Little Women: Beth und ihre Schwestern

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Little Women: Beth und ihre Schwestern
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Louisa May Alcott

Little Women – Betty und Ihre Schwestern

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Impressum

Erstes Kapitel

Die Pilger

„ Weihnachten ohne Geschenke ist kein Weihnachten,“ murrte Josephine, auf dem Teppich vor dem Kamin liegend.

„ Es ist so schrecklich, arm zu sein!“ seufzte Margaret, indem sie traurig auf ihr altes Kleid blickte.

„ Es ist nicht recht, dass einige Mädchen eine Menge hübscher Sachen haben, und andere gar nichts,“ fügte die kleine Amy mit beleidigter Miene hinzu.

„ Wir haben Vater und Mutter und haben einander,“ rief Lieschen zufrieden aus ihrem Winkel hervor.

Die vier jungen vom Feuer beschienenen Gesichter leuchteten bei den fröhlichen Worten auf, umwölkten sich aber wieder, als Josephine traurig sagte: „Wir haben den Vater nicht, und werden ihn vielleicht in langer Zeit nicht haben.“ Sie sagte nicht: „vielleicht nie;“ aber jede fügte es im Stillen hinzu, während sie an den Vater in weiter Ferne, wo der Krieg wüthete, gedachte.

Eine Minute lang sprach niemand; dann sagte Margaret in verändertem Tone: „Ihr wisst, warum die Mutter vorschlug, uns diesmal nichts zu Weihnachten zu schenken. Dieser Winter wird für jedermann ein sehr schwerer sein, und sie sindet, dass wir kein Geld für unser Vergnügen ausgeben müssen, während unsere Soldaten soviel zu leiden haben. Viel können wir nicht thun, aber wir können doch auch unsere kleinen Opfer bringen, und das sollten wir fröhlichen Herzens thun. Aber ich fürchte, ich thue es nicht;“ und Margaret schüttelte den Kopf, während sie mit Bedauern an all’ die hübschen Sachen dachte, welche sie sich wünschte.

„Aber ich glaube, das Wenige, was wir ausgeben würden, könnte nicht viel helfen. Wir haben jede einen Thaler, und dem Heere würde damit nicht viel gedient sein, wenn wir ihn hergäben. Ich lasse es mir gern gefallen, von Mutter und euch nichts geschenkt zu bekommen, aber ich will mir Undine kaufen; ich habe es mir schon so lange gewünscht,“ sagte Josephine, die ein Bücherwurm war.

„ Ich hatte mir vorgenommen, für mein Geld neue Noten zu kaufen,“ sagte Lieschen mit einem leisen Seufzer, den niemand hörte, wenn nicht etwa der Kaminbesen und der Kesselhaken.

„ Ich werde mir einen schönen Kasten mit Faber’schen Zeichenbleistiften kaufen; ich habe sie wirklich nöthig,“ sagte Amy entschieden.

„Die Mutter sagte nichts von unserm Gelde, und sie wird nicht wollen, dass wir alles aufgeben. Lasst uns jede kaufen, was wir uns wünschen, um eine kleine Freude zu haben; wir lassen’s uns wirklich sauer genug werden, um sie zu verdienen,“ rief Josephine, indem sie, wie ein Herr, die Absätze ihrer Stiefel untersuchte.

„Ich sicherlich, — muss ich nicht jene schrecklichen Kinder fast den ganzen Tag unterrichten, wenn ich mich so sehr danach sehne, zu Hause vergnügt zu sein,“ sagte Margaret wieder in klagendem Tone.

„Du bist nicht halb so schlimm daran wie ich,“ rief Josephine. „Wie würde es dir gefallen, stundenlang mit einer nervösen, ungemüthlichen Dame eingesperrt zu sein, die ihre Umgebung in steter Bewegung erhält, nie zufrieden ist und einen quält, dass man aus dem Fenster springen oder ihr Ohrfeigen geben möchte?“

„Es ist unrecht, zu klagen, — aber ich glaube, Schüsseln waschen und das Haus in Ordnung halten, ist die schlimmste Arbeit in der Welt. Es macht mich verdriesslich, und meine Hände werden ganz steif, ich kann gar nicht gut üben.“ Und Lieschen betrachtete ihre rauhen Hände mit einem Seufzer, den diesmal jeder hören konnte.

„ Ich glaube, keine von euch hat soviel zu leiden wie ich,“ rief Amy, denn ihr braucht nicht zur Schule zu gehen mit impertinenten Mädchen, die ihre Mitschülerinnen plagen, wenn sie ihre Lectionen nicht wissen, über ihre Kleider spotten, ihren Vater infamiren, wenn er nicht reich ist, und sie beleidigen, wenn sie keine hübsche Nase haben.“

„Was sagst du da von ,infamiren‘, insultiren meinst du wohl“, rief Josephine lachend.

„Ich weiss, was ich meine,“ versetzte Amy mit Würde, und du brauchst nicht ,statirisch‘ zu sein. Es gehört sich, gute Ausdrücke zu gebrauchen und sein ,Vocabilarium‘ zu bereichern.“

„So streitet doch nicht, Kinder. Möchtest du nicht, ,Jo‘, dass Papa das Geld noch hätte, welches er verlor, als wir noch klein waren? Ach, wie glücklich und gut würden wir sein, wenn wir keine Sorgen hätten,“ sagte Margaret, die sich besserer Zeiten erinnern konnte.

„ Du sagtest doch neulich, wir wären weit glücklicher als King’s Kinder, denn sie zanken und klagen den ganzen Tag, trotz ihres Geldes.“

„ Das ist wahr, Lieschen. Und ich glaube wirklich, dass wir glücklicher sind; denn obgleich wir arbeiten müssen, machen wir doch Spass mit einander und sind eine muntere ,Bande‘, wie Jo sagen würde.“

„ Jo braucht so viele Studentenausdrücke,“ bemerkte Amy, mit einem tadelnden Blicke auf die lange Gestalt, die auf dem Kaminteppich hingestreckt lag. Jo richtete sich augenblicklich auf, steckte die Hände in die Schürzentaschen und fing an zu flöten.

„Lass das, Jo; es ist so knabenhaft.“

„Eben darum thue ich’s.“

„Ich hasse unhöfliche Mädchen mit unfeinen Manieren.“

„Und ich hasse zimperliche Zierpüppchen.“

„Die Vögelein vertragen sich in ihrem kleinen Nest,“ sang Lieschen, die Friedensstifterin, mit so schalkhafter Miene, dass die beiden scharfen Stimmen zum Lachen übergingen, und der Streit für den Augenblick ein Ende hatte.

„Wirklich, Mädchen, ihr seid beide zu tadeln,“ sagte Margaret, indem sie begann, sie in ihrer Weise als ältere Schwester zu ermahnen. „Du bist alt genug, um die Knabenmanieren abzulegen und dich besser zu benehmen, Josephine. Es kam nicht soviel darauf an, als du ein kleines Mädchen warst; aber jetzt, wo du so gross bist und dein Haar aufsteckst, solltest du dich doch erinnern, dass du eine junge Dame bist.“

„Das bin ich nicht! und wenn das Aufstecken des Haares mich zur jungen. Dame macht, so will ich es in zwei Zöpfen tragen, bis ich zwanzig Jahre alt bin,“ rief Jo, indem sie ihr Netz vom Kopfe riss und ihre kastanienbraune Mähne schüttelte. Ich hasse den blossen Gedanken, dass ich heranwachsen, Fräulein March genannt werden, lange Kleider tragen, und wie aus der Lade genommen erscheinen muss. Es ist schon schlimm genug, ein Mädchen zu sein, da ich Knabenspiele, Knabenarbeit und Knabenmanieren liebe.

Ich kann mich nicht darüber trösten, dass ich kein Knabe bin, und jetzt weniger als je, denn ich sterbe vor Sehnsucht, an Papa’s Seite zu kämpfen, und muss zu Hause sitzen, und stricken, wie ein jämmerliches altes Weib;“ und Josephine schüttelte den blauen Soldatenstrumpf, dass die Nadeln wie Castagnetten klirrten und ihr Knäuel durch das Zimmer flog.

„ Arme Jo, es ist wirklich gar zu schlimm; aber es lässt sich nicht ändern, und so musst du dich damit begnügen, deinen Namen so knabenhaft zu machen wie möglich und unsern Bruder zu spielen,“ sagte Lieschen, indem sie mit einer Hand, deren Berührung alles Abstäuben und alles Schüsselwaschen nicht unsanft zu machen vermochte, den rauhen Kopf streichelte, der sich an ihre Kniee lehnte.

„Was dich betrifft, Amy, “ fuhr Margaret fort, „so bist du zu eigen und legst zuviel Werth auf Aeusseres. Du giebst dir oft ein ganz kömisches Ansehen und du wirft ein Gänschen werden, wenn du dich nicht in Acht nimmst. Ich liebe deine netten Manieren und deine feine und höfliche Ausdrucksweise, so lange du nicht die Elegante zu spielen versuchst; aber deine albernen gesuchten Ausdrücke sind oft ebenso schlimm wie Jo’s Studentensprache.

 

„Nun, wenn Jo ein Knabe ist, und Amy eine Gans, was bin ich denn?“ fragte Lieschen, die auch ihren Antheil an der Vorlesung haben wollte.

„Du bist ein liebes Geschöpf, und nichts anderes,“ antwortete Margaret warm, und niemand widersprach ihr, denn die ,kleine Maus‘ war der Liebling der Familie.

Da junge Leser gewöhnlich gern wissen wollen, ,wie die Leute aussehen,‘ so wollen wir diese Gelegenheit wahrnehmen, um ihnen eine kurze Beschreibung der vier Schwestern zu geben, welche im Dämmerlicht da sassen und strickten, während draussen der Decemberschnee ruhig niederfiel und drinnen das Feuer gemüthlich knisterte. Es war ein behagliches altes Zimmer, obgleich der Teppich verblichen, und die Möbel sehr einfach waren; denn einige gute Gemälde hingen an den Wänden, Bücher füllten die Nischen, Goldlack und Weihnachtsrosen blühten vor den Fenstern, und ein wohlthuender Hauch häuslichen Friedens war über dasselbe ausgegossen.

Margaret, die älteste der vier Schwestern, war sechzehn Jahre alt und recht hübsch; sie war rund und hatte die zarte Gesichtsfarbe einer Blondine, grosse Augen, eine Fülle weichen braunen Haares, einen lieblichen Mund und weisse Hände, auf welche sie ein wenig eitel war. Die fünfzehnjährige Josephine war sehr hoch aufgeschossen und braun; sie erinnerte an ein Füllen und schien nicht recht zu wissen, was sie mit ihren langen Gliedern anfangen sollte, die ihr sehr im Wege waren. Sie hatte einen entschiedenen Mund, eine komische Nase und scharfblickende graue Augen, die alles zu sehen schienen und abwechselnd wild, schalkhaft oder gedankenvoll waren. Ihr langes dichtes Haar war ihre einzige Schönheit; aber es war gewöhnlich in ein Netz gesteckt, um ihr nicht im Wege zu sein. Josephine hatte runde Schultern, grosse Hände und Füsse; ihre Kleider hingen lose um sie herum, und sie glich einem Mädchen, das widerwillig rasch zur Frau heranwächst.

Elisabeth, oder Lieschen, wie sie allgemein genannt wurde, war ein rosenwangiges Mädchen von dreizehn Jahren, mit weichem Haar und glänzenden Augen; ihr Wesen war schüchtern, aber ihr friedlicher Ausdruck wurde selten getrübt. Ihr Vater nannte sie ,die kleine Stille,‘ und der Name war sehr bezeichnend für sie; denn sie schien in ihrer eigenen kleinen glücklichen Welt zu leben, aus welcher sie sich nur herauswagte, um sich mit den wenigen zu vereinigen, denen sie vertraute, und die sie liebte.

Amy, obgleich die jüngste der Schwestern, war eine höchst wichtige Persönlichkeit, wenigstens in ihrer eigenen Meinung. Ein rechtes Schneewittchen, mit blauen Augen und goldenem Haar, das in Locken auf ihre Schultern herabfiel. Sie war bleich und schlank und benahm sich immer wie eine junge Dame, die auf ihre Haltung und ihr Wesen achtet. Die Charaktere der vier Schwestern ausfindig zu machen, wollen wir dem Leser selbst überlassen.

Die Uhr schlug sechs, und Lieschen setzte, nachdem sie den Herd abgefegt, ein Paar Pantoffeln an’s Feuer, um sie zu wärmen. Es war, als wenn der Anblick der alten Schuhe eine gute Wirkung auf die Mädchen hätte; denn die Mutter musste gleich kommen, und jede machte ein freundliches Gesicht, um sie willkommen zu heissen. Margaret hielt in ihrer Vorlesung inne und zündete die Lampe an; Amy stand unaufgefordert aus dem Lehnstuhl auf, und Josephine vergass, dass sie müde war, richtete sich auf und hielt die Pantoffeln näher ans Feuer.

„Sie sind ganz abgetragen; die Mama muss ein Paar neue haben.“

„Ich dachte,“ sagte Lieschen, „ich wollte ihr für meinen Thaler ein Paar kaufen.“

„Nein, das werde ich thun,“ rief Amy.

„Ich bin die älteste,“ sagte Margaret, aber Josephine unterbrach sie in entschiedenem Tone: „Ich bin der Mann der Familie, jetzt da der Papa fort ist, und ich werde für die Pantoffeln sorgen, denn er trug mir auf, in seiner Abwesenheit besondere Sorge für Mama zu tragen.“

„Ich will euch sagen, was wir thun wollen,“ sagte Lieschen; lasst uns jede ihr etwas zu Weihnachten kaufen, und nichts für uns selbst.“

„Das sieht dir ähnlich, Lieschen!“ rief Jo. Was wollen wir kaufen?“

Jede dachte einen Augenblick ruhig nach; dann verkündete Margaret, als wäre ihr der Gedanke durch den Anblick ihrer eigenen hübschen Hände eingegeben worden: „Ich werde ihr ein Paar schöne Handschuhe kaufen.“

„Ein Paar Schuhe,“ rief Jo, die besten, die zu haben sind.“

„Einige gesäumte Taschentücher,“ sagte Lieschen.

„Ich werde eine kleine Flasche kölnisches Wasser kaufen; sie liebt es, und es wird nicht viel kosten, so dass mir etwas übrig bleibt, um eine Kleinigkeit für mich zu kaufen,“ fügte Amy hinzu.

„Wie wollen wir ihr die Sachen schenken?“ fragte Magaret.

„Wir wollen sie auf den Tisch legen, dann die Mutter hereinführen und zusehen, während sie die Pakete aufmacht. Erinnert ihr euch nicht, wie wir’s an unsern Geburtstagen zu machen pflegten?“ antwortete Josephine.

„Ich fürchtete mich so, wenn an mir die Reihe war, mit einem Kranze auf dem Kopfe auf dem grossen Sessel zu fitzen und euch alle herankommen zu sehen, um mir die Geschenke mit einem Kusse zu überreichen. Ich liebte die Sachen und die Küsse, aber euer aller Augen auf mich gerichtet zu sehen, während ich die Pakete öffnete, war schrecklich,“ sagte Lieschen, welche ihr Gesicht mit dem Brod zum Thee zugleich röstete.

„ Lasst die Mama denken, dass wir für uns selbst etwas kaufen, und sie dann überraschen. Wir müssen morgen Nachmittag unsere Einkäufe machen, Margaret; das Schauspiel für den Weihnachtsabend wird uns auch noch viel zu thun geben,“ sagte Jo, indem sie, die Hände auf dem Rücken und die Nase in der Luft, auf und abging.

„ Dies wird das letzte Mal sein, dass ich spiele, ich werde zu alt für solche Dinge,“ bemerkte Margaret, die noch ebenso sehr wie je zuvor ein Kind war, wenn es galt, einen Possen zu spielen.

„ Du wirst nicht aufhören, so lange du in einem weissen Schleppkleide mit wallendem Haar und Schmuck von Goldpapier einhergehen kannst. Du bist unsere beste Schauspielerin, und wenn du die Bühne verlässest,“ sagte Jo, „so ist alles zu Ende. Wir müssen eigentlich heute Abend eine Probe haben. Komm her, Amy, und spiele die Ohnmachtsscene, denn du benimmst dich darin so steif wie ein Stock.“

„Ich kann’s nicht ändern; ich habe nie jemand in Ohnmacht fallen sehen und will mich nicht braun und blau fallen, wie du. Ich werde versuchen, leicht hinzusinken, gelingt das nicht, so werde ich mit Grazie in einen Sessel fallen. Es ist mir gleich, ob Hugo mit einer Pistole auf mich zukommt,“ sagte Amy, die nicht mit dramatischem Talent begabt war, und die man nur gewählt hatte, weil sie klein genug war, um von dem Helden des Stückes schreiend hinausgetragen zu werden.

„Mach’ es so; ringe die Hände und wanke durch’s Zimmer, indem du wie wahnsinnig schreist: ,Rodrigo! rette mich! rette mich!‘“ Und Josephine spielte ihr die Scene vor, mit einem herzdurchdringenden Schrei.

Amy folgte, aber sie streckte die Hände steif vor sich her und bewegte sich stossweise wie eine Gliederpuppe. Bei ihrem Schrei dachte man an Nadelstiche, aber nicht an Furcht und Herzensangst. Jo stöhnte verzweiflungsvoll, und Margaret lachte laut auf, während Lieschen über dem Interesse, mit welchem sie dem Spass zusah, ihr Brod verbrennen liess.

„ Es kann nichts helfen, diese Scene noch länger zu probiren, spiele so gut du kannst, wenn der grosse Augenblick kommt, und wenn die Zuhörer dich auslachen, so mache mir keine Vorwürfe. Komm Margaret.“

Alles Uebrige ging ohne Anstoss. Don Pedro forderte in einer zwei Seiten langen Rede die ganze Welt heraus, ohne ein einziges Mal stecken zu bleiben; Hagar, die Hexe, sprach in schauerlichem Tone eine furchtbare Zauberformel über ihrem Kessel voll Kröten; Rodrigo zerriss männlich seine Ketten, und Hugo starb vergiftet unter Gewissensqualen mit einem wilden Schrei.

„ Dies ist das beste Stück, welches wir je gespielt haben,“ sagte Margaret, als der todte Bösewicht sich aufrichtete und sich die Ellbogen rieb.

„ Ich begreife nicht, wie du so herrliche Sachen schreiben und spielen kannst, Jo, du bist wirklich ein zweiter Shakespeare,“ rief Lieschen, die überzeugt war, dass ihre Schwestern mit ganz wunderbarem Genius begabt seien.

„ Nicht ganz,“ erwiederte Jo bescheiden. „Ich finde freilich auch, dass ,der Fluch der Hexe‘ ein ganz hübsches Stück ist; aber ich würde lieber Macbeth versucht haben, wenn wir nur eine Fallthür für Banquo hätten. Ich habe immer gewünscht, die Rolle des Mörders zu spielen. „Ist das ein Dolch, was ich da vor mir sehe?“ murmelte Jo, indem sie die Augen verdrehte und in die Luft griff, wie sie es bei einem berühmten Tragiker gesehen hatte.

„ Nein, es ist die Gabel zum Brotrösten mit Mama’s Schuh anstatt des Brotes. Lieschen ist ganz hingerissen,“ rief Margaret, und die Probe endete mit einem allgemeinen Gelächter.

„ Es freut mich, euch bei so heiterer Laune zu finden, meine lieben Mädchen,“ sagte eine freundliche Stimme auf der Thürschwelle, und Schauspieler und Zuschauer wandten sich um, um eine corpulente Dame zu bewillkommen. Der Ausdruck ihres Gesichtes war ein so mütterlicher und vertrauenerweckender, dass es eine Freude war, sie anzusehen. Sie war nicht eigentlich hübsch zu nennen; aber eine Mutter ist in den Augen ihrer Kinder immer schön, und den Mädchen schien die Mutter im schlichten grauen Mantel und altmodischen Hute die schönste Frau in der Welt.

„Nun, Kinder, wie ist’s euch heute ergangen? Es gab soviel zu packen, damit die Kisten morgen abgehen können, dass ich deshalb zum Mittagessen nicht zu Hause gekommen bin. Ist kein Besuch gekommen, Lieschen? Wie geht’s mit deiner Erkältung, Magaret? Jo, du siehst ja todmüde aus. Komm, Amy, gieb mir einen Kuss.“

Während sie sich so mütterlich nach dem Ergehen ihrer Kinder erkundigte, legte Frau March ihre nassen Kleider ab, zog ihre warmen Pantoffeln an, setzte sich in den Lehnstuhl und zog Amy auf ihren Schooss, um so die glücklichste Stunde ihres geschäftigen Tages zu geniessen. Die Mädchen eilten, jede in ihrer Weise, hin und her, um alles behaglich zu machen. Margaret deckte den Theetisch; Jo brachte Holz herein und setzte die Stühle zurecht, nicht ohne in ihrer unbeholfenen Weise hier einen Stuhl umzustossen und dort ein paar Stücke Holz fallen zu lassen. Lieschen trippelte stillgeschäftig zwischen Wohnzimmer und Küche hin und her während Amy die Hände in den Schooss legte und ihre Anweisungen gab.

Als die Familie sich um den Theetisch versammelte, sagte Frau March mit besonders glücklichem Ausdruck: „Nach dem Abendessen habe ich etwas Schönes für euch.“

Ein helles lächeln leuchtete wie Sonnenschein auf allen Gesichtern. Lieschen klatschte vor Freude in die Hände, ohne an den heissen Zwieback zu denken, den sie in der Hand hielt, und Jo schleuderte ihre Serviette in die Luft, indem sie ausrief: „Ein Brief! ein Brief! Papa lebe hoch! dreimal hoch!“

„Ja, ich habe einen schönen langen Brief von ihm. Es geht ihm wohl, und er hofft die kalte Jahreszeit besser zu überstehen, als wir fürchteten. Er sendet seine besten Grüsse und Wünsche zum Weihnachtsfeste, und für euch Mädchen enthält der Brief noch eine besondere Botschaft,“ sagte Frau March, indem sie auf ihre Tasche klopfte, als bärge sie einen grossen Schatz.

„Beeilt euch, dass wir fertig werden. Spiele nicht mit deinem kleinen Finger, Amy, und sitze nicht da, in Anschauung deines Tellers versunken,“ rief Jo, indem sie hastig ihren Thee trank und über ihrer Eile, den Brief zu hören, ihr Brot mit der Butterseite auf den Teppich fallen liess. Lieschen ass nicht mehr; sie schlich sich in ihren dunkeln Winkel, um an die kommende Freude zu denken, bis die andern fertig wären.

„ Wie schön war es doch vom Vater, als Feldprediger mitzugehen, da er zu alt und nicht stark genug war, um als Soldat zu dienen,“ sagte Margaret mit Wärme.

„ Ich möchte als Trommler, als Marketenderin, ja als Krankenpflegerin hingehen, könnte ich nur bei ihm sein und ihm helfen,“ rief Jo mit einem tiefen Seufzer.

„ Es muss sehr unangenehm sein, in einem Zelte zu schlafen, allerlei schlechte Kost zu essen und aus einem zinnernen Kruge zu trinken,“ seufzte Amy.

„ Wann wird er wieder heimkehren, Mama?“ fragte Lieschen mit einem leisen Zittern der Stimme.

„ Darüber können noch viele Monate vergehen, liebes Kind, wenn er nicht krank wird. Er wird bleiben, so lange er kann, und treulich seine Arbeit thun, und wir wollen ihn keine Minute früher zurückwünschen, als man ihn entbehren kann. Nun kommt und hört den Brief.“

 

Sie sammelten sich alle um das Kaminfeuer; die Mutter nahm ihren Platz im Lehnsessel ein, Lieschen setzte sich zu ihren Füssen, Margaret und Amy jede auf eine Armlehne und so stützte sich auf die Rückenlehne des Sessels, wo niemand etwaige Zeichen der Rührung in ihren Zügen bemerken konnte. In jenen harten Zeiten wurden wenige Briefe geschrieben, die nicht rührend waren, besonders wenn sie von Vätern in die Heimat gesandt wurden. In diesem jedoch war wenig von erlittenen Mühseligkeiten, bestandenen Gefahren oder Heimweh die Rede; es war ein heiterer, hoffnungsvoller Brief, voll Lebendiger Schilderungen des Soldatenlebens und Kriegsnachrichten; nur am Ende floss des Schreibers Herz von väterlicher Liebe und Sehnsucht nach seinen kleinen Mädchen in der Heimat über.

„ Bringe ihnen allen meinen innigen Gruss und Kuss. Sag’ ihnen, dass ich bei Tage ihrer gedenke und bei Nacht für sie bete, und dass mein bester Trost ihre Liebe ist. Ein Jahr lang getrennt zu bleiben, scheint uns hart, aber erinnere sie, dass wir alle während dieser Wartezeit arbeiten können, so dass diese schweren Tage nicht verloren sind. Ich bin überzeugt, sie werden sich alles dessen erinnern, was ich ihnen gesagt habe; sie werden dir liebevolle Töchter sein, treulich ihre Pflicht erfüllen, tapfer gegen ihre innern Feinde kämpfen und sich selbst zu überwinden suchen, so dass ich sie, wenn ich zurückkehre, wo möglich, noch mehr als zuvor lieben und auf meine ,kleinen Frauen‘ stolz sein werde.“

Alle räusperten sich bei diesem Theile des Briefes. Jo schämte sich der grossen Thräne nicht, die an ihrer Nase niederrann, und Amy vergass die Sorge für ihre Locken, als sie ihr Gesicht an der Schulter ihrer Mutter verbarg und schluchzend ausrief: „Ja, ich bin ein selbstsüchtiges Geschöpf! aber ich will versuchen mich zu bessern, damit er sich in mir nicht getäuscht sieht.“

„Das wollen wir alle,“ rief Margaret. „Ich denke zuviel an mein Aeusseres und hasse die Arbeit; aber es soll anders werden.“

„Und ich will mich bemühen ,eine kleine Frau‘ zu werden, wie er mich gern nennt. Ich will nicht mehr knabenhaft und wild sein, sondern meine Pflicht hier thun, anstatt mich anders wohin zu wünschen,“ sagte Jo, der es eine schwerere Aufgabe schien, zu Hause sanft und bei guter Laune zu bleiben, als draussen im Süden gegen ein paar Rebellen zu kämpfen.

Lieschen sagte nichts, aber sie trocknete ihre Thränen mit dem blauen Soldatenstrumpf und begann mit aller Macht zu stricken. Sie wollte ohne Zeitverlust die nächstliegende Pflicht erfüllen und beschloss in ihrem kleinen stillen Herzen, bis zur glücklichen Rückkehr ihres Vaters das zu werden, was er sich von ihr versprach.

Frau March unterbrach das Schweigen, welches Josephinens Worten folgte, indem sie in heiterm Tone sagte: „Erinnert ihr euch noch, wie ihr als ganz kleine Mädchen die „Pilgerreife‘ spieltet? Nichts machte euch mehr Spass, als wenn ich euch meine Flickenbeutel als Bürde auf den Rücken band, euch Hüte, Stöcke und Papierrollen gab. und euch vom Keller, ,der Stadt des Verderbens‘, bis oben auf’s Haus wandern liess. Dort oben hattet ihr alle möglichen schönen Dinge zusammengetragen, um eine ,himmlische Stadt‘ daraus zu erbauen.

„ Es war ein herrlicher Spass, besonders an den Löwen vorbeizugehen; dann der Kampf mit Apollyon und die Reise durch das Thal der Kobolde,“ sagte Jo.

„ Mir gefiel die Stelle am besten, wo die Bündel abfielen und die Treppe hinunterpolterten,“ sagte Margaret.

„ Mein Lieblingstheil war der, wo wir auf das platte Dach hinaustraten; dort standen unsere Blumen und hübschen Sachen im Sonnenschein, und wir sangen alle vor Freude,“ sagte Lieschen, die sich in Gedanken ganz in den glücklichen Augenblick zurückversetzte.

„ Ich weiss nicht mehr viel davon, ausgenommen, dass ich mich vor dem Keller und dem dunkeln Eingange fürchtete, und dass mir der Kuchen und die Milch, die wir oben auf dem Dache bekamen, herrlich mundeten. Wäre ich nicht zu alt für solche Dinge, so möchte ich’s gern noch einmal spielen,“ sagte Amy, die in dem reifen Alter von zwölf Jahren anfing davon zu reden, dass sie ,kindischen Vergnügungen‘ entsagen müsse.

„ Für dieses Spiel sind wir nie zu alt,“ sagte Frau March; auf die eine oder andere Weise spielen wir es unser ganzes Leben. Jeder hat seine Bürde zu tragen; der Weg liegt vor uns, und die Sehnsucht nach Güte und Glückseligkeit ist die Führerin, die uns durch viel Trübsal uud Irrthümer zum Frieden, der wahren ,Himmelsstadt‘, geleitet. Wie wäre es nun, meine kleinen Pilger, wenn ihr noch einmal von vorn anfinget, nicht im Scherz, sondern in allem Ernst, um zu sehen, wie weit ihr kommen könnt, ehe der Vater heimkehrt.“

„Ich verstehe dich nicht recht, Mutter; wo sind, denn unsere Bündel?“ fragte Amy, die alles sehr buchstäblich nahm.

„Hat mir nicht noch eben jede von euch gesagt, welches ihre Bürde ist, Lieschen ausgenommen? Ich vermuthe, sie hat gar keine Bürde zu tragen,“ versetzte Frau March.

„O ja, ich habe die meinige auch,“ seufzte Lieschen. „Es sind Schüsseln und Staubtücher und Neid auf junge Mädchen, die schöne Pianos haben, und Furcht vor den Leuten.“

Lieschens Bündel war so komisch zusammengesetzt, dass alle eine grosse Lachlust anwandelte; aber niemand lachte, um des kleinen Mädchens Gefühle nicht zu verlegen.

„Lasst uns an’s Werk gehen,“ sagte Margaret nachdenklich; es ist nur ein anderer Name für das Bestreben, gut zu werden, und die Geschichte hilft uns vielleicht; denn obgleich wir wirklich wünschen, gut zu werden, so ist es doch nicht leicht, und wir vergessen nur zu oft, alle unsere Kräfte daran zu setzen.“

„Heute Abend staken wir in dem Sumpfe der Muthlosigkeit, aber die Mutter kam und zog uns heraus, wie ,Hülfreich‘ es im Buche thut. Wir müssten eigentlich auch einen Führer haben wie Christian.“

„Wie können wir uns den verschaffen?“ fragte Jo, entzückt über diesen Einfall, welcher der einförmigen Aufgabe der Pflichterfüllung etwas Romantisches verlieh.

„Sucht am Weihnachtsmorgen unter euren Kopfkissen, so werdet ihr einen ,Wegweiser‘ finden,“ erwiederte Frau March.

Sie besprachen den neuen Plan, während die alte Hannah den Tisch abräumte; dann kamen vier Arbeitskörbchen zum Vorschein, und die Mädchen setzten ihre Nadeln in Bewegung, um für die Tante March Betttücher zu nähen. Es war eine langweilige Arbeit, aber heute beklagte sich niemand. Jo’s Plan, die langen Näthe in vier Theile einzutheilen und die Viertel Europa, Asien, Afrika und Amerika zu nennen, wurde genehmigt, und so ging die Arbeit trefflich von statten, besonders da sie sich über die verschiedenen Länder unterhielten, während sie mit der Nadel ihren Weg durch dieselben zurücklegten.

Um 9 Uhr hörten sie auf zu arbeiten, um wie gewöhnlich vor dem Zubettegehen ein Abendlied zu singen. Niemand anders als Lieschen konnte dem alten Clavier viel

Musik entlocken; sie aber wusste die gelben Tasten so sanft zu berühren, dass ihr Spiel zu den einfachen Liedern, die sie sangen, eine angenehme Begleitung bildete. Margaret befass eine wahre Flötenstimme, und sie und ihre Mutter leiteten den kleinen Chor. Amy zirpte wie ein Heimchen, und so erging sich nach Gefallen in den Lüften und verfehlte nicht, am unrechten Orte einen Triller oder Vorschlag anzubringen, der der ernstesten Melodie etwas Komisches gab.

Sie hatten so jeden Abend gesungen, seit die Kinder

„ Binke, Binke, keiner Tern,“

hatten sagen können, und es war nach und nach eine Sitte des Hauses geworden, denn die Mutter war eine geborene Sängerin. Der erste Ton, den man des Morgens hörte, war ihre Stimme, wenn sie, wie eine Lerche singend, durchs Haus ging, und der letzte Ton des Abends war ihr Schlummerlied, für welches die Mädchen nie zu alt wurden.

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