Trojanische Pferde

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Trojanische Pferde
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Peter Schmidt

Trojanische Pferde

Detektivroman

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Inhaltsverzeichnis

Titel

ZUM BUCH

PRESSESTIMMEN

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WEITERE TITEL

Impressum neobooks

ZUM BUCH

Privatdetektiv Winger auf den Spuren eines der größten Coups der Nachkriegsgeschichte …

"Sie erklärten mir, ich solle einen Laden ausheben, der mit Thai-Mädchen handele, irgendein finsteres Etablissement am Rande der Stadt, wo die Fassaden immer grauer werden, die Toreinfahrten dunkler und die Straßenlaternen so aussehen, als seien sie auf halbe Kraft geschaltet.

Sie sagten: 'Ihre schmierige kleine Detektei wirft doch kaum genug ab, um sich über Wasser zu halten, Winger. Also setzen Sie mal Ihre Fäuste für uns ein. Ihr Verstand ist dabei nicht gefragt, wir brauchen jemanden, der kräftig zupacken kann und keine Angst vor blauen Flecken hat.'”

Schnelles Geld für Privatdetektiv Winger? Doch dann kommt ein rätselhafter Mord ins Spiel …

Der erste Verdächtige – Keißen junior – stand immer unter der Fuchtel seines strengen Vaters, eines zurückgezogen lebenden und etwas verschrobenen Häusermaklers. Vor seinem frühen Tode war sein Sohn Schwimmchampion und pflegte ein merkwürdiges Hobby:

Er zog Hunde, die er in sein Übungsbecken lockte, an den Hinterpfoten unter Wasser, bis sie ertrunken waren …

„Keißen juniors Verhältnis zu Frauen war genauso zwiespältig wie zum Wasser“, so sein enger Freund Marten. „Er hatte Angst vor ihnen, trotzdem zogen sie ihn magisch an.”

Könnte sein nächstes Opfer ein Frau gewesen sein? Privatdetektiv Winger ahnt nicht, dass er einem Komplott auf der Spur ist, das die Republik in ihren Grundfesten erschüttert …

Ungekürzte, überarbeitete Neuausgabe der Hardcover-Fassung im Rasch und Röhring Verlag, Hamburg

Copyright © 2013 Peter Schmidt

PRESSESTIMMEN

http://autor-peter-schmidt-pressestimmen.blogspot.de/

Der Westfale Peter Schmidt ist als erster deutscher Autor erfolgreich ins angloamerikanische Thriller-Monopol eingebrochen.

(Capital)

Und ein besonderes Lesevergnügen sind die spitzen Bemerkungen von Detektiv Ralf Winger, seine Seitenhiebe und erfrischenden Analysen unserer manchmal so skurrilen gesellschaftlichen Missstände. Darin ist er nicht nur seinen klassischen Vorgängern wie Chandler und Hammett ebenbürtig, sondern übertrifft sie bisweilen – wie auch schon im Thriller „Winger“ – an Wortwitz deutlich.

(Hans Walther über Trojanische Pferde)

Peter Schmidt hat hierzulande den Polit-Thriller salonfähig gemacht und ohne sonderliche Mühe einen Standard erreicht, der internationale Maßstäben standhalten kann.

(Krimikritiker Rudi Kost)

Thriller mit Tiefgang

(Rheinischer Merkur)

Auffallend an Schmidts dramaturgisch raffinierten Agenten-Storys sind – neben der Detailtreue – die skeptische Weltanschauung und eine geradezu undeutsch klare kühle Prosa.

(stern)

Deutschlands einziger (jedenfalls einziger ernst zu nehmender) Autor im Agenten-Genre.

(Vorwärts)

Durchdachte Analysen, um die Konfrontation einzelner Menschen mit politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse darzustellen.

(Welt der Arbeit)

Schmidt hat es geschafft, in eine angloamerikanische Domäne einzubrechen.

(Westdeutsche Allgemeine).

ÜBER DEN AUTOR


Peter Schmidt, geboren in Gescher, Schriftsteller und Philosoph, gilt selbst dem Altmeister des Spionagethrillers, John le Carré, als einer der führenden deutschen Kriminalautoren des Genres. Außerdem veröffentlichte er zahlreiche Medizinthriller, Wissenschaftsthriller, Psychothriller und Detektivromane.

Bereits dreimal erhielt er den DEUTSCHEN KRIMIPREIS („Erfindergeist“, „Die Stunde des Geschichtenerzählers“ und „Das Veteranentreffen“). Für sein bisheriges Gesamtwerk wurde er mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet.

Schmidt studierte Literaturwissenschaft und sprachanalytische und phänomenologische Philosophie mit Schwerpunkt psychologische Grundlagentheorie an der Ruhr-Universität Bochum und veröffentlichte rund 40 Bücher, darunter auch mehrere Sachbücher.

ZUM AUTORENINFO

http://autoren-info-peter-schmidt.blogspot.de/

1

Sie erklärten mir, ich solle einen Laden ausheben, der mit Thai-Mädchen handele, irgendein finsteres Etablissement am Rande der Stadt, wo die Fassaden immer grauer werden, die Toreinfahrten dunkler und die Straßenlaternen so aussehen, als seien sie auf halbe Kraft geschaltet …

Sie sagten: “Ihre schmierige kleine Detektei wirft doch kaum genug ab, um sich über Wasser zu halten, Winger. Also setzen Sie mal Ihre Fäuste für uns ein. Ihr Verstand ist dabei nicht gefragt, wir brauchen jemanden, der kräftig zupacken kann und keine Angst vor blauen Flecken hat.”

Ich sah mir an, wie die beiden in meinem Büro standen: zwei ehrenwerte Vertreter der ehrenwerten Gesellschaft in unauffälligen grauen Anzügen, die langen Wintermäntel über dem Arm, weil es draußen schon empfindlich kalt war und die Eiszapfen von den Dachrinnen zu fallen drohten.

Es hätten Geschäftsleute mit untadeligem Leumund oder Anwälte sein können.

Der eine strich sich durch sein gescheiteltes weißes Haar, und der andere war ins Nebenzimmer gegangen, eine Hand in der Jackentasche, um sich mein Klappbett aus lackiertem Stahlrohr anzusehen.

Er verzog keine Miene beim Anblick der durchgelegenen Matratze. Er hatte kurze, stämmige Beine und einen wohlgenährten Nacken mit kleinen roten Schwären, als sei seine Verdauung nicht in Ordnung.

“Sie wissen ja, dass Menschenhandel bei uns verboten ist, Winger”, sagte er so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. “Das weiß schließlich jedes Kind. Die Polizei kann der Inhaberin dieses komischen Ladens nichts nachweisen, weil ihre Mädchen ein Haufen eingeschüchterter Gänse sind.

 

Die würden zu allem nicken und Ja und Amen sagen, was sich irgendwie wichtig anhört.”

“Wenn es nur mit drohender Stimme vorgetragen wird”, ergänzte der andere.

“Aber wir können es ihnen nachweisen, Winger. Und Sie können den Burschen Beine machen, ganz legal. Was halten Sie davon, wenn wir mal in den Wagen steigen und uns das Etablissement ansehen?”

“Jetzt gleich?”, fragte ich und schüttelte unschlüssig den Kopf.

Meine Freundin war wegen ihrer Magersucht mit einem Koch – einem Experten für kalorienarme Ernährung – auf und davon. Sie hatte mich verlassen, weil ich zum Frühstück Schweinshaxen mit fetten Bratkartoffeln aß und allergisch gegen Dressing light und Magermilchjoghurt war, und jetzt wartete ich auf den Anruf eines fülligen brünetten Mädels, das am Theater als Souffleuse arbeitete.

“Sie haben doch seit vier Wochen keinen Auftrag mehr gehabt.”

Er öffnete meinen Kühlschrank und sah sich die leeren Fächer und das vereiste Tiefkühlfach an. “Sie sind pleite. Sie haben das Revier gewechselt, weil Ihr Vermieter Ihnen einen Zahlungsbefehl geschickt hat und weil Sie wieder mal im Restaurant Ihre Rechnungen schuldig geblieben sind. Sie hatten ein Abonnement für Mittag- und Abendessen beim Griechen Athene, aber der hat Ihnen zwei Kassierer auf den Hals gehetzt.”

“Hören Sie auf …”

“Sie haben einem der beiden, einem Sinti, das Nasenbein gebrochen, als er zu Ihnen in den Wagen steigen wollte, und das hat seiner Sippe gar nicht …”

“Ich sagte: Lassen Sie’s gut sein …

“Nun bleiben Sie mal ruhig an Ihrem Schreibtisch sitzen und legen Sie wieder Ihre Stiefel auf die Platte, wie's sich für einen guten Cowboy gehört, Winger.”

“Einen braven berittenen amerikanischen Rinderhirten”, sagte der andere so freundlich lächelnd, dass sich nicht mal ein streitsüchtiger Psychopath über irgendeine Spur von Bösartigkeit bei ihm hätte beklagen können. “Falls Sie dasselbe noch mal auf deutsch hören wollen?”

Die beiden waren echte Witzbolde.

Vermutlich spielten sie auf meine amerikanisch aussehenden Stiefel an. Die Dinger stammten aus einer Schuhfabrik in Oberitalien und waren mir von einem Klienten mit Zahlungsschwierigkeiten übereignet worden.

Aber ich hatte keine Lust, mir an diesem schönen Wintertag die Laune verderben zu lassen. Deshalb tat ich einfach, was sie sagten.

Ich lehnte mich zurück, und während ich meine auf Hochglanz polierten Stiefelspitzen betrachtete, dachte ich an die Worte von Bischof Braun, der im Park von der Polizei aufgegriffen worden war, als er sich den Mädchen gezeigt hatte:

Ich nehm's den Kleinen gar nicht übel, dass sie sich über mein Ding lustig machen, doch dann lassen Sie mir auch mein Vergnügen, es an die Luft zu halten.

“Haben Sie was dagegen, wenn wir uns ein wenig von Ihrer Seriosität überzeugen, bevor wir endgültig zur Sache kommen?”, erkundigte sich der eine und deutete vage auf meine Büroeinrichtung.

“Wenn Sie dabei kein Geld aus der Porto- oder Kaffeekasse mitgehen lassen?”

Comme il faut”, sagte der andere, nachdem er meinen Blechschrank aufgezogen hatte, um sich das Hängeregister meiner Kundenkartei anzusehen. Dabei warf er mir einen Blick zu wie jemandem, für den Französisch bestenfalls ein teures Extra im Bordell war. “Das heißt soviel wie mustergültig. Von uns können Sie noch was lernen, Winger.”

“Im Ernst?”, fragte ich. “Wieso denn ausgerechnet von Ihnen? Wir sind doch alle nur arme Halbblinde, die über die Steine stolpern auf diesem verlorenen Planeten.”

Sein Blick wurde trübe, und er sah mich an, als wenn ich ihm philosophisch auf die Sprünge helfen wollte.

Vielleicht litt er ja schon seit seiner Geburt daran, dass ihm noch keiner hatte erklären können, weshalb er auf die Welt gekommen war, und das machte ihn allergisch gegen jede Art von Tiefsinn. Aber dann gab er sich seufzend einen Ruck.

“Bleiben wir lieber beim Thema, Winger. Es geht um ein paar Mädchen, mit denen man nicht so nett umspringt, wie’s sich für ausländische Besucherinnen gehört. Die armen Dinger werden unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus Thailand nach Europa gelockt.

Wenn sich kein Käufer findet, geht's ab in die Bordelle von Frankfurt oder Hamburg. Oder man bringt sie dazu, durch billige Peepshows zu tingeln. Sie werden eingeschüchtert und in Abhängigkeit wegen der Unterstützung ihrer notleidenden Familien gehalten. Sie sind hochverschuldet, und wenn das alles als Druckmittel noch nicht ausreicht, findet sich immer ein wohlmeinender Schläger, der ihnen Manieren beibringt.”

“Die Sache scheint Ihnen ja mächtig an die Nieren zu gehen?”, erkundigte ich mich. “Was rechnen Sie sich denn dabei aus? Dass Mutter Theresa Ihnen demnächst ein Zertifikat über Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe ausstellt? Von denen, die solche Mädchen ausnutzen, gibt's Tausende, und wenn wir einen von ihnen verjagen, machen wir bloß seinem Nachfolger Platz.”

“Das lassen Sie mal unsere Sorge sein.” Er zog einen Umschlag aus der Innentasche seines Mantels, schob ihn mit den Fingerspitzen auseinander und ließ mich den Inhalt sehen. “Was halten Sie denn davon?”

Es waren so nagelneue Zweihundertmarkscheine, dass man ihre Farbe riechen konnte – schwer zu sagen, ob sie aus dem Farbkopierer oder von der Bundesbank stammten.

“Das reicht gerade mal für die Anzahlung.”

“Na, na, halblang bitte. Dies hier ist ein hübsches Sümmchen. Soviel haben Sie im ganzen letzten Monat nicht auf einem Haufen gesehen, höchstens im Traum.” Er zog drei Scheine heraus und ließ sie zwischen meine Beine auf die Tischplatte flattern. “Hier sind sechshundert Anzahlung. Die behalten Sie, auch wenn Sie nach unserer harmlosen kleinen Besichtigungsfahrt das Handtuch werfen.”

Ich sah mir die Scheine an – sie schienen echt zu sein –, schob sie mit dem Unterarm in die Schreibtischschublade und goss mir aus der Kanne neben meinem rechten Knie etwas kalt gewordenen Kaffee ein.

“Eines will ich Ihnen gleich sagen: Ich arbeite nicht für anonyme Auftraggeber. Ich will Namen hören – überprüfbare Namen und Adressen.”

“Kein Problem.” Der Weißhaarige reichte mir seine Visitenkarte. Everding & Kranz – Anwälte. “Ich bin Kranz, das ist mein Kompagnon Everding.”

“Also gut”, meinte ich an Everding gewandt. “Dann sagen Sie mir mal, wie Sie ausgerechnet an mich geraten sind. Dieser sogenannte Kassierer vom Athene ist mir nur ganz zufällig vor die Wagentür gelaufen.”

“Ausgerechnet in dem Moment, als sein Nasenbein in der richtigen Position war?”

“Er hat sich vorgebeugt, um an meinem Wagen herumzufummeln. Was weiß ich? Vielleicht war er ja gerade dabei, meine Reifen durchzustechen?”

“Und den zweiten Mann, den man Ihnen auf den Hals gehetzt hat, haben Sie kurzerhand in die geschlossene Abteilung des nächsten Hospitals einliefern lassen?”

“Weil er eine etwas zu lockere Hand bei den Nullen auf meiner Rechnung hatte. So was fällt bei den Seelenklempnern nun mal unter die Rubrik ‘krankhafte Phantasie’. Das sind keine Kassierer, sondern Burschen, die von den Restaurantbesitzern Schutzgelder erpressen. Diesmal hatte unser lieber Amaxos vom Athene endlich mal ‘nen Grund, sich tatsächlich von ihnen beschützen zu lassen.”

“Was ist mit dem Blutgerinnsel an seinem Hinterkopf?”

“Nur der Türrahmen meines Wagens.”

“Und vor den ist er genauso zufällig geknallt wie der andere mit dem Nasenbein gegen Ihre Wagentür?”

“Ich mag früher mal ein Draufgänger gewesen sein, aber im Alter stellt man sich schnell die Frage, ob das Faustrecht zur Regelung unserer Angelegenheiten wirklich die angemessenste Methode ist. Wenn Sie einen Auftrag für mich haben, der etwas mehr Kopf als Muskeln verlangt, werden wir uns vielleicht handelseinig. Alles andere würde mir unweigerlich das Gefühl verschaffen, ich hätt's lieber mit einem Job als Sparringspartner versuchen sollen.”

2

Während der Fahrt zum Klub fragte ich Everding, für wen sie arbeiteten. Er sah mich so überrascht an, als sei der Gedanke, er könne außer für sich selbst noch für jemand anders arbeiten, völlig neu für ihn.

Das Haus war ein alleinstehender, windschiefer Kasten aus dunklem Backstein, an dessen Holzläden sich ein Liebhaber süddeutscher Bauernmalerei mit etwas zu grobem Pinsel und zuviel roter Lackfarbe versucht hatte.

An der einen Seite hing eine rostige Feuerleiter, deren zernagte Bolzen aussahen, als würden sie beim Husten des nächsten Passanten herausfallen.

Vier der Eisenstufen fehlten, aber dafür gab es am Ende der Leiter eine solide, neu eingesetzte Tür aus ungestrichenem Eisenblech.

Das Etablissement nannte sich Thailändischer Freundschaftsverein – GÄSTE HERZLICH WILLKOMMEN! – und war so was wie ein Zwitter aus Nachtbar und buddhistischer Begegnungsstätte, in dem thailändische Mädchen einzelnen unerträglich einsamen Herren Gesellschaft leisteten.

Wir hielten auf dem Parkplatz in der Deckung einer freistehenden Plakatwand.

Über uns jagte eine Herde Marlborogäule durch den Nebel. Sie kamen niemals an. Aber vielleicht fand ich das ja nur deswegen so bemerkenswert, weil Unzufriedenheit inzwischen zu unserem zweiten Naturell geworden ist.

“Also gut”, sagte Kranz. “Sie haben schließlich ein Recht darauf, zu erfahren, für wen wir arbeiten, Winger. Hat er doch, oder?”, erkundigte er sich an Everding gewandt.

Everding nickte und betastete nachdenklich die Schwären in seinem Nacken.

“Wir arbeiten im Auftrage einer Vereinigung gegen den fortschreitenden Verfall der Sitten in der Stadt”, sagte er, immer noch nicht viel lauter. “Leider gibt es keine rechtliche Handhabe, die Arbeit des Klubs zu unterbinden.”

“So was existiert hier? Ich meine, seit wann machen Vereine denn in Moral?”

“Was glauben Sie, was es hier in der Region alles gibt. Dieser Moloch von Städten, die an allen Ecken zusammenwachsen, ist mittlerweile genauso in der Hand der Ost-Mafia wie unsere ehrenwerte Hauptstadt. Da bleibt nur noch die Selbsthilfe des mündigen Bürgers.”

“Selbstjustiz, wollen Sie sagen?”

“Gewalt ist nicht unsere Sache, Winger. Wir wollen keine Prügel und teilen selber keine aus.”

“Aber Sie haben doch irgendein faules Ding ausgebrütet, um den Burschen das Handwerk zu legen?”

“Na, sagen wir mal, wir haben einen Weg gefunden, der zwar nicht illegal ist, aber auch nicht ganz koscher.”

“Sie müssen wissen, dass in dem Laden zwischen ‘Klubmädchen’ und ‘Ware’ unterschieden wird. Klubmädchen sind gewöhnliche Bardamen aus Thailand, Ware jene Mädchen, die unter der Hand zum Kauf angeboten werden”, erklärte Kranz.

“Und was ist meine Aufgabe dabei? Wofür brauchen Sie meine Hilfe?”

“Wir sind zu bekannt in dieser Stadt, wir sind Anwälte, Winger. Man würde sofort Verdacht schöpfen.”

“Wir schlagen Ihnen vor, regelmäßiger Besucher des Klubs zu werden”, sagte Everding. “Auf unsere Kosten. Das ist doch auch schon was, oder? Neben Ihren Spesen, meine ich? Der Laden ist recht gut bestückt, was den Spirituosenschrank anbelangt. Und mit Ihren Spesengeldern können Sie dann der Brünetten im Souffleurkasten ein paar schöne Stunden machen.”

“Sie kennen Silvia?”

“Silvia ist ein nettes Mädchen, aber den Leuten vom Theater brennen zu leicht die Sicherungen durch. Die sind nichts für Leute von Ihrem Kaliber, Ralf. Das wäre, als würde man Feuer ins Öl schütten.”

“Na, herzlichen Dank für die Charakteranalyse.”

Everding machte eine ungeduldige Handbewegung. “Ihre Privatangelegenheiten interessieren uns nicht. Versuchen Sie das Vertrauen der Geschäftsleitung zu gewinnen. Und nach einiger Zeit fangen Sie an, sich für eine der Damen zu interessieren.

Wählen Sie ein Mädchen, das Ihnen vom Typ her liegt. Sie sollen ja nicht über Ihren eigenen Schatten springen …

Sobald Ihnen ein Angebot wegen des Kaufpreises gemacht wird, lehnen Sie ab! Sie hätten sich in das Mädchen verliebt. Geld käme nicht in Frage. Also versuchen Sie beide den Klub zu verlassen, notfalls mit Gewalt. Für diesen Zeitpunkt haben wir Ihnen am anderen Ende der Stadt ein Hotelzimmer reservieren lassen, wo Sie erst mal mit der Kleinen untertauchen können.”

 

“Auf wessen Kosten?”

“Auf unsere, versteht sich.”

“Hm, hört sich ganz plausibel an. Aber damit sind Sie und Ihre hochmoralischen Auftraggeber doch noch längst nicht am Ziel angelangt?”

“Aber wir liegen schon ganz gut im Rennen. Später werden Sie dann noch mal allein den Klub aufsuchen und der Inhaberin und ihren Hintermännern klarmachen, das Mädchen sei jetzt bereit, vor der Polizei auszusagen. Sie selbst würden ihre Aussage bestätigen können.”

“Damit wäre zum ersten Mal eine gesetzliche Handhabe zur Schließung des Klubs gegeben”, meinte Kranz. In seine müden Schultern war etwas Haltung gekommen, als richte der Gedanke ihn innerlich auf.

“Hübscher Plan”, bestätigte ich, “ außer, wenn man mir dabei den Schädel einschlägt, nicht wahr?”

“Sie sind doch auf solche Geschäfte spezialisiert”, sagte Everding. Wenn er jemals versucht hatte, verbindlich zu lächeln, dann musste ihm das gründlich misslungen sein. Jedenfalls seiner gegenwärtigen Grimasse nach zu urteilen. Er hatte keine Übung darin.

Ich zuckte die Achseln und stieg aus. Ich war auf die restlichen Scheine in Everdings Umschlag scharf, notgedrungen. So ist das nun mal im Leben, die Zeiten, in denen man auf die Jagd ging, um der Familie eine Gazelle fürs Abendessen zu schießen, sind leider schon seit ein paar Dekaden vorüber.

All die Ideale in meinem Gewerbe – von wegen heroischer Ritter der Großstadt und sprächen nicht meine Natur und meine Vorsätze dagegen, dann würde ich Ihnen jetzt eine runterhauen –, falls man sich dabei nicht ohnehin selbst was in die Tasche gelogen hatte, verflüchtigten sich auf der Stelle, wenn einem im Büro Heizung und Licht abgedreht worden waren.

Ich bedauerte die armen Dinger da drin, so wie ich alle auf der Welt bedauerte, denen es schlechter ging als mir, aber ich wäre kaum freiwillig für sie aus dem Wagen gestiegen.

Die Tür des Vereins war mit einer brandfleckigen Bügeldecke verhängt. Hinter dem provisorischen Vorhang – an der Stelle der Milchglasscheibe, wo er knapp über der Klinke ein kleines Dreieck freiließ – schimmerte rötliches Licht.

“Tut mir schrecklich leid ”, sagte eine rothaarige Alte in schwarzem Drachenkimono, die man wegen ihres verhärmten Gesichts leicht für die Reinemachefrau hätte halten können, wäre das goldene Gebammel an ihren Ohrläppchen nicht ein paar Pfund zu schwer dafür gewesen, “aber wir hatten eine Überschwemmung. Eines der Mädchen spielt verrückt – das Heimweh”, fügte sie mit mitleiderweckendem Augenaufschlag hinzu, als sei “Heimweh” eine Art Zauberformel für mein abgestumpftes Herz.

Der Boden war eine einzige große Lache, die sich aus dem Waschraum bis zum Eingang ergossen hatte.

“Kein Problem, werd' einfach ein wenig meine Hosenumschläge liften”, sagte ich und setzte mich auf einen Barhocker an der Theke, die Schuhe auf der Trittstange. “Wer von den Mädchen ist denn die Unglückliche?”

“Die Kleine mit der netten Stupsnase.” Sie zeigte auf ein Mädchen, dass apathisch an der gegenüberliegenden Wand saß und durch mich hindurchblickte. Ihre Kolleginnen waren damit beschäftigt, feuchte Aufnehmer auszuwringen und volle Wassereimer zur Toilette zu tragen. “Sum Nong, bitte komm zu uns herüber und leiste dem Herrn Gesellschaft.”

Sum beachtete uns nicht.

“Ich bin Helga”, sagte die Rothaarige, als seien Probleme beim Dressurakt nichts, was eine erfahrene Dompteuse wie sie aus der Ruhe bringen könnte. “Die Gründerin des Vereins. Sum ist etwas unpässlich, weil ihr das Klima nicht bekommt. Sie spricht kein Wort Deutsch, aber auf englisch kann sie sich ganz gut verständigen.”

Helga zischte ihr ein paar Worte in einer Sprache zu, von der ich annahm, es sei Thai. An ihrem Tonfall hätte man leicht mein Rasiermesser abziehen können.

Das Mädchen wurde so lebendig, als habe ihm jemand ein Lebenselixier eingeflößt, und zwar über den Gehörgang direkt ins Gehirn. Sie patschte durch die Wasserpfützen zu uns herüber, berührte mit der flachen Hand ungeschickt mein Knie und sah mich schicksalsergebener an als eine Kuh, die beim landwirtschaftlichen Leistungswettbewerb den ersten Preis machen sollte und das auf irgendeine sprachlose Weise auch verstanden hatte, in ihrer dumpfen Art …

Sum war etwa zwanzig Jahre alt, zierlich gebaut und unterschied sich wenig von den Mädchen, die man in ihrem Land an jeder Straßenecke antreffen konnte. Abgesehen vielleicht von ihren Augen, die plötzlich, wenn sie glaubte, niemand bemerke es, überraschend lebendig werden konnten.

Ihre Haut war so glatt und makellos, dass es einem den Atem verschlug, und manchmal lag in ihren Bewegungen genau jene Art von Geschmeidigkeit und Unterwürfigkeit, die vielleicht der eigentliche Grund dafür ist, dass so viele Männer glauben, thailändische Frauen seien von der Vermännlichung des weiblichen Geschlechts verschont geblieben.

Helga beobachtete das alles mit Wohlgefallen. Wenn jemand in einer völlig fremden Sprache, deren Betonung einem Europäer fast unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet, so beachtliche Ergebnisse erzielt, dann ist das auch ein berechtigter Grund für Zufriedenheit.

Da Sum keine Anstalten machte, ihren Arm um meinen Hals zu legen, nahm ich ihre Hand von meinem Knie und küsste sie sanft auf die Wange.

“Ich lasse euch beiden Turteltäubchen jetzt allein”, sagte Helga liebenswürdiger als der Papst bei seinen Privataudienzen. “Und denkt immer an den Wahlspruch unseres Klubs: Völkerverständigung darf kein hohles Lippenbekenntnis bleiben.” Sie deutete auf ein Plakat neben meinem Kopf, das eine Gruppe Negerkinder mit weißen und asiatischen Altersgenossen zeigte, die unter einem Affenbrotbaum picknickten.

Weiß Gott, ja. So ganz unrecht hatte sie damit nicht. Aber wie säh's denn auf der Welt wohl aus, wenn alles, was gut und richtig ist, in die Tat umgesetzt würde? Wir wären nicht mehr wiederzuerkennen. Es würde uns in die größte Identitätskrise unseres kurzen Lebens stürzen.

“Lady, you're a real pain”, sagte ich, während ich Helga hinterher blickte. Doch damit konnte ich bei Sum Nong keinen Blumentopf gewinnen. “Gibt's irgend etwas, was dich aufheitern könnte?”, erkundigte ich mich auf englisch.

“Bitte bringen Sie mich hier raus …”, sagte sie in einwandfreiem Deutsch.

“Nanu, wenn ich Helga richtig verstanden habe, sprichst du doch gar kein …?”

“Ich möchte nicht, dass jemand im Klub davon erfährt”, sagte sie leise.

“Und womit habe ich soviel Vertrauen verdient?”

“Sie sind Winger. Ihr Bild war mal in der Zeitung – als Sie dem stellvertretenden Bürgermeister bei der Einweihung der neuen Rennbahntribüne eine runtergehauen haben.”

“Dazu habe ich mich nur verleiten lassen, weil mir ein paar seiner Handlanger in den Ämtern aus purem Übermut das Leben schwer machen wollten. Aber einverstanden – du bleibst hier und wartest auf mich. Ich muss nur mal kurz vor die Tür, um ein paar Dinge zu regeln.” Die Sache bahnte sich schneller an, als ich erwartet hatte, und das konnte mir nur recht sein. Everdings Umschlag hatte nicht so ausgesehen, als wenn sein Inhalt für mehr als drei Besuche gutgewesen wäre.