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El Salteador

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Ich erbot mich der Führer zu seyn und sie nahmen mich an. Das Uebrige wisset Ihr.«

»Und habt Ihr eure Mutter wieder gesehen?« fragte Dona Flor.

»Ich danke Euch,« sagte der Salteador, »Ihr seht in mir noch den Menschen.« Das Mädchen schlug die Augen nieder.

»Ja,« sagte et, »ich habe sie wieder gesehen, nicht einmal, sondern zehn-, zwanzigmal. Meine Mutter ist das einzige Band zwischen mir und der Welt. Einmal monatlich, aber nicht am bestimmten Tage, denn Alles hängt von der Wachsamkeit um uns her ab, in der Nacht verlasse ich das Gebirge, gehe in der Kleidung eines Gebirgsbewohners, von einem großen Mantel umhüllt, über die Vega und gelange ungesehen, bisher wenigstens unerkannt, in jenes Haus, das mir nie so theuer gewesen als seit ich aus ihm verbannt, steige die Treppe hinauf, öffne die Thür meiner Mutter, schleiche an ihr Bett und wecke sie mit einem Kusse.

»Dann setze ich mich zu ihr und verbringe die Nacht wie in meiner Kindheit, so, daß meine Hand in ihrer Hand, mein Kopf an ihrer Brust ruht.

»Ist die Nacht vergangen unter Gesprächen von frühern Tagen, von der Zeit, in der ich unschuldig und glücklich war, so küßt die Mutter mich aus die Stirn und mir ist es, als versöhne mich dieser Kuß mit der Natur, mit den Menschen, mit Gott.«

»Vater, Vater, hört Ihr?« fragte Dona Flor, indem sie die Thränen abwischte, die über ihre Wangen rollten.

»Ihr werdet eure Mutter wieder sehen,« sagte Don Inigo, »und nicht in der Nacht, nicht verstohlen, sondern am Tage, im Angesichte Aller; ich gebe Euch darauf mein Wort.«

»O,« flüsterte Dona Flor, indem sie den Vater umarmte, »Ihr seyd gütig, sehr gütig.«

»Don-Fernand!« rief jetzt das Zigeunermädchen wieder und zwar im Tone der lebhaftesten Besorgniß, »was ich zu sagen habe, ist sehr wichtig; um Gottes willen, hört mich an.«

Wie das erste Mal, aber mit noch gebieterischerer Geberde, winkte ihr der Salteador zu warten.

»Wir verlassen Euch nun, Señor,« sagte Don Inigo, »und nehmen die Erinnerung an eure Freundlichkeit mit uns.«

»So verzeiht Ihr mir?« fragte der Salteador in dem ihm unbegreiflichen Gefühle, das ihn zu Don Inigo hinzog.

»Wir verzeihen Euch nicht blos, sondern wir halten uns Euch verpflichtet, und wir werden Euch mit Gottes Hilfe, ich namentlich, einen Beweis unserer Dankbarkeit geben.«

»Ach ja,« fiel Dona Flor ein, »wenn ich es konnte, würde ich Euch auch einen Beweis geben . . .«

Sie sah sich um, als suche sie nach einem sichtbaren Beweis, durch den sie ihre Dankbarkeit zu erkennen geben könnte.

Der Salteador errieth ihre Absicht. Er sah auf dem Teller den Strauß, den Amapola für Don Ramiro gepflückt hatte, nahm den Teller und reichte ihn Dona Flor.

Sie sah ihren Vater fragend an.

Don Inigo nickte zustimmend. Da nahm sie eine Blume aus dem Strauße, eine Anemone, eine Blume der Trauer.

»Mein Vater hat Euch versprochen, Euch sein Lösegeld zu zahlen, hier ist das meinige.«

Sie reichte die Blume dem Salteador.

Dieser nahm die Blume, hielt sie ehrerbietig an seine Lippen, barg sie dann an seinem Busen und schloß das Wamms darüber.

»Auf Wiedersehen,« sagte Don Inigo, »und bald, wie ich voraus zu versichern wage.«

»Gott stehe Euch bei in seiner Barmherzigkeit, Senior,« antwortete der Salteador, der leiser hinzu setzte:

»Ihr seyd frei, geht hinweg und wer sich nicht zehn Schritte von eurem Wege entfernt, ist des Todes.«

Don Inigo ging mit seiner Tochter hinaus.

Der Salteador sah sie, ohne sich von der Stelle zu rühren, aus dem Fenster nach dem Hofe zu die Maulthiere wieder besteigen und aus der Venta reiten.

Dann nahm er die Anemone von der Brust und küßte sie zum zweiten Male mit einem Ausdrucke, der nicht zu mißdeuten war.

Eine Hand legte sich da auf seine Achsel.

Ginesta war es, die geräuschlos durch das Fenster gestiegen war und die Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, welche der Salteador ihr im Beiseyn der Reisenden nicht hatte gewähren wollen.

Sie sah todtenbleich aus.

»Was willst Du von mir?« fragte der Salteador.

»Dir sagen, daß die Soldaten des Königs jetzt noch etwa eine Viertelstunde von hier sind und daß Du angegriffen werden wirst, ehe zehn Minuten vergehen.

»Weißt Du das gewiß, Ginesta?« fragte der Salteador die Stirn runzelnd.

Man hörte in diesem Augenblicke Schüsse knallen.

»Hörst Du?« fragte Ginesta.

»Zu den Waffen!« rief der Salteador, indem er hinaus eilte. »Zu den Waffen!«

Neuntes Capitel.
Die Eiche der Dona Mercedes

Folgendes war geschehen:

Don Inigo hatte von Truppen gesprochen, denen er begegnet, und deren Führer er kenne.

Die Banditen ihrerseits hatten, wie man sich erinnert, lächelnd anerkannt, daß die Truppen am vorigen Tage da vorüber gekommen.

Diese Truppen, etwa vierhundert Mann, hattest den Befehl das Gebirge zu durchsuchen und um jeden Preis dasselbe von den Banditen zu säubern.

Es war ein Preis von hundert Philippdor auf jeden Banditen gesetzt, den man todt oder lebendig der Behörde einliefere, tausend dagegen auf den Hauptmann.

Der König Don Carlos hatte geschworen, dem Räuberwesen in Spanien ein Ende zu machen und die Banditen von Sierra zu Sierra bis endlich in das Meer zu drängen.

Seit dritthalb Jahren befand er sich in Spanien und er hatte diesen Plan mit der zähen Ausdauer verfolgt, welche ihn charakterisirte; die letzten Banditen waren in der Sierra Nevada gewesen, die an das Meer grenzt.

Die Verwirklichung seines Willens war also nahe.

Der Commandant, welcher die am Tage vorher abgegangene Abtheilung führte, hatte sich begnügt die Wege zu mustern. Er hatte auf denselben nichts Besonderes gefunden als eine Venta, an welcher seine Truppen Halt machten und sich stärkten, aber in der Venta befand sich nur der Wirth mit den gewöhnlichen Leuten eines andalusischen Hostalero; dieser Hostalero hatte ein offenes ehrliches Gesicht und ein freundlicheres Wesen, als man es bei einem spanischen Wirthe gewöhnlich findet; nichts deutete darauf hin, daß die Venta als Sammelplatz diene, und der Führer gab deshalb Befehl weiter zu marschieren.

Er war bis Alama gekommen, ohne auf etwas Außergewöhnliches zu stoßen, mit Ausnahme der mehr oder minder zahlreichen Kreuze am Wege; aber die Kreuze sind in Spanien etwas so Gewöhnliches, daß die Soldaten nicht sonderlich darauf achteten.

In Alama hatte sich der Commandant der Truppen erkundigt und man hatte ihm gerathen, seine ganze Aufmerksamkeit auf die Venta »zum Maurenkönig« zu richten, welche der Mittelpunkt der Operationen der Räuber und ihr Schlupfwinkel sey.

Der Commandant war in Folge davon sofort umgekehrt.

Die Entfernung von Alama und der Venta »zum Maurenkönig« betrug sechs Stunden und die Hälfte des Weges war von den Truppen bereits zurück gelegt, als sie den Diener Don Inigo’s blutend daher galoppiren kommen sahen und um Hilfe rufen hörten.

Er erzählte was geschehen war.

Der Commandant war, wie Don Inigo gesagt, ein Bekannter desselben, und als er von der Gefahr hörte, die dem Freunde und der schönen Tochter desselben drohe, befahl er im Geschwindschritt weiter zu eilen.

Ginesta hatte von dem Felsen aus, auf dem sie geblieben, die Soldaten heran kommen sehen. Sie ahnte was dieselben wieder herbei führte, zitterte für die Sicherheit des Salteador, lief sogleich nach der Venta, ging durch die Gartenthür, wie es Don Fernand vor ihr gethan hatte, gelangte an das Fenster, durch das er eingestiegen war, und hörte und sah hier was zwischen ihm und dem Gefangenen, besonders zwischen Fernand und Dona Flor vorging.

Wir haben gesehen, daß Ginesta, nachdem sie lange gewartet, todtenbleich endlich durch das Fenster gestiegen war und dem Salteador die Ankunft der königlichen Truppen gemeldet hatte.

Der Salteador war hinaus geeilt und hatte gerufen: »Zu den Waffen!«

Er glaubte seine Genossen in der Küche zu finden, aber die Küche war leer.

Er eilte in den Hof, auch da befand sich Niemand.

Wenige Schritte brachten ihn an das Thor der Venta.

An dem Thore lag ein Gewehr am Boden und daneben ein im sechzehnten Jahrhundert gebräuchliches Bandelier, an welchem fertige Patronen hingen.

Er hob das Gewehr auf, hing das Bandelier um und sah umher nach seinen Cameraden.

Die Schüsse, welche man kurz vorher gehört, hatten sich nicht wiederholt, ein Beweis, daß die, gegen welche dieselben gerichtet gewesen, keinen Widerstand geleistet hatten.

Da mit einem Male erblickte der Salteador auf dem Gipfel eines Hügels den Vortrab der königlichen Truppen.

Er wendete sich um, um zu sehen, ob er ganz verlassen sey.

Nur Ginesta stand hinter ihm, bleich, mit gefalteten Händen; sie beschwur ihn mit der beredten Geberde der Angst zu entfliehen.

»Ich muß es wohl, sagte der Salteador, »da die Elenden mich verlassen haben.«

»Vielleicht finden sie sich im Gebirge wieder zu Dir,« wagte Ginesta schüchtern zu bemerken.

Diese Möglichkeit belebte die Hoffnung Don Fernando‘s wieder.

»Ja, das ist möglich,« sagte er.

Er kehrte in den Hof zurück, schloß das massive Thor und legte einen schweren Eisenstab an.

Mit Ginesta trat er sodann wieder in die Küche; aus der Küche ging er in ein kleines Gemach und hier hob er eine Fallthüre auf, die er fallen ließ, als die kleine Zigeunerin hindurch gegangen war; darauf schloß er die Fallthüre mit einem Riegel und ohne Licht außer dem schwachen Schimmer der brennenden Lunte betrat er die Treppe und nach dieser den daranstoßenden Gang.

Nach fünf Minuten gelangten beide, der Salteador und das Zigeunermädchen, an das andere Ende des Ganges, wo Fernando mit seinen kräftigen Schultern eine zweite Fallthüre hob, die außen durch einen stachen moosbewachsenen Stein bedeckt war.

Die Flüchtigen befanden sich im Gebirge.

 

Der Salteador athmete tief.

»Ah!« sagte er. »Hier ist man frei.«

»Ja,« antwortete Ginesta, »aber wir wollen keine Zeit verlieren.

»Wohin willst Du gehen?«

»Zu der Eiche der Dona Mercedes.«

Fernand erbebte.

»Nun,« sagte er dann, »vielleicht bringt mir die Jungfrau, unter deren Schutze sie steht, Glücke.«

Beide, oder vielmehr alle Drei, denn die Ziege war auch dabei, traten in das Dickicht hinein und hüteten sich einen andern Weg zu gehen als die, auf welchen die wilden Thiere gegangen waren.

Diese Wege waren in der That vollkommen gebahnt, aber man mußte auf denselben gleich den Thieren mit tief gesenktem Kopfe gehen, ja bisweilen, wo die Zweige tief herunter reichen, unter denselben hinkriechen; dagegen gewährten sie auch vollkommene Sicherheit.

So gingen sie drei Viertelstunden, in welchen sie vielleicht eine Viertelmeile zurück legten. Andere, an solche Wege nicht gewöhnt, würden diese Viertelmeile kaum in einem ganzen Tage zurückgelegt haben.

Je weiter sie kamen, um so undurchdringlicher wurde das Dickicht; obwohl weder Fernand noch Ginesta im mindesten zögerten. Man sah es ihnen an, daß sie nach einem wohlbekannten Ziele zugingen. Endlich gelangten sie auf eine kleine Lichtung von, etwa zwanzig Fuß im Durchmesser, in deren Mitte eine Eiche stand, deren Stamm in einem Schrein von vergoldetem Holze eine kleine Bildsäule der heiligen Mercedes trug, der Schutzpatronin der Mutter Fernands.

Fernand hatte diesen Baum, in dessen Schatten er oft geträumt und geschlafen und den er sein Sommerhaus nannte, unter den Schutz der Patronin seiner Mutter oder vielmehr seiner Mutter selbst gestellt, die er viel höher achtete oder verehrte als die Heilige.

Die beiden Fliehenden waren am Ziele ihrer Wanderung angekommen und befanden sich da, für den Augenblick wenigstens, in Sicherheit, wenn sie nicht verrathen wurden.

Wir sagen, »wenn sie nicht verrathen wurden,« denn die Banditen kannten diesen Zufluchtsort ihres Hauptmannes, wenn sie auch ungerufen nie dahin kamen; es war eine Art Asyl, wo Fernand in seinen Augenblicken der Schwermuth an die verschwundene Welt der Vergangenheit dachte und in seinen Mantel gehüllt, am Boden ausgestreckt, durch die Blätter der Eiche hindurch ein Stückchen des Himmels suchte, der über ihm sich ausbreitete, blau wie die Flügel der Hoffnung, und die heitern Erinnerungen aus seiner Kindheit ausrief, die so grell von denen abstachen, die er als junger Mann für sein Alter sammelte.

Wenn er einen Befehl zu geben, eine Nachricht zu erhalten hatte, so nahm er ein durch einen Mauren wunderbar schön gearbeitetes Horn aus dem hohlen Baume, entlockte demselben einen geltenden langgedehnten Ton, wenn er einen seiner Gefährten sehen wollte, zwei Töne, wenn er zehn Mann wünschte, drei, wenn er die ganze Bande berief.

Nachdem er die Lichtung betreten hatte, ging er zunächst zu dem Heiligenbilde, dem er die Füße küßte, dann kniete er nieder, verrichtete ein kurzes Gebet, während die noch halb heidnische Ginesta ihm zusah, stand auf, ging ein Stück um den Baum herum, nahm aus der Höhlung das erwähnte hölzerne Horn, hielt es an seine Lippen und zog aus demselben drei so durchdringende, so lang gedehnte Klänge wie die, welche fünf Stunden von Roncevaur Carl den Großen inmitten seines Heeres erschreckten, als er plötzlich anhielt und sagte: »Mein Neffe ruft mich zu Hilfe.«

Die drei Klänge verhallten und – Niemand kam.

Annehmen ließ sich nicht, daß die Banditen es nicht hörten; das Horn Fernands hatte sein Echo über eine Stunde weit im Gebirge.

Die Banditen waren also entweder gefangen oder sie verriethen ihren Hauptmann oder sie hatten sich überzeugt, daß gegen die Ueberzahl jeder Widerstand nutzlos sey und hielten es für klüger vereinzelt zu bleiben und einzeln zu fliehen.

Fernand stand eine Viertelstunde lang an der Eiche gelehnt und wartete auf den Erfolg seines Rufes; da aber Alles um ihn her still blieb, warf er seinen Mantel auf den Boden und legte sich darauf.

Ginesta setzte sich zu ihm.

Fernando sah sie mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit an – nur die kleine Zigeunerin war ihm treu geblieben.

Ginesta lächelte sanft.

In diesem Lächeln lag ein Versprechen ewiger Hingebung.

Fernand streckte den Arm aus, faßte den Kopf der Zigeunerin mit seiner Hand und küßte die Stirn.

In dein Augenblicke, als die Lippen des Salteadors und die Stirn Ginesta’s einander berührten, stieß die Letztere einen Schrei aus, in dem fast so viel Schmerz als Freude lag.

Es war die erste Liebkosung, die sie von Fernand empfing.

Einige Augenblicke saß sie mit geschlossenen Augen da, den Kopf an den Eichstamm gelehnt, mit offenem Munde und athemlos, als sey sie ohnmächtig geworden.

Fernand sah sie anfangs mit Verwunderung, dann besorgt, dann liebreich an.

»Ginesta,« sagte er.

Die Zigeunerin hob den Kopf empor wie ein Kind, das durch die Stimme der Mutter aus dem Schlafe geweckt wird, schlug langsam die schönen Augen auf, sah den Salteador an und flüsterte:

»Ach, mein Gott!«

»Was ist Dir?« fragte Fernand.

»Ich weiß es nicht,« antwortete das Mädchen, »aber mir war es als müsse ich sterben.«

Sie stand auf, ging wankend und langsam von der Eiche der Dona Mercedes hinweg und verschwand in dem Gebüsche. Sie hielt dabei ihren Kopf mit beiden Händen und schien in Thränen ausbrechen zu wollen, obgleich sie nie im Leben in gleicher Weise sich glücklich gefühlt hatte.

Der Salteador sah ihr nach, bis sie verschwunden war, da aber ihre Ziege nicht folgte, sondern bei ihm blieb, so schloß er, das Mädchen sey nicht weit gegangen.

Er seufzte, hüllte sich in seinen Mantel und schloß die Augen, als wolle er schlafen.

Nach etwa einer Stunde, die er schlafend oder in tiefen Gedanken verbracht, hörte er sich ängstlich, aber liebreich rufen.

Die Zigeunerin stand neben ihm im Halbdunkel und zeigte nach Westen.

»Nun,« fragte Fernand, »was gibt es es?«

»Siehe, Fernand,« antwortete die Zigeunerin.

»O,« sagte der Salteador, indem er rasch aufsprang, »die Sonne geht heute sehr roth unter, das kündet Blut für morgens.«

»Du irrst Dich,« entgegnete Ginesta, »das ist nicht der Schein der untergehenden Sonne.

»Was ist es sonst?« fragte der Bandit, der ein Knistern in der Ferne zu hören glaubte.

»Es ist der Widerschein einer Feuersbrunst,« antwortete die Zigeunerin. »Es ist Feuer im Gebirge.«

In diesem Augenblicke jagte ein Hirsch mit seiner Kuh und seinem Kalb pfeilschnell vorüber, von Westen nach Osten.

»Komm, Fernand,« sagte Ginesta; »das Gefühl dieser Thiere ist sicherer als die Klugheit des Menschen; sie zeigen uns, wohin wir fliehen müssen, und daß kein Augenblick zu verlieren ist.«

Das war ohne Zweifel auch die Meinung Fernands, denn er warf das Horn um, hüllte sich in seinen Mantel, nahm seine Muskete und eilte dem Hirsche nach.

Ginesta und die Ziege voraus.

Zehntes Capitel.
Das Feuer im Gebirge

Der Salteador, die Zigeunerin und die Ziege gingen so etwa fünfhundert Schritte, mit einem Male aber blieb die Ziege stehen, stellte sich auf die Hinterbeine, witterte umher und schien ungewiß zu seyn.

»Nun, Maza, was gibt’s?« fragte das Mädchen.

Die Ziege schüttelte den Kopf, als hätte sie die Rede verstanden und meckerte, als wollte sie antworten.

Der Salteador horchte und roch. Die Luft war voll Harzduft.

Das Dunkel war so dicht, als es in Spanien in einer schönen Sommernacht seyn kann.

»Es ist mir als hörte ich knistern und spürte ich den Rauchgeruch. Sollten wir uns geirrt haben und dem Brande entgegen gegangen seyn, statt vor ihm zu fliehen?«

»Dort war der Brand,« antwortete Ginesta, indem sie nach Westen zeigte, »und wir haben uns ziemlich in gerader Linie von ihm entfernt.«

»Bist Du deiner Sache gewiß?«

»Siehe den Stern Aldebar an; er war und ist noch zu unserer Rechten. Das Feuer muß an zwei Orten im Gebirge begonnen haben.

»Begonnen haben oder angesteckt seyn,« flüsterte Fernand, der die Wahrheit zu ahnen begann.

»Warte,« sagte Ginesta, »ich will es Dir sagen.«

Die Tochter des Gebirges, der das Gebirge mit seinen Schluchten und Zacken, mit seinen Dickichten, Thalern und Höhlen so bekannt war, wie einem Kinde der Park des Schlosses, in dem es ausgewachsen ist, eilte vor, erreichte den Fuß eines fast gerade empor steigenden Felsenkegels, kletterte an demselben hinauf und stand bald auf dem Gipfel wie eine Statue auf dem Piedestal.

Sie hatte kaum fünf Minuten nöthig gehabt, um hinauf zu steigen, sie brauchte kaum eine zum Herabsteigen.

»Nun?« fragte der Salteador.

»Ja,« antwortete sie.

»Feuer?«

»Feuer,« sagte sie,, dann zeigte sie nach Süden und setzte hinzu; »dorthin; wir müssen da hindurch, ehe die beiden Enden der Flamme einander erreichen.«

Je weiter man nach Süden kam, um so üppiger und dichter wurde die Vegetation; gewaltiges Brombeergebüsch war es, in welchem sich gewöhnlich die Wildschweine, die Wölfe und wilden Katzen aufhalten; die schwachen Thiere, die Hirsche und Rehe, wagten sich selten aus das Gebiet ihrer furchtbaren Feinde, gleichwohl sah man jetzt gleich fahlen Blitzen scheue Heerden dieser Thiere vorüber jagen, welche das Feuer aufgeschreckt hatte und die in der Richtung hin flohen, welche ihnen einen Durchgang zu gewähren schien.

»Hierher! Hierher!« sagte Ginesta. »Fürchte nichts, Fernand, da ist unser Führer.«

Sie zeigte nach dem dreifarbigen Sterne, nach dem sie die Flucht richtete.

»So lange er so weit zu unserer Linken ist, als er eben zu unserer Rechten war,« fuhr die Zigeunerin fort, »sind wir auf gutem Wege.«

Nach etwa zehn Minuten verschleierte sich der Stern.

»Ah,« sagte Fernand, »sollen wir ein Gewitter bekommen? Es würde ein schönes Schauspiel seyn, dies Feuer mit dem Wasser des Himmels im Gebirge kämpfen zu sehen.«

Ginesta aber war stehen geblieben. Sie ergriff die Hand Fernands und sagte:

»Den Stern verhüllt keine Wolke.«

»Was sonst?«

»Der Rauch.«

»Nicht möglich. Der Wind kommt aus Mittag.«

In diesem Augenblicke jagte ein Wolf heulend, mit leuchtenden Augen dicht an den beiden Fliehenden von Süden nach Norden vorüber, ohne aus die Ziege zu achten.

Die Ziege achtete auch nicht auf den Wolf; sie schien eine andere Gefahr zu ahnen.

»Das Feuer! Das Feuer!« rief Ginesta aus. »Wir kommen zu spät; eine Feuerwand erhebt sich vor uns.«

»Warte,« sagte Fernand, »wir wollen nachsehen.«

Er ergriff die ersten Zweige einer Tanne und schwang sich hinaus auf den Baum.

Kaum aber hatte sein Fuß die Erde verlassen, als sich ein schreckliches Brummen über ihm erhob.

Ginesta zog Fernand erschrocken zurück und wies auf eine dunkle Masse etwa fünfzehn Fuß über ihm auf dem Baume.

»Ah,« « sagte Fernand, »wenn Du auch brummst, alter Bär von Malahacen, Du wirst das Feuer nicht aushalten und eben so wenig mich zurück treiben. Wenn ich Zeit hätte . . .«

»Nach Norden! Nach Norden!« rief Ginesta. »Es ist der einzige noch offene Weg.«

Alle Bewohner des Waldes, Hirsche und Rehe, Wildschweine, Wölfe, Luchse, flüchteten nach der einzigen Seite hin, an welcher die Flammen sich noch nicht zeigten. Scharen von Rebhühnern flogen vor dem Feuer auf, hin und her, an die Bäume an und fielen betäubt vor den Fliehenden nieder, während die Nachtvögel, Fürsten der Dunkelheit, mit heiserem Geschrei den seltsamen Tag begrüßten, welcher von der Erde auszugehen, statt vom Himmel herabzukommen schien.

»Komm, Fernand, komm!« rief Ginesta.

»Wohin? Nach welcher Seite?« fragte Fernand, der wirklich zu erschrecken anfing, vielleicht weniger um sich als um das Mädchen, das aus Anhänglichkeit an ihn eine Gefahr theilte, welche sie hätte vermeiden können, wenn sie in der Venta geblieben wäre.

»Hierher! Hierher! Da haben wir den Nordstern vor uns. Uebrigens folgen wir der Ziege, die ihr Instinct leitet.«

Und sie liefen in der Richtung hin, welche ihnen nicht blos das Thier, ihr Fluchtgeführte, sondern die wilden Thiere andeuteten, die dahin jagten, wie von dem heißen Athem des Sirocco gejagt.

Plötzlich blieb die Ziege stehen.

»Es ist nutzlos weiter zu fliehen,« sagte Fernand; »wir sind ringsum von Feuer umgeben.«

Er setzte sich auf einen Felsen, als halte er es für unnöthig weiter zu gehen.

Das Mädchen ging noch hundert Schritte weiter, wie um sich zu überzeugen, ob Fernand die Wahrheit gesagt habe, da aber ihre Ziege anfangs zurück und endlich ganz stehen blieb, kehrte sie zu Fernand um, der den Kopf auf die Hände gestützt hatte und entschlossen zu seyn schien, ohne einen Schritt weiter zu geben, die Entwickelung des schrecklichen Ereignisses abzuwarten.

 

Ein Zweifel konnte übrigens nicht mehr aufkommen: im Umkreise von etwa einer Stunde sah der Himmel durch eine Rauchwolke hindurch blutroth aus.

Man hörte ein grausiges Zischen, das schnell näher und näher kam, zum Zeichen des Fortschreitens des Brandes.

Das Mädchen blieb einen Augenblick neben dem Salteador stehen, den sie mit Blicken inniger Liebe betrachtete.

Wer in ihren Gedanken hätte lesen können, würde darin vielleicht die Furcht vor einer so verzweiflungsvollen Lage, gewiß aber den geheimen Wunsch gefunden haben, den jungen Mann in ihre Arme zu schließen und so zugleich mit ihm zu sterben, ohne allen Versuch sich zu retten.

Aber sie schien diese Versuchung zu bekämpfen, sie seufzte und flüsterte:

»Fernand!«

Der Salteador blickte auf.

»Arme Ginesta,« sagte er, »so jung, so schön, so gut und Du sollst sterben – meinetwegen! Ja, ich bin wahrhaft verflucht.«

»Verläßt Du das Leben ungern?« fragte das Mädchen in einem Tone, welcher bedeutete: »Ich verlasse es gern.«

»Ja, ja,« antwortete Fernand. »Ach ja, ich gestehe es, ich scheide ungern von ihm.«

»Um wessen willen?v fragte Ginesta.

Vielleicht in diesem Augenblicke erst erkannte der Salteador was in dem Herzen des Mädchens vorging.

»Um meiner Mutter willen,« antwortete er.

Die Zigeunerin jubelte laut auf und sagte:

»Ich danke Dir, Fernand. Komm!«

»Warum soll ich Dir folgen?«

»Folge mir, sage ich Dir.«

»Siehst Du nicht, daß wir verloren sind?« fragte Fernand achselzuckend.

»Gerettet sind wir, Fernand; ich stehe dafür,« antwortete die Zigeunerin.

Fernand stand auf und wußte nicht, was er von den Worten denken sollte.

»Komm, komm!« sagte sie; »weil Du nur um deiner Mutter willen nicht gern stirbst, soll deine Mutter Dich nicht beweinen!«

Sie erfaßte die Hand des Salteadors und zog ihn nach einer andern Seite hin.

Er folgte ihr mechanisch, aber doch mit jenem Eifer der Selbsterhaltung, der in jedem erschaffenen Wesen liegt.

Es war als schöpfe die Ziege selbst wieder Hoffnung, als sie die Fliehenden nach einer andern Richtung hingehen sah, ja sie lief wiederum voraus, während die andern Thiere merkten, daß sie rund um von einem Feuermeere eingeschlossen, und nach allen Richtungen hin planlos und auf Gerathewohl hinliefen.

Das Zischen und Prasseln des Brandes kam näher und näher und die Luft, welche die Fliehenden athmeten, begann heiß zu werden.

Mit einem male schien das Zischen und Prasseln der Flamme gewaltig zuzunehmen und bei jedem Schritte, den sie weiter gingen, ungestümer zu werden.

Fernand hielt das Mädchen zurück.

Da ist ja der Brand! Hörst Du? Hörst Du? sagte er und streckte die Hand nach der Richtung hin, von welcher der Wind kam.

»Wohl möglich, Fernand, so sagte die Zigeunerin lächelnd, ›daß Du an die Stimmen im Gebirge noch so wenig gewöhnt bist, um das Rauschen eines Wasserfalles für das Brausen der Flammen zu halten.‹

»Ja,« antwortete Fernand, indem er weiter ging, »es ist wahr, Du hast Recht, wir können dem Feuer entgehen, wenn wir dem Wildbach folgen, in seinem Bette hin zwischen zwei Feuersäulen hindurchgehen, wie die Israeliten unter dem Schutze Gottes zwischen zwei Wasserwänden durch das Meer gingen. Glaubst Du aber, daß das Bett des Wildbachs nicht besetzt sey.«

»Komm nur,« sagte das Mädchen; »habe ich es nicht gesagt, daß ich für Alles stehe?«

Sie zog Fernand nach der Felsenplatte, wo am Tage wie ein Regenbogen, in der Nacht wie ein Mondstrahl der mächtige Wasserfall herabstürzte, der zuerst auf einen Felsen in einer Tiefe von fünfundzwanzig Fuß aufschlug, mit Donnergetöse seine flüssige Masse zerstäubte und im Schaume in einen Abgrund drei- bis vierhundert Fuß hinabfiel, auf dessen Boden er sich ein Bett wühlte und den Bach bildete, der brausend in einer Entfernung von drei Stunden, zwischen Armilla und Santa Fe, in den Xenil fällt.

Nach einigen Minuten hatten die Flüchtigen den Felsen erreicht, von dem das Wasser sich in die Tiefe hinabstürzte.

Ginesta wollte sofort den gefährlichen Weg hinabklettern, aber Fernand hielt sie zurück; er war über sein und seiner Begleiterin Leben fast beruhigt und konnte in seinem dichterischen Gefühle dem Wunsche nicht widerstehen, die Gefahr, der er entgangen, in ihrer ganzen Größe zu überschauen.

Manche Herzen finden in solchen Erregungen einen schauerlich- wonnigen Genuß.

Das Schauspiel war allerdings großartig. Der Flammenkreis hatte sich nach dem Mittelpunkte zu verengt und nach dem Umfange erweitert. Ein unermeßliches Feuerband, das immer breiter wurde, schlang sich um das Gebirge und rückte blitzschnell den Fliehenden nach.

Bisweilen erfaßte die Flamme den Stamm einer großen Fichte, wand sich wie eine Schlange um denselben herum, lief an den Aesten hin und zündete sie so über und über fast in einem Augenblicke an wie zu einer großen festlichen Illumination. Eine kurze Zeit knisterte und hüpfte die Flamme, dann brach der Baum zusammen und die Funken sprühten umher.

Oder die Flamme erreichte harzige, niedrige Büsche und dann lief sie wie über Pulver blitzschnell über den grünen Teppich hin.

Hier und da brannten alle Korkeichen auf einem großen Felsenstück, die Glut dörrte es aus oder zerriß es, es konnte sich nicht mehr halten und stürzte mit den Bäumen donnernd wie eine glühende sprühende Cascade in eine Schlucht hinab, wo es sofort eine neue Feuersbrunst entzündete.

Fernand blieb einen Augenblick begeistert vor diesem Glutmeere stehen, das mit seinen Feuerzähnen die grüne Insel abnagte, von der aus er die Flammenflut betrachtete.

Von diesem noch unberührten Theile aus erschollen Töne aller Art, Schreien der Hirsche, Heulen der Wölfe, Knauen der Katzen, Grunzen der Wildschweine, Bellen der Füchse, und wenn es Tag gewesen wäre, hätte man sicherlich alle diese Thiere, ohne Haß gegen einander, nur mit der Gefahr beschäftigt, die sie auf einen so schmalen Raum zusammen drängte, nach allen Seiten ängstlich in dem Dickicht umherlaufen sehen, über das sich bereits ein warmer Dampf verbreitete, der Vorläufer des Brandes.

Ginesta aber, als fürchte sie mehr für Fernand als dieser für sie, zog ihn mit Gewalt hinweg, erinnerte ihn an die Gefahr, winkte ihm zu folgen und wagte sich zuerst in den Abgrund hinab.