Migration|Integration|Exklusion - Eine andere deutsch-französische Geschichte des Fußballs

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Bilanz und Perspektiven

Ende 2011 führte der damalige Bundespräsident Christian Wulff auf einer Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes aus:

„Im Verein oder auf dem Sportplatz kommen Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und unterschiedlicher Herkunft zusammen. Wer gemeinsam Sport treibt, lernt sich gegenseitig kennen, lernt, sich zu respektieren, zu achten und zu schätzen. Und er erlebt, dass jede und jeder ganz unterschiedliche Fähigkeiten hat und dass der Erfolg der Mannschaft dann besonders groß ist, wenn man diese unterschiedlichen Fähigkeiten und Begabungen optimiert einsetzt. […] Wer Freunde findet unter denen, die ihm fremd waren, hat keine Angst vor ‚Überfremdung‘. Wir können kaum hoch genug schätzen, wie wichtig der Sport für das Zusammenwachsen und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist!"1

Mit Blick auf die langen 1960er Jahre steht außer Frage, dass Sport vor Ort – wie auch andere populärkulturellen Artikulationen und Praktiken2 – einwandernden Arbeitskräften in Frankreich und Westdeutschland durchaus Chancen auf Anerkennung und Teilhabe geboten haben. Nicht weniger auf der Hand liegt freilich, dass die schon damals optimistischen Diskurse aus den Chefetagen von Spitzenpolitik und Sportverbänden über Sport als Integrationsmedium par excellence keineswegs deckungsgleich waren mit den fußballerischen Praktiken und Erfahrungen im Amateurbereich.

Sobald Sonntagsreden und Absichtserklärungen heruntergebrochen sind auf die lokale und regionale Ebene bereits bestehender Vereinsstrukturen oder neu begründeter Migrantenteams, verschwimmen die Konturen schwarz-weißer Zuschreibungen wie „Integration oder Identität“3 zugunsten von Grautönen, die ambivalentere, komplexere und konfliktträchtigere Realitäten signalisieren. Zugleich legt die Bandbreite unterschiedlicher Vor-Ort-Verhältnisse in beiden Ländern nahe, dass das sportliche Mit- und Gegeneinander sowie die Repräsentationen, die sich in den langen 1960er Jahren daran knüpften, mehr Analogien zwischen Frankreich und Westdeutschland offenbaren als dies der Verweis auf einwanderungsgeschichtliche Differenzen gern anempfehlen möchte. Denn trotz beträchtlicher Differenzen in den nationalen Migrationstraditionen, Integrationsmodellen, Selbstverständnissen und politisch-kulturellen Kontexten deutet vieles darauf hin, dass es grenzüberschreitend recht ähnliche Muster und Strategien, Chancen und Schranken „indirekter fußballerischer Integration“ gegeben hat, nicht zuletzt im sozio-kulturellen Umfeld der Migrantenclubs beider Länder. All dies, auch der Abgleich mehr oder weniger liberaler Umgangsformen und Reaktionsmuster der Mehrheitsgesellschaften im Umgang mit Fremdem, wäre noch breiter und systematischer zu untersuchen.

Zu keinem Zeitpunkt und an keinem Ort der Geschichte glich die Integration von Migranten*innen einem schlichten Automatismus, der problemlos von Mustern technisch-verhaltensfunktionaler Akkomodation über eine wert- und verhaltensmodifizierende Akkulturation in eine partikularismusfreie Assimilation gemündet wäre. Stets – so die jüngere historische Forschung im Konsens – war Integration ein schwieriges und komplexes Unterfangen und eine Sache der langen Dauer, die mit vielfältigen Parametern zusammenhing: gewiss mit dem Herkunftsmilieu zugewanderter Individuen oder Gruppen, mit Geschlecht, Religion, Gesellschaftsstatus, Lebensstandard, Familienstruktur und Aufenthaltsdauer, mit Handlungsstrategien, Gelegenheitsstrukturen und Teilhabechancen, die wiederum eng an das mehrheitsgesellschaftliche Aufnahmemilieu gekoppelt sind sowie an die politisch-administrativen, sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Rahmenbedingungen vor Ort.4 Dabei waren freilich Zuwanderer*innen nie einfach nur passive Opfer vorgefundener Verhältnisse oder medienvermittelter Etiketten, sondern immer auch Akteure mit gewissen Margen für das Aushandeln der Grenzen von Integration und Eigensinn im Zeitverlauf. Es mochte sich um unbewußt an den Tag gelegte Verhaltensmuster oder um bewusst verfolgte Strategien handeln, um wirtschaftliche, gesellschaftliche, politische oder psychologische Mehrwerte für die eigene Lebenssituation oder die der Kinder zu generieren. Auch im Fußball der langen 1960er Jahre war es jedenfalls für die Arbeitsmigranten zentral, letztendlich „acteurs de leurs choix“5 zu bleiben.

Der Beitrag zielte darauf, einige Aspekte des bislang wenig untersuchten Verhältnisses von Arbeitsmigration und Amateurfußball für die bundesdeutschen und französischen 1960er Jahre unter transnationalen Gesichtspunkten darzulegen. Zudem ging es darum, sein Erkenntnispotenzial als zeithistorisches Forschungsfeld zu unterstreichen und empirische Fallstudien anzuregen, für die sich besonders eine regionale Betrachtungsebene entlang der deutsch-französischen Grenze anböte.6 In diachroner Perspektive könnten schließlich entsprechende Untersuchungen zur ersten Generation südeuropäischer Arbeitsmigranten*innen der zweiten Nachweltkriegszeit einen Beitrag leisten, aktuelle, vielfach unter alarmistischen Vorzeichen geführte Debatten über ein gedeihliches Zusammenleben von Menschen aus Migrationskontexten und der deutschen bzw. französischen Aufnahmegesellschaft zu historisieren und die vorgeblich neue Qualität heraufbeschworener Szenarien zu relativieren. Bei aller Vorsicht, nicht einfach aktuelle Sachlagen mit historischen Phänomenen gleichzusetzen oder künstliche Kontinuitäten zu konstruieren, erlaubt doch ein zeitgeschichtliches Perspektivieren, das rasch beschworene katastrophal Andere und qualitativ Neue einer Konstellation auf seinen realen Gehalt hin abzuklopfen.7 Etliche zeitgenössische Debatten – über radikales Fremdsein der zuletzt Gekommenen, über wohnräumliche Konzentration, kulturelle Abkapselung oder integristische Religionspraktiken – ähneln den früheren durchaus. Dazu zählt auch die anhaltende Kontroverse über Relevanz, Symbolkraft und Effekte herkunftshomogener bzw. monoethnischer Fußballvereine.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen

Bundespräsident Christian Wulff auf der 7. Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes am 03.12.2011 in Berlin, www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Christian-Wulff/Reden/2011/12/111203-Deutscher-Olympischer-Sportbund.html (letzter Zugriff am 14.01.2016).

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Integration und Exklusion, Eigensinn und Pragmatismus

Fußball im Grenzraum Saarland/Moselle als Inszenierungsraum

Bernd Reichelt

Integration durch „Kicken“: Saargemünd im März 1903

Im März 1903 wurde in der lothringischen Kleinstadt Saargemünd (frz. Sarreguemines), fünfzehn Kilometer saaraufwärts von Saarbrücken gelegen, der Saargemünder Fussballclub gegründet.1 Es war einer der ersten eigenständigen Fußballvereine im damaligen Bezirk Lothringen, aber auch im saarländisch-lothringischen Grenzraum.

Saargemünd war für seine Keramikproduktion berühmt und hatte als deutscher Verwaltungssitz einen hohen Bedeutungszuwachs erfahren. Auch wenn die Stadt weiterhin einen lothringischen Charakter hatte, so war die zunehmende kulturelle und demografische Germanisierung der Stadt – rund drei Jahrzehnte nach dem Ende des deutsch-französischen Krieges und der damit verbundenen Zugehörigkeit zum Deutschen Reich – nicht zu übersehen. Dies galt auch für den noch jüngeren Bereich des Sports. Erster Vorsitzender des Saargemünder Fussballclubs wurde der 37-jährige Lehrer Karl Fischer aus dem saarländischen Ort Schaffhausen bei Saarlouis. Die Vereinsstatuten wurden am 6. Mai 1903 vom Bezirkspräsidenten in Metz genehmigt und der Club diente in erster Linie der Freizeitbetätigung. Die Statuten – hier in Auszügen – können als exemplarisch für neu gegründete Sport- und Fußballvereine um die Jahrhundertwende gelten:

§1: Der Saargemünder Fussballclub bezweckt die Kräftigung und die Entwickelung (sic!) des Körpers durch die Pflege und Förderung der Jugendspiele insbesondere des Fussballspiels, sowie des athletischen Sportes.

§16: Politische wie religiöse Unterhandlungen sind strengstens ausgeschlossen.

§21: Die Vereinskleidung besteht bei Wettspielen aus schwarzen Hosen, weissem Trikot und weisser Mütze.2

Bei den 22 Gründungsmitgliedern handelte es sich um Selbstständige, Kaufleute und Angestellte, die sich sonntags auf dem Exerzierplatz trafen, um dort Fußball zu spielen. Zehn Gründungsmitglieder stammten aus dem sogenannten „Altreich“. Mit „Altreich“ wurde zeitgenössisch zwischen dem „neuen“ Reichsland Elsass-Lothringen und dem übrigen „älteren“ Deutschen Reich unterschieden. Von diesen zehn Männern wiederum stammten drei aus dem nahen Saarrevier, aus Sankt Johann, Dudweiler sowie aus Schaffhausen bei Saarlouis.3 Die anderen zwölf Mitglieder waren Lothringer und stammten aus Saargemünd selbst.4 Als exemplarisch kann die Vereinsgründung auch deshalb gelten, weil ihr keine lange Lebensdauer beschienen war. Der Verein hinterließ keine weiteren Spuren und vermutlich ging er in einer anderen Vereinigung auf. Eine größere Bedeutung erhielt der wenige Monate später ebenfalls in Saargemünd gegründete Fussball-Club Wodan. Auch hier bildeten Migranten aus dem „Altreich“ und Einheimische jeweils etwa die Hälfte der Gründungsmitglieder.5 An die Pionierjahre des Fußballsports in Saargemünd in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts erinnerte sich das Gründungsmitglied Jean Dimofski im Jahr 1922, als er in der Festbroschüre anlässlich eines Sportfestes festhielt:

 

„Um 1900 datiert auch die Einführung des Fussballs in Sarreguemines. Schüler der Höheren Lehranstalten waren es, die der neuen Idee hier Eingang verschafften. (…) Obwohl die Aufnahme des Sportgedankens in Sarreguemines keine verheissende war, konnten die genannten allmaehlich einen grösseren Kreis um sich schliessen, und 1905 ward der ‚Fussball Klub-Wodan‘ gegründet. Killet, der erste Präsident des Vereins leitete dessen Geschicke bis zum Kriegsausbruch und sah seine Mannschaft nacheinander auf den verschiedenen Plaetzen Exerzierplatz, Barackenplatz, Alter Kasernenplatz, Utzschneiderwiese, ihre Wettspiele austragen, allmaehlich das Publikum sich heranziehen und gegen 1914 eine geachtete Stellung unter den lothr. Sportvereinen einnehmen.“6

Die Entwicklung in Saargemünd verlief in anderen größeren lothringischen Orten in ähnlicher Weise. Schon bald wurde Saargemünd von Metz in seiner sportlichen Bedeutung abgelöst. Die Hauptstadt des Bezirks Lothringen wurde zur Drehscheibe für die Entwicklung des lothringischen Fußballs. Auch hier waren Vereine vor allem von zugewanderten Lehrern und Kaufleuten gegründet worden. Schüler und Studenten brachten das Spiel in die umliegenden Dörfer und Industrieorte.7 1905 wurde das Jahr der Vereinsgründungswelle. Nicht nur in Lothringen, viel stärker noch im Saarrevier, das damals territorial teilweise zu Preußen oder Bayern gehörte. 1907 wurde im Süddeutschen Fußballverband, der damals Verband Süddeutscher Fußballvereine hieß, der Saargau gegründet. Ihm gehörten Fußballvereine von Metz über Saarbrücken und Neunkirchen bis Trier an. Bald schon entwickelte sich ein Ligabetrieb auf mehreren Ebenen. Der Wettkampfbetrieb nahm zu, die Vereine befanden sich auf Wachstumskurs. Mit dem Zweiten Vorsitzenden stammte zudem ein prominenter Vertreter aus dem Saargau: Ludwig Albert war Rechtsanwalt in Metz.8

Was zeigt diese Episode aus der Gründerzeit des Fußballsports auf? In Hinblick auf das Wesen des Fußballsports, seinen Eigensinn, seine Funktion? Für die Gründerzeit in Lothringen stellte Alfred Wahl fest, dass die Sportvereine Orte der Integration für die Bevölkerung gewesen seien.9 Hier kam es tatsächlich zu einem sozialen Miteinander der eingewanderten „Altdeutschen“ und der Einheimischen. Zugleich kam es aber auch zur Herausbildung einer segregierten, exklusiven bürgerlichen Fußballvereinskultur, die sich ihrerseits auch wieder abgrenzte zu anderen Vereinen oder auch von anderen Akteuren ausgegrenzt wurde.