Trümmerprinzessin

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From the series: Familiensaga #1
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Unzerbrechlich

Mit acht Jahren musste ich mich auf eine neue unbekannte Situation einstellen, weil meine Mutter heiratete, unser Haushalt dadurch um eine Person vergrößert wurde.

Die Männerfreie Weiberwirtschaft war somit vorbei und das war nicht einfach für uns, besonders für meine Oma. Im Gegensatz zu mir mochten meine Oma und ebenso meine Schwester Heide den neuen Mitbewohner nicht. Sie sahen ihn als Eindringling, mit dem sie ihr bescheidenes Zuhause teilen mussten. Meine Oma mochte vor allem seine Einmischung in unsere Erziehung nicht und auch meine Schwester rebellierte dagegen mit offener Abwehr.

Ich erkannte den Mann sofort an, denn ich freute mich endlich auch einen Vater zu haben. Während ich ihn sofort stolz >Vati< nannte, konnte meine Schwester sich gerade noch zu der Anrede >Onkel< durchringen. Sie war abweisend, frech und rebellisch, zu Hause sowie in der Schule. Oft brachte Heide Briefe von der Schulleitung mit nach Hause, die von Heidemaries Frechheit und Streitsüchtigkeit berichteten, mit der Aufforderung meine Schwester zur Rechenschaft zu ziehen.

Eine Zeitlang versuchte unsere Mutter meine Schwester zu besänftigen, sie zur Vernunft zu bringen, was nur noch mehr Aggressivität hervorrief. Erst als die Polizei bei uns erschien und Heide des Diebstahls bezichtigte fiel auf, dass sie seit Tagen sehr spät nach Hause kam und dann teure Kleidung und andere Dinge bei sich trug. Zwar stellte sich heraus, dass sie einen Briefumschlag mit viel Geld gefunden hatte, nur anstatt den ins Fundbüro zu bringen, war sie mit ihrer Freundin einem wahren Kaufrausch erlegen Zum Glück war noch der Großteil des Geldes vorhanden, was Heide dann abgeben musste. Die fehlende Summe wurde als Finderlohn gesehen. Jedoch zeigte meine Schwester keinerlei Reue oder Scham.

Als Heide einem Schulkameraden mit einem Stein den Kopf blutig schlug, war Mutter klar, dass sie Heide nicht mehr in den Griff bekommen konnte. Deshalb musste meine Schwester für einige Zeit in ein Heim für schwer erziehbare Kinder. Ich vermisste sie nicht.

Wegen der beengten Wohnverhältnisse und den damit verbundenen Spannungen suchten meine Eltern dringend eine andere Wohnung, was in dieser Zeit der Wohnungs-Knappheit nicht einfach war. Also dauerte es noch eine lange Zeit. Dass meine geliebte Oma eine eigene Wohnung suchte, mir bald keine Stütze mehr sein würde, erklärte man mir nicht, so bemerkte ich es erst viel später.

Außer mit meinen Freunden spielte ich bei Schlechtwetter gerne zu Hause mit unseren Katzen, die bei uns dringend nötig waren, wegen der vielen Ratten in dieser Zeit. Wir hatten einen Kater und seine Mutter. Als das Muttertier einmal Junge warf, musste ich mit ansehen, dass mein neuer Vati die Katzenbabys tötete und in das Plumpsklo warf. Das erschütterte mich sehr und dadurch bekam meine Euphorie wegen des neuen Vaters einen ersten Knacks. Diese grausige Tat nahm dem positiven Verlauf unserer Vater-Tochter Beziehung etwas von seinem Glanz.

Aber mich tröstete meine besondere Liebe zu Kater Fritzchen, denn der ließ sich von mir sogar in meinen kleinen Puppenwagen packen und in der Wohnung spazieren fahren. Seine Mutter Lissy dagegen war keine Schmusekatze sondern die perfekte Ratten-Jägerin, sie hielt unser Haus samt Umgebung sauber. So war meine Trauer auch nur von kurzer Dauer, als Lissy eines Tages an einer vergifteten Ratte starb.

Kater Fritzchen hingegen vermisste ich schmerzhaft sehr lange Zeit, weil wir ihn wegen unseres Umzugs zurück lassen mussten. Denn in der neuen Wohnung waren Haustiere nicht erlaubt. Als ahne er dass wir uns nie wiedersehen werden miaute er kläglich als wir unsere Behausung mit den letzten Möbeln verließen. Es brach mir fast das kleine Herz zu sehen wie er am Zaun unseres Vorgartens entlang hinter uns herlief bis der Zaun seinen Weg beendete.

Auch dass meine Oma nun nicht mehr mit uns zusammen, sondern in einer anderen Gegend wohnte, machte mich anfangs sehr traurig. Dafür nahm ich als notwendiges Übel dass Heide wieder aus dem Heim nach Hause kam. Ich nahm es jedoch als nebensächlich hin, denn große geschwisterliche Zuneigung empfand ich für sie nicht.

Aber der Trennungsschmerz von der gewohnten Umgebung, meinen Freunden und meinem Kater legte sich bald in der Umgewöhnungs- Phase an die völlig neuen Verhältnisse.

Wir zogen in eine gepflegte Genossenschafts-Siedlung, in einem anderen Ortsteil. In dem weitläufigen reinen Wohn-Viertel, standen auf mehrere Straßen verteilt viele 4 und 6 Familienhäuser mit großen Wiesen und Gärten dazwischen, so dass es nicht nur viel Platz zum Spielen gab, die Mieter sogar selbst Obst und Gemüse anpflanzen konnten, was in dieser kargen Zeit eine große Hilfe war.

Wir bezogen eine 3 Zimmer-Erdgeschoß-Wohnung in einem 4 –Familienhaus. Eine 60 Quadratmeter-Wohnung, bestehend aus Wohnküche- Mädchenzimmer- Wohnzimmer mit Bettcouch für meine Eltern, sowie einer kleinen Diele und Bad. Nun hatten wir elektrisches Licht, fließendes Wasser und sogar ein Badezimmer mit kleiner Sitzbadewanne und Toilette mit Wasserspülung.

In dem großen Keller hatte jede Partei einen Abstellraum und es gab dort eine große Waschküche mit einem riesigen eingemauerten Kessel zum kochen der Weißwäsche und einem Holzbottich für die Buntwäsche und Spülvorgänge. Dort konnten wir 1x monatlich unsere Wäsche waschen und auf dem Speicher im Dachgeschoß zum Trocknen aufhängen, im Sommer sogar auf den Leinen auf der großen Wiese hinter dem Haus. Selbst für die Säuberungsarbeiten der Gemeinschaftsflächen, Treppenhaus, Speicher und Kellerflure gab es einen genauen Plan. Alles war praktisch und perfekt geregelt.

Nun wohnten wir auch in einem so schönen Steinhaus mit Garten wie meine Freundin Elke.

Wir waren in der besseren Welt angekommen.

Dass es auch in diesem schönen Haus Nachteile gab musste ich allerdings schnell feststellen. Ausgerechnet unsere Nachbarin auf der gleichen Etage entpuppte sich als Hausdrachen. Die kinderlose Frau mochte absolut keine Kinder, mich also auch nicht. Sie bestimmte rigoros das gesamte Geschehen im Haus, obwohl sie keine Hausmeister- Funktion hatte.

Aber weil sie das Wassergeld im Auftrag der Genossenschaft von den anderen Bewohnern des Hauses Nummer 7 kassierte bestand sie darauf, dass nur einmal wöchentlich gebadet werden durfte und dass zwei Personen das gleiche Wasser benutzen mussten. Sie begründete diese Einschränkung mit den hohen Kosten und der herrschenden Wasserknappheit. Weil wir in der alten Wohnung das Wasser von dem Bus-Depot mühsam per Eimer ins Haus hatten schleppen müssen, hatte ich nur selten gebadet, deshalb sah ich die Regelung nicht als unnormal an. Um der Bequemlichkeit willen, nun fließendes Wasser in der Wohnung zu haben, akzeptierten wir dass das Wasser bezahlt und eingeteilt werden musste. Also fügten sich auch meine Eltern widerspruchslos den strengen Vorschriften.

Was machte so eine Kleinigkeit schon? Auch ein Paradies konnte schließlich Macken haben.

Meine Anpassungsfähigkeit war entstanden.

Unbezwingbar

Natürlich bedeutete der Umzug auch einen Schulwechsel für mich.

Der erste Stolperstein ergab sich in der neuen Schule weil meine Eltern einen anderen Familien-Namen führten. Sie hießen Theissen und ich Schütz. Dadurch bemerkte ich, dass mich das von den meisten Mitschülern unterschied. Weil Jeder gleich wusste, dass ich nur einen Stiefvater hatte hänselten die Anderen mich damit. Deshalb wollte ich auch gerne den Namen meines Stiefvaters annehmen, aber eine Namensänderung lehnten meine Eltern ohne Begründung ab.

Allerdings fand ich schnell heraus wie ich mich interessanter machen konnte. Ich prahlte damit dass mein richtiger Vater Franzose und ich Mütterlicherseits von adliger Abstammung sei. Den französischen Vater nahm man mir kommentarlos ab, aber an die adlige Ahnin glaubten manche Mitschüler nicht.

Die Zweifler schleppte ich mit zu meiner Oma, die ja nahe der Schule wohnte, bat sie um Bestätigung meiner Angaben. Obwohl es meine Oma amüsierte, bestätigte sie die Tatsache, dass ihre Großmutter eine Gräfin gewesen war. Oma war klug genug zu verschweigen dass die Gräfin verarmt ihr Leben hatte fristen müssen. Oma ahnte, dass besonders Kinder die Blaublütigen für reich hielten und glaubten dass sie in Burgen und Schlössern wohnten. Mir jedoch brachte Omas Unterstützung die Bewunderung meiner Kameradinnen ein und das war mir Erfolg genug.

Am Anfang des fünften Schuljahres in der neuen Klasse der Gemeinschaftsschule musste ich mich also erst einmal behaupten. Es gab ein paar männliche Klassenkameraden die glaubten mich mit schubsen und kneifen einschüchtern zu können. So hatte ich in den ersten Wochen in den Pausen keine Ruhe, weil ich nur damit beschäftigt war mich zur Wehr zu setzen. Als ich die ständigen Attacken leid war überlegte ich wie ich dem ein Ende machen könne.

Per Zufall ergab sich die Gelegenheit.

Durch einen Stoß von hinten rempelte ich Udo, den größten und kräftigsten Jungen, unabsichtlich vor der Tür unseres Klassenzimmers an. Bevor ich mich entschuldigen und den Irrtum aufklären konnte, schlug Udo nach mir und traf mich unglücklich im Brustbereich. Der stechende Schmerz an den gerade entstehenden kleinen Knospen war so fürchterlich, dass ich wie eine Furie auf den um zwei Köpfe größeren stabilen Knaben losging.

Ich trat, schlug, boxte, kratzte und biss ihn wie von Sinnen, bis er das Gleichgewicht verlor und der Länge nach auf den Rücken fiel. Sofort warf ich mich auf ihn und attackierte ihn mit einer rasend schnellen Box- und Schlagserie, dass er nicht zur Gegenwehr kam.

Erst als mich Jemand von hinten packte und hoch zerrte, endete der Kampf zu meinen Gunsten.

 

Es war unser Lehrer, der mich hoch zog und mir mit einer Mischung aus Abneigung, Belustigung und Bewunderung befahl mich zu beruhigen.

Der Respekt meiner gesamten Mitschüler war mir ab dem Moment gewiss. Niemand griff mich mehr an, sondern wie zuvor in der alten Schule wurde ich die Gefürchtete, deren Wort meist schon zur Klärung und Beendung eines Streites ausreichte. Wenn es allerdings jemand darauf anlegte sich mit mir zu messen oder sich wagte mir in die Quere zu kommen, war ich mit kampflustiger Aktion schnell zur Hand. Diese landete ohne Vorwarnung sofort in rasantem Tempo im Gesicht meines Gegners.

Aber auch für meine Lehrer war ich nicht leicht zu handhaben. Ich konnte aufsässig und eigensinnig sein, wenn ich mich im Recht fühlte, dann ließ ich mir auch von den Lehren nicht den Mund verbieten. Energisch verteidigte ich dann meine Position.

Ebenso meine große Schwester, aus ihr hatte selbst der Heimaufenthalt kein liebes Mädchen gemacht, denn auch Heide setzte sich immer noch sofort voller Aggressivität gegen jeden Angreifer mit schlagkräftigen Argumenten durch.

Aber nicht nur unsere kämpferische Unerschrockenheit hatten wir gemeinsam, auch die Vorliebe für den bunten Kirmes-Rummel teilten wir miteinander. Zwar gingen wir nicht gemeinsam, sondern jede mit ihren Freunden dort hin, aber wir trafen uns mit Sicherheit auf jedem Rummelplatz wieder.

Oft ahnte ich schon, wenn ich von weitem eine wilde Rauferei sah, dass meine Schwester mal wieder daran beteiligt war. Und so manches Mal kamen wir uns gegenseitig zu Hilfe. So erwarben wir uns den Ruf der rabiaten Schwestern.

Anders war die Situation bei uns zu Hause, dort verstanden wir uns kaum, was sicher nicht nur an dem Altersunterschied lag. Deshalb gefiel es mir gar nicht, dass wir ein Zimmer teilen mussten, denn insgesamt waren wir zu verschieden.

Heides rücksichtslose Art sich über meine Empfindlichkeiten hinwegzusetzen hatten schon in der alten Wohnung angefangen. Allein dass wir ein Bett teilen mussten, hatte oft zu Streitigkeiten geführt hatte.

Weil das Klo draußen war, hatte für nachts zum Pipi machen ein Metall-Eimer mit Deckel im Schlafzimmer gestanden. Wegen meiner schwachen Blase hatte ich oft nachts das Ersatzklo benutzen müssen. Mangels Licht hatte ich dann im Dunkeln zu dem Eimer tapsen müssen. Meine Schwester hatte sich gerne einen Spaß daraus gemacht, gerade in dem Moment wenn sie es plätschern hörte zu rufen: >Vorsicht- eine Ratte!< So dass ich erschrocken hochgeschnellt und in panischer Angst so schnell ich konnte in Richtung Bett gehüpft war, wobei ich mich meist benässte.

Meiner Oma schimpfen und die Ermahnungen meiner Mutter hatten Heide nicht daran gehindert ihren Spaß fortzuführen. Ich hasste sie dafür.

Auch hatte ich sie im Verdacht dass sie mich ungerührt hätte ertrinken lassen, wenn ich mir nicht selbst geholfen hätte. Dieses schlimme Erlebnis hatte sich Jahre zuvor in der Badeanstalt abgespielt, als ich über Heidemaries Kopf hinweg ins tiefe Schwimmerbecken gestoßen wurde. Obwohl ich mit ihr im Gespräch war als ich über sie hinweg flog, hatte sie das angeblich nicht gesehen und sich abgewendet. In meiner Hilflosigkeit hatte ich mich an der nächstbesten Person festgeklammert bevor ich bewusstlos wurde. Dieses Horror-Erlebnis hatte sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt und aus mir eine ängstliche lebenslange Nichtschwimmerin gemacht, sowie die Abneigung gegen meine lieblose Schwester vertieft.

Auch in unserem neuen gemeinsamen Zimmer hatte meine Schwester sich eine widerliche Gewohnheit angeeignet. Beim Ausziehen warf sie ihre schmutzige Unterwäsche über meinen Kopf hinweg in den Wäschekorb, der hinter dem Kopfende meines Bettes stand. Weil ich befürchtete, dass die Sachen mal in meinem Gesicht landen könnten, bat ich sie oft das zu unterlassen. Aber Heidemarie lachte mich nur aus. Ich fand das eklig, deshalb nannte ich sie gemeines Biest und sann auf Rache.

Würde ich diese hinterhältige Hexe denn nie loswerden?

Meine Abneigung förderte meine Rachsucht und stärkte noch mehr meine Abwehrkraft.

Unbezahlbar

Je älter wir wurden umso unterschiedlicher entwickelten wir uns, äußerlich wie innerlich.

Während Heidemarie von stabiler Statur, mit rasant wachsenden großen Brüsten, um die ich sie wahrlich nicht beneidete und ihren dunkelblonden langen, störrischen Pferdehaaren, die sie zu einem Pferde- Schwanz trug, den grau-grünen Augen und der leicht gekrümmten langen, schmalen Nase das Ebenbild unserer Mutter darstellte, war ich das krasse Gegenteil.

Klein, zierlich und Flachbrüstig, mit Braungelocktem schulterlangen und feinem Haar, schmalem Gesicht in dem die kleine Stupsnase unter den Rehbrauen Augen kess leicht in die Höhe lugte, ähnelte ich meinem französischen Erzeuger, der mich als eines der ersten Gastarbeiter- Kinder, meiner Mutter als Andenken hinterlassen hatte. Von seiner Existenz erfuhr ich durch meine Oma, die mir sein kleines Pass-Foto mit der Heimat-Adresse auf der Rückseite heimlich aushändigte, als sie mich für alt genug hielt. Sie erzählte mir von ihm und dass er als Nazi-Sympathisant verhaftet und nach Frankreich deportiert worden war. Oft nannte sie mich heimlich Franziska, wegen meiner halben französischen Herkunft.

Von meiner Mutter kam nur ablehnendes eisiges Schweigen auf meine Nachfrage, so wie auf alles was die Vergangenheit meiner Mutter und deren Beziehungen zu unseren Vätern betraf.

Sicher erbten meine Schwester und ich unsere verschiedenen Charaktere eben weil wir von zwei verschiedenen Vätern stammten.

Während Heide kleingeistig und bodenständig mit den einfachen Verhältnissen glücklich und zufrieden war, wollte ich höher hinaus, mit dem Außergewöhnlichen, dem Abenteuer suchte ich der Enge zu entkommen. Ihr reichte der Spatz in der Hand, ich wollte die Taube auf dem Dach.

Nur den Fleiß unserer Mutter hatten wir beide geerbt, denn ich begann in der neuen Umgebung umgehend Ausschau nach Verdienstmöglichkeiten zu halten um mein mageres Taschengeld aufzufrischen.

So verdingte ich mich als Kindermädchen und Botin für einen Lebensmittelladen und ein Blumengeschäft. Letztlich trug ich noch Illustrierte und Rundfunk-Zeitschriften aus, was mir ein saftiges Taschengeld einbrachte und wofür ich sogar ein Fahrrad gestellt bekam. Endlich hatte ich das lange erfolglos ersehnte Rad, dessen Anschaffung meiner Mutter zu teuer gewesen war.

Meine Schwester Heide dagegen begann erst nach Beendigung ihrer Schulzeit zu arbeiten. Dafür war es für meine Schwester ganz normal, ja selbstverständlich, dass sie, unserer Mutter gleich, als Fabrik-Arbeiterin mit Accord-Arbeit ackerte und viel Geld verdiente. Das konnte ich gar nicht verstehen, ich fand Fabrikarbeit primitiv und zu schmutzig, einfach unter meiner Würde.

Ich hatte die Absicht einen Beruf zu erlernen, wollte Friseurin werden. Dafür hatte ich Geschick, das wusste nicht nur meine Schwester zu nutzen. Schon ab meinem fünften Schuljahr frisierte ich meine gesamte weibliche Umgebung. Damit übte ich nicht nur für mein Berufsziel sondern machte es auch sehr gern für die Zufriedenheit und Dankbarkeit, die mir für meine gute Leistung entgegen gebracht wurde.

Einzig Heides Haare machte ich nur ungern, weil sie für mich auch nichts umsonst machte und weil sie langes und sehr dickes, störrisches Haar hatte, was mich sehr viel Mühe kostete. Deshalb frisierte ich sie nur mit der Gegenleistung, dass sie mir etwas von ihrer schönen reichhaltigen Kleidung auslieh, wenn ich sonntags ausgehen wollte, oder mir Geld fürs Kino gab.

Durch meine Taschengeld- Jobs lernte ich, dass man sich selbst bewegen musste, um sich mehr erlauben zu können. Allerdings auch wie sehr man sich für den geringen Lohn abmühen musste und dass mit normaler Arbeit kein Reichtum zu erwerben war.

Aber gerade dadurch wurde mein Ehrgeiz zu Tage gefördert, eines Tages einen höheren Lebens-Standard zu erreichen.

Unerlaubt

Dass meine Eltern und meine Schwester den ganzen Tag zur Arbeit waren hatte für mich Vor- und Nachteile. Dadurch war mir der Begriff Schlüsselkind klar geworden, das traf nun auch auf mich zu. Zwar fand ich es sehr gut, dass ich meine Schulfreien Nachmittage nach eigener Vorstellung gestalten konnte, andrerseits wurden mir Pflichten auferlegt, die ich nicht so lustig fand.

Zwar hatte ich Mutters Regelung akzeptiert, dass wir uns freitags am gemeinsamen Putztag beteiligen mussten, aber meine einzelnen Zusatz-Aufträge fand ich entschieden übertrieben. Ich musste immer einige Arbeiten im Haushalt erledigen, die entweder eventuell vom Vortag liegen geblieben waren, wöchentlich anfielen, oder gar täglich gemacht werden mussten, wie Betten machen, Geschirr abwaschen, Flur kehren oder gar wischen und ähnliches mehr.

Oft war ich damit so lange beschäftigt, dass ich die Hausaufgaben für die Schule vernachlässigte, weil sonst keine Zeit mehr für meine Freunde geblieben wäre. Denn wenn meine Mutter von der Arbeit kam, musste ich aus dem Haus sein, weil sie mir sonst noch mehr zusätzliche Hausarbeiten aufgebrummt hätte.

Da meine Oma gleich in der Nähe meiner Schule wohnte, durfte ich meist bei ihr zu Mittag essen, so dass ich mir wenigstens die Selbstversorgung zu Hause ersparen konnte. Das war die praktische Seite der räumlichen Trennung von meiner geliebten Oma.

Zu den meisten Mädchen in der neuen Klasse hatte ich nur wenig Kontakt, obwohl einige in unserer Siedlung wohnten, wir also den gleichen Schulweg hatten. Den größten Teil der Mädels fand ich zu weich und verklemmt oder zickig, sowie ich denen wohl zu frech und selbstsicher war. Ich zog die Gesellschaft der älteren Mädchen aus unserer Nachbarschaft vor, weil sie nicht mehr auf lächerliche Babyspiele standen. Schließlich war ich nicht mehr das zarte braun- gelockte Kleinkind, sondern sah mich als ernstzunehmende Jugendliche.

In der gleichen Straße, direkt gegenüber, wohnte die große blonde Britta Roll und im Haus daneben die brünette, mollige Evelyn Wirts, beide im Alter meiner Schwester. Besonders faszinierte mich die Klugheit dieser Mädels, denn beide besuchten höhere Schulen, was für mich undenkbar war. Für armer Leute Kinder gab es keine Alternativen zur Volksschule. Das war zu teuer.

Dass die beiden Mädels mich als gleichwertige Freundin anerkannten machte mich sehr stolz, denn sie waren aus der gehobenen Gesellschaftsschicht. Brittas Vater war Beamter, Evelyns Mutter Sekretärin im öffentlichen Dienst und ich nur das Kind einfacher Arbeiter.

Allerdings beteiligte ich mich durch diese Freundschaft auch an Dingen, die in meinem Alter verboten waren. Denn die Mädels rauchten heimlich! Folglich qualmte ich auch, weil ich ja mithalten wollte.

Weil ich oft für meine Mutter am Kiosk Zigaretten holte, war es für mich ganz einfach welche zu kaufen ohne dass Verdacht aufkam. Das hatte aber den Nachteil, dass ich auch nur sehr starke Zigaretten besorgen konnte, Mutter rauchte Golddollar ohne Filter. Das eklige Kraut verursachte bei mir meistens Hustenanfälle. Aber das versuchte ich lächelnd wegzustecken, obwohl ich oft überlegte, wozu das Rauchen erforderlich war, denn mir schmeckte es eigentlich gar nicht.

Eines schönen Sommertages kam man uns auf die Schliche weil wir die fortgeschrittene Uhrzeit nicht beachtet hatten.

Wie so oft hatten wir uns zum Rauchen in die Büsche verkrochen, die jeweils zwischen zwei Häusern standen und damit als natürliche Grenze den Blick von der Straße zu den Gärten verhinderten. Im Schutz des dichten Blattwerkes fühlten wir uns ebenfalls vor neugierigen Blicken sicher, deshalb hatten wir unsere Bude in dem Gebüsch neben unserem Wohnhaus eingerichtet.

Als meine Mutter mich rief, verließ ich umgehend unsere Bude und lief sofort nach Hause, weil ich annahm dass ich nur schnell etwas Einkaufen müsse und anschließend wieder in unser Versteck zurückkehren könne.

Statt Begrüßung bekam ich von meiner Mutter eine schallende Ohrfeige mit der Begründung: >Du weißt ja selbst für was das ist, nicht wahr? Sehe ich noch einmal, dass du aus dem dampfenden Gebüsch kriechst, gibt es eine richtige Tracht Prügel, verstanden?<

Oh Schreck, daran hatte ich ja gar nicht gedacht, dass der Zigarettenrauch noch oben zog und von unserem Fenster gut zu sehen war, weil die Büsche in unmittelbarer Nähe standen. Wie dumm von mir, aber offenbar waren meine größeren Freundinnen auch nicht ganz so klug wie ich vermutet hatte. Nützte es doch nichts ein Gymnasium zu besuchen? Also waren sie mir nicht überlegen! Das änderte umgehend meine ganze Einstellung und somit die Hierarchie. In alter Gewohnheit übernahm ich die Vormachtstellung, bestimmte unaufgefordert was gemacht wurde und niemand widersprach mir.

 

Ab dem Tag konnte ich es mir natürlich gar nicht mehr erlauben eine Schwäche zu zeigen. Das fing schon mit der Husterei beim Rauchen an. Ich musste mich hart und stark zeigen. Deshalb übte ich heimlich zu Hause, wenn ich alleine war. Ich dampfte wie ein Schornstein. Dazu brauchte ich allerdings mehr Zigaretten. Die klaute ich entweder aus meiner Mutters Packung oder kaufte welche von dem Geld, was ich manchmal für Bonbons bekam oder heimlich aus Mutters Portmonee mopste.

Allerdings achtete ich darauf, dass durch das Erscheinen der Eltern noch keine Entdeckungs- Gefahr drohte, weil ich die Drohung meiner Mutter sehr ernst nahm, denn sie konnte sehr streng sein.

Das lehrte mich Respekt.

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