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Der Arzt auf Java

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»Harruch, wie soll ich Dir dafür danken, daß Du mir mein Kind zurück gibst!«

»Ach,« entgegnete der Gueber mit einem Tone innigen Mitleids, »ich bin es nicht, der sie Dir zurückgibt.«

»Aber nenne mir Den, der es thut, damit ich mich ihm zu Füßen werfen und ihn verehren kann, wie einen lebendigen Ausfluß Buddha’s.«

»Wenn ich ihn Dir nennte, so würde Dein Herz vor Abscheu erbeben, und nicht vor Dankbarkeit. Es ist der Mann, dem jeder Seufzer, welcher sich Deiner Brust entringt, einen Fluch zuschleudert.«

»Du irrst Dich, Gueber; ich verfluche Niemand, nicht einmal den Mann, dessen Zaubermittel aus meinem Kinde ein unsauberes, verächtliches Geschöpf machten. Buddha allein hat das Recht, zu verfluchen.«

»Wozu. nützt es mir, Dir seinen Namen zu sagen?« entgegnete Harruch mit der äußersten Verachtung. »Ihr, die Ihr von den Ufern des Flusses kommt, der die große Erde benetzt, Ihr seid durch Gott schüchtern und schwach gemacht worden, wie Weiber; weine und bete daher, schweigend wie ein Weib. Die Schuld, die Du gegen diesen Menschen eingegangen zu haben glaubst, werde ich bezahlen, wenn der Tag zur Ordnung meiner Rechnung mit ihm gekommen ist. Wenn ich aber der Hilfe bedürfen sollte, die man von einem so furchtsamen Geschöpf, wie Du bist, erwarten kann, dann vergiß nicht, daß ich die Hand drückte, die Du mir hinhieltest. – Lebe wohl. Maha mahnt mich, daß es Zeit zur Flucht ist.«

In der That waren seit einigen Augenblicken die gelben Augen des Panthers und seine gespitzten Ohren gegen den Palast gewendet;sein weiches Haar sträubte sich; seine spitzigen Krallen traten aus ihrer Sammtscheide hervor und rissen in den Boden. Er fühlte den Gebieter nahen, von dem er mißhandelt worden war und Alles verrieth seine Furcht.

Harruch zog den Sacong um seine Hüften zusammen, und leicht wie das Thier, das ihm folgte, schwang er sich über die Mauer, die den Hof von dem Garten trennte; Maha folgte ihm.

In der That erschien in diesem Augenblick Thsermai auf dem Hofe. Er trug seine prachtvolle Kriegerkleidung, weite Beinkleider und ein Wamms von weißem Stoffe, mit Gold gestreift; darüber einen scharlachrothen Sacong, bedeckt mit glänzenden Blumen und eng an dem Gürtel anliegend. Auf dem Kopfe trug er den Kuluk, eine Art cylindrischer Mütze mit seidenen Borten besetzt, in seinem Gürtel steckten die üblichen drei Crids, und in der Hand hielt er eine Lanze.

Auf den ersten Blick bemerkte er, daß der Käfig, in welchem er Maha gelassen hatte, leer war, und beinahe zu gleicher Zeit erblickte er Harruch und den Panther, welche schon den ersten Abhang des Berges erreicht hatten und zwischen dem Gesträuche verschwanden, mit dem der Abhang bedeckt war.

Der javanesische Fürst blieb einen Augenblick regungslos stehen, als vermöchte er nicht, sich diese Flucht zu erklären. Er rief Harruch, doch dieser antwortete ihm nicht. Jetzt erstand der Gedanke, der Gueber möchte darauf sinnen, ihm seine Rache zu rauben, oder derselben Hindernisse entgegenzustellen, zum ersten Male in seinem Geiste. Er stieß einen Schrei der Wuth aus, bei dem alle seine Leute herbeieilten.

»Pferde! Pferde!« heulte Thsermai. »Der Gueber hat den Panther gestohlen. Bewaffnet Euch Alle, und auf zur Verfolgung!«

Während einiger Minuten war der große Hof das Schauspiel einer unglaublichen Verwirrung. Die Diener Thsermai’s liefen erschreckt hin und her und ergriffen, was Ihnen in die Hände fiel, um den Befehlen ihres Gebieters zu gehorchen. Die Pferde, scheu gemacht durch den Tumult, bäumten sich, stießen aneinander, überschlagen sich und rissen die Reiter mit sich nieder. Die Weiber des Palastes waren an die Fenster getreten und vereinigten ihr Geschrei mit dem, welches von dem Hofe herauf tönte.

Der javanesische Fürst suchte den Lärm zu übertäuben.

»In den Sattel!« schrie er. »Doch daß Keiner von Euch, so lieb sein leben ihm ist, ein-Haar an dem Felle Maha’s verletzt! Der Kopf des Guebern ist sein Gewicht an Goldwerth, und diesen Palast gebe ich dem, welcher mir den Kopf Noungal’s, des Malayen, bringt, den Ihr Alle diesen Morgen hier gesehen habt.«

Indem er diese Worte sprach, drückte er seine maureskischen Steigbügel in die Flanken seines Pferdes, um es vorwärts zu treiben; aber in diesem Augenblick ertönte ein Schuß aus den Gebüschen, welche den Palast mit einem grünen Gürtel umgaben; das Thier, welches Thsermai bestiegen hatte, bäumte sich, schlug mit den Vorderfüßen in die Luft, und stürzte dann in Todeszuckungen nieder.

Zugleich trat ein Mensch, der die Kleidung der malayischen Seeleute trug und in der Hund eine europäische noch dampfende Büchse hielt, aus dem Bananengebüsch hervor und trat auf Thsermai und dessen Leute zu.

Bei dem Anblick dieses Menschen, der offenbar der Urheber des Angriffs war, welcher ihren Herrn seines besten Renners beraubt hatte, senkten alle Diener des javanesischen Fürsten ihre Waffen, Schüsse fielen, Pfeile durchflogen zischend die Luft und ein Hagel von Kugeln und Pfeilen schlug rings um den Malayen her in die Erde, oder zerschmetterte die Zweige der Gesträuche. Er aber schritt ruhig und stolz vorwärts, und ohne daß ein Zug seines Gesichts die geringste Furcht verrathen hätte. Die Sclaven wichen zurück, und er konnte sich Thsermai nähern, der von seinem Sturze noch ganz betäubt war.

»Rajah,« sagte er, »Du forderst so eben meinen Kopf. Ich bringe ihn Dir und komme den-Preis dafür zu verlangen.«

»Noungal!« rief der javanesische Fürst überrascht.

»Ja, Noungal, der selbst kommt, um sein Gut zu holen, das Du ihm verweigern willst. Noungal, der es verschmähte, Dich den Holländern auszuliefern, wie er Dir drohte, denn Dein Leben ist wichtig für den Erfolg der Sache, der ich diene, und ich habe in meiner Hand die Mittel, Dich zu zwingen, Dich unter meinen Willen zu beugen. Thsermai, gib mir die gelbe Sklavin zurück, die ich Dir anvertraute.«

»Unsinniger, ich bewundere Dich,« erwiederte Thsermai. »Wir sind unserer Hundert, Du bist allein, und Du wagst zu drohen! Du bist in die Höhle des Tigers eingedrungen, um von ihm das Lamm zu fordern, das Deiner Heerde fehlt! – Schließt die Ausgänge,« gebot er seinen Leuten, »ergreift ihn, und wir wollen dann wohl sehen, ob ihn die Hölle fest gemacht hat gegen die Tortur!«

Noungal antwortete auf diese Drohung mit jenem schneidenden Gelächter, welches früher Eusebius so entsetzt hatte. Lautes Geschrei antwortete ihm, und aus allen Gebüschen, hinter den Säulen der Verandas, aus allen Winkeln, hinter jedem Gegenstande hervor, der fähig gewesen war, einen menschlichen Körper zu verbergen, liefen eine Menge von Menschen herbei, mit gebräunten Gesichtern, und bedeckt mit schmutzigen Lumpen, und stürzten sich auf die Diener Thsermai’s, indem sie ihre Waffen schwangen.

»Die Meerzigeuner!« schrieen die erschreckten Sklaven.

Das Entsetzen, welches die fürchterlichen malayischen Seeräuber den Einwohnern im Innern des Landes einflößten, war so groß, daß alle Diener Thsermai’s bleich, stumm und zitternd ihre Waffen wegwarfen und die Flucht ergriffen, wie ein Schwarm Tauben bei dem Anblicke eines Geiers.

Der javanesische Fürst wollte sie zurückhalten, er bat, er flehte, er drohte; er berief sich auf ihre erbliche Treue für ihren Rajah, aber, sie achteten nicht auf seine Stimme, sondern rannten in ihrer Verwirrung ihn selbst zu Boden, traten ihn unter ihre Füße und verschwanden dann nach allen Richtungen.

Als Thsermai sich allein erblickte, wollte er in das Innere seiner Gemächer zurückkehren. Er hatte die Absicht, seinen Crid Arroa in das Herz zu stoßen und an ihrer Seite zu sterben; allein auf ein Zeichen ihres Führers warfen vier kräftige Malayen sich über den jungen Mann her, banden ihn an Händen und Füßen, ungeachtet des wüthenden Widerstandes, den er ihnen entgegensetzte, und schleppten ihn in der Richtung der Gärten fort.

Als er verschwunden war, trat der Führer der Zigeuner in die Mitte der Piraten und sagte:

»Um Euch dazu zu bewegen, mir so weit von dem Meere fort, auf dem wir herrschen, zu folgen, versprach ich Euch Reichthümer. Dieser Palast war der Preis für den Kopf Noungal’s; Noungal überläßt ihn Euch. Geht, Kinder!«

Die Banditen antworteten durch ein Geschrei, welches aus dem Munde von Dämonen zu kommen schien, stürzten sich auf die Wohnung der Soesoenans, und in einem Nu machten sie dieselbe zu dem Schauplatze entsetzlicher Auftritte der Gewaltthat und des Mordes.

Argalenka hatte Alles, was vorging, mit furchtbarer Angst beobachtet. Als die Meerzigeuner in dem Palaste verschwunden waren, mischte sein Verzweiflungsgeschrei sich in das Triumphgeheul der Banditen; er sah hundert Dolche gegen die Brust seiner Tochter gezückt; er erblickte diese keuchend in den Armen der Piraten; in jedem Schrei eines Weibes, welcher ertönte, glaubte er die Stimme Arroa’s zu erkennen, die ihn zu Hilfe rief. Er versuchte es, die Eisenstäbe zu erschüttern, die seinen Kerker schlossen, aber dieser war für einen Insassen von gewaltigerer Kraft, als der arme Greis besaß, gebaut worden, und er widerstand allen seinen Anstrengungen. Er versuchte es, die Aufmerksamkeit der Zigeuner auf sich zu lenken, und hätte gewünscht, daß sie ihm ihre Schüsse zusendeten, um dieselben von Arroa abzuwenden; aber Alles war vergeblich.

Bald drangen leichte Rauchwölkchen durch die Bambusjalousien und glitten an den Verandas hin; ihnen folgten dünne Feuerzungen, unter denen die glänzenden Ziegel krachten, aus dem Dache hervorsteigend. Der Palast stand in Flammen. Argalenka regte sich wie ein wüthender Löwe in seinem Käfig, und in seiner Verzweiflung bemerkte er nicht, daß zwei Männer sich dem Orte genähert hatten, an welchem er eingesperrt war.

Der eine dieser Männer war Noungal, der andere Thsermai, seiner Bande zwar entledigt, aber finster und sorgenvoll.

»Beduis,« sagte Noungal zu Argalenka, indem er ihn mit dem Finger berührte, »ich hatte Dir gesagt, Du solltest Deine Tochter auf dem Berge Sadjiva erwarten; wie kommt es, daß ich Dich hier finde?«

 

»Meine Tochter! Meine Tochter!« rief der Gueber; »sie ist hier in den Händen dieses Menschen – sie wird in dem Brande umkommen! Oeffnet, öffnet den Käfig, ich beschwöre Euch, daß ich mein Kind retten kann!«

Noungal wiederholte kalt seine Frage.

»Kann ich Euch antworten, wenn meine Tochter stirbt? Sie war nicht aus dem Berge Sadjiva, denn sie ist hier.«

»Beduis, die fünf Tage enden erst heute Abend.«

»Ach wenn es wahr ist, daß mein Schmerz Eure Seele gerührt hat, so rettet sie, ich beschwöre Euch! Ich glaubte, nachdem ich durch sie zurückgestoßen wurde, gäbe es für mich keinen Schmerz mehr auf Erden; aber sie einen so entsetzlichen Tod sterben zu sehen, das ist ein Gedanke, den die Kräfte eines Vaters nicht zu ertragen vermögen.«

»Verlasse den Käfig und gehe dahin, wohin ich es Dir geboten hatte; Deine Tochter wird mit Dir zugleich dort sein.«

Auf ein Zeichen Noungal’s öffnete Thsermai gehorsam den Käfig; Argalenka stürzte hervor, aber statt sich nach den Bergen zu wenden, deren bläuliche Gipfel der Malaye ihm mit dem Finger andeutete, versuchte er, in den Palas zu dringen.

Aber in dem leichten Bau, dessen ganzes Holzwerk nur aus Bambusstäben bestand, hatte der Brand sich mit wunderbarer Schnelligkeit verbreitet; die Piraten verließen den Palast hastig aus allen Ausgängen, die Einen beladen mit Beute, die Andern Sclaven sich nachschleppend. Im Innern hörte man Todesgeschrei, gemischt mit dem Krachen der Wände, welche das Feuer verzehrte, und als Argalenka vor der Thür erschien, aus der die Flammen hervordrangen und eine unübersteigliche Wand bildeten, stürzte das Dach mit entsetzlichem Gepolter ein.

Der Beduis sank nieder auf die Knie und verbarg das Gesicht in den Händen. Noungal hob ihn auf.«

»Ist der Beduis wahnsinnig?« fragte er mit minder harter Stimme. »Hat er nicht gehört, daß seine Tochter sich nach dem Berge Sadjiva begibt? Will er denn, daß sie, in der Wüste allein und verlassen, die Beute der Tiger des Djivadal werde? Hat denn Argalenka für seine Tochter nicht mehr das Herz eines Vaters?«

Die Aufregung des armen Guebern war so stark, daß er nicht antworten konnte. Er erhob sich und schritt dem Puncte des Horizontes, den Noungal ihm angedeutet hatte, so rasch zu, als seine wankenden Schritte es ihm gestatteten.

Der Malaye kehrte zu dem javanesischen Fürsten zurück, der mit dumpfem Schweigen die Trümmer betrachtete, die unter seinen Augen entstanden.

»Nun, Rajah,« sagte er, »Du siehst, daß ich Dich nicht getäuscht habe, daß es keine thörichte Leidenschaft war, welche meinen Entschluß bestimmte, als ich die gelbe Sclavin von Dir forderte. Laß Arroa bei dem, was Du nicht zu begreifen vermagst, die Bestimmung erfüllen, die ich ihr vorgeschrieben habe. Ist Deine Laune dann noch nicht verschwunden, so wirst Du sie bald in Deinen Palast zurückführen können.«

»In meinen Palast!« erwiederte Thsermai mit bitterer Ironie, indem er auf die einstürzenden Mauern, und die gleich Fackeln brennenden Säulen deutete.

»Der Palast des Herrschers von Java kann kein anderer sein, als der, welchen gegenwärtig die Herren der Insel bewohnen. Wenn Du triumphirend in Buytenzorg einziehst, Rajah, wirst Du mir danken, daß ich Dich dieser Hütte entledigte.«

Noungal stieß einen Ruf aus, um seine Piraten zu versammeln.

II.
Der Tempel

Unsere Leser erinnern sich, daß der Palast Thsermai’s in dem Thale erbaut worden war, welches zwischen den drei höchsten Gipfeln der Insel, den Bergen Sadjiva, Sari und Gagah, eingeschlossen war.

Nach der Seite des ersten dieser Berge lenkte Argalenka seine Schritte, als er die Bambusumhegung hinter sich hatte, welche die Gärten von den buschigen Höhen trennte, anderen Fuß sie angelegt waren.

Der Eindruck, den die Worte und besonders der Ton Noungal’s auf ihn hervorgebracht hatten, war so mächtig, daß der Glaube in seine Seele zurückkehrte, und daß er an jedem Kreuzweg; an der Ecke jedes Gebüsches, hinter jedem Strauche, seine geliebte Tochter hervortreten zusehen erwartete; es schien ihm, als müßte er sich in dem nächsten Augenblicke von ihren Armen umschlungen fühlen.

Dieser Glaube war so fest in ihm, daß der Greis, noch mehr erschöpft durch die erlittenen Entbehrungen, als durch das Alter, die Kraft und die Gewandtheit der Jugend wiedergewonnen zu haben schien. Er ging schnell, sprang über die wurmstichigen Baumstämme, die ihm den Weg versperrten, drängte sich durch die Schlingpflanzen, die ihre Gewinde von einem Baume zu dem andern erstreckten und über seinen Kopf eine Decke bildeten.

So schnell aber auch sein Lauf war, hinderte er ihn doch nicht, einen lauten Lärm zu vernehmen, der von dem Thale heraufkam. Er wendete den Kopf und erblickte den Palast Thsermai’s, der in sich zusammenstürzte.

Bei diesem Schauspiel erzitterten Argalenka’s Knie, sein Herz zog sich zusammen und sein ganzer Körper erbebte krampfhaft; ein entsetzlicher Gedanke stieg in ihm auf; hatte der Malaye ihn nicht betrogen? War diese Gluthmasse nicht das Grab Arroa’s?

Der Beduis stieß einen Schrei der Verzweiflung aus, sank nieder auf die Knie, streckte die Arme zum Himmel empor und rief den Namen Buddha’s.

Aber diese Marter durchzuckte nur die Seele des armen Menschen; er wendete sich der Hoffnung wieder zu, welche ihm die Kraft verliehen hatte, die wir ihn entwickeln sahen, und da er auf der Welt weiter nichts mehr besaß, klammerte er sich mit wüthender Begier an diese einzige Hoffnung, sie festhaltend, wie der Ertrinkende den Zweig, der ihn über dem Abgrund hält.

Er stand auf und setzte seinen Lauf fort, indem er von Zeit zu Zeit stehen blieb, um den Namen Arroa’s zu rufen, und zwar mit einem so herzzerreißenden Tone, daß die Bäume geweint haben würden, besäßen sie Herzen.

Bald hatte er den großen Wald von Teckholzbäumen hinter sich, der den Berg Sadjiva wie ein Mantel umhüllt, und über dem die nackten Felsspitzen sich erheben.

Die Nacht war vom Himmel herabgesunken; man konnte das Thal durch den Schein des erlöschenden Feuers erkennen, dessen Funken die Bäume der Nachbarschaft roth färbten, aber der Gipfel des Berges Sadjiva zeigte sich nur noch wie eine finstere Masse an dem gestirnten Himmel.

Vorwärts getrieben durch seinen Schmerz, verließ Argalenka den Fußpfad, den er bisher verfolgt hatte; bald stießen seine Füße an die Stücke von Basalt, Lava und Steinen aller Art, mit denen die Seiten des Sadjiva, wie die jedes erloschenen Vulkans der Insel, bedeckt sind. Er erkannte, daß er sich verirrt hatte; er wollte umkehren, doch nach zehn Schritten stieß er an einen gewaltigen Felsblock, der ohne Zweifel vor langen Zeiten von dem Krater ausgespieen worden war, und nun als eine riesige Schildwache hier mitten in der Wüste lag. Argalenka wollte abermals umkehren, allein die Dunkelheit war so dicht, daß er nichts mehr zu erkennen vermochte, und daß es ihm unmöglich war, einen Schritt zu thun, ohne zu straucheln.

Jetzt bemächtigte sich zum zweiten Male die Verzweiflung des Beduis; er warf sich mit dem Gesicht gegen den Boden, und es schien, als hätte seine fromme Ergebenheit in den Willen seines Gottes ihn verlassen. Er wälzte sich im Staube umher und zerfleischte sich das Gesicht und den Körper mit den Nägeln; in die kläglichen Rufe, die er an Arroa richtete, mischten sich thörichte Verwünschungen; er beschuldigte den Malayen, die Menschen, selbst Buddha.

Das finstere Schweigen, welches rings umher herrschte, wurde jetzt plötzlich durch einen dumpfen Ton unterbrochen, gleich dem des fernen Donners, welcher von Fels zu Fels, von Echo zu Echo, sich fortpflanzte. Jedes Geräusch war in dieser Einsamkeit, welche die Herrschaft des Todes bezeichnete, eine Hoffnung, jede Hoffnung erinnerte den Beduis an seine Tochter. Er er hob den Kopf, stand endlich auf und lauschte.

Bald traf ein zweiter Ton, dem ersten ähnlich, das Ohr Argalenka’s Er war in dieser Wüste deutlicher, als zum ersten Male erschallt, und Argalenka konnte sich nicht darin täuschen, es war das Gebrüll eines wilden Thieres.

Indem Argalenka alle Illusionen verschwinden sah, die er sich über das Schicksal seiner Tochter gemacht hatte, empfand er eine solche Erschütterung, daß sein Schmerz allmälig zum Wahnsinn wurde. Weit entfernt, dem Todesboten gegenüber zu erzittern, rief er mit fieberhafter Freude: »Gesegnet seist Du, der Du kommst, meinem Leben ein Ende zu machen. Deine Opfer haben Dich an die Klagen des Schreckens, an die Verwünschungen der Wuth, an die Krämpfe der Todeszuckungen gewöhnt. Komm näher, um eine Brust zu suchen, die sich nackt und entwaffnet den scharfen Krallen beugt, welche sie zerreißen wollen; komm näher, um einen Körper zu finden, der sich glücklich fühlen wird, wenn Dein blutiger Rachen ihn zerreißt; komm näher, um ein Herz zu zermalmen, dessen letztes Zucken noch Dir danken wird! – Zögere nicht, o Du, der Du Beute suchst; hier ist eine ruhige und ergebungsvolle, die sich Deinen Angriffen darbietet; Komm!«

Gleich einem Liebenden, den das Verlangen verzehrt, wenn er das Liebeszeichen vernommen hat, und der dann eilt, den Augenblick seines Glückes zu beschleunigen, schritt Argalenka der Richtung zu, von woher das Gebrüll ertönte, gehend, wenn er gehen konnte, kriechend, wenn seine Füße ihm den Dienst verweigerten, aller Hindernisse ungeachtet vorwärts dringend, und seinen Eifer verdoppelnd, wenn das Geschrei des wilden Thieres, welches in einzelnen Zwischenräumen ertönte, ihm bewies, daß er die Strecke, die ihn von demselben trennte, vermindert hatte.

So gelangte er an den westlichen Abhang des Berges Sadjiva, an die Seite, von der man die Aussicht auf den District Preangers hat. Die Steine, mit denen die Seiten des Berges bedeckt waren, schienen ihm hier riesige und regelmäßige Gestalten anzunehmen. Er drang immer weiter vorwärts, und erkannte, daß er sich bei einem der tausend Tempel befand, mit denen die Frömmigkeit seiner Vorfahren die Insel Java bedeckt hatte, wunderbare Denkmäler der Bildhauerei und Architectur, welche bewiesen, daß dieses Volk an Civilisation und Macht denen Egyptens und Hindostans gleich stand, und welche sämmtlich in Trümmer fallen, seitdem die Anhänger Buddha’s durch die Söhne Mohamed’s vernichtet und von der Insel vertrieben worden sind.

Das Gebrüll rührte offenbar aus dem Innern des Tempels her. Ohne Zweifel hatte das Thier seine Höhle in dem Raume, der einst dem Gebet geweiht war. Dieser Gegensatz machte Argalenka noch fester in seinem Entschlusse. Er fand einen erhabenen Trost darin, unter den Trümmern der Gottesverehrung seiner Väter zu sterben; es schien ihm, als billige Gott seine Absicht, weil er gestattete, daß er dieselbe an eben dem Orte ausführte, wo man ihn ehedem verehrt hatte.

Er bahnte sich einen Weg zwischen den umgestürzten Bildsäulen und Verzierungen hindurch, mit denen die Umgebungen des Tempels bedeckt waren, und die von den Wucherpflanzen umschlungen wurden. So gelangte er bis zur Vorhalle des Gebäudes.

Der Tempel hatte gleich den meisten derer, von welchen der Reisende in dem Innern der Insel zahlreiche Trümmer findet, die Gestalt eines Hügels; er wurde durch mehrere übereinander liegende Terrassen gebildet, welche den unregelmäßigen Wellenlinien des Berges folgten, an den sie sich lehnten. Diese Terrassen ruhten auf langen Säulenreihen, bedeckt mit sonderbaren Bildhauerabeiten, und auf großen Marmorstücken, in denen sich riesige Nischen befanden. In einigen derselben bemerkte man noch verstümmelte Bildsäulen.

Auf dem Gipfel der höchsten Terrasse er hob sich eine gewaltige Kuppel, welche den Platz bezeichnete, wo das Heiligthums Buddha’s gelegen hatte; eine doppelte Reihe leichterer und kleinerer Kuppeln umgaben die größere gleich einer Krone.

Je mehr Argalenka sich dem Orte näherte, wo er den Tod suchen wollte, um desto mehr legten sich auch seine Aufregung und. seine Unruhe. Allmälig siegten seine religiösen Gefühle über seinen Schmerz, obgleich dieser den höchsten Punct erreicht hatte. Sein Entschluß wurde dadurch nicht schwankend, aber er fühlte sich wieder ruhiger, und seine Lippen konnten eine Anrufung Buddha’s aussprechen.

In dem Augenblick, wo er die weite Oeffnung durchschreiten wollte, die an die Stelle der Thür getreten war, ertönte das Gebrüll des Thieres, welches ihn durch die Nacht geleitet hatte, lauter und fürchterlicher unter dem Gewölbe, das es aufnahm; doch zu gleicher Zeit bemerkten die Augen des Beduis eine eigenthümliche Erscheinung.

Auf dem äußersten Gipfel des Gebäudes erblickte er einen röthlichen Schein, der sich auf den polirten Steinen des großen Gewölbes widerspiegelte.

Argalenka kannte den Widerwillen aller wilden Thiere gegen das Feuer; dennoch war es ihm klar, daß der Tiger oder der Panther, dessen Geheul er gehört hatte, in der Nähe des Ortes sein mußte, von dem der helle Schein ausging, und dieses Phänomen erfüllte ihn mit Ueberraschung.

 

Er schritt durch die Trümmer aller Art hindurch, mit denen das Innere des Tempels bedeckt war, und erstieg die Stufen, deren Steine unter seinen Füßen erzitterten. Muthig näherte er sich so der Höhe, und je weiter er kam, desto heller wurde der Schein; aber erst indem er zu der letzten Terrasse hinaufstieg, welche die Kuppel überragte, konnte er bemerken, was in dem Innern des Heiligthums vorging.

Dieses Heiligthum hatte eine elliptische Gestalt; es endete mit einer riesigen Nische, in welcher die Bildsäule Buddha’s stand, die durch eine Art von Wunder mitten in dieser allgemeinen Zerstörung unbeschädigt geblieben war.

Der Gott saß mit untergekreuzten Beinen auf einem Fußgestell, welches eine gewaltige Lotosblume vorstellte. Er war in der Haltung des Nachdenkens und des Gebetes dargestellt. Ein leichter Schutz umgürtete seine Hüften; eine seiner Hände hob das Ende dieses Schurzes in die Höhe, die andere war auf seine Knie gestützt. Er trug das dreifache Halsband und die geheiligte Schnur; sein Kopf war bedeckt mit der großen indischen Mütze, die einige Aehnlichkeit mit der phrygischen hat. Die Wand der Nische war mit Emblemen und Inschriften in javanesischer Sprache bedeckt.

Argalenka würde unter jeder andern Veranlassung mit frommer Ehrfurcht vor diesem Bilde seines Gottes niedergekniet sein; aber erfand hier lebende Wesen, welche seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen.

Zwanzig Schritte von der heiligen Nische entfernt, war ein großes Feuer von Haidekraut und kleinen Zweigen entzündet worden, und indem Menschen, der dies Feuer unterhielt, er kannte Argalenka Harruch. Der Panther Thsermai’s kauerte hinter dem Guebern, die Pfoten weit ausgestreckt, und den Kopf hinter dem Körper seines neuen Herrn verbergend, um soviel als möglich seine empfindlichen Augen vor dem Scheine des Feuers zu bewahren.

Was aber der Beduis noch früher bemerkte, als den Panther, als Harruch, als die Bildsäule Buddhas war eine weibliche Gestalt, die gegen die Mauer gelehnt saß und so regungslos war, daß man sie für eine der steinernen Bildsäulen, welche den alten Tempel schmückten, hätte halten können, wenn nicht zuweilen ein Hauch der Luft den durchsichtigen Schleier gehoben hätte, der ihren ganzen Körper verhüllte.

Dies Weib lehnte den Kopf auf die Knie und schien zu schlafen; aber wenn Argalenka auch ihre Züge nicht erblicken konnte, so hatte er doch schon unter dem durchsichtigen Gewebe, welches sie bedeckte, die Kleidung der jungen Mädchen des Volkes erkannt, den Sacong von grobem Baumwollenzeuge, durchweht mit glänzenden Blumen, das dunkelgrüne Mieder mit kurzen Aermeln, welches den Busen in zwei Halbkugeln von Sandelholz einschließt und das bloße Fleisch von der letzten Rippe bis zu dem Gürtel von Metallplatten blicken läßt, welcher den Rock auf den Hüften festhält. Er hatte bemerkt, daß statt des Diadems und der Nadeln von Edelsteinen oder Glas, welche die Muselmänner tragen, Die, welche er vor Augen hatte, in dem ebenholzschwarzen Haar nur einige purpurrothe Mantegablumen und einige Jasminzweige hatte.

Er glaubte zu träumen. Es war ihm, als sei er unter der Herrschaft irgend einer Hallucination, denn in dieser Kleidung, dem Wuchs und dem ganzen Wesen Derjenigen, deren Gesicht er nicht sehen konnte, erblickte er die Kleidung, den Wuchs und das Wesen Arroa’s, als sie noch nicht die Geliebte des Franken-Arztes, noch nicht die Favorite des mächtigen Thsermai, nur die Tochter des ärmsten aller Bewohner der Herrschaft dieses Letztern war.

Der Greis stand bleich und zitternd da; kalter Schweiß perlte ihm von der Stirne; das Feuer, welches Harruch unterhielt, die Säulen, der ganze Tempel, wirbelten um ihn her; er wollte sprechen, und die Stimme versagte ihm in seiner ausgetrockneten Kehle; sein Athem stockte, er streckte die Hände gegen die Gestalt aus, die so sehr seiner Tochter glich, aber er vermochte keinen Schritt vorwärts zu thun.

Der Kies unter seinen Füßen brachte ein leises Geräusch hervor. Der Panther erhob den Kopf, seine Ohren spitzten sich und streckten sich vor, seine Augen erweiterten sich, sein furchtbarer Rachen verlängerte sich in der Richtung, von wo das Geräusch ertönt war, das ihn aufmerksam machte; er sog heftig die Luft ein. Dann sprang er, wie durch Federgewalt in die Höhe geschnellt, empor, erhob sich drohend, und wieder senkte er den flachen Kopf auf den Boden, das Hintertheil höher, als den übrigen Körper, die Luft mit seinem Schweife peitschend, seine ganze Kraft sammelnd wie zu einem blutigen Sprunge.

Aber seitdem der Beduis das Weib erblickt hatte, das seiner Tochter glich, wollte er leben, er fürchtete jetzt etwas noch mehr als den Tod, und zwar, zu sterben, ohne noch einen Kuß von seinem Kinde empfangen zu haben; der Schrecken,die Liebe, gaben ihm seine Kraft zurück.

»Zu Hilfe, Gueber!« rief er.

Harruch erhob sich jetzt ebenfalls.

»Ruhig, Maha,« sagte dieser. »Wenn es ein Freund ist, müssen wir ihn schonen; wenn es ein Feind ist, so wird es noch immer Zeit sein, durch Deine Krallen meinen Dolch zu unterstützen, wenn ich Dich rufe.«

Indem Harruch so sprach, hatte er einen Brand aus dem Feuer genommen, seinen Crid aus der Scheide gezogen, und diesen in der Rechten, das brennende Holz in der Linken, schritt er in der Richtung vorwärts, von wo man ihn gerufen hatte.

Er erkannte Argalenka, steckte die Waffe in die Scheide und nahm den Beduis bei dem Arme.

»Du bist es, Argalenka?« sagte er. »Tritt ohne Furcht näher; das Thier ist ein treuerer Freund, als alle Die, für die man diesen Namen erfunden hat. Maha liebt nur Die, welche ich liebe, haßt nur Die welche ich hasse.«

Als Maha den Ankömmling vertraulich mit seinem Herrn sprechen sah, nahm er in der That wieder seine ruhige Lage an, nachdem er noch ein finsteres Knurren hatte hören lassen.

Aber Argalenka konnte dem Gueber nicht antworten; als er von seiner Besorgniß befreit war, hatte sich seiner wieder die ganze Qual der Ungewißheit bemächtigt. Er deutete mit dem Finger auf die regungslose und verschleierte Gestalt und sagte zu Harruch in einer krampfhaften Aufregung: »Da, da, da!«

Harruch senkte traurig den Kopf und antwortete nicht auf die Frage des Beduis.

»Aus Barmherzigkeit, Gueber, im Namen Deines Glaubens, im Namen Deiner Liebe, im Namen der Leiden, die ich für mein Kind erduldet habe, antworte mir, ist das meine Tochter?«

»Wenn der Regenwind,« entgegnete Harruch, »über die Wohlgerüche athmenden Ufer des Djilivong hinstreicht, sind die Gewässer des Flusses mit rosigen und weißen Kelchen bedeckt, die an den Bäumen, welche den Fluß einfassen, geblüht haben und verwelkt sind. Noch sind es Blumen, aber sie haben nicht mehr die blendenden Farben, noch den süßen Wohlgeruch, Wegen welcher man sie liebt.«

»Was sagst Du? Sollte meine Tochter todt sein? Hätte man mir nichts zurückgegeben, als ihren Leichnam?«

Argalenka erwartete die Antwort des Gueber nicht; er stürzte sich auf seine Tochter und wollte sie in seine Arme schließen; aber bei dem Schrei, den der Beduis ausgestoßen hatte, enthüllte Arroa ihren Kopf. Sie blickte ihren Vater an, aber sie schien ihn nicht zu erkennen; ihre Augen drückten nichts als Gleichgültigkeit und Stumpfsinn aus.

Der Beduis wich entsetzt zurück.

»Arme, Arroa,« rief der arme Greis, »es ist Dein Vater! Der Herr ist nicht mehr da, um sich zwischen Deine Liebkosungen und diese kahle Stirn zu stellen, welche Deine Lippen in Deiner Kindheit so oft berührt haben; er ist nicht mehr da, um Dich zu zwingen, in Dein Herz die so natürliche Liebe zu verschließen, welche das Kind für den Urheber seines Lebens empfindet; Du darfst mich lieben, Arroa; wir sind frei.«