Buddhas achtsamer Weg aus der Krise

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Eine tröstliche Erkenntnis

Wir alle stehen vor der Aufgabe, mit den Veränderungen, den Unvollkommenheiten und den damit möglichen Krisen zurechtzukommen.

Dass Sie sterben müssen, ist kein Angriff des Universums auf Sie persönlich. Alles, was geboren wird, ist dem Tod geweiht. Es gibt kein Leben ohne das Sterben. Der Tod ist unpersönlich. Er ist einfach eine Tatsache. Verhandlungen darüber sind sinnlos. Mit wem sollte man auch verhandeln?

Ihre Aufgabe, meine und die aller Menschen ist es, mit dieser Tatsache irgendwie umzugehen.

Auch das Altern betrifft uns alle. Nur ein früher Tod könnte es verhindern. Doch das ist keine gute Alternative. Nehmen Sie es also nicht persönlich, dass Sie Falten bekommen und Ihr Körper nicht mehr so funktioniert wie in jungen Jahren.

Die Welt ist nicht gegen Sie, bloß weil nicht alles so läuft, wie Sie sich das vorstellen. So ergeht es uns allen. Wir sitzen, was das angeht, alle im selben Boot. Der Tod, das Alter, Krankheiten und Krisen sind die großen Gleichmacher.

Einige denken vielleicht, sie könnten sich mit viel Geld ihre Falten wegoperieren lassen. Aber stellen Sie sich einmal eine Zwanzigjährige neben einer Siebzigjährigen vor, die sich sogenannten Schönheitsoperationen unterzogen hat. Wenn Sie den Unterschied nicht sehen, haben Sie etwas mit den Augen.

Das Alter ist keine Frage der Falten. Es steckt im ganzen Körper, in seinen Funktionen, in allen Organen, in den Bewegungen, in den Haaren und den Finger- und Fußnägeln. Es lässt sich nicht wegoperieren. Der Begriff »Schönheitsoperation« beinhaltet einen semantischen Trick, genauso wie das Wort »Lebensversicherung«. Denn das Leben lässt sich nicht gegen den Tod versichern.

Im Grunde steckt in dieser Erkenntnis etwas Tröstliches. Dadurch das wir alle die gleichen, existenziellen Erfahrungen machen, steht niemand besser oder schlechter da. Es kommt allein darauf an, wie wir auf die menschliche Grundsituation reagieren. Findet man einen Weg aus der Krise, oder bleibt man ein Leben lang darin stecken?

Wir alle müssen uns mit den allgemein menschlichen Problemen und Schwierigkeiten auseinandersetzen. Das Leben ist hart. Sonst wären nicht so viele Menschen unglücklich und verzweifelt. Schon das Erwachsenwerden bringt eine Menge Prüfungen mit sich, und das nicht nur in der Schule. Auch später reißen die Nöte nicht ab.

Selbst Buddha musste erst lernen, damit zurechtzukommen.


Als Buddha noch kein Buddha war

Eigentlich hieß Buddha Siddhartha Gautama. Buddha bedeutet »Erwachter« und ist ein Titel für Menschen, die das Leiden vollständig hinter sich gelassen haben.

Um Letzteres zu erreichen, brauchte Siddhartha sechs Jahre. Fünfunddreißig Jahre lang ging es ihm nicht anders als den meisten von uns: Er war mehr oder weniger unglücklich.

Dabei half ihm auch nicht, dass er der Sohn eines Königs war und alle Privilegien genoss, die das Leben eines Prinzen mit sich bringt. Einen Vorteil hatte seine besondere Stellung allerdings: Siddhartha erkannte, dass Reichtum nicht vor dem Leiden schützt. Damit konnte er sich all die Umwege ersparen, die »Normalsterbliche« üblicherweise gehen. Diese versuchen, möglichst hoch an die Spitze der Gesellschaft zu gelangen, reich, berühmt und mächtig zu werden, weil sie sich davon das Glück versprechen. Wird uns nicht immer noch weisgemacht, dass wir den Weg des Goldes, des Geldes und der Macht gehen müssten, um so glücklich zu werden, wie wir uns das wünschen?

Siddhartha verlor am Königshof diese Illusionen. Er sah, dass sein Vater, der König, und dessen Hofstaat keineswegs zufrieden lebten. Kein Gold der Welt konnte ihnen inneren Frieden verschaffen. Sie lebten vielmehr in der Sorge, ihre Vorrechte zu verlieren, oder sie waren trotz ihrer hervorgehobenen Stellung neidisch auf die wenigen, die noch mehr besaßen als sie.

Überhaupt keinen Schutz verschaffte ihnen ihr Reichtum, wenn es um Alter, Krankheit und Tod ging. Sie bejammerten ihr menschliches Schicksal wie jeder andere auch. Die Ablenkung, die ihnen ihr Luxus bot, währte nur kurz. Im Hintergrund blieb die Angst, dies alles eines Tages hergeben zu müssen.

Seine Verwandten gaben sich alle Mühe, Siddhartha vorzugaukeln, dass er ein schönes Leben habe, doch natürlich entgingen ihm die Machtkämpfe am Königshof nicht. Er brauchte sich auch nur in die Stadt zu begeben, um menschliches Elend aus nächster Nähe zu erleben. Dort begegneten ihm viele alte und kranke Menschen. An den Straßen lagen nicht selten Tote. Am Stadtrand gab es ganze Felder mit Leichen, die niemand begrub und über die sich die Geier hermachten.

Siddhartha, der später von sich sagte, er sei in seinem Elternhaus sehr verwöhnt worden, war entsetzt von solchen Anblicken. Was für einen Sinn machte es, Häuser, Geld und Luxusgegenstände anzusammeln, wenn man all das nicht behalten konnte, fragte er sich. Jederzeit konnte einen der Tod ereilen und allen Plänen einen Strich durch die Rechnung machen.

Hinzu kam, dass Siddhartha als Prinz in eine Rolle gedrängt wurde, die ihm nicht gefiel. Er sollte später die Nachfolge seines Vaters antreten. Bis dahin hatte er sich dessen Anordnungen zu fügen. Der König war nicht nur Herrscher über sein Volk, sondern selbstverständlich auch über seine Familie und damit auch über seinen Sohn. Der Lohn für den geforderten Gehorsam bestand in dem Luxus, den ein Leben am Königshof gewährte, und in der Aussicht auf unbeschränkte Herrschaft, wenn Siddhartha selbst einmal König sein würde.

Doch all das bedeutete Siddhartha wenig. Ihm blieben die Zwänge nicht verborgen, denen sogar ein König unterlag. Der Adel verlangte Mitsprache. Das Königreich unterstand zudem einem noch mächtigeren Herrscher, dem es zu huldigen galt.

Siddhartha fühlte sich, als würde er in einem goldenen Käfig leben. Er dürstete nach Freiheit und mehr noch nach einem Glück, das nicht von Ängsten, Enttäuschungen, Ärger und der Aussicht auf Krankheit, Alter und Tod überschattet war.

Seine Unzufriedenheit steigerte sich von Tag zu Tag, bis er sich in einer solchen Krise befand, dass er unbedingt einen Ausweg finden wollte.

Siddhartha beschloss, den Königshof bei Nacht und Nebel zu verlassen. Gelegentlich waren ihm in der Stadt Menschen begegnet, die Haus und Hof aufgegeben hatten, um nach dem absoluten, unvergänglichen Glück zu streben. So ein Freiheits- und Wahrheitssucher wollte er auch werden. Trotz des äußeren Reichtums fühlte er sich innerlich leer. Er hatte das Gefühl, dass es nur besser werden konnte, wenn er sein bisheriges Leben aufgab.

Seine innere Krise verlangte eine Lösung.


Wie in Grimms Märchen?

In den Märchen der Gebrüder Grimm heißt es am Schluss oft: »… und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.« Nachdem die HeldInnen ihre aufregende Suche nach dem Goldschatz erfolgreich beendet haben, dürfen wir aufgrund dieses Schlusssatzes annehmen, dass sich ihre Probleme für immer in Wohlgefallen aufgelöst haben und keine neuen mehr entstanden. Uns wird suggeriert, dass es für die Märchenfiguren nie wieder irgendwelche Beschwernisse gab.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich würde gerne mehr davon hören, wie dieses glückliche Leben konkret aussah. Gab es wirklich nie wieder Probleme, oder hatten unsere HeldInnen aufgrund ihrer erfolgreich bestandenen Abenteuer nur gelernt, mit sämtlichen Widrigkeiten des Lebens umzugehen und diese nicht mehr zu fürchten?

Ein Leben ohne äußere Probleme ist kaum vorstellbar. Mag sein, dass Märchenprinzen und -prinzessinnen nicht altern, nie krank werden und ein ewiges Leben besitzen. Dagegen spricht allerdings, dass sehr wohl vom Ende ihrer Tage die Rede ist. Wahrscheinlich sind sie auch vor Krankheit, Altersbeschwerden und anderen Komplikationen nicht geschützt. Umso interessanter wäre es, zu erfahren, wie sie es trotzdem schafften, ihr gefundenes Glück ein Leben lang zu bewahren. Leider sind es nur Volksmärchen. Die Menschen, die sie von Generation zu Generation weitererzählten, hatten offenbar keine Vorstellung davon, wie so ein unverbrüchliches Glück zu erlangen sei. Sie brachten nur eine Sehnsucht zum Ausdruck, für die es im wahren Leben keine Entsprechung gab. Es waren eben Märchen, nicht die Realität.

Anders verhält es sich mit den Überlieferungen, die Buddhas Leben und Lehre schildern. Diese enden nicht mit Buddhas Erleuchtung, sondern geben auch über die folgenden fünfundvierzig Jahre Auskunft. Außerdem enthalten sie konkrete Anleitungen, wie man so glücklich wie Buddha werden kann.

Daher wissen wir, dass Buddha tatsächlich glücklich bis ans Ende seiner Tage lebte, nachdem er herausgefunden hatte, wie man mit den Grundtatsachen des Lebens am besten umgeht. Wir wissen aber auch, dass sein weiterer Weg nicht frei von äußeren Problemen und Schwierigkeiten war. Umso besser, denn nur so kann Buddha ein Vorbild für uns sein. Ein Mensch, der vor keinen Herausforderungen mehr steht: Das taugt wirklich nur für Märchen.

Wir brauchen keine illusionären Versprechungen. Davon gibt es ohnehin genug. Nein, das Einzige, was uns wirklich weiterhelfen kann, sind wirksame Hilfen bei realen Beeinträchtigungen. Diese hören niemals auf, egal ob man erleuchtet ist oder nicht.

 

Nachdem er den Königshof verlassen hatte, lebte Buddha für den Rest seines Lebens als Wandermönch. Man kann sich vorstellen, dass das kein bequemes Leben war. Da tun einem schon mal die Füße oder der Rücken weh, selbst wenn man berücksichtigt, dass Waldboden sehr weich sein kann. Buddha schlief jedenfalls nicht in einem Komfortbett.

Er war dem Wechsel dem Jahreszeiten ausgesetzt, was bedeutete, dass es im Sommer sehr heiß und in der Regenzeit wochenlang sehr nass war. Zwar stellten reiche Gönner den Mönchen später Unterkünfte zur Verfügung, aber diese wurden nur vorübergehend genutzt, wenn die Wege unpassierbar waren.

In den Überlieferungen ist die Rede davon, dass Buddha von feindseligen Menschen verleumdet wurde und sein Vetter einen Mordanschlag auf ihn plante. Zwei seiner Lieblingsmönche, denen er die Weiterführung des Ordens nach seinem Tod anvertrauen wollte, starben vor ihm. Es ging ihm also äußerlich gesehen nicht besser, sondern eher schlechter als den meisten von uns.

Wir leben in Komfortwohnungen mit Bad und Zentralheizung, fahren in klimatisierten Autos und können aus dem reichen Angebot der Supermärkte wählen, was wir essen und trinken möchten, während Buddha durch die Dörfer zog und sich einmal am Tag eine Mahlzeit erbat.

So ein Leben ohne festes Einkommen und ohne eine eigene Bleibe, wäre für die große Mehrheit der Menschen mit Ängsten, Depressionen und einer Menge Ärgernissen verbunden. Auch damals wählten nur vergleichsweise wenige diesen Lebensstil.

Umso erstaunlicher scheint es, dass Buddha – anders als in der Rolle eines Prinzen – sich so frei und glücklich fühlte.

Was war sein Geheimnis?


Die positive Seite von Krisen

Buddha hat seine Lehre später in vier Wahrheiten zusammengefasst. Leiden ist die erste Wahrheit. Niemand kommt um die Einsicht herum, dass Menschen, ja überhaupt alle Kreaturen, leiden. Obwohl diese Tatsache so offensichtlich ist, wollen wir sie oft nicht wahrhaben. Wir leugnen unser Leiden, spielen es herunter und tun so, als ob wir glücklich seien. Aber tief drinnen wissen wir, dass wir unzufrieden sind. Da wir annehmen oder sogar fürchten, die anderen seien glücklich, verstecken wir unser Leiden lieber. So gründlich, dass wir selbst irgendwann glauben, »eigentlich« ganz glücklich zu sein. Doch das »Eigentlich« verrät, dass es in Wirklichkeit nicht so ist. Im Hintergrund lauern unsere Ängste, Depressionen, Ärgergefühle und weitere unangenehme Empfindungen. Es fehlt nicht viel, sie zum Vorschein zu bringen. Dann sind wir überrascht über unsere heftigen Reaktionen, die in keinem Verhältnis zum Anlass stehen. Wir schämen uns, nicht wirklich glücklich zu sein. Deshalb soll niemand unser Leid sehen, außer vielleicht unsere engsten Mitmenschen.

Stress, der kleine Bruder des Leidens, zeigen wir dagegen gerne. Es ist okay, gestresst zu sein. Mehr noch: Stress ist schön. Dafür gibt es sogar einen akademischen Begriff: Eustress. Leider ist diese schöne Form des Stresses so selten wie das Glück. Ihr Gegenteil, der Disstress, herrscht vor.

Trotzdem ist Stress gesellschaftlich anerkannt, weit verbreitet und gilt daher als normal. Wer nicht gestresst ist, gilt als Außenseiter, und wer möchte schon freiwillig so einer sein? Also gibt man vor, gestresst zu sein, selbst wenn man es ausnahmsweise nicht ist. Bloß nicht unangenehm auffallen, sich nicht verdächtig machen. Warum ist der/die eigentlich nicht gestresst?

Stress verdeckt das tiefere Leiden, über das man nicht sprechen möchte. Es ist leichter, über Alltagsprobleme zu reden als über die Dinge, die einen wirklich bedrücken.

Deshalb beginnt der Weg aus der Krise damit, dass man sich eingesteht, unglücklich und unzufrieden zu sein.

Gefühle, auch unangenehme, haben eine wichtige Funktion in unserem Leben. Sie weisen uns den Weg. Glück signalisiert uns, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen. Leiden ist dagegen ein Stoppsignal. Es bedeutet, dass wir uns im Leben verlaufen haben und umkehren beziehungsweise eine neue Richtung einschlagen sollten.

So gesehen, haben Krisen und Leiderfahrungen eine sehr positive Seite. Wenn wir sie nutzen, führen sie zum ersten Schritt in eine bessere Zukunft.

Ohne Krisen gibt es keine Befreiung vom Leiden. Das mag auf den ersten Blick nicht besonders einladend wirken. Lieber würde man sich die unangenehmen Erfahrungen ersparen.

Aber es stimmt: Unser Unglücklichsein ist nur dann negativ, wenn wir darin steckenbleiben. Wir brauchen Probleme, Schwierigkeiten und Hindernisse, um daran zu wachsen. Ohne Widerstand wird niemand stärker. Das gilt für unsere Muskeln genauso wie für unser Glück.

Ein allzu bequemes Leben macht uns empfindlich gegen seine Härten. Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum Buddha ein Leben unter freiem Himmel der Verwöhnung im Königspalast vorzog. Indem er allen Problemen ausgewichen war, war er immer empfindlicher und unglücklicher geworden. Ist das nicht genau die gleiche, vergebliche Strategie, die wir favorisieren? Vermeiden wir nicht alles, was irgendwie anstrengend oder schwierig ist? Etwas Neues zu lernen, statt uns in immer wieder ähnlichen, längst bekannten Bahnen zu bewegen? Sport zu treiben, statt jede Strecke mit dem Auto zurückzulegen und ganze Tage vor dem Computer oder Fernseher zu verbringen? Mal eine Mahlzeit auszulassen, statt ständig zuzunehmen?

Sind vielleicht nicht die Krisen das Problem, sondern die Art, wie wir darauf reagieren?


Geborgen in einer Welt voller Probleme

Die äußeren Krisen werden, wie wir gesehen haben, nicht enden. Gegen Krankheiten ist vielleicht manchmal ein Kraut gewachsen, gegen Alter und Tod nicht. Scheidungen, Unfälle oder Naturkatastrophen gehören zum Leben dazu.

Wir kommen also, wenn wir das Leiden beenden wollen, nicht darum herum, dafür zu sorgen, dass aus den Krisen um uns herum keine Krisen in unserem Inneren werden. Genau das ist die Erkenntnis, die Buddha bereits vor 2.500 Jahren hatte.

Es geht um einen Weg, der es ermöglicht, sich mitten im Chaos geborgen zu fühlen.

Krisen führen entweder zu Leid oder zu krisenfestem Glück. Tatsächlich ist es Buddha gelungen, zu verstehen, was uns leiden lässt, und was wir dagegen tun können.

Sein Ziel war es, nicht nur ab und zu frei von Ängsten, Enttäuschung und Ärger zu sein, sondern für immer. Was immer um ihn herum geschah: Er wollte davon unbehelligt bleiben. Auch seinen manchmal erschreckenden Gedanken und heftigen Gefühlen wollte er nicht mehr ausgeliefert sein.

Sein Leben sollte fortan von Glück, Gelassenheit und Liebe bestimmt sein.

Als er sich nachts von zuhause fortschlich, war er sich nicht sicher, ob er es schaffen würde, diese hohen Ziele zu erreichen. Er kannte niemanden, der sich für immer vom Leiden befreit hatte.

Sicherlich gab es Menschen, die zeitweise glücklich und entspannt waren. Er selbst erlebte auch solche Momente. Aber sie vergingen schneller, als ihm lieb war.

Dagegen hielten die Sorgen, das Deprimiertsein und der Stress wesentlich länger an. War es möglich, die Zeiten des Glücks zu verlängern und die des Unglücklichseins zu verringern? Gab es vielleicht sogar so etwas wie beständiges Zufriedensein? In den Heiligen Schriften war die Rede davon. Leider schien in der Realität niemand so weit zu kommen. Einige Gurus behaupteten, im Zustand der immerwährenden Glückseligkeit zu leben. Lernte man sie näher kennen, erwies sich ihre Heiligkeit jedoch als bloßer Schein.

Siddhartha konnte sich also entgegen seinen Erwartungen nicht auf Lehrer stützen. Deshalb begann er selbst zu experimentieren. Nachdem er den Luxus kennengelernt hatte und dieser sich als untauglicher Schutz gegen die Härten des Lebens erwiesen hatte, kam er auf die Idee, das Gegenteil auszuprobieren. Siddhartha lebte eine Zeit lang als Asket. Aber auch dieser Weg stellte sich als Fehlschlag heraus.

Schließlich analysierte er sein bisheriges Leben gründlich. Wann war er jemals zufrieden gewesen? Was störte sein Glück? So entdeckte er zunächst die wahren Ursachen des Leidens.


WIE DAS LEIDEN IN DIE WELT KOMMT

Wunsch und Wirklichkeit

Die erste Wahrheit war das Leiden. Die zweite Wahrheit, die Buddha entdeckte, handelt vom Entstehen des Leidens. Wie kommt das Leiden in die Welt?

Es beginnt damit, dass unsere Erwartungen sich nicht erfüllen. Auf der einen Seite haben wir Wünsche, auf der anderen Seite steht die Realität. Leider passen die beiden selten zusammen. Kurz gesagt, es kommt anders, als man denkt.

Mal fehlt etwas. So wie in diesem alten Schlager:

»Ich brauche keine Millionen.

Mir fehlt kein Pfennig zum Glück.

Ich brauche nur Musik,

Musik, Musik.«

Dann ist ja alles in Ordnung, könnte man denken. Wenn es nicht am Schluss so weiterginge:

»Doch eine ganze Kleinigkeit,

die brauch ich noch dazu.

Und diese große Kleinigkeit bist du,

nur du, nur du du du du.«

Eigentlich auch kein Problem, nur dass die Person, der die Liebeserklärung gilt, vielleicht nicht mitspielt. Und schon stellt sich das Leiden am Mangel ein. Etwas ist nicht da: noch nicht, nicht mehr oder gar nicht.

Überlegen Sie einmal, welche große Kleinigkeit Ihnen noch zu Ihrem Glück fehlt.

»Ich könnte glücklich sein, wenn …« Vervollständigen Sie bitte diesen Satz. Sie werden schnell sehen, wie Unzufriedenheit entsteht.

Ein anderes Mal ist etwas da, was nicht da sein sollte. Etwas, das man nicht ausstehen kann: eine chronische Krankheit, eine laute Nachbarin, achtunddreißig Grad Celsius heiße Sommertage – so etwas in der Art.

Denken Sie an Ereignisse, Dinge und Menschen, auf die Sie gut verzichten könnten.

»Ich wäre glücklich, wenn nicht …« Das ist der andere Satz, den Sie an dieser Stelle ergänzen könnten. Was Sie dabei aufführen, sind all die Ereignisse, Dinge und Menschen, die Ihnen das Leben schwermachen.

Einiges hätten Sie gerne, anderes lieber nicht.

Bei manchen Menschen sind die beiden Listen lang.

Was viele möchten: mehr Geld, einen anderen Beruf, einen besseren Arbeitsplatz, einen schöneren Wohnort, eine Partnerin, einen anderen Partner, eine Affäre, eine glücklichere Kindheit, eine qualifiziertere Ausbildung, verständnisvollere Eltern, freundlichere FreundInnen, eine robustere Gesundheit, einen schlankeren Bauch, längere Beine, mehr Haare auf dem Kopf, ein neues Auto … Die Liste ist endlos.

Was viele gerne nicht hätten: Schulden, Stress am Arbeitsplatz, eine Wohnung am Flughafen, eine Scheidung, einen Todesfall in der Familie, noch ein Kind, nörgelnde Eltern, die dauernd zu Besuch kommen, ein reparaturanfälliges Auto, Haare an Körperstellen, wo man sie nicht braucht … Auch diese Liste kennt keine natürlichen Grenzen.

Immer wenn die Wirklichkeit nicht so will wie wir, sind Enttäuschungen, Sorgen und Ärger nicht weit.

Mögen Sie Ablehnungen? Vermutlich nicht besonders. Den Grund dafür kennen Sie jetzt. Durch eine Ablehnung wird Ihr Wunsch gefährdet. Ihr Traum rückt in weite Ferne, womöglich wird er unerreichbar. Das allein wäre noch kein Grund, sich aufzuregen. Doch es steht viel mehr auf dem Spiel: Ihr Glück.

Wenn Sie sagen: »Zu meinem Glück brauche ich X«, und X nicht zu bekommen ist, haben Sie ein Problem. Sie leiden. Je stärker Sie X brauchen, desto unglücklicher sind Sie.


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