Qualitative Medienforschung

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

Handlungstheorien
FRIEDRICH KROTZ

Der Beitrag beschäftigt sich mit Handlungstheorien in ihrem Bezug zu qualitativen Forschungsmethoden. Dazu werden zunächst Handlungstheorien von anderen sozialwissenschaftlichen Theorien abgegrenzt und ihre Bedeutung für qualitative Verfahren erläutert. Sodann werden Typen von Handlungstheorien voneinander unterschieden, wobei die je mit einer Handlungstheorie verbundene methodologische Orientierung als Unterscheidungskriterium dient – wir unterscheiden quantitativ und qualitativ konnotierte Handlungstheorien. Sodann werden einige der qualitativ konnotierten Handlungstheorien genauer umrissen. Weiter werden dann beispielhaft einige Begriffe wie Rolle und Situation erläutert, mit deren Hilfe derartige Handlungstheorien Handeln konzeptionell fassen. Schließlich wird kurz berichtet, wie und in welchem Zusammenhang sich diese Ansätze in der Kommunikationswissenschaft finden.

Handlungstheorien und ihre Bedeutung für qualitative Methoden

Sozialwissenschaftliche Theorien lassen sich ganz allgemein als aufeinander bezogene Aussagenzusammenhänge begreifen. Als Handlungstheorien werden derartige Theorien bezeichnet, wenn sie von kulturell und gesellschaftlich geprägtem, individuellem Handeln als einer Grundkategorie der Sozialwissenschaft ausgehen, wobei diese Grundkategorie sich empirisch nicht weiter rechtfertigen muss, sondern gesetzt ist. Erleben, Denken, Kommunizieren gelten dann als besondere Formen eines so verstandenen allgemeinen (sozialen) Handelns. Das bedeutet nicht, dass man Handeln und dessen Bedingungen und Konsequenzen nicht empirisch untersuchen kann. Vielmehr rechtfertigt sich jede sozialwissenschaftliche Theorie über empirische Untersuchungen. Aber jede Theorie beruht implizit oder explizit auf grundlegenden, gesetzten Annahmen, und Handlungstheorien beruhen dementsprechend darauf, dass (soziales) Handeln als Fundamentalkategorie angenommen wird.

Sozialwissenschaftliche Theorien, die keine Handlungstheorien sind, lassen sich demgegenüber etwa in Gesellschaftstheorien und Systemtheorien unterscheiden. Gesellschaftstheorien gehen von einer Eigenständigkeit übergeordneter sozialer Phänomene wie etwa dem Begriff der Gesellschaft aus. Systemtheorien stellen ein abstraktes funktionales Prinzip, nämlich das Konzept des Systems in den Mittelpunkt und versuchen, soziales Geschehen von daher zu beschreiben und zu analysieren. Natürlich gibt es auch im Rahmen von Gesellschafts- und Systemtheorien Aussagen darüber, warum und wie Menschen handeln; dann werden aber aus den jeweiligen Basisannahmen abgeleitete oder von irgendwo anders her übernommene Handlungsbegriffe verwendet, denen nur eine abgeleitete Bedeutung zukommt.

Im Rahmen einer Darstellung von empirischen Methoden und Verfahren sind Handlungstheorien wichtig, weil sich qualitative Verfahren vor allem im Zusammenhang mit handlungstheoretischen Konzeptionen sozialer und kultureller Wirklichkeit entwickelt haben und dort auch vor allem angewandt werden. Demgegenüber sind Gesellschafts- und Systemtheorien meist entweder quantitativ orientiert, oder es hängt von der jeweiligen Forschungsperson (oder der Fragestellung) ab, welche Art von Methoden angewandt wird. Allerdings sind natürlich nicht alle handlungstheoretischen Ansätze qualitativ orientiert, wie zu sehen sein wird; wir unterscheiden deshalb methodisch qualitativ konnotierte und quantitativ konnotierte Handlungstheorien.

Arten von Handlungstheorien und ihre Relevanz für Forschungsverfahren

Das Feld der Handlungstheorien ist nur schwer einheitlich beschreibbar. Nach Lüdtke kann man wahrnehmungs- und motivationspsychologische, lerntheoretische, interaktionistische, entscheidungs- und rollentheoretische Handlungstheorien voneinander unterscheiden (Lüdtke 1978, S. 269). Felsch und Küpper (1998) dagegen unterteilen Handlungstheorien danach, ob sie rational oder normativ sind: Zu den Ersteren lässt sich zum Beispiel das Konzept des Homo oeconomicus rechnen, das auf Austauschtheorien und Nutzenoptimierung und damit auf Theorien beruht, die am Handeln als Wählen zwischen Alternativen ansetzen. Ein Beispiel für normative Handlungstheorien liegt mit dem Ansatz des Homo sociologicus und damit beispielsweise mit dem Werk des Strukturfunktionalisten Talcott Parsons vor, der Gesellschaft primär als durch normenbezogenes Handeln konstituiert versteht.

Es gibt also unterschiedliche Konzeptionen von Handeln. Im Hinblick auf das Verhältnis von Handlungstheorien und Forschungsverfahren lassen sich zwei Grundpositionen unterscheiden: Entweder wird Handeln so definiert, dass es von einem unabhängigen Beobachter von außen gültig beschrieben werden kann. Oder es wird davon ausgegangen, dass Handeln allein durch Beobachtung von außen nicht gültig beschrieben werden kann, weil dabei innere Prozesse des Menschen von zentraler Bedeutung sind, die ohne seine Mithilfe nicht verstanden werden können. Im ersten Fall sprechen wir von einer quantitativ konnotierten Definition, im zweiten von einer qualitativ konnotierten. Diese Unterscheidung hängt eng mit der wissenschaftsgeschichtlich wichtigen Unterscheidung zwischen Verhalten und Handeln zusammen, ist aber damit nicht identisch, sie ist vielmehr methodologisch ausgerichtet.

Zum quantitativ konnotierten Typus von Handeln gehören offensichtlich Ansätze von Handeln, die den Menschen als eine Art schwarze Kiste begreifen, die auf äußere Reize unter Rückgriff auf allenfalls mittelbar erschließbare innere Mechanismen reagiert. Die verhaltenstheoretische Soziologie, die zum Beispiel Kommunikation in Gruppen primär nach objektiv feststellbaren Kontakthäufigkeiten untersucht und daraus auf Gruppenstrukturen schließt, ist hier als Beispiel zu nennen. Dennis McQuail (1994) unterscheidet im Feld der Kommunikationswissenschaft vier paradigmatische Arten, wie Kommunikation verstanden wird. Zwei davon fallen unter diesen ersten Typus:

• Kommunikatives Handeln kann als Zuwendung von Aufmerksamkeit des Rezipienten zu medialen Reizen verstanden werden, eine Vorstellung, wie sie die Werbeforschung meist benutzt, weil sie ja die Erregung von Aufmerksamkeit beabsichtigt.

• Kommunikation kann als Transport von Informationen begriffen werden, der zwischen Menschen oder zwischen Mensch und Medium stattfindet.

In beiden Ansätzen sind weder die antizipierenden Aktivitäten bei der Herstellung eines Kommunikats noch das, was als »Verstehen« von Kommunikation bezeichnet wird, Teil des eigentlichen kommunikativen Handelns – was mindestens im Falle zwischenmenschlicher Kommunikation, also der Urform von jeder Kommunikation, eine ausgesprochen reduktionistische Annahme ist. Wenn man diese Position weiter treibt, so wird dann der Verstehensprozess als unerforschbar ignoriert und nach extern feststellbaren Wirkungen gesucht. Auch Theorien, die Handeln auf Wählen zwischen vorgegebenen Alternativen oder Kommunikation auf Selektionsprozesse beschränken, sind diesem Typus zuzurechnen (z. B. Jäckel 1996).

Derartige handlungstheoretische Ansätze beziehen sich im Allgemeinen auf eine quantitative, als objektiviert verstandene Messmethode, wenn es um empirische Forschung geht. Denn Messen setzt eine vom Messinstrument unabhängige und zumindest für den Messvorgang stabile, intersubjektiv feststellbare Wirklichkeit voraus, und genau darauf bezogen definieren solche theoretischen Ansätze Handeln und Kommunizieren.

Demgegenüber geht der Typus der qualitativ konnotierten Handlungstheorien von auf innere Prozesse bezogenen Konzepten wie Sinn und Bedeutung aus, über die Handeln, Erleben, Denken und Kommunizieren erst zustande kommen. Eine wesentliche und immer wieder zitierte Version dieses Verständnisses findet sich in den Arbeiten von Max Weber, einem der so genannten »Klassiker der Soziologie«. Für Weber war Soziologie eine Wissenschaft, »welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will. ›Handeln‹ soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei, ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. ›Soziales‹ Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinen von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und darin in seinem Ablauf orientiert ist« (Weber 1978, S. 9).

Hier wird Handeln als Grundkategorie der Sozialwissenschaft entworfen, das auf Sinn und Bedeutung beruht, die vom Handelnden konstituiert werden. Die Benutzung einer Waschmaschine ist offensichtlich ein Fall sinnvollen Handelns, die Teilnahme an einem Fußballspiel ebenso ein Fall sozialen Handelns wie das Sprechen mit anderen oder die Nutzung von Kommunikationsmedien.

Sinnbezogenes Handeln muss, um in Webers Sprache zu bleiben, deutend verstanden werden, wenn es um empirische Untersuchungen geht. Das geht nicht durch ein als objektiv verstandenes Beobachten, sondern bedarf offener, kommunikativ angelegter Forschungsstrategien. Ein derartiges Konzept von Handeln auf der Basis von subjektiver Sinnkonstruktion unterstellen die beiden anderen, von McQuail (1994) beschriebenen Paradigmen der Kommunikationswissenschaft:

• Das »rezeptionsbezogene Paradigma«: Danach wird Kommunizieren primär durch das Verstehen definiert, ohne das von (geglückter) Kommunikation nicht die Rede sein kann. Verstehen heißt dabei, anschaulich gesprochen, dass der Rezipient die Medieninhalte mit seinen eigenen Vorstellungen und Gedanken zusammenbringt und sich so das Kommunikat aneignet.

• Das »rituelle Paradigma«: Danach wird Kommunikation vor allem als Basis von Gemeinschaft verstanden – dann steht im Vordergrund, dass die Menschen durch ihr Kommunizieren Teil sozialer Gemeinschaft werden. Plakativ ausgedrückt, ist es in diesem Paradigma wichtig, dass man Zeitung liest, nicht, was man darin genau liest.

 

In diesen Fällen muss wissenschaftliche Empirie Kommunikation in ihrem Ablauf rekonstruieren und dabei die Konstitution von Sinn und Bedeutung durch die handelnden Subjekte im Blick haben. Dies ist nur mit qualitativen Erhebungsund Auswertungsmethoden möglich, die grundsätzlich von einer gemeinsamen Wirklichkeit von Forscher und Beforschten ausgeht, durch die Forschung nicht behindert oder verfälscht, sondern erst möglich wird. Damit wird bei diesen beiden Paradigmen grundsätzlich ein Menschenbild unterstellt, das sich von dem unterscheidet, das zu den beiden ersteren Paradigmen gehört: Der Mensch ist Bewohner einer kommunikativ konstituierten symbolischen Welt, die über Sprache und andere Symbolsysteme sozial und kulturell vermittelt hergestellt wird. Im Gegensatz zum pawlowschen Hund, dessen Speichelproduktion durch das Klingeln unmittelbar und automatisch angeregt wird, handeln Menschen im Normalfall nicht automatisch oder rein reaktiv im Hinblick auf beobachtbares Geschehen. Sie handeln vielmehr aufgrund der Bedeutungen, die ein Objekt, ein Geschehen, ein Reiz oder allgemein, ein Zeichen für sie hat. Objekte, Geschehen, Reize sind Zeichen, die für etwas stehen, und dieses individuell bedeutsame, sozial konstituierte Etwas ist relevant für die Art, wie Menschen mit etwas umgehen.

Die Möglichkeit und die Wirklichkeit des Hantierens mit Zeichen und Symbolen auf der Basis von kommunikativ konstituierten Bedeutungen und insbesondere die Sprache trennen im Übrigen den Menschen auf charakteristische Weise vom Tier. Denn der Mensch ist Mensch nur dadurch, dass er bzw. sie über Kommunikation, symbolisch vermittelte Interaktion und über Sprache verfügt, und zwar in einer Elaboriertheit, die kein Tier beherrscht.

Unterschiedliche qualitativ konnotierte handlungstheoretische Ansätze

Den im Folgenden genauer dargestellten handlungstheoretischen Ansätzen liegt nun die Annahme zugrunde, dass Handeln auf der Basis von Sinn und Bedeutung zustande kommt. Insbesondere finden deshalb beim (kommunikativen) Handeln stets auch innere Prozesse statt, ohne die man gar nicht von Kommunikation sprechen kann: Kommunikate müssen etwa von ihren Konstrukteuren im Hinblick auf die anderen Beteiligten antizipierend entworfen werden, und sie müssen von den Rezipienten verstanden werden. Diese Aktivitäten sind deshalb Teil von Kommunikation. Sie können von einem Außenbeobachter nicht »objektiv« beschrieben oder gar verstanden werden. Deshalb müssen derartige Handlungstheorien mit qualitativen Verfahren, die von einer kommunikativ konstruierten Wirklichkeit ausgehen, empirisch untersucht werden.

Fünf unterschiedliche Typen solcher handlungstheoretischer Ansätze sollen kurz skizziert werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass sich diese Ansätze nicht immer scharf voneinander unterscheiden.

1. Symbolischer Interaktionismus

Der durch die Schriften George Herbert Meads (1969, 1973) begründete Symbolische Interaktionismus geht davon aus, dass menschliches Handeln immer auch symbolisches Handeln ist, das im Rahmen einer sozial begründeten und individuell interpretierten Wirklichkeit stattfindet. In Anlehnung an Herbert Blumer, der den oft gescholtenen Begriff des Symbolischen Interaktionismus erfunden hat, kann man diesen sozialpsychologisch begründeten Ansatz auf drei handlungstheoretisch formulierte Grundaussagen zurückführen: Menschen handeln Dingen und Menschen gegenüber auf der Grundlage von Bedeutungen, die diese Dinge bzw. Menschen für sie haben; diese Bedeutungen sind in den Interaktionen der Menschen untereinander für die einzelnen entstanden; und sie werden von den Menschen im Rahmen ihrer Alltags-praktiken gehandhabt und dabei rekonstruiert und weiter entwickelt (Blumer 1967).

Umgekehrt – und darin liegt eine Besonderheit dieses Ansatzes – zeigt Mead, wie der Mensch durch die soziale Gemeinschaft, in der er entsteht, aufwächst und lebt, Kommunikationskompetenz erwirbt und im Zusammenhang damit zu dem Menschen seiner Zeit und Kultur wird, der er ist. Bewusstsein und Selbstbewusstsein, Identität und innere Struktur, Kompetenz und Erfahrung sind demnach durch soziales und kommunikatives, aufeinander bezogenes Handeln entstanden (vgl. auch Burkitt 1991, Burkart 1995, die sich beide auch mit Bezug derartiger Überlegungen zu anderen Theorien beschäftigen).

Wie komplex die damit verbundenen Prozesse sind, zeigen etwa die empirischen Studien von Erving Goffman (1980, 1997), der sich diesem Ansatz zurechnen lässt. Auch das Konzept der parasozialen Interaktion und der parasozialen Beziehungen, das auf zwei Arbeiten von Horton/Wohl (1956) sowie Horton/Strauss (1957) gründet, ist in diesem Rahmen entstanden (und von anderen theoretischen Ansätzen adaptiert worden). Und mit der so genannten Methode der Grounded Theory hat Anselm Strauss (zusammen mit dem nicht symbolischinteraktionistisch orientierten Barney Glaser) ein allgemeines Verfahren der Konstruktion von Theorien entwickelt (Glaser/Strauss 1967) – »Grounded Theory«, weil man damit systematisch und nachvollziehbar in empirischen Daten begründete Theorien gewinnt (die einer weiteren, etwa quantitativen Prüfung nicht mehr bedürfen, vgl. auch Kleining 1995; → Lampert, S. 596 ff.).

2. Phänomenologische Ansätze

Von ihrer klassischen sozialwissenschaftlichen Fundierung her sind sodann hermeneutisch und phänomenologisch begründete Handlungstheorien zu nennen. Phänomenologische Ansätze werden beispielsweise von Harold Garfinkel (1973), Alfred Schütz (1971) sowie Peter L. Berger und Thomas Luckmann (1980) vertreten. Sie gehen davon aus, dass die Menschen ihren Alltag als kreative Methodologen konstituieren und sich den subjektiven Sinn ihres Handelns wechselseitig anzeigen. Dies tun sie in Bezug auf eine Art sozialer Grammatik, an der sie ihr Handeln und ihr Kommunizieren orientieren. Dabei ist diese Grammatik allein natürlich nicht für eine Beschreibung konkreten Handelns ausreichend – wichtig sind zudem die Kontexte, in denen Handeln stattfindet. Auf diese Handlungstheorie bezogene empirische Verfahren sind die Ethnomethodologie und die Konversationsanalyse, die einerseits diese Handlungsgrammatik herausarbeiten, andererseits die Analyse kommunikativ konstituierter Lebenswelten möglich machen. Dabei werden die feststellbaren Phänomene als eine Art Indikatoren begriffen, von denen auf diese sozialen Hintergründe geschlossen werden kann.

Hermeneutische Ansätze (z. B. Hitzler/Honer 1997) gehen demgegenüber davon aus, dass es darauf ankommt, den subjektiven, mit Handlung bzw. Kommunikation verbundenen sozialen Sinn herauszuarbeiten, um soziales Geschehen wissenschaftlich zu erforschen (→ Reichertz, S. 66 ff., → Hagedorn, S. 580 ff.). Sie konzentrieren sich deshalb mehr auf das Problem des Verstehens dieses subjektiven, aber objektiv feststellbaren Sinns, der sich im Handeln und Kommunizieren ausdrückt. Dieser Sinn kann in einem beschreibbaren Verfahren mehr oder weniger intersubjektiv unabhängig festgestellt werden, wobei unterschiedliche Vorgehensweisen zum Einsatz kommen können (Oevermann 1983; Reichertz 1997). Derartige Untersuchungen können allerdings ausgesprochen aufwändig sein, etwa wenn ein Verfahren so angelegt ist, dass zunächst alle möglichen subjektiven Sinndeutungen ermittelt und dann durch Textanalysen die nicht zutreffenden eliminiert werden.

3. Cultural Studies

Als weiterer handlungstheoretischer Ansatz dieses Typs müssen die Cultural Studies Erwähnung finden (→ Winter, S. 86 ff.). Sie werden auf der Basis ihres semiotischen Grundverständnisses der sozialen und kulturellen Welt zu den Handlungstheorien gerechnet, die für die Kommunikationswissenschaft relevant sind. Zwar zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie theoretisch auch auf unterschiedliche Theorien ganz anderer Art Bezug nehmen: insbesondere auf einen modifizierten Marxismus, der am Konzept der Hegemonie von Gramsci ansetzt, auf eine semiotisch begründete Psychoanalyse in Anlehnung an Lacan sowie auf Foucault und den (Post-) Strukturalismus (vgl. z. B. Storey 1998). Jedoch liegt in der darin angelegten Verweigerung einer monolithisch abgeschlossenen Theorie die These verborgen, dass alles Soziale und Kulturelle konkret ist, was sich besonders in der Rezeptionsvorstellung des »Texts are made by the readers« ausdrückt und erkenntlich macht, dass Realität durch das konkrete Individuum in der Gesellschaft hergestellt wird. Im Hinblick auf die empirische Forschung im Rahmen der Cultural Studies werden zwar ganz unterschiedliche Verfahren verwendet, um multimethodisch die Dinge von verschiedenen Seiten her zu beleuchten; dazu zählen auch quantitative Verfahren. Doch kann man sagen, dass ethnographische Forschungsdesigns zusammen mit textanalysierenden Verfahren wie der Diskursanalyse zum Kernbestand der Forschungsmethoden der Cultural Studies gehören und andere Verfahren eine bloß ergänzende Rolle spielen.

4. Strukturelle Anthropologie

Im Anschluss daran ist auf einen mittelbar handlungstheoretischen Ansatz zu verweisen, der durch seine Orientierung an ethnographischen Vorgehensweisen als eine Art strukturale Anthropologie menschlicher Kommunikation verstanden werden kann – dieser Ansatz erschließt sich als eigenständig nur mittelbar, indem man beachtet, wie hier Handeln und Kommunizieren untersucht werden. Der Ethnograph lässt sich auf die Welt ein, insofern er einerseits alltäglich an ihr Teil hat, in ihr handelt und damit den Anspruch aufstellt, Kultur und Gesellschaft durch sein praktisches Handeln mitzugestalten, weil er sich dadurch die Kultur aneignet (Hirschauer/Amann 1997). Andererseits versucht er, Gastkultur und Gastgesellschaft systematisch zu durchdringen und in ihren Sinnzusammenhängen rekonstruktiv zu beschreiben, also die eigene Praxis zu reflektieren. Ethnographie beschäftigt sich dementsprechend mit einer »Vielfalt komplexer, oft übereinander gelagerter oder ineinander verwobener Vorstellungsstrukturen, die fremdartig und zugleich ungeordnet und verborgen sind und die er zunächst einmal irgendwie fassen muss. […] Ethnographie betreiben gleicht dem Versuch, ein Manuskript zu lesen (im Sinne von ›eine Lesart entwickeln‹) […]« (Geertz 1991, S. 15).

Sie ist auf Beobachtung beruhende Interpretation praktischen Geschehens, sodass »dichte Beschreibungen« von Kultur und Gesellschaft entstehen (→ Eichner, S. 112 ff., → Mikos, S. 362 ff., → Winter, S. 588 ff.). Dabei wird »dicht« als etwas verstanden, das im Gegensatz zu der abstrakten Blässe mathematischer oder funktionaler Zusammenhänge steht, mit denen sich quantitative Empirie häufig begnügt. Die basale Unterstellung der Ethnographie ist damit die fundamentale Bedeutsamkeit des alltagspraktischen Handelns für Kultur und Gesellschaft.

5. Weitere handlungstheoretische Ansätze

Schließlich ist auf weitere handlungstheoretische Ansätze zu verweisen, die in der Regel qualitative Forschungsmethoden verlangen: Die Psychoanalyse hat als naturwissenschaftliche Theorie begonnen, beinhaltet aber in vielen späteren Versionen eine eigenständige, qualitativ konnotierte Handlungstheorie, etwa in der auf die Sozialwissenschaften gerichteten Konzeption von Alfred Lorenzer (1972). Lorenzer rückt ein Konzept von szenischem Handeln in den Mittelpunkt, das jenseits von Rationalitäts- und Bewusstheitsannahmen über den Prozess des szenischen Verstehens kommuniziert wird und darüber auch methodisch kontrolliert rekonstruiert werden kann (wenn auch nicht von jedermann zu jeder Zeit). Erwähnenswert sind weiter der an Mead und Moreno anknüpfende Versuch von Hans Joas, deren rollenbezogene Handlungskonzepte zu erweitern, insofern Handeln auch als kreativer Akt deutlich wird (Joas 1989), in dem sich der Mensch realisiert, oder an den Entwurf einer prozessual gedachten Verbindung von Handlungs- und Systemtheorien von Jürgen Habermas (1987) – um nur einige weitere theoretische Konzeptionen zu nennen.

Allen diesen Ansätzen und generell allen handlungstheoretischen Ansätzen gemeinsam ist das Problem, dass es bisher schwer fällt, vom Handeln der Menschen ausgehend die Existenz übergreifender, objektiviert erlebter Strukturen und Phänomene wie die Existenz einer Gesellschaft oder einer Kultur herzuleiten, auch wenn Kultur und Gesellschaft als Handlungsbedingungen beschrieben werden können.