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Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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»Ohne daß Sie etwas gesehen haben, – nicht einmal aus dem Augenwinkel? Was Teufel! eine Binde ist nicht so fest geschlossen, daß man nicht rechts oder links hinausschielen kann.«

»Ei! Ja!«

»Nun, nun! gestehen Sie doch, daß Sie gesehen haben,« sagte lebhaft der Unbekannte.

»Hören Sie: als ich einen falschen Tritt gegen die erste Stufe der Freitreppe that, benutzte ich dies, um eine Gebärde zu machen; während ich diese Gebärde machte, verrückte ich ein wenig meine Binde.

»Und dadurch, daß Sie Ihre Binde verrückten?« fragte der Unbekannte mit derselben Lebhaftigkeit.

»Sah ich eine Linie von Bäumen, was mich zum Glauben brachte, das Haus sei auf dem Boulevard, sonst aber nichts.«

»Sonst nichts?«

»Ah! bei meinem Ehrenwort.«

»Das besagt nicht viel.«

»Weil die Boulevards lang sind, und weil es mehr als ein Haus mit einem großen Thore und einer Freitreppe vom Café Saint-Honoré bis zur Bastille gibt.

»So, daß Sie dieses Haus nicht wiedererkennen würden?«

Der Schlosser dachte einen Augenblick nach.

»Bei meiner Treue, nein,« erwiederte er, »ich wäre nicht im Stande, es wiederzuerkennen.«

Der Unbekannte, obgleich sein Gesicht gewöhnlich nur das zu sagen schien, was er es gern wollte sagen lassen, war, wie man wahrnehmen konnte, ziemlich befriedigt durch diese Versicherung.

»Oh!« sagte er plötzlich, als wollte er zu einer andern Ideenordnung übergehen, »es gibt also keinen Schlosser mehr in Paris, daß die Leute, welche dort Geheimthüren brauchen, Schlosser von Versailles holen lassen?«

Und zu gleicher Zeit schenkte er seinem Gaste ein volles Glas Wein ein und klopfte mit der leeren Flasche auf den Tisch, damit der Wirth eine neue volle brächte.

III
Meister Gamain

Der Schlosser hob sein Glas bis zur Höhe seines Auges empor und betrachtete es wohlgefällig.

Dann kostete er mit augenscheinlicher Befriedigung davon und erwiederte:

»Doch, es gibt Schlosser in Paris.«

Er trank noch ein paar Tropfen.

»Nun?«

»Es gibt sogar Meister,«

Er trank abermals.

»Das sagte ich mir.«

»Doch es ist ein Unterschied unter den Meistern.«

»Ah! Ah!« sagte der Unbekannte lächelnd, »ich sehe, Sie sind wie der heilige Aloisius, nicht nur Meister, sondern Meister über Meister.«

»Und Meister über Alle. Sie sind vom Handwerk?«

»So ungefähr.«

»Was sind Sie?«

»Ich bin Waffenschmied.«

»Haben Sie hier von Ihrer Arbeit?«

»Sehen Sie diese Flinte.«

Der Schlosser nahm die Flinte aus den Händen des Unbekannten, untersuchte sie aufmerksam, ließ die Federn spielen, billigte mit dem Kopfe nickend das scharfe Knacken der Batterien, las dann den auf das Schloßblech und auf den Lauf geschriebenen Namen und rief:

»Leclère? unmöglich, Freund! Leclère ist höchstens achtundzwanzig Jahre alt, und wir gehen Beide gegen das fünfzigste, ohne Ihnen etwas Unangenehmes sagen zu wollen.«

»Es ist wahr,« erwiederte der Unbekannte, »ich bin nicht Leclère, doch es ist ganz dasselbe.«

»Wie, es ist ganz dasselbe?«

»Allerdings, da ich sein Lehrmeister bin.«

»Ah! gut,« rief lachend dir Schlosser, »das ist, als ob ich sagen würde: »»Ich bin nicht der König, doch das ist ganz dasselbe.««

»Wie, das ist ganz dasselbe?« wiederholte der Unbekannte.

»Ei! ja, da ich sein Lehrmeister bin,« sprach der Schlosser.

»Ho! ho!« machte der Unbekannte, indem er aufstand und den militärischen Gruß parodirte, »sollte ich die Ehre haben, mit Herrn Gamain zu sprechen?«

»Mit ihm in Person, und um Ihnen zu dienen, wenn ich hierzu fähig wäre,« sagte der Schlosser, entzückt über die Wirkung, welche sein Name hervorgebracht hatte.

»Teufel,« versetzte der Unbekannte, »ich wußte nicht, daß ich es mit einem so ansehnlichen Mann zu thun habe.«

»Wie?«

»Mit einem so ansehnlichen Manne,« wiederholte der Unbekannte.

»So angesehen, wollen Sie sagen.«

»Ah! ja, verzeihen Sie,« sagte lachend der Unbekannte. »Sie wissen, ein armer Waffenschmied versteht es nicht, sich auszudrücken wie ein Lehrmeister, und was für ein Lehrmeister, der Lehrmeister des Königs von Frankreich.«

Dann nahm er das Gespräch in einem andern Tone wieder auf und fügte bei:

»Sagen Sie mir, es muß nicht sehr belustigen, der Lehrmeister des Königs zu sein?«

»Warum?«

»Ei! wenn man ewig Handschuhe anhaben muß, um guten Morgen und guten Abend zu sagen!«

»Oh! nein.«

»Wenn man sagen muß: »»Euere Majestät, nehmen Sie diesen Schlüssel mit der linken Hand  . . . Sire, nehmen Sie diese Felle mit der rechten Hand.«

»Ah! darin lag gerade der Reiz bei ihm, denn sehen Sie, er ist im Grunde ein guter Mensch. War er einmal in der Schmiede, hatte er die Schürze vorgebunden und die Aermel seines Hemdes zurückgeschlagen, so hätte man nie glauben sollen, er sei der älteste Sohn vom heiligen Ludwig, wie sie ihn nennen.«

»In der That, Sie haben Recht, es ist außerordentlich, wie ein König einem andern Menschen gleicht.

»Ja, nicht wahr? Diejenigen, welche in ihre Nähe kommen, haben dies längst bemerkt,«

»Oh! es wäre nichts, wenn nur diejenigen, welche in ihre Nähe kommen, es bemerkt hätten,« sprach der Unbekannte mit einem seltsamen Gelächter, »aber diejenigen, welche sich von ihnen entfernen, fangen besonders an, es zu bemerken.«

Gamain schaute den Unbekannten mit einer gewissen Verwunderung an.

Doch dieser, welcher schon seine Rolle vergessen hatte, ließ ihm nicht Zeit, den Werth des Satzes, den er ausgesprochen, abzuwägen, und sagte, auf das Vorhergehende zurückkommend:

»Ein Grund mehr: daß man einen Menschen, welcher ist wie ein Anderer, Sire und Majestät nennen muß, finde ich demüthigend.«

»Man mußte ihn aber weder Sire, noch Majestät nennen! Sobald er in der Schmiede war, gab es Alles dies nicht. Ich nannte ihn Bürger, und er nannte mich Gamalo; nur duzte ich ihn nicht, und er duzte mich.«

»Ja, doch wenn die Stunde des Frühstücks oder des Mittagbrodes kam, schickte man Gamalo in die Office, wo er mit den Dienstleuten, mit den Lackeien essen mußte.«

»Nein, oh! nein, das hat man nie gethan; im Gegentheil, er ließ mir einen ganz gedeckten Tisch in die Schmiede bringen, und oft, beim Frühstück besonders, setzte er sich mit mir zu Tische und sagte: »»Bah! ich werde nicht bei der Königin frühstücken; so brauche ich mir die Hände nicht zu waschen.«

»Ich begreise nicht recht  . . .«

»Sie begreifen nicht, daß der König, wenn er mit mir arbeitete, Eisen schmiedete, Hände hatte, wie wir sie haben, was uns nicht abhält, ehrliche Leute zu sein; so daß die Königin mit ihrem zimperlichen Gesichtchen zu ihm sagte: »»Pfui! Sire, Sie haben schmutzige Hände!«« Als ob man reinliche Hände haben könnte, wenn man in der Schmiede gearbeitet hat.«

»Sprechen Sie nicht hiervon,« sagte der Unbekannte, »das ist zum Weinen.«

»Sehen Sie, im Ganzen gefiel er sich nur dort, dieser gute Mann, oder in seinem geographischen Cabinet, mit mir oder mit seinem Bibliothekar; doch ich glaube, ich war es abermals, den er am meisten liebte.«

»Gleichviel, es ist nicht erfreulich, der Lehrmeister eines schlechten Zöglings zu sein.«

»Eines schlechten Zöglings?« rief Gamain; »oh! nein, Sie müssen das nicht sagen: er ist sogar sehr unglücklich, sehen Sie, daß er als König auf die Weit gekommen, und daß er sich mit einer Menge von Dummheiten zu beschäftigen hat, wie die, mit welchen er sich beschäftigt, statt unablässig Fortschritte in der Kunst zu machen. Das wird immer nur ein armer König sein, er ist zu redlich, und er wäre ein vortrefflicher Schlosser geworden. Da ist Einer zum Beispiel, den ich verfluche wegen der Zeit, die er durch ihn verlor: das war Herr Necker. Wie viel Zeit hat dieser ihn verlieren lassen, mein Gott! wie viel Zeit.«

»Mit seinen Rechnungen, nicht wahr?«

»Ja, mit seinen blauen Rechnungen, mit seinen Luftrechnungen, wie man sagte.«

»Nun wohl Freund, aber sagen Sie mir doch  . . .«

»Was?«

»Es mußte ein vortrefflicher Kunde für Sie sein, ein Zögling von diesem Stande?«

»Oh! nein; gerade darin täuschen Sie sich, deshalb bin ich ihm gram, Ihrem Ludwig XVI., Ihrem Vater des Vaterlands, Ihrem Wiederhersteller der französischen Nation. Man hält mich für reich wie Krösus, und ich bin arm wie Hiob.«

»Sie sind arm? Aber was machte er denn mit seinem Gelde?«

»Er gab eine Hälfte den Armen und die andere Hälfte den Reichen, so daß er nie einen Sou hatte. Die Coigny, die Vaudreuil und die Polignac nagten an dem armen Manne! Eines Tages wollte er den Gehalt von Herrn von Coigny vermindern. Herr von Coigny wartete auf ihn vor der Thüre der Schmiede; fünf Minuten, nachdem der König hinausgegangen war, kam er ganz bleich wieder zurück und sagte: »»Oh!l bei meiner Treue, ich glaubte, er werde mich schlagen.«« »»Und der Gehalt, Sire?«« fragte ich ihn. »»Ich habe ihm seinen Gehalt gelassen,«« antwortete er; »»was konnte ich Anderes thun,«« Er wollte ein andermal der Königin Bemerkungen über ein Wickelzeug für Frau von Polignac machen, ein Wickelzeug von dreimal hunderttausend Franken, denken Sie.«

»Das ist hübsch!«

»Nun! das war nicht genug. Die Königin schenkte ihr eines von fünfmal hunderttausend. Sehen Sie auch alle diese Polignac, welche vor zehn Jahren nicht einen Sou besaßen und Frankreich nun mit Millionen verlassen haben! Wenn sie nur Talent hätten, aber geben Sie allen diesen Burschen einen Amboß und einen Hammer, sie sind nicht im Stande, ein Hufeisen zu schmieden, geben Sie ihnen eine Felle und einen Schraubstock, sie sind nicht im Stande, eine Schloßschraube zu verfertigen  . . . dagegen Schönredner, Chevaliers, wie sie sagen, die den König aufgestachelt und vorwärts getrieben haben, und nun ihn sich herausziehen lassen, wie er kann, – mit Herrn Bailly, mit Herrn Lafayette und Herrn Mirabeau, während er mich, der ich ihm so gute Rathschläge gegeben hätte, hätte er daraus hören wollen, mit einer Rente von fünfzehn hundert Livres, die er mir bewilligt hat, abspeist, mich, seinen Lehrmeister, mich, seinen Freund, mich, der ich ihm die Feile in die Hand gegeben habe.«

 

»Ja, doch wenn Sie mit ihm arbeiten, gibt es immer irgend einen Gewinn?«

»Ei! arbeite ich denn jetzt mit ihm? Vor Allem würde ich mich hierdurch gefährden. Seit der Einnahme der Bastille habe ich keinen Fuß mehr in den Palast gesetzt. Einmal oder zweimal bin ich ihm begegnet: das erste Mal waren Leute auf der Straße, und er beschränkte sich darauf, daß er mich grüßte; das zweite Mal, das war aus der Straße nach Satory, wir waren allein; er ließ seinen Wagen halten und sagte mit einem Seuszer: »»Nun, mein armer Gamain, guten Morgen.«« »»Ah! ja, nicht wahr, das geht nicht, wie Sie wollen, doch das wird Sie lehren  . . .«« »»Und Deine Frau und Deine Kindern,«« unterbrach er mich, »»es befindet sich Alles wohl?«« »»Vortrefflich! Alle haben einen Höllenappetit.«« »»Höre, Du wirst Ihnen dieses Geschenk von mir überbringen.«« Und er suchte in seinen Taschen, in allen, und brachte neun Louis d’or zusammen. »»Das ist Alles, was ich bei mir habe, mein armer Gamain,«« sagte er, »»und ich schäme mich ganz, daß ich Dir ein so trauriges Geschenk mache,«« Und, in der That, Sie werden zugestehen, er hatte Ursache, sich zu schämen: ein König, der nur neun Louis d’or in seinen Taschen hat, ein König, der einen, Freunde, einem Kameraden ein Geschenk von neun Louis d’or macht!  . . .Auch  . . .«

»Sie haben es auch ausgeschlagen.«

»Nein; ich habe mir gesagt: »»Man muß es immerhin nehmen, er könnte einen Andern treffen, der weniger verschämt wäre und es annehmen würde!«« Doch gleichviel, er kann ruhig sein, ich werde keinen Fuß mehr in das Schloß von Versailles setzen, wenn er mich nicht holen läßt, und auch dann, auch dann!«

»Dankbares Herz!« murmelte der Unbekannte.

»Sie sagen?«

»Ich sage, Meister Gamain, es sei rührend, eine Ergebenheit wie die Ihrige das Unglück überleben zu sehen! Ein letztes Glas Wein auf die Gesundheit Ihres Lehrlings.«

»Ah! bei meiner Treue! er verdient es kaum, doch gleichviel! Dennoch aus seine Gesundheit!«

Er trank.

»Und wenn ich bedenke,« fuhr er fort, »wenn ich bedenke, daß er in seinen Kellern mehr als zehntausend Flaschen hatte, von denen die am mindesten gute zehnmal so viel werth war als diese, und daß er nie zu einem Bedienten sagte: »»So und so, nimm einen Korb Wein und trage ihn zu meinem Freunde Gamain!«« Ah! jawohl, er ließ ihn lieber von seinen Gardes du corps, von, seinen Schweizern und von seinen Soldaten vom Regimente Flandern trinken: das ist ihm gut bekommen!«

»Was wollen Sie?« sprach der Unbekannte, während er sein Glas in kleinen Zügen leerte, »die Könige sind so, die Undankbaren! Doch stille! wir sind nicht mehr allein.«

Es waren in der That drei Personen, zwei Männer aus dem Volke und eine Poissarde, in dieselbe Schenke eingetreten und hatten sich an den Tisch gesetzt, der Seitenstück zu dem bildete, an welchem der die zweite Flasche vollends mit Meister Gamain leerte.

Der Schlosser schaute nach ihnen hinüber und betrachtete sie mit einer Aufmerksamkeit, welche den Unbekannten lächeln machte.

Diese drei neuen Personen schienen in der That einiger Aufmerksamkeit würdig.

Von den zwei Männern war der Eine ganz Rumpf; der Andere war ganz Beine.

Der Mann, der ganz Rumpf war, glich einem Zwerge; er war kaum fünf Fuß hoch; vielleicht verlor er auch ein paar Zoll von seiner Höhe durch das Biegen seiner Kniee, welche, wenn er stand, sich innen berührten, so weit auch seine Füße aus einander liefen. Statt den Eindruck dieser Mißstaltung zu schwächen, schien sie sein Gesicht noch viel bemerkbarer zu machen; fett und schmutzig, lagen seine Haare flach auf seiner niedergedrückten Stirne; seine schlecht gezeichneten Brauen schienen durch Zufall gewachsen zu sein; seine Augen waren im gewöhnlichen Zustande glasig, trübe und ohne Flammen, wie die einer Kröte; nur in den Momenten der Aufreizung sprühten sie einen Funken, ähnlich dem, welcher aus dem zusammengezogenen Augapfel einer wüthenden Schlange springt; seine Nase war geplattet und verstärkte noch, von der geraden Linie abgehend, die Hervorragung der Backenknochen; dieses häßliche Gesammtwesen vervollständigend, bedeckte sein krummer Mund mit seinen gelblichen Lippen ein paar spärliche, wackelnde, schwarze Zähne.

Dieser Mensch schien beim ersten Anblick Galle statt des Blutes in den Adern zu haben.

Der Zweite, der das Gegentheil des Ersten bildete, dessen Beine kurz und krumm, schien wie ein Reiher auf ein Paar Stelzen gestellt zu sein. Seine Aehnlichkeit mit dem Vogel, mit dem wir ihn verglichen, war um so größer, als er ebenfalls buckelig und als sein völlig zwischen seinen beiden Schultern verlorener Kopf sich nur durch zwei Augen, welche zwei Blutflecken zu sein schienen, und durch eine lange, schnabelartige Nase kenntlich machte. Im ersten Moment hätte man auch glauben sollen, er habe die Fähigkeit, seinen Hals nach Art einer Feder auszudehnen und auf eine gewisse Entfernung ein Auge demjenigen auszustoßen, dem er diesen schlechten Dienst hätte leisten wollen. Doch es verhielt sich nicht so; seine Arme allein hatten diese seinem Halse verweigerte Elasticität, und, so wie er saß, brauchte er nur den rechten zu verlängern, um ein Taschentuch aufzuheben, das er hatte fallen lassen, nachdem er sich seine zugleich vom Schweiß und vom Regen befeuchtete Stirne abgewischt.

Der Dritte oder die Dritte, wie man will, war ein amphibisches Wesen, dessen Gattung man wohl zu erkennen vermochte, während sich sein Geschlecht schwer unterscheiden ließ. Diese Person war ein Mann oder eine Frau von dreißig bis vier und dreißig Jahren, in der eleganten Tracht einer Poissarde, mit goldenen Ketten und Ohrringen, mit Halbschleier und Spitzensacktuch; ihre Züge waren, so weit man sie durch eine Lage von weißer und rother Schminke, die ihr Gesicht bedeckte, und durch die Schönpflästerchen von allen Formen, welche diese Schminke besternten, leicht verwischt, wie man dies bei den ausgearteten Racen gewahrt. Hatte man sie einmal gesehen, war man einmal bei ihrem Anblick in den Zweifel eingetreten, den wir so eben ausgedrückt haben, so wartete man mit Ungeduld, daß sich ihr Mund öffne, um ein paar Worte zu sprechen, denn man hoffte, der Ton ihrer Stimme werde ihrer, ganzen zweifelhaften Erscheinung einen Charakter geben, mit dessen Hilfe diese Ungewißheit sich lösen ließe. Doch es war nicht so. Ihre Stimme, welche die eines Sopran zu sein schien, versenkte den Neugierigen und den Beobachter noch tiefer in den Zweifel, welchen ihre Person erregt hatte; das Ohr klärte das Auge nicht auf; das Gehör ergänzte den Gesichtssinn nicht.

Die Strümpfe und die Schuhe der zwei Männer, sowie die Strümpfe der Frau zeigten an, daß diejenigen, welche sie trugen, sich schon lange aus der Straße herumtrieben.

»Es ist erstaunlich,« sagte Gamain, mir scheint, »das ist eine Frau, die ich kenne.«

»Das mag sein; doch sobald diese drei Personen beisammen sind, mein lieber Herr Gamain, darf man annehmen, daß sie etwas mit einander zu thun haben,« sagte der Unbekannte, indem er seine Flinte ergriff und seine Mütze tiefer aus das Ohr drückte; »sobald sie aber etwas zu thun haben, muß man sie beisammen lassen.«

»Sie kennen sie also?« fragte Gamain.

»Ja, vom Sehen,« antwortete der Unbekannte. »Und Sie?«

»Ich, ich wollte dafür stehen, daß ich diese Frau auch irgendwo gesehen habe.«

»Bei Hofe wahrscheinlich,« sagte der Unbekannte.

»Ah! ja wohl! eine Poissarde!«3

»Sie gehen seit einiger Zeit oft dahin.«

»Wenn Sie sie kennen, so nennen Sie mir doch die zwei Männer; das wird mir sicherlich die Frau erkennen helfen.«

»Die zwei Männer?«

»Ja.«

»Welchen soll ich Ihnen zuerst nennen?«

»Den Krummbeinigen.«

»Jean Paul Marat.«

»Ah! Oh!«

»Hernach?«

»Den Buckeligen?«

»Prosper Verrières.«

»Ah! Ah!«

»Nun! bringt Sie das aus die Spur der Poissarde?«

»Bei meiner Treue, nein,«

»Suchen Sie.«

»Ich zerbreche mir den Kopf.«

»Nun, die Poissarde?«

»Warten Sie . . . Doch nein, ah! ja, ah! nein.«

»Doch  . . .«

»Es . . . es ist unmöglich.«

»Ja, beim ersten Anblick sieht es aus, als ob es unmöglich wäre.«

»Es ist  . . .«

»Oh! ich sehe wohl, daß Sie ihn nie nennen werden, und daß ich ihn nennen muß: die Poissarde ist der Herzog von Aiguillon.«

Als dieser Name ausgesprochen wurde, bebte die Poissarde und wandte sich, wie die zwei andern Männer, um.

Alle Drei machten eine Bewegung, um aufzustehen, wie man es vor einem Vorgesetzten thun würde, dem man seine Ehrfurcht bezeigen wollte.

Doch der Unbekannte legte seinen Finger aus den Mund und ging hinaus.

Gamain folgte ihm; er glaubte zu träumen.

Vor der Thüre wurde er von einem Menschen gestoßen, der zu fliehen schien, verfolgt von Leuten, welche riefen:

»Der Friseur der Königin! der Friseur der Königin!«

Unter diesen laufenden und schreienden Leuten waren zwei, welche jeder einen blutigen Kopf am Ende eines Spießes trugen.

Es waren die Köpfe von zwei unglücklichen Gardes du corps, Varicourt und Deshuttes, welche, vom Leibe getrennt, jeder an das Ende eines Spießes gesteckt worden waren.

Diese Köpfe bildeten, wie gesagt, einen Theil des Trupps, der dem Unglücklichen, welcher Gamain gestoßen, nachlief.

»Sieh da, Herr Leonard,« sagte dieser.

»Stille, nenne mich nicht!« rief der Friseur, in die Schenke stürzend.

»Was wollen sie denn von ihm?« fragte der Schlosser den Unbekannten.

»Wer weiß?« antwortete der Anderes »sie wollen ihn vielleicht die Köpfe dieser armen Teufel frisiren lassen. In Revolutionszeiten hat man so wunderliche Einfälle!«

Und er vermischte sich mit der Menge und ließ Gamain, dem er ohne Zweifel Alles entlockt hatte, was er zu wissen brauchte, wie es ihm gutdünkte, nach seiner Werkstätte in Versailles zurückkehren.

IV
Cagliostro

Es wurde dem Unbekannten um so leichter, sich mit dieser Menge zu vermischen, als sie zahlreich war.

Sie bildete die Vorhut vom Zuge des Königs, der Königin und des Dauphin.

Man war, wie es der König gesagt hatte, gegen ein Uhr Nachmittags von Versailles abgegangen.

Die Königin, der Dauphin, Madame Royale, der Graf von Provence, Madame Elisabeth und Andrée4 waren in den Wagen des Königs gestiegen.

Hundert Wagen hatten die Mitglieder der Nationalversammlung, welche sich vom König unzertrennlich erklärt, aufgenommen.

Der Graf von Charny und Billot waren in Versailles geblieben, um die letzte Ehre dem Baron George von Charny zu erweisen, der, wie wir erzählt haben, in der erschrecklichen Nacht vom 5. auf den 6. October getödtet wurde, und um es zu verhindern, daß man seinen Leichnam verstümmelte, wie man die Leichname der Gardes du corps Baricourt und Deshuttes verstümmelt hatte.

Die Vorhut, von der wir gesprochen, welche zwei Stunden vor dem König aufgebrochen war und ihm ungefähr eine Viertelstunde voranging, war gewisser Maßen um die zwei Köpfe der Gardes du corps versammelt, die ihnen als Fahne dienten.

Als diese Köpfe bei der Schenke vom Pont de Sèvres anhielten, machte die Vorhut mit ihnen und zu gleicher Zeit mit ihnen Halt.

Diese Vorhut bestand aus zerlumpten, halb trunkenen Elenden, – Schaum, wie man ihn auf der Oberfläche jeder Ueberschwemmung sieht, mag diese nun von Wasser oder von Lava sein.

 

Plötzlich entstand in dieser Menge ein gewaltiger Tumult. Man hatte die Bajonnete der Nationalgarde und das weiße Pferd von Lafayette erblickt, welche unmittelbar vor den Wagen des Königs kamen.

Lafayette liebte sehr die Volksversammlungen; in der Mitte des Volkes von Paris, dessen Idol er war, regierte er wahrhaft.

Doch er liebte den Pöbel nicht.

Paris, wie Rom, hatte seine plebs und seine plebecula.

Er liebte besonders die Executionen nicht, welche der Pöbel selbst vollzog. Man hat gesehen, daß er Alles gethan, was er hatte thun können, um Flesselles, Foulon und Berthier von Sauvigny zu retten.

Es war also zugleich um vor ihm ihre Trophäe zu verbergen und um die blutigen Insignien beizubehalten, welche ihren Sieg bestätigten, diese Vorhut so weit vorangegangen.

Doch es scheint, daß, verstärkt durch das Triumvirat, welches sie in der Schenke zu treffen das Glück gehabt, die Fahnenträger ein Mittel gefunden hatten, Lafayette auszuweichen, denn sie weigerten sich, mit ihren Gefährten abzugehen, und beschlossen, da Seine Majestät erklärt habe, sie wolle sich nicht von ihren getreuen Garden trennen, so werden sie Seine Majestät erwarten, um ihren Cortége zu bilden.

Dem zu Folge begab sich die Vorhut, nachdem sie Kräfte gesammelt, wieder auf den Weg.

Dieser Pöbel, der aus der Landstraße von Paris nach Versailles abfloß, – einer ausgetretenen Gosse ähnlich, welche, noch einem Sturme, in ihren schwarzen, kothigen Wellen die Bewohner eines Palastes fortreißt, die sie auf ihrem Wege getroffen und in ihrer Heftigkeit niedergeworfen hatte, – diese Menge, sagen wir, hatte auf jeder Seite der Straße eine Art von Sog, gebildet von den Einwohnerschaften der an dieser Straße liegenden Dörfer, welche, Herbeiliefen, um zu sehen, was vorging. Von denjenigen, welche so herbeiliefen, vermischten sich Einige, – es war die kleinere Zahl, – mit der das Geleite des Königs bildenden Menge und schleuderten ihr Geschrei unter all dieses Geschrei, doch die Mehrzahl blieb unbeweglich und schweigsam aus beiden Seiten des Weges.

Sagen wir deshalb, sie haben sehr mit dem König und der Königin sympathisirt? nein, denn, abgesehen von denjenigen, welche zu der aristokratischen Klasse der Gesellschaft gehörten, litt Jedermann mehr oder weniger unter der erschrecklichen Hungersnoth, die sich über Frankreich ausgebreitet hatte. Sie schmähten also den König, den Dauphin und die Königin nicht, sie schwiegen, und das Stillschweigen der Menge ist vielleicht noch schlimmer als ihr Schmähen.

Dagegen schrie diese Menge mit voller Lunge: »Es lebe Lafayette!« welcher von Zeit zu Zeit den Hut mit der linken Hand abnahm und mit seinem Degen in der rechten Hand grüßte, und: »Es lebe Mirabeau,« welcher von Zeit zu Zeit auch seinen Kopf aus dem Schlage der Carrosse, in der er mit fünf Anderen aufgehäuft war, streckte, um mit vollen Zügen die für seine große Lunge nothwendige äußere Luft einzuathmen.

So hörte der unglückliche Ludwig XVI»für den Alles Stillschweigen war, vor sich die Sache, die er verloren: die Volksbeliebtheit, und die, welche ihm immer gefehlt hatte: das Genie, beklatschen.

Gilbert marschirte, wie er es bei der Fahrt des Königs allein gethan hatte, mit aller Welt vermischt am rechten Schlage der Carrosse des Königs, das heißt auf der Seite der Königin.

Die Königin, welche nie den Stoicismus von Gilbert begreifen konnte, dem die amerikanische Reise eine neue Herbheit beigefügt hatte, schaute mit Verwunderung diesen Mann an, der, ohne Liebe und ohne Ergebenheit für seine Fürsten, ganz einfach bei ihnen das erfüllend, was er eine Pflicht nannte, dennoch bereit war, für sie Alles zu thun, was man aus Ergebenheit und Liebe thut.

Noch mehr, denn er war bereit, zu sterben, und die Ergebenheit, die Liebe von Vielen gingen nicht so weit.

Aus den beiden Seiten des Wagens des Königs und der Königin marschirte, – außer jener Art von Leuten, die sich dieses Postens theils aus Neugierde, theils um bereit zu sein, dem erhabenen Reisenden im Nothfall beizustehen, bemächtigt hatten, – in einem sechs Zoll hohen Kothe patschend, die Damen und die Starken der Halle, welche von Zeit zu Zeit, unter ihrem buntscheckigen Flusse von Blumen und Bändern, wie eine compactere Welle zu rollen schienen.

Diese Welle war eine Kanone oder ein Pulverwagen mit Weibern beladen, welche mit lauter Stimme sangen oder aus vollem Halse schrieen.

Was sie sangen, war das alte Volkslied:

 
Die Bäckerin hat Thaler,
Sie kosten sie nichts.
 

Was sie sagten, war die neue Formel ihrer Hoffnung:

»Es wird uns nun nicht mehr an Brod fehlen, wir bringen den Bäcker, die Bäckerin und den Bäckerjungen zurück.«

Die Königin schien Alles dies zu hören, ohne etwas davon zu begreifen. Sie hielt zwischen ihren Beinen stehend den kleinen Dauphin, der diese Menge mit der bestürzten Miene anschaute, mit welcher die Fürstenkinder die Menge – in den Stunden der Revolutionen – anschauen, wie wir sie den König von Rom, den Herzog von Bordeaux und den Grafen von Paris haben anschauen sehen.

Nur ist unsere Menge stolzer und großmüthiger als jene, denn sie ist stärker und begreift, daß sie Gnade üben kann.

Der König schaute Alles dies mit seinem trüben, beschwerten Blick an. Er hatte die vorhergehende Nacht kaum geschlafen, er halte bei seinem Frühstück kaum gegessen, es hatte ihm an Zeit gefehlt, um seine Frisur wieder zurecht zu richten und zu pudern; sein Bart war lang, seine Wäsche zerknittert, lauter Dinge, welche ihm sehr zum Nachtheil gereichten. Ach! der arme König war nicht der Mann der schwierigen Umstände. Unter allen schwierigen Umständen beugte er auch das Haupt. An einem einzigen Tag erhob er es: das war aus dem Schaffot, in dem Augenblick, wo es fallen sollte.

Madame Elisabeth war der Engel der Sanftmuth und der Hingebung, den Gott zu diesen verurtheilten Geschöpfen gestellt hatte, und der den König im Temple über die Abwesenheit der Königin trösten, die Königin in der Conciergerie über den Tod des Königs trösten sollte.

Herr von Provence hatte, hier wie immer, seinen schiefen, falschen Blick; er wußte wohl, daß er, für den Moment wenigstens, keine Gefahr lief; das war in diesem Augenblick der Volksbeliebte der Familie – warum? man weiß es nicht; – vielleicht, weil er in Frankreich geblieben, während sein Bruder, der Graf d’Artois, abgereist war.

Hätte aber der König im Grunde des Herzens von Herrn von Provence lesen können, so fragt es sich, ob das, was er darin gelesen, sehr unversehrt die Dankbarkeit gelassen hätte, welche er ihm für das hegte, was er für Ergebenheit hielt.

Andrée sah aus, als wäre sie von Marmor; sie hatte nicht besser geschlafen als die Königin, nicht besser gegessen als der König, doch die Lebensbedürfnisse schienen nicht für diese ausnahmsweise Natur gemacht. Sie hatte nicht mehr Zeit gehabt, ihre Frisur wiederherzustellen oder die Kleider zu wechseln, und dennoch war auch nicht ein Haar aus ihrem Haupte in Unordnung, deutete nicht eine Falle ihres Kleides ein ungewöhnliches Zerknittern an. Wie eine Statue schienen sie diese Wogen, welche um sie her verliefen, ohne daß sie ihnen die geringste Aufmerksamkeit schenkte, noch glatter und weißer zu machen; diese Frau hatte offenbar im Innersten des Kopfes oder des Herzens einen einzigen, nur für sie leuchtenden Gedanken, zu dem ihre Seele hinstrebte, wie zum Polarstern die Magnetnadel hinstrebt. Sie glich einer Art von Schatten unter den Lebendigen, und es deutete nur Eines bei ihr an, daß sie lebte: das war der unwillkürliche Blitz, der aus ihrem Blicke zuckte, so oft ihr Auge dem Auge von Gilbert begegnete.

In einer Entsernung von ungefähr hundert Schritten, ehe er zu der Schenke kam, von der wir gesprochen, machte der Zug Halt; das Geschrei verdoppelte sich auf der ganzen Linie, Die Königin beugte sich leicht aus dem Schlage ihres Wagens, und auf diese Bewegung, welche doch einem Gruße glich, durchlief ein langes Gemurre die Menge.

»Herr Gilbert?« sagte sie.

Gilbert näherte sich dem Schlage. Da er seit Versailles seinen Hut in der Hand hielt, so hatte er nicht nöthig ihn abzunehmen, um der Königin ein Zeichen von Ehrfurcht zu geben.

»Madame?« erwiederte er.

Dieses einzige Wort deutete durch die entschiedene Betonung, mit der es ausgesprochen wurde, an, daß Gilbert ganz zu den Befehlen der Königin war.

»Herr Gilbert,« fragte Marie Antoinette, »was singt denn, was sagt denn, was schreit denn Ihr Volk?«

Man sieht gerade an der Form dieses Satzes, daß ihn die Königin vorbereitet und ohne Zweifel seit langer Zeit zwischen ihren Zähnen gekaut hatte, ehe sie ihn durch den Wagenschlag dieser Menge ins Gesicht spuckte.

Gilbert stieß einen Seufzer aus, welcher bedeutete:

»Immer dieselbe!«

Dann sprach er mit einem tiefen Ausdruck von Schwermuth:

»Ach! Madame, dieses Volk, welches Sie mein Volk nennen, ist einst das Ihrige gewesen, und es ist nun etwas weniger als zwanzig Jahre her, daß Herr von Brissac, ein äußerst artiger Höfling, den ich vergebens hier suche, Ihnen vom Balcon eben dieses Volk, welches: »»Es lebe die Dauphine!«« rief, zeigte und zu Ihnen sagte: »»Madame, Sie haben da zweimalhunderttausend Liebhaber.««

Die Königin biß sich aus die Lippen; es war nicht möglich, diesen Mann bei einem Mangel an Erwiederung oder bei einem Mangel an Respect zu ertappen.

»Ja, das ist wahr,« sagte die Königin; »das beweist nur, daß die Völker sich verändern.«

3Man erlaube uns, obgleich wir das gute deutsche Wort Fischweib dafür haben, die in der Revolution von 89 so historisch gewordene Benennung Poissarde beizubehalten, D. Uebers.
4Wir sprechen immer in der Ueberzeugung oder wenigstens in der Hoffnung, unsere Leser von heute seien unsere Leser von gestern und folglich vertraut mit unseren Personen. Wir glauben also nicht nicht nöthig zu haben, sie an etwas Anderes zu erinnern, als daran, daß Fräulein Andrée von Tavernen, die Gräfin von Charny, die Schwester von Philipp und die Tochter des Baron von Taverney von Maison-Rouge ist. A. Dumas.