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Der Graf von Bragelonne

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XXIII.
Das Portrait

Bei der Krankheit, die man die Liebe nennt, folgen sich die Anfälle in Immer kürzeren Fristen, sobald das Uebel seinen Ansang genommen hat.

Später entfernen sich die Anfälle in demselben Maße von einander, in dem die Heilung eintritt.

Nachdem dies als Axiom im Allgemeinen und als Kopf des Kapitels insbesondere festgestellt ist, fahren wir in unserer Erzählung fort.

Am folgenden Tag, den der König für die erste Unterredung bei Saint-Aignan bestimmt hatte, fand la Vallière, als sie ihren Windschirm öffnete, ein von der Hand des Königs geschriebenes Billet.

Dieses Billet war vom untern Stock in den obern durch den Spalt des Bodens gelangt. Keine indiscrete Hand, kein neugieriger Blick konnte dahin dringen, wohin dieses Papier drang.

Es war dies einer von den Gedanken von Malicorne. Da er sah, wie sehr Saint-Aignan durch seine Wohnung dem König nützlich werden sollte, so wollte er nicht, daß der Höfling auch noch als Bote unentbehrlich werde, und so glaubte er sich diesen Posten aus eigener Machtvollkommenheit vorbehalten zu müssen.

La Vallière las voll Gierde dieses Billet, das ihr zwei Uhr Nachmittags als den Augenblick des Rendezvous bestimmte und das Mittel, die Bodenplatte aufzuheben, angab.

»Macht Euch schön,« fügte die Nachschrift des Briefchens bei.

Diese letzten Worte setzten la Vallière in Erstaunen, beruhigten sie aber auch zugleich.

Die Stunde kam langsam heran, trat aber doch am Ende ein.

So pünktlich als die Priesterin Hero, hob la Vallière die Fallthüre beim letzten Schlage von zwei Uhr auf, und sie fand auf den ersten Stufen den König, der achtungsvoll auf sie wartete, um ihr die Hand zu geben.

Diese zarte Ehrerbietung rührte sie merklich.

Unten an der Treppe fanden die zwei Liebenden den Grafen, der mit einem Lächeln und einer Verbeugung vom besten Geschmack la Vallière für die Ehre dankte, die ihm von ihr zu Theil werde.

Dann wandte er sich an den König und sprach:

»Sire, unser Mann ist eingetroffen.«

La Vallière schaute den König besorgt an.

»Mein Fräulein,« sagte Ludwig, »wenn ich Euch gebeten habe, mir die Ehre zu erweisen, hier herabzukommen, so ist dies aus Interesse geschehen. Ich habe einen vortrefflichen Maler berufen, der die Aehnlichkeiten vollkommen auffaßt, und ich wünsche, Ihr möget ihm erlauben. Euch zu malen. Das Portrait wird übrigens, wenn Ihr es durchaus verlangt, bei Euch bleiben.«

La Vallière erröthete.

»Ihr seht,« fuhr der König fort, »wir werden nicht mehr nur zu drei sein, wir sind nun zu vier. Ei! mein Gott! sobald wir nicht allein sind, mögen wir zu so Vielen sein, als Ihr wollt.«

La Vallière drückte sanft mit ihren Fingerspitzen die Hand ihres königlichen Geliebten.

»Gehen wir in das nächste Zimmer, wenn es Euer Majestät beliebt,« sagte Saint-Aignan.

Er öffnete die Thüre und ließ seine Gäste eintreten.

Der König ging hinter la Vallière und verschlang mit den Augen ihren perlmutterweißen Hals, auf dem sich die gedrängten kraußen Ringeln ihrer silbernen Haare entrollten.

La Vallière trug ein Kleid von schwerem Seidenstoff von perlgrauer Farbe mit rosa Glanz, ein Geschmeide von Gagath hob die Weiße ihrer Haut noch mehr hervor; ihre seinen durchsichtigen Hände zerknitterten einen Strauß von Stiefmütterchen, bengalischen Rosen und Rebwinden mit dem zart ausgeschnittenen Blätterwerk, worüber sich wie ein Becher, um Wohlgerüche auszugießen, eine Harlemer Tulpe mit grauen und veilchenblauen Tönen erhob, eine seltene Gattung, die den Gärtner fünf Jahre Combinationen und den König fünftausend Livres gekostet hatte.

Diesen Strauß hatte der König la Vallière bei der Begrüßung in die Hand gegeben.

In dem Zimmer, dessen Thüre Saint-Aignan geöffnet hatte, stand ein junger Mann in einem leichten Sammetrock, mit schönen schwarzen Augen und langen braunen Haaren.

Es war der Maler. Seine Leinwand war zubereitet, seine Palette gemacht.

Er verbeugte sich vor Fräulein de la Vallière mit jener ernsten Neugierde des Künstlers, der sein Modell studiert, grüßte den König auf eine discrete Weise, als erkennete er ihn nicht, und folglich, als ob er einen andern Cavalier grüßte.

Dann führte er la Vallière bis zu dem für sie bestimmten Stuhl und lud sie ein, sich niederzusetzen.

La Vallière nahm eine anmuthige Haltung an; ihre Hände spielten mit dem Strauß, ihre Beine waren auf Polstern ausgestreckt, und damit ihre Blicke nichts Unbestimmtes oder Gezwungenes hätten, bat sie der Maler, sich eine Beschäftigung zu wählen.

Da setzte sich Ludwig lächelnd auf die Polster zu den Füßen seiner Geliebten.

So daß sie, rückwärts geneigt, an das Fauteuil angelehnt, ihre Blumen in der Hand, und er, die Augen zu ihr aufgeschlagen und sie mit dem Blicke verschlingend, eine reizende Gruppe bildeten, die der Maler einige Minuten lang mit großer Befriedigung betrachtete.

Der Maler skizzirte rasch, dann sah man vom grauen Grund das weiche, poetische Gesicht mit den sanften Augen, mit den rosigen Wangen umrahmt von Haaren von reinem Silber hervortreten.

Die beiden Liebenden sprachen indessen wenig und schauten sich nur viel an; ihre Augen wurden zuweilen so schmachtend, daß sich der Maler genöthigt sah, seine Arbeit zu unterbrechen, um nicht eine Erycine statt einer La Vallière darzustellen.

Da trat Saint-Aignan ins Mittel; er recitirte Verse oder er gab eines von den Geschichtchen zum Besten, wie Patru sie erzählte, wie Tallemant des Reaux sie so gut schrieb.

Dann war la Vallière auch wohl müde, und man ruhte aus.

Sogleich dienten eine Platte von chinesischem Porzellan, beladen mit den schönsten Früchten, die man hatte finden können, und der Xeres, der seine Topase im ciselirten Silber destillirte, als Beigaben zu dem Gemälde, dessen ephemerstes Bild der Maler nur zeichnen sollte.

Ludwig berauschte sich in der Liebe, la Vallière im Glück, Saint-Aignan im Ehrgeiz.

Der Maler componirte sich Erinnerungen für sein Alter.

So vergingen zwei Stunden; als es vier Uhr schlug, erhob sich la Vallière und machte dem König ein Zeichen.

Ludwig stand auf, trat näher zu dem Gemälde und sagte dem Künstler einige schmeichelhafte Komplimente.

Saint-Aignan rühmte die, wie er behauptete, schon gesicherte Aehnlichkeit.

La Vallière dankte erröthend dem Maler und ging in das anstoßende Zimmer, wohin ihr der König folgte, nachdem er Saint-Aignan gerufen hatte.

»Morgen, nicht wahr?« sagte er zu la Vallière.

»Aber, Sire, bedenkt Ihr auch, daß man sicherlich zu mir kommen und mich nicht finden wird?«

»Nun?«

»Wie wird es mir dann ergehen?«

»Ihr seid sehr furchtsam, Louise.«

»Wenn Madame nach mir verlangen würde?«

»Oh! soll denn nicht endlich ein Tag kommen, wo Ihr mir selbst sagen werdet, ich möge Allem trotzen, um Euch nicht mehr zu verlassen!«

»An diesem Tage, Sire, wäre ich eine Wahnsinnige und Ihr müßtet mir nicht glauben . . . «

»Morgen, Louise.«

La Vallière stieß einen Seufzer aus und erwiederte ohne Kraft gegen das königliche Verlangen:

»Da Ihr es wollt, Sire, morgen.«

Nach diesen Worten stieg sie leicht die Stufen hinauf und verschwand aus den Augen ihres Geliebten.

»Nun, Sire?« fragte Saint-Aignan, als sie weggegangen war.

»Saint-Aignan, gestern hielt ich mich für den glücklichsten Menschen.«

»Sollte sich Eure Majestät zufällig heute für den unglücklichsten halten?« versetzte Saint-Aignan lächelnd.

»Nein, doch diese Liebe ist ein unauslöschlicher Durst, vergebens trinke ich, vergebens verschlucke ich die Wassertropfen, die Dein Erfindungsgeist mir verschafft; je mehr ich trinke, desto mehr habe ich Durst.«

»Sire, das ist ein wenig Euer Fehler, und Eure Majestät hat sich die Lage der Dinge gemacht, wie sie ist.«

»Du hast Recht.«

»In diesem Fall, Sire, besteht das einzige Mittel, glücklich zu sein, darin, daß man sich für befriedigt hält und wartet.«

»Warten! kennst Du dieses Wort: warten?«

»Ruhe, Sire, verzweifelt nicht. Ich habe schon gesucht und werde fortwährend suchen.«

Der König schüttelte mit einer trostlosen Miene den Kopf.

»Wie, Sire, Ihr seid schon nicht mehr zufrieden?«

»Oh! doch, mein lieber Saint-Aignan, aber finde, mein Gott! finde.«

»Sire, ich mache mich nur verbindlich, zu suchen, das ist Alles, was ich thun kann.«

Der König wollte das Portrait noch einmal sehen, da er das Original nicht mehr sehen konnte. Er bezeichnete dem Maler einige Aenderungen und ging weg

Hinter ihm entließ Saint-Aignan den Künstler.

Staffelei, Farben und Maler waren nicht sobald verschwunden, als Malicorne seinen Kopf zwischen den Thürvorhängen zeigte.

Saint-Aignan empfing ihn mit offenen Armen, jedoch mit einer gewissen Traurigkeit,

Die Wolke, die über die königliche Sonne gezogen war, verschleierte nun den getreuen Satelliten,

Malicorne sah mit dem ersten Blick den über dem Gesichte von Saint-Aignan ausgebreiteten Flor.

»Ah! Herr Graf, wie schwarz seid Ihr!« rief er.

»Bei meiner Treue, ich habe auch Ursache dazu, mein lieber Herr Malicorne; solltet Ihr wohl glauben, daß der König nicht zufrieden ist?«

»Nicht zufrieden mit seiner Treppe?«

»Oh! nein, im Gegentheil, die Treppe hat ihm sehr gefallen.«

»Also hat die Ausschmückung der Zimmer seinem Geschmack nicht entsprochen?«

»Oh! was das betrifft, daran hat er nicht einmal gedacht. Nein, was dem König mißfiel . . . «

»Ich will es Euch sagen, Herr Graf: daß er zu vier bei einem Liebesrendezvous gewesen ist. Wie, Ihr habt das nicht errathen?«

»Wie hätte ich es errathen sollen, mein lieber Herr Malicorne, da ich nur buchstäblich die Instructionen des Königs befolgte?«

»Seine Majestät wollte Euch in der That mit aller Gewalt bei sich haben?«

 

»Entschieden.«

»Und Seine Majestät wollte auch den Maler haben, dem ich unten begegnete?«

»Ausdrücklich verlangt, Herr Malicorne.«

»Dann begreife ich bei Gott wohl, daß Seine Majestät unzufrieden gewesen ist.«

»Unzufrieden darüber, daß man seinen Befehlen pünktlich gehorcht hat? Ich verstehe Euch nicht.«

Malicorne kratzte sich hinter dem Ohr und fragte dann:

»In welcher Stunde sagte Euch der König, daß er zu Euch kommen werde?«

»Um zwei Uhr.«

»Und Ihr erwartet ihn in Eurer Wohnung?«

»Von halb zwei Uhr an.«

»Ah! wahrhaftig?«

»Teufel! das wäre schön gewesen, wenn ich mich unpünktlich vor dem König gezeigt hätte.«

Malicorne konnte sich trotz der Achtung, die er für Saint-Aignan hegte, nicht enthalten, die Achseln zu zucken.

»Und der Maler,« sagte er, »verlangte ihn der König auch auf zwei Uhr?«

»Nein, doch ich hatte ihn seit Mittag hier bei mir, Ihr begreift, es ist besser, wenn ein Maler zwei Stunden wartet, als wenn ein König eine Minute wartet.«

Malicorne lachte stille.

»Mein lieber Herr Malicorne,« sagte Saint-Aignan, »lachet weniger über mich und sprecht mehr.«

»Ihr begehrt es?«

»Ich bitte Euch inständig darum.«

»Nun denn, Herr Graf, wollt Ihr, daß der König ein wenig zufriedener sein möge, sobald er wieder kommt . . . «

»Er kommt morgen.«

»Wollt Ihr, daß der König morgen ein wenig zufriedener sein möge?«

»Ventre-saint-gris! wie sein Ahnherr sagte, ob ich es will! ich glaube wohl.«

»Gut, morgen in dem Augenblick, wo der König kommt, habt auswärts zu thun, doch in einer Sache, die sich nicht verschieben läßt, in einer unerläßlichen Sache.«

»Ho! ho!«

»Zwanzig Minuten lang.«

»Den König zwanzig Minuten lang allein lassen!« rief Saint-Aignan erschrocken.

»Oh! so nehmt an, ich habe nichts gesagt,« sprach Malicorne, während er sich nach der Thüre zurückzog.

»Im Gegentheil, mein lieber Herr Malicorne, vollendet, ich fange an zu begreifen . . . . Und der Maler, der Maler?«

»Der Maler soll eine halbe Stunde im Verzug sein.«

»Eine halbe Stunde, Ihr glaubt?«

»Ja, ich glaube.«

»Mein lieber Herr, ich werde es machen, wie Ihr sagt.«

»Und ich denke, Ihr werdet Euch gut dabei befinden; erlaubt Ihr mir, morgen zu Euch zu kommen und mich ein wenig zu erkundigen?«

»Gewiß.«

»Ich habe die Ehre, Euer achtungsvollster Diener zu sein, Herr von Saint-Aignan.«

Hiernach ging Malicorne rückwärts hinaus.

»Dieser Junge hat offenbar mehr Geist als ich,« sagte Saint-Aignan durch seine Ueberzeugung fortgerissen zu sich selbst.

XXIV.
Hampton Court

Die Eröffnung, die wir Montalais am Ende unseres vorletzten Kapitels la Vallière machen sahen, führt uns ganz natürlich zum Haupthelden dieser Geschichte, einem armen, unter dem Hauche der Laune eines Königs umherirrenden Ritter zurück.

Will der Leser die Gewogenheit haben, uns zu folgen , so ziehen wir mit ihm über die Meerenge, die stürmischer, als der Euripus, über die Meerenge, welche Calais von Dover trennt, wir durchwandern die grüne pflanzenreiche Landschaft mit den tausend Bächen, die Charing, Maidstone und zehn andere Städte, von denen die eine immer malerischer, als die andere, umgürtet, und kommen endlich nach London.

Bon da lausen wir, wie Leithunde, die eine Fährte verfolgen, wenn wir erkannt haben, daß Raoul einen ersten Aufenthalt in White-Hall, einen zweiten in Saint James gemacht, wenn wir erfahren, daß er von Monk empfangen und in die besten Gesellschaften des Hofes von Karl II. eingeführt worden ist, lausen wir ihm bis zu einem der Sommerhäuser von Karl II., in der Nähe der Stadt Kingston, bis Hampton Court nach, das die Themse bespült.

Der Fluß ist hier noch nicht die stolze Bahn, welche jeden Tag eine halbe Million Reisende führt und ihre Wasser so schwarz wie die des Cocytus mit den Worten: »Auch ich bin das Meer,« peinigt.

Nein, es ist nur ein sanfter grüner Fluß mit moosigem Gestein, in dem sich Weiden und Buchen spiegeln, Während de und dort eine Barke von dürrem Holz unter seinen Rohren in einer Bucht umgeben von Erlen, unter denen Mäuseöhrchen blühen, schlummert.

Die Landschaft dehnt sich ruhig und reich in der Umgebung aus; das Backsteingebäude durchdringt mit seinen Kaminen mit dem blauen Rauch einen dichten Panzer von grünen Stechpalmen.

Die fetten weißen Schafe widerkauen mit geschlossenen Augen im Schatten der kleinen untersetzten Espen, und da und dort läuft der Taucherkönig mit den Seiten von Gold und Smaragd wie eine magische Kugel auf der Oberfläche des Wassers hin und streift vermessener Weise die Leine des Fischers, der, auf seinem Kahne sitzend, auf die Schleihe und die Alse lauert.

Ueber diesem aus dunklem Schatten und sanftem Licht zusammengesetzten Paradies erhebt sich das Herrenhaus Hampton Court, von Volsey, gebaut, ein Wohnort, den der stolze Cardinal selbst für einen König wünschenswerth geschaffen hatte, und den er als ängstlicher Höfling seinem Herrn zu schenken genöthigt war, denn Heinrich VIII. hatte schon beim Anblick des neuen Schlosses allein vor Neid und Gierde die Stirne gefaltet.

Hampton Court mit den Backsteinmauern, mit den großen Fenstern, mit den schönen eisernen Gittern, Hampton Court mit seinen tausend Thürmchen, seinen bizaren Glocken, seinen stillen Spazierplätzen und seinen Brunnen im Inneren, die denen der Alhambra ähnlich, Hampton Court ist die Wiege der Rosen, des Jasmin und der Rebwinden. Es ist die Freude der Augen und des Geruches; es ist die reizendste Einfassung jenes Liebesbildes, das Karl II. unter den wollüstigen Gemälden von Tizian, von Perdenone, von Van Dyck entrollte, er, der in seiner Gallerie das Portrait von Karl l., dem Märtyrer-König, und auf seinem Täfelwerk die Löcher der puritanischen Kugeln hatte, die von den Soldaten von Cromwell am 24. August 1646, am Tage, da sie Karl I. als Gefangenen nach Hampton Court führten, abgefeuert worden waren.

Hier war es, wo dieser beständig vom Vergnügen trunkene König seinen Hof hielt, dieser König, ein Dichter durch das Verlangen, dieser Unglückliche von einst, der sich durch einen Tag der Wollust jede früher in Kummer und Elend abgelaufene Minute bezahlte.

Es war nicht der weiche Rasen von Hampton Court, so weich, daß man auf Sammet zu treten glaubte, es war nicht das Gevierte von blätterreichen Blumen, das den Fuß jedes Baumes umgibt und den zwanzig Fuß hohen Rosenstöcken, die unter dem freien Himmel wie Feuergarben blühen, ein Bett macht; es waren nicht die großen Linden, deren Zweige wie die der Weiden bis zum Boden fallen und jede Liebe und jede Träumerei unter ihrem Schatten oder vielmehr unter ihrem Haupthaar verschleiern, es war dies Alles nicht, was Karl II. an seinem schönen Palaste Hampton Court liebte.

Vielleicht war es das reizende Gewässer mit seiner rothen, dem caspischen Meere ähnlichen Färbung, das ungeheure von einem frischen Winde gerunzelte Gewässer, dieses Gewässer tapezirt mit Kresse, weißen Wasserlilien und kräftigen Gewächszwiebeln, die sich erschließen, um wie im Ei den Keim von röthlichem Golde im Grunde der milchfarbigen Hülle sehen zu lassen, dieses geheimnißvolle Gewässer voll Gemurmel, aus dem die schwarzen Schwäne schwimmen, und die gierigen Entchen, schwächliche Thiere mit dem seidenen Flaum, welche die grüne Mücke auf den Schwerte!n und den Frosch in seinen Mooswinkeln verfolgen.

Es waren vielleicht die ungeheuren Stechpalmen mit dem zweifarbigen Blätterwerk, die lachenden über die Kanäle gesprengten Brücken, die Hirschkühe, die in den endlosen Alleen schreien, und die Bachstelzen, die in den Einfassungen von Buchs und Klee trippeln und flattern.

Denn dies Alles findet sich in Hampton Court, dabei noch die Spaliere von weißen Rosen, die sich am hohen Gitterwerk hinaufranken, um ihren wohlriechenden Schnee auf den Boden herabfallen zu lassen; es finden sich ferner im ersten Park die alten Maulbeerfeigenbäume, die ihre Füße in einer poetischen, üppigen Vermoosung baden.

Nein, was Karl II. bei Hampton Court liebte, waren die reizenden Schatten, die des Nachmittags über seine Terrassen hinliefen, wenn er ihre Schönheiten, wie Ludwig XlV. in seinem Cabinet, durch einen der geistreichen Pinsel seiner Zeit hatte malen lassen, Pinsel, welche auf der Leinwand einen so viel Liebe schleudernd Augen entsprungenen Strahl zu befestigen wußten.

An dem Tag, wo wir nach Hampton Court kommen, ist der Himmel beinahe so klar und mild, als ein Tag in Frankreich; die Luft ist von einer feuchten Lauheit; die Geranien, die ungeheuren wohlriechenden Erbsen, die milden Jasmine und die Heliotrope strömen, zu Tausenden in das Blumenbeet geworfen, ihre berauschenden Arome aus.

Es ist ein Uhr. Von der Jagd zurückgekehrt, hat der König zu Mittag gespeist, der Herzogin von Castlemaine, der erklärten Geliebten, einen Besuch gemacht, und nach diesem Beweise von Treue kann er sich nach Belieben Untreuen bis zum Abend erlauben.

Der ganze Hof tollt und liebt. Es ist dies die Zeit, wo die Damen von den Cavalieren ihr Gefühl auf diesem oder jenem, mehr oder minder reizendem Fuß, je nachdem er mit einem Strumpf von rosenfarbiger Seide oder mit einem Strumpf von grüner Seide bekleidet ist, verlangen.

Es ist die Zeit, wo Karl II. erklärt, es gebe kein Heil für eine Frau ohne den grünen seidenen Strumpf, weil ihn Miß Lucy Stewart von dieser Farbe trägt.

Während der König seine Bevorzugungen zu offenbaren sucht, werden wir in der Buchenallee der Terrasse gegenüber eine junge Dame in einem Kleide von ernster Farbe mit einer andern in einem Kleine von lila und dunkelblauer Farbe gehen sehen.

Sie wandelten über den Rasen hin, in dessen Mitte sich ein schöner Brunnen mit Sirenen von Bronze erhob, und schritten plaudernd auf die Terrasse zu, an der von der backsteinernen Umfriedung mehrere Cabinete in den Park vortraten; da diese Cabinete meistens besetzt waren, so gingen die jungen Frauen vorüber: die eine erröthete, die andere träumte.

Endlich kamen sie an das Ende dieser Terrasse, welche die ganze Themse beherrschte, und setzten sich, als sie ein kühles Obdach fanden, neben einander.

»Wohin gehen wir, Stewart?« sagte die jüngere von den beiden Frauen zu ihrer Gefährtin.

»Meine liebe Graffton, wir gehen, wie Du wohl siehst, wohin Du uns führst.«

»Ich!«

»Allerdings Du: an das Ende des Palastes nach der Bank, wo der junge Franzose wartet und seufzt.«

»Nein! nein!« rief Miß Mary Graffton, »ich gehe nicht dorthin.«

»Warum nicht?«

»Kehren wir um, Stewart.«

»Gehen wir im Gegentheil weiter und erklären wir uns.«

»Worüber?«

»Darüber, daß der Vicomte von Bragelonne bei allen Promenaden ist, die Du machst, wie Du bei allen Promenaden bist, die er macht.«

»Und daraus schließest Du, er liebe mich, oder ich liebe ihn?«

»Warum nicht, er ist ein reizender Cavalier; ich hoffe, es hört uns Niemand,« sagte Miß Lucy Steward, die sich mit einem Lächeln umwandte, das andeutete, ihre Besorgniß sei nicht gerade groß.

»Nein! nein!« erwiederte Mary, »der König ist mit Herrn von Buckingham in seinem eirunden Cabinete.«

»Ah! was Herrn von Buckingham betrifft. Mary.«

»Nun?«

»Mir scheint, er hat sich seit seiner Rückkehr von Frankreich zu Deinem Ritter erklärt; wie sieht es in dieser Hinsicht um Dein Herz?«

Miß Graffton zuckte die Achseln.

»Gut! gut! ich werde das den schönen Bragelonne fragen,« sagte Steward lachend, »suchen wir ihn geschwinde auf.«

»Warum das?«

»Ich habe mit ihm zu sprechen.«

»Noch nicht; zuvor ein Wort: sage mir, Du, Stewart, die Du die kleinen Geheimnisse des Königs kennst?«

»Du glaubst das?«

»Ah! Du mußt sie wohl kennen, oder es wird sie Niemand kennen; sage mir, warum Herr von Bragelonne in England ist, und was er hier macht?«

»Was jeder von seinem König an einen andern König abgesandter Edelmann macht.«

»Gut; doch im Ernste gesprochen, obgleich die Politik nicht unsere Stärke ist, so wissen wir doch genug davon, um einzusehen, daß Herr von Bragelonne keine wirkliche Sendung hier hat.«

»Höre,« sprach Steward mit einem erkünstelten Ernst, »Dir zu Liebe will ich wohl ein Staatsgeheimniß verrathen. Soll ich Dir das von König Ludwig XIV. Herrn von Bragelonne eingehändigte und an Seine Majestät König Karl II. gerichtete Beglaubigungsschreiben vorsagen?«

»Ja, gewiß.«

»So vernimm: »»Mein Bruder, ich schicke Euch einen Edelmann meines Hofes, den Sohn von Einem, den Ihr liebt. Ich bitte Euch, behandelt ihn gut und macht, daß er England lieb gewinnt.««

»Das stand darin?«

 

»Genau . . . oder wenigstens das Gleichbedeutende. Ich stehe nicht für die Form, wohl aber für den Inhalt.«

»Nun! was hast Du daraus entnommen, oder was entnimmt vielmehr der König daraus?«

»Daß Seine französische Majestät ihre Gründe hatte, Herrn von Bragelonne zu entfernen und ihn . . . anderswo als in Frankreich zu verheirathen.«

»So, daß kraft dieses Briefes?«

»König Karl II., wie Du weißt, Herrn von Bragelonne glänzend und freundschaftlich aufgenommen, ihm das schönste Zimmer von White-Hall gegeben hat, und da Du die kostbarste Person seines Hofes bist, in Betracht, daß Du sein Herz ausgeschlagen . . . Ah! erröthe nicht. Er wollte Dir Geschmack für die Franzosen beibringen und ihm dieses schöne Geschenk machen. Darum hat er Dich, die Erbin von dreimal hundert tausend Pfund, Dich, die zukünftige Herzogin, Dich, die Schöne, die Gute, allen Promenaden beigesellt, an denen Herr von Bragelonne Antheil nahm. Kurz, es war ein Komplott, eine Art von Verschwörung. Sieh’, ob Du Feuer daran legen willst, ich übergebe Dir die Lunte.«

Miß Mary lächelte mit dem ihr eigenthümlichen Ausdruck, nahm ihre Gefährtin beim Arm und sagte:

»Danke dem König.«

»Ja, ja, doch nimm Dich in Acht, Herr von Buckingham ist eifersüchtig,« versetzte sie.

Diese Worte waren kaum ausgesprochen, als Herr von Buckingham aus einem von den Pavillons der Terrasse heraus kam und sich lächelnd den beiden Frauen näherte.

»Ihr täuscht Euch, Miß Lucy,« sagte er, »nein, ich bin nicht eifersüchtig, und zum Beweise mag dienen, Miß Mary, daß dort derjenige sitzt, welcher die Ursache meiner Eifersucht sein müßte, der Vicomte von Bragelonne. Er träumt dort ganz allein, der arme Junge. Erlaubt, daß ich ihm Eure holde Gesellschaft auf einige Minuten überlasse, in Betracht, daß ich nothwendig einige Minuten mit Miß Lucy Stewart sprechen muß.

Hierbei verbeugte er sich gegen Lucy und fügte bei:

»Werdet Ihr mir die Ehre erweisen, meine Hand zu nehmen, um den König zu begrüßen, der uns erwartet?«

Nach diesen Worten nahm Buckingham, beständig lachend, die Hand von Miß Lucy Stewart und führte sie weg.

Marie Graffton, die nun allein, blieb, den Kopf mit jener annmthigen, den jungen Engländerinnen eigenthümlichen Weichheit auf die Schulter geneigt, einen Augenblick unbeweglich; sie heftete ihre Augen auf Raoul, schien aber unentschlossen, was sie thun sollte. Endlich, nachdem ihre Wangen, abwechselnd erröthend und erbleichend, den Kampf der in ihrem Herzen stattfand, geoffenbart hatten, faßte sie einen Entschluß und ging ziemlich festen Schrittes auf die Bank zu, auf der Raoul saß und, wie man gesagt hatte, träumte.

Das Geräusch der Tritte von Miß Mary, so leicht es auch auf dem grünen Rasen war, erweckte Raoul, er wandte den Kopf um, erblickte das Mädchen und ging der Gefährtin entgegen, die sein glückliches Geschick zu ihm führte.

»Man schickt mich zu Euch,« sagte Mary Graffton, »nehmt Ihr mich an?«

»Und wem bin ich für ein solches Glück zu Dank verpflichtet, mein Fräulein?« fragte Raoul.

»Herrn von Buckingham,« erwiederte Mary, Heiterkeit heuchelnd.

»Herrn von Buckingham, der sich so leidenschaftlich um Eure kostbare Gesellschaft bewirbt? Darf ich Euch glauben, mein Fräulein?«

»Ihr seht, mein Herr, es conspirirt Alles in der That dahin, daß wir den besten oder vielmehr den längsten Theil unseres Tages mit einander zubringen. Gestern war es der König, der den Befehl gab, daß man Euch an der Tafel neben mich setze. Heute ist es Herr von Buckingham, der mich bittet, mich zu Euch auf diese Bank zu setzen.«

»Und er entfernt sich, um mir den Platz frei zu lassen?« fragte Raoul verlegen.

»Schaut, dort bei der Biegung der Allee verschwindet er eben mit Miß Stewart, Hat man solche Gefälligkeiten in Frankreich, Herr Vicomte?«

»Mein Fräulein, ich kann Euch nicht genau sagen, was man in Frankreich thut, denn Ich bin kaum Franzose. Ich habe in verschiedenen Ländern und beinahe immer als Soldat gelebt; ich brachte viel Zeit im Felde zu und bin ein Wilder.«

»Nicht wahr, Ihr gefallt Euch nicht in England?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete Raoul zerstreut, indem er einen Seufzer ausstieß.

»Wie! Ihr wißt es nicht?«

»Verzeiht,« erwiederte Raoul den Kopf schüttelnd und seine Gedanken sammelnd.

»Verzeiht, ich hörte nicht.«

»Oh!« versetzte das Mädchen ebenfalls seufzend, »wie Unrecht hat der Herzog von Buckingham gehabt, mich hierher zu schicken!«

»Unrecht!« rief Raoul. »Ihr habt Recht, meine Gesellschaft ist verdrießlich, und Ihr langweilt Euch mit mir. Herr von Buckingham hat Unrecht gehabt, Euch zu mir zu schicken.«

»Gerade,« sprach das Mädchen mit ernstem, vibrirendem Ton, »gerade, weil ich mich nicht mit Euch langweile, hat Herr von Buckingham Unrecht gehabt, mich zu Euch zu schicken.«

Raoul erröthete ebenfalls.

»Aber,« sagte er, »warum schickt Euch Herr von Buckingham zu mir und warum kommt Ihr selbst? Herr von Buckingham liebt Euch, und Ihr laßt . . . «

»Nein,« erwiederte Mary, »Herr von Buckingham liebt mich nicht, da er die Frau Herzogin von Orleans liebt, und ich, was mich betrifft, ich hege keine Liebe für den Herzog.«

Raoul schaute die junge Frau mit Erstaunen an.

Sie aber fragte ihn:

»Seid Ihr der Freund von Herrn von Buckingham?«

»Der Herr Herzog erweist mir die Ehre, mich seinen Freund zu nennen, seitdem wir uns in Frankreich gesehen.«

»Ihr seid also einfache Bekannte?«

»Nein, denn Herr von Buckinqham ist der innige Freund eines Edelmanns, den ich wie meinen Bruder liebe.«

»Des Herrn Grafen von Guiche?«

»Ja, mein Fräulein.«

»Der die Frau Herzogin von Orleans liebt,«

»Oh! was sagt Ihr da!«

»Und der von ihr geliebt wird,« fuhr die junge Frau ruhig fort.

Raoul neigte das Haupt; seufzend sprach Miß Graffton.

»Sie sind sehr glücklich . . . Höret, verlaßt mich, Herr von Bragelonne; denn Herr von Buckingham hat Euch einen ärgerlichen Auftrag gegeben, indem er mich Euch als Gesellschafterin auf dem Spaziergang anbot. Euer Herz ist anderswo, und Ihr gönnt mir kaum das Almosen Eures Geistes. Gesteht es, gesteht es . . . Es wäre schlimm von Euch, Vicomte, wenn Ihr es nicht gestehen würdet.«

»Mein Fräulein, ich gestehe es.«

Sie schaute ihn an.

Er war so einfach und so schön, sein Auge hatte so viel Durchsichtigkeit, so viel sanfte Freimüthigkeit und Entschlossenheit, daß es einer so ausgezeichneten Frau, wie es Mary war, nicht einfallen konnte, der junge Mann sei ein Unhöflicher oder ein Alberner.

Sie sah nur, er liebe eine andere Frau als sie in der ganzen Aufrichtigkeit seines Herzens.

»Ja, ich begreife,« sagte sie, »Ihr liebet in Frankreich,«

Raoul verbeugte sich.

»Kennt der Herzog diese Liebe?«

»Niemand kennt sie,« antwortete Raoul.

»Und warum sagt Ihr es mir?«

»Mein Fräulein . . . «

»Auf, sprecht!«

»Ich kann nicht.«

»So muß ich denn der Erklärung entgegenkommen; Ihr wollt mir nichts sagen, weil Ihr nun überzeugt seid, ich liebe den Herzog nicht, weil Ihr seht, daß ich Euch vielleicht geliebt hätte, weil Ihr ein Edelmann voll Gemüth und Zartgefühl, und weil Ihr statt, und wäre es auch nur um Euch einen Augenblick zu zerstreuen, statt eine Hand zu nehmen, die man der Eurigen näherte, statt meinem Mund zuzulächeln, der Euch lächelte, es vorzoget, Ihr, der Ihr jung seid, mir, die ich schön bin, zu sagen:

»»Ich liebe in Frankreich.««

»Wohl, ich danke Euch, Herr von Bragelonne, Ihr seid ein edler Mann und ich liebe Euch um so mehr . . . in Freundschaft. Sprechen wir nun nicht mehr von mir, sprechen wir von Euch. Vergeßt, daß Miß Graffton mit Euch von sich gesprochen hat; sagt mir, warum Ihr traurig seid, warum Ihr es seit einigen Tagen noch mehr seid.«

Raoul war bis in die Tiefe seines Herzens bewegt bei dem sanften, traurigen Ton dieser Stimme und konnte kein Wort der Erwiederung finden; das Mädchen kam ihm abermals zu Hülse und sprach:

»Beklagt mich. Meine Mutter war Französin. Ich kann also sagen, daß ich dem Blute und dem Gemüthe nach Französin bin. Doch über dieser Gluth schweben beständig die Nebel und die Traurigkeit Englands. Zuweilen mache ich goldene Träume von zauberhaften Glückseligkeiten, plötzlich aber kommt der Nebel, dehnt sich über meinem Traum aus und vertilgt ihn. Auch diesmal ist es so gewesen. Verzeiht, genug hierüber; gebt mir Eure Hand und theilt Euren Kummer einer Freundin mit.«

»Ihr seid Französin, sagt Ihr, dem Blute und dem Gemüthe nach?«

»Ja, ich wiederhole es, nicht nur war meine Mutter eine Französin, sondern ich wurde auch in Paris erzogen, da mein Vater, als Freund von Karl I., während des Prozesses des Fürsten und so lange der Protector lebte, sich als Verbannter in Frankreich aufhielt; bei der Thronbesteigung von Karl II. kehrte mein Vater nach England zurück, um sogleich darauf zu sterben, der arme Vater! Da machte mich König Karl zur Herzogin und vervollständigte mein Erbgut.«