Mobilität und Migration in der Frühen Neuzeit

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III.

Themenfelder





2.

Expansion und Erfahrung der Welt

2.1

Die Begegnung mit der Neuen Welt



Im 16. Jahrhundert wurde Europa von einer gemeinschaftlichen Neugier an der Neuen Welt und von einem Reisefieber mit dem Ziel erfasst, das Unbekannte zu erfahren. So verwundert es nicht, dass der 1557 gedruckte Bericht des aus dem hessischen Homberg stammenden Soldaten Hans Staden über seine Reise nach Südamerika in kürzester Zeit zu einem der größten Bestseller auf dem deutschen und, in mehrere Sprachen übersetzt, bald auch auf dem internationalen Buchmarkt des 16. Jahrhunderts wurde.



Staden, von dem Drang geleitet, „Indiam zu besehen“, verdingte sich 1548 auf einem portugiesischen Schiff nach Südamerika und kehrte noch im gleichen Jahr zurück. Doch die Faszination der Neuen Welt muss auf ihn so stark eingewirkt haben, dass er sich 1550 erneut auf den Weg machte. Von dieser Reise kehrte er erst fünf Jahre später zurück, nachdem er aus der Gefangenschaft der anthropophagen Tupinambá-Indianer befreit worden war. In seinem Buch berichtete er nicht nur über die Umstände dieser Gefangenschaft, sondern mit gewisser Unbefangenheit auch über das Leben der Tupinambá an Brasiliens Küste, wodurch er das Bedürfnis der Leser an dem Exotischen befriedigte.



Waren bei Staden die von ihm angegebene Neugier für seine Reisen ausschlaggebend, so belegen andere zeitgenössische Autoren wie Nikolaus Federmann und Philipp von Hutten die ökonomischen Gründe für die Amerikareise. Auch das kann nicht weiter verwundern, ging doch die geografische Ausweitung mit einer wirtschaftlichen Expansion Europas einher. Federmann und Hutten standen als stellvertretender Gouverneur bzw. als Generalkapitän im Dienst der Handels-, Bank- und Mienenkompanie der Augsburger Welser in Südamerika.



Die großen Handelshäuser im Heiligen Römischen Reich waren bestrebt, den iberischen Häusern folgend, sich am gewinnbringenden Amerikahandel zu beteiligen. Dabei kam es ihnen zugute, dass der spanische König Carlos I. aus dem Haus Habsburg 1520 als Karl V. gerade mit finanzieller Hilfe der oberdeutschen Handelsgesellschaften zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt wurde. Als Gegenleistung erhielt die Gesellschaft der Welser 1528 die Statthalterschaft in der spanischen Überseeprovinz Tierra firme, im heutigen Venezuela, übertragen, nachdem Karl den überseeischen Markt allen Bewohnern seines weltumspannenden Reiches vorübergehend geöffnet hatte.



Die Welser, die schon am Orienthandel beteiligt waren, witterten in Amerika ein ähnlich lukratives Geschäft. Sie richteten Anfang des 16. Jahrhunderts eine Faktorei in Sevilla, dem einzigen autorisierten Hafen für den Transatlantik-Handel, ein. 1526 folgte eine Niederlassung in Santo Domingo auf Hispaniola in der Karibik, dem damaligen politischen und wirtschaftlichen Zentrum in der Neuen Welt. Zwischen den beiden Kontinenten handelten die Welser mit Wein und Textilien für die südamerikanischen Gebiete und mit Häuten, Perlen, Arzneimitteln und vor allem mit Zucker für Europa. An die Übernahme von Tierra firme knüpfte die Handelsgesellschaft die Hoffnung, einen Gewinn durch Exportgüter wie Gold, Silber, Salz und Perlen nach Europa sowie durch die mit der spanischen Krone ausgehandelten Zollvergünstigungen erwirtschaften zu können. Der Vertrag räumte der Gesellschaft auch das Monopol für den besonders profitablen Handel mit afrikanischen Sklaven ein. Vier Jahre lang sollten 4000 Sklaven durch das Handelshaus nach Amerika eingeführt und auf den Antillen und dem Festland verkauft werden.



Als Gegenleistung verpflichteten sich die Welser zum Bau von drei Festungen und zur Gründung von zwei Städten in dem ihnen vertraglich überlassenen Gebiet, die mit jeweils 300 Kolonisten aus Spanien besiedelt werden sollten. Die von der Handelskompanie aufgestellte und finanzierte Verwaltung sollte außerdem die Landvergabe für die einwandernden Siedler organisieren und für die Christianisierung der indigenen Bevölkerung Sorge tragen. Doch bei einer Befragung durch die spanischen Behörden im Jahre 1546 gaben die Siedler ein vernichtendes Urteil über das Wirken der Augsburger Kompanie ab. Sie beklagten, dass sie in größter Armut leben müssten und weder Nahrung noch Bekleidung hätten, nicht zuletzt weil das von den Welsern eingesetzte Personal nicht die Erschließung des Landes, sondern lediglich ihr eigenes Interesse verfolgt habe, indem es lange Erkundungs- und Eroberungszüge führte, in der Hoffnung auf Gold zu stoßen. Die Klage gegen die Handelsgesellschaft hatte schließlich zur Folge, dass die Welser die Verwaltung des Gebietes aus der Hand geben und Südamerika 1556 endgültig verlassen mussten.



Die auch im Druck erschienenen Berichte der beiden Männer im Dienst der Welser dokumentieren, Staden ähnlich, die Begegnung mit „viel seltsame und fremde Nationen“ in Südamerika. Um das Fremde zu beschreiben, stellten alle drei Autoren die vermeintlich typischen Merkmale der indigenen Bevölkerung heraus. Die Indianer wurden als „wild“, „nackt“, „grimmig“ und „Menschenfresser“ dargestellt. Die Berichte vermischten reale Verhältnisse mit vereinfachenden Vorstellungen, die vom europäischen Lebenskontext des 16. Jahrhunderts heraus auf die Ureinwohner Amerikas schauten. So wurde Nacktheit von den Europäern, die sich gerade strenge Kleidervorschriften auferlegten, mit Animalität gleichgesetzt, die mit der Natur verbundene Lebensform der Ureinwohner wiederum als grimmig im Sinne von nicht affektbeherrscht gewertet und der eher selten vorkommende Kannibalismus als Barbarei par excellence gedeutet. Damit wurde die indigene Bevölkerung Amerikas als wild im Sinne von unzivilisiert deklassiert. Federmanns Aufzeichnung dokumentiert auch die aus dieser Einstellung erfolgte Brutalität, mit der seine Soldaten Dörfer niederbrannten, ihre Bewohner vertrieben und versklavten oder „wie die Säue“ erstachen.



Gold wie Silber besaßen einen grundlegenden Wert für das europäische Wirtschaftssystem und die Sucht nach diesen Edelmetallen bestimmte das Verhalten der Eroberer gegenüber der indigenen Bevölkerung. Die Misshandlung und Versklavung der Eingeborenen durch die Konquistadoren löste eine von spanischen Vertretern des Dominikanerordens ausgehende Debatte über ihr Wesen und ihre Stellung in der europäischen Gesellschaft aus. Auf dem Höhepunkt der Debatten prangerte Francisco de Vitoria, ein an der Universität Salamanca lehrender Dominikaner, nicht nur die Gewaltmaßnahmen gegen die Ureinwohner an, sondern stellte sogar die aus der Entdeckung abgeleitete Legitimation der spanischen Herrschaft in Südamerika in Frage. In seinen Argumenten ging er von einem für alle Menschen gültigen Naturrecht aus und sprach allen Gemeinwesen, so auch den Heiden, Autonomie zu.



Unterstützung erhielten die Befürworter des gleichberechtigt menschlichen Wesens der Ureinwohner von Papst Paul III., der in seiner 1537 erlassenen Bulle „Sublimis Deus“ festhielt: Alle Völker der Erde sind ihrer Natur nach wahre Menschen und als solche genießen sie Freiheit und können nicht zu Sklaven gemacht werden. Schwebte dem Papst bei seinen Argumenten die Christianisierung der indigenen Bevölkerung als Ziel vor Augen, so muss für die spanischen Könige auch das ökonomische Argument ausschlaggebend gewesen sein, denn ohne die Arbeitskraft der Eingeborenen war die spanische Einrichtung in Südamerika nicht möglich. 1542/43 stellte deshalb Karl V. in den „Leyes Nuevas“, den Gesetzen für das spanische Überseegebiet, die indigene Bevölkerung unter den Schutz seiner Krone, womit er die Maßnahmen seiner Vorgänger fortsetzte. Diese hatten schon 1500 die Versklavung der indigenen Bevölkerung untersagt. Die von Theologen und Humanisten geführten Debatten über die Ureinwohner Amerikas stießen Überlegungen über das Naturrecht, aber auch über die Bedeutung von Bevölkerung an, die längerfristig bei der Handhabung von migratorischen Fragen eine Rolle spielen sollten.





2.2

Neue Dimensionen der Migration



Die geografische Expansion bewirkte im 16. Jahrhundert, wie Immanuel Wallerstein im ersten Band seines Werkes „Das moderne Weltsystem“ ausführte, die Entstehung eines ersten Weltwirtschaftssystems. Darin eingebunden waren einerseits die Iberische Halbinsel, Nordwesteuropa und der christliche Mittelmeerraum sowie Mitteleuropa und der Ostseeraum, andererseits Gebiete außerhalb von Europa, die unter spanischer und portugiesischer Herrschaft stehenden Gebiete in Südamerika, die Inseln im Atlantischen Ozean und einige Enklaven an der Westküste Afrikas. In diesem Wirtschaftsraum kam es mit der Zeit zur Arbeitsteilung zwischen landwirtschaftlicher und gewerblicher Produktion, die nicht nur neue Formen der Arbeitsorganisation, sondern auch die entsprechende Anzahl an Arbeitskraft erforderte. Der erhöhte Bedarf an Arbeitskraft bewirkte die Entstehung eines drei Kontinente – Europa, Afrika und Amerika – umfassenden Migrationssystems.



Die Hauptakteure und größten Profiteure dieser Entwicklungen waren bis Ende des 16. Jahrhunderts die beiden Seemächte Portugal und Spanien, die 1494 die von ihren Seeleuten entdeckte außereuropäische Welt im Vertrag von Tordesillas unter sich aufteilten. Doch während Portugal lange Zeit auf Handel und Errichtung von Handelsstützpunkten mit kleinen Kolonien vor den Küsten Afrikas und in Asien setzte, kam Spanien von dieser Art der Handelskolonisation ab. Die spanischen Könige waren bestrebt, ihre Vorherrschaft in der Neuen Welt dauerhaft zu sichern und die beanspruchten Gebiete als königliche Domäne ohne adeliges Mitspracherecht in ihren Herrschaftsbereich einzugliedern. Mit diesen Zielen stand die Krone vor einer großen Herausforderung, die schließlich eine gelenkte Bevölkerungs- und Wanderungspolitik erforderlich machte.

 



Eine der größten Schwierigkeiten stellte der Zugriff auf die indigene Bevölkerung dar, der die Krone die gesellschaftliche Stellung einer freien bäuerlichen Schicht zugedacht hatte. Weniger die von den Konquistadoren und Siedlern praktizierte nicht legalisierte Versklavung der Ureinwohner stand dieser Bestrebung entgegen als vielmehr der rapide Rückgang ihrer Zahl infolge der von den europäischen Einwanderern nach Amerika eingeschleppten Krankheiten. Die Auswirkungen der Infektionskrankheiten, gegen die die indigene Bevölkerung Amerikas nicht resistent war, zeigten sich auf der Insel Hispaniola als besonders verheerend, wo nach nur wenigen Jahrzehnten des Zusammenlebens die Mehrheit der Ureinwohner den Krankheiten zum Opfer gefallen war. Auf dem Festland sollte sich die demografische Katastrophe wiederholen. Berechnungen gehen davon aus, dass der ursprüngliche Bevölkerungsstand Südamerikas bis Ende des 16. Jahrhunderts auf etwa 13 Prozent zurückging.



Die Erkenntnis der dringend notwendigen Schutzmaßnahmen für die indigene Bevölkerung veranlasste die spanische Krone, das Prinzip der „zwei Gemeinwesen“ einzuführen. Das bedeutete das Aufgeben des bis dahin praktizierten Zusammenlebens der indigenen Bevölkerung und der spanischen Einwanderer zugunsten von räumlich getrennten Siedlungen. Die neuen Dörfer der Indigenen, die anstelle der Streusiedlungen durch die teilweise zwangsweise durchgeführte Zusammensiedlung entstanden waren und in denen ab Mitte des 16. Jahrhunderts nur sie wohnen durften, wurden nach dem Muster der spanischen Dörfer errichtet. Mit der Kirche im Mittelpunkt wurden diese Siedlungen mit der Zeit nicht nur zum wichtigen Schauplatz der Christianisierung, sondern zugleich der beginnenden und allmählichen Europäisierung der indigenen Bevölkerung, womit ihre kulturelle Entfremdung den Anfang nahm.



Vor einer weiteren schwierigen Aufgabe sah sich die Krone im Fall der spanischen Konquistadoren, die als Wegbereiter der spanischen Herrschaft in der Neuen Welt ein starkes aristokratisches Selbstbewusstsein entwickelten und die Niederlassung als Bauern oder Handwerker für nicht erstrebenswert hielten. Auch nach dem allmählichen Abschluss der Eroberungszüge zogen die meist mittellosen Konquistadoren das Herumstreifen dem sesshaften Leben vor, während zum Wohlstand gekommene die Heimreise bevorzugten. Doch weder die mobile Lebensform noch die Rückkehr wurde von der Krone gutgeheißen, weil diese an der Stabilität der spanischen Einwanderer in den neuen Provinzen interessiert war. Sie versuchte deshalb, die Rückkehr durch die Einführung einer Genehmigung für die Heimreise zu unterbinden und zugleich Anreize für die Niederlassung in der Neuen Welt zu geben.



Die Konquistadoren, die hauptsächlich als Handwerker, Händler und Seeleute aus dem städtischen Milieu stammten, sollten in neu gegründeten Städten angesiedelt werden. Jeder Siedler erhielt ein Grundstück zum Hausbau und außerhalb der Stadt eine Landparzelle zur Selbstversorgung. Die geregelte Form der Ansiedlung ergab das charakteristische, seit 1521 vorgeschriebene Schachbrettmuster der neuspanischen Städte. Als Vorbild dazu dienten nachweislich die Pläne des römischen Stadt- und Kriegsbaumeisters Marcus Vitruvius Pollio aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. Die geordnete Anlegung der Straßen wie auch die Registrierung der Einwohner sollten den Zweck der besseren Kontrolle der zu Müßiggang neigenden Neubürger erfüllen.



Eine nicht minder große Aufgabe für die Krone stellte die kontrollierte Einwanderung in die überseeischen Provinzen dar. Nachdem Amerikas Eroberung kein fester Plan zugrunde lag, wurde auch keine planmäßige Einwanderung von Siedlern aus dem Mutterland entwickelt. Solchen Plänen hätte auch das fehlende Reservoir an Arbeitskräften in Spanien widersprochen, hinterließen doch die erst 1492 vollendete Reconquista und die darauffolgende Ausweisung der Juden große Lücken in der Bevölkerung.



Die spanische Krone führte ein strenges Migrationsregime mit stark restriktivem Charakter ein, um Müßiggänger, Bettler und Vaganten von der Auswanderung in die neuen Gebiete abzuhalten. Auswandern durfte man nur mit der schriftlichen Genehmigung des im Jahre 1503 in Sevilla errichteten Handelshauses, der Casa de la Contratación de las Indias. Dieser dem Indienrat der Krone unterstellten Behörde wurde neben der Überwachung des Handels mit den neuen Gebieten auch die Auswanderungspolitik übertragen. Jeder, der in die Neue Welt auswandern wollte, musste dazu die Erlaubnis der Casa einholen und diese war an strenge Auflagen gebunden. Die Behörde war angehalten, Ausreiselizenzen nach dem Bedarf an bestimmten Arbeitskräften in den neuen Provinzen zu erteilen und dabei streng auf die religiöse Zugehörigkeit und die „Ehrbarkeit“ der Auswanderer zu achten. Nicht genehmigt wurden die Einreise und Ansiedlung von Juden und Muslimen, aber auch von Konvertiten und deren Nachkommen. Ebenso wurde dies Ketzern, also von der spanischen Inquisition verurteilten Personen, wie auch Zigeunern verweigert. Begründet wurde dieses Vorgehen mit der Heidenmission der spanischen Krone in der Neuen Welt, deren Erfolg der Indienrat durch die Nichtchristen und Konvertiten gleichermaßen als gefährdet betrachtete. Mit den ab 1535 obligatorisch eingeführten Zeugenaussagen und Verhören sollten Identität und die legitime Abkunft der Antragsteller bestätigt werden. Ab 1552 verlangte die Casa von den Heimatorten urkundlich beglaubigte Dokumente u. a. über Religion, Abstammung, Alter und Beruf der Antragsteller. Im Besitz der erhaltenen Genehmigung musste sich der Auswanderungswillige schließlich in der Casa auch in ein Passagierregister eintragen lassen, wo neben seinen Angaben sein Schiff notiert wurde. Um die trotz oder gerade wegen der strengen Vorschriften der Auswanderung nicht vermeidbare illegale Migration zu unterbinden, wurde bald die Regelung eingeführt, dass die Passagierlisten die Reise mit in die Neue Welt antraten, um so die illegalen und blinden Passagiere zu ertappen und sie nach Spanien zurückzuschicken.



Das aufwendige System der Identifizierung, Legitimierung und Authentifizierung mit Selbstbeschreibung und Zeugenaussagen machte sich die Erfahrungen der Inquisition zunutze. Doch das System entstand nicht allein aus der Sorge um die christliche Abstammung der Auswanderer im Sinne der spanischen Doktrin der Reinheit des Blutes, der

limpieza de sangre

, die sich vor dem Hintergrund der Reconquista zur Unterscheidung zwischen ethnischen und nicht-ethnischen Spaniern entfaltete. Für die strenge Regelung verantwortlich war ebenso das Bestreben, die Auswanderung ausschließlich „ehrbaren“ und arbeitsamen Menschen zu gestatten; Abenteurer sollten dagegen ausgeschlossen werden.



Nicht zuletzt darauf war auch eine Verordnung zurückzuführen, die das Alleinreisen von verheirateten Männern zu verhindern suchte, die ihre Familien mit dem Versprechen verließen, in der Neuen Welt schnell zu Reichtum zu kommen. Die Behörden sahen in diesem Trend die Gefahr, dass sich Männer auf den Weg machen wollten, von denen sich keiner „darum kümmert irgendetwas zu bauen, zu pflanzen, aufzuziehen, zu säen, noch irgendetwas anderes von dem zu tun, was die guten Siedler zu tun pflegen“. 1551 wurde deshalb der Vizekönig von Neu-Spanien dazu angehalten, eine Verordnung zu erlassen, nach der alle verheirateten Spanier in seinem Gebiet ihre Ehefrauen innerhalb von zwei Jahren nachholen mussten.



Nach den vorhandenen Angaben wanderten zwischen 1506 und 1600 etwa 243.000 Spanier in die neuspanischen Gebiete ein. Der spanischen Siedlungsmigration kommt jedoch nicht wegen der Anzahl der Einwanderer eine große Bedeutung zu, sondern vor allem deshalb, weil sie die erste groß angelegte und staatlich gelenkte Ansiedlung von Siedlern in der Frühen Neuzeit darstellt. Ihre Methoden – wie das Prinzip der Freiwilligkeit, positive Selektion, zentrale Organisation, Ansiedlungsförderung durch freie Überfahrt und kostenlose Verteilung von Ackerland oder geometrisch geplante Siedlungen – wurden in Europa erst im 17. und 18. Jahrhundert von anderen Monarchien wie der der Habsburger und der Hohenzollern angewandt und weiterentwickelt.



Anders als Spanien brachte Portugal nur allmählich Interesse an seinem südamerikanischen Kolonialgebiet, dem späteren Brasilien, auf. Von den etwa 360.000 Menschen, die zwischen 1500 und 1580 Portugal verließen, ging wahrscheinlich nur ein Fünftel nach Brasilien. Da das Gebiet über keine Edelmetallreserven verfügte, überließ die Krone die Hauptaufgabe der Nutzbarmachung des Gebietes privaten Interessenten. Eine Bevölkerungs- und Ansiedlungspolitik wurde nicht entworfen, ganz im Gegenteil, die Krone bestimmte Brasilien zunächst zum Aufenthaltsort der aus Portugal Verbannten, ganz im Sinne des schon seit dem 15. Jahrhundert praktizierten Degredado-Systems. Degredados, verurteilte Rechtsbrecher, wurden gleich nach der Inbesitznahme von neuen Gebieten in Afrika oder Indien dorthin geschickt, damit sie ihre Strafen fern von der Heimat als Soldaten oder Siedler verbüßten. Attraktiv wurde Brasilien für die portugiesische Krone erst durch die Nachfrage nach Brasilholz und nach der Umstellung auf Zuckerproduktion.



In Nordamerika setzte Anfang des 17. Jahrhunderts die erste größere Einwanderungswelle aus Europa ein, an der England, Frankreich, die Niederlande und Schweden beteiligt waren, die sich, dem Beispiel Spaniens folgend, durch die Abschöpfung der Ressourcen in der Neuen Welt bereichern wollten. 1578 und 1584 landeten englische Seefahrer an der Ostküste Nordamerikas mit einem königlichen Patent, das sie zur Inbesitznahme von unbesetzten Gebieten und zur Anlage von Siedlungen ermächtigte. Das 1584 vom englischen Geografen und Geistlichen Richard Hakluyt veröffentlichte Traktat „Discourse Concerning Western Planting“ propagierte die ökonomischen und bevölkerungspolitischen Vorteile von Koloniegründungen. Die Kolonien sollten nach Hakluyt einerseits als Absatz- und Anbaugebiete die englische Wirtschaft fördern, andererseits als Ansiedlungsgebiete für unerwünschte arbeitslose und vagierende Arme aus dem Mutterland das dort wachsende soziale Problem lösen. Zudem hatte Hakluyt den Kolonien auch die Aufgabe als Zufluchtsort für Glaubensflüchtlinge und als Schauplatz einer protestantischen Mission zugedacht. Doch die Durchführung solcher Pläne wie auch eine staatlich gelenkte Besiedlung wurden von der Krone nicht aufgegriffen. Die ab Anfang des 17. Jahrhunderts nacheinander gegründeten Kolonien sind aus Privatinitiativen ohne nennenswerte Hilfe der Krone entstanden.



Es gab drei Hauptarten von Kolonien: die privaten Freibrief- und Eigentümerkolonien sowie die Kronkolonien. Als Freibriefkolonien (

charter colonys

), in denen die Krone einer Unternehmerkompanie einen Freibrief verlieh, um Gebiete in Besitz zu nehmen, wurden 1607 Virginia, 1620 Plymouth, 1630 Massachusetts, 1635 Connecticut und 1636 Rhode Island gegründet. In den Eigentümerkolonien (

proprietary colonys

) wie Maryland 1634, Carolina 1663 und Pennsylvania 1681 verlieh die Krone wiederum einflussreichen Persönlichkeiten die Rechte der Koloniegründung. Als die Virginia Company of London infolge des Krieges mit den Powhatan-Indianern in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten geriet, musste sie ihre Kolonie 1624 der Krone übergeben. Die Krone selbst gründete jedoch keine eigenen Kolonien, weil sie die damit verbundenen hohen Kosten scheute.



Die Gründung der Kolonien erfolgte mithilfe von risikofreudigen Großkaufleuten und Aktionären, die sich von der Erschließung und Besiedlung der Gebiete große Profite erhofften. Allerdings waren die ökonomischen Ziele nicht selten mit religiösen verflochten. Bedrängte radikale Protestanten sollten in den neu eroberten Gebieten ganz nach Hakluyts Plänen eine neue Heimat finden. Eine der ersten Gruppen waren die sogenannten Pilgerväter, separatistische Puritaner, die die presbyterianische Kirchenverfassung ablehnten und sich von der Church of England trennten. Vor den Verfolgungen emigrierten 1605 einige ihrer Mitglieder in die calvinistische Republik der Vereinigten Niederlande, wo sie jedoch ihre religiöse Identität durch das Aufgehen in der dortigen reformierten Kirche bedroht sahen und sich deshalb entschlossen, 1617 mithilfe der Virginia Company in die Neue Welt auszuwandern. Nachdem Londoner Kaufleute als Geldgeber für die Überfahrt aufgekommen waren, segelten 1620 auf der Mayflower 102 Personen, darunter 35 Puritaner, nach Nordamerika und gründeten die Siedlung Plymouth. Die Auswanderung dieser Gruppe ging seit dem 19. Jahrhundert in die historische Erinnerung der US-Amerikaner als Teil ihres Gründungsmythos ein und die Mayflower wurde zu dessen Symbol.

 



Die Einwanderer in den englischen Kolonien bestanden zunächst nur zum kleinen Teil aus solchen Migranten, die ihre Fahrt in die Neue Welt selbst bezahlen konnten. Zum Großteil waren sie sogenannte Kontraktknechte (

indentured servants

), die ihre Arbeitskraft im Voraus verkauften, um nach Nordamerika zu gelangen. Auswanderungswillige gaben freiwillig vorübergehend ihre Freiheit auf und verrichteten eine Art Zwangsarbeit in den Kolonien. Sie schlossen schon im Mutterland mit einem Agenten, meist dem Schiffseigner oder dem Kapitän eines Schiffes, einen Vertrag ab, in dem sie sich für einige Zeit, in der Regel zwischen drei und zehn Jahren, für eine Arbeit in der Neuen Welt verpflichteten. Dafür erhielten sie freie Schiffspassage und Verpflegung während der Überfahrt. Bei ihrer Ankunft wurden sie den meistbietenden Plantagenbesitzern oder Siedlern verkauft. Während der Zeit ihrer Verdingung erhielten sie freie Kost und Logis und nach dem Ablauf des Kontrakts in der Regel Land. Dieser neue Typus des Siedlermigranten sollte die englische Auswanderung vor allem im 17. Jahrhundert charakterisieren. Doch sie wurde auch noch im 18. Jahrhundert in abgewandelter Form praktiziert, als Mittellose aus Großbritannien und Europa in die Kolonien auswandern wollten.



Die allermeisten

indentured servants

 wählten diese Form der Auswanderung aufgrund ihrer Armut. Die Ursache dafür war vor allem in dem Übergang von der feudalen zur frühkapitalistischen Produktion in der englischen Landwirtschaft zu suchen. Die Einhegung von Ackerland für Schafweiden sowie die erheblichen Pacht- und Steuererhöhungen ließen die Zahl der Arbeitslosen und Vagierenden ständig wachsen. Die Auflösung von Privatarmeen, der Ausbruch des Bürgerkrieges 1642 und die bis zur Restauration im Jahre 1660 anhaltenden politischen und militärischen Auseinandersetzungen bewirkten einen weiteren Anstieg der Zahl der Arbeitslosen und Armen und dadurch auch der

indentured servants

.



Als Kontraktknechte wurden in großer Zahl auch Vertreter von in der Gesellschaft unerwünschten Gruppen abgeschoben, darunter vagierende Kinder, Bettler, Kriminelle, Prostituierte, Kriegsgefangene oder politische Gegner. Infolge der englischen Enteignungs- und Umsiedlungspolitik in Irland wurden auch mehrere Zehntausende irische Häftlinge in die nordamerikanischen Kolonien als

indentured servants

deportiert, um die gälisch-irische Bevölkerung zu schwächen. Da all diese Gruppen ohne Arbeitsverträge in den Kolonien ankamen, waren sie der Willkür der Händler und der Landeigner ausgesetzt. Heinrich von Uchteritz, der sich 1650 über Norwegen nach Schottland begab, um in der Armee Karls II. zu dienen, wurde nach der Schlacht bei Worcester durch Cromwells Truppen gefangen genommen und Anfang 1652 zusammen mit 1300 anderen Gefangenen, darunter mehrere Deutsche, als

indentured servant

 nach Barbados verschifft. Dort wurde er für 800 Pfund Zucker verkauft. Nach seiner 1705 erschienenen Reisebeschreibung bestand zwischen den

indentured servants

, den afrikanischen Sklaven und der indigenen Bevölkerung lediglich ein einziger Unterschied, dass die Christen bekleidet waren, während „die Mohren und Wilden“ nur ein Schamtuch trugen.



Auch wenn die Institution der

indentured servants

 keineswegs an Bedeutung verlor und sich neben armen Auswanderungswilligen auch junge Männer aus der unteren Mittelklasse häufiger als

indentured servants

 verdingten, um die Welt zu sehen und Erfahrung zu sammeln, arbeiteten auf den großen Zuckerrohr-, Tabak- und Baumwollplantagen im südlichen Nordamerika ab den 1640er-Jahren immer mehr Sklaven aus Afrika, die bis Ende des 17. Jahrhunderts zu bevorzugten Arbeitskräften wurden.



Ähnlich wie die englische überließ auch die französische Krone Vorstöße in der Neuen Welt privaten Interessenten. Die Kolonien entwickelten sich jedoch langsam, weil nur wenige Franzosen dauerhaft in der Neuen Welt eine neue Existenz suchten, da sie den Auswanderern nicht den erwünschten sozialen Aufstieg bescheren konnte. Auch nachdem 1663 die Krone die Verwaltung Neu-Frankreichs übernommen und Finanzminister Jean Baptiste Colbert ein merkantilistisches Konzept für die Kolonien zur Ergänzung und Stärkung der Wirtschaft im Mutterland entworfen hatte, blieb das Interesse mäßig. Das Konzept beinhaltete neben Deportation von Sträflingen und dem nach englischem Modell der

indentured servants

 im viel bescheideneren Maße praktizierten

engagé

-System ebenso eine gezielte Heiratspolitik. Etwa 800 Frauen, vor allem verarmte adelige Töchter und Waisen wurden zwischen 1663 und 1672 zur Auswanderung gebracht. Diese

filles du Roi

 erhielten neben der freien Überfahrt auch eine königliche Mitgift, die u. a. aus einigen Kleidungsstücken, vier Rollen Garn und 50 Livres bestand. Nicht zuletzt dieser Verheiratungspolitik war es zu verdanken, dass die Zahl der Einwohner in Kanada von 3035 Personen im Jahre 1663 bis 1685 auf 10.725 anwuchs.



Noch weniger Interesse an der Auswanderung in die Neue Welt als die Franzosen zeigten die Niederländer, denn in den niederländischen Provinzen war das Lebensniveau während der ganzen Frühen Neuzeit das höchste in Europa. So warben die Aktionäre der 1621 gegründeten Niederländischen Westindien-Kompanie vor allem um ausländische, darunter auch um deutsche Siedler für ihre Kolonien. Allerdings brachten für die Gesellschaft nicht die zerstreut liegenden Siedlungskolonien den großen Profit ein, sondern der Handel mit Waren und Sklaven.



Der Rückgang der Zahl der indigenen Bevölkerung und die in ihrem Volumen nur mäßige Ansiedlung von Siedlern machten den Import von afrikanischen Sklaven als Arbeitskräfte auf den Plantagen der Europäer erforderlich. Der bereits im ausgehenden Spätmittelalter beginnende und bis ins 19. Jahrhundert florierende atlantische Sklavenhandel mit über zwölf Millionen Sklaven bildete den Bestandteil jenes Dreieckhandels, in dessen Rahmen minderwertige Waren von Europa nach Afrika, von Afrika Sklaven als billige Arbeitskräfte nach Amerika und von dort wertvolle Rohstoffe und Waren wie Baumwolle, Zucker und Tabak nach Europa gelangten. Somit stellte die Arbeitskraft der aus Afrika Deportierten einen wichtigen Motor der frühkapitalistischen Wirtschaft dar.



Im 16. Jahrhundert war Portugal der größte Importeur afrikanischer Sklaven. In der in Afrika gängigen Praxis des Sklavenhandels witterten die portugiesischen Händler schon Mitte des 15. Jahrhunderts ein lukratives Geschäft und ließen sich 1455 in einer päpstlichen Bulle das Monopol auf Fahrten, Handel sowie Versklavung von „Ungläubigen“ entlang der westafrikanischen Küste sichern. Seit dem späten 17. Jahrhundert waren jedoch alle europäischen Großmächte und zahlreiche Großkaufleute und Handelshäuser auch aus anderen europäischen Ländern, so u. a. aus dem Heiligen Römischen Reich daran beteiligt.



Versuche deutscher Territorialfürsten, sich am Wettbewerb zu beteiligen, schlugen allerdings fehl. Eine von der Grafschaft Hanau im Jahre 1669 geplante Gründung der Kolonie „Hanauisch-Indien“ im nördlichen Brasilien konnte wegen der fehlenden Mittel nicht realisiert werden. Kein dauerhafter Erfolg war auch dem Kurfürstentum Brandenburg beschieden, das unter den letzten europäischen Staaten in den transatlantischen Sklavenhandel eintrat. 1682 wurde auf Wunsch des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm die Brandenburgisch-Afrikanische Kompanie in Berlin gegründet. Die Grundlage dafür stellte die Marine dar, die im 17. Jahrhundert ausreichend groß war, um am transatlantischen Sklavenhandel eigenständig teilzunehmen. Möglich wurde das Projekt allerdings erst durch den mit Emden 1683 ausgehandelten Handels- und Schifffahrtsvertrag, der den Brandenburgern den Zugang zur Nordsee eröffnete und die finanzielle Beteiligung der reichen Kaufleute in Emden sicherte. An der westafrikanischen Küste wurde nach Verhandlungen der Brandenburger mit den Einheimischen die Festung Groß-Friedrichsburg gegründet, die der Gesellschaft von 1683 bis 1717 als Sklavenumschlagplatz diente. Von dort wurden die Sklaven zunächst auf die 1685 angemietete Insel St. Thomas in der Karibik, die unter dänischer Herrschaft stand, dann ab 1689 auf die von den Brandenburgern erworbene kleine Antilleninsel St. Peter gebracht, die als Zwischenstation für die in der Neuen Welt verkauften Sklaven diente. Insgesamt wurden beinahe 20.000 Afrikaner durch die Handelskompanie als Sklaven in die Karibik verkauft. Nachdem die Kompanie 1711 in staatlichen Besitz genommen wurde, ging sie ohne ausreichendes Kapital und besonderes Interesse Friedrichs I. schnell bankro