Lateinischer Faschismus

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3. Römischer Cäsarismus, Etatismus und Faschismus

Wir sind mit dieser neuerlichen Zitation zu uns bereits Bekanntem zurückgekehrt. Verweilen wir im folgenden beim Cäsarismus und den mit ihm verbundenen Etatismus und Faschismus, verbunden nicht zuletzt im Römischen. – Völlig abwertend heißt es unter dem 15.05.1948 im »Glossarium«: »Dieses Individuum (Hitler) las ungeheuer viel um zu tanken. In Mirko Jelusichs historischen Romanen lernte es, wie die großen Männer der Weltgeschichte reden (diese ‘schamlosen Dummköpfe’ pflegte Julius Caesar bei Mirko Jelusich zu sagen) und Völker vernichten.«86

Schon in der ersten Eintragung vom 28.08.1947 wird auf den, gleich Schmitt, vom imperialistischen Nationalismus zum Faschismus übergegangenen Corradini rekurriert: »Rede von Enrico Corradini, Florenz, den 8. Februar 1925; Représentant le fachisme comme la révolution de l’Etat (sic!) contre la prédominance des intérêts privés. Das ist also Sallust contra pecuniam zum Caesar fliehend, die Jungfrau zum Mädchenhändler«, wie Schmitt sarkastisch anmerkt. »… der Staat, zu dem Corradini flüchtete, wollte ein caesarisches Imperium sein«, wie Schmitt als Grund seiner Kritik angibt; er expliziert: »Staat = Souveränität = Dezision = Beendigung des Bürgerkriegs innerhalb des (eben dadurch erst entstehenden) Staates. Weltherrschaft ebenfalls Beendigung des Bürgerkrieges? Nein, sondern Kombination von völkerrechtlichem Krieg und Bürgerkrieg. Tacitus Hist. 1,2: bellum externum et civilia permixtum.«87

Ich wiederhole meine großen Zweifel, ob man das faschistische »Impero« so vom nationalsozialistischen »Großraum« abgrenzen kann, verweise vor allem aber darauf, daß ein innerstaatlicher und damit positiv beurteilter Cäsarismus Schmitt früher durchaus möglich und im faschistischen Italien verwirklicht zu sein schien. Entscheidende Voraussetzung hierfür war natürlich die Schmittsche Grundgleichung: »Staat = Souveränität = Dezision = Beendigung des Bürgerkriegs innerhalb des (eben dadurch erst entstehenden) Staates«. Diese Gleichung ließ Schmitt über den frühen faschistischen, angeblich aus einer »Beendigung des Bürgerkriegs« hervorgegangenen Staat positiv urteilen: »Der faschistische Staat will mit antiker Ehrlichkeit wieder Staat sein, mit sichtbaren Machtträgern und Repräsentanten, nicht aber Fassade und Anti-Chambre unsichtbarer und unverantwortlicher Machthaber und Geldgeber. Das starke Gefühl des Zusammenhangs mit der Antike ist nicht nur Dekoration«88, wie Schmitt damals im Unterschied zum späteren Glossarium überzeugt war.

»Man kann es aus jener Reaktion gegen abstrakte Entpolitisierung begreifen, in Verbindung mit dem einfachen geschichtlichen Faktum, daß der große Staat europäischen Kontinents im eigentlichen Sinn immer ein klassisches Gebilde war und in der Tradition klassischen Denkens bleiben muß. Das gilt für die mit der Renaissance und dem Barock entstehenden Staaten und für die großen Zeiten des französischen und des preußischen Staates.«89 – Hobbes war zwar Engländer, für Schmitt aber nicht zu Unrecht der Theoretiker jenes »großen« und »klassischen« Staats »europäischen Kontinents«. Und just er läßt sich, wie Schmitt betont hat, cäsaristisch rezipieren, d. h. der neuzeitliche Etatismus im modernen Cäsarismus fortsetzen: »Bei Hobbes beruht die Macht des Souveräns … auf einer mehr oder weniger stillschweigenden, aber darum soziologisch nicht weniger wirklichen Verständigung mit der Überzeugung der Staatsbürger, wenn auch diese Überzeugung gerade durch den Staat hervorgerufen werden soll. Die Souveränität entsteht aus einer Konstituierung der absoluten Macht durch das Volk. Das erinnert an das System des Caesarismus und einer souveränen Diktatur, deren Grundlage eine absolute Delegation ist.«90

Schmitts Ausführungen sind insofern ideologisch, als sie die Klasse, in deren Interesse der »Caesar« die Macht ergreift, mit dem »Volk« identifiziert, das als einige Person, die sich »stillschweigend« mit seinem Souverän »verständigt«, sowieso mythisch ist, wie notwendig auch dieser. Arnold Gehlen macht das offenkundig, wenn er dessen Ideal als »vollkommenen Repräsentanten des Stimmrechts der Wirklichkeit« bezeichnet und daran »keine Psychologie« heranreichen läßt: »… niemand deutet das … Portrait des Augustus, das sich auf einer Gemme im Aachener Domschatz findet.«91 – »… einen Napoleon« konnte Metternich »noch charakterisieren«92, wie Gehlen fortfährt. Und doch hat schon Hegel ihn solcherart divinisiert, daß Schmitts Worte über Hobbes’ Souverän geradezu unterkühlt wirken:

»Das einzelne Ich, NAPOLEON, und das allgemeine Ich, das Volk, sind … identisch, genauer die Identität der Identität und der Nichtidentität. Sie bilden ‘das Dasein des zur Zweiheit ausgedehnten Ichs’, den demokratisch-plebiszitär legitimierten Staat, und der Kaiser wird der ‘erscheinende Gott’ mitten unter ihnen, die sich als das reine Wissen wissen … ‘Der Gehorsam des Selbstbewußtseins’ ist hier nicht ‘der Dienst gegen einen Herren, dessen Befehle eine Willkür wären, und worin er sich nicht erkennte. Sondern die Gesetze sind Gedanken seines eigenen absoluten Bewußtseins, welche er selbst unmittelbar hat’. Die Vermittlung der Substanz mit dem Subjekt ist vollbracht, die Entäußerung zurückgenommen und die Entfremdung aufgehoben.«93

Auch nur an die Möglichkeit solcher Aufhebung, die für den Jenenser Hegel perfectum praesens ist, wird Schmitt nie glauben und dennoch Cäsarist bleiben. Er kann es auch und gerade dadurch, daß er das Volk unters Plebiszit subsumiert wie dieses auf Akklamation reduziert; so bereits in seinem frühen Aufsatz »Volksentscheid und Volksbegehren« von 1927.94 Die wirksame Fiktion genügt Schmitt, jene »demokratische Identitätsfiktion«, die der Schmitt-Schüler Helmut Schelsky schon Hobbes nachsagen wird.95 Es genügt Schmitt der »soziale Mythos«, der – nach dem Vorbild des italienischen Faschismus – ein nationaler ist: ein »polytheistischer« und damit neopaganer Mythos, wie Schmitt keinen Zweifel läßt.96 Er, der weiß, daß der Cäsarismus insgesamt »eine typisch nicht- christliche Machtform« ist97, vertritt schon früh die Überzeugung – im Anschluß an einen faschistisch rezipierten Georges Sorel –, daß nur ein Mythos die »Grundlage einer neuen Autorität, eines neuen Gefühls für Ordnung, Disziplin und Hierarchie« sein kann.98

4. Romano-Katholizismus

Vor allem das faschistische Italien hat Schmitt in dieser Überzeugung bestätigt, war es ihm doch gelungen, wieder einen »totalen Staat (aus Stärke)« zu schaffen: einen monistischen und damit paganen bzw. »antiken« Staat, wie wir Schmitt schon einmal zitiert haben. – Ich erinnere außerdem, daß er an derselben Stelle fortfährt, »der große Staat europäischen Kontinents« sei »im eigentlichen Sinn immer ein klassisches Gebilde« gewesen und das gelte für »die mit der Renaissance und dem Barock entstehenden Staaten und für die großen Zeiten des französischen und des preußischen Staates«. Damit ist auch gesagt und im Blick auf Hobbes speziell, daß der »Leviathan«, wenn noch nicht neopagan, so doch erneut cäsaropapistisch konzipiert war. Laut Schmitt gilt Hobbes’ Feindschaft vor anderem der »typisch judenchristliche(n) Aufspaltung der ursprünglichen politischen Einheit« – die selbst im römischen Katholizismus einen Protagonisten hat: »Die Unterscheidung der beiden Gewalten, der weltlichen und der geistlichen, war … den Heiden fremd, weil für sie die Religion ein Teil der Politik war; die Juden bewirkten die Einheit von der religiösen Seite her. Nur die römische Papstkirche und herrschsüchtige presbyterianische Kirchen oder Sekten leben von der staatszerstörenden Trennung geistlicher und weltlicher Gewalt. Aberglaube und Mißbrauch fremden, aus Angst und Traum entstehenden Geisterglaubens haben die ursprüngliche und natürliche heidnische Einheit von Politik und Religion zerstört.«100

Sie wiederherzustellen und zwar von Seiten des Staates her ist »der eigentliche Sinn der politischen Theorie des Hobbes«101. Im geschichtlichen Zusammenhang ist aber auch sie Theologie, ja, übers Anglikanisch-Eusebianische hinaus nähert sie sich dem, was »politische Theologie« an ihrem Ursprung war: in Rom. – Laut Schmitt gehört die »politische Theologie« der »Urbs«, wie sie Varro theoretisierte102, und wie sie in der »Augusteischen Restauration« wieder auflebte103, zum »nomos« der »res publica« und »konstituiert die Öffentlichkeit durch Götterkult, Opferkult und Zeremonien. Sie gehört zur politischen Identität und Kontinuität eines Volkes, dem die Religion der Väter, die gesetzlichen Feiertage und das ‘deum colere kata ta nomima’ wesentlich ist, um Erbe, legitime Sukzession und sich selbst zu identifizieren.«104

Im Vergleich hierzu geht das Christentum – ausgenommen seine von Schmitt an derselben Stelle favorisierte Eusebianische Spielform – nie darin auf, die religiöse Seite der gesellschaftlichen Organisation, des Staates, zu sein. Wie unterschiedlich auch immer, dem Christentum bleibt eine staatstranszendente Dimension. Deswegen die notwendige Sympathie aller, die römisch-staatlich fühlen, wie ganz entschieden Schmitt, für die ‘konstantinische’ Staatskirche und – zeitweise – für jene Katholiken, die theoretisch zwar »augustinisch«, d. h. dualistisch denken, aber doch für ein enges »Miteinander« der beiden »societates perfectae« plädieren, zwar für keine Staatskirche aber eine Staatsreligion – für die der »christliche Staat« keine Unmöglichkeit ist.

Ich nenne hier noch einmal Haecker, auf den Schmitt als den Verfasser eines »Vergil«-Buches auch nicht hinzuweisen vergißt, wenn er auf die »Augusteische Restauration« zu sprechen kommt. – Haecker sieht die konstantinische Wende, wie folgt: »Als die Sieger, nicht als die Besiegten; als die Zivilisierten und Kulturträger, nicht als die ‘Barbaren’ sind die Römer Christen geworden.« Also, folgert Haecker, »hat … der römische Staat ‘aus inneren Gründen’, aus seiner Beziehung zu dem ‘unabtrennbaren Äußeren’ der pietas, das Christentum freiwillig zur Staatsreligion erhoben.«105 Das heißt wiederum – und darauf kommt es allein an –, auch das Christentum kann und soll politische Religion sein: heute wie gestern.

 

Welch schlimme Kontinuität damit affirmiert wird, können Worte Heers angeben, die vom »zweiten Konstantin« Karl dem Großen ausgehen: »In seinem berühmten Sachsengesetz von wohl 785 werden jene Mittel genannt, die im folgenden Jahrtausend in den Kämpfen des fürstlichen Absolutismus, in Reformation und Gegenreformation, im 16., 17., 18. Jahrhundert, verschleiert im 19., brutal offen im 20. Jahrhundert, immer wieder angewandt werden, um das eine Reich zu bauen.« Heer pointiert: »Der Totalstaatsversuch Hitlers läßt sich nur von reichischen Bezügen her verstehen.« Und: Karl der Große ist der »Erzvater des europäischen Totalstaats«.106

Darüber wäre sicher zu diskutieren, zumal Haecker, wie auch sein Schüler Moenius, ein entschiedener Antinationalsozialist war. Doch katholisch-faschistischen Totalitarismen in der Art Salazars stand eben auch Haecker positiv gegenüber107 und gleichfalls von »römischen« Voraussetzungen her. Moenius’ Freund Gonzague de Reynold hat 1936 Salazar ausdrücklich als »Römer« bezeichnet108, und das ist mehr als eine Kuriosität. Das »Römische« im Katholizismus war ein ganz entscheidendes Einfallstor für Etatismus und Imperialismus, ja Faschismus und – in besonders exponierten Fällen wie dem Schmittschen – für Nationalsozialismus.109 Ich muß es an dieser Stelle bei einigen Hinweisen belassen:

Als die italienischen Faschisten – um ein sehr repräsentatives Beispiel zu nennen – zum 2000. Jahrestag des Augustus eine Briefmarkenserie herausgaben, die fortlaufend den Text des Augustus-Testaments wiedergab, ließen sie auf der Marke, der der Satz »Censum populi egi« aufgedruckt war, einen Ort in Judäa auf der gleichfalls abgebildeten Erdkugel von einem himmlischen Lichtkreuz beleuchten und schrieben darunter den Vers aus Vergils vierter Ekloge: »Jam nova progenies caelo demittitur alto.« Damit entsprachen die Faschisten auch ikonographisch jener Vergil-Interpretation, die ihr Philosoph Julius Evola, durchaus Vertreter eines »Heidnischen Imperialismus«110, vorgelegt hatte. Gleichfalls von der 4. Ekloge ausgehend, schrieb Evola in seiner »Erhebung wider die moderne Welt«:

»Es schien (damals, R. F.), als sei mit der imperialen Wirklichkeit Roms dem dunklen eisernen Zeitalter eine Grenze gesetzt, als kehre von neuem das goldene Urzeitalter … zurück. Schon das äußerste Alter erschien des kumäischen Liedes – sang Vergil … Und so mächtig war dieses Empfinden…, daß es sich sogar den Anhängern der neuen galiläischen Glaubenslehre aufdrängte und sie sagen ließ, daß solange Rom fest und unversehrt bleibt, die bedrohlichen Zuckungen des letzten Zeitalters nicht zu fürchten sein werden – aber am Tage, da Rom fällt, die Menschheit ihrem Ende nahe sein wird. – Dies ist der Punkt jenseits dessen der Abstieg, die antitraditionelle Zersetzung des Abendlandes beginnt.«111

So hatte Evola resümiert. Ein Resüme, dem zuzustimmen »Romano-katholiken« unter seinen Zeitgenossen – in der Nachfolge der von Evola herangezogenen »Patres ecclesiae« – überhaupt nicht schwerfiel. Moenius, der hoffte, mit Evolas scheinbar universal-faschistischer Zeitschrift »Anti-Europa« kooperieren zu können, lobte in seinem bereits eingangs erwähnten Aufsatz »Sankt Benedikt, der Römer«, wie Evola, »die heilsame Zucht und Disziplin Roms« – als Gegengift gegen die »Rauschgifte des Ostens«, die einem »wurzellosen Geschlechte« heute angeboten würden.112 Mit Mussolini selber einig, der die Maurrassche Meinung vertrat, in Rom hätte sich das Christentum aus einer todgeweihten orientalischen Sekte zur universalen Kirche gestaltet113, dekretierte Moenius an derselben Stelle: »… bei aller weltweiten Aufgabe und Ökumenizität wird die katholische Kirche immer die römische heißen und sein.«114 Bei anderer Gelegenheit erklärte er ausdrücklich: »Wenn … Mussolini meint, daß das ungeformte palästinensische Religionsgut erst nach dem Abendland, das ist nach Rom, gebracht werden mußte, um hier die damalige kristallinische Form zu bekommen; wenn er meint, daß der Rahmen des Imperium Romanum geradezu geschaffen war, um die neue Lehre aufzunehmen und ihr den Weg zu bereiten … ; wenn er meint, daß die Idee der Pax Romana im Katholizismus neues Leben gewänne aus dem neuen Geiste: dann begegnet er sich fürwahr mit den besten unserer katholischen Apologeten, die immer wieder die providentielle Bedeutung von Rom hervorgekehrt haben.«115 Eigentlich durchschaute Moenius Mussolinis sophistische Rhetorik nie; es brauchte Mussolinis Bündnis mit Hitler, um ihn Moenius wenigstens als »verpreußten«, d. h. pervertierten »Römer« erscheinen zu lassen, sein eigener »Romano-Katholizismus«116 aber blieb ihm weiterhin völlig unproblematisch. Auch nach 1945 schrieb Moenius noch117, was er zur »Bestätigung« der Mussolinischen Rom-»Theologie« bereits 1929 so formuliert hatte: »Im providenziellen Sinne darf Rom im Hinblick auf die Kirche von sich sagen: ‘Ab initio et ante saecula creata sum, et usque adf uturum saeculum non desinam, et in habitatione sancta coram ipso ministravi.«118

Charles Péguy, einer der Häupter des – von Maurras’ »Action Française« oft nur schwer zu trennenden – »Renouveau catholique«, dem der italienische wie deutsche Neukatholizismus zutiefst verpflichtet war, woran Moenius, aber auch Schmitt keinen Zweifel ließ, hatte bereits um die Jahrhundertwende soziologisch präzisiert, was sich im letzten Moenius-Zitat allzu »mystisch« liest. Freilich war Péguy gleichfalls nicht unmystisch, im Gegenteil; wie Moenius ging er vom »Inkarnationsgedanken« aus, um Roms »spezifische Würde« zu bestimmen (E.R. Curtius): »Es ist eines der größten mystischen Geheimnisse, diese Notwendigkeit Roms in der zeitlichen Bestimmung Gottes. Es war nötig, daß es das Gewölbe gäbe und das Imperium…, damit die christliche Welt diese zeitliche Gestalt erhielte, die sie empfangen und bewahren sollte … Es bedurfte des Präfekten, damit es den Bischof gäbe … Es war nötig, daß die antike Stadt die zeitliche Wiege der Gottesstadt würde, es war nötig, daß das Imperium die zeitliche Welt, die zeitliche Wiege der Christenheit würde.«119

Umgekehrt-dementsprechend galt dem schon mehrfach erwähnten Maurras, Begründer und Leiter der atheistischen Action Française, die katholische Kirche als »die Arche des Heils für die Gesellschaften«120, weil sie eine römische Institution sei. Rom habe die abendländische Zivilisation geschaffen und das zweite, katholische Rom sie vor ihrer jüdisch-christlichen Zersetzung bewahrt.121 Maurras sieht und beurteilt die katholische Leistung wie sein agnostischer Lehrer Auguste Comte, der bereits – mit ausdrücklicher Parteinahme für das römisch-imperiale Heidentum – schrieb: »Tacitus und Trajan konnten nicht vorhersehen, daß die priesterliche Weisheit einige Jahrhunderte lang … die Unnatur dieser (christlichen, R.F.) Religion, die sie mit Recht beunruhigte, hinreichend eindämmen würde, um ihr vorläufig die wunderbarsten sozialen Wirkungen abzugewinnen.«122

Gläubige Katholiken können solcher Entgegensetzung von Urchristentum und Katholizismus selbstverständlich nicht zustimmen. Ihr Selbstverständnis hängt unaufgebbar an der apostolischen Sukzession des Episkopats. Auch für ihn soll das Wort gelten: »Wer euch hört, hört Mich.« Beifällig erklärte so z. B. der katholische Schmitt-Schüler Waldemar Gurian, nachdem Pius XI. die 1899 gegründete Action Française 1926 – spät genug – exkommuniziert hatte: »… der Einfluß von Maurras in metaphysischen und religiösen Fragen kann von der Kirche nicht gut geheißen werden, aber trotzdem dürfen die Verdienste seiner politischen Doktrin nicht verkannt werden.«123

Auf dieses »Aber« sollte es in der weiteren Zukunft politisch ankommen. Auch Haecker, zum Kreis um den jungen Schmitt gehörend124, wollte nichts zu tun haben mit der »Büberei jener ‘katholischen Atheisten’ oder ‘atheistischen Katholiken’ der Action Française – wie immer man auch die Glieder dieser unsinnigen Antithetik stelle –, die im Evangelium Chaotisches und Anarchisches sieht.«125 Aber wie weit war Haecker, für den sich der »natürliche Katholizismus« der griechisch-römischen Antike und der »übernatürlich«-christliche problemlos miteinander verbinden, tatsächlich vom französischen Faschismus eines Maurras’ entfernt?

Ich zitiere: »Politik ist der gerechte ordo, eingerichtet oder aufrechterhalten durch ‘Macht’ und ‘Autorität’, welche die ‘Gewalt’ gebrauchen und sanktionieren können.« Und nicht irgendeine Macht ist gefordert, sondern die »in einem absoluten Sinne. Wo sie nicht ist, ist der Sinn der Politik nicht erfüllt.«126 Und daß diese Macht »in Kommunion steht mit der göttlichen«, verstärkt sie nur. »Am Himmel des Glaubensbekentnisses des Christen steht als erster Fixstern die omnipotentia, die Allmacht Gottes. Ein unermeßlicher Trost! Auch die Macht – und sogar an erster Stelle! – Auch die in Form der nackten Gewalt im Laufe der Geschichte der Menschheit so oft mißbrauchte Macht ist Gottes.«127 »Darum wird in der Geschichte dieser Welt zuerst und zuletzt angebetet die Macht.«128

Konsequenterweise ist das Muster eines Christen für Haecker der römische Hauptmann des Evangeliums, »der ganz und gar, sozusagen mit Haut und Haaren lebte in der imperialen Welt des römischen Soldaten, der auctoritas und potestas, und der in dem Menschensohn, dem ohnmächtigen König der Juden, durch den Glauben die Allmacht selber erkannte.«129 – Wäre diese Stelle des Evangeliums wirklich das ganze Evangelium oder ihm auch nur zentral, hätte Maurras nichts gegen es einzuwenden gehabt, ganz im Gegenteil. Der Kult der Armee war das bedeutendste Motiv seiner Stellungnahme in der Affäre Dreyfus gewesen, mit der seine öffentliche Wirksamkeit als Publizist der extremen Rechten begann. Maurras adorierte die Armee als »ce précieux faisceau de forces nationales«130; in ihr erkannte er das Bindemittel für seinen »integralen Nationalismus« (Gurian) – der ihn schließlich in den Dienst Vichy-Frankreichs treten und damit zum Kollaborateur des »Dritten Reiches« werden ließ.

Haecker ging in die Innere Emigration, wo er zu einem Mentor der »Weißen Rose« avancierte, Gurian mußte, wie Moenius, Deutschland verlassen. Die von Moenius bewunderten Mussolini und Maurras jedoch gingen über zu Hitler, nicht anders als Schmitt, der, wie an Erik Petersons, so auch an Haeckers Konversion nicht unbeteiligt gewesen war. Schmitt brach 1933 mit der Mehrzahl seiner katholischen Freunde und teilweise über 1945 hinaus, doch ließ das gemeinsame Überzeugungen durchaus fortbestehen und umso leichter, als Schmitt ab 1943/44 (sich) rekatholisiserte, auf eine Weise allerdings, die man als »Lefèbvrismus avant la lettre« bezeichnen muß.

Überraschen kann diese Diagnose kaum, wenn man weiß, daß Marcel Lefèvbre aus der Action Française kommt, der anzugehören seit dem Amtsantritt des Pacelli-Papstes nicht mehr mit Exkommunikation bedroht war. Schmitt (der ein regelmäßiger Leser der »Action Française« war131) ging es schon unmittelbar nach 1945 um »die eigentlich katholische Verschärfung«132, d. h. er wollte weiterhin päpstlicher als der Papst und – ganz entscheidend – mehr römisch als katholisch sein. Gerade auch in catholicis verstand er sich als letzter Römer und über »das Ende des römischen Prinzips«133 im zweiten Vatikanischen Konzil hinaus. Auch dann noch, als das von ihm bewunderte Franco-Regime134 untergegangen war und endgültig feststand, daß »die Kirche in Rom« nicht mehr automatisch und vorbehaltlos garantiert, »daß der … Staat im Dorf bleibt«135: Schmitts »starker«, ja »totaler« Staat, nicht zuletzt antik(-römisch)er Staat geheißen.

*Dieses Kapitel ist nahezu identisch mit meinem gleichnamigen Aufsatz in: B. Wacker (Hg.), Die eigentlich katholische Verschärfung … Konfession, Theologie und Politik im Werk Carl Schmitts, München 1994, S. 257-78. (Ich danke dem Herausgeber und dem Fink-Verlag für die Gewährung der Nachdrucksrechte.) Vgl. jetzt auch A. Rink, Das Schwert im Myrthenzweige. Antikenrezeption bei Carl Schmitt. Wien und Leipzig 2000.

 

1G. Moenius, Sankt Benedikt, der Römer. Zum 1400jährigen Bestehen des Klosters Monte Cassino. In: Allgemeine Rundschau XXVI, 1929, S. 205/6

2Vgl. K. Weiß, Gedichte 1914-1939. München 1961, S. 665/6; wie sehr Weiß (zumindest) im Jahre 1933 selbst zum ‘Gefolgsmann’ des »Führers« Hitler geworden ist, bezeugt sein: Treuspruch des Sinnes. Am Tage der deutschen Kunst. In: Europäische Revue IX, 1933, S. 706-8. Jetzt ist auch hinzuweisen auf W. Kühlmann, Im Schatten des Leviathan - Carl Schmitt und Konrad Weiß, in: B. Wacker (Hg.), Die eigentlich katholische Verschärfung …, S. 89-114.

3A. Mohler, Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Grundriß ihrer Weltanschauungen. Stuttgart 1950

4A. Mohler, Carl Schmitt und die »Konservative Revolution«. In: Complexio oppositorum. Über Carl Schmitt, hg. v. H. Quaritsch, Berlin 1988, S. 134

5A. Mohler, Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch. 2., völlig neu bearbeitete und erweiterte Fassung. Darmstadt 1972, S. 423

6Vgl. A. Mohler, Die konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch. Ergänzungsband … Darmstadt 1989, S. 21/2

7Vgl. R. Faber, Roma aeterna. Zur Kritik der »Konservativen Revolution«. Würzburg 1981

8U. Eco, Das Foucaultsche Pendel. München 1988, S. 369

9F. Heer, Der Glaube des Adolf Hitler. Anatomie einer politischen Religiosität. München und Eßlingen 1968, S. 448

10Vgl. G. Krauss, Zum Neubau deutscher Staatslehre. Die Forschungen Carl Schmitts. In: Jugend und Recht 10, Nr. 11, S. 252 f. sowie Das Schwarze Korps, 3. 12.1936, S. 14 bzw. 10.12.1936, S. 2

11Vgl. auch drei frühere Aufsätze von Günther Krauss alias Clemens Lang. In: Deutsches Volkstum, 1933/34

12E. Niekisch, Das Reich der niederen Dämonen. Hamburg 1953, S. 200

13E. Niekisch, Über Carl Schmitt. In: Augenblick 4,1956, S. 8/9

14Vgl. C. Schmitt, Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie. Berlin 1970, S. 28 Fn. 5

15H. Ball, Carl Schmitts Politische Theologie. In: Hochland 21,1924, S. 284

16C. Schmitt: Römischer Katholizismus und politische Form. München 1925 (2. Aufl.), S. 5

17Ich kolportiere gern, daß er aufgrund meines Buches »Die Verkündigung Vergils: Reich - Kirche - Staat. Zur Kritik der ‘Politischen Theologie’«. Hildesheim/New York 1975 auch mich dieses Affektes zieh - gegenüber Jacob Taubes.

18Vgl. R. Faber, Rome contre la Judée. La Judée contre Rome. Critque du nietschéisme noir. In: De Sils-Maria à Jerusalem. Niezsche et le judaïsme. Les intellectuels juifs et Nietzsche, hg. v. D. Bourel/J. Le Rider. Paris 1991, S. 248-50 sowie ders., Es gibt einen antijüdischen Affekt! Über Carl Schmitts »Glossarium«. In: Zschr. f. Religions- und Geistesgeschichte 46 (1994), S. 70-73 und M. Brumlik, Carl Schmitts theologisch-politischer Antijudaismus. In: B. Wacker (Hg.), Die eigentlich katholische Verschärfung …, S. 247-56, außerdem R. Gross, Carl Schmitt und die Juden. Frankfurt/M. 2000

19C. Schmitt, Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947-1951. Berlin 1991, S. 131

20Vgl. ebd., S. 17

21Vgl. ebd., S. 88

22Ebd., S. 227 und 258

23Vgl. Mohler (Anm. 4), S. 133/4

24C. Schmitt (Anm. 19), S. 310

25Ebd., S. 258 und 198

26Ebd., S. 267

27Vgl. vor allem C. Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum. Berlin 1950, S. 28 ff. An Sekundärliteratur nenne ich: R. Groh, Arbeit an der Heillosigkeit der Welt. Zur politisch-theologischen Mythologie und Anthropologie Carl Schmitts. Frankfurt/M. 1998, S. 37-39 und R. Gross (Anm. 18), S. 267. Zum generellen Umgang Schmitts mit der Bibel verweise ich auf M. Leutzsch, Der Bezug auf die Bibel und ihre Wirkungsgeschichte bei Carl Schmitt. In: B. Wacker (Hg.), Die eigentlich katholische Verschärfung …, S. 175-202. (Leutzsch ist Rinks bibelwissenschaftliches Pendant. Beide, Neutestamentler und Latinistin, lassen ‘Kaiser’ Schmitt recht nackt erscheinen.)

28C. Schmitt (Anm. 19), S. 287

29Ebd., S. 5

30C. Schmitt, Donoso Cortés in gesamteuropäischer Interpretation. Köln 1950, S. 93

31Ebd., S. 96; vgl. auch Glossarium (Anm. 19), S. 5

32C. Schmitt (Anm. 19), S. 93/4

33C. Schmitt, Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien. Berlin 1963, S. 95

34C. Schmitt, Staatsgefüge und Zusammenbruch des II. Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten. Hamburg 1934, S. 49

35C. Schmitt, Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar, Genf, Versailles 1923-1939. Hamburg 1940, S. 312

36C. Schmitt, Neutralität und Neutralisierung. Zu Christoph Stedings »Das Reich und die Krankheit der europäischen Kultur«. In: Deutsche Rechtswissenschaft IV, 1939, H. 2, S. 115

37C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens. Hamburg 1934, S. 44

38Vgl. den einschlägigen Exkurs im vorliegenden Buch, S. 99ff.

39Schmitt (Anm. 19), S. 317

40Schmitt (Anm. 27), S. 5

41Ebd., S. 19

42C. Schmitt, Nomos - Nahme - Name. In: Der beständige Aufbruch. Festschrift für Erich Przywara … Nürnberg 1959, S. 103

43Ebd., S. 105

44Vgl. ebd., S. 95-101

45W. Benjamin, Zur Kritik der Gewalt. In: Angelus Novus. Ausgewählte Schriften 2. Frankfurt/M. 1966, S. 49 u.ö.

46Schmitt (Anm. 27), S. 16

47Vgl. Vergil, Aeneis 8,193-365 bzw. 12, 930-52

48Schmitt (Anm. 27), S. 17

49Ebd., S. 50 und 49

50C. Schmitt, Raum und Rom - Zur Phonetik des Wortes Raum. In: Universitas 6, 1951, S. 963

51Ebd.; Schmitt verweist an dieser Stelle auf A. v. Blumenthal, Roma quadrata. In: Klio 35, 1942, S. 181-8. – Blumenthal unterscheidet (S. 184/5) eine »roma quadrata« auf dem Palatin und einen »mundus rotundus« am Komitium, läßt jedoch »roma« und »mundus« in der Bedeutung »Opfergrube« konvergieren. Schmitts (persönlicher) Schüler R. Hepp übersieht die Differenz und läßt auch die Opferfunktion der Grube unerwähnt, wenn er schreibt: »In Rom war der ‘mundus’ ein kreisförmiger Graben, der in vier Teile geteilt war, das ‘Modell’ für die Roma quadrata, für den heiligen Kosmos der Stadt, die so aus dem profanen Raum ausgegrenzt und in sich zentriert und organisiert war. Es leuchtet ein, daß gegenüber dieser politisch-sakralen Kosmos-Vorstellung die christliche Welt zugleich eine entpolitiserte und eine profane war.« (Politische Theologie – theologische Politik. Studien zur Säkularisierung des Protestantismus im Weltkrieg und in der Weimarer Republik. Diss. masch. Erlangen 1967, S. 384). – Gerade wegen Hepps antiurchristlichem Affekt, der politisch gesteuert ist, sollte der Hinweis auf die Opferfunktion von »roma« und »mundus« nicht fehlen. Jedenfalls ist das Opfer neben Ursprung und Heros ein weiteres essential der mythischen Welt, und Schmitt, dem Hepp im übrigen ja folgt, hat es durch die Erwähnung Blumenthals wenigstens angedeutet: daß Roma als roma bzw. mundus eine einzige Opfergrube ist (wenn man sich auf die etymologische Spielerei einmal einläßt). Um so mehr, da von Blumenthal ein Jünger Stefan Georges war, der dichtete, »wir« müßten »mit unserm blut / das alte (Kaiser-)blut besprechen, daß es hafte«. (Die Gräber in Speyer. In: Der siebente Ring. Gesamt Ausgabe der Werke … Bde. 6/7. Berlin 1931, S. 22; vgl. auch R. Faber, Roma aeterna. Zur Kritik der »Konservativen Revolution«. Würzburg 1981, S. 98)

52Schmitt (Anm. 50), S. 967 und 966

53Ebd.

54Schmitt (Anm. 35), S. 303

55Vergil, Aeneis 6, 851-53

56Vgl. L. Kettenacker, Der Mythos vom Reich. In: Mythos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruktion, hg. v. K. H. Bohrer. Frankfurt/M. 1983, S. 269

57Schmitt (Anm. 50), a.a.O.

58Ebd., S. 963 u. 965

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