Assassin's Breed

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4.

Die Mannschaft wuchs. Das Geschäftsvolumen wuchs. Mittlerweile wurden die Tage häufig länger, als ihm lieb war. Bald war es zu viel für eine Person. Aber an Verstärkung wagte er vorerst nicht zu denken. Woher sollte sie denn kommen? Er konnte ja nicht einfach ein Inserat aufgeben und seine bisherigen Mitstreiter kamen für diese Aufgabe auf keinen Fall infrage. Also musste er alles alleine stemmen. Marketing, Rekrutierung, Personalverwaltung, Auftragsannahme, Planung, Qualitätssicherung, Finanzmanagement. Und die ganze Technologie. Insbesondere das Webmanagement. Sein Verbrauch an Websites und Kommunikationsforen war gigantisch. Er musste immer schnell und aufmerksam sein, durfte nie zu lange an einem Ort verweilen. Andererseits durfte die Kommunikation zu seinen Kunden und Mitarbeitern nicht abreißen. Und er musste das Ganze auch noch dokumentieren. Denn jeder Kunde, jede Aktivität hatte ihre eigenen Kommunikationskanäle und natürlich die für die Durchführung der Aufgabe disponierte Mannschaft. Mit deren Mitgliedern er leider auch nicht über einen gemeinsamen, sondern über jeweils personenspezifische Kanäle kommunizieren musste. Denn dass keiner keinen kannte, dass nur er die Zusammenhänge zwischen den Kunden und den Aufträgen und zwischen den Aufträgen und den Durchführenden kannte, dass die Durchführenden sich auch nicht untereinander kannten, war eines der unverrückbaren Prinzipien seines Geschäftsmodells. Am aufwendigsten jedoch war die Personalbetreuung. Jeder Mitarbeiter brauchte eine individuelle Ansprache, eine ganz spezifische Führung. Je nach Alter, Charakter, Einsatzmöglichkeiten und Fantasien. Denn er zahlte ja keine Gehälter. Die Motivation der Mitarbeiter war abhängig von deren Enthusiasmus, von ihrem Glauben das Richtige zu tun, Erfüllung und Anerkennung zu bekommen, wenn sie seine Aufträge erledigten. Dazu musste er ihre individuellen Bedürfnisse, ihre Lebensumstände, berücksichtigen und mit den Einsätzen in Einklang bringen. Und das bei zumeist jungen Menschen, eher schwierigen, häufig labilen Charakteren. Denn gerade das war ja eines der wesentlichen Merkmale, die sie für ihn geeignet machten. Und auch um diese Leute zu finden, musste er viel Zeit investieren, sich in Onlineportalen herumtreiben, potenzielle Kandidaten finden, ansprechen, antesten, überprüfen. Die Ausschussquote war hoch, auch weil er vorsichtig sein musste.

Und weil er das alles unmöglich im Kopf behalten konnte, musste alles aufgezeichnet und dokumentiert werden. Das war nicht nur mühsam und zeitraubend, sondern auch gefährlich. Wenn sie ihn eines Tages doch erwischen sollten, würde er ihnen die Beweise quasi mitliefern. Also musste er auch hier jeweils zeitnah die Spuren verwischen. Er konnte nur das behalten, was das laufende Geschäft betraf. Erledigte Vorgänge musste er so schnell wie möglich löschen. Konsequent und nachhaltig, sodass die Daten nicht rekonstruiert werden konnten.

Kein Wunder, dass er für nichts mehr Zeit hatte, den ganzen Tag nur noch vor dem Rechner verbrachte, kaum noch die nötige Zeit zum Schlafen fand. Und vier Kilo abgenommen hatte er auch schon. Nicht, dass das nicht lukrativ war, aber gesund war sie nicht, seine derzeitige Lebensweise.

Natürlich hätte er auch Aufträge ablehnen können. Aber das war gefährlich, denn derzeit war sein Geschäftsmodell noch relativ neu. Irgendwann würde auch jemand anders auf diese Idee kommen. Und die Idee war der eigentliche Schlüssel zum Erfolg. Den Rest konnte man lernen. Den Verlockungen würden viele nicht widerstehen können. Man brauchte nicht viel Kapital, musste nicht viel investieren. Viele würden den Aufwand unter- und die Margen überschätzen. So wie es auch ihm ergangen war. Nein, Aufträge ablehnen war keine Option, auch weil die Kunden treu waren und gerne Folgeaufträge platzierten.

Nein, er würde expandieren müssen. Aber das hieß, einen oder besser gleich mehrere Partner finden.

5.

Strecker ging langsam zu seinem Stuhl. Strich dabei mit seiner rechten Hand sanft über die Aktenordner, streichelte sie beinahe. Von einem leichten Seufzer begleitet, ließ er sich in seinen Stuhl fallen und begann die Schubladen des Rollcontainers zu durchsuchen, der sich rechts unter seinem Schreibtisch befand. Alle leer, fast steril, mit Ausnahme der obersten Schublade, die so etwas wie eine Grundausstattung bestehend aus Stiften, Block, Radiergummi, Locher und Hefter enthielt. Und ein Mobiltelefon. Ein Smartphone, schlank, scheinbar nur aus Glas bestehend, lag samt Ladekabel und einer kurzen Beschreibung neben den anderen Utensilien. Hauptkommissar Strecker fingerte die Lesebrille aus seinem Jackett, griff sich Beschreibung und Telefon und begann die Inbetriebnahme. Doch es funktionierte nicht. So oft er auch auf den Einschaltknopf drückte, das Gerät funktionierte einfach nicht. Dann ging ihm ein Licht auf. Laden! Er musste es erst aufladen. Er zog das Kabel aus der Schublade, kroch unter den Schreibtisch, wo er wie vermutet eine Steckdose fand, in die er den Netzstecker des Ladekabels steckte. Nachdem er das andere Ende des Kabels mit dem Telefon verbunden hatte, drückte er erneut den Einschaltknopf. Dann klapperte er Punkt für Punkt der Beschreibung ab, PIN-Eingabe, die PIN las er von dem neben dem Smartphone liegenden Zettel ab, Passwortvergabe, Passwortwiederholung und schon blickte er auf ein mit Icons überfrachtetes Display. Er erinnerte sich, warum er diese Dinger nicht mochte. Und auch der Anblick der Aktenstapel auf seinem Schreibtisch ließ keine Freude aufkommen. Er stand auf, ließ seinen Blick wiederholt über den Schreibtisch gleiten, nahm Ordner in die Hand, legte sie wieder zurück, versuchte krampfhaft das System der Ablage zu verstehen, suchte nach einem Plan, wie er sich durch den Berg wühlen konnte. Hatte er anfangs noch gezweifelt, ob man ihm mit den Ausdrucken einen wirklichen Gefallen tun wollte, war er nun eher der Ansicht, dass man ihm eine Lektion erteilen wollte, ihm zeigen wollte, dass seine Vorgehensweise antiquiert und nicht mehr zeitgemäß sei. Aber was sollte er dann hier? Er fing gerade an, sich in seine Wut einzugraben, als es an der Tür klopfte. Bevor er antworten konnte, ging die Tür auch schon auf und Frau Köster betrat den Raum.

„Entschuldigen Sie“, begann sie das Gespräch. „Aber ich habe hier noch den Schlüssel für Ihr Dienstapartment. Das Gebäude, in dem unsere Apartments für Mitarbeiter liegen, ist gute fünf Minuten Fahrt mit dem Auto entfernt. Auf dem Blatt hier finden Sie die Adresse und eine Anfahrtsskizze. Alles Weitere erfahren Sie aus einer Infomappe, die im Apartment liegt.“

„Danke“, erwiderte der Hauptkommissar. Das schaffte er sogar mit einem Lächeln, was ihm angesichts der Sekretärin noch nicht einmal schwerfiel. „Muss ich bis zu einer bestimmten Zeit da sein?“, fragte Strecker und lenkte die Aufmerksamkeit von Frau Köster auf seinen überladenen Schreibtisch. „Es wird heute wohl etwas später werden.“

„Ich habe Herr Marten gleich gesagt, dass er Sie nicht sofort mit allen Details behelligen sollte. Aber er meinte, Sie müssten möglichst schnell alle Informationen bekommen. Es gibt im Übrigen, wo ist es doch gleich …“ Bei diesen Worten begann sie, den Blick konzentriert auf den Schreibtisch gerichtet, Ordner in die Hand zu nehmen und deren beschriftete Rücken zu studieren. Es dauerte nur wenige Augenblicke und sie reichte dem Hauptkommissar einen dünneren Ordner. „Ja, hierin finden Sie einen Zwischenbericht, den die Kollegen gestern für den Chef erstellt haben. Das sollte Ihnen einen ersten Überblick geben und den Einstieg in den Fall erleichtern. Ansonsten sind die Akten chronologisch geordnet. Aber nach meiner Ansicht keine gute Arbeitsgrundlage. In der elektronischen Akte gibt es Verlinkungen nach unterschiedlichsten Kriterien. Damit fällt einem die Recherche deutlich leichter. Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen unser System morgen ausführlich. Heute …“, ergänzte sie mit einem Blick auf ihre Armbanduhr, „schaffe ich das leider nicht mehr.“

„Gerne“, erwiderte der Hauptkommissar. „Morgen früh? Wann immer es Ihnen passt.“ Und er lächelte schon wieder. Und es fiel ihm immer weniger schwer. Engel müssen nicht zwangsläufig blonde Locken haben.

„Sagen wir um 8:00 Uhr?“, bot Frau Köster an. „Die Morgenbesprechung ist um 9:00 Uhr. Wenn wir bis dahin noch nicht durch sind, machen wir anschließend weiter.“

„Ja, gerne“, stimmte Strecker zu.

„Dann nochmals herzlich willkommen und bis morgen“, verabschiedete sich die Sekretärin und verließ, ohne eine Antwort abzuwarten, den Raum.

Strecker erwiderte die Abschiedsfloskel mit Verzögerung, jedoch nicht, weil er wieder in alte Verhaltensmuster abgeglitten war, sondern weil er bereits neugierig auf den Fall fokussiert war. Und das trotz der Erscheinung von Frau Köster. Er ließ sich wieder in seinen Bürostuhl fallen und machte sich gierig über den Zwischenbericht her.

6.

Sein Herz fing an zu rasen. Sie hatten ihn entdeckt. Und jetzt waren sie hinter ihm her. Waren schon dicht hinter ihm. Er rannte durch die Gassen, wagte kaum sich umzusehen, weil er dadurch langsamer werden würde. Also rannte er geradewegs weiter, bewegte sich so schnell er nur konnte. So schnell konnte es also gehen, wurde man vom Jäger zum Gejagten. Schneller als sein Herz waren nur noch seine Gedanken, beständig auf der Suche nach dem Fehler, nach dem Grund, der ihn in diese missliche Lage gebracht hatte. War er ungeduldig gewesen? Hatte er zu schnell zuschlagen wollen, anstatt auf einen besseren Moment zu warten? Er schüttelte den Kopf, weniger um sein Versagen zu leugnen, als vielmehr um diese Gedanken generell aus dem Kopf zu bekommen. Er musste, zumindest für den Moment, die Vergangenheit ruhen lassen, um noch eine Zukunft zu haben. Warum waren eigentlich die vielen Gestalten, die ihm entgegenkamen, die ihm im Weg standen, die er zum Teil rüde anrempelte, um an ihnen vorbeizukommen, so gleichgültig? Sie mussten doch sehen, dass er in Schwierigkeiten war. Sie schauten kurz auf, gingen dann weiter, ohne sichtbares Interesse an seinem Schicksal. Anders seine Verfolger, die er immer noch im Nacken spürte, die spürbar näher kamen, die die Lücken in der Menge nutzen konnten, die er sich und somit auch ihnen aufbrechen musste. Er musste ausweichen, auf weniger frequentierte Wege kommen, um seinen Nachteil zu verringern. Schweiß rann ihm über die Stirn, tropfte in seine Augen, verschlechterte seine Sicht. Urplötzlich bog er nach links ab, in eine schmale Gasse, verlassen und dunkel, weil kein Sonnenlicht über die hohen Gebäude zu ihren Seiten bis auf den Boden drang. Im letzten Moment erkannte er das Hindernis, eine Kiste oder ähnliches und setzte mit einem Satz darüber hinweg. Und das war sein Glück gewesen. Denn für seine Verfolger, die ihm so nahe gekommen waren, dass sie schon ihre Hände nach ihm ausstrecken wollten, kam sein Manöver überraschend. Sie bemerkten das Hindernis zu spät, fielen darüber und übereinander. Das verschaffte ihm Luft. Er bog nach rechts ab, in eine noch kleinere Gasse und bemerkte sogleich und doch zu spät, dass er einen Fehler gemacht hatte. Die Gasse war kurz, so kurz, dass er ihr Ende sehen konnte, sein Ende voraussehen konnte, denn es war eine Sackgasse. Und die Mauern waren zu hoch, um dort emporzuklettern. Zwar gab es eine Reihe von Türen in den wenigen Häusern, die die Gasse rechts und links umgaben, doch sie schienen verschlossen. Und er hatte keine Zeit, die Türen zu probieren oder gar gewaltsam zu öffnen. Nur eine Chance, eine Hoffnung blieb ihm noch. Wenige Meter vor ihm rechts stand ein Stapel Kisten. Dahinter konnte er sich verbergen. Und hoffen, dass seine Verfolger sein Abbiegen nicht bemerkt hatten, an der Gasse und an ihm vorbeilaufen würden. Kaum hatte er sich hinter die Deckung gekauert, hörte er sie auch schon vorbeilaufen, keuchend und fluchend. Doch was war das? Die Geräusche wurden wieder lauter, wandelten sich zu einem Gemurmel, ihre Schritte waren langsamer geworden. Im Gegensatz zu seinem Herzschlag.

 

„Er sitzt in der Falle“, hörte er einen der Verfolger sagen. Wie hatten sie ihn entdeckt? Wieso hatten sie ihn entdeckt? Wie konnten sie sich so sicher sein?

Jetzt würde er kämpfen müssen. Hoffen, dass er über sich hinauswachsen und es irgendwie schaffen könnte. Aber sie waren viele. Zu viele? Zum Zählen war er gar nicht gekommen. Das müsste er nun nachholen, um seine Chancen abwägen zu können. Aber dazu müsste er die Deckung verlassen und sich stellen, den Verfolgern und seinem Schicksal in das Antlitz blicken.

Also erhob er sich, blickte auf den Eingang zur Gasse und erschrak. So viele? Mindestens sechs Verfolger bewegten sich langsam in seine Richtung. Dabei konnte er noch nicht einmal ausschließen, dass es noch mehr werden würden. Dass noch weitere Gegner in der Nebenstraße waren, die die Gasse und sein Sichtfeld noch nicht erreicht hatten. Er konzentrierte sich auf seine sichtbaren Gegner, fokussierte insbesondere die vorderste Gestalt.

Doch was war das? Etwas lenkte ihn ab. Er registrierte ein leises Quietschen. Das Licht hatte sich verändert. Es war heller geworden. Und dann erkannte er den Grund für die Veränderung. Eine Tür hatte sich geöffnet. Zuerst nur einen Spalt, dann immer mehr. Der Grund für die zunehmende Helligkeit war ein Lichtschein, der durch die geöffnete Tür zu ihm drang.

7.

„Scheiße!“ Er hatte sich festgebissen. Hatte den Zwischenbericht gelesen, immer wieder nach Details in den Unterlagen gesucht und dabei zwar ein Gefühl für den Fall entwickelt, die Zeit darüber aber vollständig vergessen. Insofern erschrak Strecker heftig, als er auf die Uhr blickte. Fast 21:00 Uhr. Und er hatte keine Ahnung, wo genau seine neue Wohnung war, wie er da hinfinden sollte und was ihn da erwartete. Und Hunger hatte er auch noch, großen Hunger. Begleitet von einem tiefen Seufzer fuhr er den Rechner runter, klappte den Laptop zu, stand auf und schnappte sich Mantel und Reisetasche. Beinahe fluchtartig verließ er den Raum und hetzte zum Parkplatz. Nur wenige Minuten später hatte er das Navi auf sein neues Zuhause programmiert und machte sich auf den Weg. Regen peitschte auf die Scheibe, er konnte kaum etwas sehen, zudem wechselte sein Blick ständig zwischen Frontscheibe und Navi. Und zu essen musste er auch noch was finden. Irgendetwas. Da. Sein Blick blieb an einer Lichtreklame haften, die auf eine große Imbisskette hinwies. Eigentlich passte das nicht mehr zu seinen Vorsätzen. Ja, er hatte sich wirklich vorgenommen, die neue Stelle mit einem erweiterten Neustart zu verbinden. Also auch im privaten Umfeld einiges zu verändern. Die Ernährungsgewohnheiten zum Beispiel. Und auch den Alkoholkonsum, weshalb er auch darauf verzichtet hatte, die Flasche Wodka einzupacken. Apage satanas. Aber bevor er das Risiko einging, noch lange durch die Gegend zu irren und dann doch in einem drittklassigen Imbiss zu enden, entschied er sich für die sichere Option. Zu seinem Glück gab es auch einen Drive-In-Schalter. Dann brauchte er bei dem Scheißwetter noch nicht einmal mehr auszusteigen. Er musste aber irgendetwas bestellen, was er kannte. Aber das war kein Problem. Pommes gingen immer und einen dazugehörigen Hamburger würde er auch noch herunterwürgen können. Das war in der Vergangenheit ja auch immer gut gegangen. Und ein Getränk war auch noch im Preis enthalten. Er bestellte, zahlte, nahm seine Tüte entgegen, parkte den Wagen am Straßenrand und machte sich über den Inhalt der Tüte her. Keine fünf Minuten später waren der Inhalt der Tüte und der Hunger weg. Letzteren hatte er allerdings gegen ein Völlegefühl tauschen müssen. Er hatte den letzten Bissen noch nicht heruntergeschluckt, als er den Motor anließ und sich wieder in den Verkehr einfädelte. Nicht nur sein Hunger, auch der Regen war verschwunden. Das Navi leitete ihn durch die verschlafene Kleinstadt auf einen Parkplatz vor einem vierstöckigen Wohnblock. Er prüfte nochmals die Adresse, suchte noch aus dem Wagen heraus nach der richtigen Hausnummer, seufzte zufrieden und stieg aus. Nach einem kurzen Stopp am Kofferraum machte er sich mit seiner Tasche und hochgezogenem Mantelkragen auf den Weg zur Tür, fingerte den Wohnungsschlüssel aus der linken Hosentasche und öffnete die Tür. Er eilte, soweit seine Konstitution dies zuließ, durch den Hausflur, arbeitete sich von Wohnungstür zu Wohnungstür vor, bis er im 2. Stock rechts die Nummer 7 an der Tür prangen sah. Seine neue Heimat. Vorläufig. Er öffnete die Tür, schaltete das Licht ein und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Zweckmäßig, so war sein Urteil. Schon wieder. Ein Zimmer, eine abgetrennte Kochnische und hinten rechts eine Tür. „Die wird wahrscheinlich in das Bad führen“, dachte er. Strecker betrat das Zimmer, schloss die Tür, stellte die Tasche auf den Tisch und drehte eine Runde durch den Raum.

Rechts neben der Tür war eine kleine Sitzecke, davor ein Couchtisch. Daneben, Richtung Stirnwand, ein Esstisch mit vier Stühlen, dahinter eine kompakte Theke, die die Kochnische vom übrigen Raum trennte. An der Wand, die die Kochnische nach hinten begrenzte, befanden sich, von rechts nach links eine Spüle, der Kühlschrank, ein Herd und daneben noch ein Putzschrank. Über der Zeile war eine Schrankreihe an der Küchenwand befestigt. Der Hauptkommissar ging aus der Küchenzeile heraus nach rechts, öffnete die Tür und trat, wie erwartet in ein kleines Bad. Wie die übrige Wohnung, schmucklos aber funktionell. Rechts von der Tür die Dusche und eine Toilette, links ein Waschbecken, daneben ein Behälter für Schmutzwäsche oder ähnliches. Ein kleiner Badezimmerschrank hing über dem Waschbecken. Das Bett mit einem daneben stehenden Nachttisch stand links direkt neben der Tür. Ein Schrank zwischen dem Fußende des Bettes und der Badezimmerwand komplettierte die Einrichtung. Auch einen Fernseher gab es noch, er hing an der Wand, über dem Bett.

Strecker räumte seine Tasche aus, warf diese unten in den Schrank und deponierte seine Waschutensilien im Badezimmerschränkchen. Es war mittlerweile schon weit nach 22:00 Uhr. Er warf noch einen Blick in den Kühlschrank. Der würde seinen Beitrag zur Gewichtsreduktion leisten, war er doch gähnend leer. Also ohne Betthupferl und Nachttrunk zu Bett. Ohne Nachttrunk? War es ein Fehler gewesen, den Wodka nicht einzupacken? Nein, er verspürte nicht einmal ein kurzes Bedauern. Stattdessen war er beinahe ein wenig stolz auf sich. Den Fernseher würde er erst morgen ausprobieren. Und vorher noch einkaufen gehen. Der morgige Tag würde anstrengend werden. Und interessant. Er hatte viele Fragen. Auf die er Antworten haben wollte.

8.

„Du weißt also nicht, wer Dich beauftragt hat?“

„Nein. Wie oft soll ich das denn noch sagen. Sie müssen mir glauben“, bettelte er. Er konnte kaum noch sprechen, sein Hals schmerzte vom Schreien und Schlucken. Er musste bereits Unmengen von Blut und Speichel heruntergeschluckt haben.

„Das kann ich nicht glauben. Kein Mensch kann so blöd sein und die Befehle eines Unbekannten befolgen. Eines Irren, den man nicht kennt. Also denk noch einmal nach. Du sagst es uns ja doch. Früher oder später. Also noch einmal. Wer hat Dich beauftragt?“

„Bitte“, kam es wieder schluchzend aus seiner Kehle. „Glauben Sie mir. Ich würde es Ihnen sagen, wenn ich es wüsste.“

„Ja, das würdest Du“, dachte er sich. Aber mit der Geschichte, die ihm der Junge erzählt hatte, würde er seine Auftraggeber nicht zufriedenstellen können. Denn er kannte seine Auftraggeber. Im Gegensatz zu dem Jungen. Und mit diesem Ergebnis konnte er denen nicht kommen. Aber was sollte er tun? Sie hatten dem Jungen nun schon dreimal den Strom durch den Körper gejagt. Schon nach dem ersten Mal hatte er geredet wie ein Buch. Ihnen Dinge erzählt, die sie nicht verstanden.

Etwas von Briefkästen, Befehlen, einer Gemeinschaft, einer Mission. Aber die entscheidende Frage hatte er nicht beantwortet. Mittlerweile glaubte er dem Jungen. Aber wenn er ihn nicht verstand, half ihm das nichts. Und dem Jungen auch nicht. Er konnte den Worten seines Opfers zwar folgen, aber nichts damit anfangen. Er würde Verstärkung benötigen. Einen Spezialisten, einen, der mehr von dem Thema verstand. Erst danach würden sie wissen, woran sie waren. Und ob Sie den Jungen noch weiter brauchen würden.

Er stopfte seinem Gefangenen den Knebel wieder in den Mund und fixierte ihn wieder mit der Krawatte. Dann fummelte er sein Mobiltelefon aus seiner Jackentasche, wählte eine Nummer, hielt sich das Gerät an das Ohr und wartete.

„Ich brauche Deine Hilfe“, sagte er schließlich. „So schnell wie möglich. Ja, in der Werkstatt. In Köln. Erst übermorgen? Morgen wäre mir lieber. Versuch, ob es nicht früher geht. Bis dann. Danke.“