Das erfolgreiche Kind

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Gut geraten – aber mit Kampf

Martha und ich sind besonders sensibel für Kinder, die einen schweren Start haben, aber darum kämpfen, Erwachsene zu werden, die gut geraten sind. Menschen sind robust und was wir werden, ist nicht für immer durch das vorbestimmt, was in unserer Kindheit geschieht. Wir hatten beide keine ideale Kindheit – und das ist eine Untertreibung. Marthas Vater ertrank, als sie vier war, und ihre Mutter erholte sich nie ganz von diesem Erlebnis und überließ ihre Tochter den nicht besonders fürsorglichen Großeltern. Mein Vater machte sich aus dem Staub, als ich ein paar Wochen alt war, und zwang meine Mutter so dazu, zum Überleben viele Stunden arbeiten zu gehen. Auch wenn ich in einem Zuhause mit fürsorglichen Großeltern aufgewachsen bin, arbeiteten auch diese ganztags, was mich zum »Schlüsselkind« machte, noch bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Dennoch ist das, an was ich mich 50 Jahre später aus meiner Kindheit noch erinnere, dass meine Mutter unter weniger als idealen Umständen ihr Bestes versuchte. Sie umgab mich mit gesunden Rollenvorbildern. Sie untersuchte Lehrer, Jugendgruppenleiter, Babysitter und andere für mein Leben bedeutende Personen aufs Gründlichste. Sie stellte sicher, dass ich Bindungen zu Menschen hatte, die gesunde Bindungen aufbauen konnten. Trotz unserer Armut und dem Stigma, ein Kind ohne Vater zu sein (nur ein anderes Kind in meiner ganzen Schulzeit kam aus einer »geschiedenen« Familie), wuchs ich in einem liebenden Zuhause auf. Für meine Wünsche arbeiten zu müssen lehrte mich Arbeitsmoral und einen Sinn für Verantwortung.

Obwohl viele Kinder in einer nicht idealen Kindheit aufwachsen und gut geraten, nehmen sie dennoch emotionalen Ballast mit in ihr Erwachsenenleben und verbringen viele Jahre mit dem Versuch, diesen loszuwerden. Wie viel einfacher wäre es für Kinder, gut heranzuwachsen und dann frei zu sein, ihr Erwachsenenleben damit zu verbringen, sich zu verbessern, statt ihren emotionalen Zustand reparieren zu müssen.

Aber Probleme können in Möglichkeiten umgewandelt werden. Als Kind geschiedener Eltern war ich darauf bedacht, nicht geschieden zu werden. Die sommerlange Arbeit am Fließband in einer Metallfabrik motivierte mich, das College abzuschließen. Aber diese schwere Kindheit ließ mich dennoch in vielen Bereichen unverbunden – was mich fünfzig Jahre kostete bis zur Erkenntnis und Korrektur. Aber ich glaube, dass die guten Dinge, die meine Mutter und meine Großeltern in meiner Kindheit getan haben, mir geholfen haben, die Herausforderungen, die sich mir als Erwachsenem stellten, zu überwinden.

Widerstandsfähigkeit schaffen

Wie kommt es, dass einige Kinder gut geraten, obwohl sie in ihrer Kindheit große Hürden überwinden müssen? Warum sind einige Kinder widerstandsfähiger als andere? Wir nehmen an, dass das frühe Attachment Parenting (worüber Sie im nächsten Kapitel etwas erfahren werden) in einem Kind einen Entwurf für zukünftige Beziehungen anlegt. Kinder, die ganz früh lernen, wie es ist, mit anderen verbunden zu sein und fähig zu sein, ihnen zu vertrauen, versuchen, diese Verbundenheit aufrechtzuerhalten oder wiederzuerlangen, wenn sie erwachsen werden. Sie folgen diesem frühen Entwurf und bringen das Vertrauen, das sie in ihrer ersten Beziehung gelernt haben, mit in spätere Beziehungen. Dieser Entwurf zeigt ihnen auch, wie sie sich selbst vertrauen können, und dieses Selbstvertrauen hilft dem Kind über große Widrigkeiten hinweg. Kinder tragen die Verbundenheit, die sie als Kinder gelernt haben, durch den Rest ihres Lebens. Sie wird Teil ihres gesamten Wohlbefindens und macht sie widerstandsfähig.

Kinder, die trotz vielfacher Herausforderungen erfolgreich sind, haben normalerweise mindestens eine wichtige Person in ihrem Leben, mit der sie sich verbunden fühlen.

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Die Wissenschaft sagt:

Studien haben gezeigt, dass verbundene Kinder besser fähig sind, Widrigkeiten zu überstehen, als Kinder, die weniger verbunden sind. Eine Studie zeigt, dass der Schlüssel zum Erfolg als Erwachsener trotz Widrigkeiten in der Kindheit die Anwesenheit mindestens einer Person im Leben des Kindes ist, die regelmäßige emotionale Unterstützung anbietet und die einen positiven Einfluss auf die Entwicklung des Kindes hat. In dieser Studie hatten die Individuen, die Erfolg hatten, obwohl sie mit Widrigkeiten aufwuchsen, eine enge Verbindung mit mindestens einem Betreuer in der Kindheit aufgebaut. Die Forscher fanden auch heraus, dass andere Personen im Leben des Kindes (z.B. Großeltern, Verwandte und andere wichtige Personen) Kindern Unterstützung geben können, die Opfer schlechter Erziehung waren. Die Anwesenheit eines positiven männlichen Einflusses innerhalb des Haushalts scheint ein besonders wichtiger Faktor für den Erfolg gefährdeter Kinder zu sein.

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Idealerweise ist diese Person ein Elternteil, aber es kann auch ein Lehrer, ein Trainer, ein Jugendgruppenleiter oder eine andere wichtige Person sein. Sich mit anderen zu verbinden ist wichtig. Die Kinder, über die sich Beratungslehrer an Highschools die meisten Sorgen machen, sind diejenigen, die nirgends dazuzugehören scheinen. Sie machen sich auch Sorgen um die, die sich mit den falschen Menschen verbinden. Kinder mit einem Entwurf für eine starke Bindung in ihrer frühen Kindheit wissen nicht nur, wie man eine Bindung zu anderen aufbaut, sondern können auch gute und schlechte Einflüsse besser sortieren.

Wir haben zwei weitere Charakteristika widerstandsfähiger Kinder festgestellt. Eines ist, dass vertraute Betreuer das Kind in positivem Licht formen: »Du kannst das«, »Du bist klug und ausdauernd«, »Du schaffst es an dieses College«. Kinder, die Aussagen hören wie »Du bist nicht gut genug für das Team« oder »Du bist zu ungeschickt, um Quarterback zu werden« erfüllen oftmals diese negativen Erwartungen. Ein anderes Charakteristikum widerstandsfähiger Kinder ist, dass eine besondere Person im Leben des Kindes sein »besonderes Etwas« entdeckt – ein Talent, eine einzigartige Fähigkeit – und dabei geholfen hat, dieses besondere Etwas zu fördern. Irgendjemand entdeckt athletische Fähigkeiten bei einem schlechten Schüler und hilft ihm, ein Basketball-Star zu werden. Ein Kind versagt in Mathematik, ist aber unglaublich gut in Kunst, und jemand hilft ihm, diese künstlerischen Fähigkeiten in Computergrafiken zu übertragen – was ebenso den mathematischen Fähigkeiten hilft.

In einer idealen Welt würde jedes Kind alles bekommen, was für seinen Erfolg als Erwachsener notwendig ist. In der realen Welt versuchen gute Eltern ihr Bestes auf jeder neuen Stufe, die ihr Kind erlebt. Kinder brauchen keine perfekten Eltern, nur Eltern, die gut genug sind. Schaffen Sie eine Verbindung zu Ihrem Kind und bleiben Sie mit ihm verbunden.

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Zehn Werkzeuge für Erfolg

1 Verbunden aufwachsen

2 Gesunde Essgewohnheiten haben

3 Selbstbewusst werden

4 Kluge Entscheidungen treffen

5 Moralische Entscheidungen treffen

6 Gut kommunizieren

7 Das Lernen lieben

8 Seine eigene Sexualität verstehen

9 Eine frohe Einstellung haben

10 Mit Empathie denken und handeln

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2
Verbundene Kinder aufziehen

Die achtjährige Susan war zusammen mit ihrer Mutter und ihrem zweijährigen Bruder in meinem Untersuchungsraum und wartete auf ihre Untersuchung. Sobald ich den Raum betrat, fühlte ich mich behaglich. Ich war gerne in der Nähe dieser Kinder. Susan lächelte und sagte »Hi«, als ich mich vor sie hinsetzte. Ihr Augenkontakt war angemessen, ein interessanter Blick, der meine Aufmerksamkeit hielt, ohne aufdringlich zu sein. Ihr kleiner Bruder verhielt sich, nun ja, einfach wie ein Kleinkind und war damit beschäftigt, alle Dinge im Raum zu untersuchen. Er klemmte sich den Finger in einer Schublade ein und fing an zu weinen, und innerhalb einer Millisekunde war Susan bei ihm und tröstete ihn. Ihre Mutter schaute sie voller Stolz mit liebevollem Blick an. Als die Untersuchung weiterging, bemerkte ich eine respektvolle Unabhängigkeit bei dieser kleinen Dame. Sie blickte auf und hörte zu, wenn ihre Mutter sprach, aber ergänzte ihre eigenen aufschlussreichen Kommentare zu ihrer Gesundheit. Die Familie schien so behaglich miteinander zu sein, dass ihre Wärme auf mich übergriff und mich einschloss. Dies waren verbundene Kinder – verbunden miteinander, mit ihrer Mutter und mit ihrer Welt. Ich verließ das Untersuchungszimmer mit dem Gedanken »Das ist es – verbundene Kinder! Das ist die Art Kinder, in deren Nähe ich gerne sein möchte.« Verbundene Kinder aufziehen ist das, worum es beim Elternsein geht.

Verbunden werden

Wie wir werden, wer wir sind, ist zu einem großen Teil in der Eltern-Kind-Beziehung verwurzelt. Die Beziehung, die Sie zu Ihrem Kind haben, ist die Grundlage, auf der alle seine weiteren Beziehungen aufbauen werden. Sogar die Art, wie Kinder sich selbst verstehen, hängt von ihrer Beziehung zu den Eltern ab. Eine liebevolle, vertrauensvolle, verständnisvolle Einstellung gegenüber ihren Kindern hilft Eltern, diese besser kennenzulernen, und Eltern können Kindern helfen, sich selbst und ihre Werte kennenzulernen.

Wie wird man verbunden? Und was ist das mit der Verbundenheit, das Sie zu einem verantwortungsvollen, einfühlsamen, erfolgreichen Elternteil macht? Dieses Kapitel nimmt Sie mit auf eine Reise von der Geburt des Kindes bis zu seiner Jugend. Es beschreibt verbundene Kinder und Eltern auf jeder Lebensstufe, um zu zeigen, wie die Beziehung zwischen Eltern und Kind sich entwickelt und wie sie die Möglichkeiten des Kindes für Erfolg beeinflusst. Betrachten Sie diese Reise als das Herzstück des Buches. Die hierin vorgestellten wichtigen Erziehungsprinzipien sorgen dafür, dass die Vorschläge im Rest des Buches für Sie und Ihr Kind funktionieren. Sie werden in späteren Kapiteln mehr über diese Prinzipien lernen – und Sie werden noch viel mehr lernen, wenn Sie sie leben.

 

Geburt bis zu einem Jahr

Welche Entwicklungsstufe beeinflusst am meisten, wie erfolgreich ein Kind voraussichtlich werden wird?

a) Geburt bis zu einem Jahr

b) die Vorschulzeit

c) fünf bis zehn Jahre

d) die Jugendzeit

e) alle Stufen gleich

Vermutlich haben Sie e) geantwortet – alle diese Stufen. Sicher sind die Auswirkungen der Betreuungsumgebung auf den Erfolg eines Kindes auf jeder Entwicklungsstufe wichtig. Aber die Frage ist, welche Entwicklungsstufe beeinflusst den Erfolg am meisten …? Die richtige Antwort lautet a) – Geburt bis zu einem Jahr. Warum? Weil das die Stufe ist, in der die Betreuer den nachhaltigsten Eindruck im sich entwickelnden Gehirn des Kindes hinterlassen können.

Glauben Sie es oder nicht, der größte Einfluss der Eltern auf die Persönlichkeit und emotionale Entwicklung des Kindes geschieht während des ersten Lebensjahres. Babys machen weit mehr als essen und schlafen. Sie lernen – sehr viel! Babys entwickeln auch einen Sinn dafür, wer sie sind und wie die Welt um sie herum ist. Diese Vorstellungen beeinflussen ihr Verhalten in den darauffolgenden Jahren.

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Kapazitäten schaffen

In den ersten Jahren verbringen Eltern viel von ihrer Zeit damit, Kapazitäten für gesunde Eigenschaften ihres Kindes zu schaffen. Beziehen wir das auf die Analogie des Aktenschrankes, denken Sie daran, wie Dokumente im Computer gespeichert werden. In den ersten Jahren helfen Sie Ihrem Kind, Ordner anzulegen, sagen wir für Empathie und Einfühlungsvermögen. Dann verbringen Sie die restlichen Jahre damit, Ihrem Kind dabei zu helfen, Erfahrungen in den richtigen Ordner abzuspeichern. Das Kind, dessen Leben ohne Ordner beginnt oder mit den falschen Ordnern, kann die später folgenden Erfahrungen nicht in sinnvolle Strukturen abspeichern.

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Assoziationsmuster

Wie wir in Kapitel 4 noch sehen werden, entwickelt sich das Gehirn während des ersten Lebensjahres mehr als auf jeder anderen Entwicklungsstufe im Leben eines Menschen. Gehirnzellen, Neuronen genannt, die Kilometern von Drähten ähneln, verknüpfen sich und bilden Wege. Wenn Babys geboren werden, sind viele dieser Neuronen nicht verknüpft. Wenn Babys wachsen und die Welt kennenlernen, beeinflussen die Millionen von täglich neu geschlossenen Verbindungen die Art, wie sich das Gehirn organisiert und Informationen abspeichert. Erfahrungen von höherer Qualität führen zu besseren, komplexeren Wegen. Diese Pfade und Rundwege bestimmen den frühen Denkprozess des Babys und wie es lernt, die betreuende Welt um es herum wahrzunehmen.

Eine andere Möglichkeit, das Gehirn des Kindes zu betrachten, ist, es als riesengroßen Aktenschrank darzustellen, der Reize und die Antwort darauf speichert. Wenn etwas im Leben des Babys geschieht – zum Beispiel »Ich weine und werde getröstet« oder »Ich bin hungrig, ich werde gefüttert« – speichert das Baby Bilder dieser Szenen ab. Wenn sich die Schublade mit den Weinen/Trösten-Szenarien füllt, formt das Baby einen generellen Eindruck, wie die es betreuende Welt ist. Das ist der Anfang des Gefühls des Babys für sich und andere. Diese Reiz-Antwort-Szenarien, oder Assoziationsmuster, werden die Norm für das Baby – das, was es zu erwarten lernt in einer bestimmten Situation. Die Gehirnbibliothek des Babys, gefüllt mit diesen Assoziationsmustern, hilft ihm, die Antwort, die es braucht oder erwartet, vorherzusehen: »Ich weine, ich erwarte, getröstet zu werden.« Diese Muster bestimmen zukünftige Reaktionen und Beziehungen. Eines der wichtigsten Assoziationsmuster, eines das zukünftige Beziehungen für immer beeinflusst, ist lernen zu vertrauen.

Kurz gesagt, die richtigen Assoziationsmuster, die dem Kind nach der Geburt und in der frühen Kindheit eingepflanzt werden, werden Ihrem Kind dabei helfen, erfolgreich zu sein.

Erster Eindruck, bleibender Eindruck

Frühe Assoziationsmuster im Gehirn des Kindes sind die Wegbereiter solch wichtiger Erwachseneneigenschaften wie Vertrauen, Empathie, Intimität und Selbstgefühl. Wie Handabdrücke in nassem Beton nimmt das kindliche Gehirn diese frühen Eindrücke auf und sie werden Teil seiner eigenen Identität in der Kindheit und als Erwachsener. Sie formen die ersten Eindrücke des Kindes davon, wie das Leben ist. Von reagierenden Eltern können Babys lernen

 jemandem zu antworten, der das braucht

 jemanden zu trösten

 anderen Menschen zu helfen

 ihren eigenen Annahmen über sich selbst und die Welt zu vertrauen

 glücklich zu sein

Wie können sich diese ersten Eindrücke im späteren Leben auswirken? Stellen Sie sich eine Gruppe von Kindern vor, die planen, ein Fahrrad zu stehlen. Manche von ihnen können sich nur vorstellen, wie viel Spaß sie mit dem neuen Rad haben werden, und denken, sie haben einen Anspruch darauf. Aber das Kind, das gelernt hat, sich um andere zu kümmern und um das sich in seiner frühen Kindheit gekümmert wurde, hat unbehagliche Gefühle, wenn es an das Stehlen des Rades denkt. Es versteht, dass das Fahrrad für jemand anderen wichtig ist, und stellt sich vor, wie es sich fühlen würde, wenn jemand ihm sein Fahrrad stehlen würde. Es erinnert sich auch daran, dass seine Eltern es lieben und ihm vertrauen, und ist besorgt, sie mit seinem Verhalten zu enttäuschen. Dieses Kind hat Mitgefühl und Einfühlungsvermögen. Es kann sich in andere Menschen hineinversetzen – etwas durch die Augen eines anderen Menschen betrachten – sich vorstellen, wie dieser sich fühlen wird. Es realisiert, noch bevor es etwas tut, dass sein Verhalten eine Auswirkung auf das Wohlbefinden einer anderen Person hat, und entscheidet sich, das Fahrrad nicht zu stehlen.

Stellen Sie sich eine Jugendliche in einer anderen schwierigen Situation vor: Sie ist auf einer Party und die Jugendlichen finden sich in Paaren zusammen und »machen rum«. Sie wird in sexuelle Situationen gedrängt, für die sie sich noch nicht bereit fühlt, und fühlt sich verwirrt und ängstlich. Aber sie hat gelernt, ihren Gefühlen zu vertrauen, durch Eltern, die diese Gefühle respektierten und darauf reagierten. Sie sucht nicht nach der Bestätigung durch andere, die dadurch kommt, dass sie sich dem Gruppendruck anpasst. Weil sie gelernt hat, ihren eigenen Gefühlen zu trauen, kann sie sich selbst respektieren, zu ihren Altersgenossen nein sagen und zu Hause anrufen, um sich abholen zu lassen.

Gefühllosigkeit und ein Mangel an Empathie sind die Wurzeln destruktiven Verhaltens bei Teenagern und Erwachsenen. Kinder, die nicht gefühlvoll betreut wurden, wachsen auf und kümmern sich nicht um andere. Das Baby, das im Arm seines tröstenden Elternteils etwas über Mitgefühl lernt, wird mit geringerer Wahrscheinlichkeit ein Teenager, der in seiner Schule Amok läuft.

Babytraining – eine unkluge Investition.

Was genau meinen wir mit responsivem, feinfühligem Erziehen im Babyalter und in früher Kindheit? Das erklären wir im nächsten Abschnitt, in dem wir auf die Werkzeuge eingehen, mit Hilfe derer Sie eine gute Verbindung zu Ihrem Kind schaffen können. Aber zuerst möchten wir Sie warnen vor einem distanzierteren Weg der Betreuung Ihres Babys, ein Ansatz, den wir »Babytraining« nennen. Das Ziel dieser Art der Erziehung ist es, Babys möglichst nahtlos in das Leben ihrer Eltern einzupassen. Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder »verwöhnt« werden oder dass diese »sie manipulieren«. Sie wollen die Kontrolle über ihr Kind behalten. Es mag sein, dass sie denken, Babytraining sei der richtige Weg, die Art, ihrem Kind zu zeigen, wie die »wirkliche« Welt ist.

Manche Erziehungsbücher und -magazine neigen dazu, diese Art der Erziehung zu fördern. Autoren und Ratgeber versprechen Eltern, dass sie ihr Baby trainieren können und sollten, die Nacht durchzuschlafen – auch wenn das bedeutet, dass das Baby alleine gelassen wird und stundenlang weint. Eltern bekommen gesagt, sie müssen ihr Kind nach einem Zeitplan füttern oder stillen – und nicht darauf reagieren, wenn es innerhalb von nur 3 oder 4 Stunden nach der letzten Mahlzeit schon wieder Anzeichen für Hunger zeigt. Eltern versuchen ihr Baby zu trainieren, alleine in einem Laufstall zu spielen, was normalerweise bedeutet, sein Weinen zu überhören. Vermutlich werden Babys, die trainiert werden, tatsächlich »gute Babys« (oder genauer »praktische Babys«) nach Meinung dieser Autoren, und die Familie gratuliert sich selbst zu den Ergebnissen. Aber entgegen der kurzfristigen Erfolge dieser erzwungenen Unabhängigkeit ist der Endeffekt ein langzeitiger Verlust. Sie haben gelernt, nicht mehr zu versuchen, ihre Bedürfnisse nach Fürsorge erfüllt zu bekommen.

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Ordner im Gehirn

Wenn Sie sich den Tag über um Ihr Baby kümmern und dabei auf Ihre natürliche elterliche Intuition hören, hinterlassen Sie, ohne es zu merken, langlebige Eindrücke im Gehirn Ihres Babys.


Was Eltern tunWas Babys abspeichernWelche Kapazitäten gebildet werden
Einfühlsam und angemessen auf das Weinen des Babys reagierenIch rede und jemand hört mir zuVertrauen in die eigene Kommunikationsfähigkeit
Füttern, wenn das Baby hungrig istMeine Betreuer stillen meine BedürfnisseVertrauen darauf, dass Menschen fürsorglich und empfänglich sind
Häufig Augenkontakt mit dem Baby herstellenGesichter machen Spaß und sind eine gute Quelle für InformationenDie Fähigkeit, die Gefühle anderer zu lesen
Das Baby viel haltenGehalten werden beruhigt meine Ängste und fühlt sich gut anBehaglichkeit bei Intimität
Das Baby trösten, wenn es aufgeregt istAndere verstehen meine Gefühle und versuchen mir zu helfenEmpathie
Das Baby in einem Tragetuch mit sich tragenMeine Welt ist ein interessanter Platz zum LebenNeugier, Offenheit für neue Erfahrungen
Nahe beim Baby schlafenSchlaf ist ein angenehmer Zustand, in dem man angstfrei verharren kannGesunde Schlafgewohnheiten, die Fähigkeit zu entspannen
Dem Baby Liebe und Glück spiegelnMeistens bin ich glücklich und mache andere glücklichGlücklichsein und Zufriedenheit

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Ein Baby, das weinend in der Wiege liegt, gibt schließlich auf, an den Wert seines Weinens zu glauben; wenn niemand kommt, nimmt es an, dass seine Versuche zu kommunizieren bedeutungslos sind. Währenddessen schauen die Eltern auf die Uhr oder in ein Buch, anstatt etwas über ihr individuelles Baby zu lernen. Sie verlieren das Vertrauen in ihre Fähigkeit, das Weinen ihres Babys zu entschlüsseln und darauf zu antworten. Das Baby verbringt weniger Zeit oben, auf dem Arm seiner Eltern, und mehr Zeit unten, außerhalb der Reichweite stimulierenden menschlichen Kontakts. (In Kapitel 9 werden wir zeigen, wie Sie Ihrem Baby helfen können, ein guter Kommunikator zu werden.)

Es mag so aussehen, als ob das Füttern nach Plan und eine erzwungene regelmäßige Schlafenszeit das Leben des Babys vorhersehbarer machen würden. Aber tatsächlich trifft das Gegenteil zu. Ein Baby, das Babytraining ausgesetzt ist, lernt, dass das Leben unvorhersehbar ist. Manchmal wird sein Weinen beantwortet, manchmal nicht; manchmal wird es gefüttert, wenn es hungrig ist, manchmal nicht. Es ist nicht fähig, vorherzusehen, wie seine Betreuer reagieren werden, daher legt es weniger Assoziationsmuster an. Die Muster, die es speichert, sagen ihm, dass es der Welt nicht trauen kann und dass es seine eigenen Bedürfnisse nicht wahrnehmen kann. Auch für Eltern ist dieser Anfang schwer. Das Baby »weinen zu lassen« zwingt eine Mutter, sich gegen ihren natürlichen Wunsch zu stellen, das Baby zu schützen, zu trösten und zu stillen. Sie lernt, sich selbst nicht zu vertrauen und ihrer Fähigkeit nicht zu vertrauen, auf ihr Kind zu reagieren. Väter, deren Vaterkarriere am Anfang darauf ausgerichtet ist, Kinder in ihre Zeitpläne einzupassen, verpassen die Wachstumschance, die Bedürfnisse eines Anderen an erste Stelle zu setzen. Eltern, die versuchen, eine Distanz zu ihrem Kind aufzubauen, riskieren damit, sich in der Kindheit und Jugend ihrem Kind nicht verbunden zu fühlen und durch sein Verhalten verwirrt zu sein. Sie mögen versuchen, in den folgenden Jahren aufzuholen, aber es erfordert mehr Anstrengung, dann eine enge Beziehung aufzubauen, die sich in den ersten Jahren der Kindheit gebildet haben sollte.

 

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Die Neurochemie der Bindung

Viele Jahrzehnte lang haben Bindungsforscher spekuliert, dass frühe Interaktionen mit den Betreuern einen bleibenden Eindruck im Gehirn des Kindes hinterlassen, ein Prozess, den wir Prägung nennen. Neue Erkenntnisse in die neurochemischen Grundlagen der Bindung lassen vermuten, dass das Sehen des Gesichts der Mutter das Gehirn eines Babys anregt, Neurohormone namens Endorphine zu produzieren. Das sind Chemikalien im Gehirn, die für Wohlgefühl und Freude sorgen. Das Baby beginnt, das Gesicht und die Anwesenheit der Mutter damit zu verbinden, dass es sich gut fühlt.

Interaktion mit den Betreuern regt ebenfalls vorteilhafte strukturelle Veränderungen im Gehirn an.

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