Geschichte des frühen Christentums

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4 Chronologie des frühen Christentums

Innerhalb des Zeitraums von der Geburt Jesu von Nazareth um 4 v. Chr. bis 135 n. Chr. sind einige wenige Daten der Geschichte des frühen Christentums genau zu bestimmen. Diese sind dann Bestandteile einer absoluten Chronologie. In diese erste Stufe einer Chronologie werden anschließend jene Ereignisse eingeordnet, die sich nicht eindeutig datieren lassen, deren Reihenfolge und Zusammenhänge aber rekonstruierbar sind. Sie ergeben eine relative Chronologie. Absolute und relative Chronologie lassen dann einen Überblick über die zeitlichen Abläufe der Ereignisse von 4 v. Chr. bis 135 n. Chr. zu.

4.1 Die absolute Chronologie

4.1.1. Die Lebensdaten Jesu von Nazareth

4.1.1.1 Die Geburt Jesu

(Lk 2,1f.)

Der Zeitrahmen der Geburt Jesu wird von Lukas in Lk 2,1f. genannt:

„Es geschah aber in jenen Tagen, dass eine Verordnung vom Kaiser Augustus ausging, das ganze Imperium aufzuzeichnen. Diese erste Aufzeichnung geschah, als Qurinius Statthalter von Syrien war.“

(Das Jahr null)

Ausgehend von der Nennung des Augustus (27 v. Chr.–14 n. Chr.) und des Quirinius (gest. 21 n. Chr.) ist auf Grundlage dieses Textes weiter nach konkreten Daten zu suchen. Die bei Lukas erwähnte Zählung des Volkes bezieht sich auf die nach der Absetzung des Archelaos, des Regenten von Judäa, vollzogene Eingliederung Judäas in die Provinz Syrien im Jahr 6 n. Chr. Im Widerspruch dazu stehen allerdings Angaben im Neuen Testament, Jesus wäre noch unter Herodes dem Großen geboren, der bereits 4 v. Chr. gestorben war. Auf diese frühe Datierung verweisen sowohl die Synchronisierung der Geburt Johannes des Täufers mit jener Jesu (Lk 1,5) als auch die gesamte Geburtsgeschichte im Matthäusevangelium (Mt 2,1–18). Jesus muss also entweder spätestens 4 v. Chr., zur Zeit Herodes des Großen, oder im Jahr 6 n. Chr., zur Zeit der Volkszählung, geboren worden sein. Öfters wird zur Datierung auch die im Matthäusevangelium erwähnte Erscheinung des Sterns herangezogen (Mt 2,2.7–10), die mit verschiedenen astronomischen Konstellationen identifiziert wird (7, 5 oder 4 v. Chr.). Eine historische Auswertung ist aber aufgrund der literarischen Gestaltung der matthäischen Geburtsgeschichte, die den Stern als Königsmotiv aufnimmt, nicht weiterführend. Übrigens: Die Datierung der Geburt Jesu auf den Wechsel vom Jahr 1 v. Chr. zum Jahr 1 n. Chr. – die Null war im Frühmittelalter noch unbekannt –, auf der die moderne Zeitrechnung beruht, geht auf fehlerhafte Kalkulationen des Mönchs Dionysius Exiguus im Jahr 525 n. Chr. zurück.

(Lk 3,1f.)

Auf das Geburtsjahr Jesu könnte auch die Angabe in Lk 3,23 verweisen, wonach Jesus etwa dreißig Jahre alt war, als er zum ersten Mal öffentlich auftrat. Das passt auch zu Joh 8,57: Jesus war noch nicht einmal fünfzig, also kein alter Mann. Der Zeitpunkt des ersten Auftretens Jesu wird von Lukas mit dem Wirken Johannes des Täufers verbunden (Lk 3,1f.):

„Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter von Judäa war und Herodes Tetrarch von Galiläa und sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Tetrarch von Abilene, unter dem Hohepriester Hannas und Kaiphas.“

(4 v. Chr.)

Von diesen Angaben ist lediglich jene zum „fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius“ spezifisch genug, um weitere Schlüsse ziehen zu können. Das fünfzehnte Jahr schließt entweder die anfängliche Zeit des Tiberius als Mitregent des Augustus mit ein – dann würde es das Jahr 26/27 n. Chr. bezeichnen. Oder es verweist auf das fünfzehnte Jahr seiner Alleinherrschaft – dann wäre das Jahr 28/29 n. Chr. gemeint. Zu 26/27 n. Chr. würde ein Hinweis im Johannesevangelium passen, wonach zur Zeit des Wirkens Jesu – nach Joh 2 zu dessen Beginn – bereits 46 Jahre am Jerusalemer Tempel gebaut worden war (Joh 2,20). Nach Josephus (ant. 15,380) fiel der Baubeginn durch Herodes in die Zeit 20/19 v. Chr., sodass Joh 2,20 auf das Jahr 26/27 n. Chr. verweisen würde. Auch der Tod Johannes des Täufers fiel in diesen Zeitraum (s. u. S. 104). Zieht man davon etwa dreißig Jahre ab (Lk 3,23), ist die Geburt Jesu am Ende der Zeit von Herodes dem Großen, also im Jahr 4 v. Chr., anzusetzen. Allerdings kann die (lukanische) Datierung auf die Volkszählung des Quirinius (6 n. Chr.) dann nicht als historisch eingeschätzt werden. Als Ergebnis ist daher festzuhalten: Die Angaben der Evangelien – mit Ausnahme von Lk 2,1 – verweisen alle auf die Zeit von Herodes dem Großen, sodass mit Jesu Geburt vor dem März des Jahres 4 v. Chr. zu rechnen ist.

4.1.1.2 Der Tod Jesu

Vom Beginn des Auftretens Jesu im Jahr 26/27 n. Chr. her lässt sich als sein Todesjahr 29/30 n. Chr. vermuten. Dies setzt voraus, dass Jesus tatsächlich drei Jahre wirkte, wie es das Johannesevangelium überliefert, nicht nur, wie im Bericht der synoptischen Evangelien, maximal ein Jahr.

(29/30 n. Chr. / Freitag, der 14. Nisan)

Die Datierung des Todes auf das Jahr 29/30 n. Chr. wird auch durch Überlegungen zum letzten Passahfest Jesu mit seinen Jüngern bestätigt. Nach dem jüdischen Festkalender findet das Passahmahl am 15. Nisan statt. Allerdings unterscheiden sich das Johannesevangelium und die Synoptiker in der Angabe, ob Jesus am Tag vor dem Passahfest starb, am sogenannten Rüsttag (Joh 18,28; 19,14), oder am Tag des Passah. Letzteres wird dadurch ausgedrückt, dass Jesus mit seinen Jüngern das Passahmahl am Abend der Verhaftung gefeiert haben soll (Mk 14,12–16 par). Die Datierung des letzten Mahles Jesu auf den Tag vor dem Passah – also den 14. Nisan – ist allerdings plausibler:

– Laut Mk 14,2 nahmen sich die Gegner Jesu vor, diesen nicht am Fest zu ergreifen und töten zu lassen. Der folgende Passionsbericht im Markusevangelium widerspricht diesem Vorhaben ohne Grund, sodass Mk 14,2 wohl auf älterer Überlieferung beruht.

– Der sicherlich historische Prozess des Präfekten Pontius Pilatus gegen Jesus passt sehr viel besser in die Zeit vor dem Fest, da es in der römischen Verwaltung üblich war, lokale Festtage nicht durch Gerichtsverhandlungen zu stören.

– Auch die Passahamnestie für Barabbas (Mk 15,6 par), die in allen Passionsgeschichten eine Rolle spielt, würde vor dem Fest mehr Sinn ergeben. Zweck einer Amnestie ist ja, den Betroffenen das Fest mit seiner Familie feiern zu lassen.

(7. April 30 n. Chr.)

Der 14. Nisan, an dem Jesus hingerichtet wurde, war nun aber nach den Berichten aller vier Evangelien ein Freitag (Mk 15,42 par). Kalenderberechnungen ergeben, dass diese Konstellation am 11.4.27, am 7.4.30 und am 3.4.33 eintrat. Wenn Jesus also drei Jahre in Galiläa und Judäa wirkte, ist der 7. April 30 n. Chr. als sein Todestag anzunehmen.

4.1.2 Die Jahre 30 bis 70 n. Chr.

In die Zeit zwischen dem Tod Jesu (30 n. Chr.) und der Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.) fällt u. a. die Wirkungszeit des Paulus. Zur Erstellung der absoluten Chronologie helfen hier einige Angaben aus seinen Briefen und der Apostelgeschichte weiter.

(Paulus in Korinth: 49/50–52 n. Chr. / Die Gallio-Inschrift / Das Claudiusedikt)

Der einzige Fixpunkt für die absolute Chronologie des Paulus ist sein erster Aufenthalt in Korinth (Apg 18,12–17). Die in Apg 18 berichtete Verhandlung fand nämlich vor dem Prokonsul Lucius Iunius Gallio Annaeanus statt, einem Bruder des Philosophen Seneca. Seine Amtszeit in der Provinz Achaia dauerte vom 1. Juli 51 bis zum 30. Juni 52 n. Chr. Dies wird durch die sog. Gallio-Inschrift aus Delphi wahrscheinlich (SIG III3/4 801D). Daraus ergibt sich, dass Paulus, der nach Apg 18,11 eineinhalb Jahre in Korinth weilte und wohl relativ bald nach dem Gerichtsprozess die Stadt verließ, irgendwann zwischen 49 und 52 n. Chr. dort war. Dies wird bestätigt durch die Angabe, dass Priska/Priscilla und Aquila, ein christusgläubiges Ehepaar judäischer Herkunft, das durch Claudius aus Rom vertrieben worden war, Paulus in Korinth in ihr Haus aufnahmen (Apg 18,2). Sie müssen also schon zuvor von Rom nach Korinth gekommen sein. Über die Vertreibung von Judäern aus Rom durch den Kaiser Claudius berichtet der Historiker Sueton (Claud. 25,4; vgl. Cassius Dio, hist. 60,6,6):

„Die Judäer, die auf Anstiften des Chrestus andauernd Unruhen verursachten, warf er aus Rom hinaus.“

Gemeint sind damit sehr wahrscheinlich Christusgläubige, die in Synagogen Roms über „Chrestus“ erzählten, nicht „alle Judäer“ (Apg 18,2). Weil Sueton mit der Bezeichnung „Christus“ nichts anfangen kann, verwendet er den bekannten Sklavennamen „Chrestus“ („der Nützliche“). Priska und Aquila gehörten offenbar zu diesen Unruhestiftern. Datieren lässt sich diese Aktion des Claudius mit einiger Sicherheit auf das Jahr 49 n. Chr., sodass damit auch der Aufenthalt von Priska und Aquila und daher auch der des Paulus in Korinth für die Zeit um 49/50 n. Chr. bestätigt wird.

(Aretas IV.)

Weitere Angaben, in denen lokale Machthaber in den Paulusbriefen oder der Apostelgeschichte vorkommen, führen nicht zur selben Eindeutigkeit. Paulus erwähnt eine Flucht aus Damaskus unter dem Nabatäerkönig Aretas IV. in 2Kor 11,32f. (vgl. Apg 9,23–25). Aretas IV. regierte von 9 v. Chr. bis 39/40 n. Chr., sodass der Vorfall in dieser Zeit geschehen sein muss. Mehr lässt sich dazu nicht erheben.

(Sergius Paullus)

Das Zusammentreffen mit Sergius Paul(l)us, dem Statthalter auf Zypern, welches Apg 13,6–12 erwähnt, lässt sich ebenfalls nicht ausreichend konkretisieren. Weder sind uns die Regierungsdaten der Statthalter auf der Mittelmeerinsel detailliert überliefert (von 44–58 n. Chr. fehlt jede Information), noch lässt sich die Identität von Sergius Paullus, der zu einer angesehenen römischen Familie gehörte, genauer bestimmen. Ein inschriftlicher Beleg zu einem Quintus Sergius (SEG 20,302) ist leider zu fragmentarisch. Und ein Lucius Sergius Paullus ist nur für die Stadt Rom als Amtsträger belegt (CIL VI 31545). Seine Laufbahn könnte ihn nach 47 n. Chr. aber sehr wohl als Statthalter nach Zypern geführt haben.

 

(Paulus in Caesarea: 57–59 n. Chr.)

Besser bestimmen lässt sich die Zeit der Gefangenschaft des Paulus in Caesarea Maritima (Apg 23,23–26,32). Die beiden in der Apostelgeschichte erwähnten Prokuratoren waren Antonius Felix (52–59 n. Chr.) und Porcius Festus (59–62 n. Chr.). Während Paulus in den letzten beiden Jahren des Felix inhaftiert war (Apg 24,27), gab Festus seine Verantwortung in dieser Angelegenheit schon zu Beginn seiner Amtszeit ab und ließ den Gefangenen nach Rom zum Kaiser bringen. Paulus wäre dann von etwa 57–59 n. Chr. in Judäa gewesen.

(Hinrichtung von Jakobus Zebedäus / Hinrichtung von Jakobus dem Herrenbruder)

Nach Apg 12,1f. wurde der Jünger Jakobus, der Sohn des Zebedäus und Bruder des Johannes, unter Herodes Agrippa I. hingerichtet (37–44 n. Chr.). Dieser trat sein Königsamt in Jerusalem erst im Jahr 41 n. Chr. an und ließ wahrscheinlich bereits zu Beginn seines Wirkens den prominenten Jesusanhänger töten, spätestens aber 44 n. Chr. Ebenfalls von einer Hinrichtung erfahren wir für das Jahr 62 n. Chr., als der Hohepriester Ananos II. während der Abwesenheit des Prokurators ein Interregnum nutzte, um „den Bruder Jesu, der Christus genannt wird, mit Namen Jakobus“ gemeinsam mit einigen anderen steinigen zu lassen (Josephus, ant. 20,200).

Zweifel sind im Blick auf die Christenverfolgung nach dem Brand Roms durch Nero im Jahr 64 n. Chr. angebracht, die sich in den meisten modernen Chronologien des frühen Christentums findet. Ein entsprechender Bericht des römischen Historikers Tacitus (ann. 15,44,2–5) ist nämlich, wie noch zu zeigen sein wird, historisch wenig plausibel (s. u. 14.2).

4.1.3 Die Jahre 70–135 n. Chr.

(Plinius d. Jüngere: 111/112 n. Chr. / Ignatius: 114–117 n. Chr.)

Für die Zeit nach dem ersten Aufstand der Judäer (66–70 n. Chr.) bis zum Ende des zweiten Aufstandes (132–135 n. Chr.) finden sich weitere datierbare Ereignisse des frühen Christentums. Der Briefwechsel von Plinius dem Jüngeren, Statthalter der Doppelprovinz Bithynien und Pontus, gibt uns an einem Punkt einen Einblick, den wir auch datieren können. Im Jahr 111/112 n. Chr. berichtete Plinius Trajan über Prozesse gegen Christusgläubige und erhielt vom Kaiser eine entsprechende Antwort (Plinius d. J., epist. 10,96 s. u. 14.4). Stammen die Briefe des Ignatius tatsächlich von der Reise des zum Martyrium bestimmten Bischofs von Antiochien nach Rom, bieten sie je nach genauer Datierung einen Einblick in die Zeit zwischen 114 und 117 n. Chr. (vgl. Euseb, h. e. 3,36,1–3).

Im Überblick ergibt sich also für die absolute Chronologie:


Geschichte des judäischen Volkes Imperium Romanum
Geburt Jesu 4 v. Chr. Herodes d.Gr. 37–4 v. Chr. Augustus 31 v. Chr.–14 n. Chr.
Wirken Jesu in Galiläa und Judäa 26/27–30
Hinrichtung Johannes des Täufers 27
Kreuzigung Jesu 30 Archelaos 4 v. Chr.–6 n. Chr.Herodes Antipas 4 v. Chr.–39 n. Chr.Pontius Pilatus 26–36 Tiberius 14–37Gaius Caligula 37–41
Hinrichtung des Jakobus Zebedäus 41 Paulus in Korinth 49/50–52 Herodes Agrippa I. 37–44Cuspius Fadus 44–46Tiberius Alexander 46–48Herodes Agrippa II. 48/49–92/93Vertreibung von Judäern aus Rom 49 Claudius 41–54
Paulus in Caesarea 57–59Hinrichtung des Herrenbruders Jakobus 62Christenverfolgung in Rom (?) 64 Antonius Felix 52–59Porcius Festus 59–621. Judäischer Aufstand 66–70 Nero 54–68Galba, Otho, Vitellius 69
Vespasian 69–79Titus 79–81Domitian 81–96Nerva 96–98
Christenprozesse in Bithynien-Pontus 111/112Hinrichtung des Ignatius 114/117 Aufstand in der Diaspora 115–117 Trajan 98–117
2. Judäischer Aufstand 132–135 Hadrian 117–138

4.2 Die relative Chronologie

4.2.1 Die Zeit bis zum Apostelkonvent

(Gal 1,15–2,1)

Die wichtigste Quelle für die ersten beiden Jahrzehnte des frühen Christentums ist ein biographischer Rückblick des Paulus in Gal 1,15–2,14. Der Apostel gibt darin zunächst einen Überblick über die Zeit bis zum Apostelkonvent:

1,15 Als es aber dem, der mich von meiner Mutter Leibe an ausgewählt und durch seine Gnade berufen hat, gefiel, 16 seinen Sohn in mir zu offenbaren, damit ich ihn unter den Völkern verkündigte, beriet ich mich nicht sofort mit Fleisch und Blut; 17a ich ging auch nicht nach Jerusalem hinauf zu denen, die vor mir Apostel waren, 17b sondern ich ging sogleich fort in die Arabia und kehrte wieder nach Damaskus zurück.

18 Danach, nach drei Jahren, ging ich nach Jerusalem hinauf, um Kephas kennenzulernen, und blieb fünfzehn Tage bei ihm. 19 Keinen anderen der Apostel aber sah ich außer Jakobus, den Bruder des Herrn. 20 Was ich euch aber schreibe – siehe, vor Gott! –, ich lüge nicht.

21 Danach kam ich in die Gegenden von Syrien und Kilikien. 22 Ich war aber den Gemeinden in Judäa, die in Christus sind, von Angesicht unbekannt. 23 Sie hatten aber nur gehört: Der, der uns einst verfolgte, verkündigt jetzt den Glauben, den er einst zu vernichten suchte; 24 und sie verherrlichten Gott um meinetwillen.

2,1 Danach, nach vierzehn Jahren, zog ich wieder nach Jerusalem hinauf mit Barnabas und nahm auch Titus mit.

(Arabia / Damaskus)

Paulus beginnt hier mit einer knappen Beschreibung seiner Hinwendung zum Evangelium (1,15f.), nach der er nicht sofort nach Jerusalem, sondern zunächst in die Arabia, das Gebiet der Nabatäer südöstlich von Syrien, gezogen ist (1,17a). Daran anschließend, so schreibt er, kehrte er nach Damaskus zurück (1,17b), was darauf hindeutet, dass er schon zuvor in Damaskus gewesen war (so auch Apg 9,19). Nach drei Jahren ging er schließlich doch nach Jerusalem. Umstritten ist, ob sich „danach“ (ἔπειτα/epeita) auf den Anschluss des Paulus an den Christusglauben bezieht oder auf seine Rückkehr nach Damaskus, doch ist Ersteres viel wahrscheinlicher. Eine weitere gewisse Unsicherheit besteht darin, dass die Angabe „drei Jahre“ nicht drei volle Jahre meinen muss, da in der Antike begonnene Jahre als volle Jahre gezählt wurden. Wir nehmen daher als Kompromiss einen zweijährigen Aufenthalt des Paulus im Gebiet der Nabatäer an. Dass Paulus dort war, wird auch aus dem Zwischenfall unter Aretas IV. deutlich (2Kor 11,32f.), der sich vor 39/40 n. Chr. zugetragen haben muss (s. o. S. 86).

(1. Aufenthalt in Jerusalem)

Unmittelbar „nach“ (ἔπειτα/epeita) seinem ersten Jerusalemaufenthalt, bei dem Paulus Petrus und den Herrenbruder Jakobus kennenlernte (1,18f.), ging er nach Syrien und in das nordwestlich davon gelegene Kilikien.

(2. Aufenthalt in Jerusalem)

In Gal 2,1 berichtet Paulus, dass er nach 14 Jahren (ἔπειτα/epeita) zum zweiten Mal nach Jerusalem gekommen sei, um über seine Verkündigungstätigkeit unter den Völkern und die Freiheit von der Unterwerfung unter die Tora zu sprechen. Paulus meint damit seinen Besuch anlässlich des Apostelkonvents, von dem auch in Apg 15 erzählt wird (s. u. 10.1). Die in Gal 2,1 genannten 14 Jahre kürzen wir analog zum Vorherigen auf 13 Jahre.

Wir kommen also aufgrund von Gal 1,15–2,1 zu folgendem Ablauf mit Zeitabständen:

Berufung des Paulus in Damaskus

Verkündigung in der Arabia

Rückkehr nach Damaskus

ca. 2 Jahre nach der Berufung 1. Aufenthalt in Jerusalem

ca. 13 Jahre Verkündigung in Kilikien und Syrien

anschließend Apostelkonvent (2. Aufenthalt in Jerusalem)

Doch nicht nur Paulus erzählt von den ersten Jahrzehnten, sondern auch die lukanische Apostelgeschichte. Über den in Gal 1,15–2,10 beschriebenen Zeitraum findet sich im Hinblick auf Paulus Folgendes, wobei Angaben über die jeweilige Dauer der Ereignisse nur sehr allgemein ausfallen:

(Die Angaben der Apostelgeschichte)

Lukas berichtet ebenfalls von der Hinwendung des Paulus zum Christusglauben und seinem Aufenthalt in Damaskus (Apg 9,1–21). Um einem Mordanschlag durch Judäer in Damaskus zu entgehen (9,22–25), sei er nach Jerusalem gereist, habe sich der Gemeinde angeschlossen und das Evangelium verkündigt (9,26–29). Aufgrund des Widerstandes der Jerusalemer Judäer gegen ihn sei Paulus dann in die kilikische Hauptstadt Tarsus geflohen (9,30). Von Tarsus aus habe ihn Barnabas später – eine Zeitspanne wird nicht genannt – in das syrische Antiochien geholt (11,25–26a), wo sie beide lange Zeit gewirkt hätten (11,26b). Die nächste Reise habe wiederum nach Jerusalem geführt, und zwar zur Überbringung einer Geldsammlung der antiochenischen Gemeinde an die Jerusalemer (11,27–30; 12,25). Nach der Rückkehr seien Paulus und Barnabas von der antiochenischen Gemeinde ausgesandt worden, um die Verkündigung auf Zypern und im südlichen Kleinasien zu betreiben (Apg 13–14; s. u. 11.4). Sie wären anschließend nach Antiochien zurückgekommen, wo sie eine gewisse Zeit geblieben seien (14,26–28). Erst danach seien Barnabas und Paulus wegen der Verkündigung unter den Völkern und der Freiheit von der Unterwerfung unter die Tora nach Jerusalem gereist, also zum Apostelkonvent (Apg 15).

Die Reihenfolge der Ereignisse in der Apostelgeschichte sieht also wie folgt aus:

Berufung des Paulus vor Damaskus

Aufenthalt in Damaskus

1. Aufenthalt in Jerusalem

Aufenthalt in Tarsus/Kilikien

Aufenthalt in Antiochien/Syrien

2. Aufenthalt in Jerusalem

Reise mit Barnabas nach Zypern und Kleinasien

3. Aufenthalt in Jerusalem zum Apostelkonvent

Die wesentlichen Differenzen zwischen dem Bericht des Paulus und jenem der Apostelgeschichte sind die Zahl der Aufenthalte in Jerusalem (zwei oder drei) und die Reise mit Barnabas vor dem Apostelkonvent, die bei Paulus nicht vorkommt.

(2 oder 3 Aufenthalte in Jerusalem?)

Die Differenz der Zahl der Besuche in Jerusalem wird manchmal so erklärt, dass der Bericht in Apg 15 nicht den Apostelkonvent in Gal 2,1–10 beschreibe, sondern ein späteres Treffen, das Paulus gar nicht erwähne. Der Apostelkonvent aus Gal 2,1–10 sei hingegen mit dem zweiten Besuch laut Apg 11,27–30 und 12,25 identisch. Das ist allerdings angesichts der zahlreichen Parallelen zwischen den beiden Berichten in Gal 2,1–10 und Apg 15 sehr unwahrscheinlich (s. u. 10.1). Viel eher ist anzunehmen, dass beim Besuch anlässlich der Geldspende, dem zweiten nach der Zählung der Apostelgeschichte (11,27–30; 12,25), Paulus nicht mit dabei war, sondern Lukas das lediglich so rekonstruierte. Das gilt selbstverständlich nur, wenn wir Paulus in dieser Sache vertrauen können, der in Gal 1,20 immerhin beteuert, in dieser Angelegenheit nicht zu lügen.

(Die Reise nach Zypern und Kleinasien)

Aber es fehlt im Galaterbrief auch die Reise mit Barnabas nach Zypern und Kleinasien, wie sie in Apg 13f. erzählt wird. Als Erklärung wird hier u. a. angeführt, dass Paulus mit seiner Tätigkeit in Syrien und Kilikien (Gal 1,21) auch Zypern und die in Kleinasien besuchten Gebiete Pamphylien, Pisidien und Lykaonien gemeint habe. Oder Paulus habe die Reise vielleicht deshalb nicht erwähnt, weil die Leserinnen und Leser des Galaterbriefes dies ja gewusst hätten, weil sie selbst bei dieser Reise das Evangelium gehört hätten. Das setzt voraus, dass der Galaterbrief an Gemeinden im Süden der Provinz Galatien gerichtet war, nicht an Bewohner der Landschaft Galatien im Norden (s. u. S. 226f.). Es wurde auch vorgebracht, dass die Reise in diese Gebiete gänzlich eine Erfindung des Lukas gewesen sei. Gegen alle drei Erklärungen lässt sich, wenn wir uneingeschränkt den paulinischen Angaben folgen, vorbringen:

 

– Zypern und der Süden Kleinasiens sind definitiv nicht in dem Ausdruck „Syrien und Kilikien“ eingeschlossen. Es handelt sich bei Zypern um eine Insel, die eine eigene römische Provinz war, und beim Süden Kleinasiens um Teile der kleinasiatischen Provinz Galatien. Zwischen Kilikien und diesen Gegenden liegt das 1500 Kilometer lange und bis über 4000 Meter hohe Taurusgebirge.

– Dass die Adressaten und Adressatinnen des Galaterbriefes in dem Rückblick Gal 1,21–24 schon selbst ergänzt hätten, was Paulus hier ausgelassen habe, ist angesichts des Anliegens des Galaterbriefes und gerade dieses biographischen Abschnittes sehr unwahrscheinlich: Paulus will ja die Rechtmäßigkeit seiner Verkündigung aufweisen, und es hätte nur allzu gut gepasst, diese Verkündigung in den Galaterbrief einzubauen. Im Gegenteil: Seine Tätigkeit bei den Leserinnen und Lesern des Briefes nicht zu erwähnen, wäre ein Akt der Unhöflichkeit gewesen. Denn später im Brief geht Paulus sehr wohl auf seinen Aufenthalt bei den Galatern ein (v. a. 4,12–15). Es ist daher unwahrscheinlich, dass er das im biographischen Rückblick Gal 1,15–2,10 übergangen hätte.

– Allerdings gibt es auch keinen Anlass, zu glauben, Lukas habe die sog. erste Missionsreise nach Zypern und Kleinasien frei erfunden. Sie lässt sich auch, wie wir noch sehen werden, historisch recht glaubhaft machen (s. u. 11.4).

Am einfachsten ist die Lösung für den Widerspruch zwischen Galaterbrief und Apostelgeschichte darin zu finden, dass die Reise nach Zypern und Kleinasien nicht in den Zeitraum fällt, über den Paulus in Gal 1,15–2,10 berichten wollte. Sie muss also danach stattgefunden haben.

Andere Ansetzungen von Apostelkonvent und Reise

Die lukanische Ansetzung der Reise nach Zypern und in den Süden Kleinasiens (Apg 13f.) in die Phase vor dem Apostelkonvent (Apg 15) wird in anderen Rekonstruktionen beibehalten, die dann zu abweichenden Datierungen kommen. U. Schnelle (100 Jahre 212, Anm. 221) lässt einen relativ breiten Raum, wenn er die Reise in die Jahre zwischen dem Tod von Agrippa I. (44 n. Chr.) und dem Apostelkonvent (48 n. Chr.) einordnet. Hingegen setzt D.-A. Koch (Geschichte 217f.) die Reise auf das Jahr 48 n. Chr. an und datiert den Apostelkonvent auf das Jahr 49 n. Chr.

Lukas hat nach meiner Meinung in der Apostelgeschichte lediglich die Reihenfolge Reise – Konvent vertauscht, ob absichtlich oder aus Unwissenheit, kann hier offenbleiben. Für die relative Chronologie sollten wir aber bei der paulinischen Reihenfolge bleiben und die sog. erste Missionsreise (Apg 13f.) nach dem Apostelkonvent ansetzen.

4.2.2 Die Zeit nach dem Apostelkonvent

(Die Reise nach Korinth)

Für die zeitliche Einordnung der folgenden Ereignisse bleiben wir auf die Apostelgeschichte angewiesen, da die Paulusbriefe uns nur ab und zu einen kleinen Blick auf die Geschehnisse gewähren. Vom syrischen Antiochien aus brach Paulus demnach wiederum nach Kleinasien auf und kam über Makedonien (Philippi, Thessalonich) bis nach Korinth in der Provinz Achaia (Apg 16–18; s. u. 11.5). Dort muss er um 49/50 n. Chr. angekommen sein, wie wir aus der Gallio-Inschrift wissen (s. o.). Laut Apg 18,11 blieb er mindestens 18 Monate dort, ehe er nach Antiochien zurückkehrte (Apg 18,22).

(Von Antiochien nach Ephesus / Judäa, Rom)

Von dort aus brach Paulus erneut auf (Apg 18,23). Diese weitere Reise führte ihn zu einem längeren Aufenthalt nach Ephesus (Apg 18,24–19,40; s. u. 11.6). Von dort ging es erneut über Makedonien nach Korinth (Apg 20,1f.), dann wieder zurück nach Makedonien bis nach Kleinasien in die Städte Troas (Apg 20,3–12) und Milet (Apg 20,13–38; s. u. 11.7). Das Ziel war diesmal Jerusalem (Apg 21). Dort wurde Paulus gefangen genommen und saß mindestens zwei Jahre in Haft (Apg 24,27). Anschließend wurde er nach Rom transportiert (Apg 27f.). Die Paulusbriefe widersprechen diesen Berichten im Großen und Ganzen nicht.

Aus Apg 16–28 ergibt sich daher folgende Reihenfolge der Ereignisse:

Reise nach Kleinasien, Makedonien und Achaia bis Korinth

Paulus in Korinth

Ankunft in Antiochien

Reise durch Kleinasien nach Ephesus

Aufenthalt in Ephesus

Reise nach Makedonien und Achaia bis Korinth

Reise nach Caesarea Maritima

Ankunft in Jerusalem

Gefangenschaft in Caesarea Maritima

Reise nach Rom

(Der Streit mit Barnabas)

Hinzu kommen aber noch zwei Ereignisse, die bisher noch nicht genannt wurden. Das erste ist historisch umstritten, allerdings auch nicht sehr einschneidend: Nach Apg 15,36–39 beendete Paulus wegen eines Streits die Zusammenarbeit mit Barnabas, mit dem er in Zypern und Kleinasien unterwegs gewesen war. Sollte diese Auseinandersetzung tatsächlich stattgefunden haben (s. u. S. 224), gehört sie in die Zeit nach dem Ende der Reise mit Barnabas.

(Der Antiochenische Zwischenfall)

Über das zweite Ereignis berichtet Paulus selbst: Losgelöst von der chronologischen Reihenfolge in Gal 1–2 erzählt er in Gal 2,11–14 von einer Auseinandersetzung mit Petrus und anderen Mitgliedern der antiochenischen Gemeinde, u. a. auch mit Barnabas. Die Details werden wir später erörtern (s. u. 10.2), hier ist zunächst nur wichtig, zu klären, wann diese Auseinandersetzung, die in der Forschung „der Antiochenische Zwischenfall“ genannt wird, stattfand. In Antiochien war Paulus mehrere Male: vor dem Apostelkonvent (Gal 1,21), vor der Reise nach Zypern und Kleinasien (Apg 13,1–3), nach dieser Reise (14,26–28) bzw. vor der nächsten (15,35–39) und schließlich auch nach dem längeren Aufenthalt in Korinth (18,22). Der Zwischenfall könnte, da ja auch Barnabas davon betroffen war, mit jenem identisch sein, der in Apg 15,36–39 erzählt wird. Allerdings sind die Themen völlig unterschiedlich: Laut Gal 2,11–14 ging es um die Mahlgemeinschaft von jüdischen und nicht-jüdischen Christusgläubigen, nach Apg 15 um die Mitnahme des Johannes Markus auf eine zweite Reise. Vor dem Apostelkonvent bzw. vor der Reise nach Zypern was das Verhältnis zur antiochenischen Gemeinde und Barnabas noch völlig ungetrübt. Daher ist die Spätdatierung des Antiochenischen Zwischenfalls auf den letzten Besuch des Paulus in der Gemeinde Antiochiens im Jahr 52 n. Chr. (Apg 18,22) die beste Lösung (s. u. 10.2).

4.3 Die Chronologie des frühen Christentums

Das Ergebnis unserer Bemühungen, die Reihenfolge der Ereignisse im Leben des Paulus zu rekonstruieren, wird im Folgenden mit der absoluten Chronologie verbunden.


4 v. Chr. Geburt Jesu
27–30 n. Chr. Wirken Jesu
30 Tod Jesu
31/32 Berufung des Paulus
31–33/32–34 Paulus in der Arabia (2–3 Jahre)
33/34 1. Aufenthalt des Paulus in Jerusalem
33–46/34–47 Paulus in Syrien und Kilikien (13–14 Jahre)
41 Hinrichtung des Jakobus Zebedäus
45/46 Geldsammlung für die Jerusalemer Gemeinde
47 2. Aufenthalt des Paulus in Jerusalem – Apostelkonvent
Reise von Barnabas und Paulus nach Zypern und Kleinasien
48 Ankunft in Antiochien – Trennung von Barnabas und Paulus
48–49/50 Reise des Paulus nach Kleinasien, Makedonien und Achaia bis Korinth
49/50–52 Paulus in Korinth
52 Ankunft des Paulus in Antiochien – Antiochenischer Zwischenfall
52–53 Reise des Paulus durch Kleinasien nach Ephesus
53–55 Aufenthalt des Paulus in Ephesus
55–56 Reise des Paulus nach Makedonien und Achaia bis Korinth
56 Reise des Paulus nach Caesarea Maritima
56/57 Paulus in Jerusalem
57–59 Gefangenschaft des Paulus in Caesarea Maritima
59/60 Transport des gefangenen Paulus nach Rom
60/61 Hinrichtung des Paulus in Rom
62 Hinrichtung des Herrenbruders Jakobus
64 Christenverfolgung in Rom (?)
111/112 Christenprozesse in Bithynien-Pontus
114/117 Hinrichtung des Ignatius

Literatur

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