Historische Begegnungen

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Nervenkrieg mit den Eidgenossen

Für diese Kraftprobe wegen der Tauffrage hätten Conrad Grebel und Felix Manz keinen schlechteren Zeitpunkt finden können. Trotz den erfolgten Todesurteilen Ende September 1524 schien der Ittinger Sturm vom Juli für die Innerschweiz noch längst nicht erledigt. Schon die durch die Reformation möglich gewordenen Hochzeiten von Nonnen und Pfaffen sowie die bäuerlichen Zehntenstreiks, erst recht aber die als Frevel gewertete Verbrennung der Heiligenbilder waren für viele Eidgenossen nicht nachvollziehbar.

Am 25. Februar 1524 hatte Papst Clemens VII. in einem Schreiben an die eidgenössische Tagsatzung zur «Vertilgung der Häretiker» aufgerufen und zum Kampf gegen «das Treiben der unfrommen Geistlichen». Ein erneutes päpstliches Schreiben am 19. April 1524 warnte vor dem «Pestgift, das in die Seelen der Gläubigen gesät» werde. Unverhohlene Morddrohungen gegen Zwingli wurden aus Zug und Luzern gemeldet. Das alles wurde in Zürich bekannt. Die Spaltung der Eidgenossenschaft drohte.

Eine Panik in Rapperswil im November 1524 schien den Krieg schliesslich unvermeidlich werden zu lassen. Auf einmal wurde herumerzählt, Zürich stehe kurz davor, mit zwei Kriegsschiffen – andere sprachen von vier oder fünf Schiffen, alle mit Geschützen gerüstet – in See zu stechen, um Rapperswil zu bekriegen. In Luzern wurden Truppenaushebungen in einem nie vorher erfolgten Ausmass vorgenommen.

Möglicherweise ging die Rapperswiler Panik auf ein Durchsickern geheimer Zürcher Strategiestudien zurück. Der sogenannte Plan zu einem Feldzug, bei dessen Formulierung Zwingli offenbar einen gewichtigen Anteil hatte – die Schrift gilt als Teil seiner gesammelten Werke –, enthielt zahlreiche diplomatische Schritte und sah für den Fall eines Angriffs des Gegners vor, diesen mit einem «Gegenzug» in sein unverteidigtes Gebiet zu treffen. Geplant wurde auch eine – monströse – Blitzaktion zur Entführung der Frauen und Kinder der Mächtigen im Hauptort Schwyz. Lastete Zwingli womöglich dieses mutmassliche Informationsleck insgeheim gar Junker Jakob Grebel an, dem Vater Conrad Grebels?

Nur die aussenpolitische Konstellation verhinderte den Ausbruch eines offenen Religionskriegs schon zu jenem Zeitpunkt: Die katholischen Eidgenossen hatten Tausende von Kriegern als Söldner auf Seiten des französischen Königs in Italien stehen, der das Herzogtum Mailand wieder in seine Gewalt zu bringen suchte. Dadurch waren den Innerschweizern einstweilen die Hände gebunden.

In der Schrift «Wer Ursache gebe zu Aufruhr» spitzte Zwingli seine strikten Gehorsam einfordernden Argumente im Dezember 1524 noch zu. Seinen radikalen früheren Anhängern warf er polemisch «Affenspiele» vor. «Mal wollen sie keine Obrigkeit haben; mal wollen sie die Obrigkeit haben; doch sei keiner ein Christ, welcher ein Oberer sei. Bald wollen sie eine eigene Kirche haben […] Und solche Affenspiele bringen sie täglich mehr hervor als Afrika seltsame Tiere.» Wohl speziell an Conrad Grebel gerichtet, dessen melancholische Seite er stets für eine Schwäche gehalten hatte, schrieb Zwingli in Aufkündigung der letzten verbliebenen Freundschaft: «Und heisst sie das ein armes, verwirrtes, bitteres Gemüt: spiritus, Geist, der doch nicht anderes ist als ein saturnisches, melancholisches Fleisch […].»

Damit waren die Eidgenossen keinesfalls zu beruhigen. Das wurde offenkundig, als die Gesandten der sechs Orte Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug und Freiburg an der Tagsatzung in Bern vom 30. Dezember 1524 den übrigen eidgenössischen Orten eine «Instruktion» übergaben, in der sie die Abstrafung weiterer Verantwortlicher für den Ittinger Sturm verlangten. Dieses Schreiben las sich wie eine letzte Mahnung vor einer Kriegserklärung. Darauf begaben sich die Gesandten von Bern, Glarus, Basel, Solothurn, Schaffhausen, Appenzell und St. Gallen am 13. Januar 1525 nach Zürich, um zu schlichten.

Verbote und Verfolgung

Ausgerechnet in dieser brenzligen Lage um die Jahreswende 1524/25, als der Zürcher Rat und ihr erster Prediger Zwingli peinlich darauf achteten, keinen weiteren Anlass zur Verstimmung der Eidgenossen zu geben, verlangten Conrad Grebel und seine Freunde, von politischen Rücksichten unbekümmert, die Abschaffung der Kindertaufe. Sie predigten gegen eine Wand der Ablehnung. Am 18. Januar 1525 stellte der Zürcher Rat die Verweigerung der Kindertaufe und jede Aufforderung zum Verzicht auf sie unter Strafe. Die erste Taufdisputation, die am Vortag, dem 17. Januar 1525, stattfand, war ergebnislos verlaufen.

Am 21. Januar 1525 schliesslich, acht Tage nach dem Besuch der gemässigten Gruppe der Eidgenossen, belegte der Zürcher Rat die Gruppe der jungen Radikalen ihrer abweichenden Meinung wegen mit einem Versammlungs- und Redeverbot. Sie hatten nicht nur eine eigene Bibelschule unterhalten und öffentlich bei jeder Gelegenheit disputiert, sondern unterhielten engste Kontakte zu den zwei in Kirchenfragen rebellischsten Landgemeinden – Witikon, hoch oberhalb der Stadt gelegen, und Zollikon, der stadtnächsten Gemeinde am See. Nun sollten die Nichtzürcher unter ihnen des Landes verwiesen werden, darunter der Prediger Wilhelm Reublin, den die Witikoner Bauern selbst eingestellt hatten und Johannes Brötli, der in Zollikon radikal-evangelisch predigte.

Ebenfalls in jenen Tagen, am 6. Januar 1525, hatte Conrad Grebels Frau Barbara eine Tochter geboren: Rachel. Sie sei «noch nicht in dem Römischen Wasserbad getauft und geschwemmt», meldete Conrad seinem Schwager Vadian am 14. Januar 1525 herausfordernd. Ahnungsvoll hatte er ihm bereits am 15. Dezember 1524 geschrieben: «Ich meine nicht, dass Verfolgung ausbleiben wird.»

Nach jenem Verbot vom Samstag, 21. Januar, kamen die Radikalen ein letztes Mal in der Zürcher Wohnung von Felix Manz und dessen Mutter Anna Manz zusammen – ob noch am selben Abend oder einem der folgenden Tage ist nicht bekannt. Da kniete Blaurock, ein verheirateter ehemaliger Priester aus Graubünden, der erst seit wenigen Wochen in Zürich wohnte und eigentlich Georg Cajacob hiess, vor Conrad Grebel nieder und bat darum, so wie es in den Evangelien von Johannes dem Täufer und Jesus geschrieben stand, von ihm getauft zu werden. Mit dabei waren auch der Bündner Andreas Castelberger, Zwinglis langjähriger Buchhändler, sowie der Zürcher Bäcker Heinrich Aberli und zahlreiche andere. Conrad Grebel erfüllte Blaurocks Bitte, goss ihm anscheinend mit einer Schüssel Wasser über das oben kahle Haupt mit den am Rand noch langen, schwarzen Haaren und vollzog das Ritual, das fortan ihren Zusammenhang stiften sollte. Darauf erhob sich Blaurock und taufte alle übrigen. Ohne priesterliche Weihe zogen Conrad Grebel und Felix Manz fortan predigend und taufend über die Lande.

Zwar brachte die blutige Niederlage des französischen Heers und der eidgenössischen Söldner in der Schlacht bei Pavia am 24. Februar 1525 eine vorübergehende Entspannung der Kriegsgefahr. Der entscheidende Schlagabtausch erfolgte schliesslich 1529 und 1531 in den beiden Kappeler Kriegen. Im zweiten fand Zwingli auf dem Schlachtfeld bekanntlich den Tod.

Doch das vorübergehende Nachlassen des eidgenössischen Drucks auf Zürich im Jahr 1525 blieb für die Auseinandersetzung zwischen den Täufern und Zwingli selbst folgenlos. Seit dem 18. Januar 1525 drohte denen, die tauften oder sich taufen liessen, die Verbannung. Das wurde im Ratsbeschluss vom 11. März 1525 bestätigt und blieb auch so nach der erneut ohne eine Annäherung der Standpunkte verlaufenen zweiten Taufdisputation vom 20. März 1525. Doch faktisch wurde die Strafe gegen die «Wiedertäufer», wie sie nun polemisch genannt wurden, bereits verschärft: Der Zürcher Felix Manz, der seit Anfang Februar gefangen war, ebenso wie viele andere aus Zollikon, die nicht widerrufen wollten, kamen in unbefristete Beugehaft – zunächst wurden sie wegen ihrer grossen Zahl im ehemaligen Augustinerkloster eingesperrt.

Conrad Grebel blieb zunächst in Freiheit, weil er Ende Januar nach Schaffhausen auswich – «betrübt, aber in Christo», wie ein Mitstreiter über ihn berichtete. Dort feierte er als Laie Abendmahl, indem er ein Brot zerschnitt und verteilte. Willige taufte er im Rhein – offenbar aber erst, nachdem Wolfgang Uoliman, ein ehemaliger Klosternovize und seit Jahren auf Seiten der Reformation, Grebel dazu gedrängt hatte, wie es der Chronist Kessler überliefert hat.

In St. Gallen dann, wo Mitstreiter schon erfolgreich vorgearbeitet hatten, zog Conrad Grebel am Palmsonntag, 9. April 1525, mit einer Volksmenge vor die Tore der Stadt und taufte eine grosse Zahl Menschen, die sich aller Kleider entledigten und mit ihm in die Sitter, den örtlichen Fluss, stiegen. Auf diese Wassertaufe geht auch Grebels Ausspruch zurück, mit dem er angeblich Diskussionen mit Gegnern aus dem Weg ging: Er forderte sie nämlich auf, «nackt» zu ihm zu kommen, wenn sie mit ihm reden wollten – das hiess für ihn so viel wie: zuerst das sündige Leben ganz hinter sich zu lassen.

Als der Druck auf die Täufer auch in St. Gallen zunahm, begab sich Grebel wieder nach Zürich zu seiner Frau – und hielt sich eine Zeit lang vorsorglich zurück. Vermutlich war ihr erwähntes drittgeborene Kind, die Tochter Rachel, die er nicht dem «römischen Wasserbad» hatte ausliefern wollen, während seiner Abwesenheit gestorben. Getauft? Es ist möglich, dass der Ehestreit um die Seele von Rachel mit ein Grund war, weshalb er Zürich verlassen hatte.

Zu einem neuen Streit der Eheleute kam es, als Manz nach einigen Wochen aus der Haft flüchten konnte und bei ihnen anklopfte. Wann genau, lässt sich nicht bestimmen – es gibt zwar einen Brief Conrad Grebels an den Buchhändler Andreas Castelberger, der die Vorgänge schildert, aber der trägt kein Datum. Vermutlich erfolgte dieser erste Gefängnisausbruch Ende April oder Anfang Mai 1525. Felix Manz durfte sich eine Nacht lang bei Conrad und Barbara Grebel verstecken, doch in der darauffolgenden Nacht wollte Conrad Grebel den Freund Manz auf seiner Flucht begleiten und wieder in den Untergrund gehen. Seine Frau Barbara vereitelte es, indem sie bei ihrem Schwiegervater Junker Jakob Grebel «kein geringes Trauerspiel» verursachte, wie Conrad Grebel an Castelberger schrieb. Manz floh allein und wandte sich nach Graubünden, in die Heimat des längst ausgewiesenen Blaurock, um mit ihm weiter zu predigen. Aber die Stadt Chur fasste ihn – in einem Schiff wurde Manz schliesslich am 18. Juli 1525 nach Zürich ausgeliefert.

 

Inzwischen hatten die verbliebenen Zollikoner Täufer – vermutlich am Sonntag, 11. Juni 1525 – eine aufsehenerregende, endzeitliche Bussdemonstration in Zürich durchgeführt, über die Zwingli in seinem Buch «Elenchus» berichtete: Auch Frauen und Kinder nahmen teil, statt eines Gürtels trugen sie «eine Weidenrute oder einen Strick um die Lenden». «Auf den Strassen riefen sie schauerlich: Wehe, wehe! Wehe Zürich! Einige gaben, Jonas nachahmend, der Stadt noch eine vierzigtägige Frist.» An jenem Tag war wegen der anhaltenden Unruhen auf der Landschaft eine Anfrage bei den Zünften und den Landgemeinden angesetzt worden – die Überraschung war also vollkommen.

Am Montag, 12. Juni, erliess der Zürcher Rat ein Verbot solcher Umzüge und ordnete Folgendes an: eine kleine Gruppe von Ratsleuten erhalte die Vollmacht, die Wachen an den Toren und auf dem Rathaus je nach Lage zu verstärken und Massnahmen zu ergreifen, wenn die Täufer aus Zollikon mit ihren Frauen und Kindern – zu ergänzen wäre wohl: wieder – in die Stadt hineinkämen «und über ein statt Zürich o we unnd derglich schrygen weltind». Gleichentags wurde auch Castelberger mit seiner Frau und den Kindern auf ein Schiff gesetzt und verbannt. Da er an einer Krücke ging, war die schon am 21. Januar verfügte Ausweisung mehrfach hinausgeschoben worden.

Bei der Räumung von Castelbergers Wohnung muss jener undatierte Brief, den Conrad Grebel ihm über die Umstände der Flucht von Manz geschrieben hatte, den Ratsherren in die Hände gefallen sein. Auf jeden Fall floh Grebel aus der Stadt. War es Castelberger noch gelungen, ihn zu warnen? Oder hatte Conrad Grebel die Bussdemonstration mitorganisiert und musste ohnehin eine Verhaftung befürchten?

In Abwesenheit wurde nunmehr auch eine Untersuchung gegen Conrad Grebel durchgeführt. Währenddessen trat er selbst in den Zentren des Bauernaufstands auf, unter anderem in Hinwil im Zürcher Oberland, predigte und las aus den Evangelien. Aufgefordert, sich zu stellen, verlangte Conrad Grebel freies Geleit – es wurde ihm nicht gewährt, und sein Bote wurde verhaftet, zusammen mit vieren aus Zollikon, die sich, anders als er, guten Glaubens im Zürcher Rathaus eingefunden hatten.

Die bäuerlichen Forderungen im Deutschen Bauernkrieg, vor allem die Zwölf oberschwäbischen Artikel, die zwischen dem 28. Februar und dem 3. März 1525 verfasst worden waren und einen klar evangelischen Anspruch hatten, wirkten auf jene Artikelbriefe zurück, welche die Zürcher Bauern Ende April, Anfang Mai 1525 erhoben, im Anschluss an die Besetzung der Klöster Rüti und Bubikon im Zürcher Oberland, 23. bis 25. April 1525. Die schwere Niederlage der deutschen Bauern blieb ebenfalls nicht ohne Rückwirkungen – Zürich nahm sich mit der Beantwortung der bäuerlichen Beschwerden plötzlich viel Zeit und lehnte die allermeisten Forderungen ab. Nur in der Frage des Kleinen Zehnten kam die Stadt den Bauern entgegen, und die Leibeigenen, die der Stadt Zürich gehörten, wurden für frei erklärt, mit Ausnahme derjenigen aus der Landvogtei Grüningen im Zürcher Oberland, die dadurch für die Klosterbesetzung bestraft werden sollten. Sie blieben unfrei, genauso wie die Leibeigenen aller übrigen Herren, deren Rechte Zürich schützte.

Felix Manz wurde am 7. Oktober 1525 überraschend aus der Haft entlassen. Fast scheint es, als hätten die Behörden ihn ohne sein Wissen dazu verwenden wollen, sie auf die Spur Conrad Grebels zu führen – der im Zürcher Oberland unter den enttäuschten Bauern grossen Zulauf fand. Denn schon einen Tag später, am 8. Oktober 1525, gelang der Zugriff auf Conrad Grebel und auf Blaurock, der inzwischen in die Zürcher Landschaft zurückgekehrt war. Truppen wurden bereitgestellt, um gegebenenfalls mit Zürcher Kriegsschiffen nach Zollikon gebracht zu werden («wann sie erfordert werden»). Felix Manz selbst konnte sich zwar der Verhaftung entziehen und versteckte sich im Wald oberhalb von Bäretswil in der seither so genannten «Täuferhöhle», doch am 31. Oktober 1525 wurde auch er gefasst.

In der dritten Taufdisputation, die vom 6. bis 8. November 1525 mit den Gefangenen durchgeführt worden war, erhielten sie wegen ihrer früheren Klage, Zwingli lasse niemanden zu Wort kommen, freie Redezeit. Die Veranstaltung im Grossmünster glich trotzdem eher einem öffentlichen Gerichtsverfahren – die Täufer wurden für überwunden erklärt und, da sie sich weigerten zu widerrufen, in Haft behalten.

Hinrichtung der Täufer in der Limmat

In der publizistischen Kontroverse zwischen Luther und Thomas Müntzer nahmen Conrad Grebel und seine Freunde klar Stellung für Letzteren. In der Frage der Gewalt aber entschieden sich die Zürcher Täufer für eine gänzlich andere Position als Müntzer und ermahnten ihn: «Man soll auch das Evangelium und seine Anhänger nicht mit dem Schwert schirmen, und sie sollen es auch selbst nicht tun […].» Doch genau dies macht die Theologie von Conrad Grebel und seinen Freunden zu etwas ganz eigenem: In ihr vereinten sich ein radikal pazifistischer und ein sozialrevolutionärer, obrigkeitskritischer Zug. Zwingli erklärte später gegenüber dem Rat, Grebel habe mehr als einmal auf ihn eingeredet, «dass alle gemeinsamen Dinge gemeinsam sein müssen» – das heisst, gemeinhin allen gehören sollten.

Auffällig ist, dass der eingangs geschilderte spektakuläre Ausbruch der Täuferinnen und Täufer aus dem Neuen Turm direkt an der Stadtmauer 14 Tage nach einer drastischen Strafverschärfung für Täufer erfolgte – ein Ratsmandat vom 7. März 1526 hatte erstmals die Todesstrafe durch Ertränken für diejenigen festgelegt, die weiterhin die Erwachsenentaufe vollzogen. Zwingli, der ja seitens der Eidgenossen selbst mit dem Tod bedroht wurde, billigte das neue Mandat und schrieb gleichentags an Vadian: «So hat sich endlich die lang genug auf die Probe gestellte Geduld erschöpft. Umsonst hat Dein Schwiegervater [Junker Jakob Grebel] den Rat um Erbarmen angefleht.»

Doch diese neue kurze Freiheit der beiden «Erzwiedertäufer» Grebel und Manz, wie sie der Chronist und Zeitgenosse Johannes Kessler nannte, führte die von ihnen erhoffte Wende nicht herbei: Conrad Grebel erlag schon im Sommer 1526 der Pest, und am 5. Januar 1527 wurde in der Zürcher Limmat mit der Todesstrafe an Felix Manz von Zwingli ein schauderhaftes Exempel statuiert.

Folgenreich war, dass sich Zwinglis harte Haltung gegen die Täufer aus seiner theologischen Erwählungslehre (Prädestination) speiste und er das gefällte Urteil als Ratschluss Gottes hinstellte: «Ich bedaure die unverbesserliche Kühnheit dieser Leute sehr, […] aber wir sind nicht Gott, dem es nun einmal gefällt, auf diese Weise zukünftigem Unheil vorzubeugen […]», schrieb er Vadian am 7. März 1526, als die Todesstrafe für neu Taufende und neu Wiedergetaufte beschlossen wurde. Und an den Basler Reformator Oekolampad schrieb er am 3. Januar 1527, zwei Tage vor dem Vollzug der Todesstrafe an Conrad Grebels bestem Freund Felix Manz: «die Wiedertäufer», die schon längst «zu den Raben» hätten geschickt werden sollen, störten «bei uns die Ruhe der Frommen». «Aber ich schätze, das Beil ist angesetzt. Der Herr stehe seiner Kirche bei! Amen.»

In seinem Werk «Elenchus» vom Juli 1527 erinnert er sich, wie die Täufer in einem der zahlreichen Gespräche mit ihm forderten, «wir müssen uns Christus in allem angleichen», worauf er replizierte: «Wer stellt das in Abrede?» Sie «aber», so schrie er sie an, seien «Wölfe und Pseudoapostel».

Reformatorischer Terror

Zwischen dem Tod der beiden Freunde lag die Hinrichtung von Conrad Grebels Vater am 30. Oktober 1526, nach einer Farce von Prozess. Vorangegangen war ein weiterer Höhepunkt des rhetorischen Kriegs zwischen katholisch gebliebenen Eidgenossen und Zürich. Der Badener Disputation der XII Orte vom 25. Mai bis 8. Juni 1526, die Züge eines Ketzergerichts trug, blieb Zwingli zwar mit guten Gründen fern, wenn er nicht wie einst der böhmische Reformator Jan Hus in Konstanz auf dem Scheiterhaufen enden wollte. Zwinglis Lehre aber wurde erwartungsgemäss verworfen – und jener des in England 1384 hingerichteten John Wyclif und des 1415 verbrannten Jan Hus gleichgestellt.

Zwingli stand unter grosser Anspannung. Wie sein Brief vom 31. März 1525 an Vadian zeigt, überschritt er auch regelmässig seine eigenen Grenzen: «Ich schreibe eben mitten in so viel Arbeit und bei derartigem Kopfweh, dass, wenn ich nicht die Feder vorwärts laufen sähe, ich fast nicht mehr wüsste, was eigentlich geschieht.» In anderen Briefen setzte er nach dem Datum ein Komma und die Bemerkung: «bei der Kerze».

Zudem waren am 28. August 1525 in Zwinglis erst wenige Monate zuvor neu bezogener Wohnung bei einem nächtlichen Angriff mit ausgegrabenen Pflastersteinen die Scheiben eingeschlagen worden. Die betrunkenen Bewaffneten riefen ihm laute Drohungen zu. Im April 1524 war er mit der Witwe Anna Reinhart, die er schon seit Längerem kannte, die Ehe eingegangen, und seit Juli 1524 hatten sie eine kleine Tochter, Regula. Einer der Täter, ein Zürcher Weber, war in der Limmat schwimmend aus der Stadt entkommen. Ein zweiter der nächtlichen Frevler, von Beruf Metzger, kam nach dem Folterverhör und kurzer Haft im Turm frei. Das erregte Zwinglis Unwillen, denn in den unbekannten anderen Steinewerfern vermutete er Verräter mit Verbindungen zu einer versteckten Opposition im Rat. Zwingli nutzte diesen nächtlichen Vorfall, um eine Hebelwirkung gegen diese vermuteten oder nur vermeintlichen geheimen Gegner unter den Ratsherren zu erzielen. Zu ihnen zählte er offenbar schon damals auch den Vater Conrad Grebels – wie zutreffend oder unzutreffend Zwinglis Verschwörungstheorie auch immer war.

Bereits im Juli 1525 während der Untersuchung gegen den flüchtigen Conrad Grebel lautete einer der Hauptvorwürfe, dieser habe im Zürcher Oberland das Gerücht verbreitet, Zwingli hätte auf die Bauern schiessen lassen wollen, falls diese zu einem Angriff auf die Stadt übergegangen wären: «[…] man solle die Büchsen auf sie richten und 300 oder 400 totschiessen, dann dächten die andren daran». Ergänzend wurde auch verbreitet, Meister Ulrich Zwingli habe gepredigt, «man solle sechs oder sieben [unter den Bauern] die Köpfe abschlagen, so werde es besser etc.».

Gesetzt den Fall, der Reformator hätte insgeheim im Rat auch nur andeutungsweise solche martialische Massnahmen vorgeschlagen – wo wäre von ihm das Informationsleck am ehesten vermutet worden? In Zwinglis Vorstellung könnte sich tatsächlich der Verdacht gebildet haben, trotz ihrem heftigen Widerstreit hätten Vater und Sohn Grebel doch eines gemeinsam – die Ablehnung seiner Person.

Um nicht mit einzelnen Menschen «scharf ins Gericht zu gehen», lege er, Zwingli, sich zwar «Zurückhaltung» auf, wie er seinem Freund Oekolampad in Basel am 1. Dezember 1525 schrieb. Doch war bei ihm, diesem Sohn eines Amtsmanns aus dem Bergbauerndorf Wildhaus, ein starker Reflex gegen Edelleute festzustellen – und zu denen schien er auch Junker Jakob Grebel zu zählen. Die Eidgenossen hätten «sich von dem mutwilligen Adel befreien» können, hatte er am 2. Mai 1524 in einer anonymen Schrift an die Eidgenossen geschrieben und betont, dass Alexander der Grosse von seinem Vater Philipp eingeschärft bekommen hatte, «es wäre keine Stadt und kein Schloss so fest, dass sie nicht erobert würden, wenn ein Esel mit Gold beladen hinein kommen möchte».

Eines schien zum anderen zu passen. So verdichtete sich bei Zwingli der Verdacht, die franzosenfreundlichen Anhänger des Solddienstes in der Stadt – und zu ihnen rechnete er nach wie vor Junker Jakob Grebel – bildeten die Hauptmacht unter den heimlichen Anhängern des alten katholischen Glaubens, wenn sie sich auch vordergründig für die Reformation aussprächen. In der altrömischen Verschwörung von Catilina, die er wiederholt anführte, erblickte er ein mahnendes Exempel.

Doch erst der Pesttod Conrad Grebels fern von Zürich im Sommer 1526 senkte letztlich die Waage zu Ungunsten des Vaters. Wie ein Brief vom 10. April 1526 beweist, hatte Zwingli nämlich bislang den Geschichten Conrads über das Geld, das sein Vater ihm vorgehalten hatte, nur geringe Glaubwürdigkeit zugestanden. Dann aber kam Zwingli nach Conrad Grebels Tod zu Ohren, dass die Witwe Barbara Grebel bei ihrem Schwiegervater um jenes Geld bat, von dem Conrad immer gesprochen hatte, Junker Jakob Grebel sie aber abwies. Dieser betonte noch auf der Folter und kurz vor der Hinrichtung, es liege kein Unrecht vor, da sein Sohn Conrad in den Jahren des Studiums in Wien und Paris offiziell das Zürcher Bürgerrecht aufgegeben hatte und darum die Stipendien habe annehmen dürfen. Es bleibt aber schleierhaft, warum Vater Grebel sich gegenüber der Witwe seines Sohnes verschloss, als sie den Bittgang zu ihm tat. Fürchtete er sich davor, dieses heisse Geld zur Sprache zu bringen? Tatsache ist, dass er sich gerade damit eine Blösse gab – die einzige, die Zwingli ausnutzen konnte.

 

Die Hinrichtung am 30. Oktober 1526 erfolgte nur knapp zwei Monate nachdem Junker Jakob Grebel mit zwei anderen Ratsherren beauftragt worden war, Empfehlungen auszuarbeiten, wie gegen jene vorzugehen sei, die auswärts, in katholischen Gebieten, die Messe besuchten. Befürchtete Zwingli, Grebel würde zu grosse Nachsicht zeigen?

Zwinglis Vorname lautete, wie die Ratsberichte zeigen, klar auf Ulrich. Er liess sich aber von einem bestimmten Zeitpunkt an Huldrych Zwingli nennen – reich an Huld, das heisst: an Wohlwollen und Freundlichkeit. Die phantasievolle Wortabstammungslehre der Zeit ermunterte geradezu, in Namen tiefere Bedeutungen zu erkennen. So wechselte Martin Luther, der eigentlich Martin Luder hiess, seinen Namen gegenüber engen Freunden erst zu Eleutherius – griechisch: der Freie, Befreite oder Befreier – und dann ganz allgemein zu Luther, in dem auch noch das Wort lauter anklingt.

Als Zwingli sich im Jahr 1500 in Wien einschrieb, gab er noch Udalricus als seinen Vornamen an. Der entsprechende Eintrag an der Universität Basel 1502 lautete ebenfalls so. In späteren Briefen und Publikationen unterzeichnete er mit Huldrich. Die öffentlichen Behörden in Zürich und auch anderer Städte gaben seinen Vornamen aber immer mit Ulrich oder Uolrich wieder, sogar noch in den Akten der Zweiten Disputation Ende Oktober 1523. Bei den Freunden, die ihm schrieben, war es gemischt: Es findet sich ebenso häufig Ulricho, Udalrico, Ulderico, Ulricho, Uodalricho wie Huldricho, Hulderico, Huldericho, Huldereicho, Huldarico und so weiter. Doch ganz so huldvoll erlebten ihn weder Conrad Grebel noch dessen Vater. Da bei der Erwähnung des Vornamens Huldrych der Anteil an Selbststilisierung Zwinglis stets mitbedacht werden muss, scheint es unverfänglicher, von Ulrich Zwingli zu sprechen.

Ein historischer Roman des Verfassers über Conrad Grebel

wurde 2013 als Manuskript fertig.