Verarztet! Verpflegt! Verloren?

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5 Pflege zu Hause

Sonntag. Schönes Wetter. Mit Marianne und Zofia hatte ich vereinbart, heute nicht bei ihnen vorbeizuschauen. Das Thema der Medikamentenversorgung ließ mir aber keine Ruhe. Am Montag müsste ich nicht nur „eigentlich arbeiten“. Ich hatte sogar Termine, würde folglich wenig Zeit für die Medikamentenbeschaffung haben, wenn ich meine Arbeit wirklich erledigen wollte. Ich beschloss, dem Arzt einen Brief zu schreiben und diesen zusammen mit dem Arztbrief noch heute im Briefkasten des Arztes zu deponieren. Im Schreiben schilderte ich kurz die Lage, die Notwendigkeit einer fortlaufenden Medikamentenversorgung betonend, druckte den Brief aus, machte mir noch eine Kopie des Arztbriefes und schwang mich auf das Motorrad, um meinen Brief zusammen mit dem Arztbrief an den Hausarzt von Marianne persönlich auszuliefern. Zumindest konnte ich so das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Beim Arzt angekommen, fand ich einen völlig überfüllten Briefkasten vor. Mehrere Werbezeitungen quollen aus dem Kasten heraus. Ich kannte das Phänomen. Auch meine Mutter bekam zu jedem Wochenende mindestens vier dieser kostenlosen Zeitungen. Ohne nennenswerten Informationsinhalt, dafür vollgepackt mit Prospekten von Discountern, Elektronikmärkten, Baumärkten etc. Die wanderten gewöhnlich bei uns direkt in den Altpapiermüll, mussten nur vorher akribisch untersucht werden, ob sich nicht „wirkliche Post“ in dem Papierberg versteckte. Um zumindest einigermaßen sicherzustellen, dass der Brief auch auffiel, nahm ich einige Zeitungen heraus und tauschte sie gegen den Brief aus. Aber da waren noch Zeitungen, an die ich nicht herankam. Sicher sein, dass der Brief den Weg auf den Schreibtisch des Arztes fand, konnte ich also immer noch nicht. Ich entschloss mich, am Montag früh gleich noch telefonisch nachzuarbeiten. Deshalb prägte ich mir noch die Sprechstundenzeiten ein.

Am späten Nachmittag rief mich meine Mutter an. Nach einigen eher klagenden Worten übergab meine Mutter den Hörer an ihre Pflegerin. Zofia teilte mir mit, dass es hilfreich wäre, wenn meine Mutter zum Transport in der Wohnung einen Rollstuhl hätte. Ich versprach mich am Folgetag darum zu kümmern, heute, sonntags konnten wir nichts mehr bewegen. Und der Brief an den Hausarzt war ja schon zugestellt.

Montagmorgen, pünktlich zum Beginn der Sprechstunde wählte ich die Nummer der Praxis. Besetzt. Wiederholte Versuche ergaben immer wieder das gleiche Ergebnis. Besetzt. Endlich, ca. eine Stunde nach der Praxisöffnung und beim gefühlt zwanzigsten Versuch kam ich endlich durch. Ich schilderte der Sprechstundenhilfe die Situation. Sie entgegnete, dass die Post noch nicht durch sei. „Üblicherweise machen wir das immer erst am Nachmittag.“

Ich wies auf die Dringlichkeit bzgl. der Medikamentenversorgung hin. Mit dem beruhigenden Hinweis, sie werde tun was möglich wäre, beendete die Sprechstundenhilfe das Gespräch. Um etwas Zeit zu gewinnen, rief ich zur Sicherheit in der Apotheke an. Es reichte ja nicht, wenn der Arzt die Medikamente bis zum Abend verschrieb. Sie mussten ja auch noch geliefert werden. Und dazu mussten sie ja vorrätig sein oder vorher noch beschafft werden. „Mein Anliegen mag vielleicht etwas ungewöhnlich sein, aber meine Mutter müsste heute Abend noch mit Medikamenten versorgt werden.“ Die würden hoffnungsfroher Weise durch Dr. Fischer verordnet und das Rezept vorher durch die Praxis bei der Apotheke abgegeben. Ich würde sie bitten zu prüfen, ob die gleich von mir durchgegebenen Medikamente vorrätig wären. „Wenn nicht, bitte ich Sie, zumindest eine kleine Packungsgröße zu bestellen.“ Dann gab ich die Namen der Medikamente durch, die meine Mutter nicht vorrätig hatte.

In der Mittagspause, ich war gerade dabei, im Drogeriemarkt einige Artikel zu besorgen, die Zofia, die Pflegerin meiner Mutter, mir telefonisch am Vortag durchgegeben hatte, um die von Dekubitus betroffenen Stellen meiner Mutter zu versorgen, klingelte mein Handy. Von Dekubitus war im Arztbrief im Übrigen keine Rede gewesen. Weder zum Symptom, noch zu einer weiterzuverfolgenden Therapie, noch zur Therapie notwendiger Mittel fand sich auch nur ein Wort. Hier musste sich der Patient bzw. sein Umfeld eigenständig kümmern, bis sich der Hausarzt das Problem angesehen hatte. Offenbar ist die Behandlung von Dekubitus ein Problem, das man auch mal liegen lassen kann. Doch zurück zum Handy. Eine Sprechstundenhilfe der Hausarztpraxis war die Anruferin. Sie übermittelte mir die freudige Nachricht, dass sie die Medikamente soweit der Hausarzt sie verordnen konnte, verordnet hatten und das Rezept in der Apotheke abgegeben sei. „Moment“, sagte ich. „Was bedeutet das, soweit der Hausarzt sie verordnen könne?“

„Die Neurologika muss ein Neurologe verordnen“, teilte mir die Dame mit. Wie der Arztbrief bzw. der anhängende Medikamentenplan zu einem Neurologen kommen könnte, konnte die Dame mir auch nicht sagen. Damit war das Gespräch beendet.

Ich öffnete das Kontaktmenü meines Handys, gab als Suchbegriff Dr. Kloos, den Namen des Neurologen meiner Mutter, ein und wählte die zugehörige Nummer. Sekunden später meldete sich eine Frauenstimme. Ich nannte meinen Namen und bat, zu Dr.

Kloos durchgestellt zu werden. Das klappte überraschenderweise auch. Offenbar etwas verwundert nahm Dr. Kloos meine Schilderung mit Fokus auf die Weigerung des Hausarztes Neurologika zu verschreiben, zur Kenntnis. Er fragte mich, ob ich um 14:30 Uhr bei ihm in der Ambulanz vorbeikommen könne? „Das kann ich einrichten“, antwortete ich und legte somit meinen Restarbeitstag umgehend ad acta. Zurück im Büro stornierte ich meine Nachmittagstermine und informierte meine Kollegen.

Gegen 13:45 Uhr machte ich mich auf den Weg in die Tiefgarage, fuhr zum Krankenhaus und wanderte in die neurologische Ambulanz. Dr. Kloos bat den nächsten Patienten gerade in sein Sprechzimmer, mich in einen Nebenraum und fragte mich, um welche Medikamente es sich denn handeln würde. Ich zählte die von mir als Neurologika vermuteten Medikamente aus dem Gedächtnis auf, bat Dr. Kloos jedoch den Entlassungsbericht aufzurufen, da ich mir bzgl. der konkreten Wirkungsstärken der Medikamente nicht sicher sei. Er bat mich etwas zu warten, verließ den Raum und kam nach knapp 10 Minuten mit einem Blatt Papier in der Hand zurück. Am Schreibtisch markierte er einige Positionen, stand auf, bat mich ihm zu folgen und führte mich in einen weiteren Raum. Hier saß eine Assistentin, die er instruierte, mir Verordnungen für die markierten Medikamente auszustellen. Er wollte sich schon verabschieden, als ich ihn noch auf das Thema Schlucktherapie ansprach. Nachdem er seine Assistentin gebeten hatte, auch dafür eine Verordnung auszustellen, verabschiedete er sich diesmal erfolgreich mit einem Hinweis auf wartende Patienten.

Ausgestattet mit einem Packen von Rezepten marschierte ich in die Apotheke, reichte die Rezepte ein und bat die Apothekerin die Medikamente noch am Abend an die Adresse meiner Mutter zu liefern. Für einen Besuch beim Hausarzt hatte die Zeit nicht mehr gereicht, also fuhr ich zu meiner Mutter, um zu schauen, wie ihre Verfassung war und wie sie und Zofia miteinander zurechtkamen.

Mariannes Zustand war auf keinen Fall besser geworden. Das Aufstehen und Gehen fiel ihr deutlich schwerer als noch am Samstag. Zudem fiel ihr das Essen schwer, ob aufgrund ihres nicht mehr gut passenden Gebisses oder wegen parkinsonbedingter Schluckbeschwerden war natürlich nicht zu sagen. Ich versprach Zofia, mich unverzüglich um die Probleme zu kümmern. Aber morgen, heute war es schon nach 18:00 Uhr.

Auch Dienstag meldete ich mich zeitig, gegen Mittag, bei meiner Arbeit ab. Erst fuhr ich zu meiner Mutter, um 16:00 Uhr saß ich dann im Wartezimmer ihres Hausarztes. Ob es Pech war oder die Sprechstundenhilfe unsere Begegnung vor der Tür noch nicht vergessen hatte, sei dahingestellt. Um 18:30 Uhr saß ich noch immer da, war aber noch guter Hoffnung. Einerseits war ich mittlerweile der Letzte im Wartezimmer, andererseits war um 18:30 Uhr offiziell Sprechstundenende. Und die Assistentinnen und der Arzt wollten ja wahrscheinlich auch nach Hause. Gegen 18:45 Uhr saß ich dann tatsächlich im Sprechzimmer dem Arzt gegenüber. Ich sprach zuerst nochmals das Thema der nicht verordneten Neurologika an und hatte sogar Verständnis für die vom Arzt vertretene Position. Die Neurologika waren offenbar sehr teuer und budgetbelastend. Der Hausarzt hatte kein Verständnis dafür, dass das Krankenhaus die Neurologika nicht über die neurologische Ambulanz verschreiben ließ, die laut seiner Aussage keinerlei diesbezügliche Budgetrestriktionen hatte. Für meine Verärgerung, weil bei diesem Prozedere das Kostendilemma, wie von mir bemerkt, auf dem Rücken des Patienten oder dessen Angehörigen ausgefochten wurde, hatte Dr. Fischer dann seinerseits zumindest auch Verständnis. Ich bat ihn, die Verordnung für den Rollstuhl auszustellen und sprach das Marcumar-Problem an. Dr. Fischer verordnete daraufhin weitere 10 Spritzen gegen Thrombose mit dem Hinweis, dass er diese Woche keine Gelegenheit mehr für einen Hausbesuch hätte und die Folgewoche im Urlaub wäre. Und bis er die notwendige Dosis neu ausgemessen hatte, musste die Marcumartherapie weiter durch die Spritzen substituiert werden. Aber unmittelbar nach seinem Urlaub würde er meine Mutter aufsuchen.

Ausgestattet mit den Verordnungen für die Hilfsmittel und dem Rezept für die Spritzen verließ ich die Praxis am späten Dienstagabend. In der trügerischen Hoffnung, dass die nach Vorgabe von Zofia am Vortag von mir erworbenen Therapiemittel gegen Dekubitus reichen würden oder weil ich es einfach vergessen hatte, hatte ich das Thema „Dekubitus“ beim Hausarzt nicht angesprochen. Das sollte sich noch rächen.

Die Beschaffung der Spritzen hatte noch Zeit, da mir das Krankenhaus eine Packung mit sechs Spritzen mitgegeben hatte. Aber die orthopädischen Hilfsmittel drängten. Es war Dienstag, der Dienstag vor dem Osterwochenende und zumindest das Risiko noch eine Woche ohne den Rollstuhl durchstehen zu müssen, war mir zu hoch. Die Verordnung musste so schnell als möglich zum Sanitätshaus. Also setzte ich mich nach meiner Rückkehr noch an den Rechner, verfasste ein kurzes Anschreiben und druckte es aus. Zusammen mit der Verordnung, die ich sicherheitshalber vorher noch gescannt hatte, verpackte ich das Schreiben in einem Umschlag und verschloss diesen. Mittwochmorgens, kurz vor 6:00 Uhr warf ich den Umschlag in den Hausbriefkasten des Sanitätshauses ein. Das war nur ein kleiner Umweg von ca. 10 km auf dem Weg zu meiner Arbeitsstätte gewesen. Dort angekommen, verfasste ich sogleich sicherheitshalber eine Mail, in der ich auf den Vorgang und das zugestellte Verordnungsoriginal samt Anschreiben hinwies und versandte dieses mit dem Anschreiben, dem Scan der Verordnung, sowie Scans des Befreiungsausweises von Zuzahlungen als Anhang an die Mailadresse des Sanitätshauses. Gegen 9:00 Uhr bekam ich einen Anruf des Kundenservices des Sanitätshauses als Reaktion auf die Mail. Man würde die Originale der Verordnungen noch im Hause suchen, hätte den Vorgang aber schon eingeleitet. Der Rollstuhl wäre vorrätig und würde schon morgen, Donnerstag, geliefert. Das funktionierte auch reibungslos.

 

Kurz vor Mittag suchte ich mir über die Internetseiten des Krankenhauses die Telefonnummern der Therapeuten gegen Schluckbeschwerden heraus. Ich hatte Glück und erwischte Frau Rubens bereits beim ersten Versuch. Nein, Hausbesuche würden sie eigentlich nicht machen. Ich schilderte Frau Rubens die Situation meiner Mutter eindringlich. Schließlich, vielleicht auch mit dem Argument, dass die Wohnung meiner Mutter fußläufig nur gut fünf Minuten vom Krankenhaus entfernt war, erklärte sich die Therapeutin zu einem ersten Hausbesuch bereit. In exakt einer Woche, am nächsten Mittwoch, sollte der erste Besuch stattfinden. Sicherheitshalber erkundigte ich mich noch nach den Mitteln zum Eindicken von Flüssigkeiten zwecks Erleichterung von deren Einnahme, bevor wir das Gespräch beendeten. Hinweise auf die Sinnhaftigkeit des Eindickens hatte ich in dem Arztbrief gefunden. Leider waren dort die dafür notwendigen Medikamente nicht aufgeführt und der Hausarzt hatte seinerseits diesbezüglich selbstständig nichts verordnet.

Am Donnerstag schaute ich nur kurz bei meiner Mutter vorbei, auf dem Rückweg von meinem und auch ihrem Zahnarzt. Bei meinem Behandlungstermin hatte ich mit ihm ausgemacht, dass er bei meiner Mutter einen Hausbesuch machen würde, um zu prüfen, welcher Behandlungsbedarf beziehungsweise welche Möglichkeiten in Bezug auf den Zahnersatz meiner Mutter vorhanden waren. Das würde aber frühestens in der übernächsten Woche stattfinden können, so Dr. Mühlens, der Zahnarzt, da er in der nächsten Woche Urlaub hätte.

Als ich meine Mutter am Freitag besuchte, hatte sich ihr Zustand weiter verschlechtert. Sonntags war es noch schlimmer und am Montag war sie wieder nahezu bewegungsunfähig. Aufstehen ging nicht mehr, laufen schon gar nicht. Zofia musste sie praktisch hochheben und in den Toilettenstuhl drehen, sowohl für den Transport als auch für die eigentlichen Zwecke.

Am folgenden Montag, es war im Übrigen Ostermontag, teilte sie uns auch mit, dass die Pflege meiner Mutter für sie zu schwer wäre und wir für eine baldige Ablösung sorgen müssten. Das kam nicht wirklich überraschend, denn der Gesundheitszustand meiner Mutter war deutlich schlechter und die Pflege anstrengender als bei Mariannes Entlassung aus dem Krankenhaus. Und über die gesundheitlichen Einschränkungen von Zofia hatten wir ja im Vorfeld gesprochen und gewusst. Zofia machte auch gleich einen konstruktiven Vorschlag. Ihre Schwester wäre ebenfalls Pflegekraft und kräftiger als sie. Die Schwester hätte ebenfalls früher für die Agentur Kolinek gearbeitet, das letzte Jahr aus familiären Gründen pausiert, wäre jetzt aber wieder einsatzbereit. Ich bat Zofia mit ihrer Schwester zu telefonieren, ich selbst würde am morgigen Tag, heute war ja Feiertag, mit Frau Kolinek in Kontakt treten, um die Angelegenheit mit ihr zu besprechen.

Im Übrigen bemerkte Zofia noch, dass die Dekubitusprobleme meiner Mutter, also ihre Wunden bzw. gereizten Stellen an Gesäß, Rücken und Fersen zunehmend größer würden. Ich müsste dringend entsprechende Salben und Verbandsmaterial beschaffen. Sie nannte mir noch einige Produkte, polnische Namen, die ihr eine Bekannte in Polen durchgegeben hatte. Ich versprach ihr, am Folgetag in die Apotheke zu marschieren und nachzufragen.

Aber warum verschlechterte sich der Gesundheitszustand meiner Mutter zusehends? Am Abend nahm ich mir die Medikamentenliste vor und informierte mich im Internet über die verordneten Medikamente. Bei den neuen Neurologika fand ich schnell eine Spur. Stalevo. Das Medikament war zwar neu, jedoch kamen mir die Wirkstoffe und deren Dosen bekannt vor. Nicht nur, dass es sich um ein Drei-Komponenten-BCE-Medikament handelte, die Wirkstoffdosen waren exakt die gleichen, wie bei dem BCE-Medikament, das meine Mutter eine Zeit lang vor ihrem Krankenhausaufenthalt genommen hatte. Und das Dr. Kloos nach meiner Schilderung der Symptome abgesetzt hatte, weil er, wie ich seinerzeit vermutete, annahm dass meine Mutter das Medikament nicht vertrug. Das machte mich einerseits fassungslos. Denn die Neurologen im Krankenhaus mussten doch die medizinische Vorgeschichte meiner Mutter kennen, sie hatten doch Zugriff auf das System und die Krankenakte der neurologischen Ambulanz. Dr. Kloos war sogar ihr Chef. Andererseits war ich hoffnungsfroh, die Ursache gefunden zu haben. Sofort verfasste ich eine Mail an Dr. Kloos, in der ich meine Beobachtung und Vermutung schilderte und ihn bat, bzgl. einer zügigen Veränderung der Medikation zu entscheiden. Morgen, Dienstag, war wieder viel zu erledigen. An arbeiten war da natürlich kaum zu denken.

Dienstagmorgens, ich hatte mich entschieden, einen Homeoffice-Tag einzulegen, weil sich die Fahrt in das Büro wahrscheinlich ohnehin nicht lohnen würde. Zuerst kontaktierte ich Fr. Kolinek. Ich hatte sie am Vorabend per Mail schon vorgewarnt. Sie fand die Idee Zofias, sich durch ihre Schwester ablösen zu lassen, völlig unsinnig. Ihre Schwester war noch zierlicher als Zofia und wäre der Aufgabe mit Sicherheit nicht gewachsen. Sie hätte aber schon Überlegungen angestellt und würde mir noch im Laufe des Vormittages Alternativvorschläge zukommen lassen.

11:00 Uhr. Die Mail von Frau Kolinek mit den Vorschlägen war da. Ich entschied mich schnell und gab Frau Kolinek meine Präferenz per Antwortmail bekannt.

12:00 Uhr. Noch keine Antwort auf die Mail an Dr. Kloos. Das war unüblich. Normalerweise antwortete er umgehend. Also rief ich in seinem Büro an und bekam die befürchtete Antwort. Er war diese Woche nicht verfügbar, aber man hatte meine Mail schon an einen Arzt auf der neurologischen Station, Dr. Rosen, weitergeleitet. Dieser würde sich mit mir in Verbindung setzen. Der Hausarzt im Urlaub, der Neurologe nicht verfügbar. Ich fühlte mich ziemlich alleingelassen. Und nur der Vollständigkeit halber: Die Physiotherapeutin hatte auch Urlaub und den Urlaub des Zahnarztes hatte ich ja schon erwähnt.

Am Nachmittag fuhr ich zu meiner Mutter. Nach den Feiertagen musste ich Lebensmittel einkaufen und zudem die Mittel gegen die Dekubitusbeschwerden beschaffen. Nach dem Einkauf im Supermarkt ging ich in eine Apotheke, schilderte die Dekubitusprobleme meiner Mutter und erwarb für ca. 20 EUR Gegenmittel. Als ich Zofia die Mittel übergab, war sie alles andere als zufrieden. Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich die aus Polen empfohlenen Mittel nicht hätte beschaffen können, ich aber in der Apotheke war und mich hatte beraten lassen. Zudem übergab ich noch spezielle Strümpfe gegen Dekubitus- Symptome. Die hatte ich auf Empfehlung unserer Haushaltshilfe, die hauptberuflich in einem Altersheim arbeitet, bereits an meinem Wohnort in einem Sanitätshaus für ca. 40 EUR erworben.

Als ich am Abend aus der Neurologie des Krankenhauses noch keinen Anruf bekommen hatte, schrieb ich den Neurologen zur Erinnerung per Mail an. Kurz darauf erreichte mich ein Anruf. Eine Frau war am Apparat und stellte Fragen nach dem Umfeld meiner Mutter. Es dauerte einige Augenblicke, bis ich das Gespräch einordnen konnte. Die Gesprächspartnerin war die seitens Frau Kolinek bereits vorinformierte potentielle Nachfolgerin für Zofia. Nach dem Gespräch kamen wir überein, dass es so aussah, als wäre sie der Pflegeaufgabe trotz des schlechten derzeitigen Zustandes meiner Mutter gewachsen. Sie hatte bereits Erfahrung in der Pflege von Parkinsonpatienten. Sie würde am Freitag anreisen. Ich informierte Frau Kolinek per Mail über das Ergebnis des Telefonats und rief dann bei meiner Mutter an, um Zofia mitzuteilen, dass sie vermutlich am Freitag abgelöst würde.

Der Mittwochvormittag verlief ruhig. Zu ruhig, da sich kein Neurologe bei mir gemeldet hatte. Ich versuchte meinerseits das Krankenhaus zu erreichen, hatte aber keinen Erfolg. Als ich endlich zur Station durchkam, erfuhr ich nur, dass Dr. Rosen nicht vor Ort wäre. Aber sicher würde er sich baldigst bei mir melden. Als ich am Abend bei meiner Mutter anrief, erfuhr ich von Zofia, dass ich dringend etwas gegen die Dekubitus-Probleme besorgen müsste. Die wunden Stellen wurden immer größer und schlimmer. Ach ja, der Husten, den meine Mutter zu Beginn der Krankenhausbehandlung bekommen hatte, der mittlerweile aber verschwunden war, war zurück. Hustensaft und Eukalyptusbonbons sollte ich ebenfalls noch besorgen.

Donnerstagmorgens ging ich an meinem Heimatort zum Büro des Pflegedienstes des Roten Kreuzes. Ich hatte mir überlegt, dass es vielleicht besser wäre Experten zu fragen, die tagtäglich mit Dekubitusproblemen zu kämpfen hatten, als nochmals auf die sicher nur theoretisch aufgebaute Expertise eines Apothekers zu vertrauen. Nachdem ich mein Anliegen am Empfangsschalter geschildert hatte, bat mich die Dame Platz zu nehmen und verschwand in einem hinteren Raum. Sie wollte die Pflegedienstleiterin bitten, mit mir zu sprechen. Wenige Minuten später kam eine Frau mittleren Alters, stellte sich vor und setzte sich mir gegenüber. Ich schilderte auch ihr mein Anliegen. Statt eines konkreten Rates verwies sie mich jedoch an eine Station des Roten Kreuzes in der Nähe des Wohnortes meiner Mutter. Dort hätten sie Kräfte, die auf die Pflege von wundgelegenen Patienten spezialisiert wären. Dann drückte sie mir noch ihre Visitenkarte und einen Prospekt in die Hände und verabschiedete sich. Das konnte es doch nicht gewesen sein. Also auf zum nächsten Pflegedienst. Zwar konnten die Damen mir auch nicht helfen, sie erklärten mir aber zumindest warum. Die richtige Behandlung, sowohl die aufzutragenden Medikamente als auch die korrekten Verbände betreffend, wäre abhängig von Art und Größe der Wunden. Die Wunden müsste sich in der Tat eine Fachkraft vor Ort ansehen und dann über die Therapie entscheiden.

Ich war gerade bei meiner Mutter eingetroffen und bevor ich Zofia und sie über die Erkenntnisse der Gespräche mit dem Pflegedienst informieren konnte, klingelte mein Handy. Dr. Rosen war am Apparat. Der Neurologe aus dem Krankenhaus. Er entschuldigte sich dafür, dass es etwas länger gedauert hatte, indem er auf die komplizierte Situation bei meiner Mutter hinwies. Zudem hätte er sich allein auf Basis der Aktenlage ein Bild machen müssen, da die Kollegin, die meine Mutter während ihres stationären Aufenthaltes betreut hatte, na was wohl, in Urlaub wäre. Nein, meine Vermutung könne er nicht teilen. Die Ursache für die schlechte Mobilität könne unmöglich in der Wirkstoffkombination des BCE-Medikamentes liegen. Der dritte Wirkstoff würde lediglich für eine gleichmäßigere Abgabe der anderen Wirkstoffe, die meine Mutter auch nach meiner Aussage ja gut vertragen hatte, sorgen. Er würde an der Medikation nichts ändern, könne lediglich anbieten meine Mutter wieder stationär aufzunehmen. Ich bedankte mich, sagte, dass ich noch überlegen müsse, voraussichtlich aber auf die Rückkehr von Dr. Kloos warten würde. Ihn würde ich auch über den Inhalt unseres heutigen Gespräches informieren und ihn bitten bei Bedarf mit ihm Rücksprache zu halten. Dann beendeten wir das Gespräch. Ich entschied mich, zumindest die Dosierung von Stalevo zu reduzieren. Folglich verzichteten wir künftig auf ein Viertel der Dosis durch den Verzicht auf die Tablette zur Nacht.

In puncto Dekubitus rief ich bei der Pflegestation an. Dort teilte man mir mit, dass die damit betrauten Fachkräfte üblicherweise nur auf Anfrage eines Arztes eingesetzt werden, man aber im Notfall auch eine Ausnahme machen könne. Nein, schon morgen könne man aber niemanden vorbeischauen lassen. Übermorgen war Samstag, Wochenende, sodass wir entschieden, die Rückkehr des Hausarztes am kommenden Montag abzuwarten.

 

Freitag fuhr ich morgens zu meiner Mutter. Zuerst brachte ich einen Teil von Zofias Gepäck, den sie per Paketdienst zurückschicken wollte, zu einem Kiosk, der auch Annahmestelle für den Paketdienst war. Dann fuhr ich ca. 20 Km in die Stadt, um Gabriela, die vorgesehene Ablösung von Zofia, von der Fernbushaltestelle abzuholen. Während Zofia Gabriela über die Pflege von Marianne und den Haushalt informierte, fuhr ich Einkaufen. Am frühen Nachmittag brachte ich dann Zofia zum Zug, um anschließend Gabriela noch einige zusätzliche Dinge im Haushalt zu zeigen bzw. ihre ersten Fragen zu beantworten. Sie war noch sehr unsicher und sicher auch müde von der langen Reise. Um sie und auch mich zu beruhigen, versprach ich ihr bereits am Vormittag des Folgetages vorbeizuschauen.

Samstag. Noch vor 9:00 Uhr rief ich bei meiner Mutter an. Einerseits wollte ich nachfragen, wie es läuft, anderseits wissen, ob ich noch etwas besorgen müsse. Nach dem Einkaufen für meinen eigenen Haushalt fuhr ich zur Wohnung meiner Mutter. Gabriela war noch immer sehr unsicher, sie war sich immer noch nicht klar, ob und wie sie ihre Aufgabe bewältigen sollte. Je mehr ich versuchte, ihr Zuversicht zu vermitteln, desto mehr schwand mein eigener Optimismus. Dabei war dieser zumindest teilweise angebracht. Die Mobilität meiner Mutter besserte sich deutlich, sie konnte nun nicht nur wieder kurz mit wenig Hilfe stehen, sondern sogar drei bis vier Schritte am Rollator gehen. Dafür war der Husten, trotz Einnahme von Hustensaft, wesentlich schlimmer geworden. Aber es war ja wieder Wochenende und ärztlicher Beistand somit ausgeschlossen. Bis zum frühen Nachmittag, so etwa vier Stunden blieb ich noch dort und zeigte Gabriela weitere Details im Haushalt. Insbesondere die mit dem Keller verbundenen Aufgaben und Geräte. Mülltrennung, Waschmaschine, Trockner, Kühltruhe, Kühlschrank und die Aufbewahrung vorhandener Vorräte.

Am Sonntag hatte ich „Mama-frei“. Zumindest war kein Besuch geplant. Die einzige Planaufgabe war die Mail an den Neurologen, Dr. Kloos, mit der Botschaft: Die verminderte Medikation zeigt positive Wirkung. Mein Vorschlag: Weg mit dem BCE-Medikament und zurück zu Levodopa. Ansonsten war, abgesehen von den zwei Routinetelefonaten, tatsächlich frei.

Zumindest fast. Als ich spätabends schlaftrunken nach dem neben dem Bett liegenden Handy griff, war Gabriela dran. Meine Mutter hatte entsetzlichen Husten, sie und somit auch sie selbst könnten nicht schlafen und sie wüsste nicht, was zu tun wäre. Nun, die einzige Option war, einen Notarzt bzw. Krankenwagen zu rufen, was mir wegen eines Hustens nicht opportun erschien.

Ich fragte nach, ob meine Mutter noch Luft bekäme oder Schwierigkeiten beim Atmen hätte. Nein, wenn sie nicht husten würde, könnte sie normal atmen. Dann sah ich nur die Möglichkeit, dass sie die Nacht irgendwie durchstehen müssten. Gabriela sollte meiner Mutter nochmals Hustensaft geben, dann müssten sie abwarten und im Extremfall nochmals anrufen. Erst jetzt blickte ich auf die Uhr: 23:45 Uhr. Nun waren es schon drei, nein eher vier Personen, die nicht mehr schlafen konnten. Sarah war jedenfalls wach und nicht überrascht, als ich ihr eröffnete, dass ich zu meiner Mutter fahren würde. Morgen früh würde ich dann direkt von dort zur Arbeit fahren. Eine halbe Stunde später saß ich im Auto und eine gute weitere halbe Stunde, so gegen 01:30 Uhr traf ich bei meiner Mutter ein. Gabriela war überrascht als ich zur Tür hereinkam. Ich sagte ihr, dass ich auf der Wohnzimmercouch übernachten und soweit alles in Ordnung war, sehr früh morgens zur Arbeit verschwinden würde. Dann sah ich nach meiner Mutter. Sie schlummerte ruhig. Atmete regelmäßig. Ich schlief dagegen wenig bis unruhig. Im Gegensatz zu meiner Mutter, die abgesehen von einigen wenigen Hustenanfällen ruhig durchzuschlafen schien. Morgens gegen 05:00 Uhr stand ich auf und fuhr zur Arbeit. Von meiner Anwesenheit hatte meine Mutter nichts bemerkt.

Gegen 8:00 Uhr rief ich bei meiner Mutter an. Sie, so Gabriela, wäre wieder schwer am Husten. Ich sagte ihr, dass ich versuchen würde, den Hausarzt anzurufen. Der sollte ja, laut seiner Aussage bei meinem letzten Besuch, sowieso vorbeikommen. Eine halbe Stunde später, kurz nach Beginn der Sprechstunde wählte ich die Nummer des Hausarztes. Schon nach wenigen Klingeltönen meldete sich eine Sprechstundenhilfe. Nein, so ihre Antwort auf meine Frage nach einem vorgesehenen Hausbesuch, im Plan für die heutigen Hausbesuche stünde meine Mutter nicht. Und einen zusätzlichen Hausbesuch könnte sie sich für heute nicht vorstellen. Das Wartezimmer wäre nach der Urlaubswoche überfüllt, die Liste der vorgesehenen Hausbesuche schon ziemlich lang und der Doktor allein, da sein Praxispartner diese Woche nicht da wäre. Falls es mit dem Husten gar nicht mehr ginge, müssten wir einen Krankenwagen rufen. Das Thema Dekubitus sprach ich gar nicht mehr an. Ich hatte längst beschlossen, am Nachmittag in die Sprechstunde zu fahren.

Gabriela und ich waren uns bei meinem Anruf gleich einig, dass der Krankenwagen keine Option wäre. Also weiter Hustensaft und auf Besserung hoffen. Die Telefonkonferenz mit meinen Kollegen hatte gerade angefangen, als mein Handy vibrierte. Im Display erkannte ich, dass der Anrufer Dr. Kloos war. Ich entschuldigte mich bei den Kollegen für einen kurzen Zeitraum, ging in einen freien Nebenraum und schilderte Dr. Kloos die in meiner Mail schon zusammengefassten Informationen etwas ausführlicher. Dr. Kloos hatte mittlerweile auch, wie in meiner Mail vorgeschlagen, mit der Schlucktherapeutin gesprochen, die am vergangenen Mittwoch bei meiner Mutter zum Hausbesuch vor Ort war. Er war ebenfalls der Ansicht, dass spätestens nun ganz klar war, dass meine Mutter das BCE-Medikament nicht vertrug. Wir sollten zu Levodopa zurückkehren und die Einheiten, wie schon jetzt beim BCE-Medikament, auf drei Tabletten pro Tag reduzieren. Die Effekte wollten wir dann am kommenden Montag im Rahmen des sowieso schon geplanten Praxistermins besprechen.

Gegen 14:00 Uhr beendete ich meinen Arbeitstag, fuhr zu meiner Mutter und veränderte die bereits für die Folgetage vorbereiteten Medikamentenschachteln. Stalevo raus, Levodopa rein. Neues Levodopa brauchten wir noch nicht, wir hatten noch reichlich Vorräte. Danach ging es ab in die Praxis des Hausarztes. Die Themen: Husten, Marcumar und Dekubitus. Die Therapien: Husten, weiter Hustensaft. Marcumar: sobald möglich in dieser Woche wollte er zum Hausbesuch kommen und den Quickwert messen. Dann, nach einer Übergangszeit, könnten die Thrombosespritzen, die meine Mutter jetzt inklusive ihrer Zeit im Krankenhaus seit annähernd fünf Wochen bekam, entfallen. Dekubitus: er verschrieb mir Wundreinigungslösung, eine Salbe und Verbandsmaterial. Über die Notwendigkeit weiterer Hilfsmittel wollte er beim Hausbesuch entscheiden. Ich hatte zwar wieder lange warten müssen, jedoch hatte die Apotheke, als ich die Praxis verließ, noch geöffnet, sodass ich zumindest die Rezepte noch einlösen konnte. Zurück in der Wohnung meiner Mutter erklärte ich Gabriela die Handhabung der Verbandsmaterialien, soweit Dr. Fischer mir selbige vorher erläutert hatte. Dann ging es endlich nach Hause.

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