Mudlake - Willkommen in der Hölle

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Hope musste wegen der unbeholfenen Geste lachen und ergriff seine Hand. Der Händedruck war fest, aber nicht schmerzhaft. Seine Handflächen waren rau, jedoch nicht unangenehm. »Hope … Hope Burke.« Sie löste sich von ihm, nickte zum Motorrad. »Na, was ist, bekommt Kindermann die wieder flott?«

Jason lachte. »Der hat keine Ahnung von Motorrädern.« Er ging in die Hocke. »Ist was mit der Zündung, nehm ich an.«

Hope schluckte, weil seine Jacke beim Bücken nach oben rutschte und sie das Messer sah, das er am Gürtel trug. Ein Riesending in einer speckigen Lederscheide mit indianischen Mustern, mindestens dreißig Zentimeter lang.

Lang genug, um einem den Kopf damit abzuschneiden …

»Na, war jedenfalls nett, dich kennengelernt zu haben«, stammelte sie unbeholfen. Hope hatte eine rege Fantasie. In ihrem Kopf formten sich bereits Bilder dessen, was er mit einer Klinge wie dieser alles anstellen könnte.

Jason sah zu ihr auf. »Mister Kindermann meinte, er könne die Maschine hinten auf dem Gepäckträger festmachen und mich bis zu eurem Übernachtungsstopp mitnehmen …« Er griff sich in die Innentasche und entnahm ihr eine zerknautschte Zigarettenschachtel, zog mit den Fingern eine heraus, legte sie sich lässig zwischen die Lippen. Er steckte die Packung weg, ohne ihr eine anzubieten. »Hast nicht zufällig Feuer?«

»Liegt im Bus«, antwortete Hope. Jason war nett, aber sie hatte den Eindruck, dass er etwas vor ihr verbarg. Und das Messer weckte schlimme Gefühle in ihr, Vorahnungen gleich. Sie wurde den Verdacht nicht los, dass er ein für ihn sehr persönliches Ziel verfolgte und dieses Wissen nicht mit ihr teilen wollte. Und da war sein Blick, den sie nicht deuten konnte.

Jeder hat ’n Ziel vor Augen, also mach dich jetzt bloß nicht lächerlich, schalt sie sich selbst. Der Typ ist süß und hier draußen alleine hätte ich auch ’n Messer dabei …

»Dann geh’n wir es holen, hm?« Jason wandte sich von ihr ab und wollte zur offenen Bustür gehen.

Hope ergriff seinen Arm. »Ähm, hallo?« Sie sah Hilfe suchend zu Schwester O’Hara, die sich mit Kindermann hinten am Bus aufhielt. Der war damit beschäftigt, den Gepäckträger nach unten zu klappen. »Schwester O’Hara? Könnten Sie bitte mal kommen?«

Die Ordensschwester sah sofort, dass etwas nicht stimmte. Mit wehendem Kleid lief sie zu Hope, die Jason festhielt. »Was ist hier los?«

»Jason wollte in den Bus.« Hope versuchte, Schwester O’Haras strengen Blick standzuhalten, senkte aber ihren eigenen. »Ich dachte, das sollten Sie wissen.«

Schwester O’Hara bemaß Jason mit einem langen, eindringlichen Blick, dass Hope fast den Eindruck bekam, sie würden auf eine verborgene Weise miteinander kommunizieren. »Junger Mann, helfen Sie Mister Kindermann mit dem Motorrad?« Dann, an Hope gerichtet: »Ich denke, du kannst Mister Bullock jetzt loslassen. Es war richtig, dass du mich gerufen hast.« Dann, mit einem strengen Blick auf Jason: »Schließlich kann man heutzutage nie wissen, was sich hinter einem freundlichen Gesicht für kranke Gedanken verbergen, nicht wahr, Mister Bullock?«

»Wenn Sie das sagen, Ma’am!«

Hope ließ Jasons Arm los und sah ihm hinterher, wie er zu seinem Motorrad ging, um es zu Kindermann hinter den Bus zu schieben. »Da ist was, dass Sie wissen sollten, Schwester.«

»Und das wäre?«

»Na ja. Jason, ich meine Mister Bullock, trägt ein ziemlich langes Messer am Gürtel.« Hope druckste herum, weil sie sich albern vorkam. »Hat mir ’n bisschen Angst gemacht …«

Schwester O’Haras schlanke Finger berührten Hopes Kinn und hoben es an, damit sie ihr in die Augen sehen konnte. »Solange ich bei dir bin, brauchst du nichts zu fürchten. Denn der Herr ist an deiner Seite!«

Hope schluckte. Normalerweise hätte sie sich über einen derartigen Spruch lustig gemacht, das Gesprochene veralbert, weil sie einen feuchten Dreck auf Gott und seine Engel gab. Es war die eiskalte Härte, die in den Worten klang, der stahlharte Blick, der Angst einflößte. Nicht dass sie deswegen an Gott glaubte, denn das war ausgeschlossen. Nicht nach dem, was geschehen war. Woran sie allerdings glaubte, das war die Stärke von Schwester O’Hara. Hope war sich sicher, dass körperliche Gewalt durchaus ein Mittel war, das die Schwester zur Durchsetzung ihres Willens für legitim befand. Ihr fiel dazu ein sehr treffender Spruch aus der Bibel ein.

Den Weg verlassen bringt böse Züchtigung, und wer Zurechtweisung hasst, der muss sterben …



Die Carlin-Brüder

Buck spuckte in den schwarzen Staub zu seinen Füßen und sah dem gelben Bus hinterher, der soeben auf der Interstate an ihnen vorbeigefahren war. »Endlich – das Warten hat ein Ende.« Der Hüne mit dem Pferdeschwanz straffte den Oberkörper, dass sich das ärmellose Hemd über seiner Brust spannte. »Alles läuft wie geplant.«

»Right.« Jet hockte auf der Ladefläche des alten Trucks, der vom Rost zusammengehalten wurde. Seine Füße steckten in hohen Gummistiefeln, auf denen eine dicke Kruste Schweinedreck klebte. Der stammte aus den Stallgebäuden hinter den Männern, wo sich Jets Mastbetrieb befand. Tausend fettgefressene, mit Exkrementen beschmierte rosa Leiber dicht an dicht. Iowa Bacon de luxe. »Jemand sollte in die Stadt fahren und den Prediger informieren.«

Jets Körper sprach seinem Namen Hohn. Er glich dem der Tiere, die er in dem Mastbetrieb hielt, seine Stimme ihrem hysterischen Quieken. Aufgequollen und fett steckte er in den dreckigen Latzhosen, seine runden, kleinen Augen folgten der Staubwolke, die der Bus hinter sich herzog. Gut möglich, dass er zu viel Zeit bei seinen Tieren verbrachte und allmählich selbst zu einem wurde.

»Ein verdammter Bus voller Frischfleisch«, höhnte Conor. In einer anzüglichen Geste griff er sich in den Schritt, leerte seine Bierdose und drückte sie mit der Hand zusammen, um sie auf die Straße zu werfen. »Und nehmen werd ich mir mindestens eine, da könnt ihr einen drauf lassen.«

»Gott, Conor, reiß dich zusammen!«, knurrte Buck und schlug seinem jüngsten Bruder auf den Hinterkopf, dass es klatschte.

Er war kleiner als Buck, aber genauso breit und auf eine bestimmte, man könnte sagen verruchte Art gut aussehend. Allerdings dumm wie ein Strohsack vom letzten Jahr. Und ein triebgesteuertes, perverses Schwein. Wie Buck trug er schmutzige Jeans mit Umschlag, dazu ein Workshirt mit dem Aufdruck Carlin’s Gas Station – Best in the Northern Plains. »Du weißt, was der Prediger von deinem Gerede hält. Reiß dich verdammt noch mal zusammen!«

Conor grunzte vor sich hin, nahm die Hand aus dem Schritt, roch an seinen Fingern und schob sich die verschwitzte Baseballmütze in den Nacken. »Herr im Himmel, sollte mal ’n Bad nehmen …«

Buck war der älteste der Carlin-Brüder. Er dachte an Kernseife und kaltes Wasser und musste grinsen, wenn er sich in diesem Zusammenhang Conor vorstellte. Egal ob er stank oder nach Veilchen roch, die Mädchen standen auf den Kerl mit dem schrägen Lächeln.

Nach Buck kam Jet, der nach dem Willen ihres verstorbenen Vaters den Mastbetrieb übernommen hatte. Der Jüngste war Conor, ein Nichtsnutz erster Güte, der abgesehen vom Vögeln nicht viel im Kopf hatte. Bevor ihre Mutter zusammen mit ihrer illegalen Destillerie zur Hölle fuhr, hatte sie Buck darum gebeten, sich um Conor zu kümmern. »Mach aus ihm einen anständigen Mann«, hatte sie gesagt. Wobei anständig kaum für das Kaff stehen konnte, aus dem sie stammten. Buck ließ Conor in seiner Autowerkstatt arbeiten und machte ihm gehörig Druck, wenn er aus der Spur lief.

»Schieb deinen fetten Arsch von meinem Truck«, knurrte Buck den dicken Jet an. Er nickte Conor zu. »Und du pflanzt dich auf den Beifahrersitz.«

»Was is’n mit mir?«, beschwerte sich Jet. Er sprang vom Truck und trat dabei wie ein nervöses Tier von einem Bein aufs andere.

»Mach, was du immer machst«, antwortete Buck. »Geh in den Stall und fick deine beschissenen Schweine, aber geh mir nicht auf die Eier!«

Buck war insgeheim froh, Jet nicht an der Backe zu haben. An Tagen wie diesem, wenn Jet aufgeregt war, konnte er seinen Bruder nicht ertragen. Jet war wie ein Bär mit dem Gemüt eines Schweines, das ständig quiekte und viel zu viele Fragen stellte. Dazu kam noch etwas anderes. In seinem fetten Körper steckte eine unglaubliche Kraft, die er kaum unter Kontrolle hatte, da war es besser, ihn von der Stadt fernzuhalten.

Auf Conor aufpassen zu müssen, war schwer genug, denn der hatte seine Triebe überhaupt nicht unter Kontrolle. Letzte Nacht zum Beispiel, da hatte er ihn dabei erwischt, wie er im Baum vor dem Laden der McCalls hockte, in das Schlafzimmerfenster von Vivian McCall glotzte und an sich herumfummelte. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn Bob davon Wind bekam. Im Vergleich dazu wären ausgeschlagene Zähne und eine Menge Blut eine nette Geste. Also hatte er ihn aus dem Geäst gezerrt und in der Werkstatt mit dem Hosengürtel verprügelt, wie er es von Dad gelernt hatte.

Morgen sitzt dieser Dummkopf wieder in den Ästen …

Buck lenkte den Truck auf einen holprigen Feldweg, über den sie die Stadt eher erreichen würden, als es der Bus auf der Interstate vermochte. Die Einheimischen kannten eben die geheimen Wege. »Die haben sich im White House eingebucht«, brummte Buck sinnierend. Alles lief, wie es laufen sollte.

 

»Sue Ellen verdient sich mit denen von außerhalb ’ne goldene Nase und macht nich’ mal ’n Finger dabei krumm«, höhnte Conor. Sein Mund verzog sich zu einem anzüglichen Grinsen. »Aber mal ehrlich, bei der würde ich gerne einziehen.«

»Verdammt, Conor«, beschwerte sich Buck, »hast du denn nichts anderes in der Birne?«

Conor lachte. »Täte dir auch mal gut, einen wegzustecken. Würdest danach alles lockerer sehen.«

Buck trat unvermittelt auf die Bremse. Der Truck bockte, schlitterte auf dem groben Schotter, brach aus und kam mit einem letzten Ruck zum Stillstand. Conor wusste, was das bedeutete. Seine Hand schnellte zum Türgriff, doch er war zu langsam. Bucks Faust klatschte ihm hart in den Magen, dass Conor zusammenklappte wie ein Springmesser. »Hab dich gewarnt, Conor.« Er schlug ein weiteres Mal zu, dieses Mal in Conors Gesicht. Dessen Lippe platzte auf und Blut spritzte. »Hab ich dich nicht gewarnt? Wieder und wieder?«

Buck ließ von ihm ab und packte mit beiden Händen das Lenkrad. Verzweifelt lehnte er sich mit der Stirn gegen das griffige Leder. »Was soll ich nur mit dir machen, Mann?« Er packte ihm in die Haare und riss seinen Kopf nach oben. »Meinetwegen kannst du rummachen, mit wem oder was du willst, aber behalt deine Aufgabe vor Augen, kapiert?«

Conor stöhnte. Blut lief ihm aus Mund und Nase, trotzdem nuschelte er schwach: »Ja, Mann.«

Dad hätte sicher eine Lösung gehabt. Er hätte Conor windelweich geprügelt und zum Prediger gebracht, damit der sich mit ihm befasste. Das volle Programm der Läuterung in Blut und Schmerz. Die Wahrheit war, dass es mit Conor immer schlimmer wurde und Buck Angst hatte, die Kontrolle zu verlieren.

Letztendlich Daddys Weg …

»Ich bring dich zum Prediger!«

Conor richtete sich röchelnd auf, schlüpfte aus dem Shirt und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. »Was?« Er schüttelte den Kopf. »Das kannst du nicht machen, Mann … wir sind Brüder!«

»Gleich morgen … da bring ich dich zum Prediger!« Buck klang entschlossen. Er nickte, richtete sich auf und gab Gas. Sie hatten durch das Geplänkel Zeit verloren und die musste er jetzt aufholen. »Wenn du Pech hast, schneidet er dir den Sack ab – oder gleich alles, was da baumelt.«

»Bitte, Mann, ich will nicht zu dem«, beschwerte sich Conor. Seine Stimme klang weinerlich, weil er Angst hatte. »Der macht’s am Ende sogar noch …«

Buck dachte an die Aufgabe, die ihnen der Prediger zugedacht hatte, und schluckte. Typen wie Conor konnten alles vermasseln. Vor allem jetzt, so nah am Ende, war äußerste Konzentration angebracht. Er durfte nicht zulassen, dass Conor aus der Reihe tanzte. »Du tust, was ich dir sage, oder ich schlag dich tot!«


Welcome to Deadwood, South Dakota

13. Juli – Black-Hills-Territorium

Ungewöhnlich heftige Regenfälle hatten die Straßen in den Black Hills in Schlammlöcher verwandelt, die selbst Pferde nur mit Mühe passieren konnten. Auch jetzt regnete es wieder.

Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen. Graues Regenlicht verfärbte sich zu tiefem Schwarz. Er musste sich beeilen, wenn er die Nacht nicht draußen verbringen wollte. Der einsame Reiter zog sich den Kragen seines gewachsten Segeltuchmantels enger zusammen und neigte den Kopf nach vorne, damit das Wasser vom Hut laufen konnte. Er war vollkommen durchnässt, schnalzte mit der Zunge und der Schimmel ohne Namen setzte sich in Bewegung. Sie passierten eine improvisierte, halb im Schlamm versunkene Zeltstadt. Abgehalfterte Prostituierte zogen ihre prallen Brüste aus den fleckigen Kleidern, während er an ihnen vorbeiritt. Eine fluchte ihm hinterher, dass ihn die Krätze holen solle, weil er sie nicht beachtete. Die Luft roch in einem scharfen Unterton nach menschlichen Ausscheidungen und dem nassen Holz, das die Glücksritter in ihren Zeltöfen verbrannten.

Verdammte Goldgräber, wühlen sich in die Hänge, brechen die Erde auf und lassen ihren Unrat zurück … Was bleibt, ist ein vernarbtes, kaputtes Land …

Die Zelte der Goldgräber blieben zurück. Die Main Street wurde von grob gezimmerten, dicht beieinanderstehenden Holzhäusern gesäumt. Gelbliches Licht fiel aus den Fenstern auf die Straße, vermischte sich mit dem helleren der Petroleumlaternen zu einem diffusen Schein, der an eine Zirkusmanege erinnerte. Der Reiter fand, dass es durchaus Ähnlichkeiten damit gab, wenn man die Geräuschkulisse aus vielerlei Sprachen hinzuzog. Schilder stachen wie ausgestreckte Arme in die Straße hinein, auf denen Liquor Dealers, Dentist oder Saloon zu lesen stand. Schiefe Veranden aus ungeschälten Bohlen bildeten fragil schwebende Konstruktionen über dem Straßenschlamm. Selbst um diese späte Stunde herrschte reges Treiben. Eine Menge Pferde stand gesattelt vor den Geschäften und Saloons. Planwagen rollten schmatzend von Kaltblutpferden oder Ochsen gezogen zwischen den Häusern hindurch. Ihre Räder zogen tiefe Furchen in den Schlamm, den man hier Straße nannte. Hunde streunten herum, taxierten Passanten, die Essen mit sich führten. Bärtige Goldschürfer mit eingefallenen Wangen drängten sich neben Anzugträgern und Frauen der Heilsarmee dicht an dicht auf den hölzernen Stegen. Eckensteher mit halb zugeknöpften Westen über karierten Hemden musterten argwöhnisch jeden Fremden, die Hand lässig auf den Colt gestützt. Er kannte diese unlösbare Verbindung zwischen Schütze und Waffe nur zu gut. Aus den Saloons und Spielhallen erklangen Gelächter und Klaviermusik, durchmischt von deutlich hellerem Lachen chinesischer Huren.

Die Bank und ein imposanter Eisenwarenladen schienen die einzigen Steingebäude der Stadt zu sein. Vor ihnen lungerten bärtige Männer in dunklen Anzügen herum, um den Wert der Häuser hervorzuheben. Die hielten Flinten lässig auf die Hüften aufgesetzt, ihre Hosenbeine steckten in hohen, schlammverschmierten Stiefeln.

Der einsame Reiter zog sich den Hut tiefer ins Gesicht und ritt weiter. Sein Ziel war der Nuttall & Man’s Saloon und der musste die Straße hinab liegen. So stand es zumindest in dem Telegramm, das er von einer alten Weggefährtin erhalten hatte. Der verstörende Satz, mit dem sie ihn bat, nach Deadwood zu reiten, hatte ihn dazu bewogen, Cheyenne in Wyoming und den Zirkus seiner Frau Agnes Lake Thatcher zu verlassen, den er Zuhause genannt hatte. Die Wahrheit war, er war geritten, weil es ihn in den Fingern juckte und die Vorderlader-Colts an seinem Gürtel, die noch aus dem Krieg stammten, lange kein Feuer mehr gespuckt hatten. Der alten Zeiten willen. Das waren genug Gründe, um sich in den Sattel zu schwingen und den beschwerlichen Weg nach South Dakota auf sich zu nehmen.

Der Nuttall & Man’s Saloon lag etwa fünfzig Meter die Main Street hinab, wenn man vom Eisenwarenladen aus rechnete. Im Falle von Problemen war es angebracht, einen Maßstab zu verwenden, und die Stadt sah verdammt noch mal nach Ärger aus. Er lenkte den Schimmel zu einem freien Platz an der Anbindestange und sah sich ein letztes Mal um, bevor er sich aus dem Sattel schwang. Gegenüber dem Nuttall & Man’s stand das dritte und größte Steingebäude der Stadt. Unterhalb des ausladenden Balkons, auf dem sich Freier und Nutten in Unterwäsche tummelten, hing ein rotes Schild mit goldener Schrift, auf dem The Gem – Varieté Theater zu lesen stand. Dem Gedränge nach zu urteilen, ein Laden, der gut lief. Ihm fielen sehr wohl die Männer in den langen Mänteln auf, die mit Gewehren bewaffnet an den Ecken und auf dem Balkon des Gem standen und die Straße beobachteten. Mindestens zwei von ihnen hielten ihre Blicke auf ihn gerichtet.

Ächzend schwang er sich aus dem Sattel, band den Schimmel fest und tätschelte ihm die Flanke, ehe er sich die Satteltaschen überwarf, sein Gewehr aus dem Scabbard zog und es schulterte. Die Glücksritter hoch im Norden benutzten meist die alten Springfield Rifles aus dem Bürgerkrieg. Er hingegen setzte auf eine Winchester Modell 1873, denn der Unterhebelrepetierer verschoss moderne Metallhülsenpatronen, die unempfindlich gegen Feuchtigkeit waren und die man schnell nachladen konnte. Ein entscheidender Vorteil, wenn man es mit mehreren Männern gleichzeitig zu tun bekam. Er stieg mit klirrenden Sporen auf die Veranda und stampfte sich den Schlamm von den kniehohen Stiefeln. Während er sich den Mantel aufknöpfte, trat er zwischen den Männern hindurch, die auf der Veranda herumlungerten und rauchten.

Er strich sich das Wasser aus dem langen Vollbart, betrat den Saloon durch die offen stehende Tür und wurde von einem Brodem aus Alkohol, Rauch, altem Schweiß und ungewaschener, zu lang getragener Kleidung empfangen, durchsetzt von einer Note Erbrochenem und Urin. Der typische Geruch der aus dem Boden gestampften Goldgräberstädte. Unter dem gigantischen Kronleuchter war es zum Bersten voll. Die runden Tische, die Bar. Dazwischen leichte Mädchen in einem Alter, in dem sie besser die Schulbank hätten drücken sollen. Erfahrene Nutten in rüschenbesetzten Kleidern, hinten weit ausgestellt, um ihre fetten Ärsche zu überdecken, zwängten sich zwischen den Tischen hindurch. Ein Mann mit Bowler und gestreiftem Hemd klimperte auf dem Klavier, ein paar schlammverkrustete Goldgräber standen daneben und hoben ihre Biergläser, um zu singen. Der Klavierspieler trug diese Ärmelschoner aus gewachstem Segeltuch, um sein teures Hemd zu schützen. James lachte in sich hinein, denn er wusste, dass die hässlichen Dinger den Hemdstoff weit mehr verschmutzten, als wenn er keine tragen würde.

Er legte den halben Weg zwischen Tür und Bar zurück und sah sich mit zusammengekniffenen Augen im verrauchten Zwielicht um. Den Spieltisch, an dem gepokert wurde, verbannte er aus seinem Sichtfeld, denn er wusste, was geschehen konnte, wenn er sich einen Stuhl nahm und sich setzte. Er hatte sich an den Karten zu oft die Finger verbrannt, obgleich er ein exzellenter Spieler war und wissen sollte, wie es am runden Tisch lief.

Wo zur Hölle steckt sie nur?

»Suchst du mich, Fremder?«, sagte ein rothaariges Mädchen neben ihm, die seine Tochter hätte sein können und hakte sich an seinem Arm unter. Sommersprossen umspielten ihre Stupsnase. »Hast Lust, ein armes Mädchen auf ’nen Drink einzuladen, hm?«

Der Fremde befreite sich sanft aus ihrem Griff. »Bist ’n schönes Mädchen, aber sorry, ich bin wegen jemand anderem hier. Kennst du Martha Jane Cannary … manchmal nennt sie sich Burke?« Das Mädchen legte enttäuscht ihren Zeigefinger auf die Nasenspitze und tat nachdenklich. »Da muss ich jetzt wirklich überlegen, Süßer …«

Er spielte mit einer Münze zwischen seinen Fingern. »Das hilft dir beim Denken, Süße.«

»Lass dir nicht die Hosen dabei ausziehen«, lästerte eine Frauenstimme hinter ihm, die er nur zu gut kannte. Der Fremde drehte sich um und grinste. »Martha!«

Er steckte die Münze der Kleinen zu und zwinkerte. »Hast mir Glück gebracht.«

Dann umarmte er die große Frau mit dem geflochtenen, schwarzen Zopf, die Männerkleidung und einen Waffengürtel über der zugeknöpften Jacke trug. »Halleluja noch mal, wie lang ist das jetzt her?«

»Viel zu lange, Mister James Butler«, hauchte ihm Martha ins Ohr. »Und nenn mich Jane, alter Dummkopf.« Sie fuhr ihm dabei mit den Fingern durch sein langes, nasses Haar. »’n Bad und trockene Sachen wären nicht schlecht, was?«

James löste sich von ihr und hielt sie an den Schultern fest, um sie sich anzuschauen. Auf den ersten Blick wirkte sie gelöst, doch wenn man genauer hinsah oder weil man sie kannte, konnte man die Besorgnis erkennen, die sie plagte. »Erst erzählst du mir, was es mit diesem ominösen Telegramm auf sich hat, das mir keine Wahl ließ, außer herzukommen!«