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La San Felice Band 4

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Sechstes Capitel.
Die sapphischen Verse

Die doppelte Lobrede der Königin und des Generalcapitäns Acton in Bezug auf die Handschrift der Marquise von San Clemente ging vorüber, ohne daß es Jemandem, selbst nicht der Person, welche der Gegenstand dieser Lobrede war, einfiel, derselben die Bedeutung beizulegen, die sie in der That hatte.

Die Königin bemächtigte sich des Akrostichons, indem sie Emma versprach, es ihr den nächstfolgenden Tag wiederzugeben, und da nun das erste Eis, welches die Kälte des Anfangs einer jeden Abendgesellschaft erzeugt, gebrochen war, so mischte Jeder sich in jene reizende Verwirrung welche die Königin in ihrer vertrauten Umgebung durch die Kunst zu schaffen verstand, womit sie jeden Zwang und jede Etikette zu bannen wußte.

Die Conversation ward lebendig. Die Lippen ließen nicht mehr die Worte fallen, sondern schleuderten dieselben; das Lächeln zeigte seine weißen Zähne, Herren und Damen kreuzten sich, Jeder ging, um seiner Sympathie folgend Geist oder Schönheit zu suchen, und mitten unter diesem angenehmen Getöse, welches dem Vogelgezwitscher glich, fühlte man, wie die wohlduftenden Ausströmungen der Jugend die Atmosphäre erfüllten und erwärmten, welche durch frischen Hauch, süße Wohlgerüche in eine Art unsichtbaren, ungreifbaren berauschenden, aus Liebe, Wünschen und Wollust zusammengesetzten Liebestrank verwandelt ward.

In derartigen Gesellschaften vergaß Carolina nicht blos, daß sie Königin war, sondern erinnerte sich auch zuweilen nicht genug, daß sie Weib war. Eine Art elektrische Flamme entzündete sich in ihren Augen, ihre Nüstern erweiterten sich, ihr schwellender Busen ahmte, sich hebend und senkend, die wellenförmige Bewegung des Ozeans nach, ihre Stimme ward rauh und kurz und Niemand würde sich gewundert haben, aus diesem schönen Munde das Gebrüll eines Panthers oder einer Bacchantin zu vernehmen.

Sie näherte sich Emma, legte auf deren bloße Schulter ihre bloße Hand, welche einer rosenfarbenen Korallenhand auf einer Alabasterschulter glich und sagte:

»Nun, meine schöne Lady, haben Sie vergessen, daß Sie heute Abend nicht sich selbst angehören? Sie haben uns Wunderdinge versprochen und wir möchten Ihnen gern Beifall zujubeln.«

Emma schien, ganz im Gegensatz zu der Königin, sich einer süßen Erschlaffung hingegeben zu haben. Ihr Hals hatte nicht mehr Kraft genug, den Kopf zu tragen, welcher sich bald auf die eine, bald auf die andere Schulter neigte, und zuweilen, wie mit krampfhaft wollüstiger Bewegung, hintenüber fiel. Ihre halbgeschlossenen Augen bargen ihre Sterne unter den langen Wimpern ihrer Lider. Ihr halboffener Mund ließ hinter den Purpurlippen die blendend weißen Zähne sehen, und die schwarzen Locken ihres Haares contrastirten mit der matten Weiße ihrer Brust. Sie sah nicht, aber sie fühlte die Hand der Königin sich auf ihre Schulter legen. Ein Schauer durchrieselte ihren Körper.

»Was begehren Sie von mir, theure Königin?« sagte sie schmachtend und mit unaussprechlich graziöser Kopfbewegung. »Ich bin bereit, Ihnen zu gehorchen. Wollen Sie die Balconscene aus »Romea und Julie?« Sie wissen aber, um diese Scene auszuführen, bedarf es zweier Personen und ich habe keinen Romeo.«

»Nein, nein,« sagte die Königin lachend, »nur keine Liebesscene. Du würdest Allen, die hier sind, den Verstand rauben und wer weiß, ob ich nicht selbst dieses Schicksal theilte. Nein, trage lieber etwas vor, was die Zuhörer erschreckt. Julie auf dem Balcon? Nein! Juliens Monolog, ehe sie den Trank nimmt, dies ist Alles, was ich Dir heute Abend erlaube.«

»Gut. Geben Sie mir ein großes weißes Tuch, meine Königin, und lassen Sie mir Platz machen.«

Die Königin nahm von einem Sopha einen großen Shawl von weißem chinesischen Krepp, den sie ohne Zweifel mit Absicht dorthin geworfen, gab ihn Emma und befahl mit einer Geberde, in welcher sie wieder Königin ward, Allen, auf die Seite zu treten.

Binnen einer Secunde sah Emma sich in der Mitte des Salans allein.

»Madame,« sagte sie zur Königin, »Sie werden die Güte haben, die Situation zu erklären. Die Aufmerksamkeit würde sonst nicht ausschließlich auf mich gerichtet sein und ich bedarf dieses kleinen Kunstgriffes, um den gewünschten Effect zu machen.«

»Sie kennen wohl Alle die Geschichte der Mautecchi und Capuleti in Verona, nicht wahr?« sagte die Königin. »Man will Julie zwingen, den Grafen Paris, den sie nicht liebt, zu heiraten, während ihr Geliebter der arme verkannte Romeo ist. Bruder Larenzo, welcher sie mit ihrem Geliebten heimlich vermählt hat, gibt ihr einen Trank, der sie in den Zustand des Scheintodes versetzen soll. Man wird sie in die Gruft der Capuleti bringen und hier soll Larenzo sie abholen und nach Mantua führen, wo Romeo sie erwartet. Ihre Mutter und ihre Amme haben ihr Zimmer soeben verlassen, nachdem sie ihr erklärt, daß sie den nächstfolgenden Morgen bei Tagesanbruch den Grafen Paris heiraten müsse.«

Kaum hatte die Königin diese kurze Darlegung, bei welcher sich Aller Augen auf sie gerichtet, beendet,« als ein schmerzlicher Seufzer dieselben auf Emma Lyonna zurückführte.

Sie hatte nur weniger Secunden bedurft, um sich in den umfangreichen Shawl so zu drapiren, daß von ihrem ersten Kostüm nichts mehr zu sehen war.

Das Gesicht hielt sie mit den Händen bedeckt, ließ dieselben langsam herabgleiten, richtete gleichzeitig das bleiche Antlitz empor, auf welchem der tiefste Schmerz geschrieben stand und in welchem jetzt keine Spur mehr von jener süßen Erschlaffung zu finden war, welche wir zu schildern versucht.

Es war im Gegentheile die auf ihrem höchsten Gipfel angelangte Angst und Verzweiflung.

Sie drehte sich langsam um sich selbst herum, wie um ihrer bereits verschwundenen Mutter und Amme mit den Augen zu folgen, und mit einer Stimme, deren Vibrationen bis ins innerste Herz drangen, während sie zugleich den Arm ausstreckte, wie um der Welt aus ewig Lebewohl zu sagen, declamirte sie:

 
»Seht wohl! – Gott weiß, wann wir uns wiedersehen.
Kalt rieselt matter Schau’r durch meine Adern,
Der fast die Lebenswärm’ erstarren macht.
Ich will zurück sie rufen mir zum Trost.—
Amme! – Doch was soll sie hier? —
Mein düstres Spiel muß ich allein vollenden.
Komm Du, mein Kelch! —
Doch wie? wenn dieser Trank nun gar nichts wirkte,
Wird man dem Grafen mit Gewalt mich geben?
Nein, nein! Dies sollte dieser Dolch verwehren!
Wie? wär es Gift, das mir mit schlauer Kunst
Der Mönch bereitet, mir den Tod zu bringen,
Auf daß ihn diese Heirat nicht entlehre,
Weil er zuvor mich Romeo vermählt?
 
 
So, fürcht’ ich, ist’s; doch dünkt mich, kann’s nicht sein,
Denn er ward stets ein frommer Mann erfunden.
Ich will nicht Raum so bösem Argwohn geben.—
Wie aber? wenn ich, in die Gruft gelegt.
Erwache vor der Zeit, da Romeo
Mich zu erlösen kommt? Furchtbarer Fall!
Werd’ ich dann nicht in dem Gewölb’ ersticken,
Deß’ gift’ger Mund nie reine Lüste einhaucht,
Und so erwürgt da liegen, wenn er kommt?
Und leb ich auch, könnt, es nicht leicht geschehen.
Daß mich das grause Bild von Tod und Nacht,
Zusammen mit den Schrecken jenes Ortes,
Dort im Gewölbe in alter Kathakombe,
Wo die Gebeine aller meiner Ahnen
Seit vielen hundert Jahren aufgehäuft,
Wo frisch beerdigt erst der blut’ge Tybalt
Im Leichentuch verwest; wo, wie man sagt.
In mitternächt’ger Stunde Geister hausen —
Weh, weh! könnt’ es nicht leicht geschehen, daß ich
Zu früh erwachend – und nun ekler Dunst,
Gekreisch wie von Alraunen, die man aufwühlt,
Das Sterbliche, dies hören, sinnlos macht —
O, wach’ ich auf, werd’ ich nicht rasend werden,
Umringt von all den gräuelvollen Schrecken,
Und toll mit meiner Väter Gliedern spielen ?
Und in der Wuth, mit eines großen Ahnherrn
Gebein zerschlagen mein zerrüttet Hirn?
O seht!i mich dünkt, ich sehe Tybalt’s Geist!
Er späht nach Romeo, der seinen Leib
Auf einem Degen spießte. – Weile, Tybalt!
(Sie setzt das Fläschchen an die Lippen.)
Ich komme, Romeo! Dies trink ich Dir!«
 

Sie that, als ab sie den Trank hinabstürzte, sank dann in sich selbst zusammen und blieb regungslos auf dem Teppich liegen.

Die Illusion war so groß, daß Nelson, der rauhe Seemann, der mit den Stürmen des Oceans vertrauter war als mit den Leistungen der Kunst, ganz vergessend, daß das, was er hier vor sich sah, nur ein Spiel war, einen lauten Schrei ausstieß, auf Emma zustürzte und sie mit seinem einzigen Arm vom Boden aufhob, wie er mit einem Kind gethan haben würde.

Er ward dafür belohnt. Als sie die Augen wieder aufschlug, galt ihr erstes Lächeln ihm. Nun erst begriff er seinen Irrthum und zog sich verlegen in eine Ecke des Salons zurück.

Die Königin folgte ihm und alle Uebrigen umringten die falsche Julie.

Niemals war die Magie der Kunst, wenn auch bis auf diesem Punkte angelangt, über denselben hinausgekommen. Obschon in einer fremden Sprache ausgedrückt, war doch keines der Gefühle, welche das Herz der Geliebten Romeos bewegt, ihren Zuhörern entgangen.

Der Schmerz, als sie nachdem ihre Mutter und ihre Amme sich entfernt sich allein sieht mit der Drohung, das Weib des Grafen Paris werden zu müssen, der Zweifel, als sie, den Trank beschauend, fürchtet, daß es ein Gift sei; der Entschluß, als sie, einen Dolch ergreifend, in ihrer Verzweiflung an das Eisen, das heißt an den Tod, appellieren will; die Angst, als sie fürchtet, in der Familiengruft lebendig vergessen und von den Gespenstern gezwungen zu werden, sich mit in ihren unheiligen Tanz zu mischen; ihr Schrecken endlich, als sie den am Abend vorher begrabenen Tybalt blutig sich erheben zu sehen glaubt, um Romeo niederzustoßen – alle diese verschiedenen Eindrücke hatte sie mit solcher Zauberkraft und solcher Wahrheit wiedergegeben, daß für die Anwesenden die Dichtung zur Wirklichkeit geworden war.

 

Die durch dieses Schauspiel, von welchem die den Geheimnissen der Poesie des Nordens vollständig fremde Gesellschaft bis jetzt keine Ahnung gehabt, aufgeregten Gefühle bedurften einige Zeit, ehe sie sich wieder beruhigten.

Auf das Schweigen der Bestürzung und Betäubung folgte der laute Sturm des Enthusiasmus. Dann kamen die Lobsprüche und die liebenswürdigen Schmeicheleien, welche der Eigenliebe der Künstler so angenehm sind.

Emma, die geboren war, um auf der literarischen Bühne zu glänzen, durch ihr unwiderstehliches Schicksal aber auf die politische Bühne gedrängt worden, ward bei jeder Gelegenheit wieder die feurige, leidenschaftliche Schauspielerin, bereit, ihre Schöpfungen des künstlichen Lebens, welche man Julie, Lady Macbeth oder Cleopatra nennt, in das wirkliche Leben überzutragen.

Dann widmete sie ihrem erloschenen Traum alle Seufzer ihres Herzens und fragte, ob die dramatischen Triumphe einer Siddans und einer Rancourt nicht mehr werth seien als die königlichen Apotheosen der Lady Hamilton.

Dann erwachte in ihr, mitten unter den Lobsprüchen der Zuhörer, ja selbst den Liebkosungen der Königin, eine tiefe Traurigkeit, und wenn sie sich gehen ließ, so verfiel sie in jene Melancholie, welche bei ihr ein neuer verführerischer Reiz war.

Die Königin aber, welche mit Recht glaubte, daß diese Melancholie nicht frei von Sehnsucht und selbst von Reue sei, trieb sie schnell irgend einem neuen Triumph entgegen, von welchem berauscht sie die Augen von der Vergangenheit abwendete, um nur noch in die Zukunft zu schauen.

So faßte sie auch jetzt sie beim Arme und schüttelte sie, wie man thut, um eine Nachtwandlerin aus dem magnetischen Schlafe aufzurütteln.

»Nicht geträumt!« sagte sie zu ihr.

»Du weißt, daß ich dies nicht liebe. Singe oder tanze! Ich habe Dir schon gesagt, daß Du diesen Abend nicht Dir selbst, sondern uns gehörst. Also sing oder tanze!«

»Wenn Ew. Majestät erlaubt,« sagte Emma, »so werde ich singen. Ich spiele diese Scene niemals, ohne nach einige Zeit ein nervöses Zittern zu behalten, welches mich aller physischen Kraft beraubt, dagegen aber meiner Stimme einen ganz besonders ergreifenden Ausdruck gibt. Was soll ich singen? Ich stehe zu Befehl.«

»Singe etwas aus jener Handschrift der Sappho, die man kürzlich im Herculanum gefunden. Hast Du mir nicht gesagt, daß Du mehrere ihrer Dichtungen in Musik gesetzt?«

»Eine einzige, Madame; aber —«

»Was willst Du sagen?« fragte die Königin.

»Dieser Gesang, der eigentlich nur für uns in unsern vertrauten Augenblicken bestimmt ist,« sagte Emma leise.

»Du meinst das Lied auf das geliebte Weib, nicht wahr?« fragte die Königin eben so leise.

Emma lächelte und betrachtete die Königin mit einem eigenthümlichen Ausdruck von Lüsternheit.

»Sehr richtig,« sagte die Königin. »Singe dieses; ich will es.«

Dann, indem sie Emma ganz verblüfft über den Ton, womit sie gesagt: »Ich will es,« stehen ließ, rief sie den Herzog von Rocca Romana, welcher, wie man versicherte, der Gegenstand einer jener zärtlichen und vorübergehenden Launen gewesen, welchen die Semiramis des Südens eben so unterworfen war, wie die Semiramis des Nordens, begann sie, nachdem sie ihn neben sich auf dem Sopha Platz nehmen lassen, mit ihm ein Gespräch, welches, wenn auch mit leiser Stimme geführt, doch nicht wenig lebhaft zu sein schien.

Emma warf einen Blick auf die Königin, verließ rasch den Solon und trat wenige Augenblicke später wieder ein. Sie trug jetzt einen Lorbeerkranz im Haare, einen rothen Mantel auf den Schultern und in ihrem runden Arme jene lesbische Lyra, welche kein Weib wieder zu berühren gewagt, seitdem die Muse von Mitylene sie, indem sie sich vom leukadischen Felsen hinabstürzte, ihren Händen entfallen ließ.

Ein Ruf des Erstaunens entrang sich Aller Munde. Man erkannte sie kaum.

Es war dies nicht mehr die sanfte, portische Julie. Eine verzehrendere Flamme als die, welche die rächende Venus in den Augen Phädras entzündete, sprühte ans ihren Augen.

Mit raschem Schritte, der etwas Männliches hatte, näherte sie sich, indem sie zugleich einen unbekannten Wohlgeruch um sich her verbreitete.

Alle unreinen Leidenschaften des Alterthums, die Myrrhas für ihren Vater, die Pasiphaë’s für den Stier von Kreta, schienen mit ihrer frechen Schminke das Antlitz der Künstlerin übertüncht zu haben. Es war die Jungfrau, welche sich gegen die Liebe empört, erhaben in ihrer verbrecherischen Auflehnung Sie blieb vor der Königin stehen und mit einer Leidenschaft, welche die Saiten der Lyra erdröhnen ließ, als ob sie von Erz wären, sank sie auf einen Sessel und sang nach einer wilden Melodie folgende von ihr in’s Französische übertragene Worte:

 
»Assis à tes côtés, celui-là qui soupire,
Ecoutant de ta voix les sons melodieux,
Celui-là qui te voit, o rage! lui soiire,
Celui-là, je le dis, il est l’egal des dieux!
 
 
»Dès que je t’aperçois, la voix manquae à ma lévre,
ma langue se dessèche et veut en vain parler.
Daus mes tempes en feu j’entends battre la fièvre,
Et me sens tout ensemble et trausir et brûler.
 
 
»Plus pâle que la fleur qui se soutient à peine,
Quand le Lion brûlant la sècha tout un jour.
Je tremble, je pâlis, je reste hors d’haleine,
Et meurs, sans expirer, de désir et d’amour.«
 

(Wer an deiner Seite sitzt, wer seufzend die melodischen Töne deiner Stimme hört; wer, o Wahnsinn! Dich ihm lächeln sieht, der, sage ich, ist den Göttern gleich!

Sobald ich Dich erblicke, mangelt die Stimme meiner Lippe; meine Zunge vertrocknet und will vergebens sprechen. In meinen brennenden Schläfen höre ich das Fieber pochen und fühle, wie flammendes Entzücken mich verzehrt.

Bleicher als die Blume, welche sich kaum aufrecht hält, wenn der glühende Löwe sie einen ganzen Tag gedörrt hat, zittere ich, bleich und athemlos, und sterbe, ohne zu verhauchen, vor Begier und Liebe.)

Mit den letzten Schwingungen ihrer Saiten glitt die Lyra von den Knien der Dichterin auf den Teppich und ihr Kopf neigte sich rückwärts über die Lehne des Sessels.

Die Königin, welche schon von der zweiten Strophe an Rocca Romana von sich entfernt hatte, kam, noch ehe der letzte Vers zu Ende war, herbeigeeilt und richtete in ihren Armen die Sängerin empor, deren Kopf träg auf ihre Schulter sank, als ob sie ohnmächtig wäre.

Diesmal wußte man einen Augenblick lang nicht, ob man applaudieren sollte. In einem Kampfe aber, wo jeder moralische Gedanke der feurigen Exaltation der Sinne weichen mußte, ward die Schamhaftigkeit bald besiegt. Männer und Frauen umringten Emma. Jeder wetteiferte, einen Blick, ein Wort von ihr zu erhaschen, ihre Hand, ihr Haar, ihre Kleider zu berühren.

Nelson that wie die Uebrigen und zitterte noch mehr als diese, denn er war verliebter.

Die Königin nahm den Lorbeerkranz von Emma’s Haupte und setzte ihn auf das Nelson’s.

Er riß ihn, als ob er sich dadurch glühend berührt fühlte, herab und drückte ihn an sein Herz.

In diesem Augenblick fühlte die Königin eine Hand, welche sie am Arm faßte. Sie drehte sich herum; es war Acton.

»Kommen Sie,« sagte er zu ihr, »kommen Sie, ohne einen Augenblick zu verlieren, Gott thut für uns mehr, als wir hoffen konnten.«

»Meine Damen,« sagte die Königin, »in meiner Abwesenheit – denn ich bin gezwungen mich auf einige Augenblicke zu entfernen – in meiner Abwesenheit ist Emma Königin. Ich lasse Ihnen anstatt der Macht das Genie und die Schönheit zurück.«

Dann flüsterte sie Nelson ins Ohr:

»Sagen Sie ihr, sie solle Ihnen den Shawltanz vortanzen, den sie mir vortanzen sollte. Sie wird es thun.«

Dann folgte sie Acton und verließ Emma berauscht von Stolz, und Nelson wahnsinnig vor Liebe.

Siebentes Capitel.
Gott lenkt

Die Königin folgte Aeton, denn sie begriff, daß in der That etwas Ernstes vorgehen mußte, weil er sich erlaubt hatte, sie in so gebieterischer Weise aus dem Solon zu rufen.

In dem Corridor angelangt, wollte sie ihn befragen; er antwortete aber blos:

»Ich bitte, Madame, kommen Sie schnell! Wir haben keinen Augenblick zu verlieren. In einigen Minuten sollen Sie Alles erfahren.«

Acton betrat die Stufen einer kleinen Nebentreppe, welche in die Apotheke des Schlosses hinabführte. In dieser Apotheke fanden die Aerzte und Wundärzte des Königs – Vairo, Troja, Cottugno – ein ziemlich vollständiges Assortiment von Medicamenten, um den Kranken oder Verwundeten, zu welchen sie gerufen worden, die erste nothwendige Hilfe leisten zu können.

Die Königin errieth, wohin Acton sie führte.

»Es ist doch keinem meiner Kinder etwas zugestoßen?« fragte sie.

»Nein, Madame, beruhigen Sie sich,« sagte Acton, »und wenn wir ein Experiment zu machen haben, so können wir es wenigstens in anima vili vornehmen.«

Acton öffnete die Thür. Die Königin trat ein und warf einen raschen Blick in das Zimmer.

Auf einem Bett lag ein Ohnmächtiger.

Mit mehr Neugier als Furcht näherte sie sich demselben.

»Ferrari!« rief sie.

Dann drehte sie sich mit stierem Blick nach Anton herum.

»Ist er todt?« fragte sie in einem Tone, als ob sie gesagt hätte: »Haben Sie ihn umgebracht?«

»Nein, Madame,« antwortete Acton; »er ist nur ohnmächtig.«

Die Königin sah ihn an; ihr Blick verlangte eine nähere Erklärung.

»Mein Gott, Madame,« sagte Arten, »die Sache ist die einfachste von der Welt. Ich schickte verabredetermaßen meinen Secretär zu dem Postmeister von Capua und ließ diesem auftragen, dem Courier Ferrari, wenn dieser durch passierte, zu sagen, daß der König ihn in Caserta erwartete. Der Postmeister richtete dies aus. Ferrari gönnte sich nur so viel Zeit, als er brauchte, um das Pferd zu wechseln. Als er aber unter das große Thor des Schlosses kam, lenkte er, durch die Equipagen unserer Gäste beengt, sein Pferd zu kurz herum; es stürzte und der Reiter schlug mit dem Kopf an einen Eckstein. Man hob den Besinnungslosen auf und ich ließ ihn hierhertragen, indem ich zugleich sagte, man brauche keinen Arzt zu holen, weil ich das Nöthige selbst besorgen würde.«

»Aber,« sagte die Königin sofort auf Actons Gedanken eingehend, »dann brauchen wir nicht mehr ihn zu verführen, oder sein Schweigen zu erkaufen zu suchen. Wir haben nicht mehr zu fürchten, daß er spreche, und dafern er nur so lange ohnmächtig bleibt, daß wir den Brief öffnen, lesen und wieder versiegeln können, so brauchen wir dann weiter nichts. Nur, Sie verstehen dies wohl, Anton, darf er nicht erwachen, während wir bei der Arbeit sind.«

»Dafür habe ich schon gesorgt und bereits an Alles gedacht, woran Sie jetzt denken, Madame.«

»Wie so?«

»Ich habe diesem Unglücklichen zwanzig Tropfen Laudanum eingeflößt.«

»Zwanzig Tropfen.« sagte die Königin. »Ist das auch genug für einen Menschen, der an Wein und starke Getränke gewöhnt ist, wie es dieser Courier sein muß?«

»Sie haben vielleicht Recht, Madame, und man kann ihm noch zehn Tropfen mehr geben.«

Mit diesen Warten träufelte Arton zehn Tropfen von einer gelblichen Flüssigkeit in einen kleinen Löffel und flößte sie dem Bewußtlosen ein.

»Und Sie glauben,« fragte die Königin, »daß in Folge dieses Trankes er jetzt nicht wieder zur Besinnung kommen werde?«

»Wenigstens nicht in dem Grade, daß er sich von dem, was um ihn her vorgeht, Rechenschaft geben könnte.«

»Aber,« sagte die Königin, »ich sehe keine verschlossene Umhängtasche an ihm.«

»Da er ein vertrauter Bote des Königs ist,« sagte Acton, »so bringt dieser bei ihm nicht die gewöhnliche Vorsicht in Anwendung und wenn es sich um eine einfache Depesche handelt, so trägt Ferrari diese und die Antwort in einer inwendig in seiner Weste angebrachten Ledertasche.«

»Lassen Sie sehen,« sagte die Königin, ohne zu zögern.

Acton öffnete die Weste des Couriers, suchte in der betreffenden Tasche und nahm einen Brief heraus, der mit dem Privatsiegel des Kaisers von Oesterreich, das heißt, wie Acton vorausgesehen, mit einem Mark Aurel-Kopfe, verschlossen war.

»Alles geht gut,« sagte Acton.

Die Königin wollte ihm den Brief aus der Hand nehmen, um ihn zu entsiegeln.

»O nein, nein,« sagte Arten, »nicht so!«

Und indem er den Brief zurückzog, hielt er ihn in einer gewissen Höhe über die brennende Kerze, das Siegel ward allmälig weich, und eine der vier Ecken hob sich.

Die Königin fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

»Was werden wir lesen?« sagte sie.

Acton zog den Brief aus dem Couvert, verneigte sich und überreichte ihn der Königin.

Diese schlug den Brief auseinander und las laut:

 

»Schönbrunn den 28. September 1798.

»Werthgeschätzter Bruder, Cousin, Onkel und Bundesgenosse.

»Ich antworte Eurer Majestät eigenhändig, ebenso wie Sie mir geschrieben haben. Meine, mit dem meines Hofkriegsrathes übereinstimmende Meinung ist, daß wir den Krieg gegen Frankreich nicht eher beginnen dürfen, als bis wir alle Möglichkeiten des Erfolgs beisammen haben, und eine dieser Aussichten, auf welche es mir erlaubt ist zu rechnen, ist die Mitwirkung der vierzigtausend Mann russischer Truppen unter dem Feldmarschall Suwarow, dem ich das Obercommando unserer Armeen zu übertragen gedenke. Diese vierzigtausend Mann werden aber erst gegen Ende März hier sein. Suchen Sie, mein werthgeschätzter Bruder, Cousin und Onkel, daher Zeit zu gewinnen und verzögern Sie die Eröffnung der Feindseligkeiten durch alle möglichen Mittel. Ich glaube nicht, daß Frankreich eher als wir Lust hat, Krieg zu führen. Benutzen Sie diese friedliche Stimmung. Geben Sie für das, was geschehen, einen guten oder schlechten Grund an, und im Monat April werden wir dann mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln den Feldzug beginnen

»Somit und da das Gegenwärtige keinen andern Zweck hat, mein viel geliebter Bruder, Cousin, Onkel und Bundesgenosse, bitte ich Gott, Sie in seinen heiligen Schutz zu nehmen.

»Franz.«

»Das ist aber etwas ganz Anderes, als wir erwarteten,« sagte die Königin.

»Was mich betrifft, Madame,« entgegnete Acton, »so habe ich niemals geglaubt, daß Se. Majestät der Kaiser vor nächstem Frühling einen Feldzug beginnen würde.«

»Was sollen wir nun thun?«

»Ich erwarte Ew. Majestät Befehle.«

»Sie kennen, General, die Gründe, aus welchen ich einen sofortigen Krieg wünsche.«

»Wollen Ew. Majestät auch die Verantwortlichkeit dafür übernehmen?«

»Welche Verantwortlichkeit soll ich bei einem solchen Briefe übernehmen?«

»Der Brief des Kaisers wird sein, was wir wünschen, daß er sei.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Das Papier, sagt das Sprichwort, ist geduldig, und man kann es sagen lassen, was man will. Die ganze Frage ist, zu berechnen, ob es besser ist, den Krieg sofort oder erst später zu beginnen, anzugreifen oder zu warten, bis wir angegriffen werden.«

»Hierüber kann nach meiner Ansicht nur eine Meinung zwischen uns herrschen. Wir kennen den Zustand, in welchem sich die französische Armee befindet. Gegenwärtig kann sie uns nicht widerstehen; wenn wir ihr aber Zeit lassen, sich zu organisieren, so sind wir es, die keinen Widerstand werden leisten können.«

»Und mit diesem Briefe halten Sie es für unmöglich, daß der König in’s Feld rücke?«

»Der Königs Dieser wird nur zu froh sein, einen Vorwand zu finden, um in Neapel bleiben zu können«

»Dann, Madame, kenne ich nur ein Mittel,« sagte Acton in entschlossenem Tone.

»Welches?«

»Es besteht darin, daß wir den Brief das Gegentheil von dem sagen lassen, was er jetzt sagt.«

Die Königin faßte Acton beim Arme.

»Ist dies möglich?» fragte sie, indem sie ihn starr ansah.

»Nichts leichter, als dies.«

»Erklären Sie mir es. – Doch warten Sie.«

»Warum?«

»Hörten Sie nicht« wie dieser Mensch stöhnte?«

»Was kommt weiter darauf an?«

»Er richtet sich auf seinem Bette empor.«

»Aber nur, um wieder niederzusinken; sehen Sie.«

Und in der That sank der unglückliche Ferrari ächzend auf seinem Bette zurück.

»Also Sie sagten?« hob die Königin wieder an.

»Ich sage, das Papier dieser Depesche ist dick, farblos und nur auf einer Seite beschrieben.«

»Nun, und?«

»Nun, mit Hilfe einer Säure kann man die Schrift entfernen, indem man von der Hand des Kaisers blos die drei letzten Zeilen und die Unterschrift stehen läßt. Dann kann man statt der ausgetilgten Schrift anstatt des Rathes, die Feindseligkeiten erst im Monate April zu beginnen, die Aufforderung hineinschreiben, dieselben unverweilt zu eröffnen.«

»Aber was Sie mir da vorschlagen, General, ist etwas sehr Bedenkliches.«

»Deshalb sagte ich auch, daß es nur der Königin zukomme, eine solche Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen.«

Die Königin dachte einen Augenblick nach, ihre Stirn runzelte sich, ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, ihr Auge gewann einen harten Ausdruck, ihre Hand ballte sich.

»Es ist gut,« sagte sie. »Ich übernehme die Verantwortlichkeit.«

Acton sah sie an.

»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich die Verantwortlichkeit übernehme; an’s Werk!«

Acton näherte sich dem Bett des Verwundeten, fühlte ihm an den Puls, drehte sich dann nach der Königin herum und sagte:

»Unter zwei Stunden wird er nicht wieder zu sich kommen.«

»Bedürfen Sie etwas?« fragte die Königin, als sie bemerkte, daß Arton sich umschaute.

»Ich brauche ein Kohlenbecken, Feuer und ein Plätteisen.«

»Weiß man, daß Sie hier bei dem Verwundeten sind?«

»Ja.«

»Nun dann klingeln Sie und verlangen Sie die Gegenstände, deren Sie bedürfen.«

»Aber man weiß nicht, daß Sie hier sind, Majestät.«

»Das ist wahr,« sagte die Königin.

Und sie versteckte sich hinter den Fenstervorhang.

Acton klingelte.

Es war nicht ein Diener, welcher eintrat, sondern sein Secretär.

»Ah, Sie sind es, Dick?« sagte Acton.

»Ja, gnädiger Herr. Ich glaubte, Sie bedürften etwas, was Ihnen ein Diener, vielleicht nicht schaffen könnte.«

»Sie haben Recht. Verschaffen Sie mir vor allen Dingen und so schnell als möglich ein Becken, glühende Kohlen und ein Plätteisen.«

»Ist dies Alles, gnädiger Herr?«

»Ja, für den Augenblick. Sie werden sich aber nicht entfernen, denn ich werde Ihrer wahrscheinlich später wieder bedürfen.«

Der junge Mann verließ das Zimmer, um die empfangenen Befehle auszuführen, und Acton schloß die Thür hinter ihm.

»Sind Sie dieses jungen Mannes sicher?« fragte die Königin.

»Wie meiner selbst, Madame.«

»Wie heißt er?«

»Richard Menden.«

»Aber Sie nannten ihn ja Dick.«

»Dies ist die englische Abkürzung von Richard.«

»Ja, das ist wahr.«

Fünf Minuten später hörte man Jemanden die Treppe heraufkommen.

»Es ist Richard,« sagte Acton, »und Sie brauchen sich daher nicht wieder zu verstecken, Madame. Uebrigens werden wir seiner auch sogleich bedürfen.«

»Warum?«

»Wenn es sich darum handelt, den Brief umzuschreiben, so kann dies weder von Eurer Majestät noch von mir geschehen, weil der König unsere Handschriften kennt. Wir müssen uns zu diesem Zwecke vielmehr dieses jungen Mannes bedienen.«

»Sie haben Recht.«

Die Königin setzte sich so, daß sie der Thür den Rücken zukehrte.

Der junge Mann trat mit den drei verlangten Gegenständen ein, die er in der Nähe des Kamins niedersetzte. Dann ging er wieder hinaus, ohne, wie es schien, bemerkt zu haben, daß eine Person im Zimmer war, welche er bei seinem ersten Eintreten nicht gesehen.

Acton verschloß die Thür zum zweiten Mal hinter ihm, legte das Plätteisen auf die Kohlen, öffnete den Schrank, in welchem sich die Apotheke befand, nahm aus derselben ein kleines Fläschchen mit Oxalsäure, schnitt von einer Schreibfeder die Fahne ab, um mit derselben die Flüssigkeit auf das Papier zu streifen, faltete den Brief so, daß die drei letzten Linien die kaiserliche Unterschrift von jeder Berührung der Flüssigkeit frei bleiben mußten, goß dann die Säure auf den Brief und strich sie mit der Feder gleichmäßig nach allen Richtungen.

Die Königin verfolgte diese Operation mit einer Neugier, die nicht ganz frei von Unruhe war, denn sie fürchtete, daß das Experiment gar nicht oder doch nicht in geeigneter Weise gelingen würde. Zu ihrer großen Befriedigung aber sah sie unter der Einwirkung der Flüssigkeit die Tinte erst gelb, dann grau werden und zuletzt ganz verschwinden.

Acton zog sein Tuch aus der Tasche, ballte es zusammen und betupfte den Brief damit.

Nachdem dies geschehen, war das Papier vollkommen weiß geworden. Aeton nahm das Plätteisen, legte den Brief auf ein Heft Papier und bügelte ihn, wie man ein Stück Wäsche plättet.

»So,« sagte er; Während nun das Papier vollends trocknet, wollen wir die Antwort Sr. Majestät des Kaisers von Oesterreich abfassen.«

Die Königin war es, welche diese Antwort diktierte.

Dieselbe lautete Wort für Wort folgendermaßen:

»Schönbrunn, den 28. September 1798.

»Werthgeschätzter Bruder, Cousin, Onkel und Bundesgenosse!

»Nichts konnte mir angenehmer sein, als der Brief, welchen Sie mir geschrieben und, in welchem Sie mir versprechen, sich in allen Dingen nach meinem Rathe zu richten.

»Die Nachrichten, welche ich aus Rom erhalten, melden mir, daß die französische Armee dort sich in dem erbärmlichsten Zustande befindet. Mit der Armee von Oberitalien ist ganz dasselbe der Fall.