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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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Die Bücher waren nicht zahlreich: die Werke von Racine und von Jean-Jacques Rousseau bildeten die ganze Bibliothek des strengen Jacobiners; außer diesen zwei Schriftstellern las Robespierre kaum etwas Anderes, als Robespierre.

Alle andere Fächer waren auch beladen mit seinen Denkwürdigkeiten als Advokat und seinen Reden als Tribun.

Was die Wände betrifft, sie waren bedeckt mit allen Portraits, welche die fanatische Frau Duplay vom großen Manne hatte finden können; wie Robespierre nur die Hand auszustrecken brauchte, um Robespierre zu lesen, so sah Robespierre, auf welche Seite er sich drehte, nur Robespierre.

In dieses Allerheiligste, in dieses Tabernakel führte man Barbaroux und Rebecqui ein.

Die mitspielenden Personen der Scene ausgenommen, vermöchte Niemand zu sagen, mit welcher weitschweifigen Adresse Robespierre die Unterredung in Angriff nahm; er sprach zuerst von den Marseillern, von ihrem Patriotismus, von der Furcht, die er hege, selbst die besten Gefühle übertreiben zu sehen; dann sprach er von sich, von den Diensten, die er der Revolution geleistet, von der weisen Langsamkeit, mit der er den Lauf derselben geregelt.

Doch diese Revolution, war es nicht Zeit, daß sie inne hielt? war es nicht die Stunde, wo alle Parteien sich vereinigen, den unter Allen volksbeliebten Mann wählen, ihm diese Revolution in die Hände legen und ihn beauftragen mußten, ihre Bewegung zu lenken?

Rebecqui ließ ihn nicht weiter gehen.

»Ah!« sagte er, »ich sehe Dich kommen, Robespierre!«

Robespierre wich zurück, als ob sich eine Schlange vor ihm erhoben hätte.

Da stand Rederqui auf und rief:

»Eben so wenig einen Dictator, als einen König! Komm, Barbaroux!«

Und Beide verließen sogleich die Mansarde des Unbestechlichen.

Panis, der sie dahin geführt hatte, folgte ihnen bis auf die Straße.

»Ah!« sagte er, »Ihr habt die Sache schlecht angefaßt, den Gedanken von Robespierre schlecht begriffen; es handelte sich ganz einfach um eine momentane Autorität, und verfolgte man diesen Gedanken, so wäre gewiß Keiner mehr als Robespierre . . . «

Barbaroux unterbrach ihn aber und wiederholte die Worte seines Freundes:

»Eben so wenig einen Dictator, als einen König!«

Dann entfernte er sich mit Rebecqui.

CXLIX
Warum die Königin nicht hatte fliehen wollen

Eines beruhigte die Tuilerien: es war dies gerade das, was die Revolutionäre erschreckte.

In Vertheidigungsstand gesetzt, waren die Tuilerien eine Festung mit einer furchtbaren Garnison geworden.

An dem berufenen Tage des 10. August, an dem man so viele Dinge gethan hat, ist das Königthum für seinen Theil nicht unthätig geblieben.

In der Nacht vom 4. auf den 5. August hat man in der Stille von Courberoie nach den Tuilerien die Schweizer-Bataillons kommen lassen.

Nur einige Compagnien sind zertheilt und nach Gaillon geschickt worden, wohin der König sich vielleicht flüchten wird.

Drei sichere Männer, drei erprobte Chefs sind bei der Königin: Maillardoz mit seinen Schweizern; d’Hervilly mit seinen St. Ludwigs-Rittern und seiner constitutionellen Garde; Mandat, Obercommandant der Nationalgarde, der zwanzigtausend entschlossene und ergebene streitbare Männer verspricht.

Am 8. Abends kam ein Mann in das Innere des Schlosses.

Alle Welt kannte diesen Mann: er gelangte also ohne Schwierigkeit bis in die Wohnung der Königin.

Man meldete den Doctor Gilbert.

»Lassen Sie ihn eintreten,« sagte die Königin mit einer fieberhaften Stimme.

Gilbert trat ein.

»Ah! kommen Sie, kommen Sie, Doctor! Ich bin glücklich, Sie zu sehen.«

Gilbert schlug die Augen zu ihr auf; es war in der ganzen Person von Marie Antoinette etwas Freudiges, Zufriedenes, was ihn schauern machte.

Er hätte die Königin lieber bleich und niedergeschlagen gesehen, als fieberhaft und aufgeregt, wie sie war.

»Madame,« sagte er zu ihr, »ich befürchte, zu spät und in einem schlimmen Augenblicke zu kommen.«

»Im Gegentheil, Doctor,« erwiederte die Königin mit einem Lächeln, – ein Ausdruck, den ihr Mund fast verlernt hatte, »Sie erscheinen zu rechter Zeit, und Sie sind willkommen! Sie sollen etwas sehen, was ich Ihnen längst gern gezeigt hätte: einen König, der wahrhaft König!«

»Madame,« entgegnete Gilbert, »ich befürchte, Sie täuschen sich selbst, und Sie zeigen mir eher einen Platzcommandanten, als einen König.«

»Herr Gilbert, es ist möglich, daß wir uns ebenso wenig über den symbolischen Charakter des Königthums, als über so viele andere Dinge verstehen. Für mich ist ein König nicht nur ein Mann, der sagt! »»Ich will nicht!«« Es ist besonders ein Mann, welcher spricht: »»Ich will!««

Die Königin spielte auf das bekannte Veto an, das die Lage der Dinge zu dem extremen Punkte geführt hatte, wo man sich nunmehr befand.

»Ja, Madame,« erwiederte Gilbert, »und für Eure Majestät ist ein König besonders ein Mann, der sich rächt.«

»Der sich vertheidigt, Herr Gilbert! denn Sie wissen, wir sind öffentlich bedroht; man soll uns mit bewaffneter Hand angreifen. Es sind, wie man versichert, fünfhundert Marseiller, angeführt von einem gewissen Barbaroux, da, welche auf den Trümmern der Bastille geschworen, sie werden nicht eher nach Marseille zurückkehren, als bis sie auf denen der Tuilerien gelagert haben.«

»Ich habe das wirklich sagen hören.«

»Und das hat Sie nicht lachen gemacht, mein Herr?«

»Das hat mich für den König und für Sie, Madame, erschreckt.«

»So daß Sie kommen und uns vorschlagen, wir mögen abdanken und uns ans Gnade und Ungnade in die Hände von Herrn Barbaroux und seinen Marseillern geben?«

»Oh! Madame, wenn der König abdanken und durch das Opfer seiner Krone sein Leben, das Ihre, das Ihrer Kinder sichern könnte!«

»Sie würden ihm hierzu rathen, nicht wahr, Herr Gilbert?«

»Ja, Madame, und ich würde mich ihm zu Füßen werfen, daß er meinen Rath befolge!«

»Herr Gilbert, erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie nicht fest in Ihren Meinungen sind.«

»Ei! Madame, meine Meinung ist immer dieselbe . . . Meinem König und meinem Vaterlande ergeben, hätte ich den Einklang des Königs und der Constitution zu sehen gewünscht; von diesem Wunsche und von meinen successiven Täuschungen rühren die verschiedenen Rathschläge her, die ich Eurer Majestät zu geben die Ehre gehabt habe.«

»Und was für einen Rath geben Sie uns in diesem Augenblicke, Herr Gilbert?«

»Nie ist es mehr in Ihrer Macht gelegen, ihn zu befolgen, Madame, als in diesem Momente.«

»So lassen Sie hören.«

»Ich gebe Ihnen den Rath, zu fliehen.«

»Zu fliehen?«

»Ah! Sie wissen wohl, daß dies möglich ist, Madame, und daß Ihnen nie eine solche Leichtigkeit hierzu geboten war.«

»Wie so?«

»Sie haben ungefähr dreitausend Mann im Schlosse.«

»Fast fünftausend,« versetzte die Königin mit einem Lächeln der Zufriedenheit, »und das Doppelte auf das erste Zeichen, das wir machen werden.«

»Sie brauchen kein Zeichen zu machen, das aufgefangen werden kann; Ihre fünftausend Mann werden genügen.«

»Nun wohl, Herr Gilbert, was müssen wir nach Ihrer Ansicht mit unsern fünftausend Mann thun?«

»Sich mit dem König und Ihren erhabenen Kindern in ihre Mitte stellen; die Tuilerien in dem Augenblicke verlassen, wo man es am wenigsten erwartet; zwei Meilen von hier zu Pferde steigen, Gaillon und die Normandie erreichen, wo man Ihnen entgegen harrt.«

»Das heißt, mich den Händen von Herrn von Lafayette anvertrauen.«

»Dieser hat Ihnen wenigstens bewiesen, daß er ergeben war.«

»Nein, mein Herr, nein! Mit meinen fünftausend Mann und den fünftausend, die auf das erste Zeichen, das wir machen, herbeieilen können, will ich lieber etwas Anderes versuchen.«

»Was werden Sie versuchen?«

»Die Empörung einmal für allemal zu erdrücken.«

»Ah! Madame, Madame! wie sehr hatte er Recht, als er mir sagte, Sie seien verurtheilt!«

»Wer dies, mein Herr?«

»Ein Mann, dessen Namen ich Ihnen nicht wiederholen will; ein Mann, der schon dreimal mit Ihnen gesprochen hat.«

»Stille!« sagte die Königin erbleichend; »man wird bemüht sein, ihn zum Lügner zu machen, den schlechten Propheten.«

»Madame, ich befürchte, Sie verblenden sich.«

»Sie sind also der Meinung, sie werden es wagen, uns anzugreifen?«

»Der öffentliche Geist wendet sich dahin.«

»Und man glaubt, man werde hier eindringen, wie am 20. Juli?«

»Die Tuilerien sind kein fester Platz.«

»Nein; . . . und dennoch, wenn Sie mit mir kommen wollen, Herr Gilbert, werde ich Ihnen zeigen, daß sie sich eine Zeit lang halten können.«

»Es ist meine Pflicht, Ihnen zu folgen,« sprach Gilbert sich verbeugend.

»So kommen Sie!« sagte die Königin.

Und sie führte Gilbert an das Fenster in der Mitte, an das, welches auf den Carrousel-Platz gebt, und von wo aus man, nicht den ungeheuren Hof, der sich heute an der ganzen Façade des Palastes erstreckt, sondern die drei kleinen mit Mauern geschlossenen Höfe überschaute, welche damals existirten, und die der vom Pavillon de Flore der Prinzen-Hof, der von der Mitte der Tuilerien Hof, und der, welcher in unsern Tagen an die Rue de Rivoli grenzt, der Schweizer-Hof hießen.

»Sehen Sie!« sprach Marie Antoinette.

Gilbert bemerkte in der That, daß die Mauern von schmalen Oeffnungen durchbrochen waren und der Garnison einen ersten Wall bieten konnten, durch dessen Schießscharten sie auf das Volk feuern würde.

Wäre dieser erste Wall forcirt, so würde sich die, Garnison nicht nur in die Tuilerien, von denen jedes Thor einen Hof vor sich hatte, sondern auch in die Seitengebäude zurückziehen; so daß die Patrioten, die sich in die Höfe wagen würden, zwischen drei Feuer gestellt wären.

»Was sagen Sie hierzu, mein Herr?« fragte die Königin. »Rathen Sie Herrn Barbaroux und seinen fünfhundert Marseillern immer noch, sich in ihr Unternehmen einzulassen?«

 

»Könnte mein Rath von so sanatisirten Leuten, wie sie sind, gehört werden, so würde ich bei ihnen, einen Schritt thun dem ähnlich, welchen ich bei Eurer Majestät thue. Ich ermahne Sie, den Angriff nicht abzuwarten; ich würde diese Leute ermahnen, nicht anzugreifen.«

»Und wahrscheinlich würden sie in ihrem Unternehmen fortfahren?«

»Wie Sie bei Ihrem Plane beharren werden. Ach! das ist das Unglück der Menschheit, daß sie unablässig Rathschläge verlangt, um sie nicht zu befolgen.«

»Herr Gilbert,« entgegnete lächelnd die Königin, »Sie vergessen, daß der Rath, den Sie uns zu geben die Güte haben, nicht erbeten worden ist.«

»Das ist wahr, Madame,« erwiederte Gilbert, indem er einen Schritt rückwärts machte.

»Weshalb wir Ihnen nur um so dankbarer sind,« fügte die Königin, dem Doctor die Hand reichend, bei.

Ein bleiches Lächeln des Zweifels schwebte über die Lippen von Gilbert.

In diesem Augenblicke wurden Wagen beladen mit schweren Bohlen öffentlich in die Höfe der Tuilerien eingeführt, wo sie Männer erwarteten, in denen man unter ihren bürgerlichen Kleidern Militäre erkannte.

Diese Männer ließen die Bohlen sechs Fuß lang und drei Zoll dick sägen.

»Wissen Sie, was für Leute das sind?« fragte die Königin.

»Ingenieurs, wie es scheint,« antwortete Gilbert.

»Ja, mein Herr, und wie Sie sehen, schicken sie sich an, die Fenster zu blenden,50 wobei sie nur Schießscharten, um zu feuern, reserviren.«

Gilbert schaute die Königin traurig an.

»Was haben Sie, mein Herr?« fragte Marie Antoinette.

»Oh! Madame, ich beklage Sie aufrichtig, daß Sie Ihr Gedächtniß genöthigt haben, diese Namen zu behalten, und Ihren Mund, sie auszusprechen.«

»Was wollen Sie, mein Herr?« erwiederte die Königin; »es gibt Umstände, wo sich die Frauen zu Männern machen müssen: das ist, wenn die Männer . . . «

Die Königin hielt inne.

»Doch,« sprach sie, nicht ihren Satz, sondern ihren Gedanken vollendend, »doch diesmal ist der König entschlossen.«

»Madame,« versetzte Gilbert, »sobald Sie zu der entsetzlichen Extremität entschlossen sind, aus der ich Sie Ihren Sicherheitshafen machen sehe, hoffe ich, daß Sie alle Zugänge des Palastes in Vertheidigungsstand gesetzt haben: so, zum Beispiel, die Gallerie des Louvre.«

»In der That, Sie mahnen mich hieran . . . Kommen Sie mit mir, mein Herr, ich will mich versichern, ob man den Befehl vollzieht, den ich gegeben habe.«

Und die Königin führte Gilbert durch die Gemächer bis zur Thüre des Pavillon de Flore, der auf die Gemäldegallerie geht.

Als die Thüre geöffnet war, sah Gilbert Arbeiter beschäftigt, die Gallerie auf eine Breite von zwanzig Fuß zu durchschneiden.

»Sie sehen,« sagte die Königin.

Sodann sich an den Officier wendend, der die Arbeit leitete:

»Nun, Herr d’Hervilly?«

»Madame, die Rebellen mögen uns vierundzwanzig Stunden lassen, und wir werden im Stande sein.«

»Glauben Sie, daß sie uns vierundzwanzig Stunden lassen werden?« fragte die Königin den Doctor.

»Wenn etwas geschieht, so wird es am 10. August sein.«

»Am 10.? Ein Freitag? Ein schlimmer Tag für einen Aufstand, mein Herr! Ich glaube, die Rebellen wären so gescheit gewesen, einen Sonntag zu wählen!»

Und sie schritt Gilber voran.

Als man die Gallerie verließ, traf man einen Mann in Generalsuniform.

»Nun Herr Mandat,« fragte die Königin, »sind Ihre Anordnungen getroffen?«

»Ja, Madame,« antwortete de General-Commandant, während er Gilbert mit Unruhe anschaute.

»Oh! Sie können vor diesem Herrn sprechen,« versetzte die Königin; »der Herr ist ein Freund.«

Und sich an Gilbert wendend:

»Nicht wahr, Doctor?«

»Ja, Madame, und einer Ihrer ergebendsten,« erwiedert Gilbert.

»Dann ist es etwas Anderes.« sagte Mandat . . . »Ein Corps Nationalgarde, das beim Stadthause aufgestellt ist, ein anderes auf dem Pont-Neuf werden die Aufrührer vorrüberziehen lassen, und während Herr d’Hervilly und seine Edelleute, Herrn Maillardoz und seine Schweizer sie von vorne empfangen, werden Jene ihnen den Rückzug abschneiden und sie von hinten zermalmen.«

»Sie sehen mein Herr,« sprach die Königin, »Ihr 10. August wird kein 20. Juni sein.«

»Ach Madame,« versetzte Gilbert, »ich befürchte es in der That.«

»Für uns . . . für uns?« fragte dringlich die Königin.

»Madame,« erwiederte Gilbert, »Sie wissen, was ich Eurer Majestät gesagt habe. So sehr ich Varennes beklagte . . . «

»Ja, ebenso sehr rathen Sie zu Gaillon! . . . Haben Sie Zeit, mit mir bis in die unteren Säle hinabzugehen, Herr Gilbert?«

»Gewiß, Madame.«

»Nun, so kommen Sie.«

Die Königin nahm den Weg über eine kleine Wendeltreppe, welche sie in das Erdgeschoß des Schlosses führte.

Das Erdgeschoß des Schlosses war ein wahres Lager, ein Lager befestigt und vertheidigt durch die Schweizer; alle Fenster waren schon geblendet, wie die Königin gesagt hatte.

Die Königin ging auf den Obersten zu.

»Nun, Herr Maillardoz,« fragte sie, »was sagen Sie von Ihren Leuten?«

»Madame, sie sind, wie ich, bereit, für Eure Majestät zu sterben.«

Sie werden uns also bis aufs Aeußerste vertheidigen?«

»Hat das Feuer einmal begonnen, Madame, so wird man es nur auf einen Befehl des Königs einstellen.«

»Sie hören, mein Herr? Außerhalb des Schlosses kann Alles feindlich gegen uns gesinnt sein, doch im Innern ist uns Alles treu.«

»Das ist ein Trost, Madame, es ist aber keine Sicherheit.«

»Wissen Sie, daß Sie ein Unglücksvogel sind; Doctor?«

»Eure Majestät hat mich geführt, wohin sie wollte; wird sie mir nun erlauben, sie in ihre Gemächer zurückzuführen?«

»Gern, Doctor; doch ich bin müde, geben Sie mir den Arm.«

Gilbert verbeugte sich vor dieser hohen Gunst, welche so selten von der Königin, selbst ihren Vertrautesten, seit ihrem Unglücke besonders, bewilligt wurde.

Er führte sie bis in ihr Schlafzimmer zurück.

Hier angelangt, sank Marie Antoinette in ein Fauteuil.

Gilbert ließ sich auf sein Knie vor ihr nieder und sprach:

»Madame, im Namen Ihres erhabenen Gemahls, im Namen Ihrer theuren Kinder, im Namen Ihrer eigenen Sicherheit beschwöre ich Sie zum letzten Male: bedienen Sie sich der Kräfte, die Sie um sich her haben, nicht um zu kämpfen, sondern um zu fliehen.«

»Mein Herr,« erwiederte die Königin, »seit dem 14. Juli strebe ich danach, den König seine Genugthuung nehmen zu sehen; der Augenblick ist gekommen, wir glauben es wenigstens: wir werden das Königthum retten, oder es unter den Trümmern der Tuilerien begraben.«

»Nichts kann Sie von diesem unseligen Entschlusse abbringen, Madame?«

»Nichts!« antwortete die Königin.

Und zu gleicher Zeit reichte sie Gilbert die Hand, halb um ihm zu bedeuten, er möge aufstehen, halb um sie ihm zum Kusse zu bieten.

Gilbert küßte ehrerbietig der Königin die Hand, stand auf und sagte:

»Madame, wird mir Eure Majestät erlauben, ein paar Zeilen zu schreiben, die ich für so dringlich erachte, daß ich sie nicht eine Minute verschieben will?«

»Thun Sie das, mein Herr,« antwortete die Königin auf einen Tisch deutend.

Gilbert setzte sich und schrieb folgende vier Zeilen: .

Kommen Sie, mein Herr! Die Königin ist in Todesgefahr, bestimmt sie nicht ein Freund, zu fliehen, und ich glaube, daß Sie der einzige Freund sind, der diesen Einfluß auf sie haben kann.«

Dann unterzeichnete er und setzte die Adresse darauf.

»Ohne zu neugierig zu sein,« fragte die Königin, »an wen schreiben Sie?«

»An Herrn von Charny, Madame,« antwortete Gilbert.

»An Herrn von Charny?« rief die Königin erbleichend und zugleich bebend. »Und warum schreiben Sie ihm?«

»Damit er von Eurer Majestät verlange, was ich nicht verlangen kann.«

»Herr von Charny ist zu glücklich, um an seine unglücklichen Freunde zu denken! Er wird nicht kommen!« sagte die Königin.

Die Thüre öffnete sich, ein Huissier erschien und meldete:

»Der Herr Graf von Charny, der In diesem Augenblicke ankommt, fragt, ob er Eurer Majestät seine Ehrerbietung bezeigen könne?«

Die Königin wurde von blaß, wie sie war, leichenbleich; sie stammelte ein paar unverständliche Worte.

»Er trete ein! er trete ein!« rief, Gilbert: »der Himmel schickt ihn!«

Charny erschien an der Thüre in der Tracht eines Marineofficiers.

»Ah! kommen Sie, mein Herr!« sagte Gilbert zu ihm; »ich schrieb Ihnen.«

Und er übergab ihm den Brief.

»Ich habe vernommen, welche Gefahr Ihre Majestät lief, und ich bin gekommen,« sagte Charny sich verbeugend.

»Madame, Madame,« rief Gilbert, »um des Himmels willen, hören Sie, was Herr von Charny sprechen wird! seine Stimme wird die Frankreichs sein.«

Und er verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor der Königin, grüßte den Grafen, und ging, eine letzte Hoffnung mit sich tragend, ab.

Siebenundzwanzigstes bis zweiunddreißigstes Bändchen

CL
Die Nacht vom 9. auf den 10. August

Unsere Leser mögen uns erlauben, sie in ein Haus der Rue de l’Ancienne-Comédie, bei der Rue Dauphine, zu versetzen.

Im ersten Stocke wohnte Fréron.

Gehen wir an einer Thüre vorbei; wir würden hier vergebens klingeln; er ist im zweiten bei einem Freunde Camille Desmoulins.

Während wir die siebzehn Stufen hinaufsteigen, welche ein Stockwerk vom andern trennen, sagen wir rasch, was Fréron war.

Fréron (Louis Stanislas) war der Sohn des bekannten Elie Catherine Fréron, des so ungerecht und grausam von Voltaire Angegriffenen. Liest man heute die vom Journalisten gegen den Verfasser der Pucelle, des Dictionnaire philosophique und von Mahomet gerichteten kritischen Artikel, so ist man ganz erstaunt, zu sehen, daß der Journalist gerade im Jahre 1754 hiervon sagte, was wir 1854, das heißt hundert Jahre später, darüber denken.

Fréron, der Sohn, der damals fünfunddreißig Jahre alt, aufgebracht durch die Ungerechtigkeiten, durch die er seinen Vater hatte zu Boden drücken sehen, – dieser starb vor Kummer im Jahre 1776 in Folge der Unterdrückung durch den Siegelbewahrer Miromesnil seines Journals l’Anné litteraire, – Fréron hatte sich mit Eifer den revolutionären Grundsätzen angeschlossen und gab den Orateur du Peuple heraus, oder war damals im Begriffe, ihn herauszugeben.

Am Abend des 9. August war er, wie gesagt, bei Camille Desmoulins, wo er mit Brune, dem zukünftigen Marschall von Frankreich und mittlerweile Factor einer Druckerei, speiste.

Barbaroux und Rebecqui waren die zwei anderen Gäste.

Eine einzige Frau wohnte dem Mahle bei, das einige Aehnlichkeit mit dem hatte, welches die Märtyrer machten, ehe sie in den Circus gingen, und das man das Freimahl nannte.

Diese Frau war Lucile.

Ein sanfter Name, eine reizende Frau, – sie haben ein schmerzliches Andenken in den Annalen der Revolution hinterlassen.

Wir werden Dich nicht in diesem Buche begleiten können, wenigstens nicht bis zum Blutgerüste, das Du besteigen wolltest, liebendes, poetisches Geschöpf, weil es der kürzeste Weg war, um Deinem Gatten nachzufolgen; doch wir wollen es im Vorübergehen versuchen Dein Portrait mit zwei Federstrichen zu skizzieren.

Ein einziges Portrait ist von Dir übrig, armes Kind! Du bist so jung gestorben, daß der Maler genöthigt gewesen ist, Dich gleichsam im Fluge aufzufassen. Es ist eine Miniature, die wir in der bewunderungswürdigen Sammlung des Obersten Morin gesehen, eine Sammlung, welche man, so kostbar sie war, sich beim Tode dieses vortrefflichen Mannes zerstreuen ließ, der mit so großer Gefälligkeit seine Schätze zu unserer Verfügung stellte.

Auf diesem Portrait erscheint Lucile klein, hübsch, piquant sogar; es ist etwas wesentlich Plebejisches in ihrem reizenden Gesichte.

In der That, die Tochter eines ehemaligen Schreibers bei den Finanzen und einer sehr hübschen Frau, von der man behauptete, sie sei die Geliebte des Finanzministers Terray gewesen, war, ihr Name beweist dies, Lucile Duplessis Loridon, wie Madame Roland, von niedriger Abkunft.

Eine Neigungsheirath hatte im Jahre 1791 mit diesem für ihn relativ reichen Mädchen den furchtbaren Knaben, den genialen Straßenjungen, welchen man Camille Desmoulins nannte, verbunden.

 

Arm, ziemlich häßlich, schwer sprechend, wegen des Stammelns, das ihn ein Redner zu sein verhinderte, aber, während es ihn ein Redner zu sein verhinderte, aus ihm den bekannten Schriftsteller machte, hatte sie Camille zugleich durch die Feinheit eines Geistes und durch eine Herzensgüte verführt.

Camille, obgleich er der Ansicht von Mirabeau war, welcher gesagt hatte: »Ihr werdet nie etwas aus der Revolution machen, wenn Ihr sie nicht entchristlicht,« Camille hatte in der Saint-Sulpice-Kirche nach dem katholischen Ritus geheirathet; als ihm aber 1792 ein Sohn geboren wurde, da trug er diesen Sohn nach dem Stadthause und verlangte für ihn die republicanische Taufe.

Hier in einem Zimmer des zweiten Stockes von diesem Hause der Rue de l’Ancienne-Comédie, hatte sich so eben zum großen Schrecken und zu gleicher Zeit zum großen Stolze von Lucile der ganze Insurrectionsplan entrollt, welchen Barbaroux naiver Weise drei Tage vorher in einer Nankinhofe seiner Wäscherin geschickt zu haben gestand.

Barbaroux, der kein großes Vertrauen zum Gelingen des Handstreiches hatte, den er selbst entworfen und angebahnt, und der in die Gewalt des Hofes zu fallen befürchtete, zeigte auch mit einer ganz antiken Einfachheit ein, wie das von Condorcet, von Cabanis bereitetes Gift.

Beim Anfange des Abendbrodes hatte Camille, da er kaum mehr Hoffnung hegte, als Barbaroux, ein Glas aufhebend, um nicht von Lucile verstanden zu werden, gesagt:

»Edamus et bibamus; cras enim moriemur«51

Lucile hatte aber verstanden und erwiedert:

»Gut! warum eine Sprache sprechen, die ich nicht verstehe? Ich errathe wohl, was Du da sagst, Camille! sei ruhig, ich bin es nicht, die Dich verhindern wird, Deine Sendung zu vollbringen.«

Und auf diese Versicherung hatte man frei und laut gesprochen.

Fréron war der Entschlossenste von Allen: man wußte, daß er eine Frau hoffnungslos liebte, obschon man nicht wußte, wer diese Frau war. Seine Verzweiflung beim Tode von Lucile offenbarte dieses unselige Geheimniß.

»Und Du, Fréron,« fragte ihn Camille, »hast Du Gift?«

»Ah! ich,« antwortete er, »wenn es uns morgen nicht glückt, so lasse ich mich tödten! Ich bin des Lebens so müde, daß ich nur einen Vorwand suche, um mich davon zu befreien.«

Rebecqui war derjenige, welcher die beste Hoffnung für das Resultat des Kampfes hatte.

»Ich kenne meine Marseiller,« sagte er; »ich habe sie mit eigener Hand gewählt; ich bin ihrer sicher vom Ersten bis zum Letzten; nicht Einer wird zurückweichen!«

Nach dem Abendbrode machte man den Vorschlag, zu Danton zu gehen.

Barbaroux und Rebecqui traten nicht bei, indem sie sagten, sie werden in der Kaserne der Marseiller erwartet.

Das war kaum zwanzig Schritte vom Hause von Camille Desmoulins.

Fréron hatte sich auf der Commune mit Sergent und Manuel zusammenbeschieden.

Brune brachte die Nacht bei Santerre zu.

Jeder verfolgte das Ereigniß an dem Faden, der ihm eigenthümlich war.

Man trennte sich. Camille und Lucile allein gingen zu Danton.

Die zwei Haushaltungen standen in enger Verbindung, nicht allein was die Männer sondern auch was die Frauen betrifft.

Man kennt Danton; wir selbst sind mehr als einmal hinter den Meistern, die ihn mit großen Zügen gemalt haben, berufen gewesen, ihn zu reproduciren.

Seine Frau ist weniger bekannt; sagen wir ein paar Worte von ihr.

Ebenfalls beim Obersten Morin konnte man ein Andenken von dieser merkwürdigen Frau finden, welche von Seiten ihres Mannes der Gegenstand einer so tiefen Anbetung war; nur war es keine Miniature, was von ihr vorhanden, sondern ein Gipsabguß.

Michelet glaubt, dieser Gipsabguß sei nach dem Tode gemacht worden.

Der Charakter davon war Güte, Ruhe und Stärke.

Ohne an der Krankheit zu leiden, welche sie 1793 tödtete, war sie doch schon traurig und besorgt, als hätte sie, dem Tode ganz nahe, Ahnungen von der Zukunft gehabt.

Die Tradition fügt bei, sie sei fromm und schüchtern gewesen.

Sie hatte sich indessen eines Tags, trotz dieser Schüchternheit und dieser Frömmigkeit, kräftig ausgesprochen, obschon ihre Meinung der ihrer Verwandten entgegengesetzt: das war an dem Tage, wo sie er klärt hatte, sie wolle Danton heirathen.

Wie Lucile in Camille Desmoulins, so hatte sie hinter diesem finstern Gesichte, in diesem unbekannten Manne, ohne Ruf und ohne Vermögen, den Gott erkannt, der sie, wie es Jupiter bei Semele that, verzehren sollte, indem er sich ihr enthüllte.

Man fühlte, daß es ein erschreckliches Glück voller Stürme war, das Glück, an das sich die Arme anschloß; vielleicht lag aber in ihrem Entschlusse ebenso viel Pietät, als Liebe für diesen Engel der Finsterniß und des Lichtes, der die traurige Ehre haben sollte, das Jahr 1792 zusammenzufassen, wie Mirabeau 1791, wie Robespierre 1793 zusammenfassen.

Als Camille und Lucile zu Danton kamen, – die zwei Haushaltungen wohnten Thüre an Thüre: Lucile und Camille, wie gesagt, in der Rue de l’Ancienne- Comédie; Danton in der Rue du Paon-Saint-André, – weinte Madame Danton, und Danton suchte sie mit einer entschlossenen Miene zu trösten.

Die Frau ging auf die Frau, der Mann ging auf den Mann zu.

Die Frauen küßten sich, die Männer drückten sich die Hand.

»Glaubst Du, daß es etwas geben wird?« fragte Camille.

»Ich hoffe es,« erwiederte Danton. »Santerre ist jedoch lau. Glücklicher Weise ist meiner Ansicht nach die Sache von morgen keine Sache des persönlichen Interesses, eines individuellen Anführers: die Aufregung durch ein langes Elend, die öffentliche Entrüstung, das Gefühl des Herannahens des fremden Feindes, die Ueberzeugung, daß Frankreich verrathen ist, das ist es, worauf man zählen muß. Siebenundvierzig Sektionen von achtundvierzig haben die Entsetzung des Königs votiert: sie haben jede drei Commissäre ernannt, um sich auf der Commune zu versammeln und das Vaterland zu retten.«

»Das Vaterland retten?« versetzte Camille den Kopf schüttelnd; »das ist doch unbestimmt.«

»Ja, doch es ist zugleich wohl verstanden.«

»Und Marat? und Robespierre?«

»Man hat natürlich weder den Einen, noch den Andern gesehen. Der Eine hat sich auf seinem Boden verborgen, der Andere in seinem Keller. Ist die Sache beendigt, so wird man den Einen als ein Wiesel, den Andern als eine Nachteule wiedererscheinen sehen.«

»Und Pétion?«

»Ah! sehr fein wäre derjenige, welcher sagen könnte, für wen er ist. Am 4. hat er den Krieg dem Schlosse erklärt; am 8. hat er das Departement benachrichtet, er stehe nicht mehr für die Sicherheit des Königs; diesen Morgen hat er die Aufstellung der Nationalgarden auf dem Carrousel beantragt; heute Abend hat er vom Departement zwanzigtausend Franken verlangt, um die Marseiller wegzuschicken.«

»Er will den Hof einschläfern,« sagte Camille Desmoulins.

»Ich glaube es auch.« erwiederte Danton.

In diesem Augenblicke trat ein neues Paar ein? das waren Herr und Madame Robert.

Man erinnert sich, daß Madame Robert (Fräulein von Kéralio) am 17, Juli 1791 auf dem Altar des Vaterlands die bekannte Petition dictirte, die ihr Mann schrieb.

Ganz das Gegentheil von den beiden anderen Paaren, wo die Männer den Frauen überlegen waren, war hier die Frau dem Manne überlegen.

Robert war ein dicker Mann von fünfunddreißig bis vierzig Jahren, Mitglied des Clubbs der Cordeliers, mit mehr Patriotismus als Talent, ohne irgend eine Fähigkeit zum Schreiben, ein großer Feind von Lafayette, sehr ehrgeizig, wenn man den Denkwürdigkeiten von Madame Roland glaubt.

Madame Robert zählte damals vierunddreißig Jahre, sie war klein, gewandt, geistreich und stolz; erzogen von ihrem Vater, Guinement von Kéralio, Ritter vom Heiligen-Ludwigsorden, Mitglied der Academie der Inschriften, der unter den Schülern, die er geliebt, einen jungen Corsen zählte, dessen Riesenglück er entfernt nicht vorhersah; – erzogen von ihrem Vater, sagen wir, hatte Fräulein von Kéralio ganz sachte ihre Richtung zur Gelehrtin und zur Schriftstellerin genommen; mit siebzehn Jahren schrieb sie, übersetzte sie, compilirte sie, mit achtzehn Jahren hatte sie einen Roman: Adelaide, gemacht. Da der Gehalt ihres Vaters für diesen nicht hinreichte, so schrieb er in den Mercure und in das Journal des Savants, und mehr als einmal unterzeichnete er hier Artikel seiner Tochter, welche die einigen ganz und gar nicht verunzierten. So gelangte sie zu dem lebhaften, raschen, glühenden Geiste, der aus ihr einen der unermüdlichsten Journalisten der Zeit machte.

Die Robert kamen vom Quartier Saint-Antoine.

Es bot sich dort, wie sie sagten, ein seltsamer Anblick.

Die Nacht war schön, mild, klar, scheinbar friedlich; man sah Niemand oder beinahe Niemand auf den Straßen; nur waren alle Fenster erleuchtet, und alle diese Lichter schienen zu glänzen, um die Nacht zu erhellen.

Das machte eine unheimliche Wirkung es war nicht die Illumination eines Festes; es war ebenso wenig der Schein, der beim Lager der Todten wacht; man fühlte gewisser Maßen die Vorstadt durch diesen fieberhaften Schlaf leben.

50Die Franzosen haben hierfür das offenbar vom Deutschen entlehnte Wort blinder.
51Laßt uns essen und trinken, denn morgen werden wir sterben.