Einführung in das Geschichtsstudium

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

3.2.1. Epochal strukturierte Teilbereiche der Geschichtswissenschaft

Die traditionelle Unterteilung der Geschichtswissenschaft ist die in epochale Wissenschaftsbereiche. Sofern in der betreffenden Fakultät die Disziplinen Archäologie, Vor- oder Ur- und Frühgeschichte nicht angeboten werden, ist die epochale Disziplin, die am weitesten zeitlich zurückreicht, die Alte Geschichte (Geschichte des Altertums). Auf sie folgt die Mittelalterliche Geschichte (Mediävistik), danach die Geschichte der Neuzeit.

Die Disziplin Alte Geschichte umfasst üblicherweise die Erforschung der Zeit vom Beginn der griechischen Schriftlichkeit bis zur Auflösung des römischen Weltreichs. Sie ist im Wesentlichen auf die abendländische Antike und daher auf das heutige Europa, Teile Vorderasiens und Nordafrikas beschränkt. Sofern mehrere Professuren für Alte Geschichte in einer Fakultät vorhanden sind, teilen diese sich meist auf in Griechische Geschichte (von Homer bis zum Hellenismus) und Römische Geschichte (von der Gründung Roms bis zur Völkerwanderung).

[37]Blum, Hartmut / Wolters, Reinhard: Alte Geschichte studieren. Konstanz 22011.

Günther, Rosmarie: Einführung in das Studium der Alten Geschichte. Paderborn [u. a.] 2001.

Leppin, Hartmut: Einführung in die Alte Geschichte. München 22015.

Vollmer, Dankward: Alte Geschichte in Studium und Unterricht. Eine Einführung mit kommentiertem Literaturverzeichnis. Stuttgart 1994.

Zeitlich an die Alte Geschichte schließt sich die Mittelalterliche Geschichte an, die den Zeitraum bis etwa zur Reformation umfasst und i. d. R. ebenfalls auf Europa (das lateinische Mittelalter) begrenzt ist. Auch hier gibt es weitere zeitliche Unterteilungen, von denen die gebräuchlichste die in Frühes Mittelalter (etwa 800–1050), Hohes Mittelalter (etwa 1050–1300) und Spätes Mittelalter (etwa 1300–1500) ist.

Boockmann, Hartmut: Einführung in die Geschichte des Mittelalters. München 82007.

Goetz, Hans-Werner: Proseminar Geschichte: Mittelalter. Stuttgart 42014.

Hartmann, Martina: Mittelalterliche Geschichte studieren. Konstanz 42017.

Heimann, Heinz-Dieter: Einführung in die Geschichte des Mittelalters. Stuttgart 22006.

Hilsch, Peter: Das Mittelalter – die Epoche. Konstanz 42017.

Die Behandlung der Zeit vom Ende des Mittelalters bis zur Gegenwart ist das Aufgabengebiet der Geschichte der Neuzeit. Zu dieser Disziplin gibt es die meisten Professuren und kleinere zeitliche Unterteilungen.

[38]Als Geschichte der Frühen Neuzeit versteht man die Untersuchung des Zeitraums vom Ausgang des Mittelalters bis zur Französischen Revolution (1500–1800). Innerhalb der Frühen Neuzeit werden mitunter der Zeitabschnitt der Religionskriege oder Konfessionelles Zeitalter (1500–1650) und die Sattelzeit (1750–1850) als eigenständige Periodisierungen behandelt. Dieser Einteilung liegen bestimmte wissenschaftliche Thesen zugrunde: dass die durch die Reformation ausgelösten Konflikte nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs im Jahr 1648 in eine neue europäische Friedenslösung mündeten bzw. dass um 1750 eine Transformationsphase einsetzte, in der sich Mitte des 19. Jahrhunderts die Moderne herausbildete und in der viele Begriffe unserer heutigen politisch-sozialen Sprache geprägt wurden (z. B. Demokratie, Staat, Gesellschaft).

Emich, Birgit: Geschichte der Frühen Neuzeit studieren. Konstanz 22019.

Völker-Rasor, Anette (Hrsg.): Frühe Neuzeit. München 32010.

Vocelka, Karl: Frühe Neuzeit 1500–1800. Konstanz 32020.

Hieran schließt sich die Neuere Geschichte an, worunter im Kern das ›lange 19. Jahrhundert‹ verstanden wird, jener Zeitraum also, der von 1789 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs dauerte. Auch mit dieser Periodisierung ist eine These verbunden: dass die Französische Revolution (und die Aufklärung) und der Erste Weltkrieg entscheidende Einschnitte in der (europäischen) Geschichte bilden und so als Anfangs- bzw. Endpunkt eines eigenständigen Zeitraums dienen sollen.

[39]Opgenoorth, Ernst / Schulz, Günther: Einführung in das Studium der Neueren Geschichte. Paderborn [u. a.] 72010.

Schulze, Winfried: Einführung in die Neuere Geschichte. Stuttgart 52010.

Wolbring, Barbara: Neuere Geschichte studieren. Konstanz 2006.

Für die jüngste Epoche der Geschichte, die das 20. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart hinein umfasst, haben sich zwei Begriffe etabliert: Neueste Geschichte und Zeitgeschichte. Manchmal wird dabei die Zeit nach 1945 – besonders mit Bezug auf die deutsch-deutsche Geschichte – als weitere Unterteilung eigenständig betrachtet. Neuerdings ist zu bemerken, dass sich in Deutschland eine noch kleinteiligere Untergliederung durchsetzt, die zwischen der Geschichte der Bonner Republik und der DDR (1945–1989/90) und der Geschichte der Berliner Republik (seit 1990) unterscheidet.

Bösch, Frank / Danyel, Jürgen (Hrsg.): Zeitgeschichte. Konzepte und Methoden. Göttingen 2012.

Metzler, Gabriele: Einführung in das Studium der Zeitgeschichte. Stuttgart 2004.

Möller, Horst / Wengst, Udo (Hrsg.): Einführung in die Zeitgeschichte. München 2003.

Peter, Matthias / Schröder, Hans-Jürgen: Einführung in das Studium der Zeitgeschichte. Paderborn 1994.

Metzler, Gabriele: Zeitgeschichte: Begriff – Disziplin – Problem. Version: 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 7. 4. 2014. http://docupedia.de/zg/Zeitgeschichte

[40]3.2.2. Sektoral strukturierte Teilbereiche der Geschichtswissenschaft

Sektorale Geschichte wird über einen bestimmten Interessensgegenstand (Gesellschaft, Militär, Kultur, Geschlecht etc.) definiert. Im Unterschied zur Untergliederung der Geschichtswissenschaft nach einzelnen Epochen ist bei der sektoralen Struktur der Geschichtswissenschaft der zeitliche Horizont der Beschäftigung viel weiter: Während also derjenige, der zur Geschichte der Antike forscht, sich seinem Gegenstand mit sozial-, wirtschafts- oder kulturhistorischem Interesse nähern kann, aber nie deutlich über die Völkerwanderungszeit hinausarbeitet, wird der Alltagshistoriker möglicherweise die gesamte Geschichte in den Blick nehmen, aber aus ihr nur einige Interessensgegenstände herauspicken. Die Beschränkung auf einzelne Aspekte bei der Unterteilung der Geschichtswissenschaft nach sektoralen Gesichtspunkten geht häufig mit einer Konzentration auf bestimmte Quellen und Methoden einher: Vertreter einer traditionellen Geistes- und Ideengeschichte richten ihr Augenmerk mehr auf bedeutende gedruckte Werke als Vertreter der Technikgeschichte, die vielleicht eher Daten seriell auswerten. Das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt ist Gegenstand von gleich zwei Unterdisziplinen der Geschichtswissenschaft: Die Umweltgeschichte beschäftigt sich mit der Wechselbeziehung zwischen Mensch und Umwelt/Natur und untersucht etwa Auswirkungen klimatischer Änderungen auf Kultur und Lebensformen oder die Folgen von Umweltverschmutzung für das Klima. Die Wissenschaftsgeschichte richtet sich stärker auf naturwissenschaftliche und technologische Entwicklungen, z. B. als [41]Geschichte der Physik. Dabei geht es häufig auch um naturwissenschaftlich geprägte Denkbilder. Die Überlegung, dass es nicht die Taten und Ereignisse sind, die das Denken der Menschen bestimmen, sondern dass es das Denken ist, aus dem die Taten und Ereignisse hervorgehen, ließ die Richtung der Begriffsgeschichte entstehen, die später auch als Diskursgeschichte bezeichnet wurde: Anhand der Bedeutungsänderungen, die bestimmte Begriffe im Lauf der Geschichte erfahren, versuchen Begriffs- und Diskurshistoriker, den Wandel im Weltbild der Menschen zu bestimmen.

Gleitsmann, Rolf-Jürgen: Technikgeschichte. Konstanz 2009.

Herrmann, Bernd: Umweltgeschichte. Eine Einführung in Grundbegriffe. Berlin/Heidelberg 22016.

Nowosadtko, Jutta: Krieg, Gewalt, Ordnung. Einführung in die Militärgeschichte. Tübingen 2002.

Arndt, Melanie: Umweltgeschichte. Version: 3.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 10. 11. 2015. https://docupedia.de/zg/Arndt_umweltgeschichte_v3_de_2015

Echternkamp, Jörg: Militärgeschichte. Version: 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 12. 7. 2013. https://docupedia.de/zg/Militaergeschichte

Häufig ist die Etablierung sektoraler Bereiche historischer Forschung Folge von wissenschaftlichen Neuerungsbewegungen und daraus resultierenden wissenschaftspolitischen und politischen Auseinandersetzungen von Fachwissenschaftlern. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Sozialgeschichte – die Erforschung des Interessensgegenstands ›Gesellschaft‹ in seiner zeitlichen [42]Erstreckung – in Deutschland in Abgrenzung zur politikorientierten Geschichtsauffassung des Historismus entstand. Sozialhistorisch arbeitende Historiker wie Gerhard A. Ritter (1929–2015), Hans-Ulrich Wehler (1931–2014) und Jürgen Kocka (geb. 1941) traten seit Mitte der 1960er Jahre mit ihren Thesen der vorherrschenden Geschichtsauffassung entgegen und etablierten Sozial- bzw. Gesellschaftsgeschichte als eigenständigen historischen Bereich. Sie betrieben ihren Gegenstand häufig auch mit Blick auf ökonomische Prozesse als Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.

 

Boelcke, Willi A.: Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Einführung – Bibliographie – Methoden – Problemfelder. Darmstadt 1987.

Kocka, Jürgen: Sozialgeschichte. Begriff – Entwicklung – Probleme. Göttingen 21986. [Zuerst 1977.]

Nathaus, Klaus: Sozialgeschichte und Historische Sozialwissenschaft. Version: 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 24. 9. 2012. https://docupedia.de/zg/Sozialgeschichte_und_Historische_Sozialwissenschaft

Steiner, André: Wirtschaftsgeschichte. Version: 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 15. 10. 2013. https://docupedia.de/zg/Wirtschaftsgeschichte

In dem Maße, indem die Sozialgeschichte selbst zum ›Establishment‹ wurde, traten wieder neue junge Historiker mit alternativen Geschichtskonzepten hervor: so etwa Alf Lüdtke (1943–2019), der die Alltagsgeschichte in Deutschland stark machte, Hans Medick (geb. 1939), der als Mikrohistoriker sein Augenmerk auf die »kleinen Räume« richtete, Alexander von Plato (geb. 1942), der mit dem Mikrofon in der Hand Oral History betrieb, und Ulrich Raulff [43](geb. 1950), der sich kollektiven Mentalitäten widmete. Ebenso wie diese Richtungen entdeckten auch die Begriffsgeschichte und Historische Diskursanalyse das Individuum wieder und sahen in ihm den Träger zeitspezifischer Wahrnehmungen und Deutungen. Auch die Körperlichkeit des Individuums, seine Selbstwahrnehmung und seine Emotionen wurden Gegenstand historischer Untersuchungen. Die Neue Kulturgeschichte widmet sich heute Untersuchungsgegenständen wie Räumen oder politischen Gebilden, die von den älteren Richtungen als ›objektiv‹ gegebene Größen behandelt worden waren, und versteht sie als Gegenstände zeitspezifischer Wahrnehmungen. So fragt sie etwa danach, wie ein einfacher Bauer im 19. Jahrhundert seine räumliche und soziale Umwelt ›erfahren‹ hat. Damit verbunden rückte auch symbolisches Handeln in das Zentrum des Interesses: Zeremonien an Herrscherhöfen werden ebenso als politisches Handeln bewertet wie politische Diskussionen auf Möglichkeiten des ›Sagbaren und des Machbaren‹ ausgelotet werden.

Bachmann-Medick, Doris: Cultural turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek 62018.

Daniel, Ute: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter. Frankfurt a. M. 72016.

Landwehr, Achim: Historische Diskursanalyse. Frankfurt a. M. 2008.

Lüdtke, Alf (Hrsg.): Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen. Frankfurt a. M. / New York 22002.

Müller, Ernst / Schmieder, Falko: Begriffsgeschichte zur Einführung. Hamburg 2020.

Plamper, Jan: Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte. München 2012.

Raulff, Ulrich (Hrsg.): Mentalitäten-Geschichte. Berlin 1987.

[44]Bachmann-Medick, Doris: Cultural Turns. Version: 2.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 17. 6. 2020. https://docupedia.de/zg/Bachmann-Medick_cultural_turns_v2_de_2019

Kollmeier, Kathrin: Begriffsgeschichte und Historische Semantik. Version: 2.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 29. 10. 2012. https://docupedia.de/zg/Begriffsgeschichte_und_Historische_Semantik_Version_2.0_Kathrin_Kollmeier

Landwehr, Achim: Diskurs und Diskursgeschichte. Version: 2.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 1. 3. 2018. https://docupedia.de/zg/Landwehr_diskursgeschichte_v2_de_2018

Landwehr, Achim: Kulturgeschichte. Version: 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 14. 5. 2013. https://docupedia.de/zg/Kulturgeschichte

Verheyen, Nina: Geschichte der Gefühle. Version: 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 18. 6. 2010. https://docupedia.de/zg/Geschichte_der_Gefühle

An den sektoralen Teildisziplinen der Geschichte spiegeln sich Trends der Forschung wider. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Frauengeschichte. Diese entstand als Form der Sozialgeschichte vor dem Hintergrund verstärkter weiblicher Emanzipationsbewegungen seit den 1960er Jahren. Frühen Texten der Frauengeschichtsbewegung ist daher die Absicht deutlich anzumerken, politisch befreiend zu wirken. Bald aber wurde die Beschränkung auf das biologische Geschlecht und auch der ideologische Rahmen, in dem die Frauengeschichte entstand, als zu eng angesehen. Der Begriff ›Frauengeschichte‹ wich immer mehr der Geschlechtergeschichte bzw. den Gender Studies, die erstens in kritischerer Distanz zum Feminismus betrieben werden, zweitens auch die Körperlichkeit von Männern mit in die Betrachtung einbeziehen und drittens ›Geschlecht‹ nicht als rein biologische, sondern auch als [45]kulturell geformte Kategorie begreifen. Ähnliches lässt sich auch in anderen Bereichen feststellen. Das »Institut zur Erforschung der europäischen Arbeiterbewegung« wurde 1980 mit deutlich außenpolitischem Bezug (»Kalter Krieg«; Gegengeschichte zum Historischen Materialismus) gegründet. Nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes wurde es 1999 in »Institut für soziale Bewegungen« umbenannt, in seiner Forschungsausrichtung damit erweitert und in seinem ursprünglichen Sinn ›entpolitisiert‹. Auffällig ist auch, dass viele Lehrstühle für Wirtschaftsgeschichte, die im Zeichen boomender Industrie seit den späten 1960er Jahren etabliert wurden, heute eher auf Unternehmensgeschichte ausgerichtet werden oder anderen Schwerpunkten wie Historischer Anthropologie oder Neuer Kulturgeschichte weichen.

Berghoff, Hartmut: Moderne Unternehmensgeschichte. Eine themen- und theorieorientierte Einführung. Berlin 22016.

Dülmen, Richard van: Historische Anthropologie. Entwicklung, Probleme, Aufgaben. Köln [u. a.] 22001.

Medick, Hans (Hrsg.): Geschlechtergeschichte und allgemeine Geschichte. Herausforderungen und Perspektiven. Göttingen 1998.

Opitz-Belakhal, Claudia: Geschlechtergeschichte. Frankfurt a. M. / New York 22018.

Pierenkemper, Toni: Unternehmensgeschichte. Eine Einführung in ihre Methoden und Ergebnisse. Stuttgart 2000.

Tanner, Jakob: Historische Anthropologie zur Einführung. Hamburg 32017.

Ahrens, Ralf: Unternehmensgeschichte. Version: 2.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 23. 9. 2019. https://docupedia.de/zg/Ahrens_unternehmensgeschichte_v2_de_2019

Heinsohn, Kirsten / Kemper, Claudia: Geschlechtergeschichte, [46]Version 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 04.12. 2012. https://docupedia.de/zg/Geschlechtergeschichte

Tanner, Jakob: Historische Anthropologie. Version: 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 3. 1. 2012. https://docupedia.de/zg/Historische_Anthropologie

3.2.3. Regional (geographisch) strukturierte Teilbereiche der Geschichtswissenschaft

Eine Aufteilung der Geschichtswissenschaft nach Räumen ist auf verschiedenen Ebenen anzutreffen: So kann man zunächst die Geschichte ganzer Kontinente (Geschichte Nordamerikas, Afrikanische Geschichte etc.) und Teilkontinente (Geschichte Südeuropas, Südosteuropas, Ostasiens etc.) finden. Stärker verbreitet ist die Geschichte einzelner Länder bzw. Nationen, wobei die meisten Professoren schwerpunktmäßig Deutsche Geschichte betreiben, auch wenn ihre Stellenbezeichnung (z. B. Geschichte der Neuzeit) das auf den ersten Blick nicht erkennen lässt. Seltener dagegen findet man einen Lehrstuhl, der auf die Geschichte einzelner nicht-deutscher Länder bzw. Nationen (z. B. Geschichte Großbritanniens) spezialisiert ist; in der deutschen Geschichtswissenschaft kaum gelehrt wird die Geschichte von Staaten in Afrika, Südamerika und z. T. auch Asien.

Geographisch strukturierte Bereiche der Geschichtswissenschaft können – wie epochal strukturierte Bereiche – unterschiedliche methodische Ansätze verfolgen (Kultur-, Geistes-, Sozialgeschichte etc.); sie haben wie sektoral strukturierte Bereiche die Möglichkeit epochenübergreifenden Arbeitens. Regional strukturierte Geschichtswissenschaft kann ebenfalls Spiegel politischer [47]Entscheidungen sein: Die Vielzahl an Lehrstühlen für osteuropäische Geschichte (West) bzw. für Geschichte der Sowjetunion (Ost), die nach 1945 in Deutschland eingerichtet wurden, ist deutlich zurückgegangen; angesichts des stärker werdenden Nord-Süd-Gefälles und der religiös-fundamentalistischen Auseinandersetzungen haben Neuetablierungen von Forschungsschwerpunkten und Lehrstühlen im Bereich der Geschichte des Orients, Asiens oder Afrikas dafür zugenommen.

Maurer, Michael (Hrsg.): Aufriß der Historischen Wissenschaften. Bd. 2: Räume. Stuttgart 2001. (Reclams Universal-Bibliothek.)

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich auch die Landesgeschichte als feste Größe im Kanon der historischen Subdisziplinen etabliert. In Bundesländern, die als Folge der politischen Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden (z. B. Rheinland-Pfalz) oder die schon zuvor aus mehreren Gebieten zusammengesetzt waren (Schleswig-Holstein), wird Landesgeschichte nicht auf der Ebene des heutigen Bundeslands, sondern auf der Ebene historischer Territorien betrieben (z. B. Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde, Kaiserslautern; Institut für Fränkische Landesforschung, Erlangen). Seltener an den Universitäten vertreten ist die Regionalgeschichte, noch weniger zu finden ist die Lokalgeschichte. Diese beiden Bereiche werden häufig von Geschichtsvereinen (z. B. Geschichtswerkstätten) betrieben oder in der Volkskunde aufgefangen, einer Nachbardisziplin der Geschichtswissenschaft, die eine Mischung aus dieser, Ethnologie, Anthropologie und Archäologie darstellt.

[48]Brednich, Rolf Wilhelm / Scharfe, Martin (Hrsg.): Das Studium der Volkskunde am Ende des Jahrhunderts. Göttingen 1996.

Buchholz, Werner (Hrsg.): Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme – Analyse – Perspektiven. Paderborn [u. a.] 1998.

Hauptmeyer, Carl-Hans (Hrsg.): Landesgeschichte heute. Göttingen 1987.

Weber-Kellermann, Ingeborg [u. a.]: Einführung in die Volkskunde / Europäische Ethnologie. Eine Wissenschaftsgeschichte. Stuttgart 32003.

3.2.4. Weitere Teilbereiche der Geschichtswissenschaft

Über die genannten Teilgebiete der Geschichtswissenschaft hinaus existiert an fast jeder deutschen Universität ein Lehrstuhl oder eine andere Lehrstelle für Didaktik der Geschichte. Dies hängt v. a. damit zusammen, dass Geschichte ein Lehrfach der Schule ist. Die Geschichtsdidaktik hat die Aufgabe, auf die Lehre der Geschichte vorzubereiten. Sie tut dies u. a., indem sie Vermittlungsstrategien von Geschichte erörtert, Formen der Geschichtsschreibung diskutiert und Geschichte als Gegenstand politisch-gesellschaftlicher Erziehung ausweist. Geschichtsdidaktik ist aber nicht nur auf die Schule beschränkt, sondern leistet Beiträge auch für Museen, für historische Bildung in Tagungsstätten, in den Medien, in Gedenkstätten, bei Stadtrundgängen – kurzum: für alle Bereiche öffentlichen Lebens, in denen ›Geschichte‹ zum Thema wird.

Baumgärtner, Ulrich: Wegweiser Geschichtsdidaktik: Historisches Lernen in der Schule. Paderborn 22019.

Brauch, Nicola: Geschichtsdidaktik. Berlin/Boston 2015.

Mayer, Ulrich / Pandel, Hans-Jürgen: Wörterbuch Geschichtsdidaktik. Schwalbach a. Ts. 32014.

[49]Norden, Jörg van [u. a.] (Hrsg.): Geschichtsdidaktische Grundbegriffe. Ein Bilderbuch für Studium, Lehre und Beruf. Hannover 2020.

Pandel, Hans-Jürgen: Geschichtsdidaktik: Eine Theorie für die Praxis. Eine Einführung. Schwalbach a. Ts. 22017.

Sauer, Michael: Geschichte unterrichten: Eine Einführung in die Didaktik und Methodik. Seelze 122015.

 

Terhart, Ewald: Didaktik. Eine Einführung. Stuttgart 2009. (Reclams Universal-Bibliothek.) [Auch als E-Book.]

In den letzten Jahren hat die Engführung des Bereichs ›Geschichtsdidaktik‹ auf die Lehrerausbildung zunehmend Kritik erfahren. Diese richtet sich darauf, dass Geschichtsvermittlung im gesamten öffentlichen Raum und nicht nur in der Schule stattfindet: Straßen tragen die Namen historischer Persönlichkeiten oder Ereignisse, Geschichte wird im Fernsehen, in der Werbung, im Museum und Gedenkstätten, in Stadtführungen, bei Szenarien des Reenactment und der Living History (z. B. Mittelaltermärkte, Nachbau historischer Erfindungen), in (Computer-)Spielen und an vielen anderen Stellen mehr vermittelt. Als übergreifende Begriffe für diese Kontextualisierungen historischen Wissens haben sich die Bezeichnungen Angewandte Geschichte oder Public History etabliert und Eingang in die universitäre Lehre gefunden, z. T. sogar als eigene (Aufbau-)Studiengänge. Diese Erweiterung des früheren Didaktikbegriffs entspricht einer veränderten beruflichen Perspektive von Geschichtsstudierenden: Im alten Universitätssystem schlugen Studierende mit dem Abschluss ›Magister‹ meist eine weitere universitäre Laufbahn ein, und Studierende mit dem Abschluss ›Staatsexamen‹ wurden i. d. R. Lehrer. Seit den 1980er Jahren wählen Historiker und Historikerinnen häufig aber auch andere Berufe, in die sie ihre [50]Ausbildung und ihr Wissen einbringen. Public History soll genau darauf vorbereiten.

Hardtwig, Wolfgang / Schug, Alexander (Hrsg.): History Sells! Angewandte Geschichte als Wissenschaft und Markt. Stuttgart 2009.

Hinz, Felix / Körber, Andreas (Hrsg.): Geschichtskultur – Public History – Angewandte Geschichte. Geschichte in der Gesellschaft: Medien, Praxen, Funktionen. Göttingen 2020.

Sack, Hilmar: Geschichte im politischen Raum. Theorie – Praxis – Berufsfelder. Tübingen 2016.

Zündorf, Irmgard / Lücke, Martin: Einführung in die Public History. Göttingen 2018.

Samida, Stefanie: Public History als Historische Kulturwissenschaft – ein Plädoyer. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 17. 6. 2014. https://docupedia.de/zg/Public_History_als_Historische_Kulturwissenschaft

Zündorf, Irmgard: Zeitgeschichte und Public History. Version 2.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 6. 9. 2016. https://docupedia.de/zg/Zuendorf_public_history_v2_de_2016

Neben diesem häufig anzutreffenden Bereich der Geschichtsdidaktik / Public History fällt das weitgehende Fehlen von Professuren zur Theorie der Geschichte und Methodologie der Geschichte auf. Aufgabe dieser Subdisziplin ist es, die Grundlagen von Geschichte zu erörtern, indem sie die Fragen stellt: »Was ist Geschichte?« und »Wie betreibt man wissenschaftliche Geschichtsforschung?«.

Carr, Edward Hallett: Was ist Geschichte? Stuttgart 61981. [1963, engl. 1961.]

Goertz, Hans-Jürgen: Umgang mit Geschichte. Eine Einführung in die Geschichtstheorie. Reinbek 1995.

Jordan, Stefan: Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft. Paderborn 42018.

[51]Küttler, Wolfgang [u. a.] (Hrsg.): Geschichtsdiskurs. 5 Bde. Frankfurt a. M. 1993–99.

Lorenz, Chris: Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die Geschichtstheorie. Köln [u. a.] 1997.

Rüsen, Jörn: Historik. Theorie der Geschichtswissenschaft. Köln [u. a.] 2013.

Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik. Hrsg. von der Studiengruppe »Theorie der Geschichte«. Werner-Reimers-Stiftung, Bad Homburg. 6 Bde. München 1972–90.

Häufiger noch anzutreffen ist der Bereich der Historischen Hilfswissenschaften, wobei auch diese Disziplin, die wichtige Grundlagen für das Edieren historischer Quellen schafft, immer seltener gelehrt wird. Historische Hilfswissenschaften ist ein Sammelbegriff v. a. für die Disziplinen der Paläographie (Lehre von den alten Schriften), Numismatik (Münzkunde), Sphragistik (Siegelkunde), Diplomatik (Urkundenlehre), Heraldik (Wappenkunde), Genealogie (Familien- bzw. Geschlechterforschung) und Chronologie (Lehre von der Zeitabfolge und Zeitmessung).

Brandt, Ahasver von: Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. Stuttgart [u. a.] 182012 [1958].

Doublier, Étienne [u. a.] (Hrsg.): Die Historischen Grundwissenschaften heute. Tradition – Methodische Vielfalt – Neuorientierung. Wien [u. a.] 2020

You have finished the free preview. Would you like to read more?