Was fehlt?

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Die Möglichkeit einer Gestalt des metaphysischen Denkens, das sogar das menschliche Denken technisch zu unterwandern vermag, ist in einem gewissen Rahmen gegeben.

Der Anspruch auf die totale Beherrschung der menschlichen Natur, wie sie Vertreter der synthetischen Biologie wie Craig Venter formulieren, und die damit einhergehende Beseitigung aller Ereignishaftigkeit ist eine zentrale Herausforderung für die Theologie, der sie sich nicht entziehen kann.

Der Ausschluss von Ereignishaftigkeit, der letztlich das Ziel des sozusagen ultimativen transhumanistischen Unternehmens ist, bedeutet nicht zuletzt den Ausschluss des Religiösen selbst.

Literatur

Heidegger, M., Vorträge und Aufsätze, Gesamtausgabe, Bd. 7, Frankfurt a.M. 2000.

Karafyllis, N. (Hg.), Biofakte. Versuche über den Menschen zwischen Artefakt und Lebewesen, Paderborn 2003.

Merleau-Ponty, M., Philosophie der Wahrnehmung, Berlin 1966 (französischsprachiges Original 1945).

Plessner, H., Die Stufen des Organischen und der Mensch, Berlin 1975 (Erstveröffentlichung 1928).

Venter, C., Leben aus dem Labor – Die neue Welt der synthetischen Biologie, Frankfurt a.M. 2014 (englischsprachiges Original 2013).

Wiegerling, K., Grundprobleme einer Hermeneutik der Leiblichkeit in Zeiten der Transformation des menschlichen Körpers, in: Filozofija i društvo XXV 4 (2014), 50-68. www.doiserbia.nb.rs/img/doi/0353-5738/2014/0353-57381404050W.pdf

- Von Leibern und Körpern zur sekundären Leiblichkeit, in: Klose, J. (Hg.), Heimatschichten, Heidelberg u.a. 2014, 211-238.

- Der technisch aufgerüstete Körper und die Frage nach der Gesundheit, in: Hoffstadt, C./Peschke, F./Nagenborg, M./Müller, S. (Hg), Dualitäten, (Aspekte der Medizinphilosophie 12), Bochum 2012, 137-154.

- Leib und Lebenswelt – Zum Wandel ihres Verhältnisses in intelligenten Umgebungen, in: Fischer, P./Luckner, A./Ramming, U. (Hg.), Reflexion des Möglichen – Zu Christoph Hubigs Philosophie der Medialität, Münster 2012, 225-238.

- /Küchenhoff, J., Leib und Körper, Göttingen 2008.

Grundsätzliche Selbstanfragen

Die Leerstelle als Anfrage – pastoralpsychologische Streiflichter1

Maria Elisabeth Aigner, Graz

In therapeutischen Prozessen, aber auch in kreativen gemeinschaftlichen Inszenierungsformen biblischer Texte kommt der „Leerstelle“ eine zentrale Bedeutung zu. Sie markiert einen Wendepunkt. Das, was sich zeigen will, erhält am leeren Ort seine Existenzberechtigung. Das sich in der Leere verbergende Ereignis dringt jedoch häufig erst im Nachhinein in das Bewusstsein und wird erst zu einem späteren Zeitpunkt deutlich greifbar. Menschen erleben an der Leerstelle, dass das, was sie zu wissen meinen, ganz anders sein kann. Leerstellen sind nicht dazu da, um gefüllt zu werden, sondern um sich zu erfüllen.

Die Frage nach dem, was der katholischen Theologie fehlt, ja, die Frage nach der Leerstelle, wirft die Theologie zurück auf jene, die sie betreiben. Was tun die Subjekte an den wissenschaftlich-akademischen Forschungs- und Lehrstätten eigentlich und was tun sie nicht? Welche symbolischen Ordnungen, ritualisierten Handlungsabläufe und unumstößlichen Vorgaben prägen die Existenz einer Theologin/eines Theologen, die/der wissenschaftlich tätig ist? Und vor allem: Wem und wozu dient das Ganze?

1.Erfahrung und Körper

Die Kategorie der Erfahrung im Bereich der Wissenschaft zu berücksichtigen oder gar mit einzubeziehen ist gefährlich. Erfahrungen sind in der Regel subjektiv, kontextabhängig und ambivalent. Und sie leiten – wenn auch häufig unbewusst – unsere Interessen. Innerhalb der Feministischen Theologie oder auch der Befreiungstheologie hat die Erfahrung eine zentrale Rolle eingenommen und wurde häufig zum politischen Korrektiv eines Theologietreibens, das die Menschen aus den Augen verloren hatte. Beide Theologien sind von der Bildfläche verschwunden. Ihre Anliegen sind aber weder obsolet noch unsachgemäß, schon gar nicht sind sie eingelöst.

Auch für das Fach Pastoralpsychologie stellt die Erfahrung eine zentrale Dimension dar. Als „Verbindungswissenschaft“ verbindet sie nicht nur einzelne Fächer und Disziplinen, sondern auch Theorie und Praxis sowie die sie tangierenden AkteurInnen. Als eine wissenschaftliche Disziplin, die ihr Augenmerk auf krankmachende kommunikative Verhaltensweisen und Strukturen legt und sich um differenzierte Formen der Selbst- und Fremdwahrnehmung müht, klammert sie die Erfahrungsdimension auch im wissenschaftlichen Setting nicht aus. Es gehört zur Profession des pastoralpsychologischen Faches, die Zusammenhänge zwischen der eigenen persönlichen Alltagspraxis, die WissenschaftlerInnen auch jenseits ihrer Forschungs- und Lehrtätigkeit prägt, und professioneller Funktionalität zu reflektieren. Die professionelle Funktionalität lässt sich jedoch nicht nur im Bereich des seelsorglichen Handelns ansiedeln. Sie ist integraler Bestandteil von Wissenschaft selbst.

Theorie und Praxis, privater Alltag und beruflicher Alltag, Subjektivität und Objektivität bilden wie von selbst tiefe Straßengräben. Sie zu ignorieren oder zu banalisieren führt meistens in die Sackgasse. Schon gar nicht darf man sich ihrer wissenschaftstheoretisch bemächtigen. Sie selbst sind und bleiben so etwas wie offene Leerstellen, die dazu einladen, sie zu betreten und zwar mit Ehrfurcht, Respekt und Neugier.

Erfahrungen werden dort problematisch, wo sie absolut gesetzt oder zur Rechtfertigung von Deutungsmonopolen herangezogen werden. In Verbindung mit den einhergehenden Körperempfindungen gestalten sich Erfahrungen unmittelbarer. Die Körperwahrnehmung dient der Deutung erfahrener Wirklichkeit als Korrektiv. In spätmoderner Zeit ist der Körper mittlerweile eine „Ware“ geworden, die sich auch als eigenes „Projekt“ veranschlagen lässt. Dass die Gesellschaft sich des Körpers bemächtigt und ihn in seiner ästhetischen Dimension sowie seinen Funktionsweisen definiert, steht in eigenartiger Diskrepanz zur Phänomenologie des Körpers in seiner Fragilität, Verletzbarkeit und Lust. In therapeutischen und inszenatorischen Prozessen wird der Körper zumeist unverhohlen und bewusst eingesetzt, weil er nicht selten sprachlich schwer zu fassende Themen offenbart.

Erfahrungen zu benennen, sie auszusprechen und in den wissenschaftlichen Diskurs einfließen zu lassen ist eine Form, die Körperlichkeit nicht auszusparen. Der Körper lässt dem Verborgenen und dem Verdrängten keine Ausweichmöglichkeiten. Er konfrontiert mit seiner Stärke und Kraft, aber auch mit seiner Schwäche und seinem Verfall. Das Aussparen von Erfahrung und Körperlichkeit in der theologischen Wissenschaft heißt, auf andere Formen der Wahrnehmung, Deutung und Integration und die damit verbundenen Entdeckungsvarianten zu verzichten.

2.Kommunikatives Handeln

Karl Rahner hat davon gesprochen, dass jedem Fach auch ein „pastoraltheologisches Moment“ innewohnen muss. Auch hier kommt die Theorie-Praxis-Problematik ins Spiel. Die Leerstelle, die sich zwischen Theorie und Praxis auftut, bezieht sich jedoch nicht allein auf die Relationen zwischen den jeweiligen Forschungsgegenständen und ihren Bezügen zur Praxis des Volkes Gottes. Es handelt sich dabei um eine tiefe Kluft, die mit den Scheuklappen und Blickverengungen einer Theologie zu tun hat, die sich vom Leben der Menschen, ihren Hoffnungen und Sehnsüchten, Sorgen und Ängsten immer weiter entfernt hat.

Theologietreibende Subjekte, die Augenmerk und Sensibilität für die individuellen, aber auch strukturell-systemischen Ursachen einer lebensfernen Theologie entwickeln, tauchen ein in das Wechselspiel von Analyse und kommunikativem Handeln. Die Vermittlungs- und Verbindungsarbeit wird so vordergründig: im Bereich der eigenen Forschungsambitionen, die dann womöglich weniger von der Einbahnstraße, die die Karriere vorgibt, geprägt sind, oder im Zusammenhang mit der Lehrtätigkeit, die somit auf die Provokation der Studierenden angewiesen ist.

Krankmachende Kommunikationsstrukturen, mangelnde Anerkennung und Wertschätzung, verdeckt unbewusste Ressentiments, Alltagsmechanismen der Angst – all das kann auch die akademischen theologisch-wissenschaftlichen Lehrstätten heimsuchen und ist dort auch oft genug zu finden. Die theologischen Fakultäten sind in dieser Hinsicht keinen Deut besser als ihre Nachbarfakultäten. Dennoch haben sie von den Ressourcen ihrer Tradition und ihrem Auftrag her ein sehr spezifisches Potenzial, sich dieser menschlichen Schattenzonen anzunehmen und konstruktiv mit ihnen zu verfahren. Das Aussparen dieser Leerstelle in den eigenen Reihen konfrontiert die Theologie mit ihren eigenen Wurzeln und dem daraus resultierenden Auftrag. Glaubt sie eigentlich an den tragenden Grund all dessen, womit sie sich beschäftigt?

Kommunikatives Handeln inkludiert das Wie in der Bewältigung menschlicher Lebensrealitäten in ihren Licht- und Schattenseiten. Es ist verknüpft mit den eigenen inneren Vorstellungen, Prägungen und Erfahrungen, die sich in der inneren Haltung der theologierteibenden Subjekte widerspiegeln. Dazu gehört auch die eigene internalisierte Theologie. Sie bestimmt die Handlungen und Reflexionen, sie wird nicht nur reflektiert, sondern auch gelebt – sei es bewusst oder unbewusst.

3.Ambiguitätstoleranz

Wissenschaft lebt vom Diskurs, der intellektuellen Auseinandersetzung. Daran knüpfen sich relativ streng ritualisierte Organisationsformen und Karrierevorgaben. Wer sich so theologisch wissenschaftlich betätigt, gerät häufig zwischen die Fronten von Ignoranz und Abwertung. Andere methodische Zugänge oder bislang wenig erprobte Perspektiven laufen dem Mainstream der Community zuwider. Diese nicht von vornherein als unzureichend, schlecht und negativ zu bewerten, sie aber auch nicht gleichgültig als unbedeutend zur Seite zu schieben, ist keine Leistung des Intellekts.

 

In der Pastoralpsychologie spricht man von der Notwendigkeit zur Ambiguitätstoleranz, wenn Menschen gefordert sind, Uneindeutigkeit, mehrdeutige Informationen oder Widersprüchliches auszuhalten. Die Fähigkeit zu dieser Form der Toleranz hat in erster Linie mit aufmerksamer Wahrnehmung zu tun, die darauf verzichtet, auf das Fremde sofort mit Abwertung zu reagieren. Der Versuch einer solchen Phänomenologie inkludiert umgekehrt, auch von einseitig positiven Bewertungen Abstand zu nehmen. Ambiguitätstoleranz ist eine Grundvoraussetzung für gemeinschaftliches Zusammenleben, Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsbildung und stellt die Grundlage jeglicher interkulturellen Kompetenz dar. In diesem Sinn geraten die wissenschaftstreibenden Subjekte hier an eine Grenze, weil das Praktizieren von Ambiguitätstoleranz in der Regel nicht mit intellektuellem Bildungsniveau, sondern mit Persönlichkeitsreife einhergeht.

Das Fatale ist, dass das Bemühen um die „Sache“ und das in der Wissenschaft gängige Einmahnen einer sachlichen Ebene hier zu kurz greifen. Dem vermeintlich um der Wissenschaft willen engagierten Austragen von Diversitäten auf der Sachebene liegen häufig subtile Formen von Aggression, Geltungsbedürfnis oder Anerkennungsdefiziten zu Grunde. Den daraus entstehenden Konflikten ist auf der Ebene intellektueller Auseinandersetzung nicht beizukommen. Die WissenschaftlerInnen sind an der Stelle auf sich selber verwiesen und mit der Frage nach den eigenen Ambitionen, Wünschen und Sehnsüchten konfrontiert.

Was hier fehlt ist das Anerkennen der Tatsache, dass fehlende Ambiguitätstoleranz nicht nur Auswirkungen auf die kollegiale Zusammenarbeit hat, sondern auch die intellektuelle Betätigung in Forschung und Lehre beeinflusst. Wie gelangen eine angstfreie Atmosphäre, ein wertschätzender Umgang mit sich selbst und anderen sowie eine aufmerksam interessierte Haltung Menschen und Inhalten gegenüber in den Wissenschaftsbetrieb? Ist die Leere an dieser Stelle womöglich die Antwort auf das mangelnde Bewusstsein solcher Notwendigkeiten?

4.Risiko

In Bezug auf risikoreiche Lehr-, Lern- und Denkformen war die Theologie schon einmal einfallsreicher, als sie es derzeit ist. Das mag mit den Zwängen Bologna-konformer Curricula zu tun haben. Dennoch kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, dass sich an den theologischen Lehrstätten stellenweise auch ein gehöriges Maß an Resignation, Gleichgültigkeit und Banalität eingeschlichen hat.

Vielleicht reagiert hier die Theologie, das Diskurssystem der Kirche, ähnlich wie die binnenkirchlichen Handlungsorte in postmodernen Zeiten: Das noch Bestehende und Funktionierende ist unbedingt zu erhalten. Kreativität im spielerischen Erproben neuer Handlungsweisen verursacht in diesen Kontexten vorwiegend Skepsis und Abwehr, weil sie unter Verdacht stehen, auch die letzten noch funktionierenden Strukturen in ihrem Bestand zu gefährden.

Das spielerische und zweckfreie Sich-Einlassen auf einen gemeinsamen kommunikativen Begegnungsprozess, bei dem die Personen, die jeweilige Situation und die Tradition gleichermaßen beachtet werden und in ein reziprokes Spannungsverhältnis gelangen, ist auch im Korsett wissenschaftlicher Rituale und Symbolhandlungen eine Herausforderung. Diese spielerischen Zugänge erfordern eigene Zeit-, Raumund Kommunikationsstrukturen, die in dieser Form nicht automatisch innerhalb der gegenwärtig bestehenden Strukturen gewährleistet werden können. Dennoch sind sie notwendig. Kriterien für das Gelingen solcher Versuche haben zu tun mit den zu einem Spiel gehörenden Merkmalen: Rolle, Prozess, Experiment, Vertrauen sowie der Fähigkeiten zum Risiko.

Wie eine theologische Fakultät ihre Forschung organisiert, welche Lehr- und Lernformen sie wählt, in welcher Art und Weise sie sich mit anderen Disziplinen vernetzt und gesellschaftlich und pastoral relevante „Außenkontexte“ wahrnimmt, bestimmt letztlich ihr Profil und ist maßgebend für ihre Existenz in postmodernen Zeiten. Von kirchlichen Handlungsfeldern, die Tradition und Existenz kreativ aufeinandertreffen lassen, kann die wissenschaftliche Theologie etwas lernen.

An diesen Orten ist nicht nur wahrnehmbar, was „experimentieren“ heißt, sondern auch welche Haltungen, Atmosphären und Formen der Ästhetik Experimente begünstigen. Experimente benötigen in allererster Linie Freiräume und Freiräume entstehen vor allem dort, wo Altes aufgegeben wird.

Pastoral risikofreudige kirchliche Orte haben einen klaren Bezug zur Tradition, jedoch wird durch die Konfrontation mit dem Leben im Hier und Jetzt jeder Prozess einmalig und einzigartig. Die AkteurInnen üben in jedem Prozess neu ein, sich von den alten Vorstellungen und Verhaltensmustern zu befreien und die herkömmlichen Deutungen und Interpretationsweisen loszulassen. Auch die Theologie hat es auf ihrem Weg der intellektuellen Auseinandersetzung nötig, sich der Konfrontation von Traditionsgut und aktueller Gegenwartsherausforderung zu stellen. Schließlich geht es auch an diesem Ort, so wie an jedem anderen kirchlichen Ort auch, um die Botschaft des Evangeliums, ja um ihre Horizont erweiternde, Menschen befreiende, lebensspendende Erschließungskraft.

Die Sehnsucht nach Befreiung und Gelingen ist auch an den Orten wissenschaftlicher Theologie allgegenwärtig greifbar. Die akademischtheologischen Forschungs- und Lehrstätten schaffen es aber ebenso wenig wie die pastoralen Handlungsorte, dieser Sehnsucht jenseits von Widersprüchlichkeiten und Verstrickungen nachzugehen. Auch die Theologie kann nur dann der menschlichen Realität ins Auge sehen, wenn sie sich selber verletzbar macht.

Es liegt an der Theologie selbst, ob sie ihre Leerstellen links liegen lässt und ignoriert, sie vollfüllt, weil sie darüber stolpert, oder sich ihren Anfragen aussetzt. Letzteres gelingt ihr dann, wenn sie vertrauensvoll Experimente wagt, ohne vorher zu wissen, wie sie ausgehen.

Literatur

Aigner, M.E., Bibliodrama und Bibliolog als pastorale Lernorte, Stuttgart 2015.

- Dient Gott der Wissenschaft? Praktisch-theologische Perspektiven zur diakonischen Dimension von Theologie, Münster u.a. 2002.

1Vgl. zu den folgenden Streiflichtern ausführlicher Aigner, Dient Gott der Wissenschaft?; Dies., Bibliodrama und Bibliolog.

Theologie ohne Gott
Annäherung durch Unterbrechung im Nachdenken von Eberhard Jüngel

Birgit Hoyer, Frankfurt a.M.

1.Was fehlt?

Ist der Grund für diese Frage ein Unbehagen? Ist Theologie, die Theologie, eine Theologie nicht in Ordnung? Soll Theologie in Ordnung sein? Soll Theologie ordnen? Wer ist die Theologie, dass sie ordnen könnte? Das Chaos ordnen, ohne es durch Ordnung zu ersetzen? Was fehlt der Theologie? Wem fehlt etwas? Wer erwartet etwas von der Theologie? Wer hegt Unbehagen? Hat die Theologie eine Pflicht zur Unbehaglichkeit? Gilt es nicht geradezu, Unbehagen zu kultivieren mit Theologie? Pervertiert sich Theologie selbst in den Komfortzonen von Universität und Kirche? Fehlt der Welt etwa gar nichts, wenn die Theologie fehlt? Fehlen die Leerstellen in der Theologie, in denen diese Fragen gestellt und beantwortet werden?

Mir behagt eine Theologie nicht, die behaglich ist. Mir fehlt etwas in der Theologie, wenn sie sich nicht dem Leben hingibt, wenn sie eine Kirche in den angeblich klaren Ordnungen von gut und böse, Moral und Unmoral bestärkt. Mir fehlt eine Theologie, die sich mit all ihrer wissenschaftlichen Leidenschaft gegen Reglementierungen und Ausschlüsse wirft, die Menschen vom Leben abhalten. Mir fehlt das breite Bewusstsein der eigenen Freiheit in vielen Theologien und der Aufschrei, wenn Kirche Menschen nicht in Freiheit lässt, ihre Freiheit schützt und fördert. Mich als Theologin beschleicht Unbehagen, dass die Theologie die Würde der Menschen, des kranken, flüchtenden, modernen, alten, verwirrten, jungen, glücklichen Menschen nicht thematisiert und verteidigt.

Fehlt der Kirche Theologie und umgekehrt? Theologie gehört zum Selbstvollzug der christlichen Kirche. „Theologie ist also zuerst und vor allem ein elementarer Lebensakt der christlichen Kirche und partizipiert als solcher an ihrer Katholizität“, schreibt Eberhard Jüngel.1 Der Kirche mangelt es an Leben, wenn die Theologie fehlt, wenn in der Theologie etwas fehlt, gar das Leben fehlt, die Katholizität, weil sie auf ein konfessionell enggeführtes „Katholisch-Sein“ reduziert wird.

2.Was ist Theologie?

Was ist ihre Bestimmung? Auf „katholische-theologie.info“ lese ich: „Was ist Theologie? Katholische Theologie ist die wissenschaftliche Reflexion des kirchlichen Glaubens an Gott und seine Menschwerdung in Jesus von Nazareth. Als Glaubenswissenschaft besteht für die Theologie eine wichtige Aufgabe darin, die Innenperspektive der geglaubten Wahrheit mit der Außenperspektive der universalen Vernunft zu verbinden. Dazu bedarf es der Kooperation der verschiedenen theologischen Disziplinen. Ebenso wichtig ist der Dialog mit anderen Wissenschaften in Forschung und Lehre.“2 Die evangelische Theologie wirbt: „Das Theologiestudium fordert die eigene Person und deren Einstellung zur Welt und zu Gott heraus. Das wissenschaftliche Studium schafft zunächst eine ungewohnte Distanz zur Praxis des Glaubens. Dennoch kommt der eigene Glaube nicht zu kurz. Denn Theologie und die eigene Biographie sind eng miteinander verknüpft. Theologie studieren heißt nicht nur, sich mit Traditionen auseinander zu setzen, sondern auch neue, überraschende Einsichten gewinnen. Es heißt nicht nur, Texte zu lesen, sondern auch Menschen und deren Kon-Texte zu verstehen.“3

Und wie definiert sich gar eine Katholische Universität? „Anspruch und Verpflichtung, die sich aus dem Begriff ‚Katholische Universität‘ ergeben, bestehen darin, dem Wissen im Ganzen geöffnet zu sein und den Blick für das Ganze zu weiten. […] Aufgrund einer gewissen Art von universalem Humanismus widmet sich die Katholische Universität voll und ganz der Erforschung aller Aspekte der Wahrheit in ihrer wesentlichen Verbindung mit der höchsten Wahrheit, die Gott ist. […] Dieser Auftrag fordert und verpflichtet alle, die an der KU tätig sind.“4 In der Stiftungsverfassung ist zu lesen: „In Erfüllung des Stiftungszwecks ist die Universität als eine hervorragende Stätte zu fördern, an der eine Auseinandersetzung mit den geistigen Strömungen und Problemen der Zeit auf hohem akademischen Niveau und im Lichte des katholischen Glaubens geführt werden kann“.5

Ob dem Lichte des katholischen Glaubens nicht die Kraft fehlt und in der Betrachtung nur aus katholischem Glauben ein Schatten auf die Probleme der Zeit fällt? Und ist es nicht gerade Auftrag einer Universität, mit all ihren Disziplinen gegen solche Verschattung aufzutreten, ins Angesicht zu widerstehen gegen alle Verengungen und das Drehen um das eigene Proprium? Das Kriterium für die Katholizität der Kirche ist für Eberhard Jüngel die Apostolizität der Kirche: ihre Verpflichtung auf die „mit der Person Jesu Christi identischen, in der heiligen Schrift auf ursprüngliche Weise bezeugten Wahrheit des Evangeliums. […] Doch die Wahrheit des Evangeliums will nicht nur kirchlich verkündigt, sie will erkannt, begriffen und denkend verantwortet werden. […] Die Theologie partizipiert an der Katholizität der Kirche. Die Katholizität der Kirche aber verdankt sich der Katholizität der Wahrheit des Evangeliums. Und jede Wahrheit, auch die des Evangeliums, kann gar nicht anders als eine allgemeine, mithin jeden Menschen angehende Erkenntnis zur Geltung zu bringen. […] wenn in der Sprache der Wissenschaft nicht wenigstens ein fernes Echo der verkündigenden, bekennenden, lobpreisenden und – ja, auch singenden Sprache des Glaubens zu vernehmen ist, dann droht die Theologie einem Narzissmus zum Opfer zu fallen.“6