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Der Graf von Bragelonne

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»Habt Ihr noch einen Verwandten in Frankreich?« fragte Raoul mit tiefer Theilnahme.

»Ich habe eine Schwester, welche sieben oder acht Jahre älter als ich; sie hat sich in Frankreich verheirathet und ist schon Witwe, sie heißt Frau von Bellière.«

Raoul machte eine Bewegung.

»Kennt Ihr sie?«

»Ich habe diesen Namen nennen hören.«

»Sie liebt auch, und ihre letzten Briefe sagen mir, sie sei glücklich, folglich wird sie geliebt. Ich, Herr von Bragelonne, habe die Hälfte ihrer Seele, aber ich habe nicht die Hälfte ihres Glückes. Doch sprechen wir von Euch. Wen liebt Ihr in Frankreich?«

»Ein Mädchen sanft und weiß wie eine Lilie.«

»Warum seid Ihr aber traurig, wenn sie Euch liebt?«

»Man hat mir gesagt, sie liebe mich nicht mehr.«

»Ihr glaubt es hoffentlich nicht?«

»Derjenige, welcher mir schrieb, hat seinen Brief nicht unterzeichnet.«

»Eine anonyme Angeberei. Oh! das ist ein Verrat!« rief Miß Graffton.

»Nehmt,« sagte Raoul, indem er dem Mädchen ein Billet reichte, das er hundertmal gelesen hatte.

Mary Graffton nahm das Billet und las:

»»Vicomte, Ihr habt Recht, Euch dort mit den schönen Damen von Karl II.. zu belustigen; denn am Hofe von Ludwig XlV, belagert man Euch im Schlosse Eurer Liebe. Bleibt also für immer in London, armer Vicomte, oder kommt rasch nach Paris zurück.««

»Keine Unterschrift,« sagte Miß Mary.

»Ihr glaubt also nicht?«

»Ja, doch hier ist ein zweiter Brief.«

»Von wem?«

»Von Herrn von Guiche.«

»Oh! das ist etwas Anderes. Und dieser Brief sagt Euch?«

»Leset.«

»»Mein Freund, ich bin verwundet, krank. Kommt zurück, Raoul, kommt zurück.««

»Guiche,«

»Und was gedenkt Ihr zuthun?« fragte das Mädchen mit beklommenem Herzen.

»Als ich diesen Brief empfing, war es meine Absicht, sogleich vom König Abschied zu nehmen.«

»Wann habt Ihr den Brief erhalten?«

»Vorgestern.«

»Er ist von Fontainebleau datirt.«

»Nicht wahr, das ist seltsam? der Hof befindet sich in Paris. Nun, ich wäre abgereist. Als ich aber mit dem König hiervon sprach, lachte er und sagte zu mir: »»Mein Herr Botschafter, wie kommt es, daß Ihr abreisen wollt? Ruft Euch Euer Herr zurück?«« Ich erröthete und verlor die Fassung, denn der König hat mich wirklich hierher geschickt und ich habe keinen Befehl zur Rückkehr erhalten.«

Mary faltete nachdenkend die Stirne«

»Und Ihr bleibt?« fragte sie.

»Ich muß, mein Fräulein.«

»Und diejenige, welche Ihr liebt?«

»Nun?«

»Schreibt sie Euch?«

»Nie.«

»Nie! Ah! sie liebt Euch also nicht?«

»Sie hat mir wenigstens seit meiner Abreise nicht geschrieben.«

»Schrieb sie Euch früher?«

»Zuweilen. Oh! ich hoffe, sie wird ein Hinderniß gehabt haben.«

»Stille, da kommt der Herzog.«

Buckingham erschien wirklich, allein und lächelnd, am Ende der Allee; er kam langsam und reichte den zwei Sprechenden die Hände.

»Habt Ihr Euch verständigt?« fragte er.

»Worüber?« sagte Miß Mary.

»Ueber das, was Euch, theure Mary, glücklich und Raoul minder unglücklich machen kann.«

»Ich verstehe Euch nicht, Mylord,« sagte Raoul.

»Soll ich Euch mein Gefühl vor diesem Herrn aussprechen?« fragte Buckingham lächelnd.

»Wollt Ihr damit sagen,« erwiederte das Mädchen voll Stolz, »wollt Ihr damit sagen, ich sei geneigt gewesen, Herrn von Bragelonne zu lieben, so ist dies unnöthig, denn ich habe es ihm selbst gesagt.«

Buckingham dachte nach und sprach, ohne aus der Fassung zu kommen, wie sie es erwartete:

»Weil ich Euch als einen zarten Geist und besonders als ein redliches Gemüth kenne, ließ ich Euch bei Herrn von Bragelonne, dessen krankes Herz unter den Händen eines Arztes, wie Ihr seid, genesen kann.«

»Aber Mylord, ehe Ihr mir vom Herzen von Herrn von Bragelonne sprachet, sprachet Ihr mir von dem Eurigen. Soll ich zwei Herzen zugleich heilen?«

»Es ist wahr, Miß Mary, Ihr laßt mir die Gerechtigkeit widerfahren, daß ich bald eine unnütze Verfolgung aufgegeben habe, da ich erkannte, daß meine Wunden unheilbar.«

Mary sammelte sich einen Augenblick und sprach dann:

»Mylord, Herr von Bragelonne ist glücklich. Er liebt, man liebt ihn; er bedarf also keines Arztes meiner Art.«

»Herr von Bragelonne steht am Vorabend einer schweren Krankheit,« entgegnete Buckingham, »und es ist mehr als je Bedürfnis für ihn, daß man sein Herz pflege.«

»Erklärt Euch, Mylord!« sagte Raoul lebhaft.

»Nein, nein, allmälig will ich mich erklären, doch wenn Ihr es wünscht, werde ich Miß Mary sagen, was Ihr nicht hören könnt.«

»Mylord, Ihr spannt mich auf die Folter, Mylord, Ihr wißt etwas.«

»Ich weiß, daß Miß Mary Graffton der reizendste Gegenstand ist, den ein krankes Herz auf seinem Wege finden kann.«

»Mylord, ich habe Euch schon einmal gesagt, der Vicomte von Bragelonne liebe anderswo,« versetzte das Mädchen,

»Er hat Unrecht.«

»Ihr wißt es also, Herr Herzog, Ihr wißt, daß ich Unrecht habe?«

»Ja.«

»Aber wen liebt er denn?« rief Miß Mary.

»Er liebt eine seiner unwürdige Frau,« erwiederte Buckingham mit dem Phlegma, das ein Engländer allein in seinem Herzen und in seinem Kopfe schöpft.

Miß Mary Graffton stieß einen Schrei aus, der nicht minder, als die von Buckingham ausgesprochenen Worte, die Wangen von Bragelonne vor Bestürzung erbleichen und seinen Körper vor Schrecken beben machte.

»Herzog,» rief er, »Ihr habt Worte gesprochen, deren Erklärung ich ohne eine Secunde Verzug in Paris suchen will.«

»Ihr werdet bleiben,« sagte Buckingham.

»Ich!«

»Ja, Ihr.«

»Und warum dies?«

»Weil Ihr nicht das Recht habt, abzureisen und man nicht den Dienst eines Königs für den einer Frau verläßt, und wäre sie auch würdig, geliebt zu werden, wie es Mary Graffton ist.«

»Unterrichtet mich also.«

»Das will ich wohl. Doch werdet Ihr bleiben?«

»Ja, wenn Ihr offenherzig mit mir sprecht?«

Buckingham war ohne Zweifel im Begriff, zu sagen, nicht wie sich Alles verhielt, sondern was er Alles wußte, als ein Lackei des Königs am Ende der Terrasse erschien und auf das Cabinet zuging, wo der König mit Miß Lucy Stewart war.

Dieser Mensch schritt einem bestaubten Courier voran, der erst vor einigen Augenblicken abgestiegen zu sein schien.

»Der Courier von Frankreich! der Courier von Madame!« rief Raoul, als er die Livree der Herzogin erkannte.

Der Diener und der Courier ließen dem König Meldung machen, während der Herzog und Miß Graffton einen Blick des Einverständnisses wechselten.

XXV.
Der Courier von Madame

Karl II. war eben im Zuge, Miß Stewart zu beweisen, daß er sich nur mit Ihr beschäftige; er versprach ihr dem zu Folge eine Liebe der ähnlich, wie sie sein Ahnherr Heinrich IV. für Gabriele gehabt hatte.

Zu seinem Unglück benützte Karl II, hierzu einen schlimmen Tag, einen Tag, an dem es sich Miß Stewart in den Kopf gesetzt hatte, ihn eifersüchtig zu machen.

Statt sich durch sein Versprechen erweichen zu lassen, wie er es erwartet hatte, brach sie auch in ein Gelächter aus.

»Oh! Sire, Sire,« rief sie unter dem Gelächter, »hätte ich das Unglück, von Euch einen Beweis dieser Liebe zu verlangen, wie leicht wäre es, zu sehen, daß Ihr lügt.«

»Höret,« erwiederte Karl, »Ihr kennt meine Cartons von Raphael; Ihr wißt, welchen Werth ich darauf lege; die Welt beneidet mich darum, das wißt Ihr auch. Mein Vater ließ sie durch Van Dyck ankaufen. Soll ich sie noch heute in Eure Wohnung tragen lassen?«

»Oh! nein,« rief das Mädchen, »hütet Euch wohl, Sire, ich wohne zu enge, um solche Gäste zu beherbergen.«

»Dann schenke ich Euch Hampton Court, um die Cartons unterzubringen.«

»Seid minder freigebig, Sire, und liebet länger, das ist Alles, was ich von Euch fordere.«

»Ich werde Euch immer lieben; ist das nicht genug?«

»Ihr lacht, Sire.«

»Soll ich denn weinen?«

»Nein, aber ich möchte Euch gern ein wenig schwermüthiger sehen.«

»Gott bewahre mich, meine Schöne, ich bin es lange genug gewesen, vierzehn Jahre der Verbannung, der Armuth, des Elends; mir schien das eine abbezahlte Schuld zu sein, und dann macht die Traurigkeit häßlich.«

»Nicht doch, seht den jungen Franzosen an.«

»Oh! der Vicomte von Bragelonne! Ihr also auch! Gott verdamme mich! sie werden sich alle hintereinander wahnsinnig in ihn verlieben! Er hat übrigens Ursache, schwermüthig zu sein!«

»Warum dies?«

»Oh! ja wohl, ich muß Euch am Ende die Staatsgeheimnisse offenbaren.«

»Ihr müßt, wenn ich will, da Ihr Euch bereit erklärt habt, Alles zu thun, was mir beliebt.«

»Wohl denn! er ist verdrießlich über seine Heimath. Seid Ihr zufrieden?«

»Er ist verdrießlich?«

»Ja, ein Beweis, daß er ein Einfaltspinsel ist.«

»Wie! ein Einfaltspinsel?«

»Allerdings! Begreift Ihr das? Ich erlaube ihm, Miß Mary Graffton zu lieben, und er ist verdrießlich.«

»Gut! es scheint, wäret Ihr nicht von Miß Lucy Stewart geliebt, so würdet Ihr Euch dadurch trösten, daß Ihr Miß Mary Graffton liebtet.«

»Ich sage das nicht; vor Allem wißt Ihr wohl, daß Mary Graffton mich nicht liebt; man tröstet sich aber über eine verlorene Liebe nur durch eine gefundene Liebe, Doch ich wiederhole, es handelt sich nicht um mich, sondern um diesen jungen Mann, Sollte man nicht glauben, diejenige, welche er verläßt, sei eine Helena, wohl verstanden, eine Helena von Paris?«

»Er verläßt also Jemand?«

»Das heißt, man verläßt ihn.«

»Armer Junge! im Ganzen, schlimm von ihm.«

»Warum schlimm?«

»Ja; warum geht er?«

»Glaubt Ihr, er gehe freiwillig?«

 

»Er ist also gezwungen?«

»Meine liebe Stewart, er hat Paris auf Befehl verlassen.«

»Auf wessen Befehl?«

»Rathet.«

»Auf Befehl des Königs?«

»Ganz richtig.«

»Ah! Ihr öffnet mir die Augen.«

»Sagt wenigstens nichts.«

»Ihr wißt wohl, daß ich hinsichtlich der Verschwiegenheit den Werth eines Mannes habe. Der König schickt ihn also weg?«

»Ja.«

»Und während seiner Abwesenheit nimmt er ihm seine Geliebte?«

»Ja. Und begreift, statt dem König zu danken, jammert das arme Kind!«

»Dem König dafür danken, daß er ihm seine Geliebte stiehlt! Oh! Sire, was Ihr da sagt, ist nicht galant gegen die Frauen im Allgemeinen und gegen die Geliebtinnen insbesondere.«

»Ei! seht Ihr das denn nicht ein! Wäre diejenige, welche ihm der König raubt, eine Miß Graffton oder eine Miß Stewart, so würde ich seine Ansicht theilen und ihn nicht einmal verzweiflungsvoll genug finden, aber es ist ein kleines, mageres, hinkendes Mädchen . . . Zum Teufel mit der Treue! wie man in Frankreich sagt, die Reiche um der Armen willen, die Liebende um der Betrügenden willen ausschlagen, hat man das je gesehen?«

»Glaubt Ihr, Mary hege im Ernste das Verlangen, dem Vicomte zu gefallen, Sire?«

»Ja, ich glaube es.«

»Wohl! der Vicomte wird sich an England gewöhnen. Mary hat einen guten Kopf, und wenn sie will, will sie fest.«

»Meine liebe Miß Stewart, wenn sich der Vicomte in unserem Lande acclimatisirt, so ist dies noch nicht lange her; erst vorgestern hat er mich um die Erlaubniß gebeten, es verlassen zu dürfen.«

»Und Ihr habt sie ihm verweigert?«

»Ich glaube wohl, dem König, meinem Schwager, ist zu viel an seiner Abwesenheit gelegen, und ich setze meine Eitelkeit darein, daß er hier bleibt; man soll nicht sagen, ich habe diesem jungen Mann vergebens die edelste und süßeste Lockspeise Englands vorgesetzt.«

»Ihr seid zu artig, Sire,« erwiederte Miß Stewart mit einer reizenden Mundverziehung.

»Ich zähle Miß Stewart nicht,« entgegnete der König, »das ist ein königlicher Köder, und da ich meine Hand nach ihm ausgestreckt habe, so wird hoffentlich kein Anderer darnach trachten; ich sage also, ich werde nicht vergebens mit diesem jungen Mann geliebäugelt haben: er wird hier bleiben und sich bei uns verheirathen, oder Gott soll mich verdammen!«

»Und ich hoffe, daß er, ist er einmal verheirathet, statt Eurer Majestät zu grollen, dankbar sein wird, denn alle Welt beeifert sich, ihm zu gefallen, selbst Herr von Buckingham, der, was ins Unglaubliche geht, vor, ihm zurücktritt.«

»Und selbst Miß Stewart, die ihn einen reizenden Cavalier nennt.«

»Höret, Sire, Ihr habt mir Miß Graffton genug gepriesen, laßt mir Herrn von Bragelonne ein wenig hingehen. Doch saget, Sire, Ihr seid seit einiger Zeit von einer Güte, die mich in Erstaunen setzt, Ihr denkt an die Anwesenden, Ihr verzeiht Beleidigungen, Ihr seid beinahe vollkommen. Welchem Umstand habe ich dies zuzuschreiben?«

Lachend erwiederte Karl II.:

»Dem, daß Ihr Euch lieben laßt.«

»Oh! das muß eine andere Ursache haben.«

»Ich verbinde meinen Schwager Ludwig XIV.«

»Gebt mir noch eine andere an.«

»Wohl denn! der wahre Beweggrund ist, daß Herr von Buckingham mir diesen jungen Mann empfohlen und zu mir gesagt hat:

»»Sire, ich fange an zu Gunsten von Herrn von Bragelonne auf Miß Graffton zu verzichten, macht es wie ich.««

»Oh! der Herzog ist in der That ein würdiger Edelmann.«

»Ah! ja wohl, erhitzt Euch nun den Kopf für Buckingham. Es scheint, Ihr wollt mir heute die Verdammniß bringen?«

In diesem Augenblick kratzte man an der Thüre.

»Wer erlaubt sich, uns zu stören?« rief Karl voll Ungeduld.

»In der That, Sire,« sagte Stewart, »das ist Einer, der sich die größte Abgeschmacktheit erlaubt, und um Euch dafür zu bestrafen . . . «

Sie ging an die Thüre und öffnete sie.

»Ah! es ist ein Bote von Frankreich,« rief Miß Stewart.

»Ein Bote von Frankreich, von meiner Schwester vielleicht,« versetzte Karl.

»Ja, Sire, ein außerordentlicher Bote,« antwortete der Huissier.

»Tretet ein, tretet ein,« sprach Karl.

Der Courier trat ein.

»Ihr habt einen Brief von der Frau Herzogin von Orleans?« fragte der König.

»Ja Sire,« antwortete der Courier, »und zwar einen so dringenden, daß ich nur sechs und zwanzig Stunden gebraucht habe, um ihn Eurer Majestät zu überbringen, und dabei habe ich noch drei Viertelstunden in Calais verloren.«

»Man wird für Euren Eifer erkenntlich sein,« sagte der König,

Und er öffnete den Brief.

Dann schlug er ein schallendes Gelächter auf und rief:

»In der That, nun ist mir die Sache ganz unbegreiflich.«

Und er las den Brief zum zweiten Mal.

Miß Stewart nahm zum Schein eine Haltung voll Bescheidenheit an und bezwang ihre glühende Neugierde.

»Francis, sagte der König zu seinem Diener, »man reiche diesem braven Burschen Erfrischungen und lasse ihn schlafen gehen, und morgen beim Erwachen finde er an seinem Bette ein Säckchen mit fünfzig Pfund.«

»Sire . . . «

»Gehe, mein Freund, gehe: meine Schwester hatte Recht, Dir Eile zu empfehlen, die Sache ist dringend.«

Und er lachte stärker als je.

Der Bote, der Kammerdiener und selbst Miß Stewart wußten nicht, welche Haltung sie beobachten sollten.

»Oh!« rief der König, indem er sich in seinem Lehnstuhl zurückwarf, »und wenn ich bedenke, daß Du., wie viel Pferde zu Tode geritten hast?«

»Zwei.«

»Zwei Pferde, um diese Nachricht zu überbringen! Es ist gut gehe, mein Freund, gehe.«

Der Courier ging mit dem Kammerdiener ab.

König Karl II. trat an das Fenster, öffnete es, neigte sich hinaus und rief: »Herzog, Herzog Buckingham, mein lieber Buckingham, kommt.«

Der Herzog lief eiligst herbei; als er aber die Thürschwelle erreicht hatte und Miß Stewart erblickte, zögerte er, einzutreten.

»Komm doch und mache die Thüre zu, Herzog.«

Der Herzog gehorchte und näherte sich lächelnd dem König, als er diesen in so heiterer Laune sah.

»Nun, mein lieber Herzog, wie weit bist Du mit Deinem Franzosen?«

»Ah! ich bin in Beziehung auf ihn in der reinsten Verzweiflung, Sire.«

»Und warum?«

»Weil die anbetungswürdige Miß Graffton ihn heirathen will und er nicht will.«

»Dieser Franzose ist also ein Böotier!« rief Miß Stewart: »er sage ja oder nein, und damit sei es zu Ende.«

»Miß Stewart,« erwiederte Buckingham mit ernstem Tone, »Ihr wißt oder Ihr mußt wissen, daß Herr von Bragelonne anderswo liebt.«

»Dann kann nichts einfacher sein,« sprach der König Miß Stewart zu Hilfe kommend: »er sage nein.«

»Oh! ich bewies ihm, er habe Unrecht, nicht ja zu sagen.«

»Du hast ihm also gestanden, seine la Vallière betrüge ihn?«

»Meiner Treue, ja, geradezu.«

»Und was hat er gethan?«

»Er hat einen Sprung gemacht, als wollte er über den Kanal setzen.«

»Ah!« sagte Miß Stewart, »er hat doch etwas gethan; das ist ein Glück.«

»Aber ich habe ihn zurückgehalten,« fuhr Buckingham fort: »ich habe ihn mit Miß Mary in den Kampf gestellt, und ich hoffe nun, daß er nicht abreisen wird, wie es seinen Aeußerungen nach seine Absicht war.«

»Er gab die Absicht zu reisen kund!« rief der König.

»Einen Augenblick zweifelte ich, ob irgend eine menschliche Macht im Stande wäre, ihn zurückzuhalten, doch die Augen von Miß Mary sind auf ihn gerichtet, und er wird bleiben.«

»Hierin täuschest Du Dich, Buckingham,« sagte der König abermals geräuschvoll lachend, »dieser Unglückliche ist prädestinirt.«

»Prädestinirt, wozu?«

»Betrogen zu werden, was im Ganzen nichts ist, wenn man aber ihn sieht, viel ist.«

»In der Entfernung und mit Hilfe von Miß Graffton wird der Schlag parirt werden.«

»Keines Wegs, hier werden weder die Entfernung, noch Miß Graffton ins Mittel treten. Bragelonne reist in einer Stunde nach Paris ab.«

Buckingham bebte. Miß Stewart riß die Augen weit auf.

»Aber, Sire, Eure Majestät weiß wohl, daß dies unmöglich ist,« sagte der Herzog.«

»Das heißt, mein lieber Herzog, es ist nur unmöglich, daß das Gegentheil geschieht.«

»Sire, denkt Euch, daß dieser junge Mann ein Löwe ist.«

»Ich glaube es nicht, Villiers.«

»Daß sein Zorn furchtbar.«

»Ich ziehe das nicht in Abrede, mein Freund.«

»Wenn er sein Unglück von Nahem sieht, wehe dem Urheber dieses Unglücks!«

»Es mag sein ; doch was soll ich thun?«

»Und wäre es der König, ich stünde nicht für ihn!« rief Buckingham.

»Oh! der König hat Musketiere, um ihn zu bewachen,« entgegnete Karl mit ruhigem Tone: »ich weiß das, ich, der ich in Blois antichambrirt habe. Er hat Herrn d’Artagnan, Teufel! das ist ein Wächter! Siehst Du, ich würde mir zwanzig Zörne, wie die von Deinem Bragelonne, gefallen lassen, hätte ich vier Wächter wie Herrn d’Artagnan.«

»Oh! Eure Majestät, die so gut ist, überlege doch,« sagte Buckingham.

»Hier,« sagte Karl II., indem er dem Herzog den Brief reichte, »lies und antworte Du selbst. Was würdest Du an meiner Stelle thun?«

Buckingham nahm langsam den Brief von Madame und las vor Aufregung zitternd folgende Worte:

»Euch zu Liebe, mir zu Liebe, für die Ehre und das Heil Aller schickt Herrn von Bragelonne sogleich nach Frankreich zurück.

»Eure ergebene Schwester

»Henriette.«

»Was sagst Du dazu, Villiers?«

»Meiner Treue, ich sage nichts,« erwiederte der Herzog ganz erstaunt.

»Würdest Du mir etwa rathen, meiner Schwester nicht zu gehorchen, während sie mit solcher Dringlichkeit zu mir spricht?«

»Oh I nein Sire, doch . . . «

»Du hast die Nachschrift nicht gelesen, Villiers, sie steht unter dem Bug und ist mir Anfangs selbst entgangen, lies.«

Der Herzog hob wirklich einen Bug auf, der diese Zeile verbarg.

»Tausend freundliche Grüße an diejenigen, welche mich lieben.«

Die erbleichende Stirne des Herzogs beugte sich auf den Brief; das Blatt zitterte in seinen Fingern, als ob sich das Papier in dickes Blei verwandelt hätte.

Der König wartete einen Augenblick und sprach dann, als er sah, daß Buckingham stumm blieb:

»Er verfolge also sein Geschick, wie wir das unserige verfolgen; jeder erduldet seine Leidenschaft auf dieser Welt, ich habe die meinige gehabt, ich habe die der Meinigen gehabt und ein doppeltes Kreuz getragen! Zum Teufel nun mit den Sorgen! Villiers, hole mir diesen Cavalier!«

Der Herzog öffnete die Gitterthüre des Cabinets, zeigte dem König Raoul und Mary, die neben einander gingen, und sprach:

»Oh! Sire, welche Grausamkeit gegen die arme Miß Graffton!«

»Vorwärts, rufe,« sagte Karl II., indem er seine schwarzen Brauen zusammenzog, »es ist also alle Welt hier sentimental? Ah I gut, nun trocknet sich Miß Stewart die Augen. Verdammter Franzose!«

Der Herzog rief Raoul, nahm die Hand von Miß Graffton und führte sie vor das Cabinet des Königs.

»Herr von Bragelonne,« sagte Karl II., »batet Ihr mich nicht vorgestern um Erlaubniß, nach Paris zurückkehren zu dürfen?«

»Ja, Sire,« antwortete Raoul, den dieser Eingang sogleich ganz betäubte.

»Wohl, mein lieber Vicomte, ich habe es Euch, glaube ich, abgeschlagen?«

»Ja, Sire.«

»Und Ihr seid mir darum böse gewesen?«

»Nein, Sire, denn Eure Majestät schlug es mir gewiß aus trefflichen Gründen ab; Eure Majestät ist zu weise und zu gut, um nicht Alles, was sie thut, wohl zu thun.«

»Ich gab Euch, glaube ich, als Grund an, der König von Frankreich habe Euch nicht zurückgerufen.«

»Ja, Sire, Ihr antwortetet mir das in der That.«

»Wohl! ich habe nachgedacht, Herr von Bragelonne; hat Euch der König wirklich die Rückkehr nicht fest bestimmt, so hat er mir doch empfohlen, Euch den Aufenthalt in England angenehm zu machen; wenn Ihr mich nun abreisen zu dürfen batet, so geschah dies, weil Euch der Aufenthalt in England nicht angenehm war.«

»Ich habe das nicht gesagt, Sire.«

»Nein, doch Euer Gesuch bezeichnete wenigstens, ein anderer Aufenthalt wäre Euch angenehmer, als dieser.«

In diesem Augenblick wandte sich Raoul nach der Thüre um, an deren Einfassung Miß Graffton bleich und entstellt sich anlehnte.

Ihr Arm ruhte auf dem Arm von Buckingham.

»Ihr antwortet nicht,« fuhr Karl fort, »das französische Sprichwort ist bestimmt: Wer nichts sagt, gibt zu. Wohl denn, Herr von Bragelonne, ich sehe mich im Stande, Euch zufrieden zu stellen; Ihr könnt, wenn Ihr wollt, nach Frankreich abreisen, ich bevollmächtige Euch hierzu.«

»Sire!« rief Raoul.

»Oh!« seufzte Mary, den Arm von Buckingham pressend.

 

»Ihr könnt diesen Abend in Dover sein,« fuhr der König fort, »die Fluth steigt Morgens um zwei Uhr.«

Raoul stammelte ganz erstaunt ein paar Worte, welche die Mitte zwischen dem Dank und der Entschuldigung hielten.

»Ich sage Euch also Lebewohl, Herr von Bragelonne, und wünsche Euch jegliche Wohlfahrt,« sprach der König aufstehend: »Ihr werdet mir das Vergnügen bereiten, zum Andenken an mich diesen Diamant zu behalten, den ich zu einem Brautschmuck bestimmte.«

Miß Graffton schien einer Ohnmacht nahe.

Raoul empfing den Diamant; indem er ihn in Empfang nahm, fühlte er seine Kniee zittern.

Er richtete einige Danksagungen an den König, ein paar Worte an Miß Stewart und suchte Buckingham, um sich von ihm zu verabschieden.

Der König benutzte diesen Augenblick, um zu verschwinden.

Raoul fand den Herzog damit beschäftigt, daß er den Muth von Miß Graffton zu heben suchte.

»Mein Fräulein, ich flehe Euch an, heißt ihn bleiben,« flüsterte Buckingham.

»Ich sage ihm, er möge abreisen,« erwiederte Miß Graffton, sich wiederbelebend; »ich gehöre nicht zu den Frauen, die mehr Stolz, als Herz haben; liebt man ihn in Frankreich, so kehre er nach Frankreich zurück und segne mich, mich, die ich ihm sein Glück zu suchen gerathen haben werde. Liebt man ihn dagegen nicht mehr, so komme er wieder zu uns, ich werde ihn noch lieben, und sein Unglück wird ihn in meinen Augen nicht erniedrigt haben. Im Wappen meines Hauses steht, was Gott in mein Herz gegraben hat: Habenti parum, egenti omnia.

»Den Reichen wenig, den Armen Alles.«

»Mein Freund,« sagte Buckingham, »ich bezweifle, ob Ihr dort den Ersatz für das findet, was Ihr hier zurücklaßt.«

»Ich glaube oder ich hoffe wenigstens, daß das, was ich liebe, meiner würdig ist,« erwiederte Raoul mit düsterer Miene; »ist es aber wahr, daß ich eine unwürdige Liebe hege, wie Ihr mir zu verstehen zu geben versuchtet, Herr Herzog, so werde ich sie aus meinem Herzen reißen, und müßte ich mein Herz mit der Liebe ausreißen.«

Mary Graffton schlug die Augen mit einem Ausdruck unaussprechlichen Mitleids zu ihm auf.

Raoul lächelte traurig und sprach:

»Mein Fräulein, der Diamant, den mir der König schenkt, war für Euch bestimmt, laßt mir ihn Euch anbieten: heirathe ich in Frankreich, so schickt mir denselben zurück, heirathe ich nicht, so behaltet ihn.«

Und er verbeugte sich und ging weg.

»Was will er damit sagen?« dachte Buckingham, während Raoul Miß Mary ehrfurchtsvoll die eisige Hand drückte.

Miß Mary begriff den Blick, den Buckingham auf sie heftete.

»Wenn es ein Brautring wäre, würde ich ihn annehmen?« sagte sie.

»Ihr stellt es ihm aber doch frei, zu Euch zurückzukehren?«

»Oh! Herzog,« rief Mary schluchzend, »eine Frau wie ich wird nie zum Troste für einen Mann wie er genommen.«

»Ihr denkt also, er werde nicht zurückkommen?«

»Niemals,« antwortete Miß Graffton mit erstickter Stimme.

»Nun wohl! ich sage Euch, daß er dort sein Glück zerstört, seine Braut verloren . . . seine Ehre sogar angetastet finden wird. Was wird ihm bleiben, was Eure Liebe aufwiegt? Oh! sprecht, Mary, Ihr, die Ihr Euch selbst kennt?«

Miß Graffton legte ihre weiße Hand auf den Arm von Buckingham, und während Raoul durch die Lindenallee mit einer schwindelartigen Schnelligkeit entfloh, sprach sie mit sterbender Stimme den Vers aus Romeo und Julie:

»Nur Eile rettet mich, Verzug ist sichrer Tod.«

Als sie das letzte Wort gesprochen, war Raoul entflohen.

Miß Graffton kehrte bleicher und schweigsamer als ein Schatten nach Hause zurück.

Buckingham benützte den Courier, der den Brief an den König gebracht hatte, um an Madame und an den Grafen von Guiche zu schreiben.

Der König hatte die Wahrheit gesagt. Um zwei Uhr war die Fluth hoch und Raoul schiffte sich nach Frankreich ein.