Free

Pauline

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

Was war in diesem Glase? frug ich erschrocken.

Gift, erwiderte Pauline.

Und Sie haben es getrunken? rief ich entsetzt.

Wußte ich, daß Sie kommen würden? sagte Pauline, sich an das Gitter lehnend; denn jetzt erst erinnerte sie sich, daß sie dieses Glas ein oder zwei Stunden vor meiner Ankunft geleert hatte.

Haben Sie Schmerzen? sprach ich.

Noch nicht, war die Antwort.

Ich faßte Hoffnung.

Und war das Gift lange im Glase?

Zwei Tage und zwei Nächte ungefähr, ich kann die Zeit nicht genau bestimmen.

Ich betrachtete das Glas von Neuem. Der Niederschlag, welcher den Boden deckte, beruhigte mich einigermaßen. Während dieser zwei Tage und zwei Nächte hatte das Gift Zeit gehabt, sich zu setzen. Pauline hatte nichts getrunken als Wasser, zwar vergiftetes, aber vielleicht nicht in dem Grade, daß es tötete.

Es ist kein Augenblick zu verlieren, sagte ich zu ihr, sie auf meinen Arm nehmend, wir müssen eiligst fliehen und Hilfe suchen.

Ich kann gehen, erwiderte Pauline, und wand sich mit jener heiligen Scheu von mir los, welche schon früher ihr Gesicht rötete.

Wir machten uns nun auf den Weg nach der ersten Türe, die wir hinter uns schlossen, erreichten die zweite, welche sich ohne Hindernis öffnete, und befanden uns unter dem Kreuzgange. Der Mond glänzte am Himmel. Pauline breitete ihre Arme aus und fiel nochmals auf die Knie.

Eilen wir, eilen wir, sagte ich zu ihr, denn jede Minute Zögerung kann verderblich sein!

Ich fühle Schmerzen, sagte sie sich erhebend.

Ein kalter Schweiß trat mir auf die Stirne, ich nahm sie auf meinen Arm, wie ein Kind, durcheilte die Ruinen, trat aus dem Kloster und lief in vollem Lauf den Berg hinab. Auf der Ebene angekommen, sah ich in der Ferne das Feuer meiner beiden Begleiter.

Zur See! Zur See! schrie ich in befehlendem Tone, welcher anzeigte, daß kein Augenblick zu verlieren sei,.

Sie eilten nach der Barke und brachten dieselbe so nahe als möglich an's Ufer. Ich trat bis an die Knie in's Wasser, sie nahmen mir Paulinen aus den Armen und legten sie in die Barke. Ich stürzte neben ihr nieder.

Ist der Schmerz stärker geworden?

Ja, erwiderte Pauline.

Ich empfand eine Art Verzweiflung. Keine Hilfe, kein Gegengift. – Plötzlich dachte ich an's Meerwasser, füllte eine auf dem Boden des Fahrzeuges liegende Muschel halb voll und reichte sie Paulinen dar.

Trinken Sie, sprach ich zu ihr.

Sie gehorchte unwillkürlich.

Was machen Sie? rief einer der Fischer, Sie

verursachen dieser armen Dame Erbrechen.

Das wollte ich eben, nur ein Erbrechen konnte sie retten. Nach fünf Minuten fühlte sie ein Zusammenziehen des Magens, welches um so schmerzlicher war, da sie außer dem Gifte seit 3 Tagen nichts genossen hatte. Aber nach diesem Paroxysmus fühlte sie sich erleichtert; ich reichte ihr nun ein Glas frisches süßes Wasser, welches sie mit Begierde trank. Bald verminderten sich die schmerzen, es folgte ihnen eine außerordentliche Mattigkeit. Wir bereiteten nun auf dem Boden der Barke aus den Kleidern der Fischer und meinem Palletot ein Lager. Pauline legte sich, gehorsam wie ein Kind, auf dasselbe nieder und beinahe in demselben Augenblicke schlössen sich ihre Augen. Ich horchte auf ihren Atem; er war schnell, doch regelmäßig: sie war gerettet.

Eilen wir nun, sagte ich zu meinen Matrosen,, so schnell wie möglich nach Trouville. Nach unserer Ankunft erhaltet ihr von mir 25 Louisd'or.

Sogleich ergriffen die braven Schiffer die Ruder, indem sie das Segel für unzulänglich hielten, und die Barke flog über das Meer dahin, wie ein Seevogel, der sich verspätet hat.

V

Pauline öffnete erst die Augen wieder, als wir in den Hafen einfuhren. Ihre erste Bewegung war die des Schreckens. Sie glaubte einen beruhigenden Traum gehabt zu haben und streckte die Arme aus, als wolle sie sich überzeugen, daß sie nicht mehr die Mauern des Gewölbes berühre; dann sah sie sich unruhig um.

Wo führen Sie mich hin? frug sie.

Beruhigen Sie sich, antwortete ich ihr, die Häuser, welche Sie da vor sich sehen, gehören zu einem armen Dorfe, und die Bewohner desselben sind zu beschäftigt, als daß sie neugierig sein könnten. Sie werden da unerkannt bleiben, so lange es Ihnen gefällt. Wollen Sie jedoch von hier abreisen, so sagen Sie mir: wohin und Morgen, diese Nacht noch, ja in diesem Augenblicke reise ich mit Ihnen weiter, begleite Sie, bin Ihr Führer.

Auch außerhalb Frankreich?

Ueberall, wohin es auch sein mag.

Ich danke Ihnen, sagte Sie, lassen Sie mich nur eine Stunde darüber nachdenken. Ich will versuchen, meine Gedanken zu sammeln, denn in diesem Augenblicke ist mir der Kopf wüste und das Herz gebrochen; alle meine Kraft ist während der letzten zwei Tage und zwei Nächte geschwunden und ich fühle in meinem Geiste eine Verwirrung, welche an Wahnsinn grenzt.

Ich stehe ganz zu Ihren Diensten; wenn Sie mich sprechen wollen, so lassen Sie mich rufen. Sie gab mir ein Zeichen des Dankes, und in dem selben Augenblicke erreichten wir das Wirtshaus.

Sogleich ließ ich ihr ein Zimmer in Stand setzen, und zwar in einem Theile des Hauses, entfernt von dem, welchen ich bewohnte, um in keiner Weise Paulinens Zartgefühl zu verletzen. Dann empfahl ich meiner Wirtin, ihr vor der Hand keine andere Speise als schwache Bouillon zu reichen, da jede andere Nahrung bei dem Zustande der Schwäche und Erregung, in welchem sich der Magen der Kranken befand, jedenfalls nachtheilig sein mußte, und zog mich in mein Zimmer zurück.

Hier konnte ich mich endlich dem Gefühle der Freude, welches mich erfüllte, aber in Paulinens Gegenwart nicht laut werden lassen durfte, ganz überlassen. Pauline, die ich noch liebte und deren Andenken, trotz, einer Trennung von zwei Jahren, stets lebhaft in meinem Herzen fortgelebt hatte, Paulinen hatte ich gerettet; sie verdankte mir ihr Leben. Ich bewunderte die verborgenen Wege und die verschiedenen Verknüpfungen des Zufalls oder der Vorsehung, durch welche ich zu diesem Ziele geführt worden war. Ein tödlicher Schauer rieselte plötzlich durch meine Glieder, wenn ich bedachte, daß, wenn nur einer dieser glücklichen Umstände nicht gewesen wäre, wenn nur eins dieser Ereignisse, welche den leitenden Faden durch dieses Labyrinth bildeten, sich nicht zugetragen hätte, in dieser Stunde Pauline vielleicht, eingesperrt in das Grabgewölbe, die Hände im Todeskampfe durch Gift oder Hunger rang, während ich in meiner Unwissenheit vielleicht mit etwas Unbedeutendem beschäftigt, vielleicht dem Vergnügen nachgehend, sie dahinsterben ließ, ohne daß eine Ahnung, ein Vorgefühl, eine innere Stimme mir gesagt hätte: sie stirbt, rette sie!. . . Ein solcher Gedanke ist schrecklich, und die Furcht der Überlegung ist die schrecklichste! Doch auf der andern Seite ist sie auch das Tröstlichste; denn nachdem sie uns die Quellen des Zweifels hat erschöpfen lassen, führt sie uns zu dem Glauben zurück, welcher die Welt den Händen des blinden Zufalls entreißt, um sie in die der göttlichen Vorsehung zu legen.

So verbrachte ich eine Stunde und ich schwöre Dir zu, fuhr Alfred fort, daß kein unreiner Gedanke in meine Seele kam. Ich war glücklich, ich war stolz, sie gerettet zu haben; diese Handlung trug ihre Belohnung in sich und verlangte keine andere. Das Glück, sie vollbracht zu haben, war mir genug! – Nach einer Stunde ließ sie mich rufen. Ich erhob mich schnell, um nach ihrem Zimmer zu eilen, allein, vor der Türe angelangt, verließen mich die Kräfte und ich war genötigt, mich einen Augenblick an die Wand zu lehnen. Das Hausmädchen mußte erst zurückkommen, um mich nochmals einzuladen, bevor ich meine Kraft wieder sammeln konnte.

Sie hatte sich auf das Bett geworfen, ohne sich zu entkleiden. Ich näherte mich ihr, mit dem Scheine der größten Ruhe; sie reichte mir die Hand.

Noch habe ich Ihnen nicht gedankt, sprach sie: ich muß mich mit der Unmöglichkeit entschuldigen, Worte zu finden, die dem Ihnen schuldigen Danke nur einigermaßen entsprechend sind. – Denken Sie an den Schrecken und die Angst einer Frau, in der Lage, in welcher Sie mich finden, und verzeihen Sie mir.

Hören Sie mich, Madame, erwiderte ich, meine Bewegung verbergend und glauben Sie, was ich Ihnen sagen werde. Es giebt so unerwartete, so sonderbare Lagen, die von allen gewöhnlichen Formen, von allen konventionellen Vorbereitungen freisprechen. Gott hat mich zu Ihnen geführt und ich danke ihm dafür. Doch ist meine Sendung noch nicht vollbracht; ich hoffe Sie werden meiner noch weiter bedürfen. Hören Sie also und überlegen Sie jedes meiner Worte.

Ich bin frei. . . ich bin reich. . . Nichts bindet mich an einen Ort mehr, als an den andern. Ich war im Begriffe, zu reisen und ohne irgend einen Zweck nach England zu gehen. Ich kann also meinen Reiseplan ändern und mich nach dem Teile der Welt begeben, nach welchem mich der Zufall treiben will. Vielleicht wollen Sie Frankreich verlassen? Ich weiß es nicht, frage auch nach keinem Ihrer Geheimnisse und warte nur auf ein Zeichen von Ihnen, um Ihre Wünsche erraten zu können. Sei es aber, daß Sie in Frankreich bleiben, sei es, daß Sie es verlassen wollen, so disponieren Sie über mich, wie über einen Freund, einen Bruder. Befehlen Sie, daß ich Sie begleiten oder Ihnen von ferne folgen soll. Machen Sie aus mir einen Ihnen ganz ergebenen Beschützer, oder befehlen Sie, daß ich die Miene annehme, Sie nicht zu kennen, ich werde im Augenblicke gehorchen und zwar, glauben Sie es mir, ohne Rückhalt, ohne selbstische Hoffnung, ohne böse Absicht. Und nun, wie schon gesagt, vergessen Sie Ihr Alter, vergessen Sie das meinige, oder betrachten Sie mich als Bruder.

Ich danke Ihnen, sprach die Gräfin mit tiefbewegter Stimme. Ich nehme Ihr Anerbieten mit dem Vertrauen an, welches Ihre Biederkeit verdient. Ich vertraue mich ganz Ihrer Ehre an, denn ich habe Niemand auf der Welt, als Sie. Sie allein wissen, daß ich lebe.

 

Ja, Sie haben mit Recht vorausgesetzt, daß ich Frankreich verlassen muß. Sie gehen nach England und werden mich dorthin mitnehmen. Doch kann ich dort nicht allein und ohne Familie erscheinen. Sie haben mir den Namen Schwester angeboten und ich werde nun vor aller Welt Fräulein von Nerval sein.

O.' wie glücklich bin ich! rief ich aus. Die Gräfin gab mir ein Zeichen, sie weiter zu hören.

Ich verlange vielleicht mehr von Ihnen, als Sie glauben, fuhr Sie fort; auch ich war reich, allein die Toten besitzen nichts.

Aber ich bin es, mein ganzes Vermögen . . .

Sie verstehen mich nicht, sagte sie, und machen mich erröten, indem Sie meine Rede unterbrechen.

O! verzeihen Sie!

Ich werde Fräulein von Nerval sein, eine Tochter Ihres Vaters, wenn Sie wollen, . eine Waise, die man Ihnen anvertraut hat. Sie müssen Empfehlungsbriefe haben und werden mich also als Lehrerin in irgend einer Pensionsanstalt unterzubringen suchen. Ich spreche englisch und italienisch wie meine Muttersprache, ich habe gute Kenntnisse in der Musik, wenigstens hat man mir es sonst gesagt, und werde also Unterricht in der Musik und in Sprachen geben.

Aber das ist unmöglich, rief ich aus.

Das sind meine Bedingungen, erwiderte die Gräfin, verweigern Sie mir dieselben, mein Herr, oder nimmst du dieselben an, mein Bruder?

O! Alles, was Sie wollen, Alles, Alles, Alles!

Nun wohl, so ist keine Zeit zu verlieren. Wir müssen morgen abreisen. Ist dies möglich?

Gewiß!

Aber ein Pass?

Ich habe den meinigen.

Auf den Namen des Herrn von Nerval ausgestellt?

Ich werde hinzufügen »und seine Schwester

Sie wollen ein Falsum begehen?

Ein ganz unschuldiges. Wollen Sie lieber, daß ich nach Paris schreibe und einen zweiten Paß kommen lasse? . . . .

Nein, nein, das würde zu viel Zeit rauben. —

Von wo reisen wir ab?

Von Havre.

Auf welche Weise?

Mit dem Packetboote, wenn es Ihnen beliebt.

Und wenn?

Wenn es Ihnen gefällig ist.

Können wir sogleich?

Fühlen Sie sich nicht zu schwach?

Sie erinnern sich, ich bin stark. Sobald Sie zur Reise bereit sind, werden Sie auch mich bereit finden.

In zwei Stunden.

Sehr wohl. Adieu, Bruder.

Adieu, Madame.

Ach, rief die Gräfin lächelnd, schon verstoßen Sie gegen unsere Übereinkunft.

Lassen Sie mir Zeit, mich an einen Namen zu gewöhnen, der so süß für mich ist.

Hat es mir denn so viel Mühe gekostet? O! Sie . . . . rief ich, brach aber ab, weil ich fühlte, daß ich zu viel sagen würde. In zwei Stunden, fuhr ich fort, wird, nach Ihrem Wunsche, Alles bereit sein, verneigte mich dann und ging.

Kaum eine Viertelstunde war vergangen, seit ich mich ihr als Bruder angeboten hatte und schon fühlte ich alle Schwierigkeiten, die für mich aus diesem Verhältnisse entspringen würden. Der Adoptivbruder einer jungen schönen Dame zu sein, ist schon eine schwierige Sache, allem, wenn man diese Dame schon geliebt hat, wenn man sie verloren hat und dann einsam und verlassen wieder findet, ohne andern Schutz, als den, welchen man ihr gewährt; wenn das Glück, das man nie erwartet hätte, das man wie einen Traum betrachtet, so nahe ist, daß man bloß die Hand auszustrecken braucht, um es zu ergreifen, dann ist es trotz aller Entschlüsse, trotz des gegebenen Wortes unmöglich, das Feuer, welches in unserem Herzen glimmt, zu verbergen, und es entsprühen stets einzelne Funken entweder durch die Augen oder durch den Mund.

Ich fand meine Schiffer beim Essen und Trinken und eröffnete ihnen mein neues Vorhaben, während der Nacht nach Havre zu reisen, um zur Zeit der Abfahrt des Packetbootes dort einzutreffen. In dem Fahrzeuge, welches uns hierher gebracht hatte, wollten sie jedoch die Fahrt nicht unternehmen. Sie verlangten eine Stunde Zeit, um ein anderes in Stand zu setzen. Wir wurden bald des Handels einig, oder sie überließen es vielmehr meiner Freigebigkeit, sie für ihre Mühe zu belohnen. Ich fügte zu den 25 Louisd'or, die sie bereits empfangen hatten, noch fünf hinzu, und für diesen Preis hätten sie mich nach Amerika gefahren.

Ich untersuchte nun die Kleiderschränke meiner Wirtin, denn die Gräfin hatte, außer dem Kleide, welches sie trug, als sie eingesperrt wurde, gar Nichts. Bei ihrem schwachen leidenden Zustande fürchtete ich den nächtlichen Wind und den Nebel. Am Ehrenplatze fand ich eine große schottische Tartane, deren ich mich sogleich bemächtigte. Ich bat Madame Oseraie, dieselbe auf meine Rechnung zu setzen, und hoffte, daß, durch sie und meinen Mantel geschützt, meine Reisegefährtin die Überfahrt ohne Gefahr werde wagen können. Sie ließ nicht auf sich warten und erschien sogleich, nachdem sie benachrichtigt war, daß das Fahrzeug bereit sei. Die Zeit, welche sie mir gelassen hatte, war von mir zur Berichtigung meiner kleinen Rechnung benutzt worden und wir hatten demnach nichts weiter zu tun, als uns nach dem Hafen zu begeben und uns einzuschiffen.

Die Nacht war, wie ich vorausgesehen hatte, kalt, doch ruhig und schön. Ich verbarg die Gräfin unter die Tartane, und wollte sie in ein von meinen Fischern auf dem Hinterteile des Fahrzeuges aufgeschlagenes Zelt führen. Die Heiterkeit des Himmels und die Ruhe der Nacht hielten sie jedoch auf dem Verdecke zurück. Ich zeigte ihr eine Bank, und wir ließen uns auf derselben nebeneinander nieder.

Uns war beiden das Herz so voll, daß wir lange neben einander sitzen blieben, ohne ein Wort zu reden. Ich hatte meinen Kopf auf die Brust sinken lassen und dachte mit Erstaunen an die Reihe sonderbarer Abenteuer, die sich für mich eröffnet hatte und deren Kette sich wahrscheinlich noch weit in die Zukunft erstrecken werde. Ich brannte vor Begierde, die Ereignisse kennen zu lernen, durch welche die Gräfin von Beuzeval, jung, schön und wenigstens scheinbar von ihrem Manne geliebt, dahin gelangt war, in einem der Grabgewölbe der verfallenen Abtei den Tod zu erwarten, dem ich sie entriß. In welcher Absicht hatte der Graf das Gerücht ihrer Ermordung verbreitet und auf das Sterbebett an ihrer Stelle eine andere gelegt? War es Eifersucht? Das war der erste Gedanke, der sich mir aufdrängte. Es wäre schrecklich gewesen . . . . Pauline einen Andern liebend. . . . O! dieß entzauberte alle meine Träume. Denn für denjenigen, den sie liebte, war sie in's Leben zurückgekehrt; wohin sie sich auch habe wenden mögen, sie würde sich doch bemühen, wieder mit ihm zusammen zu treffen. So hätte ich sie für einen Andern gerettet; sie würde mir indeß danken, wie man einem Bruder dankt und damit wäre Alles abgemacht. Dieser Mann würde mir die Hand drücken und mir versichern, daß er mir mehr als das Leben verdanke, denn sie genössen dann ein um so sichereres Glück, da es unbekannt bleiben würde. . . . Und ich, ich würde nach Frankreich zurückkehren, um zu leiden, wie ich schon gelitten hatte und noch tausend Mal mehr. Denn das Glück, welches ich Anfangs nur in der Ferne sah, hatte sich mir genähert, um mir auf eine noch grausamere Weise wieder zu entweichen. Nun würde vielleicht die Zeit kommen, wo ich die Stunde verfluchte, in welcher ich diese Frau gerettet hatte, wo ich es beklagen würde, daß sie, tod für alle Welt, nur für mich lebte, aber entfernt und für einen Andern, der das Glück hätte, ihr nahe zu sein . . . War sie über dem strafbar, so war die Rache des Grafen gerecht . . . An seiner Stelle . . . ich hätte sie nicht sterben lassen . . . aber gewiss .. ich hätte sie getötet . . . sie und den Mann mit ihr, den sie liebte! . . . Pauline einen Andern lieben! . . . Pauline strafbar! . . . O! dieser Gedanke zog mir das Herz zusammen. Ich erhob, langsam mein Haupt; Pauline hatte den Kopf zurückgelegt und betrachtete den Himmel. Zwei Tränen glitten über ihre Wangen.

O, mein Gott, rief ich, was fehlt Ihnen?

Glauben Sie, erwiderte sie mit derselben Unbeweglichkeit, glauben Sie, daß ich mein Vaterland, meine Familie, meine Mutter für immer verlassen könne, ohne daß mir das Herz bräche? Glauben Sie, daß, wenn ich auch nicht aus dem Glücke, doch aus einem ruhigen Leben zur Verzweiflung übergehe, mir nicht das Herz blute? Glauben Sie, daß ich in meinem Alter den Ozean durchsegeln könne, um den Rest meines Lebens in einem mir ganz fremden Lande zuzubringen, ohne eine Träne mit den Wellen zu vermischen, welche mich weit davon tragen von Allem, was ich liebte? . . .

Aber, sagte ich, ist es denn ein ewiger Abschied?

Ein ewiger! murmelte sie, den Kopf ein wenig schüttelnd.

Und Sie wollen Niemand von jenen Personen wieder sehen, die Sie liebten?

Niemand. . . .

Und soll es aller Welt unbekannt bleiben und zwar für immer und. . . ohne Ausnahme, daß diejenige, welche man als tod betrauert, noch lebt und weint?

Aller Welt. . . für immer. . . ohne Ausnahme. . .

O! rief ich aus. . . wie glücklich bin ich, und welchen Stein nehmen Sie von meinem Herzen!. . .

Ich begreife Sie nicht, sagte Pauline.

O! errathen Sie gar nicht, welche Zweifel, welche Befürchtungen in meinem Herzen erwacht sind?. . . Sollten Sie kein Verlangen tragen, zu wissen, durch welche Verkettung von Umständen ich zu Ihnen gelangt bin?. . . Werden Sie dem Himmel für Ihre Rettung danken, ohne sich durch mich unterrichten zu lassen, welcher Mittel er sich bediente?. . .

Sie haben Recht, ein Bruder darf keine Geheimnisse vor seiner Schwester haben. . . Sie werden mir Alles erzählen und ich meinerseits werde Ihnen auch nichts verhehlen. . .

Nichts?. . . O, schwören Sie mir es zu!. . . Sie werden mich in Ihrem Herzen lesen lassen, wie in einem offenen Buche?. . .

Ia. . . und Sie werden in demselben nichts finden, als Unglück, Entsagung, und Gebet. . .

Aber hier ist weder Zeit noch Ort; auch sind mir alle diese traurigen Ereignisse noch zu neu, als daß ich den Mut hätte, sie jetzt zu erzählen. . .

O! wenn Sie wollen,. . . zu welcher Zeit. . . zu welcher Stunde Sie dazu geneigt sind. . . Ich werde warten. . .

Sie erhob sich und äußerte das Bedürfnis nach Ruhe. Haben Sie mir nicht gesagt, daß ich unter diesem Zelte schlafen könne?

Ich führte sie nach demselben und breitete meinen Mantel auf den Boden. Darauf gab sie mir ein Zeichen mit der Hand, mich zu entfernen; ich gehorchte und kehrte nach der Bank zurück, mich auf demselben Platze niederlassend, den sie so eben verlassen hatte, legte meinen Kopf auf dieselbe Stelle, wo der ihrige gelegen hatte und blieb in dieser Stellung bis zu unserer Ankunft in Havre.

Den andern Abend stiegen wir zu Brighton an's Land und sechs Stunden später waren wir in London.