Schattenwelten II

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Schattenwelten II
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Tom Bleiring

Schattenwelten II

-Licht und Schatten-

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Impressum neobooks

Kapitel 1

Eisige Kälte hielt Moskau in ihrem Griff.

Der Wind fegte schneidend in die Gesichter der Menschen auf den Straßen, Frost verwandelte jeden Baum und jede Strauch in ein bizarres Gebilde.

Die Hochhäuser am Stadtrand standen größtenteils leer und verfielen mehr und mehr.

Duncan MacMannus stieg einen dunklen Treppenaufgang hinauf und verharrte vor einer Haustür, auf der die Nummer 9 prangte.

Die Tür selbst war brüchig, die Farbe platzte ab.

Man gewann den Eindruck, dass selbst der kleinste Windhauch genügen mochte, um die Tür aus den Angeln zu drücken.

Duncan war zu ersten Mal in Moskau, doch er hatte schnell den Ort ausfindig gemacht, das Ziel seiner Reise.

Er war vor kurzem erst Zwanzig geworden, doch sein jugendliches Äußeres täuschte über die Fähigkeiten, die in ihm schlummerten, hinweg.

Duncan war ein sogenannter Insider; er besaß besondere Kenntnisse in Hinsicht auf Vorkommnisse, die man allgemeinhin als übernatürlich beschreiben konnte.

Vor etwas mehr als zwei Jahren noch war er nichts weiter als eine Waise gewesen, dann aber hatte sich sein Leben von Grund auf verändert.

Er war zu einem Bewohner der Schattenbreite geworden, einer Parallelwelt, in der all jene Kreaturen lebten, die man nur aus Märchen, Sagen und Spukgeschichten kannte.

In der Schattenbreite existierten Wesen wie Geister, Spukgestalten und Vampire, eben solche Wesenheiten, deren Existenz in der realen Welt von der Wissenschaft beharrlich verleugnet wurde.

Duncan war unversehens in die Geschehnisse der Schattenbreite mit hineingezogen worden, speziell in den Kampf gegen einen, den man den Dunklen Meister nannte.

Dieser herrschte aus dem Dunkel heraus über die Schattenbreite, verbreitete Angst und Schrecken und strebte sogar nach einem Umsturz in dieser Parallelwelt, ja sogar nach der Weltherrschaft.

Zu Anfang hielt Duncan ihn noch für den vermeintlichen Mörder seines Vaters, doch schließlich erfuhr er, dass jener Erzbösewicht niemand anderes war als sein tot geglaubter Vater selbst.

In einem harten Kampf hatte Duncan es geschafft, dessen Pläne zu vereiteln, doch endgültig ausschalten konnte er den Dunklen Meister nicht.

Seitdem machte Duncan Jagd auf seinen Vater, um sich selbst von diesem Fluch, wie er es nannte, zu befreien.

Und diese Jagd hatte ihn schließlich bis nach Moskau geführt.

Die Tür ließ sich tatsächlich ohne große Mühe oder Gewalt öffnen.

Duncan trat langsam in die verlassene Wohnung und sah sich aufmerksam um.

Hier hatte schon seit einer Ewigkeit niemand mehr Quartier bezogen.

Die Tapeten fielen bereits von den feuchten Wänden und der Boden war übersät mit Unrat.

Vorsichtig öffnete er eine weitere Tür und trat in den Raum, der vermutlich früher als Wohnzimmer gedient hatte.

Staubige Spinnenweben hingen in den Zimmerecken, der Linoleumfussboden war zerrissen und an einigen Stellen verbrannt.

Eine schmale Tür führte auf den Balkon hinaus, von dem man eine gute Aussicht in Richtung Stadtzentrum hatte.

Es war früher Abend, doch der wolkenverhangene Himmel über Moskau reflektierte genug Licht, um die Stadt zu erhellen.

Etwas schien sich hinter ihm zu bewegen, woraufhin Duncan blitzschnell herumfuhr.

Aus dem Nichts erschien eine Pistole in seiner rechten Hand.

Langsam trat er zurück in die Wohnung und schloss die Balkontür.

Dann kehrte er auf den Flur und zur Eingangstür zurück und schloss für einen Moment die Augen.

Er atmete tief durch und öffnete die Augen ruckartig wieder.

Mit plötzlicher Entschlossenheit trat er zu einer weiteren Tür und riss diese auf.

Vor ihm lag ein Badezimmer.

Kacheln, die vor langer Zeit einmal weiß gewesen sein mochten, bedeckten Boden und Wände.

Auf einer Seite stand eine Badewanne, in der sich Kalk und anderer Schmutz abgelagert hatte.

Ihr gegenüber erblickte Duncan ein Waschbecken, welches genauso verdreckt war.

Und über dem Waschbecken hing ein einfacher Glasspiegel.

Duncan trat in den Raum und schob mit dem Fuß einen alten Duschvorhang, der im Staub lag, zur Seite.

Er stellte sich direkt vor den Spiegel und starrte hinein.

Es überraschte ihn nicht, dass nicht sein eigenes Gesicht zurückstarrte.

Im Spiegel war ein Wesen erschienen, welches nur entfernt menschliche Züge besaß.

Das Gesicht war schmal, die Augen lidlos und voller Boshaftigkeit.

Es schien auch über keinerlei Körperbehaarung zu verfügen. Seine Haut war grau, glatt und wies keine einzige Falte auf.

>>Der große MacMannus, << sagte das Spiegelwesen mit harter, schnarrender Stimme.

>>Welche Ehre! Was führt sie nach Moskau? <<

>>Die Frage ist überflüssig, wo ich doch hier bin, nicht wahr? , << antwortete Duncan.

Das Wesen grinste und offenbarte so eine Reihe spitzer Zähne, die denen eines Haifisches glichen.

>>Ich bekomme nur selten Besuch, vor allem von so weit her, << antwortete es.

Duncan schob die Pistole zurück unter seinen Mantel und verschränkte die Arme vor der Brust.

>>Sie haben sich so vieler Verstöße gegen die Gesetze der Schattenbreite schuldig gemacht, dass ich hier nicht anfangen will, diese alle runter zu leiern.

Allein, dass sie in diesem Spiegel stecken und auf Opfer lauern, könnte man als einen weiteren Verstoß betrachten.

Ich habe Fragen, die ich beantwortet haben möchte.

Wenn sie kooperieren, dann werde ich gehen und sie in Frieden lassen.

Wenn nicht, dann werden sie sich wünschen, sie wären nie auf diese Seite geflohen. <<

Das Wesen schien von seinen Worten unbeeindruckt und erwiderte:

>>Drohen sie mir nicht, sie sind kein Agent mehr. Sie sind nicht in der Position, um mir zu drohen, sie Dummkopf. <<

>>Über Kompetenzen müssen wir uns nicht unterhalten. << Duncans Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.

>>Ich habe Sondervollmachten, die mich zu sehr vielen Dingen berechtigen.

Der Spiegel taugt nicht sehr viel, wenn sie mich fragen. Er ist ja schon gesprungen, sehen sie! <<

Blitzartig schoss Duncans Hand vor und knallte gegen den Spiegel, in dem sich sofort ein tiefer Riss bildete.

>>Lassen sie das! , << kreischte das Wesen erschrocken.

>>Krieg ich meine Antworten? << Duncan begann damit, sich den Handschuh von der linken Hand zu ziehen.

>>Sie können mich mal, << zischte das Wesen, >>und zwar kreuzweise! <<

Duncan zuckte mit den Schultern und zog den Handschuh komplett herunter.

Das Wesen starrte entsetzt auf die entstellte, weil ausgedörrte linke Hand von Duncan.

Dieser holte aus und stieß dann seinen linken Arm bis zum Ellenbogen in den Spiegel hinein, woraufhin dieser allerdings nicht zerbrach.

Die entstellte Klauenhand hatte das Wesen an der Gurgel gepackt und zog es nun langsam aus dem Spiegel heraus.

Das Wesen kreischte und zappelte, als seine Haut die Luft der realen Welt zu spüren bekam.

Hässliche grüne Blasen bildeten sich darauf, aus denen alsbald gelblicher Eiter tropfte.

>>Frage Nummer Eins; wo ist der Dunkle Meister? <<

>>Ich weiß nichts! , << kreischte das Spiegelwesen mit schmerzverzerrter Stimme.

>>Falsche Antwort! << Duncan zog kräftiger. Die Hälfte des Gesichtes des Wesens war nun aus dem Spiegel heraus und seine Haut verwandelte sich mehr und mehr in eine Beulenlandschaft.

>>Letzte Chance! , << rief Duncan, um das Gekreische des Wesens zu übertönen.

Dieses wedelte wild mit den Armen und nickte. Sprechen konnte es schon nicht mehr.

Duncan ließ es los, woraufhin es sich ruckartig in den Spiegel zurückzog.

Augenblicklich schlossen sich die Wunden in seinem Gesicht, doch der Schmerz schien zu bleiben, wie Duncan aus der Miene des Wesens schließen konnte.

>>Also, wo steckt der Dunkle Meister? , << wiederholte Duncan.

 

>>Das weiß ich nicht, << erwiderte das geschundene Geschöpf im Spiegel, >>aber ich kann ihnen einen Namen sagen. Derjenige kann all ihre Fragen beantworten. <<

>>Wer ist es? << Duncan, der eine Falle witterte, wurde misstrauisch.

>>Sein Name ist Alexander Grogorin, << erwiderte das Wesen.

>>Er tarnt sich auf dieser Seite als Geschäftsmann, in der Ölindustrie.

Er hat Kontakt zu allen, zu jeder Seite! Er kann ihre Fragen beantworten. <<

Duncan lächelte nun zum ersten Mal an diesem Abend und streifte seinen Handschuh wieder über.

>>Sie waren sehr kooperativ, mein Bester, << sagte er und klopfte sanft gegen das Glas des Spiegels.

>>Ich gehe dann und höre mir an, was dieser Grogorin zu sagen hat. <<

Er wandte sich ab und trat aus dem Badezimmer.

Das Spiegelwesen grunzte zornig und wollte sich zurückziehen, als Duncan erneut vor dem Spiegel erschien. Diesmal hielt er einen Revolver in der Hand, ein Modell anno Neunzehnhundert.

Diesen richtete er auf den Spiegel.

>>Das ist ein Gruß von den Eltern des Jungen, den du auf dem Gewissen hast, Bastard, << sagte er tonlos.

Das Letzte, was das Spiegelwesen in seinem Leben sah, war das Mündungsfeuer der Waffe und eine Silberkugel, die seinen schützenden Spiegel zertrümmerte.

Zehn Minuten später trat Duncan aus dem Haupteingang des Wohnblockes und ging gemächlichen Schrittes zur Straße, wo seine Limousine stand.

Er polierte im Vorbeigehen die Ringe auf der Motorhaube und stieg dann ein.

Auf dem Beifahrerplatz lag sein Handy. Er nahm es und wählte eine Nummer.

Nach wenigen Sekunden meldete sich eine Frauenstimme.

>>Informationsdienst der Agentur, guten Abend. Was kann ich für sie tun, Mister MacMannus? <<

>>Ich brauche alle Daten und Informationen über einen Springer namens Alexander Grogorin.

Er ist ein Ölindustrieller, aus Moskau. Keine Ahnung, welcher Klasse er angehört. <<

>>Wie schnell brauchen sie die Informationen? <<

>>So schnell wie möglich. Ich will ihn möglichst bald aufsuchen. <<

>>Dann gedulden sie sich bitte einen Moment. <<

Duncan summte eine kleine Melodie, während auf der anderen Seite hilfsbereite Geister ihre Arbeit machten, im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Agentur war während des Aufstandes, den der Dunkle Meister vor knapp zwei Jahren angezettelt hatte, völlig zerstört worden. Bis dahin war sie ein korruptes Unternehmen gewesen.

Als man ihm, Duncan, die Leitung der neuaufgebauten Agentur anbot, hatte er dies zuerst abgelehnt, doch schließlich hatte er sich von Persephone, seiner Freundin, umstimmen lassen.

Er hatte aus der Agentur eine Organisation gemacht, die sich nun mit der NSA oder dem Mossad vergleichen ließ, wobei dieser Vergleich natürlich hinkte. Keiner dieser Geheimdienste konnte schließlich von sich behaupten, Magier und Kobolde zu seinen Angestellten zählen zu können.

Dass er nichts mehr mit der Agentur zu tun hätte, nun, dies war eine absichtlich verbreitete Fehlinformation.

>>Ich habe die Informationen, die sie wünschen, Mister MacMannus, << sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung.

>>Ich bin ganz Ohr, meine Liebe, << erwiderte Duncan freundlich.

>>Alexander Grogorin, Springer, in der realen Welt Vorstandsvorsitzender der Russia Oil-Aktiengesellschaft, ist ein Hexenmeister mit dem Spezialgebiet Elementarmagie.

Er hat ein paar Geschäftspartner, die aktenkundig sind. Wollen sie deren Daten auch? <<

>>Nein, mir genügt seine Anschrift, << erwiderte Duncan.

Die Mitarbeiterin gab ihm die Daten, woraufhin Duncan ihr dankte und auflegte.

Er war zwar erst zwanzig Jahre alt, doch was er bis dato geschaffen hatte, beeindruckte ihn selbst.

Und es erfüllte ihn schon mit Stolz, die Effizienz seines Dienstes von Monat zu Monat steigern zu können.

Er wollte den Zündschlüssel drehen und losfahren, als mit einem lauten Krachen etwas auf dem Heck seines Autos landete.

Automatisch riss er die Tür auf und sprang aus heraus, wobei er seinen Revolver zückte.

Doch als er wieder auf die Beine kam, erblickte er nicht etwa einen Angreifer.

In der Klappe seines Kofferraumes steckte der Spiegel, noch immer mit dem Eischussloch in der Mitte. Selbst der Aufprall hatte den Spiegel nicht gänzlich zerstören können.

Duncan wusste, dass es wenig Sinn gemacht hätte, jetzt auf die andere Seite überzutreten, um sich umzusehen. Die Schattenbreite war eine Parallelwelt, glich aber nicht der Realen.

Wo sich in der realen Welt Hochhäuser erhoben, mochte sich in der Schattenbreite ein Moor oder kahle Landschaft befinden.

Er sah hinauf zum Hochhaus, zog dann den Spiegel aus dem Heck seines Autos und verstaute diesen im Kofferraum. Dann fuhr er ins Zentrum Moskau‘s.

Die Niederlassung der Agentur verbarg sich hinter der Fassade einer chemischen Reinigung, die von einem alten Chinesen geführt wurde.

Xian, so hieß der Alte, sah auch so aus, als hätte er bereits zwei Leben gelebt.

Er war klein, wie viele Chinesen, besaß kaum noch Haar auf dem Kopf und war runzlig und faltig, wie es sich für einen Greis gehörte. Auf seiner Nase saß eine dicke Hornbrille, die seine Augen extrem vergrößerte und ihn fast glupschäugig aussehen ließ.

Duncan hatte ihn vor einem Jahr kennengelernt und musste einmal mehr feststellen, dass der äußere Schein bei einem Wesen aus der Schattenbreite sehr täuschen konnte.

Xian besaß die Schnelligkeit einer Kobra und die Wendigkeit eines Mungos, wenn es darauf ankam.

Außerdem war er ein Zombie.

Wie Duncan später erfuhr, hatte Xian unter Mao am langen Marsch teilgenommen.

Er war in einem Gefecht getötet worden und fand sich kurze Zeit später in der Schattenbreite wieder, wo er sein zweites Leben begann.

Niemand konnte erklären, wie so etwas geschehen konnte, doch Xian fand sich recht schnell zurecht.

Ihm schien es nichts auszumachen, dass er gelegentlich Körperteile verlor und nach Mottenkugeln zu riechen begann.

Duncan betrat das Geschäft und ging zum Tresen, von wo aus Xian wie ein kleiner König über sein Reich herrschte.

>>Mein Auto hat ein bisschen was abgekriegt, << sagte er zu dem alten Mann.

>>Man soll sich bitte darum kümmern, dass es repariert wird. <<

Xian nickte.

>>Hatten sie Erfolg heute? , << fragte er Duncan.

Sein chinesischer Akzent ließ seine Worte schräg und holprig erscheinen.

>>Wie man es nimmt, << antwortete Duncan.

>>Schick den Eltern des Jungen, der verschwunden ist, eine anonyme Mitteilung darüber, dass der Täter gefunden und ausgeschaltet wurde. Vielleicht tröstet sie das etwas über ihren Verlust. <<

>>Ist es klug, diesen Leuten das zu sagen? << Xian runzelte zweifelnd die Stirn.

>>Besser, als sie im Ungewissen zu lassen, << erwiderte Duncan und verschwand zwischen den Unmengen an Kleidungsstücken, die hinter dem Tresen hingen.

Durch eine geheime Pforte im hinteren Teil des Geschäftes gelangte er in einen Büroraum, in dem sich einige Personen aufhielten.

Drei davon kannte er, denn es waren Mitarbeiter, die er selbst aus London mit hierher gebracht hatte.

Den vierten Mann kannte er dagegen nicht, weshalb er direkt auf diesen zutrat und sich vorstellte.

>>Duncan MacMannus, << sagte er freundlich, >>mit wem habe ich das Vergnügen? <<

Der Mann war um die Vierzig, etwa so groß wie Duncan und hatte einen Vollbart.

Sein Kopf dagegen glänzte wie eine Bowlingkugel.

>>Sergej Chekov, ebenfalls erfreut, << erwiderte der Mann und strich seinen grauen Anzug glatt.

>>Ich bin Repräsentant der hiesigen Volkskammer. <<

Duncan lächelte ihn an, um seine Unwissenheit über die örtlichen politischen Gegebenheiten nicht sofort zur Schau stellen zu müssen.

>>Ich gehöre zur Regierung der Moskauer Schattenbreite, wenn sie so wollen, << erklärte Chekov kühl.

>>Und wir sind nicht erfreut darüber, dass sie ohne unsere Genehmigung sich hier niedergelassen und eingerichtet haben. Wir haben eine Agentur hier vor Ort. <<

>>Eine Agentur ist die Agentur, Mister Chekov, << antwortete Duncan und legte seinen Mantel ab.

>>Es gibt nur eine Agentur für die gesamte Schattenbreite, Verehrtester, und die untersteht seit Kurzem mir. Alle lokalen Leiter wurden darüber informiert und keiner legte dagegen Einspruch ein.

Nicht einmal Moskau, wenn ich mich recht erinnere. <<

>>Die frühere Regierung war sehr liberal eingestellt, << verkündete Mister Chekov.

>>Außerdem war man, nun ja, zu sehr angetan von ihrem Erfolg über den Dunklen Meister, um sich ihnen in den Weg zu stellen. <<

>>In den Weg stellen? , << wiederholte Duncan verblüfft.

>>Das ist sehr rücksichtsvoll, auch wenn man bedenkt, dass wir alle in die gleiche Richtung gehen sollten und uns so gar nicht im Wege stehen können. <<

Mister Chekov schien nicht sehr amüsiert über das zu sein, was Duncan sagte.

>>Rechnen sie nicht mit der Unterstützung durch lokale Sicherheitskräfte, << erwiderte er erzürnt.

>>Ihre Befugnisse sind noch nicht durch unsere Regierung abgesegnet worden.

Sie haben hier keinerlei rechtliche Grundlagen für ihre Aktionen, egal wie diese auch aussehen. <<

Duncan sah kurz zu seinen Mitarbeitern, die sich um Mister Chekov positioniert hatten.

>>Ist das so? , << fragte er.

>>Dann sag ich ihnen jetzt mal was, Sergej. Sehen sie diese jungen Männer? <<

Er deutete auf seine Mitarbeiter im Raum.

Chekov ließ seinen Blick über diese schweifen und erwiderte:

>>Solch dramatische Auftritte schüchtern mich nicht ein. Ich war selbst einige Jahre Agent, ich kenne diese Spielchen. Scheinbar gehört Einschüchterung noch immer auf den Lehrplan eines jungen Agenten? <<

Er lächelte, doch es war ohne jede Spur von Humor.

>>Ich wollte ihnen doch nicht drohen, << erwiderte Duncan.

>>Ich wollte ihnen nur eine Sache klar machen, nämlich dass diese jungen Herren die neue Agentur verkörpern, einen Dienst, der sich an das Gesetz unserer Welt hält.

Wir sind keine Verbrecher mehr, keine Erpresser und Diebe.

Die neue Agentur dient der Schattenbreite und ihren Bewohnern.

Wir verfügen über die Mittel, unser Tun geheim zu halten vor den Augen der realen Welt.

Ich verstehe selbstverständlich die Besorgnis der Moskauer Oberen, aber sie ist völlig unbegründet.

Wir verwüsten keine Gebäude, wir töten nicht aus einer Laune heraus und versuchen auch nicht, jemanden gegen seinen Willen zu etwas zu bewegen.

Aber wir vertreten das Gesetz! Und das gilt überall auf der Welt, sowohl auf unserer Seite, wie aber auch auf der anderen. <<

>>Ich wiederhole es gerne nochmals; sie haben hier keinerlei Befugnisse, << fuhr Mister Chekov dazwischen.

>>Sie dürfen sich hier nicht als Polizei betätigen, ganz gleich, was sie bisher bewerkstelligt haben.

So lange unsere Regierung ihnen nicht diese Kompetenzen zubilligt, haben sie sich bedeckt zu halten.

Aktionen jedweder Art sind unzulässig und werden von uns nicht toleriert! <<

Duncan massierte mit Daumen und Zeigefinger seinen Nasenrücken.

Er war hundemüde und hungrig, denn seit seiner Ankunft am frühen Morgen hatte er noch keine Möglichkeit gefunden, sich in irgendeiner Art und Weise zurückzuziehen und auszuruhen.

>>Wir sind die Vertreter des Gesetzes, << knurrte er missmutig, >>und sie werden das akzeptieren.

Wenn sie ein Problem damit haben, dann muss ihre Regierung auch mit den Konsequenzen leben.

Und das ist keine Drohung, sondern eine schlichte Feststellung.

Für uns alle gelten die gleichen Gesetze, ohne Ausnahme!

 

Wenn sie sich davon lösen wollen, dann tun sie dies, aber bedenken sie, dass dies ein Vergehen wäre, welches dem Hochverrat gleichkäme. Auch dafür hat die Schattenbreite ein Gesetz, wie sie wohl wissen. <<

Mister Chekovs Miene blieb unbewegt, als er nickte.

>>Ich verstehe, << sagte er, wandte sich ab und verließ das Büro.

Duncan sah zu einem Mitarbeiter und sagte:

>>Gordon, lassen sie diesen Mann nicht mehr aus den Augen.

Ihre kleinen Freunde können sich hier einmal mehr als nützlich erweisen.

Er hat etwas an sich, was mir absolut nicht passt. <<

Der Mann namens Gordon, ein dürrer Bursche mit fettigen kurzen Haaren, nickte und verließ das Büro nun ebenfalls.

Duncan blickte auf seine Gefolgschaft und spürte wieder ein Gefühl der Zufriedenheit.

Nach der Niederschlagung des Aufstandes vor fast zwei Jahren hatten sich viele junge Männer und Frauen bei der neu entstehenden Agentur beworben.

Darunter waren nicht nur Menschen, sondern auch viele andere Klassen, wie man sie jetzt nannte.

Gordon Fletcher etwa war ein Daimon, ein Mischling. Sein Vater war ein dämonisches Wesen gewesen, was beileibe nichts Negatives darstellte, zumindest nach den Maßstäben der Schattenbreite und ihrer Bewohner. Seine Mutter war eine Insiderin, eine frühere Agentin, gewesen, die im Dienst ums Leben gekommen war, als der Aufstand begonnen hatte.

Gordon verfügte über die Fähigkeit, kleine Dämonen zu beschwören, die ihm durch und durch ergeben waren. Echte Insider kontrollierten einen sogenannten Avatar, ein Geistwesen, welcher einen Teil ihres Selbst darstellte.

Duncan dachte nur ungern an seinen Avatar zurück.

Simon, so war sein Name gewesen, hatte sein Leben im Kampf gegen den Dunklen Meister lassen müssen, und zwar durch Duncans eigene Hand.

Dadurch wurde es dem jungen Mann unmöglich, jemals wieder einen Avatar beschwören zu können, da er selbst der Mörder seines Begleiters gewesen war.

Gordon aber kontrollierte eine regelrechte Armee von Helfern, wenn er es wünschte, die allesamt sehr klein, aber ungemein kräftig und extrem verschlagen waren.

Diese Burschen gehörten zu den besten Beschattern, die Duncan bis dato kennengelernt hatte.

Gordon mochte ungepflegt und sonderbar sein, doch er stand loyal zur Agentur.

Dasselbe galt für Kyle Drumont, einen ebenso jungen Mann wie Duncan selbst es war.

Kyle war ein Hexenmeister, spezialisiert auf Beherrschungszauber.

Er war der Verhörspezialist in Duncans Team.

Wer sich nicht schon allein von Kyle’s attraktivem Äußeren und seiner charmanten Art überzeugen ließ, der lernte die Fähigkeiten des Mannes kennen.

Kyle war schlank, aber ungemein athletisch gebaut. Sein kantiges Gesicht war bartlos, seine blonden Haare glatt und schulterlang. Er wirkte sehr gepflegt und kannte sich bestens mit den Schwächen und Eitelkeiten der (nicht immer) menschlichen Seele aus.

Seine kristallblauen Augen taten ihr Übriges dazu.

Der letzte Mann im Bunde war Vasco Gaudini, ein Zugereister aus dem schönen Rom.

Er hatte in der realen Welt beim Militär gedient, bis er eines Tages herausfand, dass seine Familie aus Springern bestand. Sie hatten es ihm zu verheimlichen versucht, doch Vasco fand an dem Gedanken Gefallen, ein Kind zweier Welten zu sein.

Zudem suchte er stets neue Herausforderungen, und seine bisher Größte war eindeutig der Dienst in der Agentur, die Duncan wieder aufbaute.

Wer Vasco zum ersten Mal sah, verglich ihn zuerst stets mit einem Schrank, denn Vasco’s Körper war noch durchtrainierter als der seines Kollegen Kyle.

Es gab kein einziges Gramm überflüssigen Fettes an ihm, denn Vasco nutzte jede freie Minute, um seine Muskeln weiter zu stählen.

Trotz seiner immensen Muskeln war er jedoch beweglich wie eine Katze, agil und wendig.

Er benötigte keine Hexenkräfte oder einen Avatar, denn er selbst war schon eine Waffe.

Seine braunen Augen blickten ständig kühl auf die Welt und alles um ihn herum, abschätzend und immer direkt.

Die meisten Leute hielten seinem Blick nie lange stand und wichen ihm aus.

Er hatte seinen Kopf kahl scheren lassen, wie er es aus seiner Zeit beim Militär gewohnt war.

Wenn es so etwas wie einen Schlägertyp in Duncans Truppe gegeben hätte, dann wäre Vasco genau der Richtige für diese Rolle gewesen. Doch Duncan wusste, dass er sich mit dem jungen Italiener keinen Psychopathen ins Team geholt hatte.

Er kannte Vasco’s Einstellung zur Pflicht, zum Dienst und seinen Vorgesetzten.

Diesen drei jungen Männern vertraute er vollkommen.

Es gab in seinem Team nur ein Mitglied, bei dem er nicht genau wusste, woran er mit diesem war.

Eigentlich, so ging es ihm durch den Kopf, musste es dieser heißen, denn das Teammitglied war eine Frau.

Amanda Blicks gehörte noch nicht lange zur Agentur, war aber durch ihren Diensteifer und ihre Einsatzbereitschaft schon oft aufgefallen.

Und genau da lag für Duncan das Problem.

Engagement war für ihn in Ordnung, doch Amanda schien eine Art Adrenalinjunkie zu sein.

Sie stürzte sich in jede Form von Konfrontation, egal welcher Art diese auch war, solange sie dafür etwas Action bekam.

Sie war in Duncans Alter, kam aus einer verrufenen Ecke des realen Londons und war als Kind eines Berserkers in die Schattenbreite gekommen, nachdem sie dies herausgefunden hatte.

Berserker waren im Grunde normale Leute, bis irgendwann eine Sicherung bei ihnen durchbrannte.

Dann wurden sie zu verrückten Kampfmaschinen, die völlig aus der Spur gerieten und Freund nicht von Feind unterscheiden konnten. Im Grunde waren sie schlafende Psychopathen, dachte Duncan häufig, aber solche gab es ja auch in der realen Welt zur Genüge.

Die meisten Berserker wurden nicht alt, doch scheinbar war es ihrem Vater vorher noch gelungen, eine romantische Beziehung zu einer jungen Frau auf der anderen Seite aufzubauen.

Amanda war das Ergebnis dieser Liebschaft.

Und sie hatte viele Wesenszüge eines Berserkers an sich, auch wenn sie selbst keiner war.

Sie war eine zierliche Frau und recht hübsch anzuschauen.

Ihr Haar trug sie als Irokesenschnitt, den sie stets sorgfältig nachschneiden ließ.

Dadurch wurde sie für viele Leute ein Blickfang, denn sie wirkte mit dieser Frisur wie ein Punk.

Mit einem Punk konnte man sie aber nicht wirklich vergleichen, auch wenn ihre feuerroten Haare den Verdacht erweckten.

Sie hatte wenige Freunde, doch mit Vasco schien sie bestens auszukommen.

Dieser war es auch gewesen, der Duncan darum gebeten hatte, Amanda mit nach Moskau zu nehmen, um ihr mehr Außendiensterfahrung zu verschaffen.

Duncan interessierte sich kaum für die Dinge, die seine Agenten in ihrer Freizeit machten, doch bei Vasco und Amanda hegte er einen gewissen Verdacht.

Die beiden trainierten häufig zusammen, wie er erfahren hatte, doch selbst er musste zugeben, dass dies noch kein Grund war, den beiden eine Affäre anzudichten.

Derzeit hatte er Amanda auf eine Erkundungsmission geschickt.

Das Büro war erst am Morgen eingerichtet worden, und Duncan wollte vermeiden, dass sich in seiner Nähe irgendwelche Spitzel oder Anhänger des Dunklen Meisters verbargen.

Bei Amanda konnte er sicher sein, dass sie jedes Versteck in der Umgebung ausfindig machen würde, auch wenn er nicht wusste, wie sie das anstellte.

Sie hatte einfach den Instinkt und das Talent dafür, woher auch immer.

Und sie verfügte auch über das Talent, solche Rattenlöcher zu säubern.

Duncan setzte sich an einen der Schreibtische und starrte zur grauen Decke hinauf.

>>Kyle, ich brauche ein neues Auto, << sagte er.

>>Was ist mit ihrem Alten passiert? , << fragte dieser neugierig.

>>Mir ist ein Spiegel ins Heck gekracht, << antwortete Duncan und unterdrückte ein Gähnen.

>>Und wenn ich nicht schnell einen Kaffee bekomme, dann fall ich vom Stuhl. <<

Kyle grinste und holte ihm einen Becher frischen Kaffee, während Vasco sich zu Duncan setzte.

>>Sir, sie hatten vor ihrem Aufbruch den Auftrag gegeben, alle wichtigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Moskaus auflisten zu lassen.

Ich habe den Job ausgeführt und alle Personen markiert, die schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind.

Moskau hat wohl in der Vergangenheit als Schlupfloch für viele Leute gedient, die mehr oder weniger Anhänger der dunklen Seite gewesen waren. <<

Duncan nippte an seinem Becher. Er mochte den italienischen Akzent von Vasco, doch nun sah er den jungen Italiener finster an.

>>Man kann nicht mehr oder weniger Anhänger des Dunklen Meisters sein, << sagte er ernst.

Entweder man ist einer, oder aber man ist keiner! <<

>>Entschuldigung, Sir, << erwiderte Vasco ebenso ernst, >> aber es scheint wirklich so, als wären in Moskau mehr Exilanten mit fragwürdiger Vergangenheit, als es in irgendeiner anderen Großstadt der Welt.

Zum Beispiel dieser Grogorin, ein Industrieller, der sein Geld mit Öl macht. <<

Duncan sah überrascht auf.

>>Alexander Grogorin? , << fragte er.

Vasco nickte.

>>Was können sie mir über diesen Mann sagen? Hatte er direkten Kontakt zum Dunklen Meister? <<

Vasco blätterte in seinen Unterlagen und schüttelte schließlich den Kopf.

>>Darüber finde ich nichts, << sagte er, >> aber er hatte lange Zeit sehr gute Geschäftskontakte zu Drago Ramius und William Argyle. Die Namen dürften ihnen bekannt sein. <<

Duncans Miene nahm einen grimmigen Ausdruck an.

>>Und ob ich die beiden kenne! , << zischte er wütend.

Vasco spürte den unterdrückten Zorn und blätterte weiter.

>>Hier heißt es, dass Grogorin vor seinem Wechsel nach Moskau als Antiquitätenhändler in London tätig war, der zahlreiche Aufträge von Ramius und Argyle erhalten hat.

Kurz vor Beginn des Aufstandes verschwand er plötzlich für einige Wochen, tauchte dann hier in Russland auf und kaufte sich bei Russia Oil ein, einem der größten Öllieferanten der Welt.

Inzwischen hat er es zum Vorstandsvorsitzenden gebracht, wie ich dem Dossier entnehme. <<

>>Er hat die beiden mit Antiquitäten beliefert? << Duncan war verwirrt. Von beiden Männern, Ramius und auch Argyle, hätte er nie vermutet, dass sie sich für Antiquitäten interessieren würden.

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