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Der Pechvogel

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– Tausend Millionen Stückpforten, rief er, indem er seine Phrasen aus dem Wörterbuch der Marine mehr als je vervollständigte, welche Narrheit von mir daß ich meinen Schild entdecken mußte ehe der Schiffsjunge an die See gewöhnt war! Warum mußte ich auch den Blödsinn begehen Dir von meinen Plänen vorzuschwatzen?

– Ich erspare Dir Gewissensbisse, versetzte Valentin; sieh; ich habe noch nie Etwas von Dir verlangt; nun wohl, jetzt bitte ich Dich, bringe unserer Freundschaft dieses Opfer.

– Man wird es versuchen, sagte der Herr der Möve brutal. Ja, es ist heute die Kirchweih von Argenteuil und es finden Kahnfahrten statt; meine Gölette soll heute ihren Kiel nach dieser Seite hin spazieren führen, statt die Marnefahrt zu machen. Ich werde trinken, werde mich tüchtig ins Zeug werfen, ich werde alles unter den Tisch saufen, und wehe dem der mir ein schiefes Gesicht zeigt! Ha! es soll sich nur einer regen!

So sprechend hatte der Bildhauer die drei neapolitanischen Matrosencostüme aufgehoben, und als er seine Phrase vollendet hatte, nahm er den Pack unter seinen Arm und entfernte sich, ohne seinem Freund Adieu zu sagen, mit der schmollendem verdrießlichen Miene eines Schuljungen dem man tüchtig den Kopf gewaschen hat.

Als das Getöne seiner Schritte unter dem Hofthor verhallt war, suchte Valentin den Schmerz der seine Seele zusammenschnürte nicht mehr im Zaume zu halten; er sank auf einen Stuhl und rief unter lautem Schluchzen:

– Mein Gott! mein Gott! Sie liebt Richard! Er blieb lange in derselben Stellung, die Stirne in seine Hand gelegt, während Thränen über seine Wangen glitten und wunderliche Zeichnungen auf dem Fußboden aufführten.

Endlich richtete er seinen Kopf empor und sagte mit einem wehmüthigen Lächeln:

– Wenigstens kann ich sie jetzt ohne Gefahr für sie und für mich wiedersehen. Ich habe geschworen.

XIV.
Wie der Capitän der Möve beschloß eine Enterung zu versuchen

—–

Wir haben gesehen wie Richard in sehr schlechter Laune seine Wohnung verließ; er ging am Ufer des Kanals hin, und je weiter er kam, um so größer wurde sein Zorn.

Er hatte nie Etwas ertragen was seinen Lauen entgegentrat, aber seine dießmalige Grille lag ihm vermuthlich mehr am Herzen als alle andern, und sein Aerger grenzte an Wahnwitz.

Er hielt einen mit starken Pantomimen begleiteten Monolog, worin er Valentin wegen einfältiger Sprödigkeit hart mitnahm. Er gab ihm die unparlamentarischsten Bezeichnung, schonte übrigens auch sich selbst nicht, wenn er sich die Schwäche vorwarf womit er sich die moralische Ueberlegenheit seines Freundes gefallen ließ, und er bekräftigte seine Ausrufungen mit zahlreichen Faustschlägen auf den Pack den er unter seinem Arme trug.

Endlich kam er an die Marienbrücke, wo seine theure Gölette lag.

Der Bildhauer war ärgerlich über seine stillschweigende Bewilligung der Bitte Valentins, daß er, zu großer Verwunderung des Waschmannes unter dessen obhut das Schiff stand, die sorgfältige Besichtigung des Rumpfes, sowie des Mast- und Takelwertes, die er sonst bei jedem Wiedersehen mit väterlicher Aengstlichkeit vornahm, dießmal unterließ.

Er fragte verdrießlich ob Knirps und sein Kamerad gekommen seien, und auf die verneinende Antwort des Waschmannes kehrte er ihm, statt ein Gespräch anzufangen, den Rücken und setzte sich auf eine der Bänke des Schiffes.

Es gibt Tage die mit einem schwarzen Kreuz bezeichnet sind und an denen euch nichts gelingt. Alles vereinigte sich um den Zorn des Bildhauers zu vergrößern.

Die unumschränkten Herren, mögen sie nun Könige oder Capitäne, wenn auch nur Capitäne einer Möve sein, gleichen sich alle. Richard, der auf eine schmerzliche Probe gestellt wurde, dachte, um sich in Zukunft diese Widerwärtigkeiten zu ersparen, an nichts Geringeres als an die Einführung der Seilhiebe in der Sequaner Marine. Endlich bemerkte er seine beiden Bummler; sie kamen die Quaitreppe herab und hatten Maulaffen feil, wie Leute die durchaus keine Eile haben.

Millionen Donnerwetter! wollt ihr kommen, ihr Schlingel! heulte der Bildhauer.

Die beiden jungen Leute drehten sich um, und als sie ihren Capitän bemerkten, schlugen sie den Geschwindschritt an.

– Tausend Stückpforten, wollt auch ihr mich verhöhnen! sagte Richard, als seine beiden Untergebenen die rechte Band am Hut vor ihn traten.

– Capitän, es ist wahrhaftig nicht unsere Schuld, fing Knirps an.

– Halt Dein naseweises Maul! ich sehe zum Voraus was für schöne Gründe Du vorbringen wirst, und es wird mir wehe ehe ich sie höre: der Dienst vor allen Dingen.

– Capitän, versetzte der hartnäckige Knirps, sehen Sie, Challamel hier hatte mir eine Idee mitgetheilt die ich sehr verständig und wahrscheinlich fand.

– Challamel ist ein Einfaltspinsel.

– Ich will nicht das Gegentheil behaupten, Capitän. Da er jedoch Valentin in dem Guckuck sah der nach Varenne fährt, so konnte er glauben, Sie würden ihn begleiten und wären entschlossen auf einen Tag der Möve untreu zu werden . . . so daß – Du hast Valentin in dem Wagen nach Varenne gesehen! rief Richard, indem er Challamel bei der Halsbinde ergriff und schüttelte, wie einen jungen Maibaum von dem man die Maikäfer herabbringen will.

– Allerdings, Capitän. . . aber Sie erdrosseln mich ja.

– Und wann hast Du ihn gesehen?

– Soeben als ich über den Bastilleplatz ging,

– Das ist nicht wahr.

– Ich bleibe aber dennoch dabei, Capitän. Zum Beweis führe ich an daß die Berline mit einem Schimmel und einem Schecken bespannt war und daß Valentin den Kopf zum Fenster herausstreckte. Zum Henker, sagte ich zu mir selbst, der Kahn macht alle Wochen denselben Weg, ich begreife daß das den Capitän langweilt.

Richard hatte Challamel losgelassen und war, wie niedergeschmettert durch die empfangene Botschaft, auf eine Bank gesunken.

– Mich so zu verhöhnen! murmelte er: o der Elende! Meine Freundschaft für ihn zu mißbrauchen, auf meine Loyalität zu speculiren! Ha, ich hätte seinen sentimentalen Zierereien und seinem tugendhaften Gewinsel mißtrauen sollen. Wie konnte ich so dumm sein nicht zu bemerken daß er in sie verliebt war, und in die Falle zu gehen die er mir gestellt hat, um sich ganz frei bei ihr bewegen zu können!.

– Capitän, Sie müssen sich rächen, sagte Knirps.

– Wer spricht mit Dir? versetzte der Bildhauer in rauhem Tone.

– Ihre Augen, Ihre Geberden, Ihre Physiognomie. Ich bedarf keines Dickcompasses um zu bemerken daß es in Ihren Kielen nicht richtig aussieht und um die Ursache zu errathen. Sie und Valentin haben sich beide in die kleine Fischerin verliebt; ich und Challamel haben schon früher davon gesprochen; dieser Duckmäuser von Valentin hat Sie ausstechen wollen, sonst würden Sie sich jetzt nicht so schrecklich darüber ärgern daß er in Varenne ist. Aber wahrhaftig, eine solche Landratte wird sich doch nicht mit dem flottesten Seemann der obern Seine messen wollen. Die Ehre der ganzen Marine steht auf dem Spiel; Sie müssen ihm das Fischerjüngferchen wegschnappen, und wenn Sie einer Unterstüzung bedürfen, so sind wir da, Capitän.

– An die Ruder! an die Ruder, Kinder! rief Richard, wie wenn er seinen Entschluß gefaßt hätte.

Die zwei Matrosen hatten den guten Willen zu beweisen den sie ihrem Capitän verpfändet; in weniger als zwei Minuten war der Kahn geschmückt, und die zwei jungen Leute saßen auf den Bänken, bereit ihre Ruder zu ergreifen.

– Anker los, zugerudert! commandirte der Bildhauer.

Die Ruder fielen mit gleichem Getöne ins Wasser, und die Möve, leicht und schnell wie der Vogel dessen Namen sie trug, begann den Strom hinabzufahren.

– Sie kamen bis Champigny, indem sie mit der Kraft und Eile ruderten welche die Matrosen gewöhnlich für die Wettfahrten aufsparen, und hielten erst dann an, als Richard, um den Gang des Schiffes noch mehr zu beschleunigen, einen seiner Kameraden dem er Erleichterung zu verschaffen wünschte am Ruder ablöste.

Im Augenblick wo sie an der Mauer des Parkes von Saint-Maux vorbeifuhren, hatte Richard das Steuerruder an Knirps abgetreten; er handhabte dasselbe mit solcher Wuth, daß es sich unter seinem mächtigen Anstoße bog wie ein Rohr.

– Nicht so stark, nicht so stark, Capitän, sagte Knirps; der arme Challamel hat kein Gewicht, und diese Gierschläge hemmen den Gang der Möve. Seien Sie,ruhig, wir werden schon ankommen. – Sehen Sie, das Brustholz durchschneidet das Wasser ohne eine Furche zu machen; die Möve zieht wie ein Wallfisch dahin wenn man ihm nicht eine Floßfeder länger macht als die andere. Stop! Stop! Stop! fuhr Knirps plötzlich fort.

Beide erhoben ihre Ruder zugleich, aber das Schiff, das dem Gierschlage gehorchte und schon in Tire-Vinaigre eingefahren war, flog noch immer pfeilschnell fort.

Auf einmal erklärte Knirps man müsse ans Ufer fahren.

– Was gibt es denn? fragte Richard.

– Das gibt es daß Sie jetzt sogleich den Beweis bekommen werden daß Challamel uns nicht angelogen hat; das gibt es daß der Teufel uns günstig ist und uns ein Stück Wegs ersparen will; das gibt es daß diejenigen die wir suchen in unserm Lager sind.

Der Bildhauer erhob sich rasch und stellte sich auf seine Bank, während Challamel den Kahn anhielt, indem er an einem der Gebüsche des Ufers einen Zweig ergriff.

Er bemerkte fünfhundert Schritte abwärts die Fähre Pechvogels, die mühsam und schwerfällig den Fluß hinauffuhr. Valentin ruderte und Huberte saß unten.

Die zwei jungen Leute waren allein, der Greis hatte sie nicht begleitet.

Als Richard diesen unzweideutigen Beweis dessen bemerkte was er den Verrath seines Freundes nannte, wurde er todtenblaß. Er ballte seine Faust und streckte sie mit drohender Geberde gegen die beiden jungen Leute aus.

– Dank, Challamel, Dank, Knirps, sagte er mit einer vom Zorn unterbrochenen Stimme, ich will aussteigen.

 

Fahret nach Champigny zurück und kehret bei Fristeau ein; ihr bedürfet einer Erfrischung, meine Jungen. Ehe eine Stunde vergeht, bin ich bei euch.

– Capitän, antwortete Knirps, wir sind nicht diejenigen die sichs wohl sein lassen wenn ein Kamerad unser vielleicht bedarf; wir wollen das Schiff anlegen und dann zu Ihnen zurückkommen.

– Nein, ich muß allein sein, meine Kinder; wenn ihr mir nützlich sein könnt, seid ruhig, ich werde es nicht vergessen daß ihr Freunde seid, und zwar wahre Freunde.

Das Schiff entfernte sich, und Richard erneuerte das Manöver das für Herrn Batifol so unglücklich geendigt hatte; er verbarg sich hinter den Weiden und belauerte die beiden jungen Leute.

Diese beschäftigten sich damit die Geräthschaften des alten Fischers in Ordnung zu bringen. Sie besichtigten die Reusen und die Wurfgarne, sie warfen die Grundleinen aus. Sie waren beide sehr vergnügt und der Wind führte dem Bildhauer das schallende Gelächter Hubertens zu, die sich an den Ungeschicklichkeiten Valentins, der im Fischerhandwerk höchst unerfahren war, sehr zu ergötzen schien!

Wie alle Eifersüchtigen, bildete Richard, der das Gespräch der jungen Leute nicht hören konnte, sich ein, sie machen sich auf seine Kosten lustig. Er zweifelte nicht daran daß sein Freund die Blonde durch die Erzählung erheitere, wie er es angegriffen habe um den aufdringlichen Capitän der Möve an der Betheiligung bei ihren Vergnügungen zu verhindern.

Ihn erfaßte ein heftiger Wunsch zu hören was sie etwa sagen würden.

Es war nur die Hälfte der Aufgabe die Leinen zurückzuziehen Man mußte sie in Ordnung bringen, sie von den Angeln befreien, die einen von den noch anklebenden Körresten reinigen, die andern drehen und waschen. Huberte verlangte ohne Zweifel von Valentin daß er sie bei diesen Berufsarbeiten unterstützen solle, denn sie legten die Fähre an und begannen sich ans Werk zu machen.

Sie befanden sich jetzt am unteren Ende der Insel Tire-Vinaigre, an einem Platz wo in Folge des Wirbels und träg der Tiefe das Pfeilkraut und die Seerosen ihre Wurzeln hatten befestigen und die Oberfläche des Wassers mit ihren lanzenförmigen Blättern und ihren breiten zartgrünen Scheiben bedecken können.

Richard hatte kaum seine Stellung erkannt, als er sich seiner Kleider entledigte, in den Fluß glitt und auf die andere Seite hinüber um die Insel schwamm.

In einiger Entfernung von den beiden jungen Leuten angelangt, tauchte er entschlossen unter, und ohne an den Stengeln der Seeblume zu erschrecken die wie Schlangen seine Beine umwanden, blieb er unter dem Wasser, bis er über seinem Kopf den schwarzen Schatten bemerkte welchen die Fähre in dem gelblichen Strome warf. Dann kam er sachte an die Oberfläche herauf und erreichte mit den Händen tappend den Vordertheil des Schiffes, wo er sich an einem Seil schwebend hielt.

Dieser Vordertheil, der sich bei solchen Schiffen auf eine Länge von mehreren Fuß er hebt, bildete einen genügenden Schutz, so daß die drinnen Sitzenden ihn nicht bemerken konnten, und so brauchte er kein Wort von ihrer Unterhaltung zu verlieren.

– Der arme Vater! sagte Huberte, er ist immer so vergnügt wenn er seine Geräthschaften unter der Hand hat, daß es mich wahrhaftig traurig macht daß ich Sie um Ihre Hilfe ansprechen mußte, Herr Valentin, und daß mich das hindert Ihnen so zu danken wie ich sollte.

– Seine Unpäßlichkeit wird nicht von Bedeutung sein; ich hoffe dieß so fest, Huberte, daß ich Ihnen beinahe sagen möchte: ich bedaure sie nicht ebenso wie Sie zu thun scheinen.

– Wirklich, Herr Valentin? Ei wie! Der Großpapa hat so viel Freundschaft für Sie und Sie belohnen ihn mit solchem Undank? Das ist recht artig; und warum, wenn ich fragen darf, bedauern Sie seine Krankheit nicht?

– Weil sie mir eine Gelegenheit verschafft hat die ich weder zu hassen noch zu suchen gewagt hatte, mit Ihnen allein zu sein.

– Nun, so werden Sie mir wohl jetzt eine Liebeserklärung machen, just wie Herr Richard? Ach ich bitte, Herr Valentin, bemühen Sie sich eben so drollig zu sein wie er. . . nun fangen Sie an: »So wahr ich ein lustiger Kumpan in, ich bete Dich an!« Oder auch so: »Bei meinem Dolch von Toledo, mein Fräulein, Ihre schönen Augen haben mir mein Hirn wirbelig gemacht; machen Sie daß es wieder fest steht, wenn Sie nicht wollen daß ich zu Ihren Füßen mein Herz durchbohren soll.«

Bei diesen Phrasen hatte Huberte den theatralischen Ton, die Geberden und sogar die Blicke nachgeahmt deren sich der Capitän der Möve bediente, um die zärtlichsten Perioden auszusprechen welche er aus der Phraseologie der Marine und dem mittelalterlichen Kauderwelsch entlehnte, das in diesem Augenblick ebenfalls sehr in der Mode war. Der Contrast dieser kindlichen Physiognomie und der dramatischen Phantasmagorie welche sie hervorrief war so spaßhaft, daß Valentin sich eines Lächelns nicht erwehren konnte.

– Ach, wenn Sie wüßten wie sehr ich bedauere daß Herr Richard nicht mit Ihnen gekommen ist!

– Sie sehnen sich nach ihm, Huberte?

– Gewiß! Sehen Sie, mein Leben ist ganz verändert, seit ich so glücklicherweise mit Ihnen zusammengetroffen bin. Der Großvater, der neue Bekanntschaften nicht leiden kann, hat Sie beide sogleich lieb gewonnen, weil Sie mir einen großen Dienst geleistet hatten, und dann auch weil Sie in seinen Haß gegen die Pariser mit einstimmen. Da er nun natürlicher Weise Vertrauen zu Ihnen beiden faßte, so hat er Sie in unser Haus aufgenommen, und die Sonntage die sonst so traurig waren sind Festtage geworden, so wie wir sie unter uns drei zubringen. Wenn Sie wüßten mit welcher Ungeduld ich Ihnen entgegensehe! wie lange mir die Woche Erscheint! Wie ich; wenn ich nach der Messe den Hügel hinabgehe, weit über den Fluß hinschaue um zu sehen ob ich Ihr Schiff nicht bemerke! Ich kenne seine schwarze Fahne mit den rothen Sternen so gut! Sie müssen Ihren Freund tüchtig von mir auszanken; Sie müssen ihm sagen es sei sehr Unrecht von ihm daß er uns beiden den Sonntag verderbt habe, und zwar bloß um der Kirchweihe von Argenteuil willen: das ist schon der Mühe werth.

Während Huberte so sprach, erblaßte Valentin sichtlich und seine Augen wurden feucht.

– Was machen Sie denn? fuhr Huberte fort; wickeln sie auf diese Art eine Leine los? Ich werde ja mehr als eine Stunde dazu brauchen um den Knäuel zu entwirren den Sie da gemacht haben. O Herr Richard ist weit geschickter als Sie.

Valentin warf voll Ungeduld die Leine weg.

– Was kommt Sie denn an? O wie heftig Sie sind!

– Sie lieben ihn also sehr? sagte der Bijoutier mit einer gewissen Bitterkeit.

– Wen? Herrn Richard? O aus vollem Herzen! Nun wohlan! Aber was regt sich denn da unter dem Schiff?

– Eine Wasserratte. . . was liegt daran. . . versetzte Valentin, ohne daß er sich die Mühe nahm darnach zu sehen. Huberte, fuhr er mit bewegter Stimme fort, haben Sie zuweilen daran gedacht daß ein rechtschaffenes Mädchen seine Liebe nur dann verschenkt wenn der Liebhaber zugleich ihre Hand begehrt?

– Meine Liebe? Meine Hand? Ei was wollen Sie denn damit sagen, Herr Valentin!

– Denken Sie an meine Worte, Huberte. Es sind die einzigen die ich Ihnen sagen darf ohne das Zartgefühl zu verletzen, und doch würde ich mein Blut für Sie geben.

– Ah, meine Liebe! jetzt hab ichs! rief die Blonde; Sie glauben daß ich die Flammen theile welche mir Herr Richard jeden Sonntag so gerne malen mochte; mit einem Worte, daß ich in ihn verliebt sei?

– Haben Sie es denn nicht so eben selbst gesagt?

– Ah, wahrhaftig, das ist doch zu spaßhaft.

Huberte endete nicht weiter, sie schien in einem Anfall von Heiterkeit ersticken zu wollen.

Nichts hatte sich unter dem Vordertheil des Schiffes mehr geregt.

– Aber, begann Huberte wieder, wenn nur Herr Richard, der allerdings recht hübsch ist, sich nicht einbildet daß ich, wie Sie gemeint haben, in ihn vernarrt sei! Ich habe eine große Freundschaft für ihn, weil er mir einen Dienst erwiesen hat den ich nie vergessen werde, weil er gutartig, nicht hochmüthig ist, und ganz besonders weil er mich, er mag wollen oder nicht, immer zum Lachen bringt; aber daß ich mich in ihn verliebt hätte – o nein, nein! das ist mir gar nicht eingefallen, und ich meine, das müsse schwerer gehen als nur so.

– Ist das alles wahr was Sie sagen, Huberte?

– Wie diese Pariser ans Lügen gewöhnt sein müssen! Das Wort eines brauen Mädchens ist ihnen nicht genug. Wahlen denn. Aber apropos, was macht das Ihnen aus? Wollen Sie wirklich Ihrem Freund ins Gehege gehen?

Hubertens Frage hatte aus Valentin wie ein electrischer Schlag gewirkt; sie beschwichtigte plötzlich die freudige Entzückung darüber daß das Herz des jungen Mädchens noch frei war; sie brachte ihn zur Besinnung zurück; er schämte sich daß er nachgegeben; er begriff wie gehässig seine Rolle sein würde, wenn er sich desselben Verbrechens schuldig machte das er an Richard verurtheilt hatte, wie dieser ihn mit allem Recht der Unehrlichkeit zeihen könnte wenn er ihn aus dem Herzen des jungen Mädchens verdrängen würde.

– Nein, sagte er, nein, Huberte, ich hege gegen Sie eine echt brüderliche Zuneigung, aber keine Liebe.

– Was Sie mir da sagen, ist vielleicht nicht sehr galant, aber es ist mir doch lieber; es ist so etwas Schönes ein paar Freunde zu sein, scherzen, lachen, singen, spazieren gehen zu können ohne etwas Böses zu denken, ohne einander zu mißtrauen, und sich nicht so genau um die Welt zu bekümmern weil das Gewissen rein ist. Und dann Tanzen! Ach wie lustig ist das Tanzen. Eines Abends, an dem Tag weder Großvater mich so ausgezankt hatte, war ich aus dem Hause gewischt und zu den Andern gelaufen, denen zwei Geiger vor der Fähre aufspielten. Im Anfang machte ich es wie die Andern, ohne daß ich großes Vergnügen dabei empfand, aber nach fünf Minuten war es etwas ganz anderes. Die Musik die mir so gellend und mißtönend geschienen hatte, war hinreißend geworden. Sie machte mich springen wie sie nur wollte, und zu gleicher Zeit wirbelte alles um mich her, die Bäume, die Häuser, sogar die Wolken; es schien als bildeten sie eine unermeßliche Kette an welcher ich ein Ring sei, und als hätten meine Füße die Macht die Erde zu verlassen, um ihnen zu folgen. Ich meinte ich müßte närrisch werden, und diese Narrheit war so angenehm, daß ich in einem ihrer Anfälle zu sterben wünschte. O Sie werden mich doch bei der Kirchweihe von Varenne zum Tanze führen, nicht wahr, Herr Valentin?«

– Ich kann gar nicht tanzen, Huberte.

– Sie können nicht tanzen!.

– Nein, mein Kind!

– Aber wie werden Sie es denn anstellen um derjenigen den Hof zu machen die Sie einst lieben und heirathen möchten?

– Ich werde ihr einen Arm anbieten auf welchen sie sich mit Vertrauen stützen kann, ein Herz das nie für eine Andere als für sie geschlagen haben wird, und bei welchem sie in den Prüfungen des Lebens Zuflucht suchen kann, ohne Kummer um die Vergangenheit, ohne Unruhe wegen der Zukunft.

– Oh, auf solche Art hoffen Sie das Mädchen zu verführen?

– Ja, denn es wird, hoffe ich, eine edle und aufrichtige Seele sein welche den Zauber einer reinen Liebe zweier ehrlicher Herzen zu würdigen weiß; ich werde sie verführen indem ich ihr ein Bild von dem Glück entgegen halte wie ich es verstehe. Zuerst von zwei jungen Leuten die sich ohne Hintergedanken einander gewidmet haben, und nur noch Ein Herz und Eine Seele sind; er aufmerksam versorgend und voll Eifer, sie sanft und treu; er weiht sie in Alles ein was er selbst von den Herrlichkeiten der Natur oder den Wundern des Menschengeistes kennt, so daß seine Gefährtin die holden Aufregungen theilen kann die daraus hervorgehen; sie aber theilt ihm jene mysteriöse Zärtlichkeit mit welche Gott ins Herz der Frau gelegt hat, sie macht ihn mit allen ihren Gedanken, mit allen ihren Handlungen der Menschenfreundlichkeit und Liebe vertraut. Ich werde sie dadurch verführen daß ich ihr die strengere, aber nicht minder ausgezeichnete Aussicht entgegenhalte die ihrer als Familienmutter wartet, umgeben von schönen Kindern in welchen Vater und Mutter sich selbst gegenseitig wieder aufleben sehen, welche von ihr, das Beispiel der Hingebung, Geduld und Rechtschaffenheit erhalten, von ihm aber lernen sollen wie man durch Arbeit Gott, der Gerechtigkeit und dem Vaterlande zugleich dient. Ich werde sie endlich durch die Hoffnung verführen daß der Tod des Gerechten der ihrige sein, daß sie sanft in den Armen des einzigen Mannes den sie auf Erden geliebt hat entschlafen wird, mit der Gewißheit ihn bald in der Ewigkeit wieder zu finden. Denken Sie, Huberte, daß dieß alles nicht wohl den Ball und den Tanz aufwäge?

Valentin hatte sich warm geredet, und sein Ton, seine Geberde, sowie seine Worte schienen Eindruck auf das Mädchen zu machen; sie betrachtete ihn mit einer Aufmerksamkeit die einen geheimen Gedanken verrieth.

 

– Allerdings, Herr Valentin, sagte sie, als der junge Mann geendet hatte« und um Etwas zu antworten, denn es war augenscheinlich daß ihre Worte nicht ausdrückten was in ihrer Seele vorging; allerdings, aber darum kann ein Ball doch ein sehr großes Vergnügen sein.

Dann fuhr sie, wie wenn sie erst seit einigen Augenblicken bemerkt hätte daß sie mitten in der Einsamkeit des Flusses mit dem Arbeiter allein war, und wie wenn sie endlich die Gefahr eines solchen Tête-à-Tête begriffe, mit auffallender Lebhaftigkeit fort:

– Aber es wird spät, der Großvater wird unruhig; lassen Sie uns heimfahren, Herr Valentin, ich bitte Sie um Alles.

Valentin machte die Fähre los, welche der Strom rasch fortriß, dann ergriff er die Ruder und steuerte nach dem Dorfe zu.

Huberte hatte sich hinten gesetzt; sie plauderte nicht mehr wie es ihre Gewohnheit war, sondern blieb stumm und nachdenklich, das Kinn in ihrer flachen Hand ruhend und den Arm auf ihre Kniee gestemmt; von Zeit zu Zeit erhob sie ihre blauen Augen gegen den jungen Mann und betrachtete ihn mit einer unruhigen Neugierde.

Im Augenblick wo sie sich entfernte kam ein Kopf aus einem Pfeilkrautbusch hervor.

Er gehörte dein Befehlshaber der Möve, der sich in diesem Versteck verborgen hatte, als-die Bewegung des Schiffes ihm sein erstes Asyl raubte.

– Es ist ganz gleich, sagte Richard, Du magst jetzt deine schönsten Lieder aus die Tugend singen, dir hab ichs doch zu verdanken daß ich weiß wo ich daran bin. Wir stehen jetzt eins auf eins, Freund Valentin, und jetzt oder nie handelt es sich um die Hauptparthie.

Der Bildhauer warf sich in den Fluß und entwickelte beim Hinüberschwimmen alle Grazie seiner schönen Marinehaltung. Er zog sich wieder an, konnte seine Schiffsleute wieder erreichen und zeigte sich den ganzen Abend hindurch sehr vergnügt; als würdige Kinder Neptuns verlängerten der Herr und seine Untergebenen das Vergnügen bis in den hellen Tag.