Blackout, Bauchweh und kein' Bock

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1.12Fragen und Aussagen als Intervention

Therapeutische Fragen sind eine der wichtigsten Interventionsformen. Systemische Therapie und Beratung ist ohne Fragen gar nicht denkbar.

Neben dem Fragenstellen hat sich auch das Nachsprechen von Aussagen als sehr wirksam erwiesen. Die Klienten werden aufgefordert, einen Satz nachzusprechen und anschließend zu berichten, welche körperliche und emotionale Wirkung das Aussprechen bei ihnen hatte. Eine Aussage kann sich z. B. richtig und stimmig oder falsch und unpassend anfühlen oder ein anderes Gefühl auslösen. Das Nachsprechen von Aussagen führt im Vergleich zum therapeutischen Fragen jedoch eher ein Schattendasein, obwohl diese Methode viel Potenzial hat.

Therapeutische Fragen verfolgen das Ziel, neue Gedanken zu ermöglichen, neue Perspektiven einzunehmen, Bewertungen zu verändern, Dinge in einen neuen Rahmen zu stellen usw. Fragen regen also zum Denken an, sie erzeugen eine innere Antwort-Suchbewegung. Denken findet im Gehirn vor allem im Bereich des präfrontalen Kortex statt: Die Frage muss zuerst kognitiv verstanden werden, dann wird die Antwort kognitiv produziert.

Eine therapeutische Aussage wird auch zuerst gehört, dann aber nachgesprochen, wobei die eigene Stimme in den eigenen Ohren gehört wird.

Beispiel: »Ich erlaube mir, im Mittelpunkt zu stehen.«

Eine Aussage ist keine Aufforderung zur Suche nach einer Antwort. Stattdessen kann sich die Aussage generell als stimmig und richtig oder als falsch und dissonant anfühlen. Diese Wahrnehmung läuft im Unterschied zu Fragen überwiegend körperlich ab. Biosignalgeräte (z. B. der Lügendetektor-Test) verwenden ebenfalls diesen Effekt. Wenn Menschen etwas sagen, das nicht ihrer Intention entspricht, kommt es zu messbaren und von den Personen selbst wahrnehmbaren körperlichen Reaktionen.

Der Unterschied zwischen dem Beantworten von Fragen und dem Nachsprechen von Aussagen liegt darin, dass bei der Verarbeitung von selbstausgesprochenen Aussagen der Körper beteiligt ist und bei Fragen überwiegend der kognitive Teil des Gehirns. Entsprechend ist die Reaktion beim Nachsprechen von Aussagen schneller als bei der Beantwortung von Fragen. Im Prüfungs- und Auftrittscoaching (PAC) werden Fragen und Antworten gezielt eingesetzt: Um zu einem Umdenken anzuregen oder um Informationen zu bekommen, sind Fragen das Mittel der Wahl. Um unbewusste Aspekte anzuregen – z. B. den verdeckten Gewinn eines Problems, Ambivalenzen oder innere Konflikte mit einem unbewussten Glaubenssatz oder einer Loyalität –, sind Aussagen sehr nützlich.

1.13Selbstwertkongruenz

Beim Prüfungs- und Auftrittscoaching geht es häufig um das Selbstwertgefühl. In alltagspsychologischen Ratgebern werden oft stärkende Kraftsätze empfohlen, die man zu sich selbst sagen soll, um sich stärker zu fühlen. Dass dies nicht so einfach ist, wie die Ratgeber vermitteln möchten, hat u. a. folgenden Grund: Die Forscher Michael Robinson, Patrick Vargas und Emily Crawford (2003) haben mittels Fragebogen und implizitem Assoziationstest die unbewusste und bewusste Selbstwerteinschätzung von Menschen gemessen. Auf diese Weise konnten sie nicht nur die Höhe des Selbstwertgefühls, sondern auch dessen Konsistenz feststellen, also die Übereinstimmung zwischen bewusstem und unbewusstem Selbstwertgefühl. Bei manchen Menschen stimmen die unbewusste und die bewusste Einschätzung überein. Einige empfinden sowohl bewusst als auch unbewusst ein hohes Selbstwertgefühl, andere Menschen halten sich selbst für nicht besonders wichtig und wertvoll – bewusst und unbewusst.

Andererseits gibt es auch Menschen, bei denen die Einschätzung nicht konsistent ist: Sie geben sich bewusst nach außen als überaus sicher, unbewusst ist ihr Selbstwertgefühl jedoch geringer. Andersherum gibt es auch Menschen, die sich bewusst nach außen wenig selbstbewusst empfinden, die aber in den Messungen für den unbewussten Selbstwert hohe Werte erhalten. Die Forscher konnten die getesteten Personen vier Gruppen zuordnen und erfragten zusätzlich Aspekte des Glücks und Wohlbefindens.

Die Ergebnisse überraschten: Erwartungsgemäß berichtete die Gruppe mit kongruent hohem Selbstwertgefühl die größten Werte für Glück und Wohlbefinden. Die Gruppe mit kongruent niedrigem Selbstwertgefühl ist aber ebenfalls recht glücklich. Dem gegenüber haben die beiden Gruppen, in denen das unbewusste und bewusste Selbstwertgefühl nicht übereinstimmen, deutlich geringere Wert an Glück und Wohlbefinden.

Dieses Studienergebnis ist sehr aufschlussreich für die Arbeit mit Klienten am Selbstwertgefühl. Es bringt überhaupt nichts, das äußere Selbstwertgefühl durch Powersätze aufzublasen, wenn das innere Selbstwertgefühl dem nicht entspricht. Es ist sogar eher anzunehmen, dass Klienten mit einem Selbstwertproblem in erster Linie ein Konsistenzproblem haben. Beratung sollte daher eher auf die Konsistenz des Selbstwertgefühls ausgerichtet sein.

1.14Affirmationen als Integrationsmittel für Veränderungen

Affirmationen sind Aussagen, in denen sich eine Haltung, eine Erkenntnis, eine Absicht o. Ä. ausdrückt. Man setzt sie ein, um emotionale Veränderungen oder neue Sichtweisen auf anstehende Herausforderungen zu festigen, damit diese im Alltag wirksam bleiben. Affirmationen können täglich als Teil eines Rituals wiederholt ausgesprochen werden, sie lassen sich aber auch als »Notfall-Pille« bei Bedarf einsetzen.

Die Entwicklung einer Affirmation bildet meist den Abschluss einer Sitzung. Zu den Veränderungen, Stärkungen und neuen Sichtweisen werden passende Sätze laut ausgesprochen und vom Klienten laut wiederholt, um zu prüfen, ob sich die Affirmation stimmig anfühlt. Eine passende Affirmation erkennen Klienten vor allem an der körperlichen Reaktion beim Aussprechen. Affirmationen werden häufig missverstanden als Power-Sätze, die man ganz oft wiederholen und sich einreden muss, um sie schließlich zu glauben.

Hier werden Affirmationen gänzlich anders verwendet: Eine Affirmation soll nichts voranbringen oder verbessern, sondern mit der in der Sitzung erreichten Veränderung oder dem aktuellen Erleben übereinstimmen und dieses in passenden Worten auf den Punkt bringen. Affirmationen sollen sich sofort richtig und stimmig anfühlen und müssen nicht geübt werden.

Eine passende Affirmation zu finden ist ein kreativer Prozess. Manchmal ist die passende Formulierung sofort da, manchmal braucht es etwas Zeit. In Affirmationen können verschiedene psychologische Motive gleichzeitig angesprochen werden. Häufig finden sich die Motive:

•Akzeptanz

•Stärkung

•(Selbst-)Erlaubnis

•Differenzierung in Beziehungen (s. S. 205).

Diese Motive sind oft gemischt enthalten. Beispiel:

•Ab jetzt erlaube ich mir, so gut zu sein, wie ich wirklich bin.

•Ich stehe dazu, dass ich das nicht mehr will, auch wenn ich noch nicht sagen kann, was ich wirklich will.

•Auch wenn es wirklich sein kann, dass ich morgen durchfalle, darf ich an mich glauben und stehe zu mir.

•Scheißegal, was die anderen denken: Ich mache das jetzt!

•Ich erlaube mir, aus vollem Herzen meine Meinung zu sagen.

•Auch wenn mir nicht egal ist, was die anderen von mir denken, darf ich so sein, wie ich bin.

•Ich gehe das Risiko ein, weil ich weiß, wofür es sich lohnt.

•Auch wenn es sein kann, dass ich die Prüfung nicht bestehe, werde ich stolz sein, weil ich es gewagt habe.

•Auch ich darf richtig scheiße sein!

Die entwickelte Affirmation schreibe ich auf und gebe sie den Klienten mit. Die Wirkung steigt enorm, wenn man dafür ein echtes Privatrezept verwendet, weil dies erstens überraschend ist (Überraschungen bleiben in Erinnerung) und zweitens eine Aufwertung der Affirmation darstellt. Einen Rezeptblock (s. Abb. 4) darf sich jeder drucken lassen, er darf nur nicht missbräuchlich genutzt werden.

Abb. 4: Rezeptblock für Affirmationen

1.14.1PAC goes digital: die App »PACffirmation«

Im Alltag nutzen viele Menschen ein Smartphone und haben dies immer dabei. Einen Papierzettel hingegen hat man nicht ständig zur Hand. Für PAC wurde die App PACffirmation entwickelt (s. Abb. 5). Sie ist kostenfrei (vorerst nur für Android) erhältlich und absolut werbefrei. Das Motto bei der Entwicklung der App war: »So einfach wie Papier und Bleistift.«

Es können mehrere eigene Affirmationen notiert und, wie bei einem Wecker, mit Erinnerungszeiten versehen werden. Wenn die Zeit erreicht ist, wird der Text über eine Benachrichtigung auf dem Display angezeigt und muss dort dreimal an unterschiedlicher Stelle auf dem Display berührt werden. Im Unterschied zu anderen auf dem Markt erhältlichen Affirmations-Apps gibt es bei der PACffirmation keine voreingestellten Sätze. Die App ist für den professionellen Einsatz konzipiert.

 

Abb. 5: App »PACffirmation« für Affirmationen

Der Vorteil der PACffirmation gegenüber einem Papierzettel besteht darin, dass die Klienten automatisch an die Affirmation erinnert werden. Außerdem können sie mehrere Affirmationen nutzen und diese auch ändern oder archivieren.

Um die Vorteile des analogen Papiers und der digitalen App zu verschmelzen, gibt es den PAC-Rezeptblock, auf dem ein QR-Code zu der App bereits aufgedruckt ist.

2Lerntechnik und Arbeitsverhalten
2.1Theorie

Lernen in Schule, Ausbildung, Studium und in anderen Lernkontexten ist keineswegs trivial. Psychologisch, motivational und physiologisch betrachtet ist Lernen sogar überaus komplex. Während es in der Sportwissenschaft eine Trainingslehre gibt und jeder Amateursportler zumindest Grundzüge (z. B. unterschiedliche Kraftarten, Wechsel von Erholung und Belastung) davon kennt, um sein Training zu strukturieren, wird dies in Schule und Studium hinsichtlich akademischer Leistungssituationen so gut wie gar nicht vermittelt. Entsprechend oft treten Schwierigkeiten auf, weil Menschen falsche Vorstellungen von Lernen und eine unpassende Lerntechnik haben. In PAC geht es daher auch darum, Schülern, Studierenden und anderen Menschen in Lern- und Leistungssituationen entsprechende Konzepte an die Hand zu geben und ihnen »Trainingswissen« zu vermitteln.

2.1.1Zusammenhang zwischen Lernverhalten und Prüfungsangst

Für das Lernen und Verstehen von komplizierten Inhalten sind eine ausreichende kognitive Leistungsfähigkeit, eine passende Lernmethode, eine passende Lernumgebung und genügend Zeit vonnöten. Oft führt z. B. die Wahl einer unpassenden Lernmethode dazu, dass jemand zwar viele einzelne Fakten im Kopf hat (Auswendiglernen), im Thema aber nicht sicher ist, weil er oder sie die Zusammenhänge nicht verstanden hat. Ungenügendes Verständnis erzeugt Unsicherheit und Stress, weshalb sich viele Schüler und Studierende mit unpassenden Lerntechniken im Coaching Methoden zur Entspannung wünschen.

Nach einer Untersuchung von Culler und Holahan (1980) besteht bei Studierenden ein deutlicher Zusammenhang zwischen Prüfungsängsten und Defiziten in Lern- und Studierfähigkeiten. Die Vorbereitung und das Lernen für eine Prüfung führen bei Schülern und Studierenden mit dysfunktionalen Lern- und Arbeitstechniken nicht zu ausreichendem Wissen und genügenden Kompetenzen. Die Prüfungsangst und Sorge, in der Prüfung zu versagen, beruht dann auf der (in diesem Fall zutreffenden) Einschätzung der eigenen Kompetenzen. Allerdings reduziert die Angst zusätzlich die kognitive Leistungsfähigkeit.

In Studien konnte gezeigt werden, dass Studierende, die sich selbst als prüfungsängstlich erleben, geringere Studierfähigkeiten aufweisen als Studierende, die sich selbst als weniger prüfungsängstlich erleben. Einige Studien zeigen mit Korrelationskoeffizienten von –0,42 eine recht hohe negative Korrelation von Studierfähigkeit und Prüfungsängstlichkeit (Bruch 1981).

2.1.2Lerntechnik und Arbeitsverhalten in der Psychotherapie?

Der Bereich Lerntechnik und Arbeitsverhalten ist der Bereich, der von psychotherapeutisch arbeitenden Kollegen am wenigsten wahrgenommen wird, weil man damit kein heilkundliches Arbeiten assoziiert. Schüler und Studierende mit Prüfungsangst haben aber rein statistisch betrachtet sehr oft Schwierigkeiten mit der Steuerung ihrer Lernprozesse. Sie verwenden unpassende Lerntechniken und planen ungünstig. Wenn in der Therapie oder im Coaching der Fokus ausschließlich auf Entspannungs- und Selbststärkungstechniken oder psychodynamische Faktoren gerichtet ist, rutschen technische Aspekte noch mehr aus dem Blick.

Wird hingegen die Lerntechnik optimiert, können für die Klienten überraschende Erfolgserlebnisse zustande kommen. Manche Klienten schreiben, nachdem ihnen die Technik »mentale Landkarte« (s. S. 69) und das Intervall-Lernen (s. S. 74) erklärt wurden, zum ersten Mal eine Prüfung mit dem Gefühl, wirklich etwas verstanden zu haben. Dieser selbst erarbeitete Erfolg kann das akademische Selbstwertgefühl steigern und ist oft nachhaltiger als eine Psychotherapie.

2.1.3Wie funktioniert Lernen?

In der konstruktivistischen Auffassung von Lernen sind Menschen aktiv an ihrem Lernprozess beteiligt. Nach Heinz Mandl und Gabi Reinmann-Rothmeier (1998) gibt es sechs zentrale Merkmale des Lernens, die auch im Prüfungscoaching eine wichtige Leitschnur bilden:

1.Lernen als aktiver Konstruktionsprozess: Wissen kann nur durch die eigenaktive Beteiligung des Lernenden am Lernprozess erworben werden.

2.Lernen als konstruktiver Prozess: Wissen kann nur erworben und genutzt werden, wenn es auf bereits vorhandenen Wissensstrukturen aufbaut und auf der Grundlage individueller Erfahrungen interpretiert werden kann.

3.Lernen als emotionaler Prozess: Für den Wissenserwerb sind positive Emotionen wie Freude förderlich; Angst und Stress erweisen sich für das Lernen als hinderlich.

4.Lernen als selbst gesteuerter Prozess: Die Auseinandersetzung mit den Themenbereichen erfordert Kontrolle und Überwachung des eigenen Lernprozesses durch die Lernenden.

5.Lernen als sozialer Prozess: Wissenserwerb geschieht in der Interaktion mit anderen.

6.Lernen als situativer Prozess: Der Erwerb von Wissen ist kontext- und situationsgebunden; so findet Lernen immer im Rahmen einer bestimmten Lernumgebung statt, die für die Entstehung zentraler Kompetenzen entscheidend ist.

Den Mittelpunkt der Erkenntnistheorie des Konstruktivismus bildet die Frage, »wie der Mensch seine Welt konstruiert« (Siebert 2008, S. 9). Wolf Singer weist darauf hin,

»dass Wahrnehmung nicht als passive Abbildung von Wirklichkeit verstanden werden darf, sondern als das Ergebnis eines außerordentlich aktiven, konstruktivistischen Prozesses gesehen werden muss, bei dem das Gehirn die Initiative hat« (Singer 2002, S. 200).

Allerdings verfolgen viele Menschen beim Lernen in der Schule, im Studium oder einer Ausbildung ganz andere Ziele: Sie behandeln ihr Gehirn wie einen USB-Stick und versuchen, die Inhalte aus einer Lehrveranstaltung oder einem Lehrbuch durch mehrfaches Wiederholen und Abschreiben »in den Kopf runterzuladen«. Vonseiten der Hardware bestehen jedoch sehr entscheidende Unterschiede zwischen einem USB-Stick und dem menschlichen Gehirn: Der USB-Stick kann alles speichern und muss dafür nichts verstehen. Dem USB-Stick ist es egal, ob eine Datei mit Buchstabenreihen gefüllt ist, die sinnhafte Worte ergeben, oder ob es unzusammenhängende Buchstaben sind. Der Mensch hingegen kann sich kaum mehr als sieben unabhängige Daten merken, sogenannte Chunks (Miller 1956). Andere Studien kamen sogar zu dem Ergebnis, dass die menschliche Speicherkapazität noch geringer ist und nur vier Speicherplätze frei hat (Cowan 2001). Wenn mehr gespeichert werden soll, müssen Muster und Verbindungen erkannt, gefunden oder erfunden werden. USB-Stick-Lernen ist nicht artgerecht!

Die Lehrperson einer Lehrveranstaltung hat im besten Fall ein umfangreiches Wissen zu ihrem Lehrthema und weiß mehr, als sie in der Lehrveranstaltung vermittelt. Ihre Expertise zeichnet sich aber nicht nur durch die Menge an Wissen aus, sie kennt vor allem die Zusammenhänge und hat einen Überblick. Aus Sicht der Lehrperson steht der Inhalt der Lehrveranstaltung also in einem größeren Kontext. Für sie hängt alles mit allem zusammen. Ihr Wissen ist ein Gewebe von sinnhaft miteinander verwobenen Informationen, das keinen natürlichen Anfang hat. Erst bei der Konzeption einer Lehrveranstaltung wird das Wissen in eine didaktisch begründete Abfolge zerlegt. Sie wählt einen Teil ihres Wissens aus und bringt den Lerninhalt in eine Reihenfolge. Im Unterricht wird eins nach dem anderen vermittelt. Auch wenn das zunächst trivial klingt, ist es für das Verständnis der psychologischen Vorgänge beim Lernen zentral.

Damit Kommunikation und Unterricht funktionieren, also von Lernenden verstanden werden können, muss das Wissen zerlegt werden – schon allein deshalb, weil Worte nur nacheinander ausgesprochen, geschrieben und gehört werden können. Jedes Buch (auch das, welches Sie in den Händen halten) hat ein erstes und ein letztes Wort. Die Worte können nicht alle auf einmal gelesen werden. Die Entscheidung darüber, was ins erste und was ins letzte Kapitel geschrieben wird, ist ausschließlich didaktisch begründet.

Auch bei dem Thema dieses Buchs hängt alles mit allem zusammen. Eine Lehrveranstaltung, ein Unterricht, Lehrbuch oder Film sind somit zwangsläufig eine Reduktion der Komplexität. Übrig bleibt nur eine einzige Abfolge – eine Geschichte. Anschaulich erleben kann man dies beim Lesen einer Geschichte mit parallelen Handlungssträngen: Der Leser der Geschichte kann die parallelen Handlungsstränge nur verstehen, wenn er in seiner mentalen Repräsentation der Geschichte die Ereignisse zeitlich selbst übereinanderlegt, obwohl er sie nacheinander liest. Eine Lehrveranstaltung, ein Buch oder ein Lehrfilm vermitteln nur die bereits linearisierte, in eine Reihenfolge gebrachte Version der komplexen fachlichen Zusammenhänge.

Schüler, Auszubildende und Studierende an Schulen und Universitäten lernen für Prüfungen fast immer nach dem gleichen Schema (Abb. 6).

Die Informationen aus den einzelnen Unterrichtsstunden, die meist in Form von Mitschriften, Lehrbüchern, PowerPoint-Folien o. Ä. vorliegen, werden zunächst von den Schülern und Studierenden nach vermuteter Relevanz für die bevorstehende Prüfung gescannt. Dann werden die Unterlagen zu sogenannten Lernzusammenfassungen verdichtet. Mit diesen Zusammenfassungen wird anschließend »gelernt«. Das sogenannte »Lernen« hat meist das Ziel, die Informationen aus der Zusammenfassung 1:1 im Kopf abzuspeichern.

Wenn ich bei Vorträgen vor Schülern und Studierenden nach dem Ziel ihres Lernens für eine Prüfung frage, erhalte ich fast immer folgende Antwort:

»Ich möchte es am besten genau so im Kopf haben und genau so wiedergeben können, wie die Lehrerin/der Lehrer es gesagt hat.«

Abb. 6: USB-Stick-Lernen

In der Beratung ist es wichtig, dieses Ziel genau zu reflektieren. Der Lehrinhalt ist immer in seiner Komplexität reduziert und in eine Reihenfolge gebracht. Wenn exakt die Formulierungen aus dem Unterricht oder Lehrbuch im Kopf abgespeichert werden, ist dies kein brauchbares Wissen. Linear lernende Schüler und Studierende lassen sich sehr einfach erkennen: Sie beschweren sich nach Prüfungen oft darüber, dass in der Prüfung Inhalte drankamen, die nicht in der gleichen Weise im Unterricht behandelt wurden. Dieser Beschwerde liegt die implizite Annahme zugrunde, dass sich die Prüfung exakt auf die Inhalte des Unterrichts bezieht. Eine Prüfung würde also »abprüfen«, ob der Unterrichtsinhalt wiedergegeben werden kann. Aus dieser Schülerlogik heraus hat eine Prüfungsvorbereitung zum Ziel, den Unterricht exakt zu memorieren. Es wird daher als unfair und regelwidrig empfunden, wenn in einer Prüfung etwas drankommt, was im Unterricht zuvor nicht in gleicher Weise besprochen und behandelt wurde.