei Franken geben, können auch zehn geben; Alles hänge von den Anfängen ab, und er sei ein zu Grunde gerichteter Mensch, wenn er sich zu weniger als. zehn Franken die Stunde schätze.«



»Aber, mein Oheim,« sagte Petrus, der mit viel Aufmerksamkeit zugehört hatte, und von einer gewissen Aehnlichkeit betroffen war, »wissen Sie, daß diese Geschichte große Aehnlichkeit mit der meinigen hat?«



»Du findest?« erwiderte der Graf mit seinem spöttischem Lächeln; »warte, Du wirst das sogleich bester beurtheilen.«



Und er fuhr fort:



»Während sich unser junger Mann in der Composition versuchte, erlangte er zugleich eine gewisse Stärke in der Execution. Eines Tages machte ihm sein Herausgeber den Vorschlag, er sollte ein Concert geben. Der junge Mann schaute den vermessenen Musikalienhändler mit Schrecken an. Ein Concert geben, war indessen der Gegenstand seiner heißesten Wünsche. Doch er hatte sagen hören, die Kosten eines Concertes belaufen sich wenigstens auf taufend Franken. Wie eine solche Speculation wagen? Schlug das Concert fehl, so war er zu Grunde gerichtet! nicht nur er, sondern auch sein Vater! . . . Damals fürchtete sich unser junge Mann noch, seinen Vater zu Grunde zu richten.«



Petrus schaute den General an.



»Der Dummkopf, nicht wahr?« fuhr dieser fort.



Petrus schlug die Augen nieder.



»Gut! nun hast Du mich unterbrochen, und ich weiß nicht mehr, wobei wir sind,« sagte der General,



»Wir waren beim Concert, mein Oheim; der junge Musiker befürchtete nicht auf seine Kosten zu kommen.«



»Ganz richtig . . . Der Musikverleger erbot sich edelmüthig, Alles zu übernehmen – immer auf seine Gefahr. Die Entrees, die ihm seine Musik in den ersten Salons von Paris gewährte, gaben ihm Hoffnung, eine Anzahl Billets unterzubringen. Er brachte taufend zu fünf Franken unter und sandte davon großmüthig fünfzehn dem Concertgeber: das war für seine Familie und für seine Freunde.



»Es versteht sich von selbst, daß der gute Vater seinen Platz auf der ersten Bank hatte. Dies exaltierte ohne Zweifel unsern Debutanten, denn er that Wunder. Sein Succeß war ungeheuer; der Unternehmer hatte zwölfhundert Franken Kosten und sechstausend Franken Einnahme.«

 



»»Mir scheint,«« sagte schüchtern unser junger Mann zu seinem Musikalienhändler, »»wir hatten einige Personen in unserem Concerte?««



»»Verschenkte Billets,«« antwortete der Herausgeber.«



»Gut!« rief Petrus lachend, »mir scheint, es ist in der Musik wie bei der Malerei. Sie erinnern sich meines Successes im Salon von 1824, nicht wahr, mein Oheim?«



»