Einführung in die systemische Sandspieltherapie

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From the series: Carl-Auer Compact
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Vom Bild in eine Geschichte finden

Für Lowenfeld liegt eine »außerordentliche Kraft« der Sandspieltherapie darin, dass man nach dem Bau eines Sandbilds noch stark mit der gerade geschaffenen Szene verbunden ist, die man gleichzeitig von außen betrachten kann. Diesen besonderen Moment nutze ich zur Anregung einer Sandbildgeschichte: »Wenn das ein Moment aus einer Geschichte wäre, wie würde sie weitergehen?«

In den meisten Fällen greifen Kinder die Idee gerne auf, ihr Sandbild in Bewegung zu versetzen. Verstehen sie es als veränderbar, löst sich oft augenblicklich die Problemtrance auf, mit der zuvor auf das Bild geblickt wurde; es entstehen neue Ideen und Handlungsimpulse. Anschließend wird die Geschichte vom Kind selbsttätig weitergespielt und wirkungsvoll geankert. Durch Kommentare zum Spielgeschehen kann die Inszenierung noch verdichtet werden; selbstwertstärkende Botschaften können an Figuren gerichtet werden, mit denen sich das Kind identifiziert.

Bei der Begleitung der Sandbildgeschichten beziehe ich mich auf narrative Konzepte: Narrative Therapie versucht, Problemerzählungen zu dekonstruieren, die Menschen über sich erzählen (White 2010; White u. Epston 1993). Reframings führen neue Perspektiven ein, generalisierende Problemzuschreibungen werden durch eine Re-Kontextualisierung aufgelöst. Alternative Erfahrungen und Momente, die in den bisher dominierenden Erzählungen ausgeblendet wurden, werden hervorgehoben und erhalten besondere Aufmerksamkeit.

Im Sandspiel bauen Kinder ihre »Problemerzählungen« in den Sand. Werden Sandbilder in Bewegung gebracht, öffnen sich ihre Geschichten. Bei der Umsetzung von Lösungsideen entstehen Erfahrungen von Erstmaligkeit, »unique events«, die oft in eindrucksvollen Szenen haften bleiben. Parallel zum Probehandeln im Sand gelingt es vielen Kindern, Blockaden aufzulösen und in ihrer Entwicklung wieder voranzukommen.

Abschluss und Veröffentlichung der Sandbilder

Ist im Sand ein gutes Ende entstanden, bietet es sich an, in die Szene hineinzusprechen und das Geschehen für das Kind noch einmal zusammenzufassen. In einer kleinen Trance kann bekräftigt werden, wie gut die Geschichte ausgegangen ist. Dies kann aus der Sicht einer beteiligten Figur geschehen oder auch aus der Außenperspektive eines Vogels, der vielleicht von einem Baum aus zuschaut.

»… und das kleine Einhorn im Sand schaut zu dem Schwan … und es freut sich, dass endlich jemand merkt, dass sein Flügel wieder heil ist … wie wohl er sich fühlt und kräftig … lebendig und stark …

Es schaut zu, wie der Schwan sich bewegt und seine Flügel aufspannt … und auf einmal losschwebt, schwerelos … sich tragen lässt … spürt, wie die Sonne seine Flügel wärmt … und es genießt umherzufliegen … ganz leicht und frei … und auch das Einhorn spürt die Wärme der Sonne und streckt sich und steht auf …«

Ist die Handlung beendet, wird das Abschlussbild fotografiert und die Geschichte für das Kind festgehalten. Viele Kinder formulieren ihre Geschichten gern selbst und geben ihnen einen Titel. Häufig gewählte Einleitungen wie »Es war einmal« tragen dazu bei, belastende Erlebnisse in der Vergangenheit zu verorten und von der Gegenwart abzugrenzen.

Im klassischen Setting der Sandspieltherapie werden Sandbilder den Eltern nicht gezeigt, sondern verbleiben im Raum der Einzeltherapie. Orientiert an einem systemischen Therapieverständnis,5 lasse ich Kinder dagegen selbst entscheiden, ob sie ihr Sandbild zeigen möchten oder nicht. Eltern definiere ich dabei als Besucher in der Therapiestunde des Kindes (»Ihr Sohn lädt Sie ein, einmal zu schauen …«) und stelle dem Kind frei, ob es »nur schauen« oder auch etwas zu seinem Bild erzählen möchte. Die Eltern bereite ich schon bei Therapiebeginn darauf vor, Sandbilder nicht zu »zerreden« oder vor dem Kind Bezüge zur Realebene herzustellen.

Die Öffnung des Settings kann viel dazu beitragen, Eltern einen emotionalen Zugang zum Erleben des Kindes zu ermöglichen. Oft entsteht eine vertiefte Kommunikation in der Familie.

MARIE möchte ihre Sandbilder am Ende der Stunden ihrer Mutter zeigen. Die Eltern sind überrascht, dass die Fehlgeburt für sie noch so wichtig zu sein scheint. Gespräche hierüber werden angeregt. Gleichzeitig teilt Marie auf Symbolebene mit, dass die Zeit der Sorgen um sie vorbei ist: Die Sperren, die um den Schwan aufgestellt sind, können wieder entfernt werden. Die Kinder gehen dabei voran.

Übersicht: Bilder in Bewegung bringen

 • Das Sandspiel erklären: »bauen« statt »spielen«.

 • Kontakt zum Sand ermöglichen, Tranceprozessen Raum geben.

 • Das fertige Sandbild auf einem Foto festhalten.

 • Es gemeinsam betrachten und beschreiben lassen.

 • Wünsche und Bedürfnisse erkunden; Suchprozesse in Richtung einer gewünschten Lösung anregen.

 • Das Sandbild als Momentaufnahme kennzeichnen: »Wie könnte die Geschichte weitergehen?«

 • »Über Bande spielen«: Wertschätzende Kommentare zu Spielfiguren richten sich indirekt an das Kind.

 • Abschlussfoto; Geschichte notieren.

Sandbilder als Brücke in die Familientherapie

Sandbilder ermöglichen es Kindern, Anliegen in die Therapie einzubringen, die oft sprachlich von ihnen nicht benannt werden könnten. Dies beteiligt sie an der Auftragsklärung, die von Elternseite her meist auf eine Beseitigung von Symptomen ausgerichtet ist (Rotthaus 2003). Solche Aufträge können nach systemischem Verständnis nicht unhinterfragt angenommen werden: Symptome werden systemisch auch als Weg verstanden, über den ein Kind Bindungsbedürfnisse zum Ausdruck bringen und auf Veränderungsbedarf in der Familie hinweisen kann (Retzlaff 2013; Grossmann 2018; Wagner u. Binnenstein 2018). Ein Vorgehen mit einer Haltung von Allparteilichkeit und flexiblem Setting kann dazu beitragen, solche Anliegen aufzugreifen und Entwicklungsprozesse in Familien anzustoßen.

JAKOB, 9 JAHRE alt, stellt in einem Sandbild dar, wie sich Vogeleltern um ihren Nachwuchs kümmern: Während ein Vogel brütet, holt der andere Futter herbei. Besorgt schildert Jakob, dass die Küken sterben müssten, wenn einer der Vogeleltern ausfiele. Dies führt zu seiner Angst um den Vater, der (scheinbar heimlich) trinkt, und dem Dilemma, dass sich die Eltern trennen könnten, wenn seine Mutter von seinen Sorgen wüsste (Brächter 2010, S. 184 ff.)

NATASCHA, die mit 8 JAHREN außerhalb der Familie nicht spricht, lässt in ihren Sandbildern eine Schildkröte Zeugin bedrohlicher Szenen werden. Da die Schildkröte stumm ist, kann sie die anderen nicht warnen.

In einer Therapiestunde konfrontiert Natascha ihren Vater mit einem Sandbild, das er mit massiven und teils gewalttätig ausgetragenen Ehekonflikten in Verbindung bringt. Nachdem das Schweigen durch das Sandbild gebrochen wurde, können die Eltern in einem längst überfälligen Trennungsprozess begleitet werden (Brächter 2010, S. 85).

Sorgen, mit denen Kindern beschäftigt sind, lassen sich an ihrem nach außen gezeigten Verhalten nicht ablesen. Ihnen hierfür eine Mitteilungsmöglichkeit zur Verfügung zu stellen, unterscheidet systemische Sandspieltherapie grundlegend von rein störungsspezifischen, manualisierten Konzepten.

Oft werden Eltern angeregt, sich mit eigenem, von ihnen nicht gewünschtem Elternverhalten auseinanderzusetzen. So kann sich ein Vater in einem Stein wiedererkennen, der beinah kleine Tiere überrollt. Das Bild hilft ihm, sich im Kontakt zu seinem Sohn zurückzunehmen und besser auf dessen Tempo einzustellen (Brächter 2010, S. 84 ff.).

2.2 Narratives Sandspiel mit Familien

Sandspieltherapie lässt sich auch in der systemischen Arbeit mit Familien nutzen. Neben der Gestaltung von Familienskulpturen im Sand (siehe Kap. 3.1) bietet sich die Möglichkeit, gemeinsam Sandbilder zu bauen und hieraus Geschichten zu entwickeln.

Familiensandbilder werden teils auch in der Sandspieltherapie nach Dora Kalff erstellt. In der Regel werden sie von allen gleichzeitig schweigend gestaltet, ohne dass die Sandfläche aufgeteilt oder ein besonderes Vorgehen abgesprochen würde (vgl. zum Beispiel Heinzel-Junger 2018). Anschließend werden die Sandbilder gemeinsam betrachtet, aber nicht verändert.

Gemeinsam konstruierte Sandbildgeschichten

Im narrativen Sandspiel werden auch Familiensandbilder in Bewegung versetzt; Geschichten, die aus ihnen entstehen, werden gemeinsam weitergespielt. Bei der Gestaltung der Sandbilder nutze ich ein Vorgehen, das auch jüngeren oder ängstlichen Kindern einen Einstieg erleichtert (»gemeinsam konstruierte Sandbildgeschichten«, Brächter 2010, S. 106 ff.). Reihum stellen Eltern und Kinder Objekte in den Sand, wobei ich mich eingangs beteilige und den Eltern in der Regulierung des Tempos und der Ansprache an das Kind als Modell diene. Zunächst wird die Umgebung gebaut, später werden Figuren hinzugefügt. Fällt es einem Kind noch schwer, zu sprechen und selbst etwas auszuwählen, helfe ich ihm durch ein »Ratespiel«, welche Figur es wohl anschaut und wohin sie gestellt werden soll. Das ruhige und strukturierte Vorgehen bietet Eltern und Kindern viel Sicherheit; von Runde zu Runde beteiligen sich auch zurückhaltende Kinder aktiver an der Gestaltung.

 

Ist das Sandbild abgeschlossen, wird gemeinsam überlegt, wie die Geschichte weitergehen könnte. Das Kind verteilt anschließend die Rollen zum Weiterspielen. Oft erhalten Eltern Rollen, in denen sie es bei symbolischen Entwicklungsschritten unterstützen können.

JÜRGEN, 4 JAHRE alt, ängstlich und in der Sprachentwicklung verzögert, neigt im Alltag zu heftigem Schreien, bei dem er von den Eltern kaum zu beruhigen ist. Beim Sandspiel wagt er es anfangs nicht, selbst Figuren zu wählen; stattdessen nutzt er die Hand seiner Mutter als »Baggerschaufel«. Schließlich stehen zwei Lämmchen vor einem Tunnel, als wollten sie ihn durchqueren. Jürgen gibt zu verstehen, dass der Vater mit dem größeren Lamm vorausgehen soll, während die Mutter als Hirtin bei seinem kleinen Lämmchen bleiben soll. Mir wird – wie oft – eine Nebenrolle zugeteilt: Als Zwerg schaue ich nur zu. Nachdem der Vater seine Figur durch den Tunnel geführt hat, schiebt er auch Jürgens Lämmchen hinein. Mit der Frage »Kommst du schon dran?« motiviert er ihn, es selbst aus dem Tunnel zu ziehen. Stolz blickt Jürgen auf die beiden Lämmchen, die es geschafft haben, und strahlt seine Eltern an.

Im Nachgespräch beschreiben die Eltern, wie wichtig es für sie war, Jürgen im Spiel gut geführt und begleitet zu haben. Wie bei vielen in der Erziehung eher unsicheren Eltern wirkt diese Erfahrung noch lange nach.6

Statt kurze Handlungssequenzen abzusprechen und umzusetzen, lassen sich Sandbildgeschichten mit älteren Kindern und Jugendlichen auch in einem offenen Prozess entwickeln, in dem die Spielhandlung im Verlauf entsteht. Im Gegensatz zum stützenden Sandspiel agieren die Eltern hierbei nicht vorrangig in einer Hilfsrolle für ihr Kind, sondern können sich auch mit eigenen Verhaltensimpulsen auseinandersetzen. Als Therapeutin wirke ich nicht aktiv mit, sondern beschränke mich auf Kommentare zum Spielgeschehen.

Das Vorgehen wird strukturiert, indem die Mitspielenden abwechselnd ein paar Sätze erzählen und die Handlung folgen lassen. Im Unterschied zu Familienskulpturen (siehe Kap. 3.1) und zur Kinderorientierten Familientherapie (siehe Kap. 4.2) begegnen sie sich dabei nicht mit fest zugeordneten Stellvertreterfiguren, sondern bewegen spontan Figuren, die im Sandbild vorhanden sind. Die flexible Rollenwahl ermöglicht es, unterschiedliche Aspekte des eigenen Erlebens auf Figuren aufzuteilen. Da die fiktive Ebene einer Geschichte Abstand zum Geschehen schafft, können tabubehaftete Seiten des eigenen Verhaltens leichter in Szene gesetzt werden.

BEN, 6 JAHRE alt, hat miterlebt, wie ihn seine Mutter nach einer Frühgeburt und anschließender Erkrankung der jüngsten Schwester immer wieder verlassen musste, um die Klinik aufzusuchen. Mit seinen Gefühlen von Angst und Verlassensein blieb er allein und konnte sich auch dem Vater nicht mitteilen, der selbst in Sorge war. Später entluden sich Bens Spannungen in einem Wechsel von Aggressionen und übergroßer Angst um die jüngeren Geschwister. Zu Therapiebeginn leidet er unter Albträumen; die Mutter-Sohn-Beziehung ist starken Belastungen ausgesetzt.

Im gemeinsamen Sandspiel mit seiner Mutter lässt Ben immer wieder Raubtiere um Nahrung kämpfen, dabei greifen sie auch kleine Tiere an. Anschließend wechselt er blitzschnell in Rollen, in denen er die bedrohten Tierkinder beschützt. In reflektierenden Kommentaren spiegle ich mögliche Gefühle und Bedürfnisse der Figuren.

An die Mutter gewandt, beschreibe ich die Angst, die die kleinen Tierkinder empfinden müssen, und bewundere die mutigen Tiere, die sich den Raubtieren in den Weg stellen. Im Selbstgespräch frage ich mich auch nach den Motiven, die die Raubtiere wohl antreiben – die mentalisierungsfördernde Art der Gesprächsführung, die Eia Asen (2021) für die systemische Arbeit mit Familien beschreibt, beziehe ich im Spiel auf die Figuren im Sandkasten.

Die Mutter teilt meine Wahrnehmungen und Fragen. Im Gegensatz zum Alltag kann sie sich ganz auf Ben einlassen, ohne sich um die jüngeren Geschwister zu sorgen; durch ihr Mitspielen trägt sie seine Emotionen mit und gibt ihm zu verstehen, dass er all dies fühlen und ausdrücken darf. Ein bedeutender Schritt ist erreicht, als der verzweifelte Kampf um Nahrung als Folge einer Hungersnot verstehbar wird: Wölfe kommen, um ihr Futter mit einem Panther zu teilen.

In ihrem letzten gemeinsamen Sandbild gestalten Mutter und Ben eine Bauernhofszene, die ruhig und friedlich wirkt; Raubtiere und Kampf sind als Themen verschwunden. Es kommt zu einem eindrucksvollen Moment, als Ben eine verletzte Katze spielt: Erstmals kann er seine Hilfsbedürftigkeit zeigen, ohne sofort selbst rettend zu intervenieren. Die Mutter spielt eine Bäuerin, die dies zwar sieht, aber so mit ihrer Arbeit beschäftigt ist, dass sie der Katze nicht helfen kann. Nachdem sie dies ausgesprochen hat, wechselt sie in die Rolle eines Stallburschen, der zur Katze geht und den Tierarzt ruft. Als der Arzt die Katze untersucht, kommt die Bäuerin hinzu. In der Rolle der Bäuerin spricht die Mutter einen Satz aus, der für Ben sehr wichtig ist: Sie habe gar nicht mitbekommen, wie stark die Katze verletzt war.

Im Anschluss an diese berührende Szene endet die Geschichte mit einer gemeinsamen Handlung: Mutter und Ben kümmern sich um den Stallburschen, der beim Beschlagen der Pferde von einem Huf getroffen und verletzt wurde (Abb. 3) (Brächter 2020).


Abb. 3: Der Stallbursche wird versorgt

Übersicht: Gemeinsam konstruierte Sandbildgeschichten

 • Reihum werden von Eltern und Kind Gestaltungselemente und Figuren in den Sand gesetzt (eingangs Mitwirkung der Therapeutin).

 • Anschließend wird die Szene betrachtet, die im Sandbild entstanden ist.

 • Es wird überlegt, wie die Geschichte weitergehen könnte.

 • Dabei wird dem Kind die Führung überlassen, die Eltern unterstützen es.

 • Das Kind verteilt die Rollen zum Weiterspielen, und die Geschichte wird umgesetzt.

Variante:

 • Abwechselndes »Weitererzählen« und Weiterspielen mit jeweils spontan gewählten Figuren.

2 Die Fallbeispiele wurden anonymisiert; Namen und Details wurden verändert, um ein Wiedererkennen von Personen auszuschließen.

3 Das im Weiteren Dargestellte gilt auch für Sandspieltherapie mit Jugendlichen und Erwachsenen.

4 Zum Vorgehen bei Traumatisierungen vgl. 4.1.

5 Vgl. zur »Transparenz« als Leitlinie systemischer Kindertherapie Schmitt und Weckenmann (2009).

6 Die Szene berührt auch ein geburtstraumatisches Erlebnis, für das ein gutes Ende gefunden wird; vgl. Brächter 2010, S. 108 ff.

3 Systemische Arbeit mit Sandbildskulpturen
3.1 Familienskulpturen im Sand

Skulpturen nutzt man in der systemischen Therapie dazu, die Beziehungen zwischen den Mitgliedern eines Systems abzubilden und aus einer Metaposition zu reflektieren; geachtet wird dabei auf Abstand und Blickrichtung der Figuren. Das bekannteste Instrument hierzu ist das Familienbrett (Ludewig u. Wilken 2000).

Werden Skulpturen in den Sand verlegt, gehen die Darstellungsmöglichkeiten weit hierüber hinaus. Der Sand lädt dazu ein, auch die Umgebung der Figuren zu gestalten. Hierdurch erhalten die Skulpturen einen sehr bildhaften Ausdruck; oft sind sie nach dem Aufbau nicht von frei gebauten Sandbildern zu unterscheiden. Um dies zu kennzeichnen, habe ich sie »Sandbildskulpturen« genannt (Brächter 2010, S. 87 ff.). Jüngeren Kindern hilft die anschauliche, weniger abstrakte Darstellungsweise, sich aktiv am Geschehen zu beteiligen.

Oft ergibt die Gestaltung der Umgebung Hinweise auf den Kontext des Beziehungsgeschehens; äußere Belastungen, die in die Familie hineinwirken, können sichtbar werden.

HERR N., der in der Familie oft sehr impulsiv reagiert hat, legt einen Haufen Steine hinter seine Figur, um den bei seiner Arbeit empfundenen Druck darzustellen. Er bringe ihn oft mit nach Hause und könne es nicht ertragen, wenn es auch dort noch laut sei. Die Externalisierung der Belastung hilft den anderen, sich in die Situation des Vaters einzufühlen. Gemeinsam wird überlegt, wie der Raum der Familie vor den anrollenden Steinen geschützt werden kann. Um sie herum wird ein Grünstreifen angelegt.

Mit Unterstützung seiner Frau beschließt Herr N., sich nach der Arbeit eine Auszeit für einen Spaziergang zu nehmen oder sich zu Hause bewusst kurz zurückzuziehen.

Auch lebensgeschichtlich erworbene Belastungen können externalisiert werden. Dies bietet sich besonders an, wenn Eltern so stark mit eigenen Themen beschäftigt sind, dass sie für aktuell zu klärende Situationen mit ihren Kindern nicht offen sein können.

FRAU L. beschreibt, dass ihre 9-jährige Tochter ständig ihre Aufmerksamkeit suche, hierdurch gebe es viele Konflikte. Als sie im Gespräch über die Familienskulptur mehrfach die Bildebene verlässt und ihre zahlreichen Belastungen beklagt, fordere ich sie auf, hierfür Gegenstände zu suchen. Frau L. umgibt ihre Figur mit »Problemfässern«, die sie teils schon in ihrer eigenen Therapie geöffnet habe, die teils aber auch noch verschlossen seien. Dass ihre Probleme jetzt in der Skulptur sichtbar sind und gewürdigt werden, ermöglicht es ihr, sich der Tochter zuzuwenden. Beim Betrachten der Skulptur wird ihr deutlich, wie viele »Problemfässer« zwischen beiden stehen, für die ihre Tochter keine Verantwortung trägt. Bei der Weiterarbeit mit der Skulptur werden die Fässer umgruppiert und abtransportiert.

Für die gewünschte Beziehungsqualität, die in guten Momenten auch jetzt schon zu spüren ist, wird ein Eichhörnchen in die Mitte gesetzt (Brächter 2018 b, S. 167 f.).

Bei Sandbildskulpturen achte ich besonders darauf, was zwischen den Figuren steht. Da im Sand auch dieser Raum geformt werden kann, ergibt sich eine Externalisierung von Beziehungsthemen: Figuren nehmen sich möglicherweise nicht wahr, weil ein hoher Gebirgszug sie voneinander trennt; eine Brücke aus Eis, die vom Nordpol zu einem Gebiet mit Palmen führt, kann nach einer schwierigen Phase im Familienleben noch zu brüchig sein, um die Figuren zu tragen. Auf Bildebene wird gleichzeitig eine Suche nach Lösungen angeregt: Welcher Weg könnte über das Gebirge führen? Bei der Umgestaltung der Skulptur kann ein solcher Weg gebaut werden; Eltern und Kinder können gemeinsam beginnen, die Eisbrücke mit Steinen zu befestigen und aufeinander zuzugehen.

Auch unter einer Ego-State-Perspektive (siehe Kap. 3.3) bietet es sich an, Familienskulpturen in den Sand zu verlegen. Im Unterschied zu den neutralen Holzfiguren des Familienbretts zeigen Sandspielfiguren, in welchen Ich-Zuständen sich die Familienmitglieder begegnen. Sie können sich als Raubtiere gegenüberstehen; Frauen können Tänzerinnen, Piratinnen oder Königinnen sein. Durch die Figurenwahl werden bestimmte Seiten der Personen hervorgehoben; verschiedene Klimazonen in einer Skulptur unterstreichen die aktivierten Ego-States.

Familienskulpturen werden meist unter einer Fragestellung gebaut, die mit einem Problem verknüpft ist. Die oft sehr ausdrucksstarken Sandbildskulpturen können problemverstärkend wirken, wenn man glaubt, in ihnen gesehen zu haben, wie die Familie »wirklich« ist. Mir ist es daher wichtig, sie als Ausschnitt unter einem Problemfokus zu kennzeichnen: Zu anderen Zeiten könnte ein Bild der Familie auch völlig anders aussehen.

Der bildhafte, der Realität entrückte Charakter vieler Sandbildskulpturen erleichtert gleichzeitig eine Lösungssuche. Er regt dazu an, die Szene spielerisch weiterzuführen. Oft lädt bereits die Gestaltungsmöglichkeit der Umgebung dazu ein, Ressourcen zu aktivieren und Lösungsmetaphern in Szene zu setzen.

 

MIA, 9 JAHRE alt, beschreibt zu Therapiebeginn eine Stimme, die ihr vorschreibt, was sie tun müsse. Der Alltag ist bestimmt von vielen Zwangshandlungen. Als größte Belastung wirkt dabei die Schlafsituation: Mia schläft nur im Bett der Mutter und muss sie immer wieder in einer bestimmten Abfolge berühren, wenn sie einschläft oder nachts aufwacht. Die Mutter erscheint durch die vielen Störungen und die erzwungene Nähe am Rand ihrer Kräfte.

In einer Familienskulptur stellt Mia die Familienmitglieder als kleine Tiere dar, die sie dicht zueinanderlegt und liebevoll mit Blättern zudeckt. Für sich selbst wählt sie ein Eichhörnchen. Während die Tiere schlafen, passt eine Fee auf sie auf. Begleitet von einem Einhorn, geht die Fee nachts im Bogen an den Tieren vorbei. Dabei sammelt sie Sorgensteine und schlechte Erinnerungen auf, die auf dem Weg verwandelt werden: Auf der rechten Bildseite sammeln sich Glückssteine, die für liebevolle Momente mit anderen und für schöne Situationen stehen, die man für sich allein erlebt (Abb. 4).


Abb. 4: Die Fee beschützt den Schlaf

In einer späteren Skulptur sind Fee und Einhorn bei einem Spielhaus angekommen, in dem Mia mit ihrem Bruder spielt. Mit ihm teilt sie sich inzwischen ein Zimmer, in dem sie in den meisten Nächten gut schlafen kann. In der Sandbildskulptur hat die Familie einen Baum gepflanzt, der dem Eichhörnchen Nahrung gibt.

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