Free

Der Graf von Bragelonne

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

Angelockt durch die glänzende Belohnung, die man ihm versprochen, ging der Arbeiter sogleich ans Werk.

Da man von den Ingenieurs des königlichen Hauses die vortrefflichsten Werkzeuge hatte holen lassen, unter Anderem eine von den Sägen mit dem unbesiegbaren Biß, welche im Wasser die eisenharten eichenen Bohlen durchschneiden, so ging die Arbeit rasch von Statten, und ein viereckiges Stück vom Plafond, das man zwischen zwei Balken gewählt, fiel in die Arme von Saint-Aignan, von Malicorne, vom Arbeiter und von einem vertrauten Diener, einer Person, welche auf die Welt gekommen war, um Alles zu sehen. Alles zu hören, und nichts zu wiederholen.

Nur wurde in Folge eines neuen von Malicorne angegebenen Planes die Oeffnung in der Ecke angebracht.

Man höre warum.

Da kein Ankleidecabinet bei dem Zimmer von la Vallière war, so bat sie am Morgen um einen großen Windschirm, der einen Verschlag ersetzen sollte, was ihr auch gewährt wurde.

Dieser Windschirm war genügend, die Oeffnung zu verdecken, welche übrigens auch durch alle mögliche Kunstwerke der Tischlerei verborgen worden wäre.

Sobald das Loch gemacht war, schlüpfte der Arbeiter zwischen den Balken durch und befand sich im Zimmer von la Vallière.

Hier angelangt, durchsägte er den Boden viereckig und verfertigte mit eben den Brettern des Bodens eine Fallthüre, die sich so vollkommen in die Oeffnung einpaßte, daß das geübteste Auge hier nicht mehr, als die nothwendigen Zwischenräume einer Bodenlöthung sehen konnte.

Malicorne hatte für Alles vorhergesehen. Ein Handgriff und zwei Scharniere, die man zum Voraus gekauft, wurden an dem Holzblatt angebracht.

Eine von den kleinen Wendeltreppen, wie man in den Halbgeschoßen zu benützen anfing, wurde von dem erfinderischen Malicorne angekauft und mit zwei tausend Livres bezahlt.

Sie war höher, als es nöthig, doch der Zimmermann nahm einige Stufen weg, und sie entsprach ganz genau dem gegebenen Maß.

Bestimmt, eine so erhabene Last zu tragen, wurde diese Treppe mittelst zweier Klammern an der Wand angehakt.

Die Base befestigte man im Boden de« Grasen durch zwei angeschraubte Pflöcke, und nun hätten der König und sein ganzer Hof diese Treppe ohne irgend eine Furcht hinauf und herabsteigen können.

Jeder Hammer schlug auf ein mit Werg gefülltes Polsterchen, jede Säge griff den Stiel mit Wolle umwickelt, die Klinge mit Oel eingeschmiert an.

Ueberdieß machte man die lärmendere Arbeit in der Nacht und am Morgen, das heißt während der Abwesenheit von la Vallière und Madame.

Als der Hof gegen zwei Uhr nach dem Palais-Royal zurückkehrte, ging la Vallière in ihr Zimmer hinauf. Alles war an seinem Platze und nicht das geringste Theilchen Sägemehl, nicht der kleinste Hobelspan zeugte von der Verletzung des Domicils.

Nur hatte Saint-Aignan, der mit allen seinen Kräften bei der Arbeit mitzuhelfen bemüht gewesen war, seine Finger aufgeritzt und sein Hemd zerrissen und viel Schweiß im Dienste des Königs vergossen.

Das Innere seiner Hände war besonders ganz mit Blasen überzogen.

Diese Blasen kamen davon her, daß er Malicorne die Leiter gehalten hatte.

Er hatte ferner eines nach dem andern die fünf Stücke von der Treppe herbeigebracht, von denen jedes aus zwei Stufen bestand.

Kurz, wir können wohl sagen, wenn ihn der König so eifrig bei der Arbeit gesehen hätte, er würde ihm ewige Dankbarkeit geschworen haben.

Der Arbeiter hatte, wie es Malicorne, der Mann der genauen Messungen vorhergesehen, seine Operationen gerade in vier und zwanzig Stunden beendigt.

Er erhielt vier und zwanzig Louis d’or und entfernte sich von Freude erfüllt, es war dies so viel, als er gewöhnlich in sechs Monaten verdiente.

Niemand hatte auch nur den geringsten Verdacht in Beziehung auf das, was unter der Wohnung von Fräulein de la Vallière vorgegangen war.

Doch am Abend des zweiten Tages, in der Minute, wo la Vallière den Cercle von Madame verließ und in ihre Wohnung zurückkehrt, erscholl ein leichtes Krachen im Hintergrunde des Zimmers.

Erstaunt schaute sie nach der Stelle, woher der Lärmen kam, das Krachen wiederholte sich.

»Wer ist da?« fragte sie mit ängstlichem Ton.

»Ich,« antwortete die so wohl bekannte Stimme des Königs.

»Ihr? . . Ihr?« rief das Mädchen, das sich einen Augenblick von einem Traume beherrscht glaubte . . . »Aber wo denn? . . . Ihr, Sire, Ihr?«

»Hier,« antwortete der König, indem er eines von den Blättern des Windschirms aufthat und wie ein Schatten im Hintergrunde des Zimmers erschien.

La Vallière stieß einen Schrei aus und sank ganz bebend in einen Lehnstuhl.

Der König ging ehrerbietig auf sie zu.

XXII.
Die Erscheinung

La Vallière erholte sich rasch von ihrem Erstaunen; indem er sich so ehrerbietig benahm, flößte ihr der König durch seine Gegenwart mehr Vertrauen ein, als er ihr durch seine Erscheinung geraubt hatte.

Da er aber sah, daß das, was la Vallière hauptsächlich beunruhigte, die Art und Weise war, wie er bei ihr eingedrungen, so erklärte er ihr das System der durch den Windschirm verborgenen Treppe und wehrte besonders von sich ab, daß er eine übernatürliche Erscheinung sei.

»Oh! Sire,« sagte la Vallière, ihren blonden Kopf mit einem reizenden Lächeln schüttelnd, »gegenwärtig oder abwesend, erscheint Ihr meinem Geiste nicht weniger in einem Augenblick, als in dem andern.«

»Was wollt Ihr damit sagen, Louise?«

»Oh! Ihr wißt das wohl, Sire: daß es keinen Augenblick gebe, wo das arme Mädchen, dessen Geheimniß Ihr in Fontainebleau erlauscht, und das Ihr vom Fuße des Kreuzes zurückgeholt, nicht an Euch denke.«

»Louise, Ihr erfüllt mich mit Freude und Glück.«

La Vallière lächelte traurig und fuhr fort:

»Aber, Sire, habt Ihr auch bedacht, daß Eure sinnreiche Erfindung von keinem Nutzen für uns sein dürfte?«

»Und warum dies? sprecht, ich warte.«

»Weil dieses Zimmer, das ich bewohne, nicht vor Nachspürungen geschützt ist; Madame kann zufällig hierher kommen; jede Minute des Tags kommen meine Gefährtinnen; meine Thüre von innen verschließen heißt mich eben so klar anzeigen, als wenn ich daraufschriebe: Tretet nicht ein, der König ist hier! Und sogar in diesem Augenblick, Sire, steht kein Hinderniß dem entgegen, daß sich die Thüre öffnet und Eure Majestät bei mir überrascht wird.«

»Dann würde man mich wirklich für ein Gespenst halten,« erwiederte der König lachend, »denn Niemand kann sagen, wie ich hier hereingekommen bin. Nur die Gespenster dringen durch die Mauern und die Stubendecken.«

»Oh! Sire, welch ein Abenteuer! bedenkt es wohl, welch ein Aergerniß! nie würde etwas Aehnliches über die Ehrenfräulein, diese armen Geschöpfe, welche die Bosheit doch selten verschont, gesagt worden sein.«

»Und Ihr schließet aus dem Allem, meine liebe Louise? sprecht, erklärt Euch.«

»Daß Ihr, ach! verzeiht mir, es ist ein hartes Wort.«

Ludwig rief lächelnd:

»Frei heraus.«

»Daß Eure Majestät auf Treppen, listige Unternehmungen und Ueberraschungen verzichten muß, denn bedenkt, wohl, Sire, das Uebel, ertappt zu werden, wär größer, als das Glück, sich hier zu sehen.«

»Nun wohl, Louise,« sprach der König voll Liebe, »statt diese Treppe, auf der ich heraufsteige, wegzunehmen, gibt es ein anderes Mittel, an das Ihr nicht gedacht habt.«

»Abermals . . . ein Mittel . . . «

»Oh! Ihr liebt mich nicht, wie ich Euch liebe, Louise, da ich erfinderischer bin, als Ihr.«

Sie schaute ihn an, Ludwig reichte ihr die Hand, die sie sanft drückte.

»Ihr sagt,« fuhr der König fort, »ich werde, wenn ich hierher komme, wo Jedermann nach Belieben eintreten könne, überrascht werden.«

»Sire, selbst in dem Augenblick, wo Ihr sprecht, zittere ich.«.

»Wohl; aber Ihr würdet nicht überrascht, wenn Ihr die Treppe hinabstieget, um in die unteren Zimmer zu kommen.«

»Sire, Sire, was sagt Ihr da?« rief la Vallière ganz erschrocken.

»Ihr versteht mich schlecht, Louise, da Ihr Euch bei meinem ersten Wort so sehr erzürnt; wißt Ihr vor Allem, wem diese Zimmer gehören.«

»Dem Herrn Grafen von Guiche.«

»Nein, Herrn von Saint-Aignan.«

»Wahrhaftig!« rief la Vallière.

Und dieses Wort, das dem freudigen Gemüth des Mädchens entschlüpfte, machte einen Blitz süßer Weissagung im entzückten Herzen des Königs glänzen.

»Ja, Saint-Aignan, unserem Freund,« sagte er.

»Aber, Sire, ich kann eben so wenig zu Herrn von Saint-Aignan, als zum Herrn Grafen von Guiche gehen,« entgegnete der wieder Weib gewordene Engel.«

»Warum könnt Ihr das nicht, Louise?«

»Unmöglich! unmöglich!«

»Mir scheint, daß man unter der Obhut des Königs Alles kann.«

»Unter der Obhut des Königs?« versetzte sie mit einem von Liebe beladenen Blick.

»Oh! nicht wahr, Ihr glaubt an mein Wort?«

»Ich glaube daran, wenn Ihr nicht anwesend seid; doch wenn Ihr anwesend seid, wenn ich Euch sehe, wenn Ihr mit mir sprecht, glaube ich an nichts mehr.«

»Mein Gott! was braucht es, um Euch zu beruhigen?«

»Ich weiß, es ist wenig ehrerbietig, so am König zu zweifeln; doch Ihr seid für mich nicht der König,«

»Oh! Gott sei es gedankt, ich hoffe es wohl; Ihr seht, wie ich suche. Höret: wird Euch die Gegenwart eines Dritten beruhigen?«

»Die Gegenwart von Saint-Aignan, ja.«

»In der That, Louise, Ihr durchbohrt mir das Herz mit solchem Argwohn.«

La Vallière antwortete nicht, sie schaute nur Ludwig mit jenem klaren Blick an, der bis in den Grund der Herzen drang, und sagte leise zu sich selbst:

»Ach! ach! nicht Euch mißtraue ich, nicht gegen Euch ist mein Argwohn gerichtet.«

»Ich willige also ein,« sagte der König seufzend, »und Herr von Saint-Aignan, der das glückliche Vorrecht hat, Euch zu beruhigen, wird stets bei unseren Unterredungen gegenwärtig sein, das verspreche ich Euch.«

 

»Wahrhaftig, Sire?«

»Bei meinem Ehrenwort als Edelmann, und Ihr Eurerseits . . . «

»Wartet, oh! das ist noch nicht Alles.«

»Noch etwas, Louise?«

»Oh! gewiß, werdet nicht so schnell müde, denn wir sind noch nicht am Ende, Sire.« ,

»Nun, so durchbohrt mir vollends das Herz.«

»Ihr begreift, daß diese Unterredungen selbst bei Herrn von Saint-Aignan ein vernünftiges Motiv haben müssen.«

»Ein vernünftiges Motiv?« versetzte der König im Tone sanften Vorwurfs.

»Allerdings . . . Bedenkt doch, Sire.«

»Oh! Ihr habt alle Zartheiten, und, glaubt mir, es ist mein einziges Verlangen, Euch in diesem Punkte gleich zu kommen. Wohl! Louise, es soll geschehen, wie Ihr es wünscht. Unsere Unterredungen sollen einen vernünftigen Gegenstand haben, und dieser Gegenstand ist schon von mir gefunden.«

»Somit, Sire,« sagte la Vallière lächelnd.

»Schon morgen, wenn Ihr wollt . . . «

»Morgen?«

»Wollt Ihr damit sagen, das sei zu spät?« rief der König, indem er die glühende Hand von la Vallière zwischen seinen Händen drückte.

In diesem Augenblick vernahm man Tritte in der Flur.

»Sire, Sire,« rief la Vallière, »es naht Jemand, es kommt Jemand, hört Ihr? Sire, Sire, ich bitte Euch inständig, flieht.«

Der König machte nur einen Sprung von seinem Stuhl hinter den Windschirm.

Es war Zeit; als der König eines von den Blättern an sich zog, wurde der Knopf der Thüre gedreht, und Montalais erschien auf der Schwelle.

Es versteht sich von selbst, daß sie ganz natürlich und ohne alle Umstände eintrat.

Die Schlaue wußte wohl, daß leise an diese Thüre klopfen, statt sie aufzustoßen, la Vallière ein unhöfliches Mißtrauen kundgeben hieß.

Sie trat also ein und wandte nach einem raschen Blick, der ihr zwei Stühle sehr nahe an einander zeigte, so viel Zeit an, um die Thüre, welche, Gott weiß warum, widerspänstig war, wieder zu schließen, daß der König alle Muße hatte, um die Falle aufzuheben und zu Saint-Aignan hinabzusteigen.

Ein für jedes Ohr, das minder sein, als das ihrige, unmerkliches Geräusch benachrichtigte Montalais vom Verschwinden des Fürsten; dann gelang es ihr, die widerspänstige Thüre zu schließen, und sie trat auf la Vallière zu.

»Laßt uns mit einander reden, und zwar ernsthaft, wenn es Euch genehm ist, Louise,« sagte Montalais.

Ganz von ihrer inneren Aufregung in Anspruch genommen, hörte la Vallière nicht ohne einen gewissen Schrecken dieses ernsthaft, auf das Montalais absichtlich einen Nachdruck gelegt hatte.

»Mein Gott! meine liebe Aure, was gibt es denn wieder?« murmelte sie.

»Meine theure Freundin, Madame muthmaßt Alles.«

»Was, Alles?«

»Haben wir nöthig, uns zu erklären, und begreifst Du nicht, was ich sagen will? Du mußtest das Schwanken von Madame seit einigen Tagen wahrnehmen; Du mußtest sehen, wie sie Dich zu sich genommen und dann entlassen, und dann wieder zu sich genommen hat.«

»Das ist in der That seltsam; doch ich bin an solche Sonderbarkeiten gewöhnt.«

»Warte doch. Du hast sodann bemerkt, daß Dir Madame, nachdem sie Dich zuvor von der Spazierfahrt ausgeschlossen, gestern Befehl gegeben hat, dieser Fahrt beizuwohnen.«

»Ich habe es allerdings bemerkt.«

»Nun wohl, es scheint, daß Madame jetzt hinreichend unterrichtet ist, denn sie ging gerade auf das Ziel zu, da sie in Frankreich nichts mehr dem Strome entgegenzusetzen hatte, der alle Hindernisse bricht; Du weißt, wen ich mit dem Strome meine?«

La Vallière verbarg ihr Gesicht in ihren Händen.

»Ich meine damit,« fuhr Montalais unbarmherzig fort, »ich meine damit den Strom, der die Thüren der Carmeliterinnen von Chaillot gesprengt und alle Vorurtheile des Hofes sowohl in Fontainebleau, als in Paris niedergeworfen hat.«

»Ach! ach!« seufzte la Vallière, stets verschleiert durch ihre Finger, zwischen denen die Thränen herabrollten.

»Oh! betrübe Dich nicht so, während Du noch nicht bei der Hälfte Deiner Leiden angelangt bist.«

»Mein Gott!« rief das Mädchen voll Angst, was gibt es denn noch?«

»Höre, wie sich die Sache verhält: aller Unterstützung in Frankreich baar, denn sie hat nach und nach die zwei Königinnen, Monsieur und den ganzen Hof abgenutzt, erinnerte sich Madame einer gewissen Person, welche angeblich Rechte auf Dich hat.«

La Vallière wurde weiß wie ein Wachsbild.

»Diese Person,« fuhr Montalais fort, »ist in diesem Augenblick nicht in Paris.«

»Oh! mein Gott!« murmelte Louise.

»Diese Person ist, wenn ich mich nicht täusche, in England.«

»Ja, ja,« seufzte la Vallière halb ohnmächtig.

»Nicht wahr, am Hofe von Karl II. befindet sich diese Person?«

»Ja.«

»Nun wohl! diesen Abend ist ein Brief aus dem Cabinet von Madame für Saint James mit dem Befehl für den Courier abgegangen, ohne Aufenthalt bis Hampton-Court zu eilen, was, wie es scheint, ein königliches Haus zwölf Meilen von London ist.«

»Ja, weiter.«

»Da nun Madame regelmäßig alle vierzehn Tage nach London schreibt und der gewöhnliche Courier erst vor drei Tagen abgefertigt worden ist, so dachte ich, nur ein gewichtiger Umstand könne ihr die Feder in die Hand drücken. Madame ist faul im Schreiben, wie Du weißt.«

»Oh! ja.«

»Es sagt mir etwas, dieser Brief sei also Deinetwegen geschrieben worden.«

»Meinetwegen,« wiederholte das unglückliche Mädchen mit der Gelehrigkeit eines Automaten.

»Und ich, die ich den Brief, bevor er versiegelt war, auf dem Schreibtisch von Madame gesehen habe, glaubte darin zu lesen . . . «

»Was glaubtest Du zu lesen?«

»Vielleicht habe ich mich getäuscht.«

»Sage es doch.«

»Den Namen Bragelonne.«

La Vallière erhob sich von der schmerzlichsten Aufregung ergriffen und sprach unter heftigem Schluchzen:

»Montalais, schon sind alle die lachenden Träume der Jugend und Unschuld entflohen. Ich habe weder Dir, noch irgend Jemand mehr etwas zu verbergen. Mein Leben ist entblößt und öffnet sich wie ein Buch, in dem alle Welt, vom König an bis zu dem nächsten besten Vorübergehenden, lesen kann. Aure, meine theure Aure, was ist zu thun, was soll aus mir werden?«

Montalais trat näher zu ihr und sagte:

»Gehe mit Dir selbst zu Rathe.«

»Nun wohl! ich liebe Herrn von Bragelonne nicht; wenn ich sage, ich liebe ihn nicht, verstehe mich wohl, ich liebe ihn wie die zärtlichste Schwester einen guten Bruder lieben kann, das ist es aber nicht, was er von mir fordert, das ist es nicht, was ich ihm versprochen habe.«

»Du liebst den König, und das ist eine hinreichend gute Entschuldigung.«

»Ja, ich liebe den König,« murmelte das Mädchen mit dumpfem Tone, »und ich habe das Recht, diese Worte auszusprechen, theuer genug bezahlt. Doch sage, Montalais, was vermagst Du für mich in der Lage, in der ich mich befinde?«

»Drücke Dich klarer aus.«

»Was soll ich Dir sagen?«

»Also nichts Besonderes, nichts Genaueres?«

.Nein,« erwiederte la Vallière erstaunt.

»Gut, Du verlangst also nur einen einfachen Rath von mir?«

»Ja.«

»In Beziehung auf Herrn Raoul?«

»Nichts Anderes.«

»Das ist eine delicate Sache.«

»Nein, das ist keine delicate Sache. Soll ich ihn heirathen, um ihm das Versprechen zu halten, das ich ihm geleistet? Soll ich fortwährend auf den König hören?«

»Weißt Du wohl, daß Du mich in eine schwierige Lage vesetzest?« sagte Montalais lächelnd; »Du fragst mich, ob Du Raoul heirathen sollst, Raoul, dessen Freundin ich bin, und dem ich eine tödtliche Widerwärtigkeit bereite, wenn ich mich gegen ihn erkläre. Du sprichst dann davon, ob Du den König nicht mehr anhören sollst, den König, dessen Unterthanin ich bin, und den ich beleidigen würde, riethe ich Dir auf eine gewisse Weise; oh! Louise, Louise, Du behandelst eine große Schwierigkeit als eine gewichtlose Sache.«

»Du hast mich nicht verstanden, Aure,« erwiederte la Vallière, verletzt durch den leicht spöttischen Ton, den Montalais angenommen hatte; »spreche ich von einer Verheirathung mit Bragelonne, so geschieht es, weil ich ihn heirathen kann, ohne ihm ein Mißvergnügen zu bereiten; aus demselben Grunde aber, wenn ich den König anhöre, muß ich ihn zum Usurpator eines allerdings sehr mittelmäßigen Gutes machen, dem aber die Liebe einen gewissen Anschein von Werth verleiht. Was ich also von Dir verlange, ist, daß Du mir ein Mittel angeben mögest, mich auf eine ehrenhafte Weise auf der einen oder auf der andern Seite loszumachen, oder ich frage Dich vielmehr, auf welcher Seite ich mich am Ehrenhaftesten losmachen kann.«

»Meine liebe Louise,« erwiederte Montalais, nachdem sie eine Zeit lang geschwiegen, »ich bin nicht einer von den sieben Weisen Griechenlands, und ich habe keine völlig unveränderliche Regeln des Benehmens; dagegen besitze ich einige Erfahrung, und ich kann wohl sagen, daß nie eine Frau einen Rath von der Art, wie Du ihn forderst, von mir verlangt hat, ohne sehr in Verlegenheit zu sein. Du hast aber ein feierliches Versprechen geleistet, Du hast Ehre; wenn Du also in Verlegenheit bist, weil Du eine Verbindlichkeit übernommen hast, so ist es nicht der Rath einer Fremden, – Alles ist fremd für ein Herz voll Liebe, – es ist nicht mein Rath, was Dich der Verlegenheit entziehen wird. Ich werde Dir also keinen geben, um so mehr, als ich an Deiner Stelle nach dem Rath noch mehr in Verlegenheit wäre, als vorher. Ich kann nicht mehr thun, als Dir wiederholen, was ich Dir schon gesagt habe: soll ich Dir beistehen?«

»Oh! ja,«

»Wohl! das ist Alles. Sage mir, worin ich Dir beistehen soll? sage mir, für wen und gegen wen? auf diese Art werden wir keine Unbesonnenheit begehen«

»Vor Allem sage Du mir,« sprach la Vallière, ihrer Gefährtin die Hand drückend, »für wen oder gegen wen erklärst Du Dich?«

»Für Dich, wenn Du wahrhaft meine Freundin bist.«

»Bist Du nicht die Vertraute von Madame?«

»Ein Grund mehr, um Dir nützlich zu sein; wüßte ich nichts von dieser Seite, so könnte ich Dir nicht beistehen , und Du würdest folglich aus meiner Bekanntschaft keinen Nutzen ziehen. Die Freundschaften leben von solchen gegenseitigen Benefizien.«

»Daraus geht hervor, daß Du zu gleicher Zeit die Freundin von Madame bleiben wirst.«

»Gewiß. Beklagst Du Dich hierüber?«

»Nein!« erwiederte la Vallière träumerisch, denn diese derbe Offenherzigkeit kam ihr vor wie eine Beleidigung der Frau, wie ein Unrecht der Freundin angethan.

»Gut,« sagte Montalais, »denn sonst wärest Du sehr albern.«

»Du wirst mir also dienen?«

»Mit ganzer Ergebenheit, besonders, wenn Du mir ebenfalls dienst.«

»Man sollte glauben, Du kennest mein Herz nicht,« versetzte la Vallière, indem sie Montalais mit großen, erstaunten Augen anschaute.

»Ah! meine liebe Louise, das kommt davon her, daß wir uns, seitdem wir bei Hofe sind, sehr verändert haben.«

»Wie so?«

»Das ist ganz einfach, warst Du die zweite Königin von Frankreich dort in Blois?«

La Vallière neigte das Haupt und sing an zu weinen.

Montalais schaute sie auf eine unbeschreibliche Weise an und man hörte sie die Worte murmeln:

»Armes Mädchen!«

Dann sich besinnend, sprach sie:

»Armer König!«

Sie küßte Louise auf die Stirne und kehrte in ihre Wohnung zurück, wo sie Malicorne erwartete.