Handbuch Ausstellungstheorie und -praxis

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Wie eine Typologisierung jenseits einer konventionellen Aufzählung von der Einzelausstellung über die Themenschau und die Katalogausstellung bis hin zur Ausstellung als Sozialprojekt 39 skizziert werden könnte, zeigt Sheikh anhand einer Periodisierung orientiert am Wendejahr 1989. Bezugnehmend auf den Begriff der a-historischen Ausstellung, den Debora Meijers in Hinblick auf kuratorische Arbeiten von Harald Szeemann, Rudi Fuchs und Peter Greenaway eingeführt hat,40 differenziert er verschiedene Typen des Formats der thematischen Ausstellung, die allesamt einem Diskurs des Neuen verpflichtet sind. Die a-historische Ausstellung zeichnet sich dadurch aus, dass sie die traditionelle chronologische Anordnung, die lange als konstitutiv für museale Kontexte gelten konnte, außer Kraft setzt, und stattdessen einen thematischen Zugang favorisiert, der meist die Produktion neuer künstlerischer Arbeiten beinhaltet und die Figur des Kurators / der Kuratorin als AutorIn eines subjektiven Narrativs des Zeitgenössischen stark macht. Das Museum als institutioneller Kontext nähert sich dabei dem Modell der Kunsthalle als Produktionsort zeitgenössischer Kunst an.

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Beispiele dafür wären etwa das Centre Pompidou in Paris und das Stedelijk Museum in Amsterdam. Ein weiterer Typus der thematischen Ausstellung orientiert sich an künstlerischen Medien wie Malerei, Skulptur, Film oder Verbindungen zwischen künstlerischer Produktion und Medien (z. B. „Kunst und Film“) und setzt das Neue in Bezug zu einer Tradition (z. B. „Neue Malerei“). Ein sehr präsenter Typus der letzten Dekaden ist zudem die geografische Ausstellung, die die Kunstproduktion eines spezifischen Standortes – einer Stadt (based in Berlin, 2011), eines Landes (Young ­British Artists, ab 1988) oder einer Region (Nordic Miracle, 1990er-Jahre) fokussiert. Hier geht es oft um ein Entdecken unbekannter und scheinbar unvergleichlicher Positionen durch eine/n KuratorIn, die selbst nicht der jeweiligen Szene angehört und aus der Perspektive des internationalen Kontexts die Besonderheit zu erkennen vermag. Dass die Produktion eines Diskurses des Neuen in Themenausstellungen ganz wesentlich von den ökonomischen Strukturen des Kunstmarkts determiniert ist, lässt sich sehr gut an der Ausstellungspraxis der Kunstmessen der letzten Jahre ablesen, die immer aufwendigere Gruppenausstellungen zeigen, um letztlich eine Auswahl individueller künstlerischer Positionen zu platzieren.

Die 1990er-Jahre verzeichnen aber auch eine Reihe von Gegenentwürfen beziehungsweise parallelen Entwicklungen zur thematischen (Groß-)Ausstellung. So etwa die Projektausstellung, die aus der Auseinandersetzung mit Ansätzen der Institutions- und Repräsentationskritik hervorgeht und einen Neuentwurf der Ausstellung als künstlerisches Medium intendiert. Diese wird im Sinne geteilter AutorInnenschaft in einem kollektiven Prozess erarbeitet und versteht sich als politische Praxis, die eine Öffentlichkeit für virulente gesellschaftliche Fragen schafft. Beispielhaft sind hier die Projekte der Shedhalle in Zürich ab den frühen 1990er-Jahren,41 als wichtiger Vorläufer dieses Typus können die Ausstellungen der New Yorker KünstlerInnengruppe Group Material ab den späten 1970er-Jahren gelten.42 Ein weiteres Gegenmodell ist das Format der un-exhibition, das mit den alternativen Kölner Kunstmessen Unfair 1992 und Messe 2ok 1995 eingeführt wird. Die Nutzung des zeitlichen und räumlichen Settings von Ausstellungen zielt in der un-exhibition nicht auf die Präsentation von Kunstwerken, sondern auf die Formierung von Gegen-Öffentlichkeit. Die Produktion von Diskursen löst die Produktion von Ausstellungen ab. Beispiele dieser Praxis

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sind das 1994 von der damaligen Bundeskuratorin Stella Rollig gegründete Depot in Wien und das von Maria Lind verantwortete Programm des Kunstvereins München zwischen 2001 und 2004.

Die Mitte der 1990er-Jahre erstmals ausgetragene Europäische Biennale zeitgenössischer Kunst Manifesta markiert eine besonders interessante Entwicklung: Basierend auf dem mit der Venedig Biennale ab 1895 etablierten Prinzip eines zweijährigen Rhythmus, findet jede Ausgabe der Manifesta in einer anderen europäischen Stadt statt, deren Spezifität jeweils zu berücksichtigen ist. Das Erschließen neuer, innovativer künstlerischer Praktiken ist konzeptuell ebenso angelegt wie die Bezugnahme auf gesellschaftspolitische Thematiken. Die Manifesta wird von wechselnden KuratorInnenteams kollektiv erarbeitet und zeichnet sich durch Prozessualität und Diskursivität aus. Sie vereint demnach eine Vielzahl verschiedener Ausstellungstypen und zeugt damit von der Komplexität einer möglichen Taxonomie historischer und gegenwärtiger Modelle des Ausstellens.

Das Projekt einer Ideengeschichte des Ausstellungmachens hat im Vergleich mit jenem einer Kanonisierung von singulären Ereignissen und AkteurInnen das größere Potenzial, dieser Komplexität in immer neuen Annäherungen beizukommen. Dass es sich bei diesem Projekt um ein kollektives und zugleich polyphones handeln muss, ist evident und kann als Aufforderung für die aktuelle und zukünftige Forschung verstanden werden.

Aktuelle Literaturauswahl

Altshuler, Bruce, Salon to Biennial – Exhibitions That Made Art History, Volume I: 1863 – 1959, New York 2008.

Butler, Cornelia u. a., From Conceptualism to Feminism. Lucy Lippard’s Numbers Show 1969 – 74, Exhibition Histories 3, London 2012.

Hoffmann, Jens (Hg.), The Exhibitionist. Journal on Exhibition Making, No. 4: La Critique, June 2011.

Misiano, Viktor (Hg.), MJ – Manifesta Journal. Journal of contemporary curatorship, No. 11: The Canon of Curating, 2010/11.

Rattemeyer, Christian u. a., Exhibiting the New Art. ,Op Losse Schroeven’ and ,When Attitudes Become Form’ 1969, Exhibition Histories 1, London 2010.

Sheikh, Simon, A Conceptual History of Exhibition-making, Utrecht 2009, http://www.formerwest.org/ResearchCongresses/1stFORMERWESTCongress/SimonSheikhAConceptualHistoryofExhibitionmaking, (19.2.2012).

Tate Papers. Tate’s Online Research Journal, Issue 12: Landmark Exhibitions, Autumn 2009, http://www.tate.org.uk/research/tateresearch/tatepapers/09autumn/, (19.2.2012).

Weiss, Rachel u. a., Making Art Global (Part 1). The Third Havana Biennial 1989, Exhibition Histories 2, London 2011.

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Anmerkungen

15 Staniszewski, Mary Anne, The Power of Display. A History of Exhibition Installations at the Museum of Modern Art, Cambridge, MA/London 1998, S. xxi.

16 Souriau, Judith, L’histoire des expositions: Une nouvelle histoire de l’art?, in: THES-ARTS, Colloque: Être historien de l’art aujord’hui, Paris 2010, http://www.thes-arts.com/index.php?option=com_content&view=article&id=125&Itemid=57, (19.2.2012). Vgl. auch: ­Haxthausen, Charles W. (Hg.), The Two Art Histories. The Museum and the University, New Haven / London 2002.

17 Erst in jüngster Zeit zeichnet sich das für das Fach letztlich neue Forschungsinteresse vereinzelt in den Curricula der Kunstwissenschaften ab, wie eine kursorische Recherche aktueller Vorlesungsverzeichnisse bestätigt.

18 Derieux, Florence, Introduction, in: dies. (Hg.), Harald Szeemann: Individual Methodology, Zürich 2007, S. 8. Mit seiner kritischen Gegenstimme zu dieser Einschätzung zeigt Julian Myers das aktuelle Spannungsfeld zum Thema auf: Er warnt vor einer Fetischisierung des Mediums Ausstellung auf Kosten der Auseinandersetzung mit Kunstwerken und spricht sich für ein produktives Wechselverhältnis aus. Vgl. Myers, Julian, On the Value of a History of Exhibitions, in: Jens Hoffmann (Hg.), The Exhibitionist. Journal on Exhibition Making, No. 4: La Critique, Juni 2011, S. 24 – 28.

19 Vgl. Foster, Hal / Krauss, Rosalind / Bois, Yve-Alain / Buchloh, Benjamin H. D., Art Since 1900. Modernism – Antimodernism – Postmodernism, London 2004.

20 Freilich gab es auch schon früher vereinzelte Versuche der Historisierung von Kunstausstellungen, vgl. etwa Luckhurst, Kenneth W., The Story of Exhibitions, London 1951; Dunlop, Ian, The Shock of the New: Seven Historic Exhibitions of Modern Art, London 1972 sowie Gordon, Donald E., Modern Art Exhibitions: 1900 – 1916, 2 Bde., München 1974.

21 Greenberg, Reesa / Ferguson, Bruce W. / Nairne, Sandy (Hg.), Thinking about Exhibitions, London / New York 1996.

22 Vgl. dazu die Beiträge von Nora Sternfeld und Betrice Jaschke in diesem Band.

23 Sheikh, Simon, On the Standard of Standards, or, Curating and Canonization, in: Viktor Misiano (Hg.), MJ – Manifesta Journal. Journal of contemporary curatorship, No. 11: The Canon of Curating, 2010 / 2011, S. 13 – 18, hier S. 16.

 

24 Die Schriftenreihe ist ein Kooperationsprojekt von Afterall Books / Central Saint Martins College of Art and Design – University of the Arts, London, mit der Akademie der bildenden Künste Wien und dem Van Abbemuseum Eindhoven.

25 Vgl. http://www.csm.arts.ac.uk/research/researchgroups/exhibitionshistoriespractices/, (19.2.2012).

26 Rattemeyer, Christian u. a., Exhibiting the New Art. ,Op Losse Schroeven’ and ,When Attitudes Become Form’ 1969, London 2010; Weiss, Rachel u. a., Making Art Global (Part 1). The Third Havana Biennial 1989, London 2011; Butler, Cornelia u. a., From Conceptualism to Feminism. Lucy Lippard’s Numbers Show 1969 – 74, London 2012. Der vierte Band Making Art Global (Part 2): Magiciens de la Terre 1989 ist in Vorbereitung.

27 Eine Videodokumentation der Konferenz von 2010 findet sich auf der Website des Kooperationsprojekts FORMER WEST: http://www.formerwest.org/ResearchSeminars/ArtandtheSocial, (19.2.2012).

28 Vgl. dazu auch den Beitrag von Christian Kravagna in diesem Band.

29 The Invisible History of Exhibitions ist Teil der mehrjährigen transnationalen Forschungsplattform Art Always Has Its Consequences, einer Kooperation zwischen dem Kuratorinnenkollektiv WHW / What, How & for Whom (Zagreb), tranzit.hu (Budapest), kuda.org (Novi Sad) und dem Muzeum Sztuki (Lodz). Vgl. http://www.artalways.org/, und http://exhibition-history.blog.hu/ (19.2.2012).

30 Tate Papers. Tate’s Online Research Journal, Issue 12: Landmark Exhibitions, Autumn 2009, http://www.tate.org.uk/research/tateresearch/tatepapers/09autumn/, (19.2.2012).

31 Daniel, Marko / Hudek, Antony, Introduction, in: Tate Papers, Issue 12, http://www.tate.org.uk/research/tateresearch/tatepapers/09autumn/intro.shtm, (19.2.2012).

32 Misiano, Viktor (Hg.), MJ – Manifesta Journal. Journal of contemporary curatorship, No. 11: The Canon of Curating, 2010/11.

33 Curating Beyond the Canon, Okwui Enwezor interviewed by Paul O’Neill, in: Paul O’Neill (Hg.), Curating Subjects, London 2007, S. 109 – 122, S. 120.

34 Altshuler, Bruce, A Canon of Exhibitions, in: Misiano, Viktor (Hg.), MJ – Manifesta Journal, No. 11, 2010/11, S. 5 – 12, S. 6f.

35 Ebenda, S. 7 – 9 sowie die Beiträge zu einer Auswahl der genannten Ausstellungen im Kritischen Glossar in diesem Band.

36 Ebenda, S. 12.

37 Sheikh, Simon, On the Standard of Standards, or, Curating and Canonization, in: Viktor Misiano (Hg.), MJ – Manifesta Journal, No. 11, 2010/11, S. 17f.

38 Sheikh, Simon, A Conceptual History of Exhibition-making, Utrecht 2009, http://www.formerwest.org/ResearchCongresses/1stFORMERWESTCongress/SimonSheikhAConceptualHistoryofExhibitionmaking, (19.2.2012).

39 Vgl. Rattemeyer, Christian, What History of Exhibitions?, in: Jens Hoffmann (Hg.), The Exhibitionist. Journal on Exhibition Making, No. 4: La Critique, Juni 2011, S. 35 – 39, S. 37.

40 Vgl. Meijers, Debora, The Museum and the ,Ahistorical’ Exhibition. The latest gimmick by the arbiters of taste, or an important cultural phenomenon?, in: Reesa Greenberg / Bruce W. Ferguson / Sandy Nairne (Hg.), Thinking about Exhibitions, 1996, S. 7 – 20.

41 Vgl. von Osten, Marion, Eine Frage des Standpunktes. Ausstellungen machen, in: Olympe. Feministische Arbeitshefte zur Politik, Heft 19: Dispersion. Kunstpraktiken und ihre Vernetzungen, Dezember 2003, S. 59 – 72.

42 Vgl. Ault, Julie, Show and Tell: A Chronicle of Group Material, London 2010.


1.3 Entwicklungslinien der Kunst- und Kulturvermittlung
Renate Höllwart

Kunst- und Kulturvermittlung ist von vielen Vorstellungen davon begleitet, was sie zu leisten hat und wer ihre AkteurInnen sind. Denn unterschiedliche Arbeitsfelder, Disziplinen und Bildungskonzepte führen historisch wie aktuell zu divergierenden Betrachtungsweisen über ihre Entwicklung. Gemeinsam sind ihnen jedoch Fragen danach, wie und von wem welche Inhalte für wen und an wen vermittelt werden. Begriffe wie Schnittstelle, Spannungsfeld, Widerspruch begleiten das Nachdenken über die Aufgaben und nicht zuletzt über die gesellschaftspolitische Rolle von Kunst- und Kulturvermittlung. Theorie und Praxis verorten diese im „Dazwischen“ und bringen Konflikte zur Sprache. Die Etablierung des Berufsfelds zeichnet daher ein verbindendes, manchmal auch konkurrierendes Bild in den Bereichen Kunsterziehung, Kunstvermittlung, Museumspädagogik, kulturelle Bildung und Forschung. Gemeinsam ist ihnen der Kampf um Anerkennung und damit nach adäquaten Ressourcen für Theorie und Praxis.

Dieser Beitrag will eine kleine Geschichte der Entwicklung von Vermittlungsansätzen, Diskursen und AkteurInnen sowie deren Rahmenbedingungen nachzeichnen. Von Beginn an agierten VermittlerInnen und MuseumspädagogInnen bereits im 19. Jahrhundert als „ExpertInnen“, demonstrators und guides innerhalb von hegemonialen Bildungskonzepten. In diesem Beitrag sollen Entwicklungslinien seit den 1970er-Jahren skizziert werden, die eine Positionsbestimmung der gegenwärtigen Kunst- und Kulturvermittlung zwischen den Ansprüchen einer kritischen Vermittlungspraxis und institutionellen Interessen sowie kulturpolitischen Bildungsentwürfen anbieten, ohne den Anspruch einer vollständigen oder repräsentativen Wiedergabe zu erheben. Dabei wird deutlich, dass die Kunst- und Kulturvermittlung über die Grenzen der traditionellen Aufgabe der Wissensweitergabe in Museen und Ausstellungen hinausreicht. Ihre Prozesse und Paradigmenwechsel spiegeln die Veränderungen der Rolle des Museums und des Kunstbegriffs wider. Und ganz in diesem Sinne gehört es spätestens seit den 1990er-Jahren zu ihrem Selbstverständnis, die Institutionen als Orte der Kanonisierung von Techniken der Wahrheitsproduktion infrage zu stellen und dabei ihre Grenzen ebenso auszuloten wie zu verschieben.

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„Kultur für alle“

Die weitreichende Etablierung der Museumspädagogik im deutschsprachigen Raum geht einher mit dem in den 1970er-Jahren formulierten kulturpolitischen Postulat „Kultur für alle“. Museen sollten für alle zugänglich werden. Ziel war „die Hebung des Bildungsniveaus und die Verbesserung des Kulturverhaltens der […] Bevölkerung“.43 Damit erging ein weitreichender Auftrag an die Museen, Schwellenängste abzubauen, neue Publikumsgruppen an die Museen heranzuführen und im Sinne einer Demokratisierung den elitären Status und Charakter von Museen aufzubrechen und für ein breites Publikum zu öffnen. Es entstand eine kulturpolitische Notwendigkeit, sich für Fragen der spezifischen Kompetenz und Ausbildung von VermittlerInnen sowie für neue Methoden zu interessieren.

Im Sinne der Heranführung an Kunst und „Entfaltung“ von Kreativität wurde bereits 1970 im Museum des 20. Jahrhunderts in Wien erstmals das Programm Kinder malen, zeichnen, formen angeboten. Die Arbeit mit Kindern in den Ausstellungsräumlichkeiten sollte „Teil einer Entwicklung vom passiven zum aktiven Museum“ 44 und die Ergebnisse der Malaktionen sollten integrativer Bestandteil der Ausstellungstätigkeit sein.

Es kam vermehrt zur Einrichtung pädagogischer Dienste, die gemeinsam mit Museen Vermittlungsprogramme meist für Kinder und Jugendliche anboten. Methoden wie das Gespräch, der Einsatz von Gegenständen und unterschiedlichen Medien, die subjektive Betrachtung, das „Spiel“ sowie praktische Arbeit sollten dabei Zugänge zu den Ausstellungsinhalten erleichtern und die Verbreitung der museumspädagogischen Praxis vorantreiben. Mit der Gründung des Museumspädagogischen Dienstes im Jahr 1985 wurde mit dem Projekt Kolibri flieg eine kontinuierliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und eine Methodenreflexion im Museum moderner Kunst in Wien ermöglicht. Damit einhergehend führte Heiderose Hildebrand 1987 den Begriff der „zeit- und personalintensiven Vermittlungsarbeit“ ein. Faktoren wie genügend Zeit und eine Gruppengröße von nicht mehr als 12 Personen wurden Kriterien für eine qualitative Vermittlungsarbeit.

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Von der Museumspädagogik zur Kunst- und Kulturvermittlung

Die 1990er-Jahre waren geprägt von Selbstorganisation zwischen Auftrag und Interessenspolitik. Im deutschsprachigen Raum formierten sich Interessensvertretungen wie der Dachverband Bundesverband Museumspädagogik e. V. (1991), der Österreichische Verband der KulturvermittlerInnen im Museums- und Ausstellungswesen (1991), sowie Museumspädagogik Schweiz 45 (1994). Eine zentrale Forderung war, Kunst- und Kulturvermittlung als fixen Bestandteil der Museums- und Ausstellungslandschaft zu etablieren. Die Aktivitäten waren und sind bestimmt von der Arbeit an einem Berufsbild, Stellungnahmen zu kulturpolitischen Rahmenbedingungen und von Verhandlungen über Qualitätskriterien der Kunst- und Kulturvermittlung im Spannungsfeld institutioneller Eingliederung und unabhängiger Vermittlungsarbeit. Die Verbandszeitschriften faxen (bis 2004) und Standbein. Spielbein boten das Forum für Vernetzung und Austausch. Mit der Gründung einer Berufsvertretung in Österreich wurde die geläufige Berufsbezeichnung von MuseumspädagogInnen in KulturvermittlerInnen verändert. Damit fand eine Abgrenzung zum Begriff Pädagogik statt, der im Museumskontext vor allem die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen meint und nicht mehr ausreichend das vielfältige Tätigkeitsfeld fasste. Die Unterscheidung in mediale, personale und in den letzten Jahren vermehrt handlungsorientierte Vermittlung bietet Orientierung: Vermittlungsarbeit ist demnach immer eine Herstellung von Beziehung zwischen Inhalten, Personen und Dingen, die, so Gabriele Stöger (2003), ohne diese nicht zustande kommen würde. Eine wichtige Rolle für Professionalisierung und Entwicklung von Theorie und Praxis nahm im österreichischen Kontext das Büro für Kulturvermittlung ein.46 Dessen Tätigkeitsbericht (2003) formulierte den Auftrag, „professionelle Neuentwicklungen im Bereich der kulturbezogenen, partizipatorischen Vermittlungsarbeit zu initiieren und ihre Weiterentwicklung zu fördern“. Mit der Vermittlungsreihe Das Nützliche und das Fremde (1989 – 2004) wurden in der Zusammenarbeit von Kulturschaffenden, VermittlerInnen und BerufsschülerInnen neue Wege für eine Annäherung zwischen Museen und Ausstellungshäusern und einer „kunstfernen“ Berufs- und Lehrlingsausbildung beschritten.

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1999 veröffentlichte der österreichische Verband gemeinsam mit den Verbänden aus Deutschland und der Schweiz einen Informationsfolder mit dem Titel Kommunikation, Museumspädagogik, Bildungsarbeit, Kulturvermittlung in Museen und Ausstellungen zur Darstellung des Tätigkeitsfelds. Er diente zur Spezifizierung der Anforderungen ebenso wie als Grundlage für Honorarverhandlungen für die meist freiberuflichen VermittlerInnen. Diese Zusammenarbeit wird in der Erarbeitung von Qualitätskriterien für Museen: Bildungs- und Vermittlungsarbeit (2008) sowie „Checklisten“ für Museen, politisch Verantwortliche und VermittlerInnen bis heute weitergeführt.


Abb 1 Kommunikation, Museumspädagogik, Bildungsarbeit, Kulturvermittlung in Museen und Ausstellungen

Parallel zu den Interessensvertretungen entstand in den 1990iger-Jahren ein wachsendes Angebot von LehrerInnenfortbildungs- und Universitätslehrgängen im Bereich Museumspädagogik und Vermittlung. Der Wendung in der Selbstbezeichnung folgend, wurde am Institut für Kulturwissenschaften in Wien (ikw) 1994 erstmals ein postgradualer Lehrgang mit einem Schwerpunkt auf Kommunikation im Museum eingerichtet.

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