Stilwechsel und ihre Funktionen in Textsorten der Fach- und Wissenschaftskommunikation

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Stilistische Unterschiede und Stilwechsel in der Grammatikschreibung

Ein exemplarischer Vergleich von wissenschaftlicher Grammatik, Grammatik-Lehrbüchern für das Studium und Grammatikhilfen für die Schule und den Alltag

Andrea Bachmann-Stein/Stephan Stein

Gliederung

 0 Vorbemerkungen

 1 Theoretische Grundlagen1.1 Das Stilkonzept textpragmatischer und interaktionaler Provenienz1.2 Einheitlichmachen und Wechseln von Stil als textstilistische Handlungsmuster1.3 Stil und Stilwechsel in Wissenschaftstexten1.4 Textmuster- und Stilwandel

 2 Stilwechsel im synchronen Vergleich von Grammatik-Darstellungen2.1 Zielgruppenidentische Grammatik-Darstellungen2.2 Zielgruppendifferente Grammatik-Darstellungen

 3 Stilwandel im diachronen Vergleich zielgruppengleicher Grammatik-Darstellungen

 4 Kursorischer Blick auf Stilphänomene in Grammatikforen4.1 Allgemeines zur Beziehungsgestaltung4.2 Beleidigen4.3 Ironisieren

 5 Fazit

0 Vorbemerkungen

Man weiß es ja: Allein schon die Bezeichnung „Grammatik“ ruft bei vielen Menschen Abwehrhaltungen und ‑reaktionen hervor. Und man darf annehmen, dass Grammatiken oder auch generell Texte, die grammatische Themen behandeln, nicht zur bevorzugten Lektüre des durchschnittlichen Sprachteilhabers gehören, sondern nur dann konsultiert werden, wenn bestimmte Umstände es sinnvoll oder unumgänglich erscheinen lassen (z.B. Behandlung grammatischer Themen in Schule und Studium, Klärung grammatischer Probleme und Zweifelsfälle im Alltag).1 An diesem weit verbreiteten Negativimage dürfte auch das mittlerweile beträchtliche Angebot an Grammatikdarstellungen und ‑hilfen, die für bestimmte Adressaten‑ und Zielgruppen konzipiert sind und einen spezifischen Nutzerzuschnitt aufweisen, wenig ändern. Umso lohnenswerter erscheint es, einmal unter die Lupe zu nehmen, inwiefern versucht wird, die Attraktivität von Texten mit grammatischen Themen (im Weiteren kurz: Grammatik-Darstellungen bzw. ‑Texte) durch bestimmte Weisen des Gestaltens zu steigern.

1 Theoretische Grundlagen
1.1 Das Stilkonzept textpragmatischer und interaktionaler Provenienz

Für die hier verfolgte Fragestellung bietet es sich an, von einem (text)pragmatischen und einem interaktionalen Stilverständnis und Stilkonzept auszugehen, wie es maßgeblich durch Arbeiten von Sandig (vgl. insbesondere Sandig 1986 und 2006) und Selting (vgl. z.B. 2001) geprägt worden ist. Diesem Begriffsverständnis zufolge ist Stil als sozial relevante Art der Handlungsdurchführung (vgl. Sandig 2006: 9) zu fassen, ist Äußerungen und Texten stilistischer Sinn zuzuschreiben und können Typen stilistischen Sinns (ebd.: 17) ermittelt und unterschieden werden:

„Stil ist also die sozial bedeutsame Art der Durchführung einer kommunikativen Handlung, wobei diese Art der Handlungsdurchführung und die Handlung selbst und/oder das Thema als solches indizieren kann, wobei weiter die Handlungsdurchführung erkennbar bezogen sein kann auf die Art der an der Handlung Beteiligten und ihre Beziehung und/oder auf verschiedenartige Handlungsvoraussetzungen wie Kanal, Textträger, Medium, Institution, umfassendere Handlungsbereiche … Durch die Art der Handlungsdurchführung können außerdem Einstellungen/Haltungen zu den verschiedenen Aspekten des Handelns mit ausgedrückt werden. Stile sind bezogen auf ihre historische Zeit und eingebunden in bzw. Ausdruck von (Sub)Kulturen.“ (Sandig 2006: 17)

Auf dieser Grundlage ist im Blick auf Grammatik-Texte zu fragen, inwiefern das Thema bzw. der Gegenstand (Grammatik) eine bestimmte Art der Handlungsdurchführung nahelegt und erwartbar macht, inwiefern sich aber im Blick auf die an der Handlung Beteiligten auch Unterschiede in der Art der Handlungsdurchführung erkennen lassen und inwiefern sich dadurch für die Rezipienten bzw. Nutzer sowohl erwart‑ bzw. generalisierbare als auch individuelle Stilwirkungen ergeben. Solche Stilwirkungen sind maßgeblich durch stilistisches Wissen geprägt, d.h. durch die Kenntnis der Konventionen darüber, wie typischerweise in bestimmten Handlungsbereichen Stilgestalten hergestellt werden.

1.2 Einheitlichmachen und Wechseln von Stil als textstilistische Handlungsmuster

Vor diesem hier nur äußerst knapp skizzierten Hintergrund textstilistischer Grundannahmen gewinnen die Fragen an Bedeutung, auf welche Weise die Handlungsdurchführung in Grammatik-Texten erfolgen kann, inwieweit stilistische Einheitlichkeit erwartbar und gegeben ist sowie ob und gegebenenfalls welche Arten von Stilwechsel(n) erkennbar sind. Diese Fragen können bezogen auf eine bestimmte konkrete Darstellung gestellt werden, sie gewinnen aber an Relevanz, wenn verschiedene zielgruppenorientierte Darstellungen einander gegenübergestellt oder wenn in diachroner Perspektive verschiedene zielgruppengleiche Darstellungen verglichen werden.

Im Mittelpunkt stehen dafür „textstilistische Handlungsmuster“, d.h. „stilrelevante Teilhandlungstypen für Texte“ (Sandig 2006: 147), die für die Produktion und Rezeption von Stilelementen zur Verfügung stehen.

Für das Durchführen einer (komplexen) Handlung können als allgemeine stilistische Handlungstypen nach Sandig (ebd.: 150) das Gestalten und das Relationieren angesetzt werden. Das Gestalten – Püschel (1987: 143) zufolge das „zentrale Stilmuster“ schlechthin: „Die Form, das Aussehen, die Gestalt einer Sprachhandlung/eines Textes ist ihr/sein Stil“ (ebd.)1 – ist in erster Linie ein auf Einheitlichkeit ausgerichtetes sprachliches Handeln (vgl. Fix 1996: 318). Dass Texte ein und desselben Themen‑ und Gegenstandsbereichs wie auch einzelne Texte und Textpassagen unterschiedlich gestaltet werden können und dass die Einheitlichkeit des Stils in der Sprachwirklichkeit nicht aufrechterhalten werden muss, sondern intentional oder auch unbedacht durchbrochen oder dass gar das Aufgeben von Einheitlichkeit selbst zu einem stilbildenden Prinzip werden kann (vgl. ebd.: 318), gehört zu den Alltagserfahrungen im Umgang mit literarischen Texten wie auch mit zweckorientierten Gebrauchstexten; gegebenenfalls erkennbare Unterschiede sind vor allem auf die jeweilige Art des Formulierens, die jeweilige Präferenz für bestimmte Sprachhandlungen, den Rückgriff auf andere als sprachliche Zeichen und das Maß der Typisierung der Handlungsdurchführung zurückzuführen. Voraussetzung ist dabei, wie bereits angedeutet, eine auf Geltung bestimmter Konventionen beruhende Interpretationsgrundlage für alle Kommunikationsbeteiligten (Textproduzent und Textrezipient): „Wichtig ist, daß […] die für die Beteiligten in der Situation per Konvention erwartbaren Handlungen, Handlungsinhalte und Durchführungsarten angenommen werden; stilistischer Sinn und Stilwirkung des Textes […] entstehen in Relation dazu“ (Sandig 1986: 124).

Das Einheitlichmachen und das Wechseln von Stilelementen zählen – neben z.B. Abweichen, Verdichten und Mustermischen – zu den grundlegenden stilistischen Handlungsmustern:2 „Einheitlichkeit entsteht durch FORTFÜHREN stilistisch gestaltbildender Mittel, so dass dieses FORTFÜHREN zur Interpretation des stilistischen Sinns beitragen kann“ (Sandig 2006: 174; Hervorhebungen im Orig.). Die Konstanz des stilistischen Sinns als Folge gleichbleibender und insofern redundanter Stilelemente (wie gleiche oder ähnliche Stilebenen, propositionale Gehalte und/oder Teilhandlungen) kann im Anschluss an ethnomethodologisch geprägte Konzepte der Interaktionsanalyse als Kontextualisierungsverfahren bzw. ‑hinweis interpretiert werden (vgl. dazu etwa Auer 1986 und 1992; Selting 1989): Dem Rezipienten wird zu verstehen gegeben bzw. „mitgeteilt: Es ist noch dieselbe Handlung (im Unterschied zu anderen möglichen), noch dasselbe Thema (im Unterschied zu anderen möglichen), noch dieselbe Beziehung zwischen den Interagierenden (in Relation zu anderen …), noch dieselbe Situationsinterpretation […]“ (Sandig 1986: 118). Das Einheitlichmachen und die Einheitlichkeit des Stils sind funktional also darauf angelegt, Änderungen in der Handlungsdurchführung (z.B. Themenwechsel, Wechsel der Handlungstypen usw.) durch Stilwechsel zu kontextualisieren:

„Eine Konsequenz der Funktion der Einheitlichkeit des Stils ist es, daß bei Übergängen zu anderen Handlungen, auch Teilhandlungen, der Stil gewechselt wird, auch bei Übergängen zu anderen Themen, bei einem Wechsel der Interagierenden, bei einer Änderung der Beziehung, der Situationsdefinition usw. […] So zeigen die Stilwechsel mit ihren Funktionen die Verflechtung von stilistischer Textstruktur einerseits und den Handlungsvoraussetzungen, auf die die Handlungsdurchführung bezogen ist, andererseits“ (Sandig 1986: 119).

Versteht man Einheitlichkeit des Stils als „generelles Postulat“ (ebd.: 122) bei konstanter Sprachgestaltung, konstanter Handlungsart und konstantem Thema, liegt es nahe, in Stilwechseln aufgrund ihrer Leistung als Kontextualisierungsverfahren Indikatoren für Veränderungen in der Art der Handlungsdurchführung zu sehen und ihnen Stilwirkung(en) zuzusprechen: Sie lassen sich als Instrument dafür deuten, die Textrezeption attraktiv(er) – z.B. abwechslungsreich(er) oder lebendig(er) – zu machen, und können als Mittel der Aufmerksamkeitssteigerung interpretiert werden (vgl. ebd.: 122). Denn grundsätzlich lassen sich Wechsel, wie sie beispielsweise durch auffällige Veränderungen in der lexikalischen und/oder syntaktischen Gestaltung oder in der thematischen Struktur fassbar werden, mithilfe der Figur-(Hinter‑)Grund-Relation erfassen: „Bei Stilwechsel wird der bisherige Stil zu Grund, der neue Stil zu Figur […]“ (Sandig 2006: 73; vgl. auch ebd.: 202–205), wodurch er sich vom bisherigen Grund abhebt. Man kann darin durchaus auch eine Ausprägung eines anderen allgemeinen textstilistischen Handlungstyps, nämlich des Abweichens, sehen (vgl. dazu ebd.: 153–157), wodurch der Zusammenhang zwischen Existenz (und Kenntnis) von Gestaltungskonventionen und dem Verstoßen dagegen deutlicher hervortritt:

 

„[D]ie Mitglieder von Kommunikationsgemeinschaften [bilden] im Laufe ihrer kommunikativen Sozialisation Erwartungen aus über die Erwartbarkeit bestimmter Stile in bestimmten Kommunikationskontexten. Diese fungieren als Normalformerwartung, von der jedoch zum Zwecke der Nahelegung bestimmten [!] Bedeutungen und Interpretationen jederzeit abgewichen werden kann“ (Selting 2001: 5).

Darauf, dass damit auch Gefahren verbunden sein können, wird üblicherweise meist aus einer eher normativ-ästhetischen Sicht auf Stil und Stilphänomene aufmerksam gemacht; Fleischer u.a. (1993: 66) etwa verweisen im Blick auf Stilwechsel, die sie primär im Zusammenhang mit thematischen Veränderungen sehen, auf „Akzeptanzgrenzen“ und damit auf die Erfahrung, dass auffällige Veränderungen in der Verwendung insbesondere phonetischer, graphematischer, lexikalischer und morphosyntaktischer Elemente (vgl. ebd.: 21) zu stilistischen Fehlleistungen führen können, die rezipientenabhängig u.U. als Stilbrüche oder Stilblüten wahrgenommen werden.

1.3 Stil und Stilwechsel in Wissenschaftstexten

Auch wenn natürlich nicht alle Grammatik-Texte ohne Weiteres dem Kommunikationsbereich und Funktionalstil der Wissenschaft zugerechnet werden können und sich die globale Charakterisierung von Texten als „wissenschaftlich“ als viel zu grob erweist, gehen wir in starker Vereinfachung der im Sprachgebrauch vorhandenen sprachlichen und textsortenbezogenen Differenzierung in der Behandlung wissenschaftlicher Themen von einem durch die „Dominanz der Erkenntnisvermittlung“ (Fix u.a. 2001: 34) geprägten Anspruch in Verbindung mit adressatengerechter Textgestaltung aus. Das entsprechende Spektrum an Texten bedarf aufgrund seiner Heterogenität einer differenzierten Betrachtung der dominierenden Stilelemente und Stilzüge, die – im Zusammenspiel mit textlinguistischen Analysemodellen – als Textsorten‑ oder Textmusterstile erfasst werden können. Aus funktionalstilistisch-textsortenlinguistischer Perspektive ist davon auszugehen, dass verschiedene Stilelemente auf bestimmte Weise kombiniert werden und in ihrem Zusammenspiel im Hinblick auf die wesentliche Wirkungsabsicht funktionalisiert sind.1 Wenn z.B. der Funktionalstil der Wissenschaft durch Stilzüge wie „sachlich, folgerichtig, klar/fasslich, abstrakt, dicht/gedrängt, genau, unpersönlich“ (ebd.: 35, vgl. auch ebd., 75–78) charakterisiert werden kann, besteht die Aufgabe der Textanalyse darin zu überprüfen, in welchem Maße und mit welchen sprachlichen Mitteln solche Stilzüge jeweils realisiert sind: „Die Bestimmung von Stilelementen und Stilzügen bezieht sich immer auf ein ‚Stilganzes‘. Damit ist die Bedingung und Einheitlichkeit des stilbildenden Handelns gemeint“ (ebd.: 35).

Für die konkrete textstilistische Analyse konkurrieren zwar unterschiedliche Modelle und Konzepte mit teilweise unterschiedlichen Auffassungen darüber, welche Texteigenschaften und welche Merkmale der Kommunikationssituation für die Analyse berücksichtigt werden sollen (vgl. für einen Überblick ebd.: 52–56), in der grundlegenden Auffassung herrscht jedoch Einigkeit:

„Die bei der Analyse eines Textes ermittelten Stilzüge konstituieren den Stil des Textes, also die Art und Weise (das WIE), mit der das Mitzuteilende (das WAS) im Hinblick auf einen Mitteilungszweck (das WOZU) [und, so muss man ergänzen: im Hinblick auf die Adressatengruppe (das FÜR WEN)] – gestaltet wird“ (Fix u.a. 2001: 52; Hervorhebungen im Orig.).

Dass die Ausrichtung auf die jeweilige Adressatengruppe – bei mehr oder weniger konstanter Wirkungsabsicht – einen wichtigen Faktor für die gestalterischen Entscheidungen des/der Textproduzenten darstellt, liegt auf der Hand (vgl. dazu z.B. Biere 1996; Becker-Mrotzek u.a. 2014) und ist empirisch ohne großen Aufwand zu belegen (vgl. z.B. Eroms’ [2008: 119–121] kurzen Vergleich von Texten, die zum einen für Angehörige der Fachgemeinschaft bzw. Experten, zum anderen für ein breiteres Publikum bzw. Laien konzipiert sind und die jeweils typische, aber einheitlich eingesetzte stilistische Mittel aufweisen).

Vor diesem Hintergrund sind intendierte Stilwechsel in Wissenschaftstexten, die für einen breiteren und eventuell fachlich (noch) nicht versierten Adressatenkreis konzipiert sind (populäre Fachtexte und Sachprosa), eher bzw. in anderer Weise erwartbar als in Wissenschaftstexten, die sich dezidiert an ein Fachpublikum richten (Fachtexte). Diesen an sich naheliegenden Zusammenhang bestätigen die Analyseergebnisse von Petkova-Kessanlis (2017) zur wissenschaftlichen Textsorte „Einführung“ (in ein bestimmtes linguistisches Gebiet): Der Einsatz von Stilwechseln dient der sozialen Differenzierung, da der Textproduzent von Einführungen nicht in erster Linie als Teil der Wissenschaftlergemeinschaft agiert, sondern darum bemüht ist, eine „Nähe-Beziehung“ (ebd.: 179) zur Adressatengruppe der Studierenden herzustellen, d.h. den Wissenstransfer den Rezeptionsmöglichkeiten einer Zielgruppe mit geringerem Wissensstand anzupassen (vgl. ebd.). Man kann darüber streiten, ob solche Stilwechsel wirklich zum Textmuster(wissen) linguistischer Einführungen gehören, wenn sie aber auftreten, weichen die Texte spürbar vom üblichen Wissenschaftsstil (mit dort beobachtbaren konventionellen Stilwechseln wie z.B. auf bestimmte Art und Weise Zitieren oder Exemplifizieren) ab; anhand ausgewählter Beispiele stellt Petkova-Kessanlis (ebd.: 181–186) als einführungs-typische Stilwechsel das Zitieren (auch aus nicht-wissenschaftlichen Texten), das Markieren von Übergängen und von Wechseln zwischen Alltagssprache und Fach‑/Wissenschaftssprache (z.B. bei der Einführung neuer Termini) als Realisierung des Musters Akademischmachen, das Simplifizieren (Reduktion von Fachsprachlichkeit durch geringere semantische und syntaktische Komplexität), das Dialogisieren, das Wechseln der Interaktionsmodalität und das Wechseln der Stilebene (insbesondere zugunsten umgangssprachlicher Ausdrücke) heraus.2 Generell kann man in solchen – meist allerdings nur sporadisch verwendeten und dadurch umso auffälligeren – Stilwechseln aufmerksamkeitssteigernde und durch das Anschaulich‑ und Lebendigmachen von Inhalten rezeptionsfördernde und verständniserleichternde Strategien sehen und sie als Phänomene des Übergangs von einem fachwissenschaftlichen zu einem fachdidaktischen Stil verstehen.

1.4 Textmuster‑ und Stilwandel

Fasst man wissenschaftliche Darstellungsformen wie Einführung bzw., allgemeiner, Monographie als Textsorten auf, lässt sich aus den Anforderungsprofilen mehrdimensionaler bzw. holistischer Modelle für die Untersuchung von Textsorten ableiten, dass auf der Ebene der Formulierung bzw. Formulierungsadäquatheit u.a. auch die stilistischen Handlungsmuster relevant sind, soweit sie für den Handlungstyp charakteristisch sind (vgl. etwa Sandig 2006: 489); sie gehören zum Textmuster(wissen) und zeichnen – bei konventioneller Textgestaltung – die Exemplare der jeweiligen Textsorte insofern als prototypisch aus, als sich auf der Ebene der Formulierung Musterhaftes zeigt: Dazu zählen neben typischen lexikalischen Mitteln und syntaktischen Strukturen auch Formulierungsmuster und Gestaltungsweisen, kurz: alle für die Textsorte charakteristischen sprachlichen Mittel und Strukturen, „die zusammen den charakteristischen Stil eines Textmusters ausmachen“ (ebd.: 499). Die damit bei Sandig (ebd.: 481 u. ö.) als „Textmusterstil“, in sonstiger textlinguistischer Tradition meist als „Textsortenstil“ bezeichnete Ebene meint den „charakteristische[n] Zusammenhang von Handlungsbereich, Sprecher/Rezipient(‑Beziehung), Kanal, evtl. Medium, Handlungsqualitäten und Sequenzpositionen einerseits mit Formulierungseigenschaften andererseits“ (Sandig 1996: 363). Dieser Zusammenhang stellt deswegen eine wesentliche Facette der Beschreibung von Textsorten dar (vgl. dazu z.B. Krieg-Holz 2017), weil (nur) dabei der Spielraum für die zwischen Typisieren und Unikalisieren changierende Gestaltung einzelner Textexemplare fassbar wird und weil er eine geeignete Angriffsfläche für die Beschreibung und Erklärung des Wandels (sprich: der Historizität) von Textmustern bzw. Textsorten bietet. Insofern kann auch im Hinblick auf die Ebene der Formulierungsadäquatheit von „Stilwandel“ gesprochen werden, d.h. von einem „Textmusterwandel mit der je konventionellen Variationsbreite bei der Musterrealisierung“ (Sandig 1996: 370) infolge veränderter soziokultureller Bedingungen.

2 Stilwechsel im synchronen Vergleich von Grammatik-Darstellungen
2.1 Zielgruppenidentische Grammatik-Darstellungen

Auffällige Unterschiede in der Art der Handlungsdurchführung lassen sich auf der Grundlage eines exemplarischen Blicks auf Grammatik-Darstellungen, die sich an ein breites und unter Umständen grammatisch nicht oder nur in Teilen versiertes Publikum richten, nicht ohne Weiteres ausmachen, d.h. bei Stilwechselphänomenen scheint es sich eher um eine Randerscheinung zu handeln. Anders ausgedrückt: Grammatik-Texte erscheinen und wirken stilistisch – mehr oder weniger – einheitlich und homogen. Umso mehr allerdings springen (Teile von) Darstellungen ins Auge, in denen Stilwechsel vergleichsweise häufig als Gestaltungsmittel genutzt werden; wir verdeutlichen diese Form stilistischer Heterogenität an ausgewählten Belegen aus Musan (2009), Heringer (2013) und Habermann u.a. (2015), d.h. an drei für den Einsatz in der Hochschullehre konzipierten und speziell an Studienanfänger gerichteten Grammatik-Einführungen:1

 (1) Wir müssen also höllisch aufpassen. (Musan 2009: 14)

 (2) Die Grundidee klingt glasklar. (Musan 2009: 15)

 (3) Eine rein flexivische Basierung müsste vieles in einen Topf werfen, […]. […] Man muss nicht gerade böswillig sein, […]. (Heringer 2013: 15)

 (4) Häufiger als Modalverben […] ist in Lehrplänen Modalität auf dem Tapet. (Heringer 2013: 47)

 (5) Aber über die Frage, ob es die Nutella oder das Nutella heißt, sollen schon ganze Beziehungen zu Bruch gegangen sein. (Musan 2009: 15)

 (6) Die Bausteine zwischen Wort und Satz, zwischen Himmel und Erde sozusagen, heißen Satzglieder. (Habermann u.a. 2015: 53)

 (7) Das wäre so, als würde man jemandem, der zu einer Party Chili con carne mitbringt, nach dem ersten Löffel sagen, das sei aber eine grottenschlechte Pizza. (Musan 2009: 37)

 (8) Wenn Sie meinen, dies sei immer der Fall, dann irren Sie sich. (Habermann u.a. 2015: 112)

 (9) Es ist sehr wichtig, dass Sie sich spätestens an dieser Stelle noch einmal klar machen, […]. (Musan 2009: 24)

 (10) Angesichts der Daten oben haben Sie sich sicher schon gefragt, […]. (Musan 2009: 29)

In diesen und ähnlichen Fällen liegen unterschiedliche Arten von Stilwechseln vor: Wechsel der Stilebene durch Verwendung umgangs‑­ bzw. alltagssprachlicher Ausdrücke und Wendungen (Beispiele 1–4), Illustration an alltagsnahen Vergleichen (Beispiele 5–7) und direkte Rezipientenansprache (Beispiele 8–10). Man kann solchen Darstellungsweisen, zumal sie sich bei der Lektüre längerer Textpassagen in der Regel spürbar vom jeweiligen Kotext und vom konventionellen Grammatikwissenschaftsstil abheben und dadurch auffallen, zweifellos vergleichbare Stilwirkungen und Funktionen zuschreiben, wie sie von Petkova-Kessanlis (2017) an Beispielen auch aus anderen linguistischen Einführungen diagnostiziert worden sind: das Bemühen darum, die Texte für die Zielgruppe attraktiver zu machen, anschaulich und verständlich zu sein (und zu bleiben), die Informationsmenge den Wissensbeständen und ‑voraussetzungen der Leser anzupassen und so eventuell auch auf eine Reduzierung kommunikativer Distanz hinzuwirken, kurz: die Aufmerksamkeit zu steigern und die Rezeptionsbereitschaft zu fördern.

So sehr es – im Sinne der knappen Vorbemerkungen – einleuchtet, dass Grammatik-Texte in besonderem Maße auf attraktivitätsförderndes Gestalten angelegt sein müssten, und so sehr sich dieser Eindruck auch im Blick auf die Häufigkeit und Intensität, mit der Stilwechsel in den drei genannten Darstellungen auszumachen sind, unweigerlich aufdrängt, so sehr bedarf es doch detaillierter Untersuchungen auf breiterer Materialbasis, um auszuschließen, dass es sich um individualstilistische Gestaltungsweisen und ‑vorlieben handelt, und um dem Eindruck entgegenzuwirken, dass an einzelnen Darstellungen beobachtbare Phänomene charakteristisch für Darstellungen im gesamten Sachverhaltsbereich „Grundwissen über deutsche Grammatik“ sein könnten (vgl. dazu Abschnitt 2.2). Vergleicht man etwa die Grammatikdarstellungen von Heringer (1989a, 1989b und 2013), fällt oft auf, dass als autortypische Gestaltungsstrategien die direkte Adressatenansprache und/oder ein Wechsel des Sprachhandlungstyps erfolgt, wenn aus darstellenden und erklärenden Ausführungen Ratschläge abgeleitet werden, wenn auf ‚Fallen‘ und Probleme bei der grammatischen Analyse aufmerksam gemacht und wenn ein Perspektivwechsel von der Vermittlung des Wissens an angehende Deutschlehrkräfte hin zur Weitergabe des Wissens an (z.B. schulische) Lernende vorgenommen wird:

 

 (11) Ratschläge für Lerner: Das finite Verb ist ein erster Zugang zum Satz. […] Darum: Bestimme das finite Verb! […]. (Heringer 1989a: 70)

 (12) Relativsätze kannst du anhängen und ausklammern. Aber aufgepaßt: Der Bezug muß deutlich bleiben. (Heringer 1989b: 333)

In der jüngsten Darstellung wird dabei außerdem das Dialogisieren als stilistisches Handlungsmuster genutzt:

 (13) Dass ein Numerale sogar aus zwei Wörtern bestehen kann, ist doch misslich. Oder? Und wieso sind kein und niemand indefinit? (Heringer 2013: 16)

 (14) Allerdings bringt auch das gewisse Probleme. Haben sie ein festes Genus? Welches denn? (Heringer 2013: 17)

Auch ohne unbedingt immer gleich Antworten zu liefern, nimmt Heringer auf diese Weise die Leserperspektive ein und legt dem Leser gleichsam Fragen in den Mund, die sich bei der Lektüre und der Reflexion wie auch der Anwendung erläuterter Sachverhalte stellen können. Dem Leser mag auf diese Weise das Gefühl vermittelt werden, als Adressat ernst genommen und mit potenziellen Schwierigkeiten nicht allein gelassen zu werden. Sandig schreibt dem Dialogisieren in monologischen Handlungen ein noch weiterreichendes Funktionspotenzial zu: „authentisch MACHEN, EMOTIONALISIEREN, Reflexion ANZEIGEN, lebendig MACHEN, GESTALTEN einer Nähebeziehung“ (2006: 215; Hervorhebungen im Orig.).

Ins Auge springt auch das gelegentliche Wechseln der Interaktionsmodalität:

 (15) Es taucht [in Lehrplänen] Modalität als pures Stichwort auf, wohl in dem Glauben, damit sei alles gesagt. […] Das trifft sich mit einem Kuriosum des Schülerduden 2010, wo übers Register auf […] verwiesen wird und deren Überschrift auch tatsächlich verspricht, es gehe um Modalsätze und Modalität. Tatsächlich kommt Modalität in dem ganzen Abschnitt nicht vor. Netterweise folgt aber eine Übung, in der Sätze unterstrichen werden sollen, die Modalität ausdrücken. (Heringer 2013: 47)

Es kann jedoch auch vermutet werden, dass Heringer gelegentlich der Versuchung nicht widerstehen kann, den neutralen Duktus kurzzeitig aufzugeben, wenn er nämlich, wie in Beispiel (15), Schwachpunkte in anderen Grammatik-Texten nicht nur erwähnt, sondern ironisierend moniert.