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Kakophonien

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Sie lachte mir nur frech ins Gesicht und schlug die Tür hinter sich zu. In den nächsten Tagen redete sie kaum, und wenn, in einem sehr unhöflichen Ton. Ihre Launen wurde mir unerträglich, nährten meine Selbstzweifel und unterminierten meine Autorität. So bediente sie ohne Erlaubnis den Fernseher und verließ trotz Verbotes die Wohnung. Dabei hatten meine Nachforschungen ergeben, dass sie jedes Mal in der Kirche war. Stell dir nur vor, so eine in der Kirche.

Und dabei mangelte es meinerseits bestimmt nicht an Verständnis. So redete ich einige Male sehr behutsam auf sie ein und appellierte an ihre Vernunft, wobei ich jede Provokation vermied. Selbst ihre Briefe, die infolge ihrer Korrespondenz in irgendeine Walachei fortwährend bei mir einflatterten, ließ ich jetzt ungehindert durch. Doch was ich auch versuchte, nichts half. Folglich sah ich mich zum Letzten genötigt und sagte ihr, dass ich, sollte sie sich nicht ändern, mich gezwungen sähe, sie zu ihrem Albaner zurückzuschaffen, wo sie genügend Zeit fände, ihre Auslöse abzuarbeiten. Zwar hatte sie mir daraufhin ins Gesicht gespuckt, doch ich blieb unbeirrt. Natürlich dachte ich nicht daran, war es mehr ein Akt der Verzweiflung, ein letztes Mittel von Selbstbehauptung. Sie hätte das erkennen müssen, wie überhaupt vieles von ihr unbemerkt blieb, hingegen ich so vieles bemerkte, mich jedoch aus Takt zurück hielt. Und jetzt sag, was hätte ich noch tun sollen? Hätte ich überhaupt etwas tun können?

Natürlich habe ich sie geliebt, aber auf meine Weise, das ist doch legitim. Weshalb wohl habe ich sie dort herausgeholt, doch nicht, um mir zu gefallen? Diese Tat war menschlich und vor allem selbstlos, jedenfalls selbstloser, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag.

Ich sage nicht, dass ich sie verachtete, das ist nicht die richtige Terminologie. Vielmehr war es anfängliche Geringschätzung, das gebe ich zu, die sich jedoch schnell in Respekt und Anerkennung wandelte. Denn sie war so ein armes, von allen verlassenes Ding. Das wusste ich doch und hoffte, dass sie es merkte. Am deutlichsten wurde mir das, als sie eines Morgens lautlos neben meinem Bett stand. Ich stellte mich noch schlafend, hatte aber die Augen ein wenig geöffnet. Plötzlich konnte ich sehen, wie sie aus ihrer Handtasche einen Revolver nahm, so einen kleinen schwarzen und auf mich zutrat. Was soll ich dir sagen, mir war das in diesem Moment völlig gleich - wirklich. Ich verspürte überhaupt keine Angst, vielleicht Verwunderung, allenfalls Neugier, aber keine Angst. Dabei weiß ich bis heute nicht, ob der echt war. Nur eines wusste ich, dass sie es nicht täte, nicht sie. Da öffnete ich für einen Moment die Augen, und unsere Blicke begegneten sich. Ich weiß nicht, ob sie verstanden hatte. Kommt es doch bisweilen vor, dass man im Schlaf die Augen öffnet und danach wieder schließt, umso mehr, als ich keinen weitere Reaktion zeigte, was doch angesichts einer solchen Situation sehr unwahrscheinlich ist. Ich kehrte ihr also den Rücken und wartete.

Die Stille dauerte an, und tatsächlich spürte ich bald den kalten Lauf an meiner Schläfe. Wenn du mich jetzt fragst, ob ich auf Schonung hoffte, sage ich dir offen und ehrlich - nein. Wusste ich doch, was ich getan hatte, nur konnte ich es ihr nie begreiflich machen. Das war ja das Dilemma! Nichts ist schlimmer, als um seine Fehler zu wissen und sie nicht artikulieren zu können. Was blieb mir, mich ihr zu ergeben. Doch nichts geschah. Sie wich wieder zurück und legte sich neben mich ins Bett. Ich war sehr zufrieden, wenn auch überaus betrübt. Wir haben danach nie mehr darüber geredet. Deshalb weiß ich auch bis heute nicht, was das sollte. Aber vielleicht ist das auch besser so.

Zwei Wochen gingen noch ins Land, zwei qualvolle Wochen voller Schweigen und bedrückender Leere, obwohl wir jeden Tag zusammen waren. Wenn wir doch mal miteinander redeten, dann nur Belangloses. Ich weiß, dass es seltsam klingt, aber ich dachte, das müsse so sein; sie brauche Zeit, sich an mich zu gewöhnen. Das ist doch nur verständlich, und ich gab ihr diese. Allerdings war da noch eine unschöne Sache, die ich nicht vor ihr hatte verbergen können. Die Sache war die, als ich sie damals herauslöste, kam es bei diesem Albaner zu einer schrecklichen Szene. Eine seiner Damen - offenbar eine ihrer Freundinnen – wurde von einem Freier derart verprügelt, dass sie körperlichen Schaden nahm. Die Ärmste war nämlich nach einem Faustschlag zu Boden gefallen und dabei so unglücklich gestürzt, dass sie sich eine große blutende Wunde an der Stirn zuzog. Dabei hatte sie zuvor noch nach meiner Hand gefasst und um Hilfe gefleht, freilich nur, weil ich zufällig in der Nähe stand. Sie hätte auch jeden anderen anflehen können. Warum gerade mich? Aber was hätte ich denn tun sollen? - mich einmischen und einen Eklat riskieren? Du weißt nicht, welche Regeln dort herrschen und wie wenig man dagegen tun kann. Also blieb mir nichts, als ihre Hand wegzudrücken, ungeachtet ihrer Tränen und Verzweiflung. Dumm war nur, dass sie das mitbekam. Sie stand nämlich gleich daneben und sah mich ganz groß an. Sie sagte zwar nichts, oh nein, sondern sah mich nur an, ganz stumm und reaktionslos, doch ich sage dir, das war schlimmer, als wenn sie was gesagt hätte. Ich hatte es ihr später noch einmal zu erklären versucht, indem ich die Umstände noch einmal detailliert zusammenfasste, aber sie hörte gar nicht zu. Kannst du dir das vorstellen? Dabei war es mir bestimmt nicht einerlei. Das musst du mir glauben.

Zwei Tage später sah sie mich wieder so an. Das fiel mir sofort auf, weil sie mich ansonsten kaum ansah. Aber dieses Mal geschah es sehr lange, geradezu durchdringend, so richtig in die Augen, weißt du? Das wurde mir unheimlich, weil es so intensiv geschah. Mir war, als suche nach etwas, als bohre sie in mich hinein. Das war mir so unangenehm, dass ich ihr schließlich auswich. Dann aber fragte sie mich plötzlich: „Stimmt es eigentlich, dass Sie nach Ihrem Rausschmiss aus der städtischen Behörde mehrere Leute angeschwärzt haben und danach eine Zeit lang als Penner in einem Obdachlosenheim kampierten?“ Ich war so perplex, zumal ich bis heute nicht weiß, wie sie darauf kam. Das traf mich wie ein Schlag. Dann aber stellte ich sogleich klar, dass man mich nicht rausgeschmissen hätte, sondern ich von selbst gegangen wäre, weil die Zustände dort eine weitere Tätigkeit nicht mehr gestatteten. So war es ja auch, wirst dich erinnern. Auch gab ich zu, eine Zeit lang in der Treberhilfe am Ostbahnhof genächtigt zu haben, aber nur weil ich der Sanierung meiner alten Wohnung nicht zustimmte. Ich hatte damals Streit mit meinem Vermieter, der mir die Kosten überhelfen wollte, außerdem hätte ich niemanden angeschwärzt, sondern nur klargestellt, was unbedingt klarzustellen war.

„Aja“, versetzte sie daraufhin spöttisch, „und jetzt sind Sie wer, werfen mit Geld um sich und können sich eine Geliebte leisten.“ Ich wusste zunächst nicht, wie sie das meinte, trat dann aber noch einmal nach. „Ich bin in der Tat wieder in gesicherter beruflicher Position, das ist wahr und kann ein erträgliches Leben führen, wie man sieht. Aber das ist alles redlich erarbeitet und verdient, im Gegensatz zu anderen Leuten, die sich nur hingeben und meinen, damit ihre Schuld tu tilgen.“

Sie sagte darauf nichts mehr. Da quälte mich sehr, weil ich mich trotz allem noch unverstanden fühlte, weil meine Rechtfertigung nicht umfassenden geschah, ja weil ich mich überhaupt dazu hatte hinreißen lassen und ich das eigentlich gar nicht sagen wollte. Vielmehr hätte ich ihr erklären müssen, warum alles so gekommen ist, wie es kam und dass ich nicht anders handeln konnte; dass die Umstände mich dazu zwangen, oder was weiß ich. So macht man das doch, oder? So aber blieb vieles unausgesprochen, was letztlich zu unserem Ende führte.

Und jetzt sitze ich hier und weiß nicht, was ich tun soll. Noch immer habe ich den Duft ihres Parfüms in der Nase, fühle Wärme ihrer weichen Haut. Es erinnert mich daran, dass ich wieder alleine bin, allein in meiner Dachkammer, inmitten der alten Möbel und meinen Büchern. Alles ist so still, eine Stille, die man hören kann, und sicher wäre vieles anders, wenn …

Nun ja, was soll ich sagen, - das alles lässt mich nicht mehr los, obwohl ich ständig dagegen kämpfe. Aber was ich auch tue, sie geht mir nicht aus dem Sinn. Ich glaube, sie wusste das, legte es darauf an. Früher hätte man so etwas verbrannt, denn normal kann das nicht sein. Ich sage dir, die Weiber sind alle gleich, sie wollen dich rumkriegen, ganz gleich wie. Dazu ist ihnen alles recht, oder meinst du, ich hätte das nicht gewusst? Natürlich wusste ich das, aber gerade darauf setzte ich. Das ist doch legitim, oder? Warum sie mich allerdings dann doch verschmähte, verstehe ich nicht. Jetzt mal ehrlich – bin ich denn keine gute Partie, ich mit meiner Bildung und den guten Umgangsformen? Und nun siehe dir diese Typen an, mit denen sie dort verkehrt. Das ist der letzte Abschaum, den diese Gesellschaft herauswürgen kann, zu nichts anderem nütze, als unnütz zu sein, ihr aber dennoch wichtiger als ich. So was ist mit Logik nicht zu erklären.

Erst letzte Nacht hatte ich einen komischen Traum. Er war schon deshalb komisch, weil ich wusste, dass ich träumte, was ja selten vorkommt. Dabei kann ich dir nicht mal sagen, was. Es war völlig belanglos wie so vieles in meinem Leben und plätscherte dahin. Doch plötzlich wurde dieser Traum wie durch ein störendes Funksignal zerrissen, und sie erschien vor mir. Wie immer sagte sie nichts, stand nur da und sah mich mit großen, traurigen Augen an. Ich hatte das gleiche Gefühl wie bei unserer ersten Begegnung. Es war so warm und überwältigend, dass ich mir wünschte, nie mehr zu erwachen. Sie schien das auch zu spüren, umschlang und drückte mich so fest an sich, dass ich keine Luft mehr bekam. Ich wusste gar nicht wie mir geschah, wollte sie erst fortstoßen, da ich so etwas nicht ertrage.

 

Doch dann, nachdem wir eine Weile so umschlungen standen, wurde mir ganz anders, und ich fühlte eine große Wärme in mir. Jetzt sah ich nicht mehr das liederliche Weibsbild in ihr, sondern den Menschen, den armen, gequälten, der sich nach Liebe und Geborgenheit sehnt und ich fing sie dabei ganz offen auf, ohne mir dabei etwas zu vergeben. Kannst du dir das vorstellen? So etwas ist mir noch nie passiert.

Da umschlang auch ich sie und hatte nur noch einen Wunsch, sie nie mehr loszulassen. Ja, ich wünschte mir, fortan nur noch zu träumen, von mir aus bis zum Ende meiner Tage, gemeinsam mit ihr Höhen und Tiefen meistern und all das endlich einmal zu erleben, was ich bisher noch nie erlebt und ihr ebenso zu geben, was sie bisher noch nie erfahren hatte. Spürte ich doch erstmals so etwas wie Glück in meinem Herzen. Und selbst wenn sie eine unanständige Person war, was interessierte es mich. Also stemmte ich mich gegen ein Erwachen, versuchte es hinauszuzögern und hielt sie nur noch fester umklammert. Doch je mehr ich das tat, umso schwächer wurde ich, bis ich schließlich fröstelnd in meinem Bett erwachte.

Oh, welch eisiger Schauer durchfuhr mich angesichts der Härte meiner Einsamkeit. Wie gern wäre ich wieder in meinen Traum zurückgesunken, doch er war verloren. Ich stand auf und ging zum Fenster hin, zündete mir eine Zigarette an und schaute hinaus auf die leere, dunkle Straße. Weißt du, wie es ist, wenn man alleine in einem dunklen Zimmer steht und auf eine leere, dunkle Straße starrt - nach einem solchen Traum? Da kommen einem schon recht sonderbare Gedanken, die niemals kämen, stünde man nicht allein in einem dunklen Zimmer und starrte blicklos auf eine leere Straße.

Aber wie solltest du, der du über den Dingen stehst und so was gar nicht kennst. Was hätte ich darum gegeben, jetzt nicht in meinem Zimmer zu sein, sondern neben ihr zu liegen und sie anzuschauen. Das tat ich nämlich oft während ihres Schlafes, dabei jede Faser ihres Körpers studierend, den Duft ihres Haares inhalierend, und es waren für mich die schönsten Momente. Da war kein Widerstand mehr, war meine Seele von Innigkeit und Harmonie erfüllt, was offenbar nur in solchen Momenten möglich ist. Heimlich streichelte ich sie, flüsterte ihren Namen und war doch froh, dass sie davon nichts mitbekam. Sicher wäre mir das peinlich gewesen und ich hätte es sofort mit einer albernen, unbedachten Anwandlung erklärt, hätte vielleicht sogar gelacht, nur um mich nicht zu verraten. Ist das nicht albern? Und doch schäme ich mich dessen nicht, weil es echt war, wie etwas nur echt sein kann. Ich weiß, dass so etwas nicht normal ist. Aber ich will auch nicht normal sein. Warum auch? Normalität ist kein Segen, sondern ein Fluch, gerade in Liebesdingen. Das habe ich jetzt erfahren.

Da wurde mir klar, dass ich es dabei nicht belassen konnte, nicht bevor ich es nicht noch einmal versuch hatte. Also bin ich noch einmal hingegangen. Gestern war‘s. Ich war da. Meiner Gewohnheit nach setzte ich mich gleich an die Bar, umnebelt vom muffigen Dunst und blitzenden Lichtern, und guckte zu dem Mädchen an der Stange hin, das sich dort in obszönen Verrenkungen schamlos darbot. Und wie die Kerle glotzen, Speichel troff ihnen aus den Mäulern. Ein kahlköpfiger Dickwanst, ein Schwerenöter par exzellence, steckte ihr gönnerhaft etwas zu und lachte auf ihren folgenden Kussmund. Dann machte er ihr ein Zeichen, worauf sie ihn zu sich winkte. ‚Hurenbock‘, dachte ich, ohne zu wissen, warum. Aber ich empfand plötzlich einen ungemeinen Ekel vor ihm und dieser ganzen Farce, vor dem, was man hier kaufen kann und doch keinen Cent wert ist.

Ich begann sie zu suchen, wollte sie sehen und niemand anderen. Also stand ich auf und ging in den hinteren Flügel, dort den langen Flur entlang, wo sich rechts und links die Zimmer befinden. Oh, wie stank es hier nach Eau de Cologne, nach körperlichen Ausdünstungen, Unflat und Verworfenheit. Doch wo ich auch hinkam, ich konnte sie nicht finden. Also überwand ich mich und fragte diesen widerlichen Albaner. Doch was soll ich sage, dieses miese Schwein, dieser Hurensohn hat sie längst weiter verkauft; sie wäre jetzt in guten Händen, erklärte er mir noch vieldeutig. Da packte ich ihn am Reverse, hielt ihn ganz fest umklammert, indes er auch mich am Kragen packte. So standen wir uns einige Sekunden gegenüber, unbeweglich und ohne die Augen voneinander zu lösen. Meine Lippen fingen an zu zittern, wollten etwas sagen, brachten jedoch nichts heraus, umso mehr, als dieser Kerl mich die ganze Zeit über unverschämt angrinste, als wüsste er genau, was jetzt in mir vorging. Nein, er konnte sein Messer strecken lassen. Zu mehr war ich nicht fähig. Das sah er sofort.

Ich habe sie danach nicht mehr gesehen, das hat mich sehr betrübt. Dabei hatte ich ihr so vieles sagen wollen, wirklich. Ich war so durcheinander, dass ich mich gleich betrank. Selbst diese Nutte, die sich an mich heranzumachen suchte, stieß ich fort. Ich konnte das nicht mehr ertragen, und ich glaube, ich werde so etwas auch nie mehr können. Es ist einfach widerlich. Man sollte niemals mit der Seele spielen. Das aber habe ich getan, und jetzt bleibt mir nichts, als damit zu leben. Ich hoffe, sie kann mir irgendwann einmal verzeihen.

Kopfschmerzen habe ich, werde jetzt schließen und dir im nächsten Brief erzählen, was noch geschah - und bitte kein Wort zu Mama.

Kalle