Die Bestie von Bangstedt

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Die Bestie von Bangstedt
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Matthias Hahn

Die Bestie von Bangstedt

Absonderliche Erzählung

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Inhaltsverzeichnis

Titel

DIE BESTIE VON BANGSTEDT

Impressum neobooks

DIE BESTIE VON BANGSTEDT

WARNUNG: Der Genuss dieses literarischen Produkts kann zu appetitzügelnden Nebenwirkungen führen.

Mein Pflichtverteidiger hat vorgeschlagen, dass ich die Ereignisse niederschreiben soll. Die ganze Geschichte, so wie ich sie sehe, meine Motive, meine Planungen, den Hergang der Tat, meine Empfindungen und Handlungen nach dem Mord, einfach alles, was mir einfällt. Der Herr Verteidiger will sich dann meine Aufzeichnungen durchlesen, um auf deren Grundlage sein Konzept zu entwickeln.

Mein Verteidiger macht es sich einfach. Ich habe noch nie ein Schriftstück zu Papier gebracht, das länger war als ein Schulaufsatz oder ein Antrag auf Lohnsteuerermäßigung. Andererseits habe ich hier im Untersuchungsgefängnis sowieso nichts anderes zu tun als die Zeit totzuschlagen (nicht einmal meine Fliegenklatsche hat man mir gelassen). Also werde ich dem Ansinnen des guten Mannes nachkommen und meine Geschichte zu Papier bringen.

Nichts deutete in meiner Kindheit auf meine spätere Passion hin. Ich war ein ganz normaler Junge aus einem ganz normalen Elternhaus, riss ab und zu einmal einer Fliege die Flügel aus oder einer Spinne die Beine, so wie andere Kinder auch. Ich möchte sogar anmerken, dass ich den armen Spinnentieren nie alle Beine entfernt habe. Stets beließ ich ihnen wenigstens zwei, manchmal sogar drei ihrer Extremitäten und beobachtete mitfühlend, wie sie eifrig versuchten, mit den veränderten Gegebenheiten zurechtzukommen. Auch bin ich als Kind nie ein übertriebener Fernsehkonsument gewesen. Krimis haben mich allerdings schon früh fasziniert, ebenso Dokumentationen über die Massaker der Nationalsozialisten, aber welchen Jungen hätte das nicht gefesselt? Und ich muss mir sehr zugute halten, dass ich nie der Versuchung erlag, die gewaltverherrlichende Computerspiele auf meine Altersgenossen ausübten. Lieber beschäftigte ich mich mit intelligenten Zeitvertreiben wie Dame oder Schach, wobei ich mir allerdings bei letzterem die Figuren gerne als lebende Menschen vorstellte, die sich gegenseitig niedermetzelten.

Meine erste reale Begegnung mit dem Tod hatte ich während meiner Arbeit in einem privaten Tierversuchslabor. Ich war gerade neunzehn Jahre alt, hatte ohne Abschluss die Schule verlassen und rechnete mir nur geringe Chancen auf einen akzeptablen Ausbildungsplatz aus. Alle Metzger und Schlachter der Umgebung hatten sich bereits für andere Lehrlinge entschieden, also nahm ich die schlechtbezahlte Hilfstätigkeit an. Meine Aufgabenbereich umfasste die Versorgung der Tiere und das Ausmisten der Ställe, eine Prozedur, auf deren korrekte Erledigung der Laborleiter Doktor Teufel besonderen Wert legte. Schließlich sollten die Hunde, Katzen, Ratten und Mäuse gesund und wohlgenährt ihrer unangenehmen Bestimmung ins Auge sehen.

Doktor Teufel muss mit meiner Leistung sehr zufrieden gewesen sein, denn eines Tages, als ich gerade gewissenhaft die Unterkunft der Kaninchen reinigte, legte er mir die Hand auf die Schulter und erkundigte sich, ob ich mit meiner Tätigkeit zufrieden sei. Ich bejahte, merkte dann aber an, dass ich gerne auch verantwortungsvollere Arbeiten übernehmen würde. Er hakte nach, was ich mir darunter vorstellte, und ich versicherte ihm, mir wäre keine Aufgabe zuwider. Selbst für das Töten der Tiere nach den Experimenten sei ich mir nicht zu schade. Doktor Teufel musterte mich zweifelnd, dann nickte er langsam und entfernte sich, ohne ein weiteres Wort zu äußern.

Am nächsten Tag, kurz vor Feierabend, gesellte er sich zu mir und wies auf einen Käfig, in dem sich zirka zwanzig weiße Mäuse tummelten.

„Wir haben sie mit Epoxiden behandelt“, erklärte er. „In ungefähr jedem dritten Tier wächst ein Tumor heran. Die Versuchsreihe ist abgeschlossen und wir sollten die armen Tiere nun endlich von ihrem Leid erlösen.“

„Werden die gesunden Mäuse aussortiert?“, wollte ich wissen.

„Nein, das würde zu viel Zeit kosten, die wir nicht bezahlen können. Außerdem dürfen wir die Tiere nie für zwei Versuche mit erbgutverändernden Chemikalien benutzen. Auf diese Weise könnten die Ergebnisse verfälscht werden.“

Er griff sich eine der Mäuse und schlug sie gegen die Käfigkante.

„Genickbruch“, kommentierte er. „Auf diese Weise geht es am schnellsten. Man könnte die Tiere auch mit Äther betäuben, aber wenn man einmal gesehen hat, wie die armen Viecher sich damit quälen ... Und jetzt Sie.“

Ein wenig nervös angelte ich eines der Tierchen aus seinem Gefängnis. Es blickte mich mit seinen roten Albinoäuglein an, schnupperte mit der Nase aufgeregt an meiner Hand, und ich konnte seine Wärme spüren. Ich richtete ein paar sanfte Worte an das kleine Wesen, und ich glaubte zu fühlen, wie sich sein Herzschlag durch den Wohlklang meiner Stimme beruhigte. Dann schlug ich zu. Ein erschrecktes Fiepen verriet mir, dass ich nicht richtig getroffen hatte. Ich musste das zitternde Fellknäuel noch sage und schreibe siebenmal gegen die Käfigkante schmettern, bis es endlich verstummte.

„Das passiert den meisten beim ersten Mal“, bemerkte Doktor Teufel. „Das ist alles nur Übungssache.“

Ich nickte und probierte es gleich noch einmal. Und siehe da, diesmal gelang es mir schon beim ersten Schlag. Doktor Teufel lächelte zufrieden.

Von diesem Tag an durfte ich alle überflüssigen Tiere beseitigen. Einmal in der Woche waren die Mäuse an der Reihe, ein- bis zweimal im Monat die Kaninchen, Katzen und Hunde. Die größeren Tiere wurden selbstverständlich nicht mittels eines Genickschlags getötet. Die Katzen und Hunde schläferte ich ein, und auch die Kaninchen betäubte ich mit einem Narkotikum, bevor ich ihnen den Kopf vom Leib trennte. Anfangs. Bald ging ich dazu über, auf die Betäubung zu verzichten. Umso schneller war die Arbeit getan, und umso früher konnte ich nach Hause gehen und den verdienten Feierabend genießen. Außerdem, so gebe ich gerne zu, in den Momenten, in denen ich die Angst im Blick der armen Tiere erkannte, verspürte ich zum ersten Mal einen Hauch der inneren Erregung, die ich später stets beim Töten gesucht und meist auch gefunden habe.

Am liebsten beschäftigte ich mich mit den Mäusen. War es zu Beginn mein Ziel gewesen, möglichst viele Tiere in möglichst kurzer Zeit zu schlachten, erwachte bald meine Freude am Experimentieren. Ich veränderte die Stärke meines Schlages, testete Hammer und Schraubstock, probierte in meinem Übereifer sogar eine Kneifzange aus, was ich mit anderthalb Stunden zusätzlichen Putzens büßte. Vor allem aber reizte mich die Flasche mit Äther, die in einem Schrank in der Ecke des Zuchtraums stand. Eines Tages konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich besorgte mir einen Kasten aus Plexiglas, setzte eine Maus hinein und fügte zwanzig Gramm Äther hinzu. Nie werde ich das Schauspiel vergessen, dass sich meinen erstaunten Augen bot: Die Maus begann mit einer verrückten Tanzdarbietung, legte eine wahre Tarantella auf’s Parkett. Fast zwei Minuten hüpfte und zuckte sie in den unglaublichsten Verrenkungen, bis sie endlich mit Schaum vor dem Mund die Beine von sich streckte und den Lebensodem aushauchte. Noch zwei Stunden später fühlte ich mich berauscht von dem gerade Erlebten und konnte an nichts anderes denken als an die Todesekstase des unglücklichen Tierchens. Allerdings führe ich im Nachhinein meinen Zustand der Verzückung zu einem gewissen Maß auch auf den Umstand zurück, dass ich beim Umfüllen des Äthers eine nicht geringe Dosis des Narkotikums eingeatmet hatte.

Noch mehrmals wiederholte ich meine Experimente mit dem Äther und auch mit anderen Betäubungsmitteln, nun allerdings stets unter einem Abzug, damit ich einen klaren Kopf behielt. Doch setzte die Tatsache, dass ich nicht allein im Tierversuchslabor tätig war, meinem Forscherdrang Grenzen, und so begann ich, die ausgemusterten Tiere mit nach Hause zu nehmen. Auf diese Weise lernte ich viel über Schwimmfähigkeit und Hitzeempfindlichkeit von Labormäusen, erkannte, dass sie den Schleudergang meiner Waschmaschine nicht überlebten, und musste ein wenig frustriert zur Kenntnis nehmen, dass man Säugetiere zwar lebendig einfrieren, aber nur tot wieder auftauen kann.

Einige der kleinen Wesen sind mir richtig ans Herz gewachsen. Ich erinnere mich an Jerry, die intelligenteste Maus, die je durch meine Hand gestorben ist. Ich hatte sie nach ihrem gezeichneten Vorbild benannt, dem sie an List und Einfallsreichtum kaum nachstand. Dreimal ist Jerry auf unerklärliche Weise aus dem Käfig entflohen, in dem ich meine kleinen Todeskandidaten bis zu ihrem Ende unterbrachte. Einmal fand ich ihn im Garten wieder. Es ist mir bis heute ein Rätsel, warum er die Gelegenheit nicht nutzte und das Weite suchte, aber ich vermute, der kleine Wicht hing an mir. Schließlich verwöhnte ich ihn in den fünf Tagen bis zu seinem Tod mit Sonnenblumenkernen und anderen Leckereien. Schokolade mochte er am liebsten. Für einen kleinen Bissen dieser Köstlichkeit schien er alles geben zu wollen, sein Leben eingeschlossen. Ich beschloss, diese Hypothese zu testen.

Damals wohnten drei Katzen in meiner Wohnung: Anastasia, Tom und Getigerter Schrecken. Im Labor hatte man sie den Rauch einer neuen Zigarettenmarke inhalieren lassen. Der Krebs wucherte in ihren Lungen, und ich freute mich darauf, die Endphase ihrer Erkrankung beobachten zu können. Schließlich bietet eine hustende Katze einen recht erheiternden Anblick. Doch ich bin ja kein Unmensch, und so beschloss ich, dass Jerry die Stubentiger für einige Sekunden von ihren Qualen ablenken sollte.

 

Ich nahm die Maus aus dem Käfig, packte eine Tafel Schokolade aus, aß den größten Teil vor Jerrys Nase auf und ließ ihn an dem Rest schnuppern. Es war noch immer ein reichhaltiges Festessen für das kleine Wollknäuel. Dann legte ich die Schokolade auf den Boden, ans andere Ende des Zimmers. Jerry brauchte nur vom Tisch herunter zu klettern und über den Teppich zu trippeln, und schon konnte er sich den Magen voll schlagen. Dumm war nur, dass die drei Katzen auf seinem Weg lagerten.

Jerry blickte mich an. Mit seinen kleinen Äuglein schien er mich bitten zu wollen, ihm die Schokolade zu holen, aber ich schüttelte entschieden den Kopf. Fast zehn Minuten schaute er abwechselnd zur Schokolade und zu den Katzen, dann hielt er es nicht mehr länger aus und hüpfte vom Tisch. Klug, wie er war, wählte er nicht den direkten Weg, der ihn zu nah an den Tatzen der Raubtiere vorbei geführt hätte, sondern er huschte unter den Küchenschrank und nahm einen langen Umweg in Kauf, der ihn jedoch halbwegs sicher zur Schokolade führte. Nur den letzten halben Meter musste er in offenem Gelände zurücklegen. Mit einer Geschwindigkeit, die mich ebenso verblüffte wie die Katzen, hastete er zum Objekt seiner Begierde und versuchte es in die Sicherheit des Küchenschranks zu ziehen. Dummerweise war der Brocken Schokolade reichlich groß. Zudem hing er in der Alufolie fest, in die er eingewickelt war. Und so brauchte Jerry lange für sein Vorhaben. Zu lange, denn Anastasia war schneller. Mit einem gewaltigen Tatzenhieb versuchte sie, das Leben ihrer Beute zu beenden, doch Jerry hatte den Angriff kommen sehen. Blitzschnell ließ er die Schokolade fahren und huschte unter den Küchenschrank. Dort war er einigermaßen sicher vor den Pranken der Katzen, doch die kleinen Räuber gaben so schnell nicht auf. Blutgierig umstreiften sie den Schrank, versuchten immer wieder mit ihren Pfoten ihr Opfer zu packen, aber Jerry wich der Gefahr jedes Mal aus. Ein perfektes Patt, das jedoch früher oder später eine der Katzen zu ihren Gunsten beenden würde. Irgendwann musste Jerry ermüden. Allerdings konnten bis dahin noch Stunden vergehen. Ich beschloss einzugreifen.

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