Free

Pauline

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

Ich weiß nicht, warum ich auf alle diese näheren Umstände mit ungewöhnlichem Interesse hörte. Ohne Zweifel war die Szene, deren Zeuge ich gewesen war, die Kaltblütigkeit, welche der Graf bewies, die noch ganz frische Gemütsbewegung, die mich ergriffen hatte, Veranlassung zu dieser Aufmerksamkeit, die ich Allem dem schenkte, was von ihm erzählt wurde. Über dem konnte die geschickteste Berechnung nichts Klügeres auffinden, als diese plötzliche Abreise, die gewissermaßen das Schloß verwaist ließ, sobald sich derjenige aus demselben entfernte, welcher einen so großen Eindruck auf seine Bewohner gemacht hatte.

Man rief zur Tafel. Die Konversation, für einige Zeit unterbrochen, wurde beim Dessert mit neuer Lebhaftigkeit begonnen, und der Graf war wieder, wie den ganzen Vormittag, der Gegenstand derselben. Sei es nun, daß diese fortwährende Aufmerksamkeit für diesen Einzigen als unhöflich gegen die Andern erschien, sei es, daß in der Tat einige der Eigenschaften, die man dem Grafen beilegte, in Zweifel gezogen wurden, kurz, es erhob sich ein leichter Wortwechsel über sein seltsames Leben und Treiben, über sein Vermögen, dessen Quellen man nicht kannte, über seinen Mut, welchen einer der Tischgenossen seiner großen Fertigkeit in Handhabung des Degens und der Pistolen zuschrieb. Paul warf sich, wie natürlich, zum Verteidiger dessen auf, der ihm das Leben gerettet hatte. Das Leben des Grafen Horaz war kein anderes als das eines Modeherrn. Sein Vermögen stammte, von einem Onkel seiner Mutter, der fünfzehn Jahr in Indien gewesen war. Was seinen Mut betraf, so war dieser, seiner Meinung nach, eine Sache, die am wenigsten bestritten werden konnte, denn er hatte nicht allein in einigen Duellen, aus denen er stets unverletzt hervorging, sondern auch in andern Fällen Proben davon geben. Paul erzählte mehrere, von denen sich einer meinem Gedächtnisse besonders tief eingeprägt hat.

Der Graf Horaz, in Goa angekommen, fand seinen Onkel bereits tod, zugleich aber auch zu seinen Gunsten ein Testament, welches auf keine Weise angefochten werden konnte. Obgleich noch zwei junge Engländer sich dort befanden, die im gleichem Grade der Verwandtschaft mit dem Onkel standen wie er, – seine Mutter war nämlich eine Engländerin, – sah er sich doch allein im Besitz der Erbschaft, die er auch erhob. Die beiden jungen Engländer waren übrigens reich, dienten in der britischen Armee und standen zu Bombay in Garnison. Sie empfingen demnach ihren Cousin, wenn auch nicht mit Liebe, doch mit Höflichkeit und luden ihn vor seiner Abreise nach Frankreich mit ihren Kameraden, Offizieren aus demselben Regiment, in welchem sie standen, zu einem Abschiedsessen ein, welche Einladung Graf Horaz auch annahm.

Damals war er noch vier Jahre jünger als jetzt und obgleich er schon 25 zählte, schien er doch kaum 18 alt zu sein. Sein schlanker Wuchs, sein blasser Teint, seine weißen Hände gaben ihm das Ansehen einer in einen Herrn verkleideten Dame. Die englischen Offiziere beurteilten beim ersten Anblicke den Mut ihres Tischgenossen nach seiner äußern Erscheinung, und der Graf erkannte sogleich durch jene schnelle Beurteilungsgabe, welche ihn auszeichnete, den Eindruck, den er gemacht hatte und überzeugt, daß seine Wirte sich über ihn lustig machen würden, beschloss er, auf seiner Hut zu sein und nicht von Bombay abzureisen, ohne ein Andenken seines Dortseins zurückgelassen zu haben. Als man sich zu Tische setzte, fragten die beiden jungen Offiziere ihren Verwandten, ob er englisch spreche; der Graf, obgleich er die Sprache so gut sprach, wie die unsrige, antwortete, daß er kein Wort davon verstehe und bat die Herrn bescheiden, sie möchten die Konversation, wenn sie wünschten, daß er daran Theil nähme, in französischer Sprache führen.

Diese Erklärung gab den Tischgenossen große Freiheit und schon beim ersten Gange bemerkte der Graf, daß er der Gegenstand ihrer steten Witzeleien sei. Doch nahm er Alles, was er hörte, mit lächelndem Munde und heiterer Miene hin, nur seine Wangen wurden blässer und zwei Mal zerknirschten seine Zähne das Glas, welches er, um zu trinken, zum Munde führte. Beim Dessert verdoppelte sich mit dem französischen Weine der Lärm, und die Unterhaltung fiel auf die Jagd. Man fragte den Grafen, was für Wild und auf welche Art er in Frankreich jage. Der Graf, entschlossen seine Rolle bis zu Ende zu spielen, antwortete, das er theils in der Ebene mit dem Hühnerhunde Rebhühner und Hasen, teils zu Pferde und auf dem Anstande Füchse und Hirsche jage.

Ah! ah! rief lächelnd einer der Tischgenossen, Sie jagen Hasen, Füchse und Hirsche? Wir hier, wir jagen Tiger!

Und auf welche Weise? fragte der Graf Horaz mit großer Gutmütigkeit.

Auf welche Weise? antwortete der andere; nun auf Elefanten und mit Sklaven, von denen einige, mit Piken und Äxten bewaffnet. Front gegen das Tier machen, während andere unsere Flinten laden, mit denen wir nach denselben schießen.

Das muß ein prächtiges Vergnügen sein, erwiderte der Graf.

Es ist Schade, sagte Einer der jungen Leute, daß Sie so bald abreisen, mein lieber Cousin, wir hätten Ihnen dasselbe gewähren können. . . .

Es ist wahr, sagte Horaz, ich bedaure sehr, daß mir eine solche Gelegenheit entgeht und wenn ich nicht zu lange warten müßte, so möchte ich wohl noch bleiben.

Aber, nahm der Erste wieder das Wort, das trifft ja prächtig. Es hält sich gerade in einem Sumpfe längs dem Gebirge, das sich nach Surate hin erstreckt, drei Meilen von hier, eine Tigerin mit ihren Jungen auf. Indianer, denen sie Schafe geraubt hat, haben mir es hinterbracht und ich wollte nur warten, bis die Jungen größer geworden wären, um eine regelrechte Jagd anzustellen. Weil wir nun aber eine so gute Gelegenheit haben, Ihnen gefällig zu sein, so wollen wir die Jagd vierzehn Tage früher anstellen.

Ich bin Ihnen sehr verbunden, sagte der Graf sich verneigend. Ist man aber auch gewiss, daß sich die Tigerin da aufhält, wo man sie glaubt?

Es ist kein Zweifel.

Und kennt man ihr Lager genau?

Das ist leicht zu erkennen, wenn man auf einen Felsen steigt, der über dem Moraste liegt. Ihre Wege sind durch zerbrochenes und niedergetretenes Rohr bezeichnet und alle gehen nach einem Mittelpunkte, wie die Strahlen eines Sterns.

Nun wohl, sagte der Graf, sein Glas füllend und sich erhebend, um eine Gesundheit auszubringen, – Demjenigen, welcher allein zu Fuße, ohne andere Waffen als diesen Dolche hingehen und die Tigerin in ihrem Schilflager mitten unter ihren Jungen töten wird! Bei diesem Worte nahm er aus dem Gürtel eines Sklaven einen malaiischen Dolch und legte ihn auf die Tafel.

Sind Sie närrisch? sagte einer der Gäste.

Nein, meine Herren, erwiderte der Graf, mit Bitterkeit und Verachtung, ich bin nicht närrisch, und um Ihnen dieses zu beweisen, wiederhole ich meinen Toast. Hören Sie also nochmals, damit Derjenige, welcher es etwa annehmen will, wisse, wozu er sich verbindlich macht, wenn er sein Glas leert: Demjenigen, sage ich, der allein, zu Fuße und ohne andere Waffen als diesen Dolch, hingehen wird, um die Tigerin in ihrem Schilflager mitten unter ihren Jungen zu töten.

Eine augenblickliche Stille trat ein, während welcher der Graf Jedes Augen befragte. Alle schlugen sie nieder.

Antwortet Niemand? sagte er lächelnd. Wagt Niemand, meinen Toast anzunehmen? . . . Hat Niemand den Mut, mir Bescheid zu tun?. . . Nun wohl, so werde ich selbst gehen, und wenn ich nicht gehe, so sollen Sie sagen, daß ich ein Elender sei, wie ich sage, daß Sie Feiglinge sind.

Bei diesen Worten leerte der Graf sein Glas, setzte es ruhig auf den Tisch und ging nach der Türe. Auf Morgen also, meine Herrn, sagte er sich entfernend.

Den andern Morgen um sechs Uhr war er zu dieser schrecklichen Jagd bereit, als seine Tischgenossen in sein Zimmer traten. Sie baten ihn, von dem Unternehmen abzustehen, dessen Endresultat doch nur sein Tod sein könne. Der Graf wollte aber davon nichts hören. Sie gestanden zu, daß sie ihm am Tage vorher Unrecht getan, daß sie sich wie junge Laffen gegen ihn betragen hätten. Der Graf dankte für ihre Entschuldigung, die er aber anzunehmen sich weigerte. Endlich machten sie ihm das Anerbieten, Einen von ihnen zu wählen, der sich mit ihm schlage, wenn er sich zu sehr beleidigt glaube, um die Sache auf diese Weise beizulegen. Der Graf erwiderte ironisch, daß seine religiösen Grundsätze ihm verböten, das Blut eines seiner Mitmenschen zu vergießen, daß er seinerseits so gern die beleidigenden Worte zurücknähme, die er gegen sie geäußert habe, daß ihn jedoch, was die beschlossene Jagd beträfe, kein Mensch in der Welt abhalten solle, dieselbe auszuführen. Zugleich lud er die Herrn ein, zu Pferde zu steigen und ihm zu folgen, versichernd, daß, wenn sie ihn auch nicht mit ihrer Gesellschaft beehren würden, er nichts desto weniger allein gehen werde, die Tigerin anzugreifen. Diese Erklärung wurde mit so entschiedener Stimme gegeben, daß jene nicht weiter versuchten, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Sie stiegen also zu Pferde und trafen mit ihm vor dem gegen Morgen liegenden Tore der Stadt zusammen, vor welchem sie sich zu treffen beschlossen hatten.

Die Gesellschaft begab sich schweigend auf den Weg nach dem angegebenen Orte. Jeder der Reiter hatte sich mit einer Doppelflinte oder mit einem Karabiner bewaffnet, nur der Graf war ganz ohne Waffen. Sein sehr eleganter Anzug war der eines jungen Mannes von Welt, welcher einen Morgenspaziergang in das Boulogner Holz macht. Alle ihn begleitenden Offiziere sahen sich mit Verwunderung an und glaubten nicht, daß er diese Kaltblütigkeit bis zu Ende bewahren werde.

An der Grenze des Morastes angekommen, versuchten es die Offiziere von Neuem, ihn vom weiteren Vordringen abzuhalten. Noch während sie ihn zu überreden suchten, ließ sich gleichsam, um ihre Worte zu unterstützen, in einer Entfernung von kaum einigen hundert Schritten ein Gebrüll vernehmen. Die Pferde wurden unruhig, bäumten sich und wieherten.

 

Sie sehen, meine Herrn, sagte der Graf, es ist zu spät, wir sind bemerkt, das Tier weiß, daß wir hier sind; doch will ich, im Begriff Indien zu verlassen, welches ich wohl nie wieder sehen werde, keine falsche Meinung von mir zurücklassen, selbst nicht bei einem Tiger. Vorwärts also, meine Herrn! – Der Graf gab seinem Pferde die Sporn, um den Hügel zu erreichen, von dessen Spitze aus man das Rohrgebüsch übersehen konnte, in welchem die Tigerin ihr Lager aufgeschlagen hatte.

Am Fuße des Felsen angekommen, ließ sich ein neues Brüllen hören, aber diesmal so stark und so nahe, daß eins der Pferde einen Seitensprung machte und seinen Reiter beinahe aus dem Sattel hob. Alle Übrigen standen, Schaum vor dem Munde, mit geöffneten Nüstern und stieren Augen, zusammen schauernd und zitternd auf ihren vier Füßen als wenn sie eben aus eiskaltem Wasser kämen. Die Reiter stiegen nun ab, übergaben die Pferde den Dienern und der Graf begann zuerst, den Gipfel zu ersteigen, von dessen Höhe er das Terrain untersuchen wollte.

In der Tat konnte er von der Spitze des Felsen mit den Augen durch das zerbrochene Rohr den Spuren des Tieres folgen, welches er bekämpfen wollte; eine Art Wege, ungefähr 2 Fuß breit, waren durch das hohe Gras gebahnt, und alle führten, wie es die Offiziere vorhergesagt hatten, nach einem Mittelpunkte hin, auf welchem das Gras gänzlich niedergetreten war und sich so eine Lichtung gebildet hatte. Ein Gebrüll, welches sich zum dritten Male hören ließ und von jenem Orte ausging, benahm allen Zweifel und der Graf wußte nun, wo er seinen Feind zu suchen habe.

Jetzt nahete sich der älteste Offizier nochmals dem Grafen; aber dieser, seine Absicht durchschauend, gab ihm kalt ein Zeichen mit der Hand, daß Alles vergebens sei, knöpfte seinen Rock zu, bat einen seiner Cousins um die seidene Scherpe, welche derselbe um den Leib trug, um den linken Arm damit zu umwickeln und gab dem Malaien ein Zeichen, ihm seinen Dolch zu bringen. Diesen ließ er sich mit einer angefeuchteten seidenen Schnur an der Hand fest binden, legte dann seinen Hut ab, strich seine Haare zierlich in die Höhe und schlug den kürzesten Weg nach dem Rohrgebüsch ein, in welchem er im Augenblicke verschwand. Seine Gefährten blieben, sich unter einander erstaunt ansehend, und noch immer nicht an eine solche Tollkühnheit glaubend, zurück.

Er selbst schritt indessen langsam und mit Vorsicht auf dem Wege fort, den er betreten hatte und von welchem er weder zur Rechten noch Linken abweichen konnte. Nachdem er ungefähr 200 Schritte gegangen war, vernahm er ein dumpfes Knurren, welches ihm anzeigte, daß sein Feind auf der Huth war, und er, obgleich noch nicht gesehen, doch schon gewittert wurde; dessen ungeachtet hielt er nur eine Sekunde an und setzte, sobald das Knurren aufhörte, seinen Weg fort. Nach fünfzig Schritten stand er wieder still. Es schien ihm, daß wenn er auch noch nicht am Ziele, demselben jedoch sehr nahe sei,; er mußte sich also fertig halten, denn er stand an der Lichtung. Diese Lichtung war mit Knochen übersät, an denen teilweise noch Fetzen blutigen Fleisches hingen. Er sah sich rings um und bemerkte in einer in dem hohen Grase gemachten Vertiefung, die einer 4 oder 5 Fuß tiefen Höhle glich, die Tigerin halb liegend, mit offenem Rachen, die Augen auf ihn gerichtet: ihr Jungen spielten unter ihr, wie junge Katzen.

Was bei diesem Anblicke in seiner Seele vorging, kann nur er sagen, aber seine Seele ist ein Abgrund, aus dem Nichts hervorgeht. Er und die Tigerin sahen sich einige Zeit an; da er aber sah, daß dieselbe, ohne Zweifel um ihre Jungen nicht zu verlassen, in ihrem Lager bleiben werde, so ging er auf sie los.

Er nahete sich ihr so bis auf vier Schritte und bemerkend, daß sie endlich eine Bewegung machte, sich zu erheben, stürzte er auf sie zu. Diejenigen, welche von Weitem horchten und lauerten, hörten auf einmal ein Gebrüll und einen Schrei, sahen das Rohr sich einige Sekunden bewegen, dann folgte Schweigen und Ruhe. Es war Alles vorbei.

Sie warteten nun einige Zeit, um zu sehen, ob der Graf zurückkäme; aber er erschien nicht. Dann bemächtigte sich ihrer eine Scham, daß sie ihn allein hatten gehen lassen, und sie beschlossen, da sie sein Leben nicht gerettet hatten, wenigstens seinen toten Körper in Sicherheit zu bringen. Sie schritten demnach alle mutig in dem Moraste vorwärts, blieben von Zeit zu Zeit stehen, um zu horchen, und, sich dann wieder auf den Weg machend, kamen sie endlich an der Lichtung an und fanden die beiden Gegner einen über dem andern liegend. Die Tigerin war tot, der Graf ohnmächtig. Die beiden Jungen, zu schwach, um den Körper zu zerreißen, leckten das Blut.

Die Tigerin hatte siebzehn Dolchstöße empfangen, der Graf einen Biss in den linken Arm, der zerbrochen war und einen Schlag mit der Tatze, welcher ihm die Brust zerfleischt hatte.

Die Offiziere trugen beide mit sich davon. Tier und Mensch hielten ihren Einzug in Bombay neben einander liegend und auf einer und derselben Tragbahre getragen. Die jungen Tiger hatte der malaiische Sklave mit dem um seinen Turban gewundenen Tuche geknebelt und an beide Seiten seines Sattels gehängt.

Als der Graf sich nach vierzehn Tagen von seinem Krankenlager erhob, fand er das Fell der Tigerin vor feinem Bett, mit Zähnen von Perlen, Augen von Rubinen und Klauen von Gold. Es war ein Geschenk der Offiziere des Regiments, in welchem seine beiden Cousins dienten.

VIII

Diese Erzählungen machten tiefen Eindruck auf mich. Mut ist diejenige Eigenschaft des Mannes, welche am Leichtesten das Herz der Frauen gewinnt. Kommt es vielleicht daher, weil wir schwach sind, nichts durch uns selbst vermögen und stets einer Stütze bedürfen? Was man auch Nachteiliges über den Grafen sagen mochte, die einzige Erinnerung, welche in meinem Geiste zurückblieb, war die an jene beiden Jagden, an deren einer ich selbst Theil genommen hatte. Übrigens dachte ich nicht ohne Furcht an jenes kalte Blut, welchem Paul sein Leben verdankte. Welche fürchterlichen Kämpfe mußte das Herz bestanden haben, ehe die Willenskraft dahin gelangte, seine Pulsschläge so zu beherrschen? Ein langer Brand mußte in dieser Seele gewütet haben, bevor seine Flamme sich in Asche und seine Lava in Eis verwandelte.

Das größte Unglück für unsere Zeit ist das Suchen nach Romantischem und die Verachtung des Einfachen. Je prosaischer die Welt wird, desto mehr Jagd die stets tätige Einbildungskraft nach Poesie, die jeden Tag mehr und mehr aus der Welt verschwindet, um sich auf's Theater und in die Romane zu flüchten. Daher kommt der bezaubernde Einfluss, welchen ungewöhnliche Charaktere auf Alle ausüben, die sie umgeben. Sie werden sich demnach nicht wundern, daß das Bild des Grafen Horaz, das sich dem Geiste eines jungen Mädchens einprägte, welches noch von diesem Zauber umstrickt war und in dem noch so wenig Eindrücke ihre Spuren zurückgelassen hatten, in ihrer Phantasie fest gebannt blieb. Als wir daher einige Tage nach dem Ereignisse, welches ich Ihnen erzählte, zwei Kavaliere die Allee nach unserem Schlosse heraufkommen sahen und uns Paul von Lucienne und der Graf Horaz von Beuzeval angemeldet wurden, fühlte ich zum ersten Male in meinem Leben mein Herz bei Nennung eines Namens heftig schlagen; ein Gewölk zog über meine Augen und ich wollte entfliehen; meine Mutter jedoch hielt mich zurück und die Herren traten ein.

Was ich ihnen damals sagte, weiß ich nicht mehr, aber sicher mußte ich ihnen sehr schüchtern und linkisch erscheinen, denn als ich meine Augen erhob, waren die des Grafen Horaz mit einem so ungewöhnlichen Ausdruck auf mich gerichtet, daß ich ihn niemals vergessen werde. Doch nach und nach überwand ich meine Befangenheit und kam wieder zu mir selbst; ich konnte ihn nun ansehen und ihm zuhören, als sähe und hörte ich Paul.

Ich fand an ihm dieselbe Unempfindlichkeit, denselben starren tiefen Blick, der einen so starken Eindruck auf mich gemacht hatte, eine sanfte Stimme, die, wie seine Hände und Füße, eher einer Dame, als einem Herrn anzugehören schienen. Doch nahm seine Stimme, wenn er lebhaft wurde, eine Stärke an, die fast unvereinbar schien mit den ersten Tönen, die sie hervorgebracht hatte. Paul, als erkenntlicher Freund, hatte das Gespräch auf ein Thema gebracht, ganz geeignet für den Grafen, sich geltend zu machen; er sprach nämlich von seinen Reisen. Der Graf zauderte einen Augenblick, sich von der verführerischen Eigenliebe hinreißen zu lassen; man könnte wohl sagen, er fürchtete, sich der Konversation zu, bemächtigen, und das Ich den Allgemeinheiten unterzuschieben, in welchen sich die Etiquette bei einem ersten Besuche bewegt. Aber bald tauchten die Erinnerungen an die durchreisten Gegenden in seinem Gedächtnisse auf. Das malerische Leben in den unzivilisierten Ländern im Gegensatz zu der monotonen Existenz in unseren zivilisierten riß ihn hin, bald befand sich der Graf ganz wieder zwischen jener üppigen Vegetation Indiens und jenen merkwürdigen Aussichten der Maldiven. Er erzählte uns seine Streifereien in dem Meerbusen von Bengalen, seine Kämpfe mit den malaiischen Seeräubern; er ließ sich hinreißen, uns dieses rege Leben mit glänzenden Farben zu malen, wo jede Stunde etwas den Geist oder das Herz Erregendes bringt. Er ließ vor unsern Augen alle Phasen jenes Urlebens Vorbeipassiren, wo der Mensch in seiner Freiheit und Kraft, je nachdem er will, König oder Sklave ist, wo er keine Fessel kennt als die seiner Laune, keine Grenzen als die des Horizonts, wo er, wenn ihm die Landluft zu schwül wird, die Segel seines Fahrzeuges aufspannt, wie der Adler seine Flügel und auf dem Ozean die Einsamkeit und Unermesslichkeit sucht. Dann kam er mit einem Sprunge auf unsere sozialen Verhältnisse zurück, wo Alles so kleinlich ist, das Verbrechen wie die Tugend, Alles gekünstelt, das Gesicht wie die Seele, wo wir, Sklaven der Gesetze, gebunden durch die Fesseln der Konvenienz jede Stunde kleine Pflichten zu erfüllen haben, wo wir gezwungen sind, für jede Zeit des Morgens andere Kleider anzulegen und Handschuhe von bestimmter Farbe anzuziehen und zwar bei Strafe, lächerlich zu erscheinen, das heißt, bei Todesstrafe, denn das Lächerliche befleckt in Frankreich einen Mann mehr als Kot und Blut.

Ach kann Ihnen nicht beschreiben, welche bittere Beredsamkeit, welche tödliche Ironie gegen unsere gesellschaftlichen Verhältnisse in dem Schlusse seiner Rede lag; er war in der Tat, der Gotteslästerung nahe, eine jener poetischen Schöpfungen, wie Manfred oder Karl Moor, einer jener stürmischen Charaktere, welche sich gegen die platten alltäglichen Anforderungen unserer Gesellschaft auflehnt, es war das Genie, im Kampfe mit der Welt, welches, trotz des Schutzes ihrer Gesetze, ihre Konvenienzen, ihre Gewohnheiten mit sich fortreißt, wie der Löwe die schwachen Netze mit sich fortreißen würde, die für einen Fuchs oder Wolf gestellt sind.

Ich hörte dieser schrecklichen Philosophie zu, als läse ich eine Seite in Byron oder Goethe; es war dieselbe Energie des Gedankens, noch erhöht durch die Macht des Ausdrucks. Diese so gleichgültige Gestalt hatte jetzt ihre Maske von Eis abgelegt, sie entzündete sich an der Flamme des Herzens und ihre Augen sprühten Blitze: diese so sanfte Stimme nahm nach und nach einen düsteren hinreißenden Ausdruck an, dann zeigte sich plötzlich Enthusiasmus oder Bitterkeit, Hoffnung oder Vernichtung, Poesie oder Wirklichkeit, Alles in einem Lächeln, wie ich es noch nie gesehen habe und welches schon allein mehr Verzweiflung und Abscheu enthielt, als die schmerzlichsten Tränen je enthalten konnten.

Nach einem Besuche von einer Stunde verließen uns Paul und der Graf. Meine Mutter und ich sahen uns, nachdem sie gegangen waren, noch einen Augenblick stillschweigend an und ich fühlte mein Herz von einem sehr beängstigenden Gefühle befreit. Die Gegenwart dieses Mannes war für mich so drückend, wie Margarethen die des Mephistopheles. Der Eindruck, den er auf mich gemacht hatte, war so sichtlich, daß meine Mutter ihn zu verteidigen begann, ohne daß ich ihn angegriffen hatte. Sie hatte schon lange von dem Grafen sprechen hören, und es waren die entgegengesetzten Urteile über ihn geäußert worden, wie dieß jedem außergewöhnlichen Manne widerfährt. Meine Mutter betrachtete ihn übrigens von einem ganz von dem meinigen verschiedenen Gesichtspunkte aus. Alle jene Sophismen, welche er so kühn äußerte, schienen ihr nichts weiter als ein Spiel des Geistes, eine Art Medisance gegen die Gesellschaft, wie sie täglich gegen Einzelne geäußert wird. Sie stellte ihn weder zu hoch, noch zu tief, wie ich in meinem Innern, und daraus entsprang eine Meinungsverschiedenheit zwischen uns, die ich nicht bestreiten wollte. Ich beschloß daher zu tun, als wenn ich mich nicht mehr mit ihm beschäftige. Nach ungefähr 5 Minuten schützte ich einen leichten Kopfschmerz vor und ging in den Park hinab. Dort störte mich nichts in meinen Gedanken und ich war kaum hundert Schritte gegangen, so mußte ich mir selbst gestehen, daß ich nur dem Gespräche über den Grafen ausgewichen war, um desto ungestörter an ihn zu denken. Diese Überzeugung erschreckte mich: ich liebte den Grafen nicht, denn bei der Ankündigung seines Erscheinens schlug mein Herz mehr vor Furcht als vor Freude, doch fürchtete ich ihn nicht mehr oder durfte ihn vernünftiger Weise nicht fürchten, denn welchen Einfluß konnte er am Ende auf mein Schicksal haben? Ich hatte ihn ein Mal zufällig, ein zweites Mal bei einem gewöhnlichen Höflichkeitsbesuche gesehen, vielleicht sah ich ihn nie wieder; bei seinem abenteuerlichen Charakter und seinem Geschmack am Reisen konnte er Frankreich jeden Augenblick verlassen, dann war sein Durchgang durch meine Lebensbahn eine Erscheinung, ein Traum, weiter nichts. Vierzehn Tage, ein Monat, ein Jahr, und ich hatte ihn vergessen. Indessen als die Glocke zum Mittagsessen schlug, überraschte sie mich mitten in meinen Träumereien und ich erschrak, daß sie so bald schlug. Die Stunden waren vergangen, wie Minuten.

 

Bei meinem Eintritt in den Salon überreichte mir meine Mutter eine Einladung von der Gräfin M. . . , die während des Sommers in Paris geblieben war, und zum Geburtstage ihrer Tochter eine große Abendgesellschaft mit Tanz und musikalischer Unterhaltung geben wollte. Meine gegen mich stets vortreffliche Mutter wollte erst mich zu Rate ziehen, ehe sie auf die Einladung antwortete. Ich nahm sie mit Eifer an; es war eine gute Gelegenheit, die Gedanken zu zerstreuen, welche meinen Kopf einnahmen. Wir hatten in der Tat nur drei Tage Zeit, um uns vorzubereiten, und diese drei Tage reichten so knapp für alle Vorbereitungen zum Balle aus, daß ich sicher glaubte, die Erinnerung an den Grafen werde sich verlieren oder doch wenigstens während der so wichtigen Beschäftigung mit der Toilette in den Hintergrund treten. Ich that Alles, um zu diesem Resultate zu gelangen; ich sprach mit einem Eifer von dieser Soirée, wie meine Mutter noch nie bei solchen Gelegenheiten an mir bemerkt hatte; ich wünschte, noch denselben Tag nach Paris zurückzukehren unter dem Vorwande, daß wir kaum noch Zeit hätten, unsere Kleider und Blumen zu bestellen, in der Tat aber nur weil die Veränderung des Aufenthaltes, wie ich glaubte, mir in dem Kampfe gegen mein Gedächtnis; beistehen sollte. Meine Mutter gab mit ihrer gewöhnlichen Gutmütigkeit allen meinen Launen nach und wir reisten nach Tische wirklich ab.

Ich hatte mich nicht getäuscht. Der Eifer, welchen ich auf die Vorbereitungen zu dieser Soirée verwendete, ein Rest jener jungen Mädchen eigentümlichen fröhlichen Sorglosigkeit, der mir noch geblieben war, die Hoffnung auf einen Ball in einer Jahreszeit, wo dieses Vergnügen ungewöhnlich ist, leiteten meine unsinnige Furcht ab und verscheuchten das Phantom, welches mich verfolgte. Der ersehnte Tag brach endlich an. Er verging mir unter einer Art Arbeitsfieber, welches meine Mutter noch nie an mir bemerkt hatte. Sie war ganz glücklich über das Vergnügen, welches ich mir versprach. Arme Mutter!

Es schlug zehn Uhr, und ich war seit fünf Minuten fertig; wie dieß geschah, weiß ich nicht: ich wartete heute einmal auf die Mutter, die ich sonst stets auf mich warten ließ. Endlich fuhren wir ab; fast unsere ganze Wintergesellschaft war zu diesem Feste nach Paris gekommen. Ich fand meine Freundinnen aus der Pension, meine gewöhnlichen Tänzer und jene jungen Mädchen eigene muntere und heitere Laune, welche sich jedoch bei mir schon einigermaßen zu trüben begann.

Eine ungeheure Menschenmenge drängte sich in den Tanzsaal. Während einer Pause ergriff die Gräfin M. . . meine Hand und führte mich, um der drückenden Hitze zu entfliehen, in das Spielzimmer. Wir hielten bei dieser Gelegenheit zugleich eine neugierige Inspektion, denn alle Celebritäten der Künste, Wissenschaften und der Politik dieser Zeit waren gegenwärtig. Viele kannte ich bereits, einige jedoch waren mir noch fremd. Madame M. . . nannte mir alle mit großer Gefälligkeit und fügte jedem Namen einen Kommentar bei, um welchen sie mancher der geistreichste Feuilletonisten beneidet haben würde. Plötzlich, beim Eintritt in einen Salon, fuhr ich erschreckend zusammen und stieß die Worte aus: der Graf Horaz! —

Ja wohl! der Graf Horaz, sagte Madame M. . . lächelnd. Kennen Sie ihn?

Wir sind mit ihm auf dem Lande bei Madame Lucienne zusammengetroffen.

Ach, ja! erwiderte die Gräfin, ich habe von einer Jagd, von einem Unglücksfalle reden hören, der den jungen Herrn von Lucienne betroffen hat, nicht wahr? In diesem Augenblicke erhob der Graf den Blick und bemerkte uns. Ein schwaches Lächeln überflog seine Lippen.

Meine Herrn, sprach er zu den drei Mitspielenden, erlauben Sie mir wohl aufzustehen? Ich werde einen Andern als vierten Mann einsetzen lassen.

Ei, das wäre schön, sagte Paul, du gewinnst uns 4000 Francs ab, und sendest uns einen Stellvertreter, der sich hüten wird, zehn Louisd'or zu verlieren. Nein, nein, das geht nicht.

Der Graf, schon halb aufgestanden, ließ sich wieder nieder und setzte bei der ersten Tour, als ein anderer der Spieler sein Spiel begann, ein. Es wurde gehalten. Sein Gegner schlug; der Graf warf seine Blätter, ohne sie zu zeigen, weg und sprach: Ich habe verloren, steckte das Gold und die vor ihm liegenden Banknoten zu sich und sprach, sich von Neuem erhebend, zu Paul:

Steht es mir nun frei, mich zu entfernen?

Mein lieber Freund, noch nicht, erwiderte Paul, der indessen die Karten aufgehoben und betrachtet hatte, du hast fünf Carreaux und der Herr hat nur vier Piques.

Madame, sagte der Graf sich nach uns umdrehend und an die Gräfin wendend, ich weiß, daß Fräulein Eugenie heute Abend für die Armen einsammeln wird; erlauben Sie mir wohl, daß ich ihr zuerst meinen Beitrag anbiete? Bei diesen Worten ergriff er ein Arbeitskörbchen, welches neben dem Spieltische auf einem Gueridon stand, that die 4000 Francs hinein und überreichte sie der Gräfin.

Ich weiß in der Tat nicht, antwortete die Gräfin M. . . , ob ich es annehmen kann; diese Summe ist doch zu bedeutend.

Ich biete sie Ihnen auch nicht in meinem Namen allein an, sagte der Graf lächelnd, diese Herrn haben reichlich dazu beigetragen; ihnen also mehr als mir hat Fräulein M. . . im Namen ihrer Schützlinge zu danken. Bei diesen Worten trat er in den Ballsaal und ließ das mit Gold und Banknoten angefüllte Körbchen in den Händen der Gräfin zurück.

Das ist wieder eine von seinen Eigenheiten, sagte Madame M. . . zu mir; wahrscheinlich hat er eine Dame bemerkt, mit welcher er zu tanzen Lust hat, und das ist der Preis dieses Vergnügens. Doch ich muß dieses Körbchen einschließen; erlauben Sie mir also, daß ich Sie in den Ballsaal zurückführe.

Madame M. . . führte mich zu meiner Mutter, wo ich kaum angekommen war, als der Graf auf mich zukam und mich engagierte.

Sogleich fiel mir ein, was mir die Gräfin eben gesagt hatte; ich fühlte, daß ich errötete, ich fühlte, daß ich stammeln würde, und reichte ihm daher meine Tanzbüchlein. Sechs Tänzer waren bereits angemerkt, er wandte das Blatt um und schrieb seinen Namen für den siebenten Contretanz obenan, gleichsam als wünsche er, daß derselbe nicht mit denen der übrigen vermischt werde. Dann gab er mir das Blättchen mit einigen Worten zurück, die ich in meiner Bestürzung nicht verstand, und entfernte sich, um sich an die Pfoste einer Tür zu lehnen. Ich war nahe daran, meine Mutter zu bitten, den Ball mit mir zu verlassen, denn ich zitterte so, daß ich mich kaum aufrecht halten konnte. Glücklicher Weise erscholl auf einmal ein brillanter Accord. Der Ball war ausgesetzt; Listz setzte sich an's Piano.