Bomba in einem fremden Land

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From the series: Bomba der Dschungelboy #10
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2 Ein unerwarteter Zwischenfall

„Nanu! — Nanu! — Bei allen krummen Kamelhöckern und spuckenden Lamas: was sehe ich denn da? Oder träume ich etwa? Wollt ihr wohl aufhören, ihr Burschen!“

Die beiden fuhren überrascht herum. Vor ihnen stand ein Parkwächter in Uniform — ein stämmiger Ire mit rotem, gutmütigem Gesicht. Er starrte sie mit wachsender Verwunderung an.

„Was soll denn das heißen? Warum geht ihr mit Pfeil und Bogen auf den Elefanten los? Seid ihr vom Film? Sollen hier Aufnahmen gemacht werden?“

„Das Tier mit den zwei Schwänzen hat uns angreifen wollen“, erklärte Bomba ruhig. „Und wir werden es töten.“

„Werdet es was?“, fragte der Beamte, und sein Gesicht wurde noch röter. „Ihr seid wohl nicht ganz bei Trost!“

„Ja, Bomba, mein Herr, wird es töten. Auch wenn der Mann mit den goldenen Knöpfen noch so laut spricht!“, rief jetzt Gibo, den die ruhige Haltung seines Gefährten ermutigte.

„Ihr unverschämten Burschen!“, brüllte der Zoowächter, der seine Autorität in Frage gestellt sah. „Wollt ihr euch über mich lustig machen? Einen Elefanten mit Pfeil und Bogen töten! Wer hat so etwas schon gehört!“

Er griff unwillkürlich nach dem Knüppel, der an seinem Gürtel hing, und trat näher an die beiden heran. Es wäre natürlich für die beiden kampferfahrenen Dschungelkinder ein leichtes gewesen, davonzuschlüpfen und in der Dunkelheit zu verschwinden. Da sie sich jedoch keiner Schuld bewusst waren, blieben sie ruhig stehen und starrten dem Mann entgegen.

Der Parkwächter wurde durch diese verwunderten Blicke selbst einigermaßen aus der Fassung gebracht.

„Wirklich, wie zwei Burschen im Walde kamen sie mir vor“, drückte er das später seinen Kollegen gegenüber aus, als er von der Begegnung sprach.

Jetzt aber steigerte sich seine Verwunderung noch, als er die seltsame Kostümierung der beiden Jungen sah, die so gar nicht in diese New Yorker Umgebung passte.

„Also, wenn ihr keine Filmjungen seid, was seid ihr dann?“, rief er aus. „Seid ihr etwa Jungens von der Columbia-Universität, die sich einen Spaß erlauben wollen? Vor einigen Nächten sind auch welche dagewesen. Die wollten unbedingt auf den Kängurus reiten!“ Er lachte in sich hinein. „Na ja, Jungens sind Jungens, ich habe damals ein Auge zugedrückt und sie wieder laufen lassen. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Vielleicht ist es besser, wenn ich euch einsperren und dann vom Richter sagen lasse, wie weit ihr mit euren Scherzen gehen dürft.“

Bomba hatte noch nicht sehr klare Vorstellungen über die Gesellschaftsordnung und ihre Hüter. Im Dschungel war jeder Mann sein eigener Richter gewesen, und man duldete nur selten die Einmischung eines anderen, es sei denn, es handelte sich um den Häuptling eines Stammes. Aber seine Eltern und Erzieher hatten ihm bereits eingeprägt, dass Polizisten in Uniform Personen waren, denen man unbedingt gehorchen musste, auch wenn einem ihre Befehle unverständlich erscheinen mochten. Der Junge unterdrückte daher seinen ersten Impuls, den uniformierten Mann beiseite zu schleudern, und er zwang sich dazu, ruhig zu sprechen.

„Wir wollten Sie nicht zornig machen. Aber ist es nicht unvorsichtig, so große und gefährliche Tiere mit den zwei Schwänzen hier frei herumlaufen zu lassen? Es könnte die Menschen von New York in Angst und Schrecken versetzen. Sollen wir es nicht lieber töten, damit es kein Unheil anrichten kann?“

„Oh, du heiliger Strohsack!“, rief der Parkwächter. „Einer von uns ist verrückt, und ich glaube, ich weiß, wer es ist! Was soll das Gerede von dem Tier mit den zwei Schwänzen?“

Bomba deutete stumm auf den Elefanten, der noch immer an der gleichen Stelle, dicht am Graben des Freigeheges stand, und den Rüssel hin und her schwenkte.

Der Parkwächter stieß einen keuchenden Laut aus.

„Zwei Schwänze?“, rief er. „Siehst du nicht, dass das da vorn kein Schwanz ist? Das ist der Rüssel des Elefanten.“

Bomba hatte keine Ahnung, was ein Rüssel war, und betrachtete verblüfft das Tier, das jetzt tatsächlich seine Angriffsabsichten aufgegeben zu haben schien.

„Und selbst wenn das Biest zwei Schwänze hätte, das wäre noch immer kein Grund für dich, es umzubringen. Der Elefant ist so zahm, dass die Kinder auf ihm reiten können. Schau nur her.“

Er trat an den Graben heran, nahm ein Stück Zucker aus der Tasche und hielt es dem Tier hin. Mit dem langen Rüssel langte der Elefant mühelos über den Graben und ergriff vorsichtig und geschickt mit dem weichen, mundstückartigen Rüsselende den Zucker. Dann rollte er den Rüssel ein und schob den Zucker in das Maul. Gleich darauf streckte er den Rüssel wieder aus, scharrte wie ein bittendes Pony mit dem rechten Vorderbein und schwenkte den Kopf hin und her.

Bomba und Gibo waren sprachlos vor Erstaunen. Am Amazonas hätte man sich solche Bestien bestimmt nicht als Haustiere gehalten. Sie schauten einander verblüfft und etwas dumm an. Der Parkwächter legte jetzt sein gebieterisches Wesen ab und sprach väterlich auf die beiden ein.

„Ich weiß wirklich nicht, wo ihr herkommt. Aber ich merke schon, dass ihr zwei unschuldsvolle Knaben seid, die man eigentlich ohne Wärter nicht frei herumlaufen lassen sollte. Diese Tiere hier sind nicht dazu da, um getötet zu werden wie im Urwalde. Sie haben viel Geld gekostet und sind mit großen Kosten hierher transportiert worden, damit die Menschen sie anschauen können. Die meisten sind sogar hinter Gittern, damit sie keinen Schaden anrichten können. Ein Glück für euch beide, dass ich zur rechten Zeit gekommen bin, denn wenn ihr eines der Tiere umgebracht hättet, dann wäret ihr vor den Richter gekommen, und eure Eltern hätten außerdem noch ein hübsches Sümmchen zahlen dürfen.“

Bomba und Gibo waren sich über die Zusammenhänge zwischen Bestrafung und Geldbuße noch nicht ganz im Klaren, aber an der Art, wie der Parkwärter davon sprach, erkannten sie, dass es sich um ziemlich unangenehme Dinge handeln musste.

„Und jetzt schaut zu, dass ihr verschwindet“, fuhr der Mann fort. „Und wenn ihr das nächste Mal auf die Straße geht, dann sorgt dafür, dass ihr anständige Christenkleidung tragt! Es ist einfach skandalös so herumzulaufen!“

„Wir haben andere Kleidung im Gebüsch liegen“, erklärte Bomba kleinlaut.

„So, dann macht ihr den Park also auch noch zu einem Umkleideraum, nicht nur zu einer Schießbude“, brummte der Parkwächter. „Eigentlich sollte ich euch wirklich mitnehmen und einsperren!“

Er begleitete die beiden zu jener abgelegenen Stelle, an der sie ihre Kleidung versteckt hatten. Mit großen Augen schaute er zu, während sich die ehemaligen Dschungeljäger wieder in wohlgekleidete New Yorker verwandelten, die sich in nichts von den Hunderttausenden unterschieden, die täglich durch die Straßen hasteten. Mit einer letzten Warnung verabschiedete er die beiden und verschwand.

Nachdenklich schritten die Jungen an den Gehegen der Raubtiere entlang. Die Stimmen des Dschungels erwachten rund um Bomba her. Aus der Ferne drang der heisere Ruf eines Schakals herüber, und irgendwo in der Nähe klagte eine Hyäne.

Eine seltsame Stimmung befiel den Jungen. Er musste unvermittelt an seinen Vater denken, der nach Afrika gefahren war, um dort im Tanganjika-Gebiet Bilder zu malen. Die nächtlichen Stimmen der Raubtiere schienen sich plötzlich zu einem Chor der Klage und düsteren Prophezeiung zu vereinen. Und mit einem Male wusste Bomba — ahnte er es tief in seinem Herzen, dass seinem Vater in der fernen Dschungelwelt des afrikanischen Urwaldes etwas Schlimmes widerfahren war.

„Gibo“, flüsterte er und blieb plötzlich stehen. „Ich höre, wie mich mein Vater ruft.“

3 Der geheimnisvolle Ruf aus der Ferne

Gibo starrte seinen jungen Herrn entgeistert an, als er diese seltsame Ankündigung hörte.

„Ich verstehe das nicht, Herr“, sagte er verwirrt. „Meine Ohren sind gut, aber ich höre nichts.“

„Mein Vater ruft mich“, wiederholte Bomba mit merkwürdig klangloser Stimme. „Ich kann selbst nicht sagen, was es ist. Vielleicht ist es der Schrei der Hyäne, der mir die Nachricht gibt — vielleicht ist es der heisere Ruf des Schakals. Aber ich weiß, dass mein Vater sich in Not befindet.“

Gibo schwieg. Er hatte im südamerikanischen Dschungel schon zu oft erlebt, dass Bomba sich mit den Tieren verständigen konnte, und er glaubte fest an die Zauberkräfte seines jungen Herrn. Dennoch wusste er, dass Afrika noch viel weiter entfernt war als ihre eigene Dschungelheimat.

„Wie kann die Hyäne dir Nachricht von deinem Vater aus Afrika bringen, Herr?“, fragte er. „Vielleicht bist du nur erregt und bildest dir das ein. Auch ich habe so ein merkwürdiges Gefühl. Es ist mir zumute, als wäre ich wieder in unserer Heimat und all die Tiere sprächen mit ihren vertrauten Stimmen zu mir. Nur kann ich nicht verstehen, was sie sagen.“

Bomba lächelte traurig.

„Auch ich kann die Stimmen nicht verstehen, Gibo. Aber es geht mir so wie dir: mein Herz ist unruhig, und ich höre Stimmen, die mir etwas mitteilen wollen. Ich weiß, dass wir bald aufbrechen müssen, um meinen Vater aus einer Gefahr zu befreien. Gehen wir jetzt schnell ins Hotel zurück. Ich will meiner Mutter sofort sagen, dass mein Vater mich braucht, und dass ich nach Afrika reisen muss.“

Die beiden verfielen wieder in jenen schnellen, geschmeidigen Hundstrab, der sie in erstaunlich kurzer Zeit vom Bronx-Park in ihr Hotel zurückbrachte.

„Herr, gibt es an jenem Ort, von dem du sprichst, auch einen Dschungel?“, fragte Gibo, als sie nebeneinander herliefen.

„Ich weiß nur sehr wenig von Afrika“, erklärte Bomba. „Nur das, was mir mein Vater davon erzählt hat. Ja, es gibt dort auch Urwälder und große Flüsse — aber es gibt dort auch weite Steppen und hohe Gebirge. Das alles hat mein Vater mir erzählt.“

 

„Und gibt es in den Dschungelwäldern auch Jaguare, Schlangen und Alligatoren?“, erkundigte sich Gibo weiter.

„Es soll dort Schlangen und Alligatoren geben“, berichtete Bomba. „Aber statt der Jaguare gibt es dort andere große Raubkatzen, die man Leoparden nennt. Dann gibt es auch Tiere mit großen Hörnern dort und eine Bestie, die stärker ist als alle anderen und ein Gebrüll ausstößt wie das Rollen des Donners: das ist der Löwe. Vielleicht gibt es auch jenes Tier dort, das wir vorhin gesehen haben und das der Mann mit der Uniform Elefant genannt hat.“

Gibos Augen funkelten.

„Dann wird es in Afrika gute Jagd geben“, jubelte er. „Unsere Pfeile werden zischen, und Bombas Machete wird durch die Luft sausen.“

„Ja“, bestätigte Bomba nachdenklich. „Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir zu keinem fröhlichen Jagdausflug aufbrechen wollen. Wir müssen meinen Vater suchen und ihn aus den Klauen von Feinden erretten, die wir noch nicht kennen.“

Inzwischen hatten sie das Hotel erreicht, und durch die marmorgetäfelte Empfangshalle eilten sie zum Aufzug und ließen sich nach oben tragen. Noch immer betrachtete Gibo diesen ‚Käfig aus Gold‘ mit einigem Misstrauen. Er hatte sich noch nicht daran gewöhnt, dass diese geheimnisvolle Glaskabine mit ihren Messinggittern und den Blumenarabesken aus Goldblech sich bewegte, wenn man an einer Kurbel drehte und auf bestimmte Knöpfe drückte, die sich auf einer schimmernden schwarzen Tafel an der Wand der Kabine befanden. So vertraut ihm auch der kleine Liftboy wegen seiner dunklen Hautfarbe vorkam: in seiner grünen Uniform mit den schimmernden Messingknöpfen erschien er ihm dennoch als eine Art von höherem Wesen. Das lag nicht an der Uniform, an die sich Gibo schon längst gewöhnt hatte. Aber dieser kleine Mann, der so aussah, als wäre er auch im Dschungel großgeworden, hantierte mit einer Selbstverständlichkeit mit der Fahrstuhlkurbel und den geheimnisvollen Knöpfen, die immer von neuem Gibos stumme Bewunderung erregte. Wenn er mit seinem Herrn im Fahrstuhl aufwärts oder abwärts fuhr, stellte er sich gerne so, dass er den Liftboy beobachten konnte. Aber wenn sie dann den Fahrstuhl verließen, gestand er sich im stillen mit einem Seufzer ein, dass er nie dieses Geheimnis ergründen würde, das den ,goldenen Käfig‘ aufwärts und abwärts bewegte und immer gerade an der richtigen Stelle halten ließ — nämlich dort, wo die Gittertüren waren und man bequem aussteigen konnte. Es gab nur etwas, was er beinahe ebenso gern getan hätte, wie in den Dschungel zurückzukehren: Meister in der zauberhaften Kunst zu werden, einen ‚goldenen Käfig‘ zu führen.

Bomba ließ sich gleich in das zweite Stockwerk hinauffahren, in dem die Räume seiner Mutter lagen. Eine Zofe öffnete auf sein Klopfen hin und meldete die beiden an. Dann führte sie Bomba und seinen Gefährten hinein. Laura Bartow hatte gerade ein Buch gelesen, dass sie jetzt lächelnd zur Seite legte. Sie umarmte Bomba und küsste ihn zärtlich, als er sich auf die Lehne ihres Sessels setzte. Trotz aller seelischen Qualen, die sie in jenen langen Jahren der vergeblichen Suche nach ihrem Sohn durchlitten hatte, war sie noch immer eine sehr schöne Frau, auf die sowohl ihr Gatte als auch ihr Sohn außerordentlich stolz waren. Ihre Schönheit war nicht nur äußerlicher Art, sondern sie leuchtete aus ihrem Innern durch den seelenvollen Blick und schien sich in jeder ihrer Bewegungen auszudrücken.

„Dein Anzug ist ja nass“, sagte sie erstaunt, als sie die Hand liebevoll auf seinen Arm legte. „Wo warst du denn in dieser regnerischen Nacht? Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Vorhin habe ich Marie“ — sie wies auf die Zofe — „an deine Tür klopfen lassen. Ich wollte, dass du mir Gesellschaft leistest, aber du warst nicht da.“

„Ich hätte dir sagen sollen, wohin ich gehe“, gab der Junge reuevoll zu. „Gibo bat mir vorhin gesagt, er hätte einen Dschungel gefunden, in dem es wilde Tiere und eine Bestie mit zwei Schwänzen gäbe. Und ich war so neugierig, dass ich mit Gibo fortgerannt bin, ohne dir etwas zu sagen.“

„Einen Dschungel?“, fragte Laura Bartow lachend. „Und eine Bestie mit zwei Schwänzen? Darunter kann ich mir aber gar nichts vorstellen.“

Bomba berichtete von den Geschehnissen im Zoo, und seine Mutter musste immer wieder ein Lächeln unterdrücken, als er von ihrer Begegnung mit dem Parkwächter erzählte. Doch sie gab sich Mühe, ernst zu bleiben, um die Gefühle von Bomba und Gibo nicht zu verletzen.

„Ein großes Glück, dass der Parkwächter zur rechten Zeit gekommen ist“, erklärte sie, als Bomba seinen Bericht beendet hatte. „Der Mann hatte ganz recht: wir hätten große Unannehmlichkeiten bekommen, wenn es dir eingefallen wäre, eines der Tiere zu töten.“

„Aber — aber warum hast du mir noch nie etwas von diesem Park mit den vielen Tieren erzählt?“, fragte Bomba verwirrt und ein wenig vorwurfvoll.

Laura Bartow senkte mit einem schmerzlichen Lächeln den Kopf.

„Ich kenne dich, Bomba“, sagte sie leise. „Du bist mein Sohn, und ich kenne dich besser, als du denkst. Ich weiß, dass du Sehnsucht nach dem Dschungel hast, und ich wollte diese Sehnsucht nicht künstlich erwecken, indem ich dich in den Zoo führte und dir die Tiere zeigte, die dir in deinem Dschungelleben begegnet sind.“ Sie hielt inne und blickte zu ihm auf. „Hast du mir nicht selbst eben gesagt, dass du nach Afrika gehen musst, weil dein Vater in Gefahr ist? Aber ich glaube das nicht. Du willst dorthin, weil es dich in den Dschungel zieht, und weil dir das Leben in New York nicht mehr gefällt.“

„Nein“, unterbrach Bomba seine Mutter hastig. „Nein — ich — ich weiß es wirklich — ich ahne es, dass —“

„Was ahnst du?“ fragte die Mutter leise und traurig.

„Ich ahne, dass Vater in Gefahr ist und dass ich ihm helfen muss.“

„Bomba kennt die Stimmen der Tiere“, sagte Gibo, der im Hintergrund stand, leise und ehrerbietig. „Die Tiere haben Bomba oft Nachricht gegeben, wenn es Gefahr gab. Sie können besser sehen und hören und riechen als die Menschen. Die Tiere des Dschungels wissen viele Dinge, die die Menschen nicht wissen.“

Laura Bartow starrte verwirrt den jungen Indianer und dann ihren Sohn an.

„Ich verstehe nicht. Warum sollte dein Vater Hilfe brauchen? Und was können dir die Tiere im Zoo davon gesagt haben? Tu seinem letzten Brief hat er geschrieben, dass er mit seiner Arbeit glänzend vorankommt und dass er bald wieder nach Hause zurückkehren wird.“

Bomba zuckte mit den Schultern.

„Als ich durch den dunklen Park ging, und die Stimmen der vielen Tiere hörte, die ich vom Dschungel her kenne, wurde mir ganz merkwürdig ums Herz. Es war so, als hörte ich irgendwoher einen leisen Ruf. Ich konnte die Worte nicht verstehen, aber mit einem Male wusste ich sicher, dass mein Vater mich ruft. Vielleicht war es der Schrei einer Hyäne, der mir die Nachricht gegeben hat. Ich weiß es nicht genau.“

Seine Mutter starrte ihn fassungslos an und ließ sich dann in ihren Stuhl zurücksinken. Ihr war zugleich nach Lachen und Weinen zumute. Aber das vorherrschende Gefühl war das einer ungeheuren Erleichterung.

Die Worte des Jungen hatten also nichts zu bedeuten. Kein Brief war gekommen, den er vielleicht schon gelesen hatte und dessen Inhalt er ihr auf diese Weise schonend mitteilen wollte. Es war nichts als der Aberglaube eines Jungen, der zu lange Zeit im Dschungel verbracht hatte und sich daran gewöhnt hatte, den geheimnisvollen Zauberunfug der Medizinmänner nachzuahmen. Trotzdem wollte sie versuchen, gegen diesen — wie es ihr schien — sinnlosen Aberglauben vorzugehen.

„Schön. Nehmen wir einmal an, du könntest wirklich die Stimme der Hyäne verstehen. Woher soll das Tier aber dann gewusst haben, dass sich dein Vater in Gefahr befindet?“

Doch Bomba wurde einer Antwort enthoben, die er ohnehin nicht hätte geben können. Ein Hotelboy klopfte in diesem Augenblick an und gab der Zofe ein Telegramm, das diese ihrer Herrin überreichte. Laura Bartow las laut vor:

„Andrew Bartow von Kannibalen gefangen Stopp In unbekanntes Landesinnere verschleppt Stopp Thomas Sixtree.“

„War meine Ahnung also richtig?“, rief Bomba erregt, als seine Mutter mit stockender Stimme das Telegramm vorlas. „Mein Vater ist in Gefahr! Ich werde sofort zu ihm reisen und ihn retten!“

4 Aufbruch in fiebernder Hast

Es dauerte eine Weile, ehe Mrs. Bartow die volle Bedeutung dieser Botschaft erkannte. Zuerst starrte sie mit bebenden Lippen immer wieder auf das weiße Stück Papier in ihrer Hand. Dann jedoch entfiel es ihren kraftlosen Händen und ihr Kopf sank mit einem Seufzer gegen die Sessellehne zurück. Sie weinte lautlos, und Bomba stand daneben und kam sich sehr hilflos vor, weil er nicht einmal ein tröstendes Wort über die Lippen brachte.

Nach einer Weile hatte sie sich jedoch so weit gefasst, dass sie sich wieder aufrichten konnte. Sie griff nach ihrem Taschentuch und wischte die Tränenspuren aus dem Gesicht. Die Lage war doppelt traurig für sie. Nicht nur, dass sich ihr Gatte in Lebensgefahr befand und vielleicht einem schrecklichen Tod ins Auge sehen musste — nein, auch ihren Sohn, den sie gerade erst wiedergefunden hatte, musste sie nun zum zweiten Male verlieren.

Sie hatte Angst, ihn nach Afrika zu schicken, aber sie wusste zugleich, dass keiner besser geeignet war, Andrew Bartow Hilfe zu bringen als sein Sohn Bomba.

„Warum musste das geschehen?“, seufzte sie mit tränenerstickter Stimme. „War also deine Ahnung doch richtig, Bomba? Und ich wollte darüber lachen!“ Sie wischte von neuem die Tränen ab und versuchte ihren Sohn anzulächeln, der sich liebevoll über sie gebeugt hatte.

„Ja, es ist sehr schlimm“, sagte Bomba leise. „Aber wir brauchen deshalb die Hoffnung nicht aufzugeben. Ich glaube bestimmt, dass mein Vater noch am Leben ist. Ich werde mit Gibo nach Afrika reisen, und wir werden ihn finden und zu dir zurückbringen.“

„Wenn es nur so leicht ginge, wie du die Worte aussprichst“, seufzte die Mutter.

Inzwischen hatte Bomba nach dem Telegrammformular gegriffen und den Inhalt noch einmal genau studiert.

„Sixtree?“, murmelte er. „Von diesem Mann hat Vater oft gesprochen. Er ist ein Händler in Nairobi, der die Ausrüstung für die Expeditionen ins Landesinnere zusammenstellt. Vater hat gesagt, dass er ein ehrlicher Mann ist. Er ist Engländer und kennt Afrika schon seit vielen Jahren. Wenn er nicht mit Vater gut befreundet gewesen wäre, hätte er wohl auch kaum das Telegramm gesandt.“

„Ja, ich erinnere mich“, bestätigte Mrs. Bartow. „Vater sprach von Sixtree. Er kennt ihn von früheren Afrikareisen her. Aber warum hat dieser Mann so wenig telegrafiert? Wie konnte dieses Unglück geschehen? Warum schreibt er keine Einzelheiten?“

„Ich habe auch schon darüber nachgedacht“, sagte Bomba. „Aber wir haben jetzt keine Zeit, uns mit nutzlosen Fragen aufzuhalten. Wir müssen uns überlegen, wie wir so schnell wie möglich aufbrechen können. Denn von hier aus können wir Vater keine Hilfe leisten.“

„Rufen wir Cody Casson an!“, schlug die Mutter vor. „Er wird vielleicht Rat wissen.“ Während sie telefonierte, sprach Bomba leise mit seinem Gefährten. Es bedurfte keiner großen Überredungskunst, um Gibo davon zu überzeugen, dass er seinen Herrn nach Afrika begleiten musste. Zwar hatte er ein wenig Angst vor der Fahrt über das ‚große Wasser‘, wie er das Meer nannte. Aber wenn es darum ging, Bomba zu folgen, unterdrückte er alle Regungen von Furcht. In diesem Falle handelte es sich auch noch darum, in den geliebten Dschungel zurückzukehren — da fiel ihm die Entscheidung um so leichter.

Bald darauf trat Cody Casson ein, der sich sofort in einem Taxi hatte ins Hotel fahren lassen, als ihm berichtet worden war, dass Andrew Bartow in Gefahr sei. Wie groß die Veränderung war, die sowohl äußerlich als auch innerlich bei dem alten Forscher vor sich gegangen war, konnte nur jemand ermessen, der ihn wie Bomba in der Zeit des schwersten Siechtums gekannt hatte.

Einem der berühmtesten amerikanischen Chirurgen war es in einer großartigen, aber auch sehr gefährlichen Operation geglückt, einen Knochensplitter zu entfernen, der seit der Explosion des Gewehres auf das Gehirn des alten Mannes gedrückt hatte. Nach dieser wunderbaren Operation hatte Cody Casson in kurzer Zeit seine volle Geisteskraft zurückerlangt.

Laura Bartow reichte dem langjährigen Freunde das Telegramm hin, und er überflog den Inhalt.

 

„Schlimm, wirklich sehr schlimm“, murmelte er. „Und ich dachte schon, dass es vielleicht ein übler Scherz wäre. Aber Sixtree macht solche Scherze nicht, und ein Telegramm aus Afrika kostet immerhin soviel, dass ein Fremder sich kaum diesen Scherz in Sixtrees Namen leisten wird.“

„Es ist kein Scherz“, sagte Bomba düster. „Ich wusste, dass Vater in Gefahr ist — ich wusste es schon, als ich durch den Park mit den vielen Tieren ging.“

Casson warf Laura einen schnellen Blick zu, und als sie ihm in kurzen Worten von Bombas Erlebnis im New Yorker Zoo berichtet hatte, nickte er nur.

„Ich sagte es dir schon immer“, flüsterte er ihr zu. „Es hat keinen Sinn, den Jungen vom Zoo fernzuhalten. Eines Tages kommt er durch Zufall dorthin und tut vielleicht etwas, was ein Junge in seinem Alter normalerweise nicht tun würde. Die Zivilisation ist ihm eben doch noch zu fremd.“

„Gott sei Dank ist ja noch alles gut gegangen“, sagte Laura.

„Ja, es ist gut gegangen“, bestätigte Cody Casson nachdenklich. „Und es wundert mich auch nicht, dass Bomba eine Vorahnung hatte. Das Wiedersehen mit den ihm vertrauten Tieren hat ihn wahrscheinlich innerlich so aufgewühlt, dass eine geheime hellseherische Kraft in seinem Innern dadurch geweckt worden ist. So etwas gibt es.“

„Ich muss jetzt selbst daran glauben“, seufzte Laura. „Aber was machen wir nun? Wie können wir Andrew helfen?“-

„Auf keinen Fall dürfen wir die Hoffnung aufgeben“, sagte Cody Casson. „Andrew besitzt Mut, Energie und Verstand genug, um sich auch in schwierigen Lagen zurechtzufinden. Vielleicht ist er schon wieder entkommen, und wir wissen es noch nicht.“

„Oh, glaubst du wirklich, dass das möglich ist?“, rief Laura Bartow.

„Ich hoffe es — ich hoffe es von ganzem Herzen, meine Liebe“, erwiderte Cody Casson herzlich. „Wenn ich nicht zu alt wäre, würde ich nach Afrika reisen und Andrew zu Hilfe eilen.“

„Bomba will mit Gibo so bald wie möglich nach Afrika aufbrechen“, sagte Laura. „Und ich glaube, es ist das Beste, was wir für Andrew im Augenblick tun können. Keiner weiß besser im Dschungel Bescheid als er.“ Sie hielt einen Augenblick lang inne und betrachtete ihren Sohn mit zärtlicher Sorge. „Hoffentlich verliere ich dich nicht auch noch, mein Junge.“ Er trat wieder an ihren Sessel heran, und sie schloss ihn in einer Aufwallung von Besorgnis und leidenschaftlicher Liebe in die Arme. „Nein, Bonny, ich kann es einfach nicht ertragen, noch einmal von dir getrennt zu werden. Ich werde mit dir gehen, und wenn wir sterben müssen, dann wollen wir gemeinsam sterben.“

„Nein, Mutter“, erwiderte Bomba sanft. „Der Dschungel ist kein Ort für dich. Wenn du dabei wärst, könnte ich nicht meine ganze Kraft dafür einsetzen, Vater zu suchen. Ich würde immer Angst haben, dass dir etwas geschieht.“

„Der Junge hat recht“, bestätigte Cody Casson. „Du kannst nichts tun, was ihm hilft, aber bestimmt würdest du ihm hinderlich sein. Deine Sache wird es sein, die Kosten für die Expedition aufzubringen, aber die Arbeit muss Bomba allein leisten. Du weißt nicht, was er im Dschungel auszurichten vermag — aber ich weiß es. Und du kannst dich darauf verlassen, dass er Andrew retten wird, wenn überhaupt eine Möglichkeit dazu besteht.“

„Niemand im ganzen Dschungel kommt Bomba gleich an Stärke, List und Ausdauer“, begann Gibo in diesem Augenblick in dem singenden Tonfall seiner Indianersprache das Lob seines Herrn zu verkünden. „Niemand hat die Stärke seines Armes — die Schärfe seines Auges. Kein Fuß ist so schnell wie der von Bomba. Kein Herz ist so tapfer wie seines. Sein Pfeil fliegt schnurgerade — seine scharfe Klinge findet immer ihr Ziel. Bomba sendet seine Feinde in das Land der Schatten. Niemand im Dschungel kommt ihm gleich!“

„Schon gut, schon gut“, unterbrach Bomba die indianischen Lobeshymnen seines Gefährten und lächelte ihm zu.

„Was hat er gesagt?“, fragte Laura verwirrt. „Ich konnte kein Wort verstehen.“

„Oh, das übliche“, erklärte Cody Casson lächelnd. „Er findet, dass Bomba der furchtloseste und geschickteste Kämpfer im Dschungel ist, und ich kann ihm da nur beipflichten. Allerdings hat er eine etwas umständliche und pathetische Art, das zum Ausdruck zu bringen.“

Inzwischen hatte Bomba schon seinen Entschluss gefasst, und er verkündete jetzt:

„Morgen werde ich eine Botschaft an Sixtree senden, dass ich bald abreise.“

„Ja, und er soll uns Näheres darüber mitteilen, was mit Andrew eigentlich geschehen ist“, fügte Mrs. Bartow hinzu.

Gemeinsam mit Bomba und seinem Gefährten Gibo wurden dann noch die Einzelheiten der geplanten Reise besprochen, und am nächsten Morgen suchte der Junge sofort ein Reisebüro auf und ließ sich die Abfahrtsliste der Schiffe vorlegen. Es war ein Donnerstag, und er stellte fest, dass am Sonnabend ein Dampfer nach England in See stach. Von dort aus konnte er auf dem Seeweg über das Mittelmeer, durch den Suezkanal und das Rote Meer an der afrikanischen Küste entlang am besten Mombasa erreichen. Dann sollte es weitergehen nach Nairobi, wo Sixtree seine Handelsniederlage hatte. Erst dort konnte er die Fährte seines Vaters in das Innere des dunklen Kontinents verfolgen.

Die zur Verfügung stehende Zeit war sehr knapp bemessen, in diesem Falle erwies sich das Vorhandensein von genügend Geld als eine Wohltat. Ein geschickter Agent wurde beauftragt, die Passformalitäten zu erledigen, und so kam es, dass am Freitagabend alles bis zur letzten Kleinigkeit erledigt und vorbereitet war.

Inzwischen war ein weiteres Telegramm an Sixtree aufgegeben worden, aber die Antwort, die bereits wenige Stunden später eintraf, brachte keine näheren Aufklärungen. Anscheinend waren die meisten Teilnehmer an Bartows Safari getötet worden. Nur ein Eingeborener, der schwer verwundet worden war, sollte entkommen sein. Er war es wohl auch, der die Botschaft nach Nairobi gebracht hatte, dass Bartow nicht getötet, sondern von den Eingeborenen verschleppt worden war. Aus dem Telegramm war nicht zu entnehmen, ob Bartow zu dem Zeitpunkt, als Sixtree es aufgegeben hatte, noch am Leben war. Aus dem Landesinnern waren keine weiteren Nachrichten oder Gerüchte nach Nairobi gedrungen. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass Bartow bei dem Gefecht selbst nicht getötet worden war, bedeutete eine große Erleichterung und einen gewissen Trost.

Allerdings wurde Laura Bartow zwischen Furcht und Hoffnung hin und her gezerrt. Es gab Stunden, in denen sie davon überzeugt war, dass ihr Gatte nicht mehr lebte, und dann wieder schöpfte sie aus Bombas zuredenden und tatenfreudigen Worten neuen Mut.

Zusammen mit Casson begleitete sie Bomba zum Kai, um an Bord des schon unter Dampf stehenden Schiffes von ihm Abschied zu nehmen. Das Signal, das allen Besuchern befahl, sofort von Bord zu gehen, war schon ertönt, als Laura ihren Sohn noch immer umschlungen hielt und ihn unter Tränen küsste.

„Oh, Bonny“, schluchzte sie. „Ich möchte dich nie — nie mehr von mir gehen lassen. Mir kommt es vor, als sei es erst wenige Tage her, dass ich dich endlich wiedergefunden habe. Und jetzt soll ich dich schon wieder verlieren!“

„Es ist nur für kurze Zeit, Mutter“, versuchte Bomba die weinende Mrs. Bartow zu trösten, als er sich sanft aus ihren Armen freimachte. „Ich werde bald zurückkommen und Vater mitbringen.“

„Oh, wenn ich nur wüsste, dass es wahr wäre!“, rief die Mutter.

„Aber ich weiß es“, sagte der Junge ernst. „Ich fühle es tief im Herzen, dass ich zurückkehren werde und dass ich meinen Vater wieder zu dir bringe.“

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