Familien- und Kindschaftsrecht für die Soziale Arbeit

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Die Gründe für die Härtefallscheidung können dabei auch erst nach dem Scheitern der Ehe eingetreten sein, also während die Ehegatten bereits getrennt leben.

Voraussetzungen für eine sog. Härtefallscheidung nach §§ 1565 Abs. 1 S. 2, 1565 Abs. 2 BGB sind:

■ Die Ehegatten leben noch nicht ein Jahr getrennt

■ unzumutbare Härte

■ begründet in der Person des anderen Ehegatten

■ die Fortsetzung der Ehe als solche muss unzumutbar sein („das Festhalten am Eheband“)

Rechtsprechung zu Härtegründen

Ob in der konkreten Scheidungssituation ausreichende Härtegründe vorliegen, ist von den Gerichten zu prüfen. In der Rechtsprechung gibt es eine Vielzahl von Urteilen, die eine Orientierung bieten. Die nachfolgenden Beispiele nennen Fälle, in denen die Gerichte das Vorliegen von Härtegründen bejaht („ehefeindliche Willensrichtung“) bzw. verneint haben. Es zeigt sich dabei, dass es auf den jeweiligen Einzelfall ankommt. So wird das Vorliegen eines Härtefalls bei einem Ehebruch einmal angenommen und im anderen Fall abgelehnt. Die unterschiedliche Bewertung ergibt sich hier aus den jeweiligen weiteren tatsächlichen Umständen.

Härtegründe bejaht

In den folgenden Fällen hat die Rechtsprechung Härtegründe bejaht:

■ Alkoholmissbrauch/Alkoholismus verbunden mit wiederholten Gewalttätigkeiten, Bedrohungen und Beleidigungen


Entscheidung „Alkoholkranker gewalttätiger Ehepartner“ (OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 31.01.2007, 15 WF 22/07):

Aus den Gründen: „Gemäß § 1565 Abs. 2 BGB kann die Ehe, wenn die Ehegatten noch nicht ein Jahr getrennt leben, nur geschieden werden, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde. Diese Voraussetzung liegt nach dem unstreitigen Vorbringen der Antragstellerin vor. Danach ist die Ehe auf Grund der erheblichen alkoholbedingten Ausfälle des Antragsgegners gescheitert. Die unzumutbare Härte muss sich auf das Eheband, d. h., das „Weiter-miteinander-verheiratet-sein“, nicht auf die Fortsetzung des ehelichen Zusammenlebens beziehen. Der Antragstellerin darf insoweit nicht zuzumuten sein, mit der Scheidung bis zum Ablauf des Trennungsjahres zu warten. Deshalb ist es unerheblich, dass die Antragstellerin nicht nur von ihrem alkoholkranken Ehemann getrennt lebt, sondern diesem durch die einstweilige Anordnung sogar verboten ist, die Wohnung der Parteien zu betreten, sich in einem Umkreis von 100 m der Wohnung aufzuhalten und Verbindungen zur Antragstellerin aufzunehmen. Diese Maßnahmen vermögen die Antragstellerin zwar grundsätzlich davor zu schützen, dass sie sich erneut Bedrohungen oder gar körperlichen Übergriffen des Antragsgegners in der und um die Wohnung herum ausgesetzt sehen könnte. Sie besagen aber nichts darüber, ob der Antragstellerin zuzumuten ist, das eheliche Band und die damit verbundenen rechtlichen und gesellschaftlichen Folgen aufrechtzuerhalten.

Das ist ihr nicht zuzumuten.

Die Antragstellerin hat den Antragsgegner seit Jahren immer wieder volltrunken, aggressiv und gewalttätig erlebt. Die gravierenden Vorfälle am 03.01.06 und im August 2006 über mehrere Tage mit Drohungen des Antragsgegners gegen das Leben der Antragstellerin zeigen, dass die in der Person des Antragsgegners liegende Unzumutbarkeit ein Ausmaß erreicht hat, das eine Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres rechtfertigt.“

■ Ehebruch in der früheren Ehewohnung


Entscheidung „Ehebruch in der früheren Ehewohnung“ (OLG Saarbrücken, Urteil vom 05.10.2004, 9 WF 111 /04):

Leitsätze: „1. Für die Annahme einer Unzumutbarkeit i. S. des § 1565 II BGB muss die Fortsetzung aus den in der Person des Partners liegenden Gründen über die Erkenntnis des Scheiterns der Ehe hinaus eine besondere psychische Belastung für den Antragsteller darstellen; an die Feststellung der nach einem objektiven Maßstab zu beurteilenden Unzumutbarkeit der Härte sind nach Wortlaut und Zweck der Vorschrift strenge Anforderungen zu stellen.

2. Unterhält ein Ehegatte ein Verhältnis zu einem neuen Partner, welcher mittlerweile mit dem Ehegatten im vormals ehelichen Hausanwesen zusammenwohnt, kann dieser Treuebruch für den anderen Ehegatten eine unzumutbare Härte im Sinne von § 1565 II BGB darstellen.“

■ Ehebruch mit Schwangerschaft der Ehefrau von einem anderen Mann (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 16.06.2014, Az. 8 WF 106/14)


Entscheidung „Ehebruch mit Schwangerschaftsfolge“ (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.04.2000, 20 WF 32/00):

Anmerkung der Autorin: Erwartet die Ehefrau aus einem ehebrecherischen Verhältnis ein Kind, ist die Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Ehe nach Ansicht des OLG für den Ehemann gegeben, ohne dass weitere belastende Umstände vorliegen müssen. Ein anderes sei mit dem Sinn und Zweck des § 1599 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht vereinbar. Gemäß § 1599 Abs. 2 S. 1 BGB gelte nämlich die Vaterschaftsvermutung des § 1592 Nr. 1 BGB nicht, wenn das Kind nach Anhängigkeit eines Scheidungsverfahrens geboren wird und ein Dritter spätestens ein Jahr nach Rechtskraft des Scheidungsurteils die Vaterschaft anerkennt. Dieser Vorteil, nämlich der Wegfall der Vaterschaftsvermutung, dürfe dem Ehemann nicht entzogen werden, weil die Schwangerschaft für ihn nicht mit weiteren belastenden Umständen verbunden ist.

Die Schwangere selbst kann sich hingegen nicht auf diesen Umstand berufen (vgl. OLG Naumburg, NJW 2005, 1812).

■ Vorschlag zum Geschlechtsverkehr zu dritt durch einen Ehegatten nach Aufdeckung des Ehebruchs (vgl. OLG Köln, Urteil vom 23.06.1995, 25 WF 103/95: Die Fortsetzung der Ehe ist „angesichts der Schmach und Erniedrigung unzumutbar“.)

■ Prostitution des Ehepartners – auch nach der Trennung – (vgl. OLG Bremen, Urteil vom 26.09.1995, 5 WF 66/95)

■ Dauernde Verweigerung des Geschlechtsverkehrs (vgl. OLG Hamm, FamRZ 1979, 511)

■ Geschlechtsverkehr mit der Stieftochter (OLG Oldenburg, FamRZ 1992, 682)

■ Ein an HIV erkrankter Ehegatte, dem seine Erkrankung bekannt ist, täuscht den anderen Ehegatten über die Erkrankung (OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 15.03.2006, Az.4 UF 112/05)

■ Eine über Monate oder Jahre hinweg andauernde sexuelle Beziehung zum neuen Partner, die bereits vor der Trennung aufgenommen worden war (OLG Karlsruhe, FamRZ 1978, 592).

■ Verschweigen einer anstehenden Haftstrafe (AG Ludwigsburg, NJW-RR 2007, 4).

■ Mehrmalige Vergewaltigungen in der Ehe, nicht aber bei einer einmaligen Vergewaltigung in der Ehe im Affekt (OLG Stuttgart, FamRZ 2002, 239)

Härtegründe verneint

In den folgenden Fällen hat die Rechtsprechung Härtegründe verneint:

■ homosexuelle Neigung des Ehemannes (vgl. auch OLG Nürnberg, Urteil vom 28.12.2006, 10 WF 1526/06)


Entscheidung „Homosexuelle Beziehung des getrenntlebenden Ehegatten“ (OLG Köln, Urteil vom 13.03.1996, 27 WF 17/96):

Aus den Gründen: „An die Feststellung der unzumutbaren Härte sind strenge Anforderungen zu stellen. Es muss sich um eine Ausnahmesituation gegenüber der bloß gescheiterten Ehe handeln. Entscheidendes Kriterium für die Zumutbarkeitsprüfung ist, ob dem Antragsteller in seiner konkreten Lage angesonnen werden kann, nach dem Zweckgedanken des § 1565 Abs. 1 BGB den Ablauf des Trennungsjahres abzuwarten. Die Zuwendung zu einem anderen Partner und das Zusammenleben mit diesem lässt zwar in der Regel den Schluss zu, dass die Ehe der Ehepartner gescheitert und eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten ist. Die Zuwendung eines Ehegatten zu einem anderen Partner kann demnach Zerrüttungsgrund sein. Sie ist aber als solche nicht zugleich Ausnahmetatbestand mit der Folge der Unzumutbarkeit für den anderen Ehegatten.

Gleichgeschlechtliche Beziehungen unterliegen aus den vom Amtsgericht genannten Gründen – größere Akzeptanz in der Bevölkerung infolge der Liberalisierung der Sitten- und Moralvorstellungen seit Ende der 60er Jahre auch auf dem Gebiet sexueller Beziehungen – grundsätzlich den gleichen Regeln wie heterosexuelle Beziehungen. Dem Argument, in der Aufnahme homosexueller Beziehungen sei zusätzlich auch die Missachtung des anderen Ehepartners als Geschlechtspartner zu sehen, fehlt es an Überzeugungskraft. Selbst wenn das Argument zuträfe, wäre die Voraussetzung der unzumutbaren Härte dadurch i. Ü. nicht erfüllt.“

Eine Härtefallscheidung vor Ablauf des Trennungsjahres kommt nicht allein deshalb in Betracht, weil die Ehefrau eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft mit einer anderen Frau eingegangen ist (vgl. OLG München, Urteil vom 03.02.1995, 16 WF 534/95)

■ Psychische Erkrankung


Entscheidung „Suiziddrohung eines psychisch Kranken“ (OLG Schleswig, Beschluss vom 21.12.2005, 15 UF 85/05):

Aus den Gründen: „Nach § 1568 BGB soll die Ehe nicht geschieden werden, obwohl sie gescheitert ist, wenn und solange die Scheidung für den Antragsgegner, der sie ablehnt, auf Grund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheint. Die Suiziddrohung eines psychisch Kranken ist kein außergewöhnlicher Umstand, solange der Kranke seine seelischen Reaktionen noch steuern kann. Ist das Steuerungsvermögen erheblich beeinträchtigt, darf die Ehe nicht geschieden werden, bis die ausreichende medizinische Betreuung des Kranken gesichert ist. Unerheblich ist dabei, ob der suizidgefährdete Ehegatte das Scheitern der Ehe verursacht hat.“

 

Entscheidung „Demenz“ (OLG Hamm, Beschluss vom 16.08.2013, 3 UF 43/13):

Anmerkung der Autorin: Zu den Voraussetzungen einer wirksamen Bevollmächtigung der Verfahrensbevollmächtigten eines an Demenz erkrankten Ehegatten durch dessen gesetzlichen Betreuer für einen wirksamen Ehescheidungsantrag gemäß den §§ 125 Abs. 2 S. 2, 287 Abs. 1 FamFG, 1564 S. 1 BGB.

Leitsätze: „Eine einseitige, dem Familiengericht den Ausspruch der Ehescheidung ermöglichende Zerrüttung der Ehe lässt sich gemäß den §§ 1565, 1566, 1567 BGB jedenfalls feststellen, wenn die Ehegatten unstreitig seit mehr als einem Jahr räumlich getrennt voneinander leben und die Anhörung des an Demenz erkrankten Antragstellers nach § 128 FamFG sowie das übrige Ergebnis der Beweisaufnahme den Rückschluss zulassen, dass dieser zum Zeitpunkt der Trennung bzw. zu einem danach liegenden Zeitpunkt noch den hinreichend sicheren natürlichen Willen zur Trennung und Ehescheidung sowie die Ablehnung der Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft erklärt hat.

Darauf, dass bei dem an Demenz erkrankten Antragsteller zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung hingegen kein natürlicher Trennungs- und Scheidungswillen mehr festgestellt werden kann, kommt es nicht für den Ausspruch der Ehescheidung an. Ist nämlich der antragstellende Ehegatte wegen einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage, das Wesen einer Ehe und einer Ehescheidung erfassen zu können, ist bei ihm ein Zustand äußerster Eheferne erreicht, bei dem die Ehe der mehr als ein Jahr getrennt lebenden Ehegatten scheidbar ist.“

■ Treuebruch allein ist noch kein Härtegrund: Es müssen weitere Umstände hinzukommen (vgl. OLG München, Beschluss vom 28.07.2010, 33 WF 1104/10)


Entscheidung „Untreue zwei Tage nach der Eheschließung“ (OLG München, Beschluss vom 28.07.2010, Az. 33 WF 1104/10):

Anmerkung der Autorin: Keine unzumutbare Härte nach Ansicht des Gerichts bei Ehebruch zwei Tage nach der Eheschließung mit der Freundin der Braut.

Aus den Gründen: „Nicht jede Aufnahme einer außerehelichen Lebensgemeinschaft mit einem Dritten begründet die Unzumutbarkeit für den anderen Ehegatten, das Trennungsjahr abzuwarten. Damit wird nicht der Treuebruch selbst bagatellisiert, sondern der gesetzgeberischen Wertung Rechnung getragen, die eben das Vorliegen einer unzumutbaren Härte verlangt. Deshalb müssen weitere Umstände wie etwa die Darstellung in der Öffentlichkeit oder ein ehebrecherisches Verhältnis in der früheren Ehewohnung hinzutreten, die es für den anderen Ehegatten geradezu als entwürdigendes Unrecht erscheinen lassen, wenn man ihn noch länger am Eheband festhalten wollte.

Daraus folgt, dass die Art und Weise sowie die Begleitumstände des Treubruchs die Annahme eines Härtegrundes rechtfertigen können. Als Grund für die Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres hat die Rechtsprechung beispielsweise anerkannt den Geschlechtsverkehr mit der vorehelichen Tochter der Frau; mit Familienangehörigen oder der Schwägerin; den Ehebruch, der auch für Dritte in einer kleinen Gemeinde offensichtlich ist; wenn der Ehebruchspartner in die eheliche Wohnung aufgenommen wird oder zur Verletzung der Treuepflicht weitere demütigende Umstände hinzukommen, etwa die Aufforderung zum Geschlechtsverkehr zu dritt nach Entdeckung des ehebrecherischen Verhältnisses oder auch einmaliger Geschlechtsverkehr mit einem bis dahin unbekannten Mann, den die Ehefrau ebenso wie die hierdurch begründete Schwangerschaft trotz entsprechenden Aids-Risikos dem Ehemann zunächst verschweigt. Nach alldem ist festzustellen, dass hier zwar ein ehelicher Treubruch vorliegt, der sich dadurch hervorhebt, dass er bereits wenige Tage nach der Eheschließung offenkundig geworden ist und zudem mit einer engen Freundin der Antragstellerin. Es müssen vielmehr besonders erschwerende Begleitumstände hinzutreten, so dass das Verhalten des anderen Ehegatten für den verlassenen Ehegatten besonders erniedrigend oder peinlich wäre.“

■ Einmalige körperliche Misshandlung im Affekt aufgrund eines Streits rechtfertigt keine sofortige Scheidung (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 27.02.2001, 17 UF 411/00)

3.3 Die Schutzklauseln des § 1568 BGB

Für alle Scheidungstatbestände (Fallgruppen) sind zusätzlich die Schutzklauseln nach § 1568 BGB zu beachten (Johannsen/Henrich 2015).


§ 1568 BGB (Härteklausel)

„Die Ehe soll nicht geschieden werden, obwohl sie gescheitert ist, wenn und solange die Aufrechterhaltung der Ehe im Interesse der aus der Ehe hervorgegangenen minderjährigen Kinder aus besonderen Gründen ausnahmsweise notwendig ist oder wenn und solange die Scheidung für den Antragsgegner, der sie ablehnt, auf Grund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheint.“

3.3.1 Kinderschutzklausel (§ 1568 S. 1, 1. Alt. BGB)

Ehe im Interesse der Kinder

Die Ehe ist trotz Scheiterns nur dann zu scheiden, sofern und solange die Aufrechterhaltung der Ehe im Interesse der aus der Ehe hervorgegangenen minderjährigen Kinder aus besonderen Gründen ausnahmsweise nicht notwendig ist. Dies kann auch der Fall sein, wenn die Scheidung für den anderen Ehegatten eine schwere Härte darstellen würde, die sich auf das Kind auswirkt (z. B. Miterleben müssen des beim Ehegatten ausgelösten ungewöhnlich starken Leidensdrucks; hier Prüfung von Amts wegen § 127 Abs. 3 FamFG).

3.3.2 Ehegattenschutzklausel (§ 1568 S. 1, 2. Alt. BGB)

Scheidung als schwere Härte

Die Ehe soll zudem nicht geschieden werden, wenn und solange die Scheidung aufgrund außergewöhnlicher Umstände für den Antragsgegner eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheint, z. B. bei einer psychischen Ausnahmesituation, Gefahr von Kurzschlussreaktionen bis hin zu der Gefahr einer Tötung oder Suizids.


Entscheidung „Depression durch Trennungskonflikt“ (OLG Brandenburg, Urteil vom 06.11.2008, 9 UF 50/08):

Anmerkung der Autorin: Der Antragsgegner litt „an einer schweren Depression durch Trennungskonflikt“. Es wurde „eine schwere depressive Episode, ausgelöst durch die Trennung von der Ehefrau vor dem Hintergrund einer akzentuierten Persönlichkeit mit Neigung zur cholerischen, rechthaberischen Verhalten“ bei ihm diagnostiziert, der sich an den Wunsch nach Rückkehr der Ehefrau geklammert habe.

Aus den Gründen: „Nach § 1568 2. Alternative BGB soll die Ehe trotz ihres Scheiterns nicht geschieden werden, wenn und solange die Scheidung für den Antragsgegner, der sie ablehnt, aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheint. Die Vorschrift will aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit eine Scheidung zur Unzeit verhindern, weshalb an die Feststellung der schweren Härte ein strenger Maßstab anzulegen ist, der nur bei außergewöhnlichen Tatsachen vorliegen kann. Die Härtefallklausel bietet also schon im Ansatz nur einen zeitlich begrenzten Ehebestandsschutz und greift nicht ein, wenn es geeignete andere Maßnahmen zur Milderung oder Beseitigung der Härte gibt als allein den Ausschluss der Scheidung; die Verweigerung der Scheidung muss mithin das einzige Mittel sein, um den Ehegatten vor einer für ihn durch die Scheidung sonst entstehenden unerträglichen Lage zu bewahren. Härten, die mit Trennung und Scheidung üblicherweise einhergehen, können niemals die Anwendung des § 1568 BGB rechtfertigen (OLG Hamm FamRZ 1989, 1188/1189; erkennender Senat, FamRZ 2007, 1888, 1889).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Annahme eines Härtefalles nach § 1568 BGB im Streitfall nicht gerechtfertigt.“


Entscheidung „Suiziddrohung eines psychisch Kranken“ (OLG Schleswig, Urteil vom 21.12.2005, 15 UF 85/05):

Aus den Gründen: „Bei Suiziddrohung eines psychisch Kranken, der in der Steuerung seiner seelischen Reaktionen erheblich beeinträchtigt ist, darf die Ehe nicht geschieden werden, bis die ausreichende medizinische Betreuung des Kranken gesichert ist.“

4 Aufhebung einer Ehe (§§ 1313–1320 BGB)

Gründe

Die Aufhebungstatbestände der Ehe sind in den §§ 1313–1320 BGB abschließend geregelt. Sie spielen in der Praxis allerdings eine absolut untergeordnete Rolle. Die Aufhebungstatbestände im Gesetz sind:

■ fehlende Ehemündigkeit nach § 1303 BGB (§ 1314 BGB): Nach dem Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.07.2017 (vgl. BGBl. I S. 2429) ist das Alter der Ehemündigkeit im Eheschließungsrecht von 16 Jahren auf 18 Jahre heraufgesetzt worden. Bisher konnte das Familiengericht Minderjährige, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, vom Alterserfordernis der Ehemündigkeit befreien.

Eine Ehe ist durch richterliche Entscheidung aufzuheben, wenn ein Ehegatte im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte. Von einer Aufhebung kann nur in besonderen Härtefällen sowie dann abgesehen werden, wenn der minderjährige Ehegatte zwischenzeitlich volljährig geworden ist und die Ehe bestätigt.

Diese Regelung soll auch für nach ausländischem Recht wirksam geschlossene Minderjährigenehen gelten. Der Bundesgerichtshof (BGH, Beschluss vom 14.11.2018, XII ZB 292/16) ist allerdings der Überzeugung, dass die gesetzliche Anordnung der Unwirksamkeit der von einem noch nicht 16-jährigen Minderjährigen nach ausländischem Recht wirksam geschlossenen Ehe in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB mit Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar ist, als die Wirksamkeit der Ehe nach deutschem Recht generell und ohne Rücksicht auf den konkreten Fall versagt wird. Daher hat der BGH um eine konkrete Normenkontrolle vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ersucht.

■ Geschäftsunfähigkeit (§ 1314 Abs. 1 BGB iVm § 1304 BGB)

■ Eheschließung mit einem Dritten, der schon verheiratet ist (§ 1314 Abs. 1 iVm § 1316 BGB)

■ Ehe zwischen Verwandten in gerader Linie (Geschwister; § 1314 Abs. 1 BGB iVm § 1307 BGB)

■ Formmangel (§ 1314 Abs. 1 BGB iVm § 1311 BGB), wenn bei Eheschließung nicht beide Ehepartner persönlich und gleichzeitig anwesend waren (beachte § 1315 Abs. 2 BGB: keine Aufhebung, wenn beide 5 Jahre zusammen gelebt haben)

■ wenn die Eheschließung im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit erfolgte (§ 1314 Abs. 2 Nr. 1 BGB)

■ Vorliegen eines tatsächlichen oder rechtlichen Irrtums über wirksame Eheschließung (§ 1314 Abs. 2 Nr. 2 BGB)

■ arglistige Täuschung (§ 1314 Abs. 2 Nr. 3 BGB; nicht über Vermögensverhältnisse)

■ Eheschließung aufgrund Drohung (§ 1314 Abs. 2 Nr. 4 BGB)

■ Eheschließung aus ehefremden Zwecken (§ 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB iVm § 1353 BGB)

■ Wiederauftauchen des für Tod erklärten Ehegatten (§ 1320 BGB)

 

(ausführlich zu den Eheaufhebungstatbeständen: Gernhuber/Coester- Waltjen 2010).

Folgen

Die Rechtsfolgen der Eheaufhebung sind in § 1318 Abs. 2–5 BGB geregelt.

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