Maria Stuart

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Mit einem derart unbeirrbaren und unbestechlichen Mann, der nur befehlen will und nur gehorsame Gläubigkeit hinnimmt, gibt es keine Kompromisse; alles Werben und Sich-um-ihn-Bemühen wird ihn nur um so härter, höhnischer und anspruchsvoller machen. An dem steinernen Block eines solchen selbstfreudigen Starrsinns zerschellt jeder Versuch der Verständigung. Immer sind, die für Gott zu streiten vorgeben, die unfriedlichsten Menschen auf Erden; weil sie himmlische Botschaft zu vernehmen glauben, sind ihre Ohren taub für jedes Wort der Menschlichkeit.

Noch ist Maria Stuart nicht eine Woche in ihrem Lande, und schon muß sie dieses Fanatikers finstere Gegenwart spüren. Ehe sie die Herrschaft antrat, hatte sie nicht nur volle Glaubensfreiheit allen ihren Untertanen zugesichert – was ihrem toleranten Temperamente kaum ein Opfer bedeutete –, sondern sogar das Gesetz zur Kenntnis genommen, das in Schottland die öffentliche Zelebrierung der Messe verbietet – ein schmerzliches Zugeständnis dies an die Anhänger John Knoxens, dem es nach seinem Wort »lieber wäre, zehntausend Feinde in Schottland landen zu sehen, als eine einzige Messe gelesen zu wissen«. Aber selbstverständlich hat sich die strenggläubige Katholikin, die Nichte der Guisen, vorbehalten, in ihrer eigenen Hauskapelle ihre Religion ungehindert ausüben zu dürfen, und ohne Bedenken hatte das Parlament dieser gerechten Forderung zugestimmt. Jedoch kaum daß am ersten Sonntag in ihrem eigenen Hause, in der Kapelle von Holyrood, zum katholischen Gottesdienst gerüstet wird, drängt eine aufgereizte Menge drohend bis an die Türen; dem Mesner, der geweihte Kerzen zum Altare bringen will, werden sie mit Gewalt entrissen und zerbrochen. Immer lauteres Murren verlangt die Entfernung und sogar die Ermordung des »götzendienerischen Priesters«, immer aufgeregter werden die Rufe gegen den »Satansdienst«, ein Kirchensturm im eigenen Hause der Königin kann jeden Augenblick losbrechen. Glücklicherweise wirft sich Lord Moray, obwohl selbst Vorkämpfer der »kirk«, der fanatischen Masse entgegen und verteidigt den Eingang. Nach angstvoll beendetem Gottesdienst führt er den erschreckten Priester heil in sein Zimmer zurück; ein offenes Unheil ist verhütet, die Autorität der Königin noch mit Mühe gerettet. Aber die heiteren Feste der Ankunft zu ihren Ehren, die »joyousities«, wie sie Knox grimmig verhöhnt, sind zu seiner Freude grob unterbrochen: zum erstenmal spürt die romantische Königin in ihrem Lande den Widerstand der Wirklichkeit.

Ein Zornausbruch Maria Stuarts erwidert diese Beleidigung. In Tränen und harten Worten schäumt ihre erstickte Erbitterung auf. Und damit fällt abermals schärferes Licht auf ihren bisher noch undeutlichen Charakter. Diese junge, vom Schicksal seit frühester Jugend verwöhnte Frau ist ihrem innersten Wesen nach zart und zärtlich, nachgiebig und umgänglich; von den ersten Edelleuten des Hofes bis zu ihren Zofen und Mägden rühmt jeder ihre freundliche, unstolze und herzliche Art. Jeden weiß sie zu gewinnen, weil sie keinem gegenüber hart und hochmütig auf ihre Hoheit pocht und durch eine natürliche Lockerheit die Überlegenheit ihrer Stellung vergessen läßt. Aber dieser freigebigen Herzlichkeit liegt ein starkes Selbstbewußtsein zugrunde, unsichtbar so lange, als niemand daran rührt, leidenschaftlich jedoch sofort vorbrechend, sobald jemand gegen sie Widerspruch oder Auflehnung wagt. Oft hat diese merkwürdige Frau persönliche Kränkung zu vergessen gewußt, nie aber den geringsten Verstoß gegen ihr Königsrecht.

Nicht einen Augenblick will sie darum diese erste Beleidigung dulden. Eine solche Anmaßung muß gleich von Anfang an in Grund und Boden gestampft werden. Und sie weiß, an wen sie sich zu halten hat, sie weiß von diesem Langbart in der Ketzerkirche, der das Volk gegen ihren Glauben aufhetzt und auch diese Meute ihr ins Haus getrieben. Sofort beschließt sie, sich ihn gründlich vorzunehmen. Denn Maria Stuart, an die königliche Allmacht von Frankreich, an Gehorsam von Kindheit her gewohnt, im Gottesgnadengefühl aufgewachsen, kann sich Widerspruch eines Untertanen, eines Bürgermenschen gar nicht vorstellen. Auf alles und jedes ist sie eher gefaßt als auf das eine, daß jemand wagte, ihr offen und sogar unhöflich zu widersprechen. Dazu ist aber John Knox bereit und sogar freudig bereit. »Warum sollte das hübsche Gesicht einer Edelfrau mich erschrecken, der ich so vielen zornigen Männern ins Auge geblickt habe und doch niemals ungebührend erschrocken bin?« Mit Begeisterung eilt er in den Palast, denn zu streiten – wie er meint, für Gott zu streiten – ist jedes Fanatikers liebste Lust. Hat Gott den Königen die Krone, so seinen Priestern und Gesandten das feurige Wort verliehen. Über dem König steht für John Knox der Priester der »kirk« als Hüter des göttlichen Rechts. Seine Aufgabe ist, Gottes Reich im Irdischen zu verteidigen, er darf nicht zögern, die Unbotmäßigen mit dem harten Stecken seines Zornes zu züchtigen, wie es weiland Samuel tat und die biblischen Richter. So kommt es zu einer Szene wie im Alten Testament, wo Königsstolz und Priesterhochmut Stirn gegen Stirn aneinanderstoßen; nicht eine einzelne Frau und ein einzelner Mann ringen hier um die Oberhand, sondern zwei uralte Ideen begegnen einander zum tausendsten und abertausendsten Male in erbittertem Kampf. Maria Stuart versucht, milde zu sein. Sie wünscht eine Verständigung, sie verbirgt ihre Erbitterung, denn sie möchte Frieden im Lande; höflich leitet sie die Unterhaltung ein. John Knox aber ist entschlossen, unhöflich zu werden und dieser »idolatress« zu zeigen, daß er vor den Mächtigen dieser Erde sich nicht einen Zoll tief beugt. Stumm und finster, nicht wie ein Angeklagter, sondern wie ein Ankläger, hört er der Königin zu, während sie ihm Vorwürfe macht wegen seines Buches »The first blast of trumpet against the monstrous regiment of women«, in dem er Frauen jedes Königsrecht bestreitet. Aber derselbe Knox, der wegen ebendesselben Buches sich vor der protestantischen Elisabeth nachträglich in demütiger Weise entschuldigte, beharrt vor seiner »papistischen« Landesfürstin mit allerhand zweideutigen Worten auf seiner Meinung. Allmählich wird die Aussprache energischer. Maria Stuart fragt Knox auf den Kopf zu, ob Untertanen ihrem Herrscher unbedingt zu gehorchen hätten oder nicht. Aber statt dies mit dem »Selbstverständlich« zu beantworten, das Maria Stuart erwartet, schränkt der geschickte Taktiker die Gehorsamspflicht mit einem Gleichnis ein: Wenn ein Vater den Verstand verliere und seine Kinder töten wolle, so hätten die Kinder das Recht, seine Hände zu binden und ihm das Schwert zu entreißen. Wenn Fürsten die Kinder Gottes verfolgen, so hätten diese ein Recht auf Widerstand. Die Königin spürt in dieser Verklausulierung sofort die Auflehnung des Theokraten gegen ihr Herrscherrecht. »Meine Untertanen haben also«, fragt sie, »Ihnen zu gehorchen und nicht mir? Ich bin also Ihnen Untertan und Sie nicht mir?«

Dies ist zwar John Knoxens Meinung. Aber er ist zu vorsichtig, sie in Gegenwart Morays völlig deutlich auszusprechen. »Nein«, antwortet er ausweichend, »beide, der Fürst und die Untertanen, sollen Gott gehorchen. Könige sollen die Nährväter der Kirche sein und die Königinnen ihre Ammen.«

»Aber Eure Kirche ist nicht jene, die ich nähren will«, sagt darauf, von seiner Zweideutigkeit erbittert, die Königin. »Ich will die römisch-katholische Kirche pflegen, die ich für die Kirche Gottes halte.«

Jetzt schlägt endlich hart gegen hart. Der Punkt ist erreicht, wo es keine Verständigung gibt zwischen einer gläubigen Katholikin und einem fanatischen Protestanten. Knox wird kräftig unhöflich und nennt die römisch-katholische Kirche eine Hure, die nicht Gottes Braut sein dürfe. Und da ihm die Königin solche Worte untersagt, weil sie ihr Gewissen beleidigten, antwortet er herausfordernd: »Gewissen erfordert Kenntnis«, und er fürchte, die Königin entbehre der rechten Kenntnis. Statt einer Versöhnung erreicht dies erste Gespräch nur eine Verhärtung der Gegensätze. Knox weiß nun, daß dieser »Satan stark ist« und er von der jungen Herrscherin Nachgiebigkeit nicht erhoffen kann. »In der Auseinandersetzung mit ihr stieß ich auf eine Entschlossenheit, wie ich sie in diesem Alter bisher noch nicht gesehen habe. Seitdem ist der Hof für mich erledigt und ich für ihn«, schreibt er erbittert. Andererseits hat die junge Frau zum erstenmal die Grenze ihrer Königsmacht gespürt. Aufrechten Hauptes verläßt Knox das Zimmer, selbstzufrieden und stolz, einer Königin Trotz geboten zu haben, verstört bleibt Maria Stuart zurück und bricht, ihrer Ohnmacht bitter gewahr, in heiße Tränen aus. Aber es werden nicht die letzten sein. Bald wird sie erkennen, daß man Macht nicht bloß vom Blute her erbt, sondern unablässig durch Kampf und Demütigungen sich neu erobern muß.

Der Stein kommt ins Rollen
1561–1563

Die ersten drei Jahre, welche die junge Königin als Königswitwe in Schottland verbringt, gehen ziemlich windstill und ereignislos dahin: es gehört zur besonderen Form ihres Schicksals, daß alles große Geschehen sich bei ihr immer (und dies hat die Dramatiker so sehr angezogen) in ganz kurze und elementare Episoden zusammenballt. Moray und Maitland regieren, Maria Stuart repräsentiert in jenen Jahren, und diese Teilung der Macht erweist sich als vortrefflich für das ganze Reich. Denn sowohl Moray als auch Maitland regieren klug und vorsichtig, Maria Stuart wiederum repräsentiert ausgezeichnet. Von Natur mit Schönheit und Anmut bedacht, wohlgewandt in allen ritterlichen Künsten, eine männlich kühne Reiterin, eine geschickte Ballspielerin, eine leidenschaftliche Jägerin, gewinnt sie schon durch ihre äußere Erscheinung allgemeine Bewunderung: mit Stolz blickt das Volk von Edinburgh auf die Stuartstochter, wenn sie frühmorgens, den Falken in der erhobenen Faust, inmitten der farbenleuchtenden Kavalkade ausreitet und freundlich-freudig jeden Gruß erwidert: etwas Heiteres, etwas Rührendes und Romantisches, ein Sonnenstrahl von Jugend und Schönheit ist mit dieser mädchenhaften Königin in das strenge und dunkle Land eingezogen, und immer gewinnt Schönheit, immer Jugend eines Herrschers geheimnisvoll die Liebe jeder Nation. Die Lords achten wiederum das Männlich-Kühne ihres Wesens. Tagelang kann diese junge Frau in wildestem Galopp ihrem Gefolge als erste und unermüdlichste voranstürmen; wie unter ihrer herzgewinnenden Freundlichkeit die Seele noch unausgefaltet einen ehernen Stolz, so verbirgt dieser gertenschlanke, zarte, leichte und fraulich-weiche Körper eine ungewöhnliche Kraft. Keine Anstrengung ist ihrem heißen Mute zuviel, und einmal, mitten in der Lust des wilden Hinjagens zu Pferde, sagt sie einem Begleiter, sie möchte gerne ein Mann sein, um auch dies zu kennen, wie es sei, die ganze Nacht im Felde zu verbringen. Als der Regent Moray gegen den aufständischen Clan der Huntlys in den Krieg zieht, reitet sie entschlossen mit, den Degen an der Seite, die Pistolen im Gürtel; wundervoll behagt ihr das heiße Abenteuer mit seinem neuen starken Reiz von Wildheit und Gefahr, denn sich ganz einzusetzen mit ihrer ganzen Kraft, ihrer ganzen Liebe, ihrer ganzen Leidenschaft, ist das innerste Seelengeheimnis dieser entschlossenen Natur. Aber einfach und ausdauernd wie ein Jäger, wie ein Krieger auf diesen Ritten und Fahrten, vermag sie anderseits wieder mit höchster Kunst und Kultur in ihrem Schloß als Herrscherin zu wirken, die Heiterste, die Liebenswürdigste in ihrer kleinen Welt: wahrhaftig vorbildlich vereinigt ihre knappe Jugend das Ideal des Zeitalters, Mut und Leichtigkeit, das Starke und das Milde in ritterlich romantischer Erscheinung. Ein letztes Scheidelicht troubadourischer Chevalerie leuchtet mit ihrer Gestalt in die nebelig kühle Nordwelt, die der Schatten der Reformation schon verdüstert.

 

Niemals hat das Bild dieser romantischen Mädchenfrau oder Mädchenwitwe strahlender erglänzt als in diesem ihrem zwanzigsten, ihrem einundzwanzigsten Jahr: auch hier kommt ihr Triumph, weil unverstanden und ungenützt, zu früh. Denn immer noch ist ihr inneres Leben nicht voll erwacht, noch weiß die Frau in ihr nicht um den Willen ihres Blutes, noch hat sich ihre Persönlichkeit nicht geformt, nicht entwickelt. Immer nur in der Erregung, in der Gefahr wird die wahre Maria Stuart sich enthüllen, jene ersten Jahre in Schottland aber sind nur eine gleichgültige Wartezeit, ein zielloses spielendes Zeitverbringen, ein Sichbereithalten, ohne daß der innere Wille schon wüßte, wofür und für wen. Es ist wie das Atemholen vor einer großen, einer entscheidenden Anstrengung, ein blasser, ein toter Augenblick. Denn Maria Stuart, die als halbes Kind schon Frankreich zu eigen gehabt, genügt innerlich keineswegs dies karge Königsein in Schottland. Nicht um dieses arme, enge, abseitige Land zu beherrschen, ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt; von allem Anbeginn betrachtet sie diese Krone nur als Einsatz, um im Weltspiel eine glänzendere zu gewinnen, und vollkommen irren alle jene, die meinen oder bekunden, Maria Stuart hätte nichts anderes und Höheres gewünscht, als das Erbgut ihres Vaters still und friedlich als brave Erbwalterin der Schottenkrone zu regieren. Wer ihr so engen Ehrgeiz zumißt, verkleinert ihr seelisches Maß, denn in dieser jungen Frau lebt ein unzähmbarer, ein unbändiger Wille zu großer Macht; nie wird, die mit fünfzehn Jahren in der Kathedrale von Notre-Dame einem Königssohn von Frankreich vermählt wurde, die im Louvre prunkvoll als Gebieterin von Millionen gefeiert worden war, sich begnügen, Herrscherin zu sein über zwei Dutzend unbotmäßige und halbbäuerliche Grafen und Barone, Königin über ein paar hunderttausend Schafhirten und Fischer. Nichts ist künstlicher und unwahrhaftiger, als ihr a posteriori ein patriotisches Nationalgefühl anzudichten, das in Wahrheit eine Entdeckung späterer Jahrhunderte ist. Die Fürsten des fünfzehnten, des sechzehnten Jahrhunderts – mit Ausnahme ihrer großen Gegenspielerin Elisabeth – denken an ihren Völkern damals noch völlig vorbei und einzig an die persönliche Macht. Wie Kleider werden Reiche zusammengeschneidert und auseinandergestückelt, Krieg und Heirat formen die Staaten und nicht die innere Bestimmung der Nation. Man täusche sich also nicht sentimental: Maria Stuart war damals bereit, Schottland gegen den spanischen, den englischen, den französischen und jeden beliebigen Thron einzutauschen, keine Träne hätte sie wahrscheinlich der Abschied von den Wäldern und Seen und romantischen Schlössern ihrer Heimat gekostet; denn niemals hat ihr leidenschaftlicher Ehrgeiz dies ihr kleines Reich anders als ein Sprungbrett zu einem höheren Ziel gewertet. Durch Erbschaft weiß sie sich zur Herrscherin berufen, durch Schönheit und Kultur jeder Krone Europas würdig, und mit der gleichen unklaren Leidenschaft wie andere Frauen ihres Alters von unermeßlicher Liebe, träumt ihr Ehrgeiz einzig von unermeßlicher Macht.

Darum überläßt sie auch zu Anfang Moray und Maitland die Staatsgeschäfte ohne jede Eifersucht und sogar ohne wirklich teilnehmendes Interesse; neidlos – was gilt ihr, der früh Gekrönten, der vom Schicksal zu früh Verwöhnten dies arme enge Land? – läßt sie beide schalten und regieren. Niemals war Verwalten, Vermehren ihres Besitzes, diese höchste politische Kunst, Maria Stuarts Stärke. Sie kann nur verteidigen und nicht bewahren. Erst wenn ihr Recht bedroht, wenn ihr Stolz herausgefordert wird, erst wenn ein fremder Wille nach ihrem Anspruch greift, dann erwacht, wild und stoßhaft, ihre Energie: nur in den großen Augenblicken wird diese Frau groß und tatkräftig, jede mittlere Zeit findet sie mittelmäßig und gleichgültig.

In dieser stillen Zeit wird auch die Gegnerschaft ihrer großen Rivalin still; denn immer wenn das hitzige Herz Maria Stuarts Ruhe hält und sich bescheidet, beruhigt sich Elisabeth. Einer der bedeutendsten politischen Vorzüge dieser großen Realistin war es von je, Tatsachen anzuerkennen und dem Unvermeidlichen nicht eigenwillig zu widerstreben. Mit aller Macht hatte sie sich der Heimkehr Maria Stuarts nach Schottland entgegengestellt und alles getan, um sie hinauszuschieben; nun, da sie erfolgt ist, kämpft Elisabeth nicht weiter gegen die unumstößliche Tatsache und tut lieber alles, um mit ihrer Rivalin, solange sie sie nicht beseitigen kann, in ein freundliches Verhältnis zu kommen. Elisabeth – dies eine der stärksten positiven Eigenschaften ihres irrlichternden und eigenwilligen Charakters – liebt als kluge Frau nicht den Krieg, sie hat ängstliche Scheu vor gewaltsamen und verantwortlichen Entscheidungen; als berechnende Natur zieht sie lieber aus Verhandlungen und Verträgen ihren Vorteil und sucht die Oberhand durch geschicktes geistiges Spiel. Kaum daß Maria Stuarts Rückkehr nach Schottland gewiß war, hatte Lord Moray Elisabeth in beweglichen Worten gemahnt, mit ihr redliche Freundschaft zu schließen. »Ihr seid beide zwei junge, hervorragende Königinnen, und Euer Geschlecht sollte Euch nicht erlauben, Euren Ruhm durch Krieg und Blutvergießen erhöhen zu wollen. Jede von Euch weiß, von welchem Anlaß das feindliche Gefühl zwischen Euch seinen Ursprung genommen hat, und ich wünschte vor Gott, meine Herrin, die Königin, hätte es niemals auf sich genommen, einen Anspruch oder Titel auf das Reich Eurer Majestät zu erheben. Trotzdem hättet Ihr beide Freunde sein und bleiben müssen. Da sie aber ihrerseits einmal diesen Gedanken geäußert hat, fürchte ich, wird immer zwischen Euch Mißverstehen walten, solange dieser Anstoß nicht aus dem Wege geräumt ist. Eure Majestät kann nicht nachgeben in diesem Punkte, und sie wieder mag es als hart empfinden, da sie England durch ihr Blut so nahesteht, dort als Fremde behandelt zu werden. Wäre hier nicht ein mittlerer Weg möglich?« Elisabeth zeigt sich für einen solchen Vorschlag nicht unempfänglich; als bloße Königin von Schottland und unter der Hut ihres Pensionärs Moray ist Maria Stuart ihr ja vorderhand nicht mehr so gefährlich, wie sie es als Doppelkönigin von Frankreich und Schottland gewesen. Warum nicht ihr Freundschaft bezeigen, ohne sie im innersten Herzen zu empfinden? Bald kommt ein Briefwechsel zwischen Elisabeth und Maria Stuart in Gang, in dem eine der »dear sisters« der andern ihre herzlichsten Gefühle auf geduldigem Papier übermittelt. Maria Stuart sendet Elisabeth als Liebesgabe einen Brillantring, den diese mit einem noch kostbareren erwidert; beide spielen sie vor der Welt und vor sich selbst das erfreuliche Schauspiel verwandtschaftlicher Zuneigung. Maria Stuart versichert, sie »habe kein größeres Verlangen auf Erden, als ihre gute Schwester zu sehen«, sie wolle die Allianz mit Frankreich lösen, denn sie schätze Elisabeths Zuneigung »more than all uncles of the world«, Elisabeth wieder malt in ihrer großen feierlichen Schrift, die sie nur bei bedeutsamen Anlässen anwendet, die überschwenglichsten Versicherungen ihrer Neigung und Treue. Aber sofort, wenn es gilt, wirklich ein Abkommen zu treffen und eine persönliche Zusammenkunft zu bestimmen, weichen beide vorsichtig aus. Denn im Grunde stehen die alten Verhandlungen noch immer auf demselben toten Punkt: Maria Stuart will den Vertrag von Edinburgh mit der Anerkennung Elisabeths erst unterzeichnen, wenn Elisabeth ihr das Nachfolgerecht zuerkannt hat; dies wieder empfindet Elisabeth gleichbedeutend, als ob sie ihr eigenes Todesurteil unterzeichnete. Keine weicht einen Zoll breit von ihrem Recht, und so überdecken im letzten alle diese blumigen Phrasen nur eine unüberbrückbare Kluft. »Es kann«, wie Dschingis Khan, der Welteroberer, entschlossen sagte, »nicht zwei Sonnen am Himmel geben und nicht zwei Khans auf Erden.« Eine von den beiden wird weichen müssen, Elisabeth oder Maria Stuart; beide wissen dies im tiefsten Herzen, und beide warten auf den gegebenen Augenblick. Aber solange die Stunde noch nicht gekommen ist, warum nicht der knappen Pause im Kriege sich freuen? Wo Mißtrauen im tiefsten Herzen untilgbar lebt, wird der Anlaß nicht fehlen, die dunkle Flamme aufschlagen zu lassen zur verzehrenden Glut.

Manchmal bedrücken die junge Königin in jenen Jahren kleine Sorgen, manchmal verdrießt sie die Lästigkeit der Staatsgeschäfte, oft und öfter fühlt sie sich fremd zwischen diesen harten, kriegerischen Adelsleuten, widerlich ist ihr das Gezanke mit den eifernden Pfaffen und heimlichen Intriganten: in solchen Stunden flüchtet sie dann in ihr Frankreich, in die Heimat ihres Herzens zurück. Freilich, Schottland kann sie nicht verlassen, so hat sie sich in ihrem Schlosse in Holyrood selbst ein eigenes Kleinfrankreich gegründet, ein winziges Stück Welt, wo sie ganz unbeachtet und frei ihren liebsten Neigungen leben kann, ihr Trianon. In dem runden Turm von Holyrood errichtet sie nach französischem Geschmack einen chevaleresken, einen romantischen Hofhalt; von Paris hat sie Gobelins gebracht und türkische Teppiche, prunkvolle Betten und Möbel und Bilder, ihre schön gebundenen Bücher, ihren Erasmus, ihren Rabelais, ihren Ariost und Ronsard. Hier wird französisch gesprochen und gelebt, hier bei flackernden Kerzen abends Musik gemacht, Gesellschaftsspiele werden veranstaltet, Verse gelesen, Madrigale gesungen. Zum erstenmal an diesem Miniaturhofhalt werden hier die »Masques«, die kleinen klassischen Gelegenheitsspiele jenseits des Kanals versucht, die später das englische Theater zur höchsten Blüte entfaltet. Bis spät nach Mitternacht wird in Kostümen getanzt, und bei einem dieser Maskentänze, »The purpose«, erscheint die junge Königin sogar als Mann verkleidet, in schwarzen straffen Seidenhosen, während ihr Partner – der junge Dichter Chastelard – als Dame vermummt ist, ein Anblick, der wahrscheinlich John Knoxens bitteres Entsetzen erregt hätte.

Aber Puritanern, Zeloten und ähnlichen Murrköpfen sind vorsichtigerweise diese Stunden des Frohmutes verschlossen, und vergebens entrüstet sich John Knox über diese »souparis« und »dansaris« und donnert von der Kanzel in St. Giles, daß sein Bart wie ein Pendel schwingt: »Fürsten sind geübter, Musik zu machen und sich zu Gastmählern zu setzen, als das heilige Wort Gottes zu lesen und zu hören. Musiker und Schmeichler, die immer die Jugend verderben, gefallen ihnen besser als die alten und weisen Männer« – an wen mag der Selbstgerechte hier denken? –, »die mit ihren heiligen Ermahnungen einen Teil des Stolzes, in dem wir alle geboren sind, niederschlagen wollen.« Aber dieser junge, frohmütige Kreis hat wenig Verlangen nach den »heilkräftigen Ermahnungen« des »kill joy«, des Freudetöters; die vier Marys, ein paar französisch gesinnte Kavaliere sind glücklich, hier im erhellten und warmen Raum der Freundschaft die Düsternis dieses strengen und tragischen Landes zu vergessen, und Maria Stuart vor allem, die kalte Maske der Majestät ablegen zu dürfen und bloß eine heitere junge Frau im Kreise gleichalteriger und gleichgestimmter Gefährten zu sein.

 

Ein solches Verlangen ist nur natürlich. Aber immer bedeutet es für Maria Stuart Gefahr, ihrer Lässigkeit nachzugeben. Verstellung bedrückt sie, Vorsicht ist ihr auf die Dauer unerträglich, jedoch gerade diese Tugend des »Nicht-sich-verschweigen-Könnens«, dieses »Je ne sais point déguiser mes sentiments« (wie sie einmal schreibt), schafft ihr politisch mehr Unannehmlichkeiten als andern der böswilligste Betrug und die grimmigste Härte. Denn die Ungezwungenheit, mit der sich die Königin unter diesen jungen Leuten bewegt, lächelnd ihre Huldigungen hinnehmend und vielleicht sogar unbewußt sie herausfordernd, erzeugt bei diesen Zügellosen eine unangebrachte Kameraderie, und sie wird für leidenschaftliche Naturen sogar zur Verlockung. Etwas muß in dieser Frau, deren Schönheit auf den Bildern nicht ganz ersichtlich wird, sinnlich aufreizend gewesen sein; vielleicht haben an unmerklichen Zeichen einzelne Männer schon damals vorausgefühlt, daß unter der weichen, umgänglichen und scheinbar völlig selbstsicheren Art dieser mädchenhaften Frau eine ungeheure Leidenschaftsfähigkeit verborgen war wie ein Vulkan unter lieblicher Landschaft; vielleicht haben sie, lange ehe Maria Stuart selbst ihr eigenes Geheimnis erkannte, jene Unbeherrschtheit aus männlichem Instinkt geahnt und gewittert, denn irgendeine Macht war in ihr, die Männer zum Sinnlichen stärker drängte als zu einer romantischen Liebe. Möglich, daß sie, gerade weil selbst in ihren Trieben noch nicht erwacht, kleine körperliche Vertraulichkeiten – eine streichelnde Hand, einen Kuß, einen einladenden Blick – leichter gewährte als eine wissende Frau, welche das Kupplerisch-Gefährliche solcher Ungezwungenheiten kennt: jedenfalls, sie läßt die jungen Menschen um sich manchmal vergessen, daß die Frau in ihr als Königin jedem kühnen Gedanken unnahbar bleiben muß. Schon einmal hatte ein junger schottischer Kapitän, namens Hepburn, sich tölpisch-freche Ungehörigkeiten gegen sie erlaubt, und nur die Flucht bewahrte ihn vor der äußersten Strafe. Aber zu mild geht Maria Stuart über diesen ärgerlichen Zwischenfall hinweg, leichtherzig verzeiht sie ihn als läßliche Sünde und gibt damit einem andern Edelmann aus ihrem kleinen Kreise neuen Mut.

Dieses Abenteuer gestaltet sich durchaus romantisch; wie fast jede Episode in diesem schottischen Land formt es sich zur blutdunklen Ballade. Der erste Bewunderer Maria Stuarts am französischen Königshof, Monsieur Danville, hatte seinen jungen Freund und Begleiter, den Dichter Chastelard, zum Vertrauten seiner Schwärmerei gemacht. Nun muß Monsieur Danville, der Maria Stuart gemeinsam mit den anderen Edelherren auf ihrer Reise nach Schottland begleitet hatte, nach Frankreich zurück, zu seiner Frau, zur Pflicht: der Troubadour Chastelard aber bleibt in Schottland, gleichsam als der Statthalter fremder Neigung. Und es ist nicht ungefährlich, immer zärtliche Verse zu dichten, denn aus dem Spiel wird leicht Wirklichkeit. Maria Stuart nimmt unbedacht die poetischen Huldigungen des jungen, in allen ritterlichen Künsten wohlerfahrenen Hugenotten entgegen, sie erwidert sogar seine Verse mit eigenen Gedichten; welche musisch empfindsame, inmitten einer rauhen und rückständigen Umgebung vereinsamte junge Frau würde nicht geschmeichelt sein, sich in so bewundernden Strophen gefeiert zu hören wie:

»Oh Déesse immortelle

Escoute donc ma voix

Toy qui tiens en tutelle

Mon pouvoir sous tes loix

Afin que si ma vie

Se voie en bref ravie

Ta cruauté

La confesse périe

Par ta seule beauté«

und besonders, wenn sie sich ohne Schuld fühlt? Denn einer wirklichen Gegenliebe für seine Leidenschaft kann sich Chastelard nicht rühmen. Melancholisch muß er eingestehen:

»Et néansmoins la flâme

Qui me brûle et entflâme

De passion

N'émeut jamais ton âme

D'aucune affection.«

Wahrscheinlich bloß als poetische Huldigung inmitten soviel anderer höfischer und liebedienerischer Schmeicheleien nimmt Maria Stuart, die selbst als Dichterin um das Übertreibliche alles Lyrischen weiß, derartige Strophen ihres hübschen Seladon lächelnd hin, und völlig ohne andere als spielerische Laune duldet sie Galanterien, die an einem romantischen Frauenhofe nichts Befremdliches bedeuten. In ihrer unbefangenen Art scherzt und spaßt sie mit Chastelard genau so arglos wie mit ihren vier Marys. Sie zeichnet ihn aus mit kleinen unverfänglichen Artigkeiten, sie wählt ihn (der dem Range nach ihr kaum nahen dürfte) als Partner zum Tanz, sie lehnt sich während einer Tanzfigur, dem Falking-Dance, einmal sehr nahe an seine Schulter, sie erlaubt ihm eine freiere Rede, als sie in Schottland, drei Straßen von John Knoxens Kanzel, üblich ist, der »such fashions more lyke to the bordell than to the comeliness of honest women« schilt; sie gewährt Chastelard vielleicht sogar einmal beim Masken- oder Pfänderspiel einen flüchtigen Kuß. Aber an sich nicht bedenklich, zeitigen solche Vertraulichkeiten doch die schlimme Wirkung, daß seinerseits der junge Dichter, ähnlich Torquato Tasso, die Grenzen zwischen Königin und Diener, Respekt und Kameradschaftlichkeit, zwischen Galanterie und Schicklichkeit, Ernst und Scherz nicht mehr deutlich wahrnimmt und heißköpfig seinem Gefühle folgt. So ereignet sich unvermutet ein ärgerlicher Zwischenfall: Eines Abends finden die jungen Mädchen, die Maria Stuart bedienen, Chastelard im Schlafzimmer der Königin hinter den Vorhängen versteckt. Sie vermuten zunächst nichts Unziemliches, sondern betrachten diese jugendliche Tollheit als Schabernack; mit muntern und scheinbar erzürnten Reden wird der Übermütige von den Mädchen aus dem Schlafzimmer hinausgetrieben. Auch Maria Stuart nimmt seine Taktlosigkeit mehr mit verzeihender Milde auf als mit wirklicher Entrüstung; der Vorfall wird sorgfältig vor dem Bruder Maria Stuarts verschwiegen, und von einer ernsten Bestrafung für einen so ungeheuerlichen Verstoß gegen jede Sitte ist bald keine Rede mehr. Aber diese Nachsicht war fehl am Ort. Denn entweder fühlt sich der Tollkopf von der leichten Auffassung im Kreise der jungen Frauen eher ermutigt, seinen Spaß zu wiederholen, oder eine wirkliche Leidenschaft zu Maria Stuart beraubt ihn aller Hemmungen – jedenfalls, er folgt heimlich der Königin auf ihrer Reise nach Fife, ohne daß jemand bei Hofe von seiner Anwesenheit eine Ahnung hätte, und erst als Maria Stuart schon halb entkleidet ist, entdeckt man den Unsinnigen abermals in ihrem Schlafgemach. Im ersten Schreck schreit die beleidigte Frau auf, der schrille Ruf hallt durch das Haus, aus dem Nachbarzimmer stürzt Moray, ihr Stiefbruder, herein, und jetzt ist Verzeihen und Verschweigen nicht mehr möglich. Angeblich verlangte damals Maria Stuart (es ist nicht wahrscheinlich), Moray solle sofort den Verwegenen mit dem Dolch niederstoßen. Aber Moray, der bei jeder Handlung, im Gegensatz zu seiner leidenschaftlicheren Schwester, klug und rechnerisch alle Folgen überdenkt, weiß genau, die Ermordung eines jungen Mannes im Schlafzimmer einer Königin würde mit seinem Blute nicht nur den Estrich, sondern auch ihre Ehre beflecken. Öffentlich muß ein solches Vergehen angeklagt, öffentlich auf dem Marktplatz der Stadt muß es gesühnt werden, um die völlige Unschuld der Herrscherin vor dem Volke und vor der Welt darzutun.