Die Idee des lebendigen Gottes

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From the series: Bonner dogmatische Studien #50
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2. Das theologische Profil Franz Xaver Dieringers



In Dieringers Hauptwerken, zu denen ich neben seiner Dogmatik, den Laienkatechismus sowie die Polemik und Dialektik

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 zähle, findet sich keine explizite Definition von Offenbarung. Man sucht vergebens nach einer dogmatischen Abhandlung, die genau erfasst, was Offenbarung ist. Dies scheint umso erstaunlicher, als alle drei Werke davon handeln, wie Offenbarung geschieht, woran man sie erkennen kann und anderen Detailfragen mehr.

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 Der eigenen Methode der positiven Theologie folgend steht natürlich die Offenbarung als solche im Mittelpunkt des theologischen Werkes von Franz Xaver Dieringer. Immer wieder finden sich in den Hauptwerken Dieringers somit Versatzstücke und Teildefinitionen dessen, was Offenbarung ist

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, eine klare, systematische Definition des Begriffs im Sinne einer ausführlichen Theorie der Offenbarung wird jedoch nicht geboten. Vielmehr wird der Offenbarungsbegriff im Zusammenhang anderer Frage- und Problemstellungen behandelt. Dies soll im Folgenden anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden.






2.1 Was ist Offenbarung? – das Offenbarungsverständnis F. X. Dieringers



In der „Polemik der göttlichen Thaten“ findet sich bei der Abhandlung des notwendigen Zusammenhangs von Wunder und Offenbarung ein knapper Hinweis auf das Wesen von Offenbarung. Dort heißt es eher beiläufig: „Ist nämlich überhaupt eine Offenbarung, so ist damit notwendig die göttliche Tat; denn das ist das Wesen der Offenbarung, dass sie selbst göttliche That ist,“

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. Dieringer fährt fort mit der Ergänzung, dass die Offenbarung Handeln Gottes in der Welt ist mit dem Zweck, „die Menschen des wahren Lebens theilhaftig zu machen“

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. In anderen Zusammenhängen wird Offenbarung von Dieringer auch allgemeiner als Gottes Erlösungshandeln beschrieben

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 oder als ein Einheit stiftendes Handeln Gottes, das die Verbindung zwischen Gott und Mensch vertiefen und restaurieren soll.

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Die Offenbarung eröffnet dem Menschen den tieferen Sinn des eigenen Lebens, ermöglicht ihm, die „vollendete Gottesgemeinschaft“

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 zu erreichen, indem sie ihm zeigt, durch welche Mittel er seine Bestimmung vollziehen und seine Gottebenbildlichkeit realisieren kann. Insofern ist es der Offenbarung innewohnend die „Prämissen zu einer oder mehreren practischen Folgerungen (…) für den religiös-sittlichen Wandel“

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 zu vermitteln. Denn die Verwirklichung der Bestimmung des Menschen vollzieht sich im menschlichen Tun, im konkreten Handeln in der Welt. Zudem folgt nach Dieringer aus der Erkenntnis der Wahrheit unweigerlich ein neuer Lebenswandel, weil sie den ganzen Menschen erfasst.

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 So ist denn auch Zweck der Offenbarung die „göttliche Wahrheit zu enthüllen“, dem Menschen dadurch Erlösung zuteil werden zu lassen und schließlich die Menschheit in der Kirche zu sammeln, wo ihr durch die fortwährende Vermittlung der geoffenbarten Wahrheit und Gnade ein „aus Gott gebornes Leben“ eröffnet wird.

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Es zeigen sich somit in den unterschiedlichen Werken Dieringers ein vielfältiger Gebrauch des Offenbarungsbegriffs und eine weit reichende Bedeutung desselben für Dieringers Theologie, wie es schon die Einleitung zum theologischen Konzept Dieringers verdeutlichte.

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 Dennoch fehlt in den Hauptwerken eine Definition des Offenbarungsbegriffs. Dabei fällt auf, dass Dieringer den Offenbarungsbegriff insgesamt so kohärent und konsequent ver- und anwendet, wie dies nur geschieht, wenn der eigentliche Begriff bzw. die Definition vorausgesetzt wird. So schreibt Dieringer zu Beginn der Dogmatik denn auch: „Den Offenbarungsbegriff setzen wir hierorts als bekannt voraus.“

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 und verweist ferner zu Beginn der Polemik in einer Fußnote auf eine Rezension von ihm zu Franz Anton Staudenmaiers „Geist der göttlichen Offenbarung“ (Gießen 1837) aus dem Jahr 1838.

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 Das Jahr der Veröffentlichung der Rezension ist insofern interessant, als dass es sich bei diesem Artikel im Mainzer „Katholik“

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 um einen der ersten wissenschaftlich-theologischen Aufsätze Dieringers handelt. Zu dieser Zeit wirkt er als Repetent am Priesterseminar in Freiburg, an dessen Katholisch-Theologische Fakultät Staudenmaier erst im Jahr 1837 als Professor der Dogmatik berufen worden war. Mit seinem Aufsatz „Ueber die Offenbarung“ stellt sich Dieringer erstmals in einer theologischen Publikation in die Reihe der Theologen, die eine positive Theologie vertreten. Für die Suche nach der Definition von Offenbarung bzw. nach einem „Offenbarungsbegriff“

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 bietet uns dieser Aufsatz eine Zusammenstellung des Offenbarungsverständnisses Dieringers, wie wir es in seinen späteren Werken in dieser Dichte und Entfaltung eben nicht mehr finden.






2.1.1 Die Theorie der Offenbarung in „Ueber die Offenbarung“



Gleich zu Beginn der Rezension wird deutlich, dass Dieringer auch in seiner Offenbarungstheorie dem bereits erwähnten Konzept der positiven Theologie folgt und eine Offenbarungstheorie ablehnt, die gleichsam losgelöst von der historisch geschehenen „positiven“ Offenbarung einen abstrakten Begriff von Offenbarung entwickeln will.

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 Nicht der Mensch und seine subjektive Vernunft bestimmen den Begriff der Offenbarung, sondern die objektive Offenbarung selbst bestimmt ihren Begriff.

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 Das Offenbarungshandeln Gottes ist dessen freie Tat. Gottes Handeln ist daher

vor

 aller Offenbarung immer das Unvorherdenkbare, da es absolut frei und somit nicht notwendig ist. „Was Gott wirken wollte, noch wirkt, und fürderhin wirken will, beruht auf keiner Nothwendigkeit des Gedankens, sondern auf der Freiheit des göttlichen Rathschlusses.“

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 Dies ist der logische Grund, warum man Gottes Offenbarungshandeln nicht auf einen menschlichen (Vor-)Begriff bringen kann.



Menschliches Reden über Gottes Offenbarung ist nach Dieringer nur da sinnvoll, wo es selbst bereits offenbarungsbegründet ist. „Ob irgend eine Lehre göttlich sey, kann in letzter Instanz nur durch das Zeugnis Gottes ermittelt werden: der tadellose Wandel des angeblichen Gottesgesandten, das Einleuchtende und Trostreiche seiner Doctrin, ihre Angemessenheit zur sittlichen Veredlung des Menschen u. s. w. sind durchaus nur von secundärer Beweiskraft und können nur Wahrscheinlichkeit, aber keine Gewissheit begruenden.“

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 Nur solche offenbarungstheologische Rede, die auf Gottes freier Selbstpreisgabe gründet, kann Aussagen über das Wesen Gottes und über dessen (künftiges) Handeln machen.

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 Dies aber bedeutet, dass alle Theorie der Offenbarung stets von der positiven Offenbarung bestimmt wird und es eigentlich keine echte Offenbarungstheorie ohne vorherige Offenbarungspraxis geben kann.

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 Dieringer spricht von einem „Zirkel“, dem sich zahlreiche Theologen unterzogen haben, indem sie „subjective Kriterien einer Offenbarung“ aufstellen, um schließlich zugestehen zu müssen, dass sie diese doch aus der „gegebenen Offenbarung“ abgeleitet haben.

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 Dieringer kritisiert daher alle theologischen Ansätze, die zunächst ein rein philosophisches Offenbarungsverständnis entwickeln wollen, das den Begriff von Offenbarung gleichsam losgelöst vom faktischen Offenbarungsgeschehen zu verstehen versucht. Christliche Theologie kann hinter das Offenbarungshandeln Gottes nicht zurück.

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 Eine Theorie der Offenbarung muss daher von diesen Fakten her deduktiv vorgehen und nicht vom reinen Gedankenspiel und - sei es noch so vernünftig - abstrahieren.

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 Dieringer sieht insbesondere durch den Einfluss von Immanuel Kant und dessen Denkformen die gerade beschriebene Tendenz als eine virulente Fehlentwicklung in der katholischen Theologie hervorgerufen.

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 Ausdrücklich stellt er sich gegen eine Theologie, die „eine Construction a priori“

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 ist und stellt dieser das Konzept einer Theologie a posteriori entgegen, die nur ein Reflex auf die objektive Offenbarung ist.

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 Erstaunlich modern klingen dabei einige Abhandlungen in der erst 1841 erschienen Polemik zur „unbefangenen Menschenvernunft“

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, wenn Dieringer diese aufgrund ihrer Prägung durch die „Denk- und Vorstellungsweisen der alten Welt“ bestimmt sieht und sie gerade deshalb nicht als unabhängige Instanz akzeptiert, die gleichsam losgelöst von allem über den Dingen steht. Dieringers Vernunftkritik rührt somit auch von der Erkenntnis her, dass es keine Vernunft ohne Kontext gibt bzw. alles Denken immer in der Vorstellungswelt der Zeit eingebunden ist.

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Im Anschluss an diese sehr grundsätzliche Überlegung muss Dieringer in seinem Aufsatz „Ueber die Offenbarung“ allerdings erkennen, dass eine ausführliche Theorie der Offenbarung in der positiven Theologie erst noch entwickelt werden muss. In Franz Anton Staudenmaier erkennt er den ersten Denker einer solchen Theorie, deren Ansatz er teilt, allerdings nicht zu einer eigenen Theorie ausbaut.

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 Er greift in der Folge auf Staudenmaiers Schriften zurück

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 und entwickelt aus diesen den weiteren Begriff der Offenbarung nach Form und Inhalt.

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 Es wird im weiteren noch zu erheben sein, ob es sich hierbei schlicht um eine Schwäche in Dieringers Werk handelt, wenn er keine eigene Theorie erarbeitet, oder doch um die entschiedene Anwendung einer positiven Theologie, die keiner weiteren Offenbarungstheorie bedarf als der, die sich aus der Offenbarung selbst nahe legt und von Staudenmaier bereits skizziert wurde.

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2.1.1.1 Form der Offenbarung



Ausgangspunkt für die Begriffsanalyse ist das mannigfaltige Offenbarungshandeln Gottes, aus dem Dieringer versucht, das eine Gemeinsame aller Offenbarung zu erheben. Die bereits oben erwähnte, scheinbar triviale Bezeichnung von Offenbarung als „göttliche That“ erscheint nunmehr in einem anderen Licht, da sie in einen Bedeutungskontext gestellt wurde, der verdeutlicht, dass die Tat Gottes Ausgangspunkt und Kriterium aller Offenbarungstheorie bei Dieringer ist. Offenbarung ist nämlich die Tat Gottes, die zur Einheit mit ihm führt, oder, wie es Dieringer in Anlehnung an Staudenmaier formuliert, die „Vermittlung des höhern Lebens durch die Gottheit“

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.

 



Dem Konzept der „reflexiven Theologie“ folgend werden somit auch Form und Inhalt der Offenbarung aus dieser selbst abgeleitet. Es ist daher sehr bezeichnend, dass Dieringer noch bevor er die Analyse der Theorie der Offenbarung beginnt, ein ausführliches Schriftzitat

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 an den Anfang stellt, das die These Staudenmaiers von der Offenbarung als Vermittlung des höheren Lebens durch Gott, die sich Dieringer zu eigen macht, stützt. Die Bitte Jesu um Einheit der Menschen untereinander und um Einheit mit Gott zur Ehre Gottes

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 selber bildet den Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen.

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 Diese Einheitsvermittlung ist der eigentliche Zweck des Kommens Christi in diese Welt

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. Jesus Christus ist Vermittler einer Offenbarung deren Ziel und Zweck Vermittlung von Einheit mit Gott ist. Dreh- und Angelpunkt ist somit dieses aus der Offenbarung selbst erschlossene Prinzip des Offenbarungshandelns.



Dieringer unterscheidet bei der Form der Offenbarung mittelbare und unmittelbare Offenbarungen. Mittelbare Offenbarungen sind die Schöpfung bzw. die Natur, der menschliche Geist und die Geschichte. Diesen entsprechen auf Seiten der unmittelbaren Offenbarung das Wunder, die Inspiration und die geschichtliche Selbstoffenbarung in Jesus Christus.

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 Das Wunder, über das an anderer Stelle noch ausführlicher zu sprechen ist

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, vermittelt zunächst die Wahrheit, dass die ganze Welt zu jedem Zeitpunkt der Allmacht Gottes unterworfen ist. Sie erhellt dem Menschen dadurch das wahre Verhältnis zwischen ihm, der Natur und Gott, zwischen Welt und Gott und offenbart damit zugleich die höhere, auf Gott und Einheit mit ihm hin zielende Ordnung der Dinge. Die göttliche Inspiration, die im Bereich des Geistes einem Wunder gleich kommt, da sie ebenso unmittelbar dem Menschen eine neue Wahrheit offenbart, wie dies durch das Wunder im Bereich der Natur geschieht, mehr noch als dieses aber den ganzen Menschen erfasst

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, vermittelt somit ebenfalls die Einsicht in das rechte Verhältnis des Menschen zu Gott. Beide Weisen der unmittelbaren Offenbarung, Wunder und Inspiration, sind somit von Gott verwandte Vermittlungsweisen zwischen Gott und Mensch und zielen auf den Aufbau bzw. die Wiederherstellung einer Beziehung. Offenbarung in dieser Form will den Menschen erinnern an die ursprüngliche Einheit

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, die er mit Gott besaß. In diesem Sinne ist das „Wesen der Offenbarung göttliche Vermittlung“

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 mit dem Ziel der höchsten Vermittlung zwischen Gott und Mensch, die in der „Selbstverkündigung Gottes“

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 in Jesus Christus erfolgt. Es sei hier nun am Rande erwähnt, dass diese Vermittlung, die Dieringer auch als „Zumuthung“

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 bezeichnet, durchaus teilend, trennend, scheidend und entzweiend wirken kann, da sie den Menschen von Irrtum und Sünde befreit.



Als dritte Form der mittelbaren Offenbarung benennt Dieringer die „Weltgeschichte“.

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 Die Geschichte ist gleichsam der Ort der genannten mittelbaren und unmittelbaren Offenbarungen und somit der Ort auch des göttlichen Handelns überhaupt. Dieses göttliche Wirken in der Geschichte und damit der Sinn der Geschichte ist aber nur von der unmittelbaren Offenbarung her erkennbar. Erst die positive Offenbarung in der persönlichen Selbstmitteilung Gottes erschließt die wahre Bedeutung des gesamten geschichtlichen Geschehens.

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 Dieringer bringt diesen Zusammenhang auf die Formel, dass das Erkennen

über

 die Geschichte vermittelt ist durch das Erkennen

aus

 der Geschichte.

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 Erneut gilt es aus dem positiv Vorgegebenen, aus dem geschichtlichen Faktum, das zugleich göttliche Tat und damit Offenbarung ist, den tieferen Sinn der Geschichte und damit den höheren Sinn des Lebens zu ermitteln. In diesem Sinne erschließt sich aus dem geschichtlichen (Einzel-)Ereignis die Geschichte als Ganzes, und Dieringer kann in Anschluss an Staudenmaier sagen, dass Geschichte Offenbarung und Offenbarung Geschichte ist. Offenbarung ist überhaupt nur durch Geschichte Offenbarung.

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Die Geschichte wird damit zur „Explikation Gottes“

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, seines Wesens und seines Weltverhältnisses; sie ist Hauptinformantin über ihn wie eben nur die Offenbarung Informantin sein kann. Die Geschichte als Ganzes aber verweist nach Dieringer auf Christus als deren Sinn und Ziel, und zugleich kommt in Christus die Vermittlung von Gott und Mensch und damit das Wesen von Offenbarung überhaupt zu ihrem höchsten Punkt.

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2.1.1.2 Inhalt der Offenbarung



Auch die inhaltliche Bestimmung der Offenbarung erfolgt durch die Kerntaten Gottes in der Geschichte. Es sind die wesentlichen Offenbarungstaten selbst, die den Inhalt aller Offenbarung bezeugen. Als solche nennt Dieringer „Weltsetzung, Weltgesetzgebung, Weltvermittlung und Weltgericht“

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; es sind somit die Schöpfung, der Bund mit Israel, das Erlösungswerk Christi sowie die Vollendung der Schöpfung als zentrale Inhalte des Offenbarungsgeschehens genannt. Alle zumal wirken nach Dieringer auf die „geschichtlich-lebendige Vermittlung des höhern Lebens durch die Gottheit“ hin.

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 Gott setzt nicht nur seine Schöpfung, sondern er erhält sie und gibt ihr eine Bestimmung, einen Zweck und ein Ziel. Anders könnte man formulieren, dass Gott in diesen wesentlichen Offenbarungstaten Leben schenkt. Wahres Leben aber ist nur in Einheit mit dem Ursprung und der Quelle des Lebens selbst zu denken. Genau dieses Leben vermitteln die Offenbarungen Gottes, dies ist ihr Inhalt. Dieses neue Leben in Gott wird zudem durch die unmittelbare Offenbarung nicht nur vorgestellt, sondern auch realisiert.

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 Die Offenbarungstaten Gottes stellen somit her, was sie verheißen und antizipieren damit, die in der Endzeit wiederhergestellte Einheit mit Gott.



Die Vermittlung von Einheit und (höherem) Leben, die formal und inhaltlich allen Offenbarungen zukommt, gilt auch für die zukünftig erhoffte göttliche Tat des Weltgerichts. Das Weltgericht ist nicht Endpunkt der Vermittlung zu Gott, sondern Fortsetzung derselben in Ewigkeit. „Dieses Gericht richtet ewig, indem Christus ewig vermittelt.“

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 Trotz der Entschiedenheit in dem Zusatz, dass nur der, der die Vermittlung annimmt, das Leben hat, wer sie ablehnt, aber dem Tod anheim fällt, erhält das Weltgericht

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 doch insgesamt einen sehr versöhnlichen Zug. Denn Christus der höchste Vermittler tritt als Richter auf. Es drängt sich einem das Bild auf, dass der Anwalt, der zur Verteidigung der Menschheit handelt, zugleich auch der Richter über diese ist. Es ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass Dieringer seine Dogmatik um die „Lehren (…) der Hoffnung“ ergänzt und diese nicht allein der Glaubenslehre zurechnet.

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Zusammenfassend ist somit alles Offenbarungshandeln Gottes ein auf den Mensch und dessen Heil ausgerichtetes Tun. Es stiftet Einheit und gibt Leben, und ist dabei ein stets konkret geschichtliches Ereignis. Endziel all dieses Handelns ist der Aufbau und die Verwirklichung des Reiches Gottes

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. Reich Gottes wird hier verstanden als der geschichtliche Ort, an dem Gott handelt und regiert, und ist keineswegs ein rein zukünftiges Ereignis sondern eine schon verwirklichte, historische Größe. All dies aber ist nur von Christus, als positiver Offenbarung im Sinne der persönlichen Selbstbekundung Gottes, her zu verstehen und zu behaupten.

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 Er ist der eigentliche Sinn und Zweck der Geschichte, auf den alle vorherige Offenbarung zuläuft und von dem alle kommende Geschichte ihre Bestimmung erfährt. Christus ist es auch, der im Heiligen Geist die Vermittlung fortführt und sich dazu seiner Kirche bedient. Sie führt „durch das Lehramt, Priesteramt und Regiment“ nach Dieringer „Alle zur Lebenseinheit mit Gott“.

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 Es zeichnet sich damit bereits die wesentliche Rolle der Kirche in der „Weltvermittlung“ ab, die weiter unten noch zu vertiefen ist.



Offenbarung ist die Tat Gottes, die zur Einheit mit ihm führt, oder, wie es Dieringer in Anlehnung an Staudenmaier formuliert, „Vermittlung des höhern Lebens durch die Gottheit“

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. Dies ist in knapper Form die inhaltliche Bestimmung von Offenbarung. Die formale Bestimmung nach unmittelbarer und mittelbarer Offenbarung bringen im Wesentlichen die Frage nach der Rolle des Wunders in Natur und Geist (Inspiration) sowie die Frage nach dem Erscheinen des Weltvermittlers Jesus Christus in der Geschichte mit sich, um sich dem Offenbarungsbegriff Dieringers weiter nähern zu können.

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2.1.2 „Die göttliche That“ – Offenbarung und Wunder



Betrachten wir die Aussagen Dieringers zum Wunder so stellen wir fest, dass diese einen wesentlichen Teil seines Werkes einnehmen. Die Titel von Polemik und Dialektik zeigen an, dass beide Bücher das „System der göttlichen Thaten des Christenthums“ darstellen wollen. Die göttliche Tat aber ist bei Dieringer nichts weiter als ein synonym zu verwendender Begriff für das Wunder. Zu Beginn der Polemik stellt Dieringer heraus, dass er die Bezeichnung „göttliche That“ für das, was der Begriff „Wunder“ bezeichnet, aus zwei Gründen bevorzugt.

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 Zum einen hängt dem Begriff der göttlichen Tat keine negative Konnotation an wie dem des Wunders, zum anderen erübrigt sich bei ihm jede Erläuterung zum eigentlichen Urheber des Bezeichneten, weil dem Begriff der göttlichen Tat die „göttliche Causalität“

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 gleichsam innewohnt. Zum Ende der Einleitung der Polemik stellt Dieringer dann deutlich den Zusammenhang von Wunder und Offenbarung heraus: „Der Offenbarung ist es wesentlich und es ist ihr Begriff, daß sie ausschließlich göttliche Elemente setzt, also in göttlichen Thaten hervortritt, und dem Wunder ist es wesentlich, ausschließlich göttliche That zu seyn, also einen göttlichen Gedanken verkörpert darzustellen.“

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 So sind nach Dieringer Offenbarung und Wunder schlechthin nicht ohne einander zu denken, da es zum Wesen der Offenbarung gehört göttlichen Ursprungs und Tat Gottes zu sein; es aber das Wesen des Wunders ist, göttliche Tat zu sein.



Dabei ist der Zusammenhang von Wunder und Offenbarung nicht der einer nur „relativen Notwendigkeit“

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 im Sinne einer Begleitung der eigentlichen Offenbarung, die dann wesentlich als Lehrbegriff gefasst wird. Das Wunder ist „keine Testimonie seiner Doktrin“

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. Auch wenn das Wunder der beste Beweis der Wirklichkeit einer Offenbarung ist

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, so ist es doch nicht dazu da, die Ungläubigen zum Glauben zu bringen, in dem es durchschlagende Beweiskraft mit sich bringt.

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 Gott nutzt nicht das Wunder, um seine Botschaft zwingend durchzusetzen und mit ihm gleichsam die Freiheit des Menschen zu übergehen. Vielmehr hat Gott mit dem Wunder sein Möglichstes getan, „ohne die menschliche Willensfreiheit aufzuheben“.

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Aber all dies ist nach Dieringer noch allzu sehr der Auffassung verhaftet, dass die christliche Offenbarung lediglich als Lehrveranstaltung begriffen werden muss.

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 Diese Auffassung aber macht Gott zum „Docenten“, der den geistig minder begabten Menschen mittels des Wunders belehrt, dem intelligenteren aber das Wunder („die Ruthe“) erspart, weil er die Offenbarungsinhalte auch selbst ‚erdenken’ kann.

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 Die Offenbarung aber gibt dem Menschen nicht, was er auch selbst hätte erreichen können.

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All dies ließe zudem das Wunder rein akzidentiell zur Offenbarung erscheinen und als etwas letztlich auch „Ueberflüssiges“

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 erscheinen. Das Wunder aber ist die Verwirklichung eines göttlichen Gedankens, es ist „lebendige Wahrheit“, wie Dieringer in Rückgriff auf Augustinus formuliert.

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 Am Wunder werden Gottes Gedanken für den Menschen nachdenkbar. Dies macht sie unschätzbar wertvoll für die Methode der positiven Theologie. Ist das Wunder aber nur Beiwerk zur Offenbarung, dann wäre sie auch ohne Wunder denkbar. Dieringer geht es aber gerade um die bereits erwähnte Einheit von Offenbarung und Wunder als göttlicher Tat. Eine Einheit, die er biblisch in der Art und Weise des Auftretens Jesu begründet sieht. Die Perikopen, die reine Lehrstücke enthalten sind zahlenmäßig fast geringer als die Wunderberichte. Dieringer folgert allein schon aus dieser Tatsache, dass sie im öffentlichen Wirken Jesu dieselbe Bedeutung haben für das Offenbarungsgeschehen.

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 Ohne an dieser Stelle bereits in die christologische Ausdeutung dieser Zusammenhänge einzusteigen, sei doch darauf verwiesen, dass die einheitliche Betrachtungsweise von göttlicher Tat und göttlichem Wort im Leben Jesu auf ein ganzheitliches Verständnis von Erlösun

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