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Read the book: «Windschiefe Gestalten»

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Maurus Sterzelweg

»Ich bin des Kommerzienrats einziger Sohn,« sagte der Tertianer Marcellus Sterzelweg, »das heißt, ich habe schon noch einen Bruder, aber der ist bucklig.«

Es verhielt sich wirklich so. Sterzelweg, der Großindustrielle, hatte nur zwei Söhne, von denen der eine sein Stolz, der andere sein täglicher Kummer war. Marcellus, der ältere, war gerade gewachsen wie eine Schwarzwaldtanne. Maurus war mit einem Rucksack zwischen den Schulterblättern auf die Welt gekommen und klein und niedrig geblieben wie eine Zirbelkiefer.

Das Schicksal der Brüder war mit der Form ihrer Wirbelsäulen von vornherein bestimmt. Marcellus war der Liebling beider Eltern. Er wurde gekämmt und herausgeputzt, sobald Besuch zu erwarten war, und dann von einem Knie aufs andere geschoben wie eine geschätzte Truhe. Maurus wurde wie ein Wäschekorb aus dem Wege geräumt und in die Mägdekammer gestopft.

Wenn ein Freund des Hauses die Bemerkung wagte: »Nicht wahr, Sie haben doch noch einen Sohn, gnädige Frau?«, so erhielt er die Antwort: »Schon recht, aber er ist im Augenblick nicht so, daß man ihn sehen lassen kann. Er ist noch nicht konfirmiert, und außerdem soll er morgen geimpft werden.«

Wie oft dem kleinen Maurus der Empfang dieser beiden Gnadenmittel angedichtet wurde, wird sich kaum noch durch einen Historiker feststellen lassen. Sicher ist nur, daß der Bucklige nach der Absolvierung der Volksschule aushilfsweise von seinem Vater zu allerlei wichtigen Handlungen im Geschäft Verwendung fand. Er durfte die Tintenfässer der Schreibpulte füllen, für neues Löschpapier sorgen, den Ofen heizen und was dergleichen Vorübungen mehr noch sind, durch die man sich zum Bureaudiener hinaufarbeitet. Als sein Bruder Marcellus die ersten Kragenlitzen aus der Kadettenanstalt in die Ferien brachte, war Maurus schon so weit, daß er Adressen schrieb und die Portokasse verwalten konnte.

Trotzdem ästimierte man ihn nicht nach Gebühr im Elternhause. Man ließ ihn die alten Schuhe seines Bruders auftragen und beglückte ihn zuweilen mit abgelegten Badehosen und Schnurrbartbinden des Kadetten. Tanzunterricht erhielt er natürlich nie. Wozu auch sollte man ihn dem ewig Weiblichen näher bringen? Es war ja abgemacht, daß er ledig bleiben müsse und zu Lasten eines Drehstuhles, der unter einem grünen Lampenschirm im Bureau stand, und zwar gut genug als Erbonkel für die Kinder seines Bruders.

Als Marcellus Leutnant geworden war, gab es ein großes Abendessen im Hause Sterzelweg. Unterschiedliche Direktoren waren geladen, Agenten und Geschäftsfreunde. Maurus war ins Bett geschickt worden mit der Begründung, daß er schlecht aussehe und voraussichtlich wieder einmal die Wasserpocken bekommen werde, die er ja nun über ein dutzendmal gehabt hatte. Ob man ihn auch nicht in seiner Dachkammer oben vergaß, während man unten schwelgte? O, ganz gewiß nicht. Man schickte eine Aushilfsköchin zu ihm hinauf, die in Austernschalen ihm zutrug, was vom Kartoffelsalat übrig geblieben war. Maurus, immerhin der Sprößling eines emporstrebenden Hauses, mußte wissen, daß die Form die Hauptsache sei und nicht der Inhalt, und er durfte es auch nicht wagen, zu versuchen, ob in der dekorierenden Bordeauxflasche noch ein Tropfen Flüssigkeit sei oder nicht. Am nächsten Tage, wo dann seine Kinderkrankheit geheilt war und er wieder am Familientisch erscheinen konnte, war ihm reichlich Gelegenheit geboten, an den Überresten alles das noch nachzuprüfen, was die Zungennerven der Geladenen gekitzelt hatte und was man in Feinschmeckerkreisen Delikatessen nannte. Gewiß, in der Beziehung wurde ihm von seiten der braven Eltern nichts vorenthalten, was den jungen Mann heranbilden konnte, zumal der Feldmann, der Hund, nicht alles fraß, was man ihm vorsetzte, und gegen Senfsaucen und verpfeffertes Hühnerragout eine entschiedene Abneigung zeigte.

Ob Maurus, der nun schon einmal die erste Rekrutenmusterung hinter sich hatte, gar nicht empfand, wie stiefmütterlich er im Elternhause behandelt wurde? Schweigen wir darüber, mit welchem Ingrimm er zuweilen seine Nase in des Bruders zerrissenem Taschentuch putzte. Wie sein Herz blutete, wenn für den Bruder Leutnant der Wagen vorfuhr, während er ohne Regenschirm weggeschickt wurde, um für den erlauchten Herrn die Zahnstocher einzukaufen oder ein Päckchen Zigarettenpapier.

In jener Zeit ereignete es sich, daß Marcellus zum Regimentsadjutanten ernannt wurde und von jetzt ab die Schärpe über die Schulter tragen durfte. So hatten ihn die Leute im Städtchen noch nicht gesehen, und es war nur recht und billig, daß man den Guten, die jahraus, jahrein für die Firma schafften, diesen erhebenden Augenschmaus nicht vorenthielt. Natürlich warʼs, daß des Leutnants Mutter neben dem erhabenen Sprößling nicht unbeachtet bleiben wollte.

Während nun ein Urlaubsgesuch nach der Garnisonsstadt lief, das den Bruder an das erdichtete Krankenbett des Bruders forderte, bekam ein halbes Dutzend Schneiderinnen neue lohnende Beschäftigung in Brabanter Spitzen und Seidentaft, Maurus aber den Auftrag, den Handkarren zu schmieren, um des Herrn Adjutanten Gepäck an der Bahn abzuholen. Die genauere Zeit, wann diese Staatsaktion zu geschehen habe, sollte dem Buckligen erst noch mitgeteilt werden; denn es durfte nicht der Heimtücke des Zufalls überlassen bleiben, daß etwa gar die aufgetakelte Fregatte der Mutter mit der Dreckschute des buckligen Sohnes zusammen auf die Platte irgendeines unberufenen Amateurphotographen gekommen wäre.

Maurus erhielt also am Empfangstage den Auftrag, sich einstweilen in den Magazinen zu beschäftigen, bis der feierliche Einzug seines Bruders ins Elternhaus vorüber sei. Dann erst und wann die beginnende Abenddämmerung das Augenfällige ins Unwahrscheinliche verrückte, sollte er nach dem Bahnhof aufbrechen, und zwar nicht ohne eine Hilfskraft in blauer Leinenschürze mitzuführen. Man hatte keinen Grund, den Leuten die Mäuler aufzureißen und sie hinterher böswillig behaupten zu lassen: Der mit dem krummen Rücken oder das Kamel habe dem mit dem graden Rücken oder dem Giraffen die Last getragen.

Maurus war nicht dumm genug, um all diese Demütigungen ungekränkt übersehen zu können. Er tat nur so, als ob er alles in Ordnung fände, weil er sich durch ein gespanntes Verhältnis zu seinem Vater nicht den Weg versperren wollte zu einer Höhe hinauf, die ihm einen Ausblick ins Hauptbuch hinein und somit in die Gesamtlage des Hauses eröffnen konnte. Vorerst stand ja alles gut. Aber wer mochte denn wissen, bis zu welchen Torheiten die Eltern noch gelangen konnten, wenn sie sich einzig nur von der eitlen Affenliebe zu dem uniformierten Sohne leiten ließen.

Während nun Maurus mit Berechnung vor den Augen seines Vaters nur die niederen Bureaudienste verrichtete, als da sind Staubwischen, Lampenputzen, Bleistiftspitzen und Briefmarkenkleben, ließ er sich heimlich von Bleibtreu, einem alten Faktotum der Firma, in den lampenerhellten Abendstunden in die Geheimnisse der Buchführung einweihen. Er bewunderte zunächst den kalligraphisch gehaltenen Spruch auf dem Titelblatt des Hauptbuchs, der da lautete: »Mit dem Herrn fangʼ alles an!« Als er aber umblätterte und geschrieben fand: Johann August Mayer aus Gräfenhausen soll am 1. Februar zahlen 500 Mark und am 22. 1700, da wurde ihm zweifelhaft, wer mit dem Herrn auf dem Titelblatt gemeint sein könne, ob der im Himmel oder der in Gräfenhausen, und er begriff, daß der kaufmännische Beruf, ähnlich dem des Scharfrichters, nicht ohne einige Grausamkeiten betrieben werden könne.

Nach kurzer Zeit wunderte er sich schon nicht mehr, wenn kurz nachdem ein Brief mit fünf schweren Siegeln an seinen Bruder abgegangen war, ein Zahlungsbefehl an Herrn Mayer abging, nebst einer Drohung mit einem Barometertiefstand des Geschäftskredits. Merkwürdig, was nach fortgesetzten Studien der bucklige Mann nicht alles aus den Büchern herauszulesen vermochte. Er wurde außer einem Wetterpropheten auch noch Physiognomiker und lernte so nach und nach jede Veränderung im Gesichte seines Vaters deuten. Er begriff das gottgefällige Lächeln, mit dem er dem Konsistorialrat tausend Mark auf eine Waisenknabenliste zeichnete, und den satanischen Ingrimm, wenn er etwas hergeben sollte zur Unterstützung zuchthausentlassener Sträflinge. Er verstand aber auch herauszulesen, was im Gatten vorging, wenn die Gattin aufs Bureau kam, sich an sein Pult lehnte und halb schmeichelnd, halb drohend auf ihn einredete. O, wer durchschaut sie jemals ganz, jene Gezeichneten und ihren Spürsinn, mit dem sie sich wehren gegen jene Glücklichen, denen die Natur in reicher Geberlaune alles zugewendet hat, was sie ihren Stiefkindern neidisch vorenthielt, wer die Sehschärfe, mit der sie die Wolle sortieren, die Geschicklichkeit, mit der sie die losen Fäden zu einem Gewebe verknüpfen! Maurus, fast wie ein Halbidiot im Bureau ab- und zugehend, wußte bald in den Augen seines Vaters lesend den Inhalt ganzer Briefmappen, die durch die Post ins Haus befördert worden waren, und in den gleichen Hieroglyphen forschend, lernte er den Inhalt der Kassenschränke kennen, des privaten und des geschäftlichen. Noch weiter trieb ihn sein Erkenntnisverlangen. An den Stücken Rindfleisch, die beim Mittagstisch der Eltern fehlten, berechnete er, daß der Bruder Leutnant eine kleine Abendgesellschaft bei sich bewirtet hatte, und als die Mutter, statt sich einen neuen zu kaufen, einen alten Sonnenschirm überziehen ließ, folgerte er, daß dem Bruder eine Serie weißer Handschuhe abhanden gekommen sein möchte.

Doch dies alles waren ja nur kleine Dinge, die am Hause Sterzelweg wohl einen Ziegel eindrücken, seine Fundamente aber nicht erschüttern konnten. Es mußten andere Stürme wehen, wenn eine alte Eiche wanken sollte. Maurus nahm sich vor, wie ein Horchposten auf der Lauer zu liegen, um jeden Schritt des Unheils zu vernehmen, wenn es etwa vorhätte, sich den Seinen oder ihm zu nähern. Bald sollte er nicht vergebens auf der Lauer gelegen haben.

»Die Gläser werden nicht ausreichen; man wird neue hinzukaufen müssen,« hörte er über Tisch die Mutter zu dem Vater sagen.

»Warum nicht gar?« war dessen Antwort. »Die Schränke und das Büfett hast du voller Römer stehen, und immer noch soll Neues zu den alten Scherben hinzugeschafft werden?«

»Daß wir uns doch nie verständigen können! Nun wirst du wieder nicht begreifen wollen, daß wir unsern Gästen ganz unmöglich den Moselwein in Römern vorsetzen können. Bedenke doch nur, wen unser Herr Sohn alles mitbringen wird. Da ist der Graf Henkel von Holzapfel, der Fürst Wolf von Donnerkeil und der junge Langholz von Tannenbryck, dem die Hälfte des Rüdesheimer Berges gehört. Diese Leute wissen nur zu gut, was sich schickt, besser jedenfalls als du es weißt.«

Herr Sterzelweg, der nur mit maschineller Tätigkeit sich den Kommerzienratstitel erworben hatte, ließ die Oberlider über die Augäpfel sinken. Freilich, er war nicht wie seine Gattin auf einer Schnellbleiche gewesen, und er kannte nicht alles, was man zu tun und zu lassen hatte, wenn man als vornehm gelten wollte. Es war schon wahr, er mußte sich in all den Sachen, die zum guten Ton gehörten, auf die Frau verlassen und neuerdings auch auf den Sohn, den Herrn Leutnant. Um vor seiner Gnädigen nicht sofort kapitulieren zu müssen und um Zeit zu gewinnen, schnitzelte er sich aus einem Streichholz einen Zahnstocher, erhob sich langsam von seinem Stuhl und sagte im Weggehen nur: »Nun, so mach denn, was du für recht hältst. Aber daß du mir nur ja nichts übertreibst. Wir haben ja nur den einen, aber bedenke, daß oftmals schon ein einziger zu viel gewesen ist.«

Maurus wartete ab, bis der Vater gegangen war, dann wandte er sich an seine Mutter, um zu erfahren, aus welcher Veranlassung das Festkalb geschlachtet werden solle, und erfuhr nun, daß sein glorreicher Bruder auf der Fuchsstute »Nimmermüde« einen silbernen Becher erritten habe.

Während der Bucklige das Zimmer verließ, rechnete er an seinen Westenknöpfen heraus, wie groß sein Anteil an dem Familienglück ungefähr werden könne. Zunächst, so kalkulierte er, würde er wohl an dem Stoßkarren die Achsen zu schmieren bekommen. Die Zuggurt wäre gleichfalls zum Sattler zu geben. Zwar war sie noch nicht durchgescheuert, aber auf dem Rücken eines Buckligen und bei der Schwere der Koffer, mit denen der Herr Leutnant zu reisen pflegte, durfte man dem Wetter nicht trauen. Auch waren ja gewiß noch andere Kasten und Kisten von der Bahn zu holen. Das Familienporzellan mußte ergänzt werden, auch fehlte es sicherlich an Stiefelziehern, wenn jedem der hohen Gäste sein eigener zu gefälliger Verwendung unterm Bett stehen sollte. War dann noch für Pfeifenräumer und Zigarettentabak in genügender Menge gesorgt, dann hatte Maurus, der Mohr, seine Schuldigkeit getan und konnte gehen.

Gewiß, man würde ihn nicht mit Hunden vors Tor hetzen. Er war ja, wenn er auch einen Buckel hatte, immerhin ein Kind des Hauses. Was brauchte man gemein zu werden. Nur nachsinnen, und es würde sich sicherlich ein Vorwand finden lassen, unter dem man ihn für die Festtage den Leuten aus den Augen rücken konnte. Vielleicht waren Eulen nach Athen zu tragen, oder vom Fichtelgebirge herunter war eine Kuhmagd zu holen, die man nicht einzig und allein dem Schutze der Heilsarmee anvertrauen konnte. Wer mochte es übrigens wissen; vielleicht kam in den nächsten vierzehn Tagen irgendwo an der böhmischen Grenze eine Base ins Wochenbett und unserem Maurus war die hohe Ehre der Patenschaft zugedacht.

Unser Buckliger mußte mit einer dieser Möglichkeiten rechnen, und er tat es auch. Zunächst aber brachte er seinen Karren in Ordnung und beobachtete dann die Züge seines Vaters, wenn er, vor seinem Pulte stehend, die Morgenpost öffnete. O, ihm entging nicht das leiseste Zucken im Gesicht des Alten, wenn ihm ein Brief zwischen die Finger kam, der aus der Garnisonsstadt eingelaufen war. Sein Bruder Marcellus mußte alldorten in einem reichen Familienverkehr stehen mit Champagnerfabrikanten, Goldwarenhändlern, Pferdejuden, Schauspielern und Chansonettendivas. Daß all dieser Bekanntenzuwachs nach dem Sinne seines Vaters gewesen sei, wollte dem Buckligen nicht einleuchten. Er sah neulich, wie der Alte zuweilen wütig nach seinem rechten Schnurrbartende biß, seinen Kahlkopf schüttelte und die Stirnhaut in schwere Falten legte, so daß es aussah, als ob er einen frischgepflügten Kartoffelacker vor den Hirnschädel gebunden hätte.

Je eiseskälter sich übrigens die Sorge ins Gesicht des Vaters legte, um so sommerwärmer legte sich die Freude ins Antlitz der Mutter. Sie durfte demnächst den Sohn am Bahnhof erwarten. Er würde aussteigen, von einer Wolke seiner vornehmen Kameraden umgeben. Alle die glänzenden Uniformen würden sich auf sie zubewegen. Nach der fast zärtlichen Umarmung des Sohnes würde ein allgemeines Verneigen beginnen. Ein Emporschnellen der Hände nach dem Mützenrand würde einsetzen, kurzum, es würde auf dem Bahnsteig eine Szene geben, der ähnlich, als ob eine Landesmutter ihren Hofstaat erwartet. Aber was sage ich da nur. Viel größer noch als bei der Fürstin mußte bei Mutter Sterzelweg der Stolz und das Erhabenheitsgefühl sein, denn sie war sicher, daß aus ihrem Bekanntenkreis einige auf dem Bahnsteig sein würden, die vor Neid zu platzen drohten und die einen andern Weg gucken mußten, wenn ihre Scheelsucht nicht zu einer kompletten Erblindung führen sollte.

Maurus, diese Mißgeburt mit dem Tornister auf dem Rücken, sah dies mit Prophetenaugen alles voraus, und er war gescheit genug, um einzusehen, daß seine Zwerggestalt in die Phantasmagorie hinein nicht paßte. Um seinen guten Eltern schlaflose Nächte darüber zu ersparen, wohin sie über die Festtage mit dem Ungeratenen sollten, hatte er sich selber einen Plan zurechtgelegt, mit dem er jetzt beim Frühstücksbeginn vor das besorgte Paar trat. Sein erlesener Vorschlag war in Kürze der folgende: Kein Tag verging, an dem nicht an der Bahn oder Post irgend etwas abzuholen war. Wie wärʼs, wenn das Geschäft sich ein paar Ziehhunde zulegte? Er, Maurus, wollte es sich zutrauen, sie zweckentsprechend herzurichten, wenn man ihm nur gestatten wollte, sich mit einem Hundezüchter in Verbindung zu setzen, der da bei Fulda oben in der Rhön hause. Seine Anwesenheit während des Familienfestes sei ja wohl nicht unbedingt erforderlich, und daß er etwa wie Seume in Kurhessen abgefangen und als Soldat verschleppt würde, darüber brauche man sich bei seiner Musterbildung keine Sorge zu machen.

Niemand war glücklicher über diesen Vorschlag als die Mutter Sterzelweg. Sie küßte den Mißlungenen und schmierte im Geiste Butterbröter, die er mitnehmen mußte ins unhöfliche Gebiet dieser Fulder Dreschflegel hinein, die den heiligen Bonifazius erschlugen, sich aber seitdem eines so guten Rufes erfreuten, daß man es wagte, am Grabe des Märtyrers die Bischofskonferenzen abzuhalten.

Maurus reiste gern ab, bevor Marcellus kam. Wo er nicht gerne gesehen war, mochte er nicht sein. Und dann, ihm war es ernst mit dem Hundekaufen. Wer wollte denn sagen, an welchen Abgrund hin die Wasser das Haus Sterzelweg noch schwemmen mochten? Gut warʼs immerhin, wenn man noch auf den Hund kommen konnte, nachdem das Pferd zuschanden gegangen war.

Zu Fulda kaufte sich Maurus einen blauen Leinenkittel und stapfte, nun wie ein Metzger oder Viehtreiber aussehend, ins Rhöngebirge hinein. Gegen die Mittagsstunde wurde er hungrig, und da er einen sanften Wiesenboden unter sich und vor sich den Kreuzberg mit seinen drei Gerichteten hatte, so setzte er sich nieder, holte eine Wurst aus seinem Kittel und fing an zu essen. »Zu Hause haben sie heute etwas Besseres,« mußte er denken, »Rheinsalm, Rehrücken, Hühnerfrikassee und dazu Markobrunner Wein und perlenden Champagner. Ja ja, dieser vornehme Besuch mußte schon ein gehöriges Loch aus des Vaters Weinschrank heraussaufen. Wenn nur der Bruder nicht allwöchentlich wiederkam und einen Becher gewonnen hatte. Da oben auf der kahlen Bergkuppe standen die drei Kreuze mit ihren Opfern belastet. Der in der Mitte war ein Gottessohn. Ob er wohl jemals in seines Vaters Vorräten so gehaust haben wird, wie sein Bruder Marcellus eben tat?«

Maurus mußte über diesen verrückten Gedanken lachen, und da er satt und rechtschaffen müde war, so legte er sich um und schlief ein. Wie lange er geschlafen haben mag, tut nichts zur Sache. Es bleibt zu Recht bestehen, daß er schon wach war und nur noch die Augen geschlossen hatte, als er einen warmen Hauch im Gesicht verspürte, so etwa, als wenn eine schüchterne Freundin ihm einen reinen Kuß geben wolle.

»Nichts für ungut, es wär zum ersten Male,« dachte der im Leinenkittel und riß die Augen auf. Und was sah er vor sich? Die schwarze Nase und das gutmütige Gesicht eines ausgewachsenen Wolfshundes.

»Wenn du noch einen Bruder hast, der dir ähnlich und nicht bucklig ist, so könnten wir zu dritt gegen Frankfurt fahren,« sagte Maurus zu dem Tier, setzte sich auf und sah sich neugierig in der Gegend um. Von links her kam ein Ding herangeschwenkt, das dem Steuerrad eines Schiffes ähnelte, aber aufrecht stand und wie eine alte Baßgeige schnurrte und zirpte.

»Ein Scherenschleifer und der Hund werden zu dem Gelurch gehören,« schloß Maurus und machte sich auf die Beine, um den fahrenden Musikanten mit seinem Instrument zu erwarten. »Wohin des Wegs?« rief er dem zu, der hinterm Rade ging, und erhielt die Antwort: »Zum Kreuzberg nauf, zu den Braunkutten. Dem heiligen Franziskus verdankt es unsereiner, wenn er noch nicht verhungert ist. Wir Scherenschleifer wären reiche Leute, und keine Läuse gäbe es mehr auf der Welt, wenn jedermann sich nach des Mönches Vorschrift scheren lassen wollte.«

»Was fingen aber dann die Kammfabrikanten an, wenn es nur Kahlköpfe gäbe?« bemerkte Maurus.

»Da habt nun Ihr wieder recht,« entgegnete der Scherenschleifer. »Ein jeder will leben. Der Musikant lebt vom Sonntag, und vom Werktag der Knecht. Nun, und Ihr, Ihr da mit Eurem Buckel in dem neuen Kittel da drinnen, von was lebt denn Ihr, und wie kommt Ihr mit Euern schmalen Schuhen unter diese plattfüßigen Fulder da herein? Sucht Ihr etwa nach einer Schenkamme? Dann seid Ihr auf guter Fährte. Diese Tierchen gedeihen hier wie die Blattläuse an dem Rosenstiel.«

Maurus hatte seine schwere Mühe, bis er dem Scherenschleifer klar gemacht hatte, daß er wirklich nur auf der Suche nach Hunden sei. Der Mann mißtraute seinem feinen Gesicht und seinen schmalen Füßen und vermutete, daß irgendein Spion in dem Kittel verborgen sein möchte. Endlich aber stellte er sich bekehrt und hatte nun nichts dagegen, daß der Fremde neben ihm herschritt auf seinem Wege nach dem Kloster hinauf. »Bruder Gallus«, sagte er so verloren vor sich hin, »hat im vorigen Jahre den Wurf einer Wolfshündin leben lassen. Es waren ihrer drei mit spitzen Schnauzen. Der da vorne, der da hinter den Kühen herjagt, ist einer davon. Er ist gelehrig, wie nur ein Mensch. Die andern zwei sind es desgleichen. Man könnte Schulmeister aus den Kerlen machen. Seht zu, daß Ihr die Viecher erwerben könnt. Wenn Ihr dem Bruder ein Paket Offenbacher Schnupftabak und dem hölzernen Franziskus in seiner Nische überm Tor eine dicke Kerze widmen wollt, glaub ich, daß das Geschäft zustande kommt. Aber was seh ich denn? Da kommen sie ja schon den Berg herunter, die besagten Hundsknochen. Paßt auf, sie sind wie Zollwächter und werden ihren Bruder beschnüffeln, daß er keine weltlichen Irrlehren in das Kloster hineinschmuggelt.«

Maurus besah sich die munteren Tiere. Sie gefielen ihm gut, und mit dem Bruder Gallus war er noch am gleichen Abend hinterm Bierkrug handelseinig geworden. Nun hätte er bereits am nächsten Morgen wieder den Kreuzberg verlassen können. Er tat es aber nicht. Er wollte warten, bis sein Elternhaus wieder gästefrei geworden war. Wie hätte auch seine Mutter das Herzeleid überstehen wollen, sich neben dem Beuniformten als Gebärerin des Blaukittels bekennen zu müssen. Maurus war Gedankenleser. Gewiß, gewiß, der Bucklige trug mehr auf dem Rücken als die Geraden, aber auch im Kopf und im Herzen trug er mehr. Er ließ noch eine Woche verstreichen, ehe er heimging.

Die Hunde verstanden es bald, sich im Hause Sterzelweg beliebt zu machen. Sie vertrugen sich mit der Katze und fraßen Freitags kein Fleisch, vielleicht weil sie vom Kloster her die Kirchengebote zu achten gelernt hatten, vielleicht aber auch, weil sie keines bekamen. Die Frau Kommerzienrat war, wie schon früher bemerkt, eine fromme Dame, die dem Himmel weit entgegenkam, damit er auch ihr begegne und dem Sohn Marcellus noch manchen Sieg auf der Rennbahn beschere.

Leider blieben die sportlichen Erfolge aus. Man wußte nicht recht, was daran schuld war. Seine Hochwohlgeboren, der Herr Leutnant, hatten sich doch genügend kasteiet und Karlsbader Wasser getrunken. Ihm fehlte es auch nicht an Mut, um über Barrieren und Gräben zu setzen. Er knauserte auch nicht. Man hatte dem »Soliman« und dem »Omar« französischen Champagner in die Gurgel gegossen. Umsonst, sie blieben um Nasenlänge hinter ihren Konkurrenten zurück. Frau Sterzelweg hatte ein Waisenkind über die Taufe gehoben und eine Konfirmandin bekleidet. Auch das hatte den Himmel nicht gerührt.

Da erbarmte sich ein Jude und schob den Karren aus dem Sumpfe der Ungewißheit heraus. Er hatte des Leutnants Rennstall gemustert, den Tieren die Glieder und die Zähne besehen, das Pedigree geprüft, und er vermißte den Einschlag von arabischem Blut. Beim Fürsten Bleß von Herostall stand eine Stute, ja wenn man die erwerben könnte! Sie sei vom Herrgott selber extra zwischen die Beine des Herrn Leutnant geschaffen, nicht zu groß, nicht zu klein, nicht zu mager, nicht zu fett. Kurzum, sie paßte zu ihm wieʼs Monokel in sein Auge, wie sein Hintern in eine Reithose, wie sein Säbel in eine Scheide. Aber freilich, freilich, das Pferd war schwerlich loszueisen. Der Fürst hatte selber seine Freude daran, und er brauchte kein Geld. Mit einem Schandgebot durfte man da schon gar nicht kommen, wenn, man nicht auf das Pflaster des Hofes fliegen wollte, und dann erst recht nicht, wenn gar noch ruchbar werden sollte, daß das Tier unter seinem Stande an einen Bürgerlichen verschachert werden sollte.

Keine Frage, Elkan Samuelsohn bedurfte vieler diplomatischer Fähigkeiten, wenn die schwierige Aufgabe gelöst werden sollte. Vorläufig trat er sich die Absätze krumm zwischen der Kaserne und dem fürstlichen Marstall, belauerte seine Volksgenossen, daß kein anderer ihm ins Gehege schlich, schlief nur wenig mehr und machte des Fürsten Stute schlecht, so oft er nur mit einem Tierarzt ins Gerede kam.

Beim Leutnant Sterzelweg freilich sprach er anders, und anders auch bei dessen Mutter, die er eines Tages mit seinem Besuche beehrte. Der guten Frau wußte er einzureden, daß es weit über die Landesgrenze hinaus einen gewaltigen Eindruck auf die Volksseele machen müsse, wenn es hieße: »Des erlauchten Fürsten Stute ist in den Besitz des Leutnant Sterzelweg übergegangen!« Klang das nicht schon beinahe geradeso, als wenn einer sagte: »Die Prinzessin so und so ist mit Marcellus verlobt?«

In den Ohren der Frau Kommerzienrat zweifellos. Sursum corda war die Devise ihrer Heiratsgedanken. Warum auch nicht? War ihr Ältester nicht geformt, um das Auge einer Prinzessin zu bestechen? Das Abschießen des Wildes ist eine Kleinigkeit. Das Anschleichen Hauptsache. Man braucht Strauch und Busch zur Deckung. Auch ein Jude konnte zum Schild werden, hinter dem man seine Absichten und seine Waffen verbarg. Marcellus hatte die Kinderschuhe abgelegt, und seine Stirne drohte, ihm über den Kopf zu wachsen. Es war Zeit, daß man ihm half, sich eine Frau zu suchen. Die Frau Kommerzienrat erkannte diese ihre Mutterpflicht gar wohl, und sie klopfte des öfteren bei dem Gatten auf den Busch, in der Absicht, den Hasen eines geeigneten Vorschlages herauszutreiben. Umsonst stellte er ihren begeisterten Reden sein stummes Achselzucken entgegen. Warʼs da ein Wunder, wenn die Mutter sich mit dem Juden verband, um Schwiegermutter zu werden? Elkan wurde der Träger, auf dem eine glorreiche Idee aufgebaut wurde.

Man markierte einmal den Großartigen. Zeigte den Leuten, daß das Geld keine Rolle spiele und kam zu einer Schwiegertochter wie Eulenspiegel zum Schinken, als er die Wurst darnach geworfen hatte.

Daß der Jude ins Haus kam, war nicht zu umgehen. Er kam, obwohl er den bösen Blicken des Maurus begegnen mußte und dem scharfen Knurren seiner Hunde. Auch Bleibtreu, der schweigsame Prokurist, spuckte verdrießlich vor sich hin, und der Kommerzienrat kaute verlegen an seinem rechten Schnurrbartende, wenn er durch die Scheibe seines Bureaufensters den Rockelores des Hebräers an der Hausecke flattern sah. – Nein, dieser Roßtäuscher war, von Frau Sterzelweg abgesehen, keinem im Hause eine erfreuliche Erscheinung, und doch war er da und setzte durch, was er sich vorgenommen hatte.

Eines Tages war dem Kommerzienrat die Ehre zuteil geworden, daß seine Gattin ihn in ihr Zimmer bestellte. Er traf sie da mit dem Juden zusammen. Der letztere malte mit dem Bleistift eine Zahl in sein Notizbuch und hielt sie der Frau Sterzelweg unter die Augen. »Unter dem wirdʼs nicht abgehen,« flüsterte er und fuhr, während ihm der Speichel über den Mundwinkel lief, in besänftigendem Tone fort: »Aber bedenken Sie nur, ein Viertel dieser Summe kann schon eingebracht werden durch einen einzigen Sieg auf der Rennbahn.«

Ins Gesicht der Mutter Sterzelweg kehrte etwas von dem Blut zurück, das beim Anblick der Zahl aus ihm gewichen war, während der Kommerzienrat bleich und starr blieb wie eine Osterkerze. Im Zimmer herrschte ein verlegenes Schweigen. Nur eine Hummel brummte am Fenster und suchte mit dem Kopf die Scheibe einzubrechen und hinauszukommen aus dieser ungemütlichen Atmosphäre. Um wenigstens etwas getan zu haben, öffnete des Leutnants Mutter den Fensterflügel und ließ den Brummer hinaus ins Freie.

»So rede doch,« rief sie dann in verärgertem Tone ihrem Manne zu, »oder vielmehr rede erst, wenn du vorher bedacht hast, daß dieser Kauf nur der Anfang sein wird von langen Transaktionen,« – sie wiederholte das Wort – »die deinen Namen neben die der angesehensten Familien des Landes stellen.«

»Die Herostall,« ergänzte der Jude, »und wenn ich das Kalb geschenkt bekomme, werd ich dann die Pfennig zählen, die ich für den Strick verausgaben muß?«

Sterzelweg erhob sich und eilte in sein Bureau. Er winkte den Bleibtreu nach seinem Pulte heran. Zwei eisgraue Köpfe, die seit dreißig Jahren nach dem gleichen Ziele hingearbeitet hatten, stießen wie durch einen Nebel verwirrt gegeneinander. Vier Augen bohrten sich in die Zahlenreihen des Hauptbuches; zwei Zeigefinger tasteten sich längs den Zahlenreihen hin. Der Diener schüttelte den Kopf. Sein Herr zerbiß die rechte Schnurrbartspitze. Ein Federhalter rollte über den Pultdeckel herunter und versuchte sich in dem Papierkorb zu verstecken. Es war klar, er wollte den ersten Schritt nicht mitmachen auf einem Gang, der die Firma Sterzelweg in den Sumpf führen mußte. Und doch, das Omen wurde nicht verstanden! Der Fahnenflüchtige wurde zwischen zerrissenen Briefumschlägen hervorgesucht, ein Wechselformular unterschrieben. Herr und Diener kehrten einander den Rücken zu, und keiner sah sich nach dem andern um.