Veyron Swift und der Orden der Medusa: Serial Teil 5

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Veyron Swift und der Orden der Medusa: Serial Teil 5
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Tobias Fischer

Veyron Swift und der Orden der Medusa: Serial Teil 5

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Die Rückkehr der Prinzen

Vollendung der Pläne

Ein paar lose Enden

Der Weg zurück

Impressum neobooks

Die Rückkehr der Prinzen

Tom kamen alle möglichen verrückten Einfälle, wie sie diese verfluchte Wand hinaufkämen, von Faeringels Katapulttrick bis hin zur Räuberleiter. Für alles war es jedoch zu spät. Die Flutwelle schoss bereits heran, eine wütende, schäumende, gurgelnde, dunkelbraune Wand aus Wasser, Schlamm und Geröll.

Nur einen Herzschlag später geschah etwas, so unwirklich und unglaublich, dass Tom es zunächst gar nicht realisierte. Der ganze Wald um ihre zusammengeschmolzene Abenteurergruppe geriet in Bewegung. Die Fichten entwurzelten, wurden aus dem Boden gerissen. Zunächst hielt er es für eine unsichtbare Kraft, vielleicht die Druckwelle der Flut. Er sah, dass die Wurzeln sich wie Schlangen gleich um seine Arme und Schultern wickelten und ihn vom Boden hochhoben. Er schrie in einem Anflug von Panik auf. Was war denn das nun wieder für ein finsterer Trick? Schließlich wurde ihm bewusst, dass dieser Zauber gerade sein Leben rettete. Die Wurzeln beförderten ihn hinauf in das höher gelegene Astwerk, wo er sich festhalten konnte.

Jeder der größeren Bäume schnappte sich einen der Abenteurer, sogar Medusa wurde von einer Fichte an mehreren Stellen gepackt und hochgehoben. Nur einen Moment später, bohrten sich die Wurzeln der Bäume in die Felswand, Gestein knirschte, brach und splitterte. Das lebendig gewordene Wundergehölz kletterte die Felswand hinauf, Meter für Meter. Nadeln und Äste, alles war in Bewegung. Toink drohte von seinem Ast herunterzufallen, aber zwei andere Äste fingen ihn auf, das Holz knarrte und quietschte. Sie alle, sogar die Irlas Helarin, kamen aus dem Staunen nicht mehr raus.

Unter ihnen prallte die Flutwelle donnernd gegen die Felsen und ließ eine hohe Welle aufspritzen. Die Wunderbäume Carundels waren jedoch schon außer Reichweite, kletterten weiter und weiter, ihre Wurzeln stets aufs Neue wie Enterhaken in das massive Gestein des Min Givingyliur schlagend. Auf diese Weise erreichten sie den flachen Gipfel, wo der vorspringende Felsen in eine breite Hügelkette überging. Die Bäume stiegen hinauf, die Wurzeln über den Boden kriechend, sicheren Halt suchend. Erst dann bohrten sie sich ins Erdreich. Stämme und Äste bogen sich, setzten ihre Passagiere wohlbehalten ab. Knarrend und knirschend richteten sich die Fichten wieder auf, erstarrten von einem Moment zum anderen, als wären sie nie etwas anderes gewesen als gewöhnliche Bäume in einem ganz gewöhnlichen Wald.

»Die Götter sind auf unserer Seite! Seht nur, welches Wunder sie bewirkt haben«, rief Nero aus, fiel auf die Knie und hob preisend die Hände gen Himmel.

»Nicht Eure Götter, Prinz Nero, aber in der Tat eine unvorstellbare Macht. Der uralte Zauber Ayenurs, die uns Talarin heilige Illauri, war es, der hier zur Wirkung kam. Er wurde geweckt und das keinen Moment zu spät«, erkannte dagegen Faeringel.

Tom hatte die Frage auf der Zunge, wer dafür wohl verantwortlich sein könnte, als er auch schon die Antwort erhielt.

»Nur wer die alten Lieder aus den Tagen König Tirions kennt, vermag diesen Zauber zu wecken, selbst jene, die ganz ohne eigene Zauberkraft sind, oder zumindest fast. Glücklicherweise war mein Kindermädchen dieser alten Lieder kundig. Es war wohl Bestimmung, dass ich sie mir allesamt merken konnte, über eintausend Jahre lang«, meldete sich eine neue Stimme zu Wort. Alle wandten sich verdutzt um und staunten.

Königin Girian stand zwischen den Bäumen Carundels, hinter ihr einige große grüne Zelte und noch mehr elbische Jäger. Die Herrin Fabrillians war gekommen, gekleidet in der gleichen grünen Tracht wie ihre Jäger. Nur trug sie anstelle der engen Hosen einen weiten, grünen Rock. Sie lächelte verschmitzt als die Geretteten gar nicht mehr zum Staunen aufhören wollten.

Wie die Königin anschließend erklärte, war sie mit ihrer eigenen Truppe den Irlas Helarin gefolgt, als sie hörte, dass jene nach Carundel aufbrachen. Sie hielt es für ein Zeichen des Schicksals, das – nach vielen Jahrtausenden – Elben zurück in jenes längst verlassene Land gingen. Sie folgte mit ihren Männern, so schnell sie konnte, doch lag sie immer noch einige Tage zurück. Die Irlas Helarin hatten Carundel längst erreicht und erkundet, bevor Girian ihren Fuß hineinsetzte. Vom Ort der Schlacht erfuhren sie erst durch den infernalischen Lärm der Ratte, der durch alle Täler des Landes hallte. Als Girian vom Gipfel des Min Givingyliur sehen konnte, was Veyron Swift durch seine List bewirkt – oder angerichtet – hatte, erinnerte sie sich der alten Lieder ihres Kindermädchens und sang sie.

Der Zauber Ayenurs war keine bloße Legende aus alten Tagen, sondern pure Wirklichkeit. Er weckte die Bäume Carundels aus ihrem Schlaf, ließ sie lebendig werden.

»Dieses Land wird fortan nicht mehr das Selbe sein«, war sich Girian sicher. »Ayenurs Zauberkraft hat lange geschlummert, doch nun ist sie entfesselt. Ich sehe voraus, dass dies das Ende der bösen Macht Varaskars ist. Eines Tages wird Carundel wieder zu jenem Paradies, das es einst gewesen. Dies Land wird sich reinigen, den dunklen Zauber und den kalten Tod abschütteln. Vielleicht werden eines Tages sogar wieder Elben hier wohnen. Zulange ist es her, dass es Elbenvölk nördlich der Grauen Berge gab«, erklärte sie.

Die Verletzten wurden indessen in ein großes Zelt gebracht, wo sich Girians Heiler sofort an die Arbeit machten. Bei fast allen mussten Holzsplitter aus dem Fleisch gezogen werden, bei Veyron sogar einige besonders lange. Sein rechter Arm wurde bandagiert und war für die nächste Zeit zu nicht sonderlich viel zu gebrauchen.

»Wie es aussieht, bin ich wohl doch zu nahe an dem anderen Kugelpanzer dran gewesen, als ich das Feuer der Ratte auf ihn lenkte. Ein paar Splitter haben meinen eigenen Kugelpanzer unbrauchbar gemacht, dabei müssen sie auch mich ein wenig lädiert haben. Aber ich musste diesen einen letzten Schrat abfangen. Er war der Schlüssel zu meiner Täuschung«, seufzte er seine Erklärung hinaus, als ihm Tom schwere Vorhaltungen ob seiner Leichtsinnigkeit machte. Dabei war er eigentlich nur froh, ihn wieder heil zurück zu haben, seinen verrückten, durchgeknallten und doch so genialen Pantenonkel Veyron Swift.

Faeringels verletzter Schwertarm musste geschient werden und die Heiler verordneten ihm eine strenge Erholungspause für die kommenden Tage. Dem Anführer der Irlas Helarin passte dies gar nicht.

»Wie soll ich dann meiner Aufgabe nachkommen, Meister Swift und Meister Tom bei ihren weiteren Abenteuern beizustehen? Ich kann kaum einen anderen meiner Leute mitschicken, niemand kennt sich in Gloria Maresia gut genug aus«, protestierte er.

Girian verweigerte ihm jedoch sein Ersuchen.

»Für Euch ist das Abenteuer an dieser Stelle vorüber, mein guter, tapferer Faeringel. Ihr werdet zusammen mit den anderen nach Fabrillian zurückkehren. So ist es mein Wunsch. Den Rest ihrer Aufgabe müssen Tom und Veyron allein bewältigen. Ganz ohne Hilfe werden sie dabei jedoch nicht sein«, sagte sie. Ihr Blick wanderte zu Medusa, die ebenfalls verarztet wurde. Einige große Splitter hatten ihren langen Schlangenkörper malträtiert, doch sie sprach schnell und gut auf das goldene Heilungselixier der Talarin an.

Tom seufzte einmal tief und setzte sich neben Veyrons Krankenlager. Er dachte im Moment an die arme Jane, die Veyron als Sklavin verkauft hatte – um sie in Sicherheit zu bringen. Er dachte an Floyd, Iulia und Claudius, die auf der Silberschwan zurückgeblieben waren, auch an die schöne Pelena dachte er. Sie war in Gloria Maresia noch immer der Bedrohung durch Consilian ausgesetzt. Er fürchtete, dass sich der verbrecherische Prokurator an ihr rächen könnte, wenn er erfuhr, was hier in Carundel geschehen war. Wieder musste er seufzen, laut und resigniert.

»Jetzt, wo die ganze Basis von Consilian vernichtet ist, stehen wir wieder einmal mit Null da. Wir haben nichts, keinen einzigen Beweis, alles ist unter Schlamm und Geröll begraben. Alle Opfer waren umsonst«, meinte er halblaut. Veyron berührte ihn mitfühlend an der Schulter.

»Wenigstens konnten wir Consilians Machenschaften durchkreuzen. Wer weiß, wie viele Opfer es gegeben hätte, wenn er mit seiner Ratte – oder noch schlimmer, einem ganzen Ratten-Bataillon, gegen die Bewohner Elderwelts aufgefahren wäre. Wir haben seine Basis zerstört, die Grundlage seines Ordens der Medusa, seine Attentäterin. Im Grunde ist nur noch er allein übrig«, konterte Veyron und schwieg einen Moment. Dann schaute er Tom betroffen an.

»Es tut mir leid«, sagte er schließlich.

Erstaunt fuhr Tom herum, starrte seinen Paten aus ungläubig geweiteten Augen an. »Was denn?«

»Dass ich dich nicht immer vollends in meine Pläne eingeweiht habe. Ich kann mir gut vorstellen, dass das für dich sehr frustrierend sein muss. Oftmals vermag ich nicht zu verstehen, warum man meine Absichten nicht durchschaut, oder dieses oder jenes nicht erkennt. Für mich ist immer alles so wunderbar offensichtlich, dabei vergesse ich stets, dass kein Mensch dem anderen gleicht. Von daher war es unfair von mir, dich gegenüber Willkins als dumm und kurzsichtig zu bezeichnen. Ich habe weder dein Alter, noch deine bisherige Lebenserfahrung, geschweige deinen momentanen Entwicklungszustand berücksichtigt. Es tut mir von ganzem Herzen leid, wenn ich dich damit tief verletzt habe. Des Weiteren bedauere ich meine Einmischung in deine Beziehung zu Vanessa Sutton – zumindest ein kleines bisschen. Es wäre vielleicht klüger gewesen, dich diese Erfahrung selbst erleiden zu lassen. Und die Ohrfeige bedauere ich vielleicht am meisten. Ich hätte mich besser beherrschen müssen, ganz eindeutig.«

 

Tom studierte Veyrons hageres Gesicht, erkannte, dass er es vollkommen ehrlich mit ihm meinte. Er bildete sich sogar ein, so etwas wie ein gütiges Lächeln auf Veyrons schmalen Lippen zu erkennen.

»Ach, naja, vielleicht haben Sie ja doch ein kleines bisschen recht. Besonders schlau ist es nämlich echt nicht, seinem verrückten Paten in ein Loch voller Basilisken, Schrate und Hexen zu folgen, oder? Was Vanessa betrifft, an die hab ich schon gar nicht mehr gedacht. Das kriegt sich schon wieder ein, denke ich«, versuchte Tom das Ganze zu relativieren. Er reichte Veyron die Hand, eine natürlich rein symbolische Geste. Mit seiner gesunden Linken ergriff sein Pate sie. Frieden.

»Dann können wir also jetzt nachhause«, fragte Tom erwartungsvoll. Er hatte von alldem wirklich genug.

Veyron nickte zögernd. »Natürlich. Nachdem wir ein letztes Mal Gloria Maresia besucht haben. Die kaiserliche Audienz steht noch aus. Claudius und Nero müssen sich vor Tirvinius erniedrigen und ihm die Treue schwören, vor der ganzen anwesenden Nobilität. Du erinnerst dich sicherlich daran. Ich bin davon überzeugt, dass Consilian hier seinen letzten Schachzug plant: Die Ermordung des Augustus.«

Neue Entschlossenheit wurde in Tom wach. Das war sie, die allerletzte Chance, diesen Verbrecher endlich zu überführen, womöglich direkt vor den Augen des Augustus. Er begann grimmig zu lächeln.

»Dann machen wir uns besser gleich auf die Socken!«

Die Wanderung zurück zur Silberschwan führte zunächst durch das Tal des Thuraindur. Die Flut war binnen Stunden abgeebbt, hatte ein kahles, umgewühltes Land hinterlassen. Von Consilians Basis waren nur ein paar klägliche Reste der Staumauer geblieben. Der Fluss verlief nun in einem neuen Bett, viel weiter südlich als zuvor. Durch das Verschwinden des Stausees, war ein braunes Hügelland zum Vorschein gekommen, durch das sich der nun sehr viel schmaler gewordene Fluss in Schlangenlinien dahinzog.

Sie erklommen die andere Seite auf ziemlich genau dem gleichen Pfad, wie sie ursprünglich herunter gekommen waren. Toink, Medusa und Nero folgten Tom und Veyron, denen wiederum Oriengil und Talerian vorausgingen. Faeringel und die übrigen Irlas Helarin waren nach einem kurzen Abschied in Girians Lager zurückgeblieben. Die Königin hatte allen versichert, dass sie sich am Ende in Fabrillian wiedersehen würden. Mit bedeutungsschwerem Blick korrigierte sie sich schließlich.

»Fast alle werden wir uns wieder sehen«, sagte sie, ohne dies weiter zu begründen. Tom meinte, dass dies nicht sonderlich ermutigend klang. So hatten sie sich also auf den Weg gemacht, das Tal durchschritten und folgten nun dem Lauf des Flusses. Viel früher als gedacht, stießen sie auf die Silberschwan. Der befreite Fluss hatte das Flugschiff einige Kilometer vom ursprünglichen Ankerplatz abgetrieben. Captain Viul zeigte sich von den Geschehnissen gar nicht begeistert, als sie an Bord stiegen.

»Wir haben Glück, dass dieses Stück Fluss hier relativ gerade verläuft, aber das Wasser ist nur noch zwei Meter tief. Für die Startstrecke dürfte es gerade noch ausreichen. Ich musste die Motoren einschalten, damit es uns nicht gänzlich fortreißt. Was zum Henker habt ihr denn da unten gemacht, frage ich mich? Habt ihr irgendwelche Sprengungen durchgeführt? Den Lärm haben wir hier an Bord jedenfalls deutlich vernommen«, nörgelte der Pilot der Silberschwan, als sich die erstbeste Gelegenheit dazu bot.

»Wir hatten bloß ein bisschen Spaß mit Consilians kleinem Partymobil. Sogar die Hexen des Nordens waren dazu eingeladen«, erwiderte Tom frech. Das entlockte zumindest Toink einen amüsierten Lacher, während Viul drohend die Fäuste in die Hüften stemmte.

»Du wärst nicht der erste Rotzlöffel, dem ich Manieren beibringen muss«, grummelte er. »Also auf geht’s! Alle Mann und Gorgonen an Bord, damit wir von hier verschwinden können. Dieses Land gefällt mir gar nicht.«

Mit Umarmungen und freundlichen Worten verabschiedeten sich Oriengil und Talerian von Nero, Medusa, Toink, Tom und Veyron. Oriengil schenkte der Gorgone sogar noch seinen Bogen samt Pfeil und Köcher. Ihre eigenen Waffen waren auf der Flucht vor der Flutwelle verloren gegangen. Die Elben kehrten zurück ins Unterholz Carundels, was Tom – und vor allem Medusa – sehr bedauerten.

Kurze Zeit später starteten die zwölf Motoren, schoben das Flugschiff brüllend über den braunen, aufgewühlten Fluss, hoben es langsam und sanft in die Luft. Die letzte Etappe ihres Abenteuers begann. Zurück nach Maresia, wo es dem Drahtzieher all ihrer finsteren Erlebnisse ein letztes Schnippchen zu schlagen galt.

Sie ließen Carundel rasch hinter sich und brausten im Tiefflug über die Wälder und Berge. Im Salon kamen die Abenteurer allmählich zur Ruhe. Tom bekam nur am Rande mit, wie Iulia Nero um den Hals fiel und ihn lange festhielt. Sie begann zu weinen und bat ihn gleich mehrfach um Verzeihung.

»Wie ungerecht von mir, über dich und Acte ein solch übles Urteil zu fällen«, schniefte sie. »Nun bist du schon zum dritten Mal dem Tode entronnen und ich zeige nichts anderes, als ein kaltes Herz. Ach, hinab zu Orcus mit all den alten, verstaubten Konventionen! Fortan will ich mich an der tapferen Jane Willkins orientieren. Wenn wir nachhause zurückkehren, werde ich Acte freilassen. Sie soll deine Frau werden, Nero, wenn sie es so will. Überhaupt werde ich alle meine Sklavinnen freilassen. Sagt mir jemand, wo es auf Talassair Sklaven gibt? Ich hörte, dort sind alle Menschen frei. Genauso sollte es auch im Imperium Maresia sein; und überall sonst auf der Welt!«

Nero dankte seiner Cousine mit neu entfachter Begeisterung. Der Groll zwischen ihnen war nun endgültig überwunden. Claudius gesellte sich zu den beiden und klopfte seinem älteren Bruder anerkennend auf den Rücken.

»Schon wieder kannst du dich als Held rühmen, Bruderherz, während mir nur wieder die Rolle des Gratulanten bleibt. Das nächste Mal lasse ich mich aber nicht mehr zurückhalten, weder von Schwäche, noch von irgendeinem Befehl. Ich werde mitkommen. Wir sind die Söhne des Talarius! Wer soll uns trotzen, wenn wir Seite an Seite kämpfen?« meinte er lachend.

Für Tom klang es sehr aufgesetzt, als müsste sich Claudius zur Fröhlichkeit zwingen. Weder Nero noch Iulia bekamen in ihrem Freudentaumel etwas davon mit. Tom war das Ganze jedoch nicht geheuer.

Medusa und Toink berichteten derweil Floyd und dem Rest der Crew aufgeregt von den Kämpfen gegen die Schrate und Consilians Gigantenpanzer. König Floyd schüttelte resigniert den Kopf.

»Hört sich so an, als hätte ich schon wieder ein Abenteuer verpasst«, seufzte er.

Toink tätschelte seinem Lehnsherrn mit gespielter Anteilnahme die Hand. »Ihr hättet Euch nur Euren neuen Anzug versaut, Majestät. Da war überall Dreck, soweit das Auge reicht.«

Der plötzlich angewiderte Blick des Königs, sorgte bei allen für Gelächter. Floyd verstand natürlich nicht warum, was wiederum nur zu weiteren Lachern führte.

Veyron lümmelte dagegen abseits der anderen in einem Sessel, erschöpft hielt er die Augen geschlossen. Tom setzte sich zu ihm. Die Sache mit Jane wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen.

»Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir Jane befreien. Das müssen wir unbedingt machen, wenn wir in Gloria Maresia ankommen«, verlangte er im halblauten Ton.

Veyron nickte nur. »Das werden wir, Tom, das werden wir. Sobald unsere Angelegenheiten mit Consilian geregelt sind. Willkins ist unsere Schwäche, wir dürfen ihm keine Gelegenheit geben, sie auszunutzen. Davon hängt alles ab, nur allein davon«, erwiderte er leise. Mehr wollte er zu diesem Thema nicht sagen und darum beließ es Tom dabei. Sein noch immer recht geschwächter Patenonkel brauchte seine Ruhe.

Der Flug der Silberschwan verging diesmal sehr viel rascher, was nicht nur an der kürzeren Wegstrecke lag, sondern auch an der recht ausgelassenen Stimmung an Bord. Floyd ließ zur Feier des Tages Wein ausschenken, nur allein Veyron lehnte ab. Sogar Tom bekam ein kleines Gläschen, er war ja der einzig Jugendliche an Bord und dummerweise gab es auch in Talassair strenge Gesetze, was dieses Thema betraf.

Die Landung erfolgte diesmal nicht auf dem Stadtsee, sondern draußen auf dem Meer, vor der Küste Maresias, nicht unweit des Hafens Porta Gloria. Bereits beim Abflug aus dem Nebelmeer hatte Viul nach Talassair funken lassen, dass man ihnen ein Tankschiff sandte. Der Treibstoff war nahezu aufgebraucht und einen weiteren Start würde die Silberschwan nicht mehr schaffen. Inzwischen war es vollständig dunkel über diesem Teil der Welt, Wolken verdeckten die Sterne. Niemand sah die Silberschwan wassern, nur den Lärm ihrer Motoren konnte man viele Kilometer weit hören. Die sternenlose Nacht würde jedoch verhindern, dass irgendwelche neugierigen Augen die Silberschwan entdeckten.

Nun hieß es also auch von der Crew Abschied nehmen. Tom gefiel das gar nicht, dass sie jetzt bald ohne jede Unterstützung und Freunde dastanden. Captain Viul versicherte ihnen zwar, dass er in ein paar Tagen wieder zurück sein würde, vollgetankt und bereit zu neuen Taten. Zwischenzeitlich mussten sie jedoch ganz ohne das silberne Flugschiff auskommen. Kein Faeringel, keine Silberschwan. Dafür immerhin noch Medusa, denn die Gorgone wollte es sich nicht nehmen lassen, Tom und Veyron zu begleiten. Sie war ganz versessen darauf, den Gründer des nach ihr benannten Terror-Ordens persönlich kennenzulernen. Veyron war jedoch ganz zu Toms Erstaunen strikt dagegen.

»Ihr solltet Euch bedeckt halten, Lady Medusa. Denkt daran, dass Consilian durch den Orden furchtbare Ängste geschürt hat. Die ganze Stadt würde in Panik geraten, wenn Ihr Euch zeigtet. Man würde Euch angreifen und bekämpfen. Ich schlage daher Heimlichkeit vor. Es ist Nacht, wir können also an einer abgelegenen Stelle des Hafens an Land gehen und verstecken uns irgendwo. Morgen sehen wir dann weiter«, sagte er streng.

Medusa dachte kurz darüber nach. Schließlich neigte sie zustimmend den Kopf.

»Eure Einfälle waren bisher stets die Richtigen. Also gut, ich werde Euch auch weiter folgen, Meister Veyron«, entschied die Gorgone.

So wurde es dann auch gemacht. Mit einem Ruderboot setzten Nero, Claudius, Iulia, Veyron und Tom an Land über, während Medusa erneut gezwungen war, den Weg von der Silberschwan, durch den ganzen Hafen Porta Glorias zu schwimmen. An den Anlegestellen brannten nur wenige Lampen und die Schatten der riesigen Galeeren, die links und rechts an den Docks ankerten, verbargen alle Bewegungen im Wasser.

Es war fast totenstill in Porta Gloria, der Hafenstadt Gloria Maresias. Ein kleiner Bereich des Hafens war den Fischerbooten vorbehalten. Die Stege dort waren alt und morsch, die Schalluppen kaum mehr zu gebrauchen. Hier gingen sie von Bord, versteckten das silberne Beiboot unter einem alten Steg. Medusa tauchte aus dem Wasser und schlängelte sich lautlos ans Ufer. Veyron zeigte in eine Richtung. Blitzschnell war sie in der Dunkelheit verschwunden, die fünf Menschen folgten ihr langsam.

Die Gebäude des Fischerviertels ragten wie schwarze Zähne gegen den dunklen Himmel auf. Vertrauenerweckend wirkten sie nicht gerade. Überall lagen Trümmer von Fischerbooten herum, manche Kähne wurden vielleicht auch nur repariert. Dennoch kam Tom der Vergleich mit einem Schrottplatz in den Sinn.

»Früher war Porta Gloria eine Fischereikolonie der Hauptstadt. Seit hier Illaurian den Flottenstützpunkt angelegt und ausgebaut hat, stirbt die Fischerei aus. Wer kann, zieht in die anderen Hafenstädte Maresias«, versuchte Nero die Lage zu erklären, als er Toms Blicke bemerkte.

»Wenigstens bietet uns der ganze Schrott gute Versteckmöglichkeiten«, meinte Tom.

Veyron gab einen höhnischen Lacher von sich. »Wir übernachten doch nicht inmitten dieses Gerümpels, Tom Packard«, sagte er.

 

Tom schaute seinen Paten überrascht an. »Ach ja? Was ist dann mit Heimlichkeit und so?«

»Das gilt nur für Medusa. Wir folgen einem ganz anderen Plan. Schau, da vorne ist eine Herberge. Mal sehen, ob noch ein Zimmer frei ist«, erwiderte Veyron.

Die Herberge glich von außen einem der Insulae aus Gloria Maresia: mehrere Stockwerke hoch, baufälliger Zustand. Es waren tatsächlich noch einige Zimmer frei, doch Veyron mietete nur ein einziges, mit Blick auf den Hinterhof, was den Wirt doch sehr überraschte. Immerhin bestand der Hinterhof aus nichts anderem, als einem Abwrackplatz für alte Fischerkähne. So was wollte doch niemand sehen.

»Ihr wärt überrascht, welche Freude wir an Chaos und Zerstörung haben«, meinte Tom vorlaut.

Veyron gab ihm einen Klapps auf den Hinterkopf und bezahlte den Wirt. Sie stiegen nach oben in den dritten Stock. Das Zimmer war relativ klein und es gab nur ein einziges Bett. Natürlich überließen sie es Iulia, die auch sofort einschlief. Die anderen machten es sich auf drei Strohmatratzen am Boden bequem. Veyron öffnete die Läden des einzigen Fensters, rückte einen Stuhl davor und setzte sich. Tom beobachtete ihn interessiert. Nero und Claudius waren inzwischen ebenfalls eingeschlafen. Die Reise und die Abenteuer zollten allmählich ihren Tribut.

»Genießen Sie die Aussicht, oder was hat es mit dem Fensterplatz auf sich?«

»Ich werde mich noch ein Weilchen mit Medusa unterhalten. Außerdem warte ich auf Eulennachrichten. Selbst wenn Faeringel nicht mehr bei uns ist, Girians Eulen stehen uns nach wie vor zur Verfügung. Morgen ist der Tag der Entscheidung, Tom. Morgen wird Tirvinius seine Audienz abhalten, morgen wird Consilian seine Pläne vollenden – oder wir. Mach dir keine Gedanken und schlaf ein Weilchen. Ich bin vermutlich noch länger wach«, erklärte Veyron. Tom zuckte mit den Schultern, legte sich hin und drehte sich um. Er zog die dünne Wolldecke bis unters Kinn. Im Nu war auch er eingeschlafen.

Seine Träume waren finster, ständig kamen die Hexe Eternis und Consilians Gigantenpanzer darin vor. Immer wieder schreckte er hoch und schaute zum Fenster. Jedes Mal schaute er kurz zu Veyron, wie er stocksteif da saß, die Augen in die Dunkelheit gerichtet, ein einsamer Wächter einer Statue gleich. Er schien tatsächlich nicht ein einziges Mal zu schlafen. Tom wünschte sich, er könnte Gedanken lesen, nur für fünf Minuten. Zu gerne hätte er erfahren, welche Pläne sein Pate genau verfolgte, welche neuen er ausheckte und wie um alles in der Welt er Consilian aufhalten wollte.

Ich empfinde nichts. Liebe kenne ich nicht. Eigentlich schade, dachte Consilian. Er saß hellwach in seinem Bett und schaute hinüber zu der schlafenden Frau, die neben ihm unter der Seidendecke lag. Flavia Livias üppige Rundungen hoben sich deutlich unter dem lavendelfarbenen Stoff ab, ihre dunklen Locken fielen über den freigelegten Rücken.

Was für eine schöne Frau, ein wahres Schmuckstück unter den Liviern. Mehr aber auch nicht, sagte er sich. Noch vor einer Stunde hatten sie miteinander geschlafen. Sie zeigte sich wahrhaftig als eine Frau voller Leidenschaften: wild, laut und ungezügelt wie ein Raubtier. Sie hatte ihm ganzen Rücken zerkratzt. Dennoch liebte er sie nicht. Für ihn war sie nichts anderes als ein Steigbügel auf dem Weg zur Macht, zur Herrschaft über ein Imperium.

Flavia sah das wahrscheinlich anders, glaubte sich geliebt und verehrt – seit zehn Jahren. Zuerst hatte er sich nur ihre Klagen angehört und ihr Trost gespendet. Heuchelei gespendet, sollte er es wohl besser nennen. Nach dem Tod ihres Gatten, Honorius, war schließlich mehr daraus geworden, genau wie von ihm geplant. Seitdem nahm sich Consilian hin und wieder auch Flavias anderen Bedürfnissen an. Er wusste, dass manche seiner Prätorianer ohne Zögern ihr letztes Hemd für eine Nacht mit ihr gäben. Dieses Privileg stand jedoch nur ihm allein zu, obwohl es ihm eigentlich gar nichts bedeutete. War das nicht irgendwie grotesk? Dabei war sie während ihrer Ehe ausnahmslos treu gewesen.

Stolz und gehorsam hatte sie die Rolle einer künftigen Kaisergattin erfüllt, wofür sie ja einst erzogen wurde. Mit aufrechtem Haupt ertrug sie die Exzesse des Honorius, seinen übermäßigen Alkoholkonsum, seine ausfallenden Beleidigungen und sogar die Prügel, wenn er in Laune war. Wusste die dumme, einfallslose Iulia überhaupt, welches Opfer ihre Mutter da erbracht hatte? War es da nicht doch fast ein Akt der Gerechtigkeit, dass er, Consilian, diesen nutzlosen Honorius hat beseitigen lassen, damals vor vier Jahren? Durch Gift, verabreicht in jenem Bordell, dass Honorius so gern aufgesucht hatte. Das reinste Kinderspiel. Vier Tage später war er tot auf dem Boden seiner Villa gelegen, dieser Tunichtgut von einem Thronerben.

Bei den Qualitäten Flavias erschien ihm Honorius Hang zum Fremdgehen mehr als wunderlich Vielleicht verstand Consilian als Mann, der nur eine einzige Leidenschaft besaß – nämlich die Macht – solche Dinge aber auch nicht.

Immerhin hatte sich Tirvinius einziges Kind als gefährlich genug erwiesen, um Consilian in die Quere zu kommen. Bei all seinen charakterlichen Mängeln, war sich Honorius seiner Machtposition doch sehr bewusst gewesen, hatte kluge Reden vor dem Senat gehalten und sich als ganz fähiger Politiker gezeigt. Er beklagte sich sogar bei Tirvinius über Consilians kometenhafte Karriere – zum Glück meistens alkoholisiert. Darum hatte Tirvinius die Beschwerden seines Sohnes ignoriert, schalt ihn sogar ob seiner Unzulänglichkeiten. Honorius Ermordung war dennoch unabdingbar gewesen.

Ob er Flavia darin einweihen sollte, dass er es war, der sie aus der Ehe mit Tirvinius ungutem Sohn erlöst hatte? Nein, entschied Consilian. Noch war sie ihm nicht vollkommen hörig. Er würde damit warten, bis er selbst auf dem Thron saß und Flavia seine Gemahlin nennen durfte. Der alte Tirvinius wusste zwar schon länger, dass er ihr Avancen machte, doch hatte sich Consilian mit jeglicher Vermählungsbitte bislang zurückgehalten. Nun, morgen würde er das nicht mehr brauchen. Er hatte alle Zügel in der Hand, die Macht über das Imperium Maresia war so gut wie sein. Veyron Swift würde sie ihm liefern. Er brachte die letzten beiden Elemente seines Plans zurück in die Hauptstadt, lebendig und unversehrt. Was für ein Glück, hatte er doch schon befürchtet, Eternis wäre eine Nummer zu groß für Swift gewesen. Gut dass sie tot war, die elende Hexe. Schade war es nur um seinen teuren Versuchskomplex in Carundel. Es würde ihn ein Vermögen kosten, ihn anderswo wieder neu aufzubauen. Aber war er erst einmal Kaiser, erübrigten sich diese Sorgen. In weiteren zehn Jahren würde er Elderwelt erobern, mit einer Armee, die so mächtig war, das selbst Talassair kapitulieren musste. Nicht einmal die Macht der Simanui könnte ihn dann noch stoppen. Und Veyron Swift, dieser Narr, würde ihm morgen dabei helfen.

Als Tom Packard das nächste Mal aufwachte, schob sich gerade die Sonne über den Horizont und schickte ihre wärmenden Strahlen durch das offene Fenster. Veyron war verschwunden. Tom rappelte sich auf und schaute im ganzen Zimmer nach, nirgendwo eine Spur seines Paten. Lediglich ein kleiner Zettel, der auf dem Stuhl lag, bot ein paar Erklärungen.

Habe noch etwas zu erledigen. Nero und Claudius sollen sich auf dem Stadtplatz zu erkennen geben. Kein Wort über die Wahrheit hinter dem Orden der Medusa! Iulia darf ihnen nicht von der Seite weichen. Pass gut auf die drei auf. Wir sehen uns. VS

Die mit blitzschneller Feder geschriebene Schrift, kaum zu entziffern, verriet ihm eindeutig, dass diese Nachricht von Veyron stammte. Offenbar hatte er es sehr eilig. Tom fragte sich, was für Dinge sein Pate gerade jetzt noch zu erledigen gedachte. Jedenfalls wollte er tun, was von ihm verlangt wurde. Er weckte die drei und las ihnen Veyrons Anweisungen vor. Ihnen gefiel das gar nicht, aber Tom ließ ihnen keine Alternative.

»Diesmal wird genau das gemacht, was Veyron sagt«, beharrte er. »Ich hab das Daring-Schwert bei mir. Wenn irgendeiner frech wird, bekommt er es zu spüren.«

Der gepflasterte, kreisrunde und von Mietskasernen eingekesselte Marktplatz von Porta Gloria, war gänzlich anders als das Forum in der Hauptstadt. Anstatt in überdachten Basiliken standen hier die Markstände in kleinen Holzverschlägen. Pompöse und prunkvolle Gebäude suchte man in der Hafenstadt vergeblich, lediglich das Hauptquartier der Flotte besaß einen eigenen Palast, doch der war weit vom Stadtzentrum entfernt.

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