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k-punk

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»Er tanzte mit einer schönen Frau. Er hatte keine Ahnung, wie spät es war, wie lange er in der Colorado Lounge gewesen war oder wie lange hier im Festsaal. Zeit hatte keine Bedeutung mehr.«121

Gefangen von diesen fiebertraumhaften Phantasien, sinkt Jack in das Unbewusste herab (das, wie Freud sagt, keine Zeit kennt). Das Unbewusste ist immer unpersönlich und in diesem Fall ganz besonders: Das Unbewusste, in das Jack hinabsteigt, ist das Unbewusste des Hotels selbst. Seine Familie wird immer mehr zu einer nervenden Ablenkung seiner zunehmenden Phasen der verzauberten Kommunion mit dem Hotel und ein guter Vater zu sein bedeutet plötzlich, Danny in das Overlook Hotel zu bringen. Jack wird von den Figuren des Hotels – die scheinbar die Forderungen des Über-Ich mit denen des Es versöhnen – davon überzeugt, dass es seine Pflicht ist, Danny gefügig zu machen.

Neben der imaginären Nicht-Zeit des Gold Rooms gibt es noch einen anderen Fall von stillgestellter Zeit im Overlook Hotel. Dieser jedoch gehört zum Realen, wo die sequenzielle oder »chronische« Zeit der Uhr durch die Fatalität der Wiederholung aufgehoben wird. Es sind die imaginären Freuden des Gold Rooms und ihre sukkulenten Versprechen vereinigender Geborgenheit, wegen denen Jack immer tiefer in die Struktur des Realen des Hotels eindringt – die Struktur der gewalttätigen Wiederholung. Danny sieht diese Struktur in der Vision eines Mannes, der ein Kind mit einem Roque-Schläger verfolgt (im Film ist es eine Axt).

»Das Zifferblatt war verschwunden. An seiner Stelle klaffte ein rundes schwarzes Loch. Es führte in die Ewigkeit hinab. Es wurde immer größer. Die Uhr war verschwunden, der Raum ebenso. Danny schwankte, und dann stürzte er in die Dunkelheit, die sich schon die ganze Zeit hinter dem Zifferblatt verborgen hatte.

Der kleine Junge brach plötzlich auf dem Stuhl zusammen und blieb in einer unnatürlichen Haltung liegen. Er hatte den Kopf zurückgeworfen und starrte aus leeren Augen gegen die hohe Decke des Festsaals.

Er sank nach unten, immer tiefer nach unten, bis – auf den Korridor. Er hockte im Korridor. Als er versucht hatte, die Treppe zu erreichen, war er in die falsche Richtung gegangen, und jetzt UND JETZT –

sah er, daß er sich in dem kurzen Gang befand, der nur zur Präsidentensuite führte, und das dröhnende Geräusch kam immer näher, der Roque-Schläger pfiff bösartig durch die Luft und krachte gegen die Wand, daß die Seidentapete zerriß und der Putz stob.«122

Hier können wir uns wieder dem fatalistischen Bild zuwenden, das Freud in Der Mann Moses verwendet und das ich zu Beginn des Essays zitiert habe. Die »stärkste zwangsartige Beeinflussung«, schreibt Freud, kommt

»von jenen Eindrücken […], die das Kind zu einer Zeit treffen, da wir seinen psychischen Apparat für noch nicht vollkommen aufnahmefähig halten müssen. An der Tatsache selbst ist nicht zu zweifeln, sie ist so befremdend, daß wir uns ihr Verständnis durch den Vergleich mit einer photographischen Aufnahme erleichtern dürfen, die nach einem beliebigen Aufschub entwickelt und in ein Bild verwandelt werden mag.«123

Diese Passage ist besonders pikant und suggestiv, wenn man an die letzte Einstellung in Kubricks Verfilmung von Shining denkt: Sie zeigt ein Foto aus dem Jahr 1923, das Jack grinsend und umgeben von Partygästen zeigt. Und an dieser Stelle denken wir unweigerlich an Delbert Gradys eigentümlichen Satz, dass Jack »schon immer der Hausmeister gewesen« ist.

Worauf ich mit dem Verweis auf Freuds Photographie-Metapher hinweisen möchte, ist diese Idee von Effekten, die von den Ereignissen, die sie hervorgerufen haben, zeitlich weit entfernt sind. Darin besteht der psychoanalytische Horror, den Shining seziert. Vor langer Zeit, in der Kindheit, wurde Jacks psychischer Apparat Gewalt ausgesetzt (der Roman beschäftigt sich ausführlich mit dem Leid, das Jack von seinem Vater angetan wurde), doch es braucht die »gespenstischen Räume« des Overlook Hotels, um diese Eindrücke von der »Aufnahme« in einen »Bild« zu verwandeln, einen tatsächlichen Akt der Gewalt.

Wenn Jack »schon immer der Hausmeister« gewesen ist, dann weil sein Leben schon immer ein Kreislauf der Misshandlung war. Jack repräsentiert eine schreckliche strukturelle Fatalität, einen gespenstischen Determinismus. »Schon immer« der Hausmeister gewesen zu sein, heißt, niemals ein Subjekt eigenen Rechts gewesen zu sein. Jack hat immer nur das Symbolische sowie die mörderische Gewalt, die ihre obszöne Unterseite darstellt, vertreten. Denn was ist der Vater anderes als der »Hausmeister«, jene Figur, die (temporär) die Verpflichtungen des Symbolischen auf sich nimmt, bevor er sie an die nächste Generation weitergibt?

Für Jack werden die Geister der Vergangenheit zum Leben erweckt – allerdings nur auf Kosten seines eigenen Ablebens (de-vival).

Natürlich hat die dyschronische Form der gewalttätigen Kausalität des Overlook Hotels – also, dass in der Psyche gespeicherte Ereignisse erst ihre Wirkung zeigen, nachdem Zeit vergangen ist – auch Konsequenzen für Dannys Zukunft. Metz schreibt: »Wenn Jack mit einer Axt in der Hand Danny durch den Irrgarten jagt und ruft ›Ich bin genau hinter dir, Danny‹, dann will er dem Jungen nicht nur Angst einjagen, sondern er sagt auch seine Zukunft voraus. […] [D]ie patriarchale Bestie ist auch in [Danny] selbst.«124

Jack könnte auch sagen, »Ich bin direkt vor dir, Danny«: Ich bin, was Du werden wirst. Im Overlook Hotel wird ein Kind immer geschlagen und die Positionen von Opfer und Täter sind Positionen innerhalb einer Struktur. Es ist allzu leicht für das Opfer, zum Täter zu werden. Die bedrohliche Frage, die Shining aufwirft, aber nicht beantwortet, ist: Wird Danny dasselbe geschehen (so wie es Jack widerfahren ist)?

Ist Shining sozusagen dasselbe wie Totem und Tabu / Der Mann Moses – wo der Vater seine gespenstische Macht über seine Söhne ge­rade durch seinen Tod ausübt – oder ist es eher wie Anti-Ödipus?

Im Roman entkommt Danny dem Tod durch seinen Vater nur, indem er sich katatonisch mit seinem Double vereint, Tony, den King als Avatar seines zukünftigen Selbst präsentiert:

»Und jetzt stand Tony direkt vor ihm, und Tony anzusehen, war wie in einen Spiegel zu schauen und sich selbst in zehn Jahren zu sehen […]. Das Haar war so blond wie das seiner Mutter, und doch waren es die Züge seines Vaters, als ob Tony – als ob der Daniel Anthony Torrance, der er eines Tages sein würde – eine Mischung zwischen Vater und Sohn war, beider Geist, eine Verschmelzung.«125

Im Film entkommt Danny seinem Vater, indem er rückwärts in dessen Fußstapfen geht. Und dennoch wissen wir nicht, ob der (psychische) Schaden bereits angerichtet wurde – wird Danny, indem er seinen Vater überlebt, letztlich seinen Platz einnehmen?

Für Metz hält diese Unentschiedenheit den Text offen: »Es ist an Danny, erwachsen zu werden und eine bessere Welt zu schaffen, sich von den Dämonen der Vergangenheit zu lösen und dennoch immer zu wissen, dass, tief in ihm drin, die Dämonen, die Jack und alle Amerikaner verfolgen, unter der Oberfläche liegen. Danny wurde das Erbe von Jack aufgetragen.«126 Wenn Danny die Geister der Vergangenheit abschütteln kann, gibt es eine Möglichkeit der Freiheit; aber hat die »stärkste zwangsartige Beeinflussung« nicht bereits ihr Werk getan? Ist auch Danny dazu verurteilt, schon immer der Hausmeister gewesen zu sein?

Denn er weiß nicht, was er tut 127

»Wie kommt es, dass die Filme der Linken direkt und realistisch sind, während die Konservativen aus Hollywood eine Maske aufsetzen müssen, um ihre Wahrheit zu verkünden?«

Andrew Klavern, »What Bush and Batman

Have in Common«128

»Was ich verachte in Amerika, ist die Logik der Schauspieler, als ob Selbstdarstellung etwas Gutes wäre: Sei nicht unterdrückt, öffne dich, selbst wenn du die anderen anschreist und trittst, alles für deine eigene Darstellung und Entfaltung. Es ist diese dumme Idee, dass sich hinter der Maske eine Wahrheit befindet. […] Oberflächen sind wichtig. Wenn du die Oberfläche störst, verlierst du vielleicht mehr als du denkst. Mit Ritualen spielt man nicht. Masken sind niemals bloß Masken.«

Slavoj Žižek und Geert Lovink, »Japan Through

a Slovenian Looking Glass: Reflections

of Media and Politics and Cinema«129

Es gibt viele symptomatische und interessante Aspekte an den derzeitigen Versuchen der Rechten, sich The Dark Knight anzueignen. Die Idee ist, dass Batman Bush ist – ein missverstandener Held, der bereit ist, die »schwierigen Entscheidungen« zu fällen, um eine undankbare Bevölkerung zu schützen, denen sie selbst aufgrund zu großer ethischer Sensibilität ausweicht.

In einer Reihe komplex argumentierender Postings zeigt Inspersal130, dass die »Entscheidungen« in The Dark Knight alles andere als »schwierig, aber notwendig« sind; im Gegenteil, wann immer Batman sich für die Folter entscheidet, führt sie entweder zu nichts oder ist kontraproduktiv. Was die neokonservative Deutung erstens verfehlen muss, ist die Tatsache, dass hier dasselbe stattfindet, wie in der geopolitischen Wirklichkeit: Weit davon entfernt, widerwärtig, aber unvermeidlich zu sein, haben das Unglück im Irak, Guantanamo Bay, die außerordentlichen Überstellungen etc. entweder nichts gebracht oder alles schlimmer gemacht. Interessant ist jedoch die Verbissenheit dieser neokonservativen Phantasie, die exakt darin besteht, sich für »realistisch« zu halten – erstaunlicherweise glauben Teile der amerikanischen Rechten tatsächlich, dass die Maßnahmen der Bush-Regierung erfolgreich sind und die Öffentlichkeit sie auf der Grundlage von hochtrabenden (liberalen) ethischen Zweifeln ablehnt, statt aus pragmatischen und utilitaristischen Gründen (zu viele unserer Männer werden getötet).

 

Was diesen Lektüren, zweitens, entgeht, ist die tatsächliche Form der Tugend, die in dem Film dargestellt wird. Wenn diese (neo)konservativ sein soll, dann nicht auf der Ebene der utilitaristischen Folgeabschätzung. Wir haben es mit einem sehr viel komplizierteren Meta-Utilitaris­mus Strauss’scher Prägung zu tun, dessen zynisches Kalkül eher an Dostojewskis Großinquisitor erinnert. Täuschung – der Massen durch die Elite – und Tugendhaftigkeit hängen hier aufs Innerste zusammen: Was »geschützt« wird, ist nicht die Sicherheit der Massen, sondern ihr Glauben (an Harvey Dents Kampagne).

Wie Inspersal zeigt, ist die Konzentration auf Täuschung eines der Themen, das The Dark Knight mit den anderen Filmen Christopher Nolans verbindet und Batmans ultimativer Akt des Selbstopfers ist genau eine solche Täuschung. Sie vollzieht sich auf der Ebene der Zeichen: Was er aufgibt, ist sein guter Ruf, sein Ansehen in der Öffentlichkeit Gothams. Dieser Akt der Täuschung verdeckt keine darunterliegende gute Tat – die Täuschung ist die gute Tat.

Drittens missversteht die neokonservative Deutung das »Böse« im Film. Wenn diese Rechten wirklich glauben, dass Osama bin Laden so etwas wie der Joker in The Dark Knight ist, dann verrät uns das vor allem etwas über ihre Phantasien. (Matthew Yglesias schreibt: »Ich schau mir den Film an und sage ›Siehst du – wärst du der Held in einem Comic und würdest einen Comic-Bösewicht bekämpfen, dann würde deine Politik passen.‹«131 Doch selbst das stimmt nicht, wie Inspersals Argumentation zeigt.) Anders gesagt, es zeigt die Inkonsistenz, auf der die islamophobe Phantasie beruht: Der Islamist ist sowohl der »Agent des Chaos«, jemand, der nicht weiß, was er tut, als auch ein Fanatiker mit einer Mission.

Das Interessante an The Dark Knight ist, dass es gar nicht wirklich um Gut gegen Böse geht, sondern um die »gute Sache« und abweichende Begründungen und Kausalitäten. Two-Face und der Joker sind eher verrückt als böse und ihr Wahnsinn hat direkt damit zu tun, was für eine Mission sie haben. Dem Joker geht es um den puren Terror, Terror ohne Grund:

»Weißt du, was mir aufgefallen ist? Es gibt keine Panik, wenn die Dinge vorhersehbar sind, selbst wenn die Dinge grauenvoll sind. Wenn ich morgen der Presse erzähle, dass irgendein Bandenmitglied erschossen wird oder ein Laster voller Soldaten in die Luft fliegt – gibt’s keine Panik, weil all diese Dinge bereits eingeplant sind, aber wenn ich dann sage, dass ein kleiner popeliger Bürgermeister sterben wird, verlieren plötzlich alle den Verstand. Nimm einen kleinen Schuss Anarchie, bring die althergebrachte Ordnung aus dem Gleichgewicht und was entsteht? – Chaos! – Ich bin das Chaos. Und weißt du was Chaos eigentlich ist? – Es ist fair.«

Während Batman zu utilitaristischen Kalkulationen neigt, ist der Joker in derselben Weise frei, wie auch der Todes­trieb frei ist: Er handelt ohne Rücksicht auf die Folgen und triumphiert stattdessen in einer Art bedingungslosen Auflösung normaler, kausaler Sequenzen. Der Verweis auf die »Fairness« ist kein Zufall. Als Schelm des Perversen steht der Joker für eine invertierte (oder ausgeflippte) kantianische Gerechtigkeit. In vielerlei Hinsicht erleben wir die Verwandlung des Kantianismus in die Logik Don Giovannis, die Žižek so oft beschrieben hat (Don Giovannis Entscheidung, sich nicht zu retten, um an seinem Libertinismus festzuhalten, selbst dann noch, wenn das zu seiner Hinrichtung führt, wird zu einer ethischen Ges­te). Der Joker handelt ohne pathologische Interessen und stellt seinen Mangel an Instrumentalität pompös mit dem Verbrennen eines Haufens Geld zur Schau.

Der Wahn, dem Two-Face verfallen ist, stellt ebenfalls eine Art Mutation der Idee der Gerechtigkeit dar. In seinem Fall wird der Kampf für eine gute Sache – die scheinbar unweigerlich schreckliche Folgen nach sich zieht – zugunsten einer Parteinahme für die Kausalität des Zufalls verdrängt (Kopf oder Zahl). Dieser Sprung in die Zufälligkeit ist keine Abschaffung der Gerechtigkeit, sondern es geht um die Suche nach einer Gerechtigkeit, die nicht durch den menschlichen Willen kontaminiert ist – aufgrund seines unpersönlichen Charakters ist der Zufall fair, denn er bevorzugt nichts und niemanden. Interessanterweise wird Dents Münzwurf erst fair, als er zu Two Face geworden ist; als Dent noch Gothams »Retter in der Not« ist, spielt er mit einer gefälschten Münze (sie zeigt Kopf auf beiden Seiten). Was bei Dent zudem die normale kausale Sequenz unterbricht, ist das Trauma – das Trauma, Rachel sterben zu sehen, was wiederum selbst die Folge einer binären Entscheidungsfalle ist, eine dieser Fallen, aus denen der Joker auszusteigen versucht.

Die inzwischen verbreitete Sicht auf The Dark Knight – dass die echte libidinöse Anziehungskraft des Films nicht von dem peripheren Batman/Wayne herrührt, sondern vom Charisma von Heath Ledgers Joker – ist sicherlich richtig. Als ich hörte, wie Ledgers Darstellung gefeiert wurde, befürchtete ich das Schlimmste. Ich glaubte, dass wir jene Art der übertriebenen Schauspielerei sehen werden, die normalerweise immer Lob bekommt. Aber es spricht für Ledger, dass er vermieden hat, was Tim Burton Jack Nicholson in dem schrecklichen Film Batman ausdrücklich erlaubt hat: Wir sehen nichts vom Schauspieler hinter der Rolle (bei Nicholson war das alles, was wir gesehen haben). Ledger ist nicht über größere Zeitabschnitte ohne Make-up zu sehen, wie das bei Tobey Maguire in Spider-Man 3 und Julian McMahon in den Filmen über die Fantastic Four der Fall war. Glücklicherweise sehen wir den Joker nur einen kurzen Moment ohne Make-up.

Was Ledger jedoch in vielerlei Hinsicht tut, ist, das Make-up zu spielen. Ich möchte hier betonen, dass dem Make-up, aufgrund dessen Ledgers Gesicht aussieht wie das eines bösen Affen, der hinter brüchigem Putz hervorlugt, etwas gelingt, das schier unmöglich schien: Es erfindet den Joker neu und bleibt zugleich den Comics treu (man denke nur an die Maske und das Outfit des Grünen Kobolds in den Spiderman-Filmen, deren Abweichung von den Halloween-Kapuze in den Comics mich immer enttäuscht hat). Der einzige Punkt, in dem ich nicht mit Inspersals Deutung übereinstimme, betrifft seine These, dass Ledgers Performance zeige, »dass die Version von Nicholson/Burton näher an Cesar Romero aus der Fernsehserie ist, als an Alan Moores Version in Killing Joke, woran sich Burton und Hamm vermeintlich maßgeblich orientierten«. Ich würde stattdessen sagen, dass Ledger näher an Romero ist und die Darstellung gerade deswegen so gut funktioniert. Nicholsons PoMo-Pose und Moores psychologische Tiefe waren aus einem Stück und beide waren weit weniger furchterregend als das sinnfreie Geplapper von Romeros pantomimenartigem Joker. Der Joker war immer deswegen faszinierend, weil er, anders als die anderen berühmten Bösewichte, reine Oberfläche war, intentionsloser Wahn, frei von jedem Ursprungsmythos oder Geschichte – bis Moore sich gezwungen sah, eine solche zu erfinden, wie das so seine tollpatschige, pseudo-literarische Art ist. Es gibt ein paar großartige Szenen in The Dark Knight, in der Ledgers Joker sich über lächerliche psychoanalytische Reduktionen lustig macht: »Willst du wissen, wo die Narben herkommen? Mein Vater war ein Trinker und ein Unhold…« »Ist es wegen der Narben? Willst du wissen, woher sie kommen? Ich hatte auch mal ne’ Frau…« (Das erinnerte mich sehr an Ian Bannens angsteinflößendes Gelächter in Sidney Lumets Sein Leben in meiner Gewalt, als Sean Connery ihm die Frage stellt: »War dein Vater ein starker Mann?«) Wenn der Joker irgendetwas ist, dann ein »Freak«, der uns wiederum an eben solche Freak-Ereignisse erinnert, Ereignisse, die ohne einen erkennbaren Grund passieren. Indem jede Innerlichkeit des Jokers durchgestrichen wird, indem man nichts übriglässt, das die Wildheit des Jokers einengen oder die Autonomie seiner gesichtsbemalten Persönlichkeiten be­schneiden könnte, lassen Ledgers Darstellung (und Jonathan Nolans Drehbuch) dem Freakigen Gerechtigkeit widerfahren.

Roboterhistoriker in Ruinen 132

»Ideologie nicht etwas Fremdes, etwas, das im Film vorkommt und die eigentümliche Fähigkeit besitzt, sich unseres Verstandes zu bemächtigen; Ideologie ist das, was wir und der Film teilen, dasjenige, was erlaubt, dass bestimmte Bedeutungen zwischen Film und Publikum übertragen werden (eine Übertragung, die nicht nur in eine Richtung geht). Wie Žižek sagt, beruht Ideologie auf dem ›unbekannten Bekannten‹; mit anderen Worten, das Problem der Ideologie besteht nicht in ihrer Falschheit, von der wir überzeugt werden könnten, sondern in ihrer Wahrheit, die wir bereits akzeptiert haben, ohne es zu wissen.«

Voyou, »Ideology critics are a superstitious,

cowardly lot«133

Voyous Bemerkungen über einige Lektüren von The Dark Knight berühren wichtige Punkte zum Begriff der Ideologie. Wenn man sich auf die »Message« des Films konzentriert – was sowohl neokonservative Deutungen als auch ihre Kritiker tun, einschließlich ich selbst –, läuft man Gefahr, die Art und Weise, wie Ideologie im Kapitalismus funktioniert zu verfehlen. Kapitalistische Ideologie besteht nicht darin, dass sie für irgendetwas eintritt, so wie Propaganda, sondern ihre Funktion ist, zu verde­cken, dass die Operationen des Kapitals von subjektiv gehegten Überzeugungen völlig unabhängig sind. Es ist unmöglich, sich den Faschismus oder den Stalinismus ohne Propaganda vorzustellen – Kapitalismus hingegen funktioniert sehr gut, sogar besser, wenn niemand für ihn eintritt.

Von den Antworten auf The Dark Knight, die ich hier gepostet habe, war es Wayne Wedge, der auf den Punkt gebracht hat, inwiefern der Film als ein Hyper-Objekt im Spätkapitalismus zu verstehen ist.134 Die Mehrdeutigkeit von The Dark Knight, die Fähigkeit, radikal auseinandergehende Interpretationen hervorzurufen und den Diskurs anzutreiben, ist es, was den Film zu einer hocheffizienten Meta-Ware macht. Ein Text mit einer einzigen, monologischen Message, einmal angenommen, dass es so etwas geben kann, könnte nicht »so eine Debatte auslösen«, wie sie die kapitalistische Kultur heute braucht.

Nicht nur kann ein kulturelles Objekt auf der Ebene des Inhalts gegen den Kapitalismus sein und ihm zugleich auf der Ebene der Form dienen; man kann auch noch weiter gehen und sagen, dass die Ideologie des Kapitalismus heute »antikapitalistisch« ist. In Hollywoodfilmen sind die Bösen ständig die »bösen, multinationalen Firmen«. So ist es auch bei der Disney/Pixar-Produktion Wall-E, die genau wie The Dark Knight die bizarrsten konservativen Reaktionen hervorgebracht hat. »Das ist vielleicht der zynischste und düsterste Big-Budget-Film, den Disney jemals produziert hat«135, behauptet Kyle Smith. »Noch nie zuvor hat eine Firma so viel Geld ausgeben, um ihre Kunden zu beleidigen.« (Nur als Nebenbemerkung, weil es für mein Argument hier nicht relevant ist, aber diese Satz von Paul Edwards ist großartig: »Wall-E ist, was passiert, wenn die liberale Vision der Zukunft Wirklichkeit wird: Die Regierung übernimmt die Wirtschaft, nicht nur, um das ›Streben nach Glück‹ zu gewährleisten, sondern um das Glück selbst zu bieten und produziert so gefräßige Bürger, die von der Regierung abhängig sind, um ihr Leben zu unterhalten.«136)

Die Kritik von Wall-E am Konsum ist leicht verdaulich. Die »Beleidigung«, die Kyle Smith so sehr getroffen hat, bestand in der Darstellung der Menschen als adipöse, infantilisierte Stubenhocker, die Brei aus der Tasse löffeln. Es mag auf den ersten Blick ironisch erscheinen, dass ein Film, der von einer riesigen Firma produziert wurde, eine solche Kritik an Konsum und Wirtschaft zum Ausdruck bringen kann (im Film ist es eindeutig, dass das Megaunternehmen Buy N Large zum großen Teil für die ökologische Verwüstung verantwortlich ist, die die Erde als bewohnbaren Ort zerstört hat). Und dennoch ist der größte Ironiker das Kapital, dem es ohne Probleme gelingt, diese wirtschaftskritische Rhetorik zu verdauen, indem es sie dem Publikum als Unterhaltung zurückverkauft. Abgesehen davon steht Wall-E auch auf der Ebene des Inhalts im Dienste des kapitalistischen Realismus, insofern als es die Phantasie des Kapitals selbst zur Darstellung bringt – die Vorstellung, dass sich das Kapital unendlich ausbreiten kann; dass die Plünderung der Umwelt des Menschen auf der Erde ein temporäres Problem ist, das irgendwann gelöst sein wird; dass menschliche Arbeit vollkommen abgeschafft werden kann (auf dem Raumschiff Axiom widmen sich Menschen nur noch dem Konsum und alle Arbeit wird von Servicerobotern verrichtet). Menschliche Arbeit taucht erst am Ende des Filmes wieder auf, wenn Axiom bzw. das Kapital die Terraformierung der Erde beginnt.

 

Es gibt noch eine andere Sackgasse in Wall-E. Der Film steht in der Tradition von Erzählungen über Wanderer in Ruinen (vgl. Christopher Woodwards In Ruins). Doch in mancherlei Hinsicht ging Wall-E über die Geschichten einsamer Figuren in postapokalyptischen Gefilden – von Mary Shelleys Verney, der letzte Mensch über Richard Mathesons I am Legend bis zu John Foxxs Album The Quiet Man hinaus. Denn in Wall-E ist der einsame Wanderer in den Ruinen nicht einmal ein Mensch: Es ist ein Roboterhistoriker, der ganz anders ist als der, den sich Manuel DeLanda ausgedacht hat; es handelt sich weniger um einen Roboterhistoriker, als vielmehr einen Bastler-Hauntologen, der die menschliche Kultur aus einem Haufen von Fragmenten rekonstruiert. (Ein Vorläufer dieses Szenarios ist Gary Numans »M.E.«, das aus der Perspektive eines allein auf der Erde lebenden, fühlenden Computers geschriebene Lied, das Basement Jaxx in »Where’s your head at« sampelt.) Die Vorstellung einer Welt, in der die Menschen ausgestorben sind, übt zweifelsohne eine mächtige phantasmatische Anziehungskraft aus. Und dennoch scheint es immer einen Punkt zu geben, an der die Phantasie zusammenbricht – die Geschichte, die auf dieser Prämisse beruht, stellt letztlich in ihrem Narrativ die menschliche Welt immer wieder her. Fraglos ist es zu viel verlangt, dass Wall-E sich diesem Trend nicht beugen sollte; doch es ist bemerkenswert, dass der Film massiv abbaut, als die Menschen auftreten (vgl. all die Filmversionen von Mathesons I am Legend, einschließlich der jüngsten). Man fragt sich, ob es sich dabei um eine strukturelle Notwendigkeit handelt, ob etwas innerhalb der Phantasie die Rückkehr der Menschen erzwingt: Geschichten mit nur einem Protagonisten sind nur schwer aufrechtzuerhalten. Bei Wall-E gibt es natürlich zwei (nicht-menschliche) Figuren, die den Beginn des Films ausmachen, eine Roboterromanze, die als animiertes Ballett inszeniert wird und an die Werke der Stummfilmära erinnern. Natürlich gibt es viele Filme, die nicht-menschliche Protagonisten haben, doch durch die Sprachen werden diese Figuren im Grunde zu Menschen. Wall-E und Eve hingegen wirken zunächst wie überzeugende nicht-menschliche Subjekte, weil sie keine Sprache haben. Wall-E spielt mit diesem Moment: Was, wenn das Gefühl aus dem ersten Teil des Films bis zum Ende gehalten hätte, ohne von der Rückkehr der Menschen unterbrochen zu werden?