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Für Jetzt und Für Immer

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From the series: Die Pension in Sunset Harbor #1
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Is reading Birgit Arnold
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KAPITEL VIERZEHN



Vollbeladen mit Lebensmitteln, stolperte Emily zum Auto und ließ alles in den Kofferraum fallen. Heute Abend sollte die Dinnerparty stattfinden. Sie hatte zwanzig Zusagen und stellte fest, dass sie sich mehr darauf freute, Gastgeberin zu sein, als sie gedacht hatte. An diesem Morgen war die früh aufgestanden, um den Rindereintopf aufzusetzen. Die Nachspeise war bereits fertig, da sie sei schon am vergangenen Abend vorbereitet und über Nacht in den Kühlschrank gestellt hatte. Das bedeutete, dass sie, wenn sie nach Hause käme, nur noch dekorieren und eine Stunde bevor die Gäste kamen, die vegetarische Variante des Risottos zubereiten musste.



Auf dem Nachhauseweg lächelte sie in sich hinein. Sie genoss es, eine Möglichkeit zum Planen und Organisieren zu haben, etwas, das ihr während ihrer siebenjährigen Beziehung mit Ben versagt worden war.



Als sie in die Einfahrt fuhr, bemerkte sie, dass Daniel nirgendwo zu sehen war. Sie schnappte sich ihre Einkäufe aus dem Kofferraum und ging hinein, wo sie sie auf dem Küchentisch abstelle. Sie lauschte, doch konnte weder Hämmern noch Klopfen im Haus hören. Es war unüblich für Daniel, nicht hier zu sein, doch Emily dachte sich nichts dabei und machte sich stattdessen daran, das Haus zu dekorieren. Sie stellte überall Kerzen auf, stellte frische Blumen in die Vasen auf den Kaffee- und den Esstisch, die in den beiden Räumen standen, in denen die Party stattfinden sollte. Trotzdem sorgte sie dafür, dass auch die Küche sauber und aufgeräumt war, denn sie wusste, dass die Leute in Abendgesellschaften gerne umherliefen, vor allem dann, wenn sie auf der Suche nach Alkohol waren. Sie hing eine selbstgebastelte Girlande im Wohnzimmer auf, stellte eine bunte Schale ins Badezimmer und deckte den Tisch mit feinstem Silberbesteck – welches sie aus den Bergen an Krempel hatte retten können. Sie goss Rotwein in sechs wunderschöne Glaskaraffen, die sie in einem Schrank in der Küche gefunden hatte.



Emily setzte die Welpen im Haushaltsraum ab, damit sie das Wohnzimmer für ihre Feier verwenden konnte. Sie hatte vor, sich dort zuerst Aperitifs zu verteilen und sich ein wenig zu unterhalten, bevor sie im Esszimmer das Abendessen servierte.



Es war schon fast fünf Uhr abends, weshalb sie sich an das Risotto machte. Als sie die Küche betrat, drang der Geruch des Rindereintopfes, der den ganzen Tag vor sich hin geköchelt hatte, in ihre Nase und ließ das Wasser in ihrem Mund zusammenlaufen. Während ihrer Zeit mit Ben hatte sie nicht viel Zeit mit dem Kochen verbracht – er ging lieber aus – und genoss, nun wieder eine Möglichkeit zu haben. Für zwanzig Leute musste man viel Essen vorbereiten, weshalb es etwas knifflig war, die genaue Menge und die Zeit richtig zu berechnen. Doch da sie eine große Küche und zahlreiche Geräte zur Verfügung hatte, war es nicht so schlimm gewesen, wie es hätte sein können. So langsam wunderte sie sich, wo Daniel steckte. Er hatte ihr eigentlich mit dem Abendessen helfen sollen, immerhin war er hier der selbsternannte Feinschmecker. Doch wann immer sie aus dem Fenster schaute, konnte sie keine Spur von ihm sehen. Weder auf dem Grundstück, noch im Kutschenhaus, das in der Dunkelheit stand.



Als sie fertig war, ging sie nach oben und zog sich um. Es fühlte sich seltsam an, sich nach so vielen Monaten, in denen sie einen Eyeliner getragen hatte, wieder schick zu machen, doch sie genoss das alte Ritual. Sie beschloss, einen auffälligen, roten Lippenstift aufzulegen und ihre Wimpern tief zu schwärzen, damit ihre Augenfarbe besser zum Vorschein kam. Das Kleid, das sie ausgewählt hatte, war leuchtend blau und betonte ihre Figur. Dazu trug sie passende hohe Schuhe und rundete ihr Aussehen mit einer silbernen Halskette ab. Als das Outfit vollständig war, trat sie einen Schritt zurück und bewunderte sich im Spiegel. Sie hatte sich komplett verwandelt und lachte vor Freude.



Es war viertel vor Sieben, weshalb sie alle Duftkerzen anzündete, damit ihr Aroma sich im Haus verteilen konnte, dann schaute sie nach dem Eintopf und das Risotto.



Sobald alles bereit war, machte sich Emily auf die Suche nach Daniel. Zuerst schaute sie im Kutschenhaus nach, doch er war nicht dort. Dann bemerkte sie, dass sein Motorrad nicht in der Garage stand. Er musste wohl eine Fahrt unternommen haben.



Tolle Timing, dachte sie mit einem Blick auf die Uhr. Er hätte hier sein sollen. Sie wollte nicht klammern, doch trotzdem konnte sie ihre Sorge nicht unterdrücken, vor allem, weil Daniel immer noch nicht zurück war, als die ersten Gäste ankamen.



Emily musste ihn aus ihren Gedanken verdrängen und sich stattdessen auf den Abend konzentrieren.



Sie öffnete die Tür für Charles Bradshaw aus dem Fischrestaurant und seine Frau Barbara. Er überreichte ihr eine Flasche Rotwein, seine Frau gab ihr einen Blumenstrauß.



„Das ist sehr nett von euch“, sagte Emily.



„Ich kann gar nicht glauben, was ich sehe“, meinte Charles, als er sich umschaute. „Du hast das Haus so wunderschön hergerichtet, und so schnell.“



„Es ist noch nicht ganz fertig“, sagte Emily. „Aber danke.“



Sie nahm ihre Mäntel und führte sie ins Wohnzimmer, wo die beiden Gäste überrascht nach Luft schnappten. Bevor sie ihnen etwas zu trinken anbieten konnte, klingelte es wieder an der Tür. Die Menschen in Sunset Harbor schienen pünktlich zu sein.



Sie öffnete die Tür und sah, dass Birk alleine draußen stand. Er entschuldigte seine Frau, die sich nicht gut fühlte. Dann sagte er, „Es ist wirklich wahr. Es war nicht dein Geist, der mich in der Tankstellte besuchte. Du hast hier wirklich alleine überlebt!“ Er fing an zu lachen und schüttelte ihre Hand.



„Ich kann es selbst kaum glauben“, entgegnete Emily mit einem Lachen. Sie wollte ihm erzählen, dass sie das nicht alleine geschafft hatte, dass Daniel ihr die ganze Zeit geholfen hatte, doch er war nicht hier und die Worte wollte ihr nicht über die Lippen kommen. In diesem Moment verstand sie, dass sie sich von ihm sehr alleine gelassen fühlte und enttäuscht war, dass er nicht hier war.



Emily führte Birk ins Wohnzimmer. Sie musste ihn nicht vorstellen, er kannte Charles und Barbara bereits.



Die Klingel ertönte erneut und Emily öffnete die Tür, um Cynthia hereinzulassen, die einen kleinen Buchladen in der Stadt besaß. Sie hatte leuchtend rotes, lockiges Haar und trug immer Kleider, die sich fürchterlich damit bissen. Heute trug sie ein limettengrünes und lila Outfit, das ihrer leicht übergewichtigen Figur nicht gerade schmeichelte. Dazu hatte sie einen kräftigen, roten Lippenstift aufgelegt und sich die Nägel hellgrün lackiert. Emily wusste, dass Cynthia einen Ruf hatte, immer ihre Meinung zu sagen und unverschämt zu sein, doch sie hatte sie trotzdem aus gutem Willen heraus eingeladen. Wenn an diesen Gerüchten wirklich etwas dran war, dann könnte sie die anderen Gäste unterhalten!



„Emily!“, rief Cynthia mit schriller Stimme, die in den Ohren schmerzte.



„Hallo Cynthia“, erwiderte Emily. „Vielen Dank fürs Kommen.“



„Du weißt ja, was die Leute hier in Sunset Harbor sagen: Es ist keine Party ohne Cynthia.“



Emily vermutete, dass noch niemand in Sunset Harbour so etwas gesagt hatte. Sie bedeutete Cynthia, zu den anderen Gästen im Wohnzimmer zu gehen, dann hörte sie einen entzückten Schrei, als diese die anderen Gäste mit ebenso großer Begeisterung und Lautstärke begrüßte.



Es klingelte wieder und Emily sah, dass Doktor Sunita Patel und ihr Mann Raj vor der Tür standen. Ein kleines Stück hinter ihnen half Serena Rico den Weg entlang.



„Ich habe den Baum auf deinem Rasen gesehen“, sagte Doktor Patel, als sie einen Kuss auf Emilys Wangen drückte und ihre eine Flasche Wein gab. „Der Sturm hat uns alle hart getroffen.“



„Oh, ich weiß“, erwiderte Emily. „Er war schrecklich.“



Raj schüttelte Emilys Hand. „Schön, dich zu treffen. Ich bin Landschaftsgärtner, wenn du jemanden brauchst, der den umgefallenen Baum wegschafft, würde es mich freuen, von dir zu hören. Ich komme einfach vorbei. Mir gehört der Kindergarten.“



Emily war auf ihrem Weg in die Stadt oft an dem wunderschönen Gartengeschäft mit seinen hübschen Blumenarrangements und den hängenden Körben vorbeigekommen. Sie hatte mehr als nur einmal hineingehen wollen, um sich die Vogeltränken, Sonnenuhren und die Formschnitte anzusehen, doch bisher hatte sie noch keine Zeit dafür gehabt.



„Das würdest du tun?“, fragte sie, überrascht von seiner Großzügigkeit. „Das wäre wunderbar.“



„Es ist doch das Mindeste für deine Einladung.“



Raj und Sunita gingen ins Wohnzimmer und Emily richtete ihre Aufmerksamkeit auf Serena und Rico, die schon fast die Tür erreicht hatten. Serena schaute in ihrem schwarzen Kleid und einer goldenen Halskette umwerfend auf, ihre schwarzen Haare hingen in losen Locken herunter, ihre Lippen erstrahlten in schönem Rot.



„Wir haben es geschafft!“ Sie grinste, legte einen Arm um Emilys Hals und umarmte sie.



„Das freut mich sehr“, entgegnete Emily. „Du bist so ziemlich der einzige Mensch hier, den ich kenne.“



„Oh wirklich?“, fragte Serena lachend. „Was ist mit Mr. Muskelprotz?“



Emily schüttelte den Kopf. „Oh Gott, erwähn ihn bloß nicht.“



Serena verzog das Gesicht und Emily lachte, bevor sie sich an Rico wandte.



„Danke fürs Kommen, Rico“, sagte sie. „Es freut mich wirklich sehr, dich zu sehen.“



„Es ist schön, in meinem Alter einmal aus dem Haus zu kommen, Ellie.“

 



„Emily“, korrigierte ihn Serena.



„Das habe ich doch gesagt“, widersprach Rico.



Serena verdrehte die Augen und die beiden traten in den Flur. Emily schloss nach ihnen gar nicht erst die Tür, denn sie sah, dass Karen am Straßenrand parkte. Von all den Leuten, bei denen sie sich unsicher war, ob sie kommen würden, stand Karen ganz oben auf ihrer Liste. Aber vielleicht hatte die Tatsache, dass Emily den kompletten Einkauf für die Party in Karens Laden erledigt hatte, die Haltung der Frau ihr gegenüber geändert. Immerhin hatte sie eine, für einen kleinen Laden, ziemlich große Menge Geld dort gelassen.



Direkt hinter Karen sah Emily den Bürgermeister. Sie hatte von ihm keine Zusage erhalten! Es schockierte sie, dass er zu ihrer bescheidenen Party kommen wollte und zugleich sorgte sie sich, dass das Essen nicht für alle reichte.



Karen erreichte die Tür zuerst und Emily begrüßte sie.



„Ich habe dir ein paar von meinen Broten mit Oregano und den sonnengetrockneten Tomaten mitgebracht“, sagte Karen, die ihre einen köstlich riechenden Korb überreichte.



„Oh, Karen, das wäre doch nicht nötig gewesen“, antwortete Emily, als sie den Korb annahm.



„Es ist eigentlich eine Geschäftstaktik“, flüsterte ihr Karen zu. „Wenn die Leute sie mögen, dann werden sie sie bei mir im Laden kaufen!“ Sie zwinkerte.



Emily lächelte und trat zur Seite, um sie reinzulassen. Sie war sich bei Karen unsicher gewesen, doch anscheinend war die natürliche Freundlichkeit der Frau zurückgekehrt.



Dann wandte sich Emily an den Bürgermeister. Sie nickte höflich und hielt ihm ihre Hand zum Schütteln entgegen.



„Vielen Dank fürs Kommen“, sagte sie.



Der Bürgermeister schaute ihre Hand an, dann langte er an ihr vorbei und zog sie stattdessen in eine enge Umarmung. „Ich bin nur froh, dass du endlich dein Herz für diese kleine Stadt öffnest.“



Zuerst war es Emily unangenehm, von dem Bürgermeister so umarmt zu werden, doch seine Worte berührten sie, weshalb sie sich entspannte.



Schließlich waren alle Gäste da, die meisten von ihnen hielten sich im Wohnzimmer auf, und Emily hatte die Chance, sich mit ihnen zu unterhalten.



„Ich habe Rico hier gerade erzählt“, sagte Birk zu ihr, „Dass du darüber nachdenken solltest, dieses Haus wieder in ein Bed & Breakfast umzuwandeln.“



„Ich wusste gar nicht, dass es einmal eines war“, erwiderte Emily.



„Oh doch, das heißt, bevor dein Vater es kaufte“, erklärte Rico. „Ich denke, es war etwa von den 1950ern bis in die Achtziger ein Bed & Breakfast.“



Serena lachte und tätschelte Ricos Hand. „Er kann sich meinen Namen nicht merken, aber daran erinnert er sich“, murmelte sie.



Emily lachte.



„Ich wette, es konnte alle Kosten decken“, fügte Birk hinzu. „Und genau so etwas braucht unsere Stadt.“



Je mehr sie mit den Menschen sprach, desto deutlicher erkannte Emily, wie warmherzig sie alle waren. Die Idee, das Haus in ein Bed & Breakfast umzuwandeln, breitete sich wie ein Lauffeuer aus und je länger sie darüber nachdachte, desto mehr gefiel es ihr. Tatsächlich hatte sie früher einmal davon geträumt, in einem Bed & Breakfast zu arbeiten, doch nach ihrer Teenager-Zeit hatte ihr Vertrauen in ihre Fähigkeit, mit Menschen umgehen zu können, verloren. Das Fortgehen ihres Vaters hatte sie schwer getroffen und in einer ewigen Schleife stecken lassen, weshalb sie seitdem keinen Menschen mehr an sich rangelassen hatte und dazu neigte, etwas feindselig zu sein. Doch die Stadt hatte sie aufgeweicht. Vielleicht hatte sie es ja wirklich in sich, eine liebenswerte Gastgeberin zu sein?



Es war an der Zeit fürs Abendessen, weshalb Emily alle ins Esszimmer führte. Sie konnte Keuchen und viele Bewunderungsrufe hören, als die Gäste eintraten und sahen, wie sie den Raum renoviert hatte.



„Leider kann ich euch den Ballsaal nicht zeigen“, sagte Emily. „Das Fenster wurde bei dem Sturm beschädigt. Aus diesem Grund sind die Fenster zugenagelt.“



Das schien jedoch niemandem etwas auszumachen. Sie alle waren von dem Esszimmer vollkommen entzückt. Sie bekam Komplimente für alles, von Emilys Blumenbukett bis zur Farbe des Teppichs oder der Tapete.



„Du hast ein Händchen für Blumenarrangements“, meinte Raj bewundernd.



„Und sind diese Stühle nicht absolut fabelhaft?“, scherzte Serena, während sie mit ihren Fingern über die Esszimmerstühle strich, die sie mit Emily zusammen in Ricos Laden ausgewählt hatte.



Es dauerte eine Weile, bis alle Gäste saßen. Als es schließlich soweit war, ging Emily in die Küche, um das Essen zu servieren. Das Brummeln der Gespräche aus dem Esszimmer gaben ihr das warme Gefühl, geliebt zu werden.



Sie gelangte in die Küche und schaute schnell nach Mogsy und den Welpen im Haushaltsraum. Sie alle schliefen zufrieden, als ob sie keine Sorgen hätten. Dann ging sie zurück in die Küche und begann, das Essen zu servieren.



„Brauchst du Hilfe beim Tragen?“, hörte sie Serenas Stimme aus dem Flur.



„Bitte“, antwortete Emily. „Ich habe gerade ganz schreckliche Erinnerungen an meine Zeit als Kellnerin.“



Serena lachte und half, Emilys Arme vollzuladen, bis diese fünf Teller balancierte. Serena tat das Gleiche bei sich und zusammen betraten sie unter lauten „Ohs“, und „Ahs“ das Esszimmer.



Emily war ein wenig frustriert. Daniel hatte ihr eigentlich helfen sollen. Sie hatte gedacht, dass sie auf der Dinnerparty ihre Beziehung bekannt geben könnten. Sie wollte sehen, wie die Menschen darauf reagierten, dass sie mit einem von ihnen zusammen war. Sie dachte, dass es ihrem Ansehen zumindest ein wenig helfen konnte. Doch nun war Daniel verschwunden und hatte sie mit allem alleine gelassen.



Sobald vor allen ein Teller stand – glücklicherweise hatte es gerade so für alle gereicht – begann das Essen.



„Emily, dein Vater ging auf eine katholische Schule, nicht wahr?“, fragte der Bürgermeister.



Die Gabel, die gerade auf dem Weg in Emily Mund war, blieb in der Luft stehen. „Oh“, sagte sie verlegen. „Das weiß ich nicht.“



„Ich bin mir sicher, dass wir einige Geschichten über fiese Nonnen erzählen könnten“, sagte der Bürgermeister schnell, der Emilys Unbehagen, über ihren Vater zu reden spürte.



Doch Cynthia schien das gar nicht zu bemerken. „Oh, dein Vater, Emily. Er war so ein toller Mann“, rief sie aus. Sie fuchtelte mit ihrem Glas in der Luft herum und bei jeder Bewegung schwappte der Rotwein bis zum Rand. „Ich erinnere mich an das eine Mal, es muss schon mindestens zwölf Jahre her sein, denn es war vor Jeremys und Lukes Geburt, als ich noch eine gute Figur hatte.“ Sie hielt inne und kicherte.



Emily korrigierte sie nicht, dass es mindestens zwanzig Jahre her sein musste, doch sie konnte an dem verlegenen Umherrutschen und den gesenkten Blicken der anderen Gäste erkennen, dass sie es bemerkt hatten und dass sie ihnen leidtat.



„Es war das erste Mal, dass er in meinen Laden kam“, fuhr Cynthia fort, „und er fragte nach diesem sehr speziellen Buch, einem alten, das nicht mehr gedruckt wurde. Ich erinnere mich nicht mehr an den Titel, aber es hatte etwas mir Blumenfeen zu tun. Ich wusste, dass er in das Haus in der West Street gezogen war und hatte ihn schon ein paar Mal gesehen. Jedes Mal war er alleine gewesen. Als mich nun dieser erwachsene Mann nach einer Sammleredition von Feenbüchern fragte, wunderte ich mich, wofür. Ich dachte, ich hätte mich verhört und führte ihn zu einem Bereich mit ähnlichen Titeln, doch er sagte, ‚nein, nein, das ist es nicht. Es geht um Feen‘ Ich hatte es nicht vorrätig, weshalb ich es bestellen musste. Dadurch war es für ihn natürlich noch teurer, doch das schien ihm gar nichts auszumachen. Ich dachte, dass er sehr versessen darauf sein musste, dieses Sammelwerk zu erhalten. Als es dann ein paar Wochen später geliefert wurde, rief ich ihn an, dass er es abholen konnte. Ich war ein wenig nervös, doch dann schob er dieses süße, kleine Mädchen in einem Kinderwagen herein. Das musst du gewesen sein, Emily. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich war!“



Am Tisch herrschte einen Moment lang Stille, als alle Gäste zu Emily schauten und versuchten, herauszufinden, wie sie am angemessensten reagieren sollten. Als sie sahen, dass sie zu kichern begann, ließen sie alle ihr zurückgehaltenes Lachen raus. Man konnte den Moment fast spüren, in dem sich die Spannung auflöste.



Cynthia beendete ihre Anekdote. „Ich sagte ihm, dass du zu jung wärest, um das Buch zu lesen, doch er meinte, dass es für später sei, wenn du älter bist, dass seine Eltern so ein Buch besessen hätten und er auch eines für dich wollte. Ist das nicht das absolut schönste, was ihr je gehört habt?“



„Ja“, sagte Emily grinsend. „Die Geschichte kannte ich noch gar nicht.“



Emily war Cynthia für die neue, schöne Erinnerung dankbar. Doch sie machte sie auch traurig und ließ sie ihren Vater sogar noch mehr vermissen.



Nach Cynthias Geschichte drehte sich die Unterhaltung schnell um die Idee, das Haus in eine Bed & Breakfast umzuwandeln.



„Ich denke, du solltest es tun“, sagte Sunita. „Mach dieses Haus zu einem Bed & Breakfast. Du bekommst wahrscheinlich schnell eine Genehmigung, weil es jedem in der Stadt zugutekommen würde.“



„Das stimmt“, warf der Bürgermeister ein. „Außerdem würde es dich vor Trevor Mann schützen.“



Emily grinste. Sie bekam das Gefühl, dass niemand in der Stadt Trevor Mann mochte und dass kein Stück die Menschen, die um ihren Tisch herumsaßen, vertrat.



„Nun ja“, sagte Emily, während sie an ihrem Wein nippte. „Das ist zwar eine schöne Idee, aber ich habe nur noch Ersparnisse für drei Monate, bevor ich pleite bin.“



„Reicht es, um ein paar Schlafzimmer zu renovieren?“, fragte Birk.



„Das ist eine gute Frage“, stimmte Barbara mit ein. „Esszimmer, Wohnzimmer und Küche sind ja schon fertig. Mit einem Schlafzimmer hättest du alles, was du für den Anfang brauchst. Voila. Schon hast du ein Bed & Breakfast.“



Sie hatte Recht. Sie alle hatten Recht. Das war wirklich alles, was sie brauchte, um ihren Traum in die Realität umzusetzen. Genügend Bereiche des Hauses und des Grundstückes hatten waren bereits in einem Zustand, dass es den Gästen hier gefallen würde. Wenn sie den Preis niedrig hielt – nur um einen Kunden zu bekommen – dann könnte sie damit anfingen, sobald sie ein Schlafzimmer renoviert hatte. Dann, wenn sie etwas Geld eingenommen hatte, könnte sie es in ihr Geschäft reinvestieren, einen weiteren Raum fertigstellen und das Geschäft auf diese Weise immer weiter ausbauen.



„Nun ja, Barbara“, sagte Karen, „sie muss allerdings auch Frühstück anbieten.“



Alle Gäste lachten.



„Zufälligerweise“, sagte Raj, „habe ich ein paar Hühner, die ein neues Zuhause suchen. Du könntest sie mir abnehmen, dann hättest du immer frische Eier zum Frühstück!“



„Und du machst bereits den besten Kaffee der Stadt“, fügte der Bürgermeister hinzu. „Nichts gegen dich, Joe.“



Jeder schaute den Besitzer des Diners an.



„Kein Problem!“ Er kicherte. „Ich weiß, dass Kaffee nicht meine Stärke ist. Ich unterstütze Emilys Unternehmen gerne.“



„Genau wie ich“, sagte Birk.



„Und wenn du einen Rat brauchst“, fügte Cynthia hinzu, „dann lasse ich dich gerne an meiner Weisheit teilhaben. In meinen Zwanzigern habe ich auch einmal ein Bed & Breakfast geleitet. Ich habe keine Ahnung, warum sie mich für so verantwortungsbewusst hielten, aber unter meiner Aufsicht ist es nicht den Bach hinuntergegangen, weshalb sie wohl Recht hatten!“



Emily konnte kaum glauben, was sie da hörte. All diese Menschen wollten ihr aushelfen. Das war ein unbeschreibliches Gefühl und sie war von ihrer Großzügigkeit und ihren lieben Worten überwältigt. Der Gedanke daran, dass sie sie bei ihrer Ankunft so schnell abgetan hatte, schmerzte sie. Wie sich die Dinge in nur ein paar wenigen Monaten verändert hatten.



Doch ihre Freude hatte einen Haken. Daniel. Er lebte ebenfalls auf dem Grundstück. Wenn sie ein Bed & Breakfast eröffnete, würde das sein Leben ziemlich durcheinanderbringen. Sie würden ihre Privatsphäre verlieren. Sie konnte es nicht tun, ohne zuvor mit ihm darüber zu sprechen. Auf gewisse Weise könnte das alles wunderbar für sie ausgehen. Daniel könnte in zu ihr ins Haupthaus ziehen und sie könnten das Kutschenhaus als alleinstehende Einheit, oder sogar an Brautpaare, vermieten. Und der Ballsaal würde sich perfekt für Hochzeiten eignen.

 



Emilys Gedanken gingen mit ihr durch. Vielleicht hatte sie ein Glas Wein zu viel getrunken, doch sie verspürte einen Optimismus, wie schon seit Jahren nicht