Skizzenbuch

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Frau Mc Williams beim Gewitter.

Ja, fuhr Herr Mc Williams fort, – dies war nämlich nicht der Anfang seiner Rede – die Furcht vor dem Gewitter ist eine der qualvollsten Schwächen, von denen ein menschliches Wesen heimgesucht sein kann. Sie ist meistens auf Frauen beschränkt, hie und da findet sie sich jedoch auch bei einem kleinen Hunde und manchmal auch bei einem Manne. Es ist eine ganz besonders traurige Schwäche, indem sie einem Menschen den Verstand in höherem Grade raubt, als irgend eine andere Furcht, da sie sich weder durch Vernunftgründe noch durch Beschämung unterdrücken läßt. Eine Frau, die dem Teufel selber ins Gesicht sehen könnte – oder einer Maus – verliert ihre Schneidigkeit und ist rein weg angesichts eines zuckenden Blitzes.

Also, wie ich Ihnen sagte, ich wachte auf an dem halberstickten von irgendwo herkommenden Schrei: »Mortimer, Mortimer!« Sobald ich meine fünf Sinne zusammenfassen konnte, richtete ich mich in der Dunkelheit auf und antwortete:

»Evangeline, rufst du? was giebt's? wo bist du?«

»In die Wäschekammer eingeschlossen! Du solltest dich schämen, dazuliegen und so zu schlafen, während solch ein fürchterliches Gewitter losbricht.«

»Nun, wie kann man sich denn schämen, wenn man schläft? Das hat ja keinen Sinn; ein Mensch kann sich nicht schämen, derweilen er schläft, Evangeline.«

»Das thust du freilich nie, Mortimer, das weiß ich wohl!«

Ich vernahm den Laut unterdrückten Schluchzens. Dieser Klang machte die scharfe Rede, die sich auf meine Lippen drängte, ersterben und ich ließ mich statt dessen folgendermaßen vernehmen:

»Es thut mir leid, Liebe, es thut mir wirklich leid. Ich wollte es nicht thun, – komm heraus und –«

»Mortimer!«

»Himmel, was giebt's, mein Schatz?«

»Ich glaube gar, daß du noch im Bett liegst.«

»Warum nicht? natürlich.«

»Augenblicklich stehe auf. Ich dächte, du solltest doch ein klein wenig acht auf dein Leben geben, um meinet- und der Kinder willen, wenn nicht schon um deinetwillen.«

»Aber lieber Schatz –«

»Hör auf, Mortimer, du weißt, bei einem solchen Gewitter ist der allergefährlichste Platz das Bett. Das steht in allen Büchern. Aber das ist dir einerlei, du bleibst doch darin liegen und wirfst lieber dein Leben rücksichtslos weg, der Himmel weiß warum, höchstens aus ewiger Rechthaberei und –«

»Aber zum Kuckuck, Evangeline, ich bin ja jetzt nicht mehr im Bett, ich bin –«

Dieser Satz wurde unterbrochen durch einen plötzlichen Blitzstrahl, begleitet von einem unterdrückten Aufschrei der Frau Mc Williams und einem furchtbaren Donnerschlag.

»Da! Nun siehst du, wozu das führt. O, Mortimer, wie kannst du so ruchlos sein, bei einem solchen Wetter zu fluchen?«

»Ich habe ja nicht geflucht. Und das kam gar nicht davon her, es wäre ganz ebenso gekommen, auch wenn ich kein Wörtchen gesagt hätte, und du weißt ganz gut, Evangeline, oder solltest es wenigstens wissen, daß, wenn die Atmosphäre mit Elektrizität geladen ist –«

»O ja, jetzt habe nur recht und wieder recht und noch einmal recht. Ich begreife nicht, wie du so handeln magst, da du doch weißt, daß wir keinen Blitzableiter haben und daß deine arme Frau und Kinder rein der Gnade der Vorsehung anheimgegeben sind. – Aber was thust du? Ein Zündhölzchen anstecken? bei einem solchen Wetter, bist du völlig toll?«

»Zum Henker, Frau, was schadet denn das? Es ist ja hier so finster wie in einer Kuh und –«

»Lösch es aus, lösch es augenblicklich aus! Willst du uns alle geflissentlich zu Grunde richten? Du weißt doch, daß nichts so den Blitz anzieht, wie ein Licht.«

(Fzt, – krach! – bum! – bolum! – bum!)

»O, da höre, jetzt siehst du, was du angerichtet hast.«

»Wieso? Ein Schwefelhölzchen kann allenfalls den Blitz anziehen, aber gewiß ruft es keinen Blitz hervor, – ich stehe dafür ein. Sollte aber dieser Schuß dennoch meinem Zündhölzchen gegolten haben, so war er jämmerlich gezielt, – eine Leistung, die unter tausenden kaum einer fertig bringt.«

»Schäme dich, Mortimer. Da stehen wir dem Tode Aug in Auge gegenüber, und doch bist du fähig, in einem so feierlichen Augenblick eine solche Sprache zu führen. Wenn du nicht den Wunsch hast, – Mortimer –«

»Nun?«

»Hast du eigentlich heute ein Nachtgebet gesprochen?«

»Ich – ich – war eben daher, da fiel mir ein, auszurechnen, wie viel zwölfmal dreizehn ist und –«

(Fzt, – bum! – bum! – bumerumbum! – bang! – krach!)

»O, wir sind verloren, rettungslos verloren. Wie konntest du so etwas versäumen, bei solch einem Wetter!«

»Aber es war ja noch nicht so ein Wetter. Es war kein Wölkchen am Himmel. Wie konnte ich ahnen, daß wegen einer so kleinen Unterlassungssünde all dies Gerumpel und Gepolter losgehen würde? Und ich meine, es ist gerade nicht hübsch von dir, so viel Aufhebens davon zu machen, da du doch weißt, daß es so selten vorkommt. Vorher habe ich es nie versäumt, nie seit dem großen Erdbeben, an dem ich schuld war.«

»Mortimer, wie du sprichst! Hast du das gelbe Fieber vergessen?«

»Meine Liebe, du legst mir immer das gelbe Fieber zur Last, und ich meine doch, das ist ganz sinnlos. Wie soll denn ein kleines Frömmigkeitsvergehen von mir so weithin wirken? Das Erdbeben will ich meinetwegen auf mich nehmen, weil es in der Nachbarschaft stattfand, aber ich will mich hängen lassen, wenn ich verantwortlich sein soll für jedes lumpige –«

(Fzt, bum, bum, belum, bum, bang!)

»O Gott, o Gott, gewiß hat es irgendwo eingeschlagen. Wir werden keinen Tag mehr erleben, und dann, wenn wir nicht mehr sind, kann es dir eine Genugthuung sein, zu wissen, daß dein gottloses Gerede – Mortimer!«

»Nun, was ist wieder los?«

»Deine Stimme klingt, wie wenn – Mortimer, stehst du wirklich vor dem offenen Kamin?«

»Das ist allerdings mein Verbrechen in diesem Augenblick.«

»Geh augenblicklich davon weg. Es scheint, du bist entschlossen, Vernichtung über uns alle zu bringen. Weißt du nicht, daß es keinen besseren Leiter für den Blitz giebt, als ein offenes Kamin? – Wo bist du nun hingegangen?«

»Da ans Fenster.«

»O, um Gotteswillen, hast du den Verstand verloren? Geh weg von dort, augenblicklich! Die kleinsten Kinder wissen, daß es lebensgefährlich ist, während eines Gewitters am Fenster zu stehen. Lieber, Guter, ich weiß, ich erlebe keinen Tag mehr – Mortimer?«

»Ja!«

»Was ist das für ein Rascheln?«

»Ich bin's.«

»Was thust du denn?«

»Ich bemühe mich, das obere Ende meiner Unterbeinkleider zu finden.«

»Schnell, wirf das Zeug weg. Du wirst doch nicht diese Kleidungsstücke bei einem solchen Wetter anziehen wollen? Du weißt doch, daß allen Autoritäten zufolge wollene Stoffe den Blitz anziehen. O, Liebster, Bester, ist es nicht genug, daß man aus natürlichen Ursachen stets in Lebensgefahr schwebt? und du thust alles Erdenkbare, was die Gefahr vermehren kann. – So singe doch nicht! Wie kannst du auf den Einfall kommen?«

»Nun, was kann denn das schaden?«

»Mortimer, ich habe dir einmal, habe dir hundertmal gesagt, daß Singen Schwingungen in der Atmosphäre verursacht, die den Zug des elektrischen Stroms unterbrechen und – um alles in der Welt, wozu machst du die Thür auf?«

»Gerechter Himmel, Weib, ist auch dabei Gefahr?«

»Gefahr? Der Tod ist dabei. Jeder, der irgend darauf geachtet hat, weiß, daß einen Luftzug verursachen geradezu den Blitz herbeiziehen heißt. Du hast sie nur halb zugemacht, schließe sie fest und mach schnell, oder wir sind alle verloren. O, es ist etwas Fürchterliches, bei einem solchen Wetter mit einem Wahnwitzigen eingeschloßen zu sein. Mortimer, was thust du?«

»Nichts, ich drehe eben den Wasserhahn auf, dieses Zimmer ist zum Ersticken dumpf, ich muß mir Gesicht und Hände netzen.«

»Du hast scheints den letzten Rest deines Verstandes verloren. Wo der Blitz einen andern Gegenstand einmal trifft, schlägt er fünfzigmal ins Wasser. Drehe schnell zu. O, Lieber, ich sehe schon, daß nichts auf dieser Welt uns retten kann, ich glaube, daß – – Mortimer, was war das?«

»Es war ein verfl. ... es war ein Bild, hab's heruntergestoßen.«

»Dann stehst du also hart an der Wand? Eine unerhörte Unvorsichtigkeit. Weißt du nicht, daß es keinen besseren Leiter für den Blitz giebt, als eine Wand! Mach, daß du davon weg kommst. – Und eben warst du auch wieder nahe daran zu fluchen. O, wie kannst du so verzweifelt gottlos sein, während deine Familie in solcher Gefahr schwebt? Mortimer, hast du ein Federbett herthun lassen, wie ich dich gebeten habe?«

»Nein, hab's vergessen.«

»Vergessen? Es kann dich dein Leben kosten. Hättest du jetzt ein Federbett, um es in die Mitte des Zimmers zu breiten und dich darauf zu legen, so wärst du völlig in Sicherheit. Komm hier herein – schnell, ehe du noch weitere tolle Streiche machen kannst.«

Ich versuchte es, aber die Kammer vermochte uns beide bei geschlossener Thüre nicht zu fassen, wenn wir nicht ersticken wollten. Ich schnappte eine Weile nach Luft, dann stürzte ich hinaus. Meine Frau rief:

»Mortimer, es muß etwas zu deiner Rettung geschehen, gieb mir das deutsche Buch, das auf dem Kaminsims liegt, und ein Licht, – aber steck es nicht an. In dem Buche finden sich einige Ratschläge.«

Ich holte das Buch auf Kosten einer Vase und anderer zerbrechlicher Sachen. Meine Frau schloß sich mit ihrem Licht ein, worauf ich einen Augenblick Ruhe hatte, dann rief sie heraus: »Mortimer, was war das?«

»Nur die Katze.«

»O, Jammer. Fang sie und sperr sie in den Wäschschrank ein. Rasch, lieber Schatz. Die Katzen sind voll Elektrizität, ich bekomme gewiß noch weiße Haare bei den furchtbaren Gefahren dieser Nacht.«

 

Ich vernahm wieder das unterdrückte Schluchzen, sonst würde ich weder Hand noch Fuß geregt haben zu einem solchen Beginnen in der Dunkelheit, nämlich über Stühle und alle Arten von Hindernissen, die meist sehr hart und scharfkantig waren, auf die Katze Jagd zu machen. Endlich war es mir gelungen, Mieze in den Schrank zu schließen, freilich auf Kosten von über 400 Dollars an zerbrochenen Möbeln und Schienbeinen. Dann drang es dumpf aus dem Kämmerchen:

»In dem deutschen Buche steht, es sei bei einem Gewitter am sichersten, sich mitten im Zimmer auf einen Stuhl zu stellen, – die Stuhlbeine müssen durch Nichtleiter isoliert werden, d. h. du mußt die Stuhlbeine auf Sturzbecher von Glas stellen – (Fzt – bum, bam, krach). O, höre doch. Eile dich, Mortimer, ehe du getroffen wirst.«

Es gelang mir, die Gläser zu finden, es waren die letzten vier. Alle andern hatte ich zusammengeschlagen. Ich isolierte die Stuhlbeine und bat um weitere Verhaltungsmaßregeln.

»Mortimer, dann heißt es: ›Während eines Gewitters entferne man Metalle, wie z. B. Uhren, Ringe, Schlüssel von sich und halte sich auch nicht an solchen Stellen auf, wo viele Metalle beieinander liegen, oder mit andern Körpern verbunden sind, wie an Herden, Öfen, Eisengittern u. dgl.‹ Verstehst du das, Mortimer! Heißt das, daß man Metalle bei sich behalten muß, oder fern von sich halten?«

»Ja, ich weiß auch nicht recht, es kommt mir etwas unklar vor, ich kenne die Sprache nicht so genau. Wenn ich das Deutsch recht verstehe, so scheint es mir zu besagen, daß man Metall an sich haben soll.«

»Ja, so muß es wohl sein, das sagt ja der gesunde Menschenverstand. Es wirkt wie beim Blitzableiter, weißt du. Setz deinen Feuerwehrhelm auf, Mortimer, der ist fast ganz aus Metall.«

Ich holte ihn und setzte ihn auf, – ein recht schweres, plumpes und unbequemes Ding, in einer heißen Nacht in einem dumpfen Zimmer. War mir doch schon mein Nachtgewand mehr Bekleidung, als ich eigentlich bedurfte.

»Mortimer, ich glaube, dein Unterleib bedarf auch eines Schutzes, willst du nicht so gut sein und deinen Bürgerwehrsäbel umschnallen?«

Ich willfahrte.

»Jetzt, Mortimer, mußt du noch etwas zum Schutz deiner Fuße haben, bitte, schnalle deine Sporen an.«

Ich that es, ohne ein Wort zu sagen, und hielt meine gute Laune aufrecht, so gut ich konnte.

»Mortimer, es heißt in dem deutschen Buch weiter: ›Das Gewitterläuten ist sehr gefährlich, weil die Glocke selbst, sowie der durch das Läuten veranlaßte Luftzug und die Höhe des Turmes den Blitz anziehen könnten‹; Mortimer, heißt das, daß es gefährlich sei, die Kirchenglocken während eines Gewitters nicht zu läuten?«

»Ja, es sieht so aus. – Wenn dies das Partizip der Vergangenheit im Nominativ Singularis ist, – und das scheint mir so –; ja, ich denke, es heißt, daß in Anbetracht der Höhe des Kirchturms und in Ermangelung von Luftzug es sehr gefährlich sein würde, während eines Gewitters die Glocken nicht zu läuten, – und außerdem, siehst du nicht, daß gerade der Ausdruck – –«

»Schon gut, Mortimer, verliere die kostbare Zeit nicht mit Reden, hole die große Tischglocke, sie ist gerade dort auf dem Vorplatz. Geschwind, lieber Mortimer, wir sind beinahe in Sicherheit; o mein Bester, ich glaube, wir kommen diesmal noch davon.«

Unsere kleine Sommerwohnung steht oben auf einer Hügelreihe, die über ein Thal hineinschaut. Mehrere Bauernhäuser sind in unserer Nachbarschaft, das nächste 3-400 Yards entfernt.

Als ich auf dem Isolierstuhle stehend, die schreckliche Glocke sieben oder acht Minuten lang geläutet hatte, wurden unsere Läden plötzlich von außen aufgerissen und eine Laterne fuhr blendend an das Fenster, während eine Stimme also sprach: »Was in aller Welt ist hier los?«

Das Fenster war voll von menschlichen Köpfen und die Köpfe voll von Augen, welche mein Nachtgewand mit der kriegerischen Ausrüstung darüber, wild anstierten. Ich ließ die Glocke sinken, sprang verwirrt vom Stuhl herunter und sagte:

»Es ist nichts los, gute Freunde; nur eine kleine Störung wegen des Gewitters; ich habe mich bemüht den Blitz abzuhalten.«

»Gewitter? Blitz? Ei, Herr Mc Williams, haben Sie den Verstand verloren? Es ist eine schöne sternenhelle Nacht, keine Spur von Gewitter.«

Ich schaute hinaus und war so erstaunt, daß ich eine Zeit lang kein Wort herausbrachte. Dann sagte ich:

»Ich begreife das nicht, wir sahen das Zucken der Blitze ganz deutlich durch die Vorhänge und Läden und hörten den Donner.«

Die Leute legten sich nach einander auf den Boden und wälzten sich vor Lachen, – zwei lachten sich zu Tode.

Einer von den Überlebenden bemerkte: »Aber, daß Sie nicht daran dachten, ihre Läden aufzumachen und einmal auf den hohen Hügel dort hinauf zu sehen! Was Sie hörten, waren Kanonenschüsse, was Sie sahen, war das Feuer derselben. Wissen Sie, der Telegraph hat gerade um Mitternacht die Kunde gebracht, daß Cleveland ernannt ist, und darum die ganze Geschichte.«

Ja, Herr Twain, wie ich gleich zu Anfang sagte, bemerkte Herr Mc Williams zum Schluß, »die Vorschriften, um die Menschen vor Blitzschlag zu bewahren, sind so vortrefflich und so zahllos, daß es mir schlechterdings unbegreiflich ist, wie irgend jemand es fertig bringt, getroffen zu werden.«

Mit diesen Worten raffte er sein Bündel und seinen Schirm zusammen und stieg aus, denn der Zug war an seinem Wohnort angekommen.


Über frühreife Kinder.

Alle kleinen Kinder scheinen heutzutage die lästige und naseweise Angewohnheit zu haben, bei jeder Gelegenheit »schlaue« Äußerungen zu thun, besonders in Zeiten, da sie ganz still schweigen sollten. Nach den Witzworten dieser Art zu urteilen, welche im Durchschnitt veröffentlicht werden, müssen die Kinder der jüngsten Generation förmlich blödsinnig sein. Und ihre Eltern stehen ihnen an Dummheit sicherlich nur wenig nach, denn durch sie werden meist jene kindischen Albernheiten – die Geistesblitze, wie sie uns aus den Zeitschriften entgegenleuchten – zur allgemeinen Kenntnis gebracht.

Man argwöhnt vielleicht, daß Neid oder Groll aus mir spricht, wenn ich mich hierüber so sehr ereifere; ich muß auch wirklich gestehen, daß es mir ärgerlich ist zu hören, wie viele gescheite Kinder es heute auf der Welt giebt, weil es mich daran erinnert, wie selten ich etwas Witziges gesagt habe, solange ich noch klein war. Zwei- oder dreimal habe ich es versucht, aber es fand keinen Anklang. Meine Angehörigen erwarteten nicht, geistreiche Bemerkungen von mir zu hören, überraschte ich sie damit, so wurde ich entweder vorlaut gescholten, oder ich bekam Schläge. Mich überläuft eine Gänsehaut und das Blut erstarrt mir in den Adern, wenn ich bedenke, was wohl aus mir geworden wäre, hätte ich mich unterstanden in Gegenwart meines Vaters einige von den schlauen Äußerungen zu thun, welche man in unserer Zeit von vierjährigen Kindern erzählt. Mir einfach bei lebendigem Leibe die Haut über die Ohren zu ziehen, wäre ihm, einem solchen Sünder gegenüber als verbrecherische Milde und Verletzung seiner Pflicht erschienen. Dem strengen ernsten Mann war alles vorlaute Wesen ein Greuel; hätte er von mir solche gescheite Dinge gehört, wie sie andere Kinder sagen, es wäre mein Tod gewesen. Ja, er würde mich sicherlich umgebracht haben, falls nämlich noch Zeit dazu gewesen wäre. Aber das ist zweifelhaft, denn ich hätte natürlich aus Vorsicht zuerst eine Dosis Strychnin genommen und dann meine witzige Äußerung gethan.

Über eine Bemerkung, die ich in meiner frühsten Kindheit machte – es war nicht einmal ein Witzwort – wäre es beinahe zu einem ernstlichen Zerwürfnis zwischen meinem Vater und mir gekommen. Das trug sich nämlich so zu: Eines Tages unterhielten sich meine Eltern mit Onkel, Tante und mehreren Freunden darüber, welchen Namen man mir geben solle. Ich lag da, beschäftigt verschiedene Gummiringe zu probieren, um die besten auszuwählen, weil ich es satt hatte, mir die kommenden Zähnchen an anderer Leute Fingern durchzubeißen und nach einem Gegenstand trachtete, mit dessen Hilfe ich dies Geschäft rasch zu Ende führen und dann etwas neues beginnen könne. Man weiß ja, was für eine Quälerei es ist, sich die Zähne am Finger der Amme durchzubeißen, oder welche Mühe man hat und wie man sich den Rücken fast zerbricht, wenn man die eigene große Zehe dazu benützen will. Wer hat nicht dabei schon die Geduld verloren und seine Zähne ins Pfefferland gewünscht, noch ehe ihre ersten Spitzchen durchguckten? – Mir ist's als wäre das alles erst gestern geschehen.

Doch, ich will nicht weiter abschweifen. Also – ich lag da und wählte mir meine Gummiringe; als dabei mein Blick zufällig die Uhr traf, fiel mir ein, daß ich in einer Stunde und fünfundzwanzig Minuten gerade zwei Wochen alt sein würde. Ach, wie wenig hatte ich noch gethan, um die Wohlthaten zu verdienen, mit denen man mich so verschwenderisch überhäufte!

Jetzt hörte ich, wie der Vater sagte: »Abraham ist ein guter Name; mein Großvater hieß Abraham.«

»Ja wohl,« erwiderte die Mutter, »mir ist Abraham für einen seiner Zunamen ganz recht.«

Ich wollte auch meine Meinung abgeben: »Abraham gefällt dem Unterzeichneten,« sagte ich.

Da runzelte der Vater die Stirn, aber meine Mutter machte ein ganz vergnügtes Gesicht und die Tante rief: »Hört nur den lieben kleinen Schelm!«

»Isaak ist ein guter Name,« fuhr mein Vater fort, »auch Jakob könnten wir wählen.«

»Gewiß,« stimmte die Mutter bei, »bessere Namen giebt es gar nicht. Wir wollen ihn auch Isaak und Jakob nennen.«

»Einverstanden,« sagte ich, »mit Isaak und Jakob bin ich zufrieden und verbleibe ganz der Ihrige. Bitte, gebt mir doch einmal die Klapper her; ich kann nicht den ganzen Tag an Gummiringen kauen.«

Keine Seele machte sich Notizen von meinen Äußerungen zum Zweck der Veröffentlichung. Das sah ich und that es selber, sonst wären sie gänzlich verloren gegangen. Statt daß man mich liebevoll ermuntert hätte, wie es bei andern Kindern geschieht, die sich geistig aufgeweckt zeigen, strafte mich der Vater mit einem Zornesblick, die Mutter sah ängstlich und bekümmert aus und auch die Tante schien zu meinen, ich hätte mir zu viel herausgenommen. Voll Ingrimm biß ich meinen Gummiring entzwei und zerschlug verstohlen die Klapper auf dem Kopf des Kätzchens, doch sagte ich nichts.

»Der allerbeste Name ist Samuel,« begann mein Vater von neuem.

Da wußte ich, daß ein Sturm im Anzug sei, den nichts abwenden könne. Ich legte meine Klapper hin, ließ des Onkels silberne Uhr über den Rand der Wiege fallen, desgleichen die Kleiderbürste, das hölzerne Hündchen, meinen Zinnsoldaten, das Reibeisen und sonstige Gegenstände, mit welchen ich für gewöhnlich meine Untersuchungen und Beobachtungen anstellte, oder ein angenehmes Geräusch hervorbrachte – gelegentlich zerschlug, zerbrach und zertrümmerte ich sie auch, wenn es galt, mir eine gesunde Bewegung zu machen. Dann zog ich mein Röckchen an, setzte mein Mützchen auf, nahm die kleinen Schuhe in eine Hand, das Stück Lakritze in die andere und kletterte auf den Fußboden hinunter.

»Mag daraus werden was will,« dachte ich bei mir, »ich bin bereit.«

Mit lauter, fester Stimme sagte ich nun: »Vater, das ist unmöglich – den Namen Samuel kann ich nicht tragen.«

»Wie, mein Sohn?«

»Wirklich, Vater, ich kann es nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich habe eine unbezwingliche Abneigung dagegen.«

»Das ist unverständig, mein Sohn. Viele große und gute Männer hießen Samuel.«

»Davon ist mir kein Beispiel bekannt.«

»Was? War nicht Samuel, der Prophet, groß und gut?«

»Hm! Nicht so besonders.«

»Aber, mein Sohn! Der Herr rief ihn doch mit seiner eigenen Stimme.«

»Ja wohl, aber er mußte ihn ein paarmal rufen, bis er endlich kam.«

Damit ergriff ich die Flucht, und der strenge alte Mann lief mir nach. Um die Mittagsstunde des nächsten Tages holte er mich ein und als unsere Zusammenkunft vorüber war, hatte ich richtig den Namen Samuel erhalten, dazu eine Tracht Schläge und manche nützliche Belehrung obendrein. Nachdem mein Vater die Sache auf diese Weise ausgeglichen hatte, war sein Zorn beschwichtigt. Gut, daß ich Vernunft annahm, sonst hätte unsere Uneinigkeit leicht zu einem unheilbaren Bruch führen können.

 

Was würde mir aber mein Vater – nach diesem Vorfall zu urteilen – wohl angethan haben, wenn jemals eine von den schwächlichen Albernheiten aus meinem Munde gekommen wäre, welche als Äußerungen gescheiter zweijähriger Kinder jetzt im Druck erscheinen? – Ich bin überzeugt, daraus wäre ein Fall des Kindsmordes in unserer Familie entstanden.