Das Spukhaus

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Das Spukhaus
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Ambrose Bierce

Das Spukhaus

Erzählungen. In einer Übersetzung von Walter Brunhuber

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Motto

Ambrose Bierce

Erstes Epigramm

Das Spukhaus

Drei und einer – macht einen

Zweites Epigramm

Der Mann mit den zwei Leben

Der Weinstock

Drittes Epigramm

Die Festnahme

Der Gehängte

Viertes Epigramm

Staley Fleming's Halluzinationen

Wissenschaftliche Vorbemerkung

Fünftes Epigramm

Charles Ashmores Spuren

Die Schwierigkeit eine Weide zu überqueren

Sechstes Epigramm

Eine kühle Begrüßung

Unheimliche Bewohner

Siebtes Epigramm

Aufstand der Götter

Eine Verrückte Welt

Achtes Epigramm

Impressum neobooks

Motto

I dreamed I was dreaming one morn as I lay

In a garden with flowers teeming.

On an island I lay in a mystical bay,

In the dream that I dreamd I was dreaming.

The key note

Aus: Black Beetles in Amber, Ambrose Bierce

Ambrose Bierce

Bierce' Geschichten, die sich häufig um Spukhäuser, Geister und verschwundene Personen drehen, sind geprägt von seinen Erfahrungen als Soldat im amerikanischen Bürgerkrieg und von familiären Schicksalsschlägen. Charakteristisch ist auch sein vom Journalismus geprägter reportagenhafter Stil, in dem er, trotz der phantastischen Elemente, ein realistisches Bild seiner Zeit vermittelt.

Bierce selbst wurde zur Legende, als er 1914 mit siebzig Jahren im Gefolge des Revolutionärs Pancho Villa über den Mexikanischen Bürgerkrieg berichten wollte und spurlos verschwand ... In einigen Geschichten wurde Ambrose Bierce wieder zum Leben erweckt, etwa in Ray Bradburys Kurzgeschichte Die Verbannten oder in der Erzählung Der Mann vom Klondike von Leonard Eden. Seine schicksalhafte Reise durch Mexiko, von der er nicht mehr zurückkehrte, wurde 1989 mit Gregory Peck in der Hauptrolle verfilmt (Old Gringo).

Das vorliegende Buch lässt Bierce auch anhand einiger Epigramme und einem originellen Essay mit dem Titel Eine verrückte Welt zu Wort kommen.

Walter Brunhuber

Erstes Epigramm

„Wohin gehst du?“, fragte der Engel.

„Ich weiß es nicht.“

„Wer bist du?“

„Ich weiß es nicht.“

„Dann bist du ein Mensch. Sieh dich nicht um und gehe weiter auf deinem Weg, bis zu dem Ort, von dem du kommst.“

Das Spukhaus

An der Straße, die vom Norden Manchesters, im Osten von Kentucky, in das zwanzig Meilen entfernte Booneville führt, stand 1862 noch das Holzhaus eines Plantagenbesitzers, das um einiges stabiler gebaut war, als die meisten Häuser der Gegend. Das Haus wurde im folgenden Jahr von einem Feuer völlig zerstört - wahrscheinlich wurde das Feuer von einigen Nachzüglern gelegt, die aus General George W. Morgans Abteilung stammten, die damals von General Kirby Smith aus dem Cumberland Gab vertrieben wurde und sich bis zum Ohio River zurückzog. Zum Zeitpunkt seiner Zerstörung stand das Haus bereits seit vier oder fünf Jahren leer. Auf den umliegenden Felder wucherte Gestrüpp, die Weidezäune waren verschwunden – und sogar die Nebengebäude sowie die wenigen Unterkünfte für die Schwarzen waren zum größten Teil nur noch Ruinen, zerstört durch die jahrelange Vernachlässigung und durch Plünderungen.

Die Schwarzen und die armen Weißen aus der Nachbarschaft sahen in den Gebäuden und den Zäunen einen ergiebigen Vorrat an Brennstoff, den sie sich unverholen und bei hellichtem Tageslicht ohne zu zögern zunutze machten. In diesem Fall sogar nur bei Tageslicht, denn nach Einbruch der Dunkelheit näherte sich – abgesehen von zufällig vorbeikommenden Fremden – keine Menschnseele diesem Ort.

Das Haus war als 'Spukhaus' bekannt. Dass es von bösen Geistern bewohnt war, sichtbaren und unsichtbaren, die äußerst rege waren, bezweifelte in der Umgebung niemand - daran wurde ebenwowenig gezweifelt wie an all den Dingen, die die Wanderprediger den Leuten sonntags erzählten. Die Meinung des Besitzers zu diesem Thema ist unbekannt – er und seine Familie sind eines Nachts verschwunden, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen. Sie ließen alles zurück: Ihren gesamten Haushalt, Kleidung, Proviant, die Pferde im Stall, die Kühe auf dem Feld, die Neger in ihren Quartieren – sie ließen alles liegen und stehen, nichts wurde vermisst, abgesehen von einem Mann, einer Frau, drei Mädchen, einem Jungen und einem Baby. Alles in allem durfte es wohl niemanden überrascht haben, dass eine Plantage, auf der sieben Menschen gleichzeitig ausgelöscht wurden, ohne dass jemand auch nur ahnte, wodurch, misstrauisch beäugt wurde.

Eines Nachts, im Juni 1859, reisten zwei Einwohner von Frankfort, Col. J. C. McArdle sowie der Rechtsanwalt und Richter Myron Veigh, Angehöriger der staatlichen Bürgerwehr, von Booneville nach Manchester. Die Geschäfte, in denen sie unterweg waren, waren so wichtig, dass sie sich dazu entschieden, die Fahrt nicht zu unterbrechen, trotz der Dunkelheit und trotz des Grollens eines herannahenden Sturmes, der ausgerechnet in dem Moment über sie hereinbrach, als sie das 'Spukhaus' erreichten.

Im Licht der ununterbrochen aufflammenden Blitze hatten die beiden keine Mühe den Weg durch das Tor zu finden und einen Stall zu erreichen, in dem sie ihr Pferdegespann festmachten und ausschirrten. Danach eilten sie durch den Regen hinüber zum Haus und klopften an alle Türen, ohne dass eine Reaktion erfolgte. Aufgrund dieses Umstandes und aufgrund des pausenlosen Donnergrollens, traten sie gegen eine der Türen, bis diese schließlich nachgab. Sie begaben sich ohne weitere Umstände in das Haus und schlossen die Tür hinter sich. Im selben Moment umgab sie Dunkelheit und Stille. Kein Schimmer der unaufhörlich aufleuchtenden Blitze drang durch die Fenster oder durch die Spalten im Holz der Wände, nicht das kleinste Geräusch des schrecklich tobenden Sturmes erreichte die beiden hier drinnen. Es war, als wären sie plötzlich taub und blind geworden, und McArdle sagte später, dass er für einen Augenblick dachte, in dem Moment, in dem er die Türschwelle überschritten habe, von einem Blitzschlag getötet worden zu sein. Der weitere Fortgang dieses Abenteuers kann mit seinen eigenen Worten – nachzulessen im Frankfort Advocate vom 06. August 1876 - wiedergegeben werden:

„Als ich mich von der Verwirrung, die der Wechsel von lautem Getöse zu dieser Stille in mir auslöste, erholt hatte, war mein erster Impuls, die Tür wieder zu öffnen, die ich eben geschlossen hatte und deren Knopf ich, soweit ich mich erinnern konnte, noch nicht losgelassen hatte. Ich spürte ihn noch immer deutlich zwischen meinen Fingern. Dadurch, dass ich wieder in den Sturm hinaustrat, wollte ich mich versichern, ob ich tatsächlich mein Augenlicht und mein Gehör verloren hatte. Ich drehte den Türknopf und zog die Tür auf.

Sie führte in einen anderen Raum!

Das Zimmer war von einem matten, grünen Licht erfüllt, dessen Quelle ich nicht ermitteln konnte und das alles, was in dem Raum vorhanden war, deutlich hervorhob, obwohl eigentlich nichts davon scharf umrissen war. Ich sage alles, was in dem Raum vorhanden war , doch in Wahrheit befanden sich innerhalb der schwarzen Steinwände nur menschliche Körper. Es waren vielleicht acht oder zehn – sicherlich ist es nachvollziehbar, dass ich sie nicht genau gezählt habe. Es handelte sich um Menschen unterschiedlichsten Alters und unterschiedlichster Größe, vom Kindesalter aufwärts, und es waren Menschen beiderlei Geschlechts. Alle lagen sie ausgestreckt auf dem Boden, mit einer Ausnahme, offensichtlich eine junge Frau, die aufrecht in einem der Winkel des Zimmers saß, den Rücken durch die Wände abgestützt.

 

Eine andere, ältere Frau hielt ein Baby mit beiden Armen fest umschlossen. Ein größerer Junge lag mit dem Gesicht nach unten quer über den Beinen eines vollbärtigen Mannes. Einer oder zwei der Körper waren fast nackt, und die Hand eines jungen Mädchens hielt einen Fetzen ihres Kleides fest, das sie an der Brust zerrissen hatte. Die Leichen befanden sich in unterschiedlichen Stadien des Verfalls, die Gesichter eingefallen, die Körper geschrumpft. Manche waren nicht viel mehr als Skelette.

Während ich durch diesen entsetzlichen Anblick starr vor Schreck die Türe noch offen hielt, wurde meine Aufmerksamkeit von diesem schockierenden Bild abgelenkt und begann sich, durch eine unerklärliche Abartigkeit der menschlichen Natur, mit Nebensächlichkeiten und Details zu beschäftigen. Vielleicht suchte mein Verstand aus reinem Selbstherhaltungstrieb eine gewisse Entlastung in Dingen, die die bedenkliche Anspannung verringern konnten. Neben einigem anderem bemerkte ich, dass die Tür, die ich noch geöffnet hielt, aus schweren, genieteten Eisenplatten bestand. Sowohl unten, als auch oben standen aus den abgeschrägten Kanten der Tür, in gleichem Abstand voneinander, drei kräftige Bolzen hervor. Als ich den Knopf drehte, verschwanden sie und als ich ihn losließ, sprangen sie wieder heraus. Es handelte sich um ein Schnappschloss! Auf der Innenseite gab es weder einen Knopf, noch eine andere Erhebung. Ich hatte eine glatte Eisenfläche vor mir.

Während ich all das mit einer Anteilnahme und einer Aufmerksamkeit betrachtete, die mich heute, wenn ich mich daran erinnere, in Erstaunen versetzen, spürte ich, dass mich Richter Veigh, den ich aufgrund der äußerst heftigen Verwirrung meiner Gefühle völlig vergessen hatte, zur Seite drängte und mich dadurch in das Zimmer stieß.

'Um Gottes Willen', rief ich. 'Gehen Sie da nicht rein. Lassen Sie uns von diesem fürchterlichen Ort verschwinden.'

Er beachtete meine Bitte nicht, sondern eilte (furchtlos wie ein Gentleman aus dem Süden nur sein kann) in die Mitte des Zimmers, kniete sich neben einen der Körper nieder, um ihn näher in Augenschein zu nehmen, und hob vorsichtig den geschwärzten, geschrumpften Kopf an. Ein starker, unangenehmer Geruch, der mich völlig überwältigte, drang bis zur Tür. Meine Sinne gerieten durcheinander. Ich spürte, dass ich zu Boden fiel und dass ich, während ich mich an der Tür festhielt, um Halt zu finden, diese mit einem lauten 'Klick' zustieß.

An mehr erinnere ich mich nicht: Sechs Wochen später kam ich in einem Hotel in Manchester wieder zu Bewusstsein, wohin mich Fremde einen Tag nach den Ereignissen gebracht hatten. Die ganzen Wochen über litt ich an nervösem Fieber, begleitet von einem anhaltenden Delirium. Man hatte mich auf der Straße gefunden, einige Meilen entfernt von dem Haus, doch wie ich es geschafft hatte zu entkommen und dorthin zu gelangen, werde ich wohl nie erfahren. Als es mir wieder besser ging, genauer gesagt, als ich wieder fähig war zu sprechen, erkundigte ich mich nach Richter Veigh. Heute weiß ich, dass man mich belogen hat, um mich zu beruhigen, als man mir mitteilte, er wäre bereits zu Hause und wohlauf.

Niemand glaubte ein Wort meiner Geschichte, und wen könnte das schon verwundern? Wer kann sich die Trauer vorstellen, die mich ergriff, als ich zwei Monate später zu Hause in Frankfort eintraf und erfuhr, dass niemand mehr etwas von Richter Veigh gehört hatte, seit dieser Nacht. Ich bedauerte bitterlich den Stolz, der es mir in den ersten Tagen, nachdem ich wieder zu Verstand gekommen war, verboten hatte, meine in Verruf geratene Geschichte zu erzählen. Nun bestand ich darauf die Wahrheit zu sagen.

Mit allem, was danach geschah – die Durchsuchung des Hauses, die Tatsache, dass kein Raum gefunden wurde, der dem ähnelte, den ich beschrieben hatte, der Versuch, mich für verrückt erklären zu lassen, und mein Sieg über die Ankläger – sind die Leser des Advocate bereits vertraut. Nach all diesen Jahren bin ich noch immer überzeugt davon, dass Ausgrabungen – zu denen ich weder das Recht habe, noch das Vermögen, um sie durchzuführen – das Geheimnis offenlegen würden, das hinter dem Verschwinden meines unglücklichen Freundes steckt, und möglicherweise auch hinter dem Verschwinden der früheren Bewohner und Besitzer des verlassenen und nun zerstörten Hauses. Trotzdem tue ich noch immer alles, um eine solche Suche in die Wege zu leiten, und es ist eine Quelle tiefer Trauer für mich, dass diese Suche von der unterschwelligen Feindschaft und der unklugen Skepsis der Familie und der Freunde des guten alten Richters Veigh immer wieder verzögert wird.“

Colonel Mc Ardle starb am 13. Dezember 1879 in Frankfort.

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