Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen

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Kapitel 2



1. Vom deutschen Rheinstrom

 Heilige Wasser rinnen von Himmelsbergen – singt

 die Edda, das uralte Götterlied, so auch der Rhein,

 des deutschen Vaterlandes heiliger Strom, rinnt vom

 Gottesberge (St. Gotthard), aus Eispalästen, aus dem

 Schoße der Alpen nieder, als Strom des Segens.

 Schon die Alten sagten von ihm: Die Donau ist aller

 Wasser Frau, doch kann wohl der Rhein mit Ehren ihr

 Mann sein – und die Urbewohner der Stromufer erachteten

 seine Flut für also wunderbar, daß sie neugeborene

 Kinder ihr zur Prüfung echter oder unechter

 Geburt übergaben. Rechtmäßige Abkömmlinge trug

 die Stromflut sanft zum Ufer, unrechtmäßige aber zog

 sie mit ungestümen Wellen und reißenden Wirbeln

 als ein zorniger Rächer und Richter der Unreinigkeit

 unter sich und ersäufte sie. Andere Anwohner brachten

 dem heiligen Strome ihr Liebstes, Pferde, zum

 Opfer dar. Durch Hohenrätiens Alpentalschluchten

 stürzt sich der Rhein mit jugendlichem Ungestüm, frei

 und ungebunden, umwohnt von einem freien Bergvolke,

 das in Vorzeittagen hartlastende, schwerdrückende

 Fesseln brach. Da zwang ein Kastellan auf der Bärenburg

 die Bauern, mit den Schweinen aus einem Trog

 zu essen, ein anderer zu Fardün trieb ihnen weidende

 Herden in die Saat, andere übten noch andere Frevel.

 Da traten Hohenrätiens Männer zusammen, Alte mit

 grauen Bärten, und hielten Rat im Nachtgraun unter

 den grauen Alpen. Auf einer felsenumwallten Wiese

 ohnfern Tovanosa will man noch Nägel in den Felsenritzen

 erblicken, an welche die Grauen, die Dorfältesten,

 ihre Brotsäcke hingen. Und dann tagten sie in

 Bruns vor der St. Annenkapelle unter dem freien

 Himmel, unter der großen Linde, nach der Väter Sitte,

 und beschwuren den Bund, der dem alten Lande den

 neuen Namen gab, den Namen Graubünden, und daß

 der Bund solle bestehen, solange Grund und Grat

 steht. Davon gehen im Bündnerlande noch alte Lieder.

 – Kaiser Maximilian nannte scherzweise den

 Rheinstrom die lange Pfaffengasse, wegen der zahlreichen

 und hochberühmten Bistümer und Hochstifte an

 seinen Ufern, und nannte Chur das oberste Stift, Konstanz

 das größte, Basel das lustigste, Straßburg das

 edelste, Speier das andächtigste, Worms das ärmste,

 Mainz das würdigste und Köln das reichste.

 2. Des Schweizervolkes Ursprung

 In alten Zeiten, bevor noch das Schweizerland bevölkert

 und bebaut war, saß ein starkes und zahlreiches

 Volk in Ost- und Westfriesland und im Lande Schweden,

 und kam über dieses Volk große Hungersnot und

 leidiger Mangel. Da beschlossen die Gemeinden, weil

 der Menschen bei ihnen zu viel, daß von Monat zu

 Monat eine Schar auswandern sollte, und sollte die

 das Los bestimmen. Wen es treffe, der müsse fort bei

 Strafe Leibes und Lebens, ob hoch oder niedrig, und

 mit Weib und Kindern. Als dies immer noch nicht

 fruchtete und dem Mangel steuerte, so ward fernerweit

 beschlossen, daß jede Woche der zehnte Mann ausgeloset

 werden und hinwegziehen solle. So geschah es,

 und zogen an die sechstausend Schweden fort und

 zwölfhundert Friesen mit ihnen, und ernannten sich

 Führer. Deren Namen waren Suiter, Swey und Josius,

 noch andere Restius, Rumo und Ladislaus. Sie fuhren

 auf Schiffen den Rhein hinauf und hatten unterwegs

 manchen Kampf zu bestehen; endlich kamen sie in ein

 Land, das hieß das Brochen- oder Brockengebirg (wie

 es auch im Harzwald einen Brockenberg hat), allda

 bescherte ihnen Gott Wonne und Weide, und sie bauten

 sich an und verteilten sich in das Land, wirkten

 und schafften. Ein Teil zog ins Brünig (Bruneck), ein

 anderer an die Aar. Ein Teil Schweden, die aus der

 Stadt Hasle (gehört jetzt dem Dänen) stammten, die

 erbauten Hasli und wohnten darin unter ihrem Führer

 Hasius. Restius erbaute die Burg Resty bei Meiringen

 und wohnte allda, Swey und Suiter gaben der Schweiz

 und dem Volke den Gesamtnamen. Auch das Bernerland

 gewannen sie, waren ein treu und gehorsam

 Volk, trugen zwilchne Kleider, nährten sich von

 Fleisch, Milch und Käse, denn des Obstes war damals

 noch nicht viel im Lande. Sie waren starke Leute, wie

 die Riesen, voll Kraft, und Wälder auszureuten war

 ihnen so leicht wie einem Fiedler sein Geigenbogen.

 Davon gehen noch alte Lieder, die sagen aus, wie

 ihrer ein Teil unter dem Führer Ladislaus und Suiter

 gen Rom gezogen und dem römischen Kaiser tapfer

 beigestanden gegen hereingebrochenes Heidenvolk,

 und wie beide Führer vom Kaiser Feldzeichen empfangen,

 Adler und Bären, ein rotes Kreuz, und auf der

 Krone des Aaren ein weißes, und haben dann diese

 Zeichen nach der neuen Heimat getragen. Immer noch

 erzählen sich auf ihren Bergen die Alpenhirten, wie

 die Vorfahren im Lande gezogen und wie die Berge

 eher bewohnt gewesen als die Täler. Erst ein späteres

 jüngeres Geschlecht habe die Talgründe bebaut, wie

 das auch in andern Bergländern geschehen ist.

 3. Sankt Gallus

 Schon in frühen Zeiten drang das Christentum in das

 rätische Gebirge. Ein britischer Königssohn, Ludius

 mit Namen, soll über Meer gekommen sein und diesem

 Lande zuerst das Evangelium gepredigt haben.

 Nach ihm heißt noch ein Gebirgspfad zwischen Graubünden

 und der Herrschaft Vaduz (Fürstentum Liechtenstein)

 der Ludiensteig. Nach ihm kamen die Apostel

 Rätiens und Helvetiens, Sankt Gallus und seine

 Gefährten Mangold und Siegbert, ersterer der Sohn

 eines Königs in Schottland, mit dem heiligen Columban

 an den Bodensee, zerstörten die Götzenbilder und

 brachen das Heidentum. Sie wohnten als fromme Einsiedler

 in Hütten, heilten Kranke und predigten das

 Evangelium. Ein alemannischer Herzog, Gunzo,

 wohnte in Überlingen, damals Iburinga genannt, dem

 war die Tochter schwer erkrankt; der heilige Gallus

 heilte sie, und dafür schenkte ihm und seinen Gefährten

 Gunzo ein großes Waldgebirge zum Eigentum, in

 welchem sie sich nun besser anbauten. Aus diesem ersten

 Anbaue ist die hernachmals so berühmte und

 herrliche Abtei Sankt Gallen geworden, welche einer

 Stadt und einem ganzen Lande den Namen gegeben.

 Aber St. Gallus blieb, als er noch im irdischen Leben

 wandelte, nicht beständig in seiner Einsiedelei, er

 stieg, als die Abtei St. Gallen schon begründet war,

 der Sitter entlang höher empor und erbaute sich an geeignetem

 Ort eine neue Zelle, das Hirtenvolk zu bekehren.

 Diese nannte das Volk des Abten Zelle, daraus

 ist der Name Appenzell entstanden. Das Hirtenvolk

 nahm auch willig das Christentum an, als aber

 später die mächtige Abtei dasselbe in seiner Freiheit

 bedrohte, erhob es sich zum Kampfe. Der Abt von St.

 Gallen suchte Hülfe bei Österreich, da saß aber droben

 auf der festen Burg Werdenberg ein edler Grafensohn,

 Rudolf von Werdenberg, der hielt zu den Hirten

 des Appenzeller Gebietes und führte sie zum Kampfe

 gegen St. Gallen. Am Stoß geschah eine heftige

 Schlacht, lange schwankte der Sieg, plötzlich kam

 über den Berg herüber eine großmächtige Schar

 Kriegsvolk den Hirten zu Hülfe – als die Feinde der

 Appenzeller diese erblickten, flohen sie eilend vom

 Schlachtfeld. Es waren aber die Hülfsvölker, die sich

 gezeigt und durch ihren Anblick von weitem den

 Feind hinweggeschreckt, keineswegs Kriegsmänner,

 sondern der Hirten Weiber und Töchter in männlicher

 Tracht gewesen. Seitdem blieb das Ländlein Appenzell

 mitten im St. Galler Lande ein eigenfreies und regierte

 sich selbst.

 4. Die St. Galler Mönche erbeten Wein

 In der stattlichen Abtei St. Gallen war große Sorge

 um den lieben Wein. Es war eben ein durstiges Jahr

 gewesen und lange Jahre nichts Erkleckliches nachgewachsen;

 nur noch zween Ohmfässer lagerten voll in

 dem großen Abteikeller, die reichten voraussichtlich

 nicht mehr weit, und dann wäre den frommen Vätern

 eine weinlose, schier schreckliche Zeit gekommen. Da

 wendete Gott das Herz eines frommen und heiligen

 Mannes, des Bischof Adalrich in der alten Stadt

 Augsburg, daß er den nicht weniger frommen Vätern

 zu St. Gallen ein ganzes Stückfaß voll Wein in ihre

 Abtei verehrte. Da kam aber die Nachricht nach St.

 Gallen, das Faß sei unterwegs im Rhein ertrunken,

 der Fuhrmann habe auf der steilen Brücke über den

 Fluß in der Nähe des Bodensees die Pferde allzuhart

 angetrieben, da sei die Achse gebrochen und das Faß

 hinab in den Strudel gestürzt. Das war ein Schrecken!

 Ohne Säumen berief der Abt den Konvent, und bald

 wallte eine lange Prozession mit Kreuz und Kirchenfahnen

 und Heiligenbildern von St. Gallen herab,

 sang und betete und kniete am Strudel, und die Küper

 des Klosters suchten mit Stricken das Faß zu fahen,

 das glücklicherweise noch unversehrt war und im

 Strudel tanzte. Wäre der Strudel nicht gewesen, so

 wäre das Stückfaß längst in den Bodensee geflossen,

 und ward allda ersichtlich, wozu manchmal ein Strudel

 gut ist. Nach mancher Mühe gelang es unter

 Gebet und Fürbitte der lieben Gottesheiligen, das

 Stückfaß an den Strand zu ziehen, und nun wurde es

 bekränzt und im Triumphe nach der Abtei geführt,

 allwo ein Dankfest mit einem Te Deum laudamus

 

 und vielen Trankopfern gefeiert ward.

 Solches ist wahr und wahrhaftig geschehen, aber

 »das Märlein gar schnurrig« vom Abt von St. Gallen

 und dem Kaiser mit den drei Fragen hat sich mitnichten

 alldort begeben, sondern mit einem Abt von Kentelbury

 in Altengland, und ward nur durch Dichtermund

 auf deutschen Boden verpflanzt.

 5. Dagoberts Zeichen

 Es war ein König im Frankenreiche, Dagobert, ein

 Sohn Chlotars und Herr über Austrasien. Von dessen

 Taten leben noch in Sagen viele Kunden. Er führte

 große Kriege gegen die Sachsen und war dabei fromm

 und kostfrei. Selbst gegen Tiere übte er Milde, und es

 ging von ihm das Sprüchwort im Volke um: Wann

 König Dagobert gegessen hat, so läßt er auch seine

 Hunde essen, und eine andere Rede ward ihm nachgesagt,

 daß er auf seinem Sterbelager zu seinen Hunden

 gesprochen habe: Ihr guten Hunde, es ist doch keine

 Gesellschaft im Leben also gut, daß man sie nicht

 verlassen und von ihr abscheiden müsse. – Auf seinen

 Zügen drang König Dagobert auch bis in das Schweizer

 Alpenland und bis dahin, wo man die Landschaft

 vorzugsweise das Rheintal nennt, und ließ dort in die

 Talfelsen einen großen halben Mond einhauen, als

 Grenzzeichen seines Reiches.

 Da es mit dem guten Könige Dagobert zum Sterben

 gekommen war, erfaßten die Teufel seine Seele

 und brachten sie auf ein Schiff, mit ihr von dannen zu

 fahren. Solches ließ Gott der Herr geschehen, weil der

 König noch nicht gereinigt und gelöset war von aller

 Schuld. König Dagobert hatte aber einen Freund am

 heiligen Dionysius, dessen Gebeine er dereinst aufge-

 funden mit Hülfe seiner so sehr geliebten Hunde, und

 welchen Heiligen der König stets in stärksten Ehren

 hielt, dafür dieser ihn auch stetiglich schirmte und

 schützte. Da nun, als Dagobert verstorben war, erbat

 der Heilige die Erlaubnis von Gott dem Herrn, des

 Königs Seele zu retten, und als er die erhalten, fuhr er

 im Geleite anderer Gottesheiligen und vieler Engel

 zur See und dem Schiffe nach, darauf die Teufel mit

 Dagoberts Seele waren. Darauf entspann sich ein harter

 Kampf zwischen Engeln, Heiligen und Teufeln um

 des Königs Seele, in welchem die ersteren Sieger blieben,

 und trugen alsbald die Engel die Seele Dagoberts

 in den Schoß der ewigen Gnade, die Heiligen aber

 kehrten in das himmlische Paradies zurück.

 6. Die Tellensage

 Lieder und Chroniken des Schweizerlandes preisen

 den Tell als den Befreier von hartem und lastendem

 Druck, als den Schöpfer der Schweizerfreiheit, und in

 alle Lande ist sein Ruhm erklungen, und ist ewig fortlebend

 und unaustilgbar.

 Es war zu den Zeiten, da Kaiser Albrecht von

 Österreich regierte, der war ein strenger und heftiger

 Herr und suchte, daß er sein Land mehre; so kaufte er

 viele Städte, Flecken und Burgen in dem Schweizerland,

 setzte auch in dieselben Landvögte ein, die in

 seinem Namen regierten. Drei Schweizerstädte und

 Landschaften aber wollten nichts von dem Österreicher

 wissen noch haben; da sandte ihnen der Kaiser

 zwei edle Boten, den Herrn von Liechtenstein und den

 Herrn von Ochsenstein, die mußten den Orten vortragen,

 daß sie sich doch sollten in Österreichs Schutz

 und Schirm begeben, da könnten sie es mit der ganzen

 Welt aufnehmen und ihr trutzen, wollten sie das aber

 nicht, so wolle der Österreicher ihr Feind sein, und

 sollten sie sich nichts Gutes von ihm zu versehen

 haben. Aber da sprachen die Männer von Schwyz:

 Liebe Herren, wir wollen dem Hause Österreich gern

 in allen Ehren zu Lieb und zu Dienst sein, aber wir

 wollen doch bei unsrer alten Freiheit bleiben, die

 noch niemalen ein Fürst oder Herzog angetastet hat. –

 Auf diese Rede brachen die Abgesandten rasch auf

 und ritten stracks nach Uri und Unterwalden, dort,

 dachten sie, würden sie sich gleich der Braut vermählen;

 es kam aber ganz anders, denn die drei Orte hatten

 sich schon miteinander verbunden und sich verschworen,

 treulich zusammenzuhalten, sagten auch,

 daß ihre Freiheit ihnen verbrieft sei von dem Kaiser

 Friedrich dem Hohenstaufen und Rudolf dem Habsburger,

 und ritten die Abgesandten unverrichteter

 Sache von dannen. Bald darauf sendete Albrecht von

 Österreich zwei Vögte, die hießen Grißler und Landenberger.

 Von denen sollte Grißler ein Amtmann zu

 Schwyz und Uri sein, der Landenberger aber zu Unterwalden,

 doch sollten sie sich zu Anfang gut und

 freundlich erzeigen, ob sie vielleicht in Güte das Volk

 bewegten, allein dieses ließ sich nicht bewegen, und

 da erhielten die Landvögte Befehl, den Bauern alles

 gebrannte Herzeleid anzutun. Als dieses nun geschah,

 so sendete das Volk Klageboten an Albrecht, der aber

 ließ diese gar nicht vor sein Angesicht. Nun gingen

 die Sendboten zu des Kaisers Räten und baten sie

 freundlich und ernstlich, sie sollten dem Mutwillen

 und der Plackerei der Vögte steuern und verhindern,

 daß sie mit neuer und unerhörter Schatzung das Volk

 bedrückten; aber die Räte sprachen: Ihr Männer seid

 selber schuld an allem Übel, warum wollt ihr euch

 nicht auch in unsers Herrn Gnade, Schutz und Schirm

 geben? Tätet ihr solches, so hättet ihr Ruhe und guten

 Frieden. – Da kehrten die Gesandten traurig heim und

 ohne Hoffnung und sagten den Ihrigen die schlimme

 Botschaft an.

 Damals hauste in Unterwalden ein gar redlicher

 Mann, der niemals Untreue verübte, der war dem

 Landenberger insonderheit verhaßt, und sein Name

 war Heinrich im Melchtal an der Halde. Zu dem sandte

 der Landenberger, der auf Burg Sarnen saß, einen

 seiner Knechte mit dem Gebot, dem Melchtaler die

 Ochsen vom Pfluge abzuspannen. Flugs gehorchte der

 Knecht und wollte dem Manne die Ochsen vom Pfluge

 wegführen. Heinrich im Melchtal aber sprach: Laß

 ab, meine Ochsen behalte ich. Hab' ich was Sträfliches

 getan, so soll man mich vorfordern und richten. –

 Der Knecht sprach: Bauer, ich tue, was meines Herrn

 Gebot ist, frag ihn selbst um die Ursach! Ihr Bauern

 seid selber Ochsen genug, daß ihr den Pflug selbst

 ziehen könnt. – Diese lose Rede hörte des Alten junger

 Sohn, der hieß Arnold, und nahm alsbald einen

 Stecken und schlug dem Knecht des Landenbergers

 einen Finger entzwei, daß ihm das Ochsenausspannen

 verging. Der Knecht entwich, die Tat dem Landvogt

 anzusagen, und der junge Arnold im Melchtal entwich

 nach Uri. Der Landenberger ließ alsbald Heinrich im

 Melchtal vor sich bringen und begehrte von ihm des

 Sohnes Aufenthalt zu erfahren. Da nun der Alte entweder

 nicht sagen wollte oder nicht wußte, wohin sein

 Sohn sich geflüchtet, so ließ der Landenberger dem

 Alten beide Augen ausstechen, nahm ihm sein Gut

 und trieb ihn ins Elend. Auf der Burg Roßberg hatte

 der Landenberger einen Pfleger sitzen, der hieß von

 Wolffen, das war auch einer von den Pressern, der

 kam in Konrads von Baumgarten Behausung und traf,

 wie er schon voraus wußte, nicht den Mann, sondern

 nur dessen frommes und schönes Weib an, zu der er

 ein sonderlich Gelüsten hatte, rief sie an, indem er

 vom Pferde stieg, sie solle nach einem Zuber umschauen

 und ihm ein Bad rüsten, es sei ihm baß heiß

 vom starken Ritt. Und als er nun im Bade saß, da

 winkte er ihr, sie solle zu ihm sitzen, sie aber tat, als

 wolle sie ihm gehorchen, zuvor aber sich ihrer Röcke

 außen abtun, ließ ihn sitzen und lief alsbald nach dem

 nahen Walde, wo ihr Mann Holz haute. Der hatte gerade

 Feierabend gemacht, kam ihr mit der Axt entgegen

 und hörte ihre Not und Klage und sprach: Dem

 Bader will ich das Bad wohl gesegnen – und lief

 einen nahen Pfad – traf den Wolffen noch im Zuber,

 des Weibes harrend, und schlug ihn mit der Axt dermaßen

 auf den Grind, daß der Kopf in zwei Hälften

 auseinanderspaltete.

 Der Landvogt Grißler, der zu Uri saß, hub an, auf

 einen Bühel über Altdorf eine neue Burg zu bauen,

 die sollte genannt werden »Zwing Uri unter die Stegen

 «, um so recht das Landvolk zu quälen und zu reizen,

 und weil der Grißler wußte, daß er allem Volke

 verhaßt war, und mutmaßete, es möge sich schon

 etwas Heimliches gegen ihn angesponnen haben, so

 ließ er mitten auf einem freien Platze, wo jedermann

 vorüberwandelte, eine hohe Stange aufrichten, mit

 einem Hute darauf, und befehlen, daß jedermann, wer

 es immer sei, dem Hute Reverenz erzeigen solle mit

 Bücken und Hutabnehmen, als ob es der Vogt selbst

 sei, und ließ heimlich spüren und aufpassen, wer das

 etwa nicht täte und den Gruß weigerte. Darauf ritt er

 gen Schwyz und kam über Stein, da wohnte ein gar

 frommer Mann, der hieß Werner von Stauffacher, der

 hatte noch nicht lange zuvor ein neues Haus an seines

 alten Statt gebaut. Da nun der Vogt vorüberritt, fragt

 er: Wem gehört dieses Haus? Der Stauffacher wollte

 recht höflich sein, sagte nicht, daß es sein gehöre,

 sondern antwortete: Meines Kaisers und Euer, Herr

 Landvogt, ich trag's von Euch zu Lehen! Beliebt Euch

 einzutreten? – Aber der Landvogt fuhr den Stauffacher

 scheltend an: Ich bin hier an des Kaisers Statt!

 Hast du um Erlaubnis gefragt zu diesem Bau? Nein!

 Und baut ihr Bauern nicht Häuser, als wenn Herren

 darinnen wohnen sollten? Das will ich euch wohl

 wehren! – Sprach's und ritt trutziglich weiter. Dem

 Stauffacher schmerzte die Rede sehr, aber sein kluges

 Weib tröstete ihn und sagte ihm, er solle sich doch

 umtun bei andern Freunden, ob es überall im Lande

 so getan sei, und mit ihnen Rats pflegen, daß es anders

 werde. Da ging Werner von Stauffacher gen Uri

 zu einem Freund, der hieß Walther Fürst, und bei dem

 fand er Arnold im Melchtal, der sich noch flüchtig

 hielt, und da ratschlagten die drei miteinander und

 wurden eins, daß sie noch andere treue und vertraute

 Männer aufsuchen und mit ihnen einen Bund gegen

 den Druck der Vögte schließen wollten. Das gelang

 ihnen trefflich, und ward ein großer heimlicher Bund,

 zu dem traten auch viele von ritterlichem Geschlecht,

 denn die Vögte waren auch ihnen aufsässig, nannten

 sie Bauernadel und adelige Kuhmelker. Darauf erkieseten

 die Männer des Bundes zwölf aus ihrer Mitte

 als ihren Vorstand, die kamen zusammen und tagten

 in ihren Sachen auf einer Matte, die man nennt im

 Gryttli, an dem Vierwaldstätter See, wie es nun werden

 sollte. Da rieten die von Unterwalden, man solle

 noch verziehen und zuwarten, weil es schwer wäre, in

 aller Schnelle die festen Plätze wie Sarnen und Roßberg

 zu gewinnen, und wolle man sie belagern, so gewinne

 der Kaiser Zeit, ein Heer zu senden, das sie allzumal

 aufreiben werde. Man solle lieber die Schlösser

 mit List gewinnen, niemand töten, der sich nicht bewaffnet

 widersetze, allen übrigen freien Abzug gewähren

 und dann die Festen bis auf den Boden schlei-

 fen. Als die Männer so tagten und den großen Bund

 beschwuren, da entsprangen der Matte heilige Quellen.

 Mittlerweile geschah es, daß ein Mann aus Uri,

 Wilhelm Tell geheißen, etliche Male achtlos an

 Grißlers Hut vorübergeht und ihm keine Reverenz

 macht. Kaum ward das angezeigt, so beschickte ihn

 der Vogt, Tell aber sprach: Ich bin ein Bursmann und

 vermeint' nit, daß so viel an dem Hut lieg, hab' auch

 nit sonder acht darauf gehabt. – Da ergrimmte der

 Vogt, schickte nach des Tellen allerliebstem Kind und

 sagte: Du bist ja ein Schütz und trägst Geschoß und

 Gewaffen mit dir herum, jetzt schieße diesem deinem

 Kind einen Apfel vom Kopf. – Dem Tell erschrak das

 Herz, und er sprach: Ich schieße nicht, nehmt mein

 Leben. – Du schießest, Tell! schrie der Landvogt,

 oder ich lasse dein Kind vor deinen Augen und dich

 hinterdrein niederstoßen. Da betete der Tell innerlich

 zu Gott, daß er seine Hand führe und des liebsten

 Kindes Haupt schirme. Und der Knabe stand still und

 ruhig und zuckte nicht, und Tell schoß und traf den

 

 Apfel. Da jauchzte das Volk laut auf und umjubelte

 den Tell, den meisterlichen Schützen, das verdroß erst

 recht den Grißler, und er schrie den Tell an, der noch

 einen Pfeil im Koller hatte: Du hast noch einen Pfeil,

 Tell, sag an, was hättst du getan, wenn du dein Kind

 getroffen? – Tell antwortete: Das ist so Schützen-

 brauch, Herr. – Nein, das ist eine Ausrede, Tell! antwortete

 der Landvogt. Sag es frei, ich sichere dich

 deines Lebens. – Wenn Ihr denn es wissen müßt,

 sprach Tell, und meines Lebens mich versichert, so

 höret denn, traf ich mein Kind, so hätte dieser Pfeil

 Euer wahrlich nicht fehlen sollen. – Ha, du Schalk

 und Erzbösewicht! schrie der Landvogt, das Leben

 hab' ich dir versichert, aber nicht die Freiheit. Ich will

 dich an einen Ort bringen, wo weder Sonne noch

 Mond dich bescheinen soll! – Hieß alsobald seinen

 Knechten, den Tell zu binden und ihn in sein Schiff

 bringen, darin er über den Urner- und den Vierwaldstätter

 See fahren wollte, und von Weggis nach

 Küßnacht reiten. Da schuf Gott der Herr einen Sturmwind

 und ein schrecklich Ungewitter, daß das Wasser

 ins Schiff schlug, da sagten die Schiffsleute dem

 Landvogt, daß der Tell der beste Schiffslenker sei, der

 allein könne sie noch aus der Todesgefahr retten. Darauf

 ließ der Landvogt den Tell losbinden, der ruderte

 flugs mit starken Armen und brachte das Schifflein

 nach dem rechten Ufer, wo das Schwyzer Gelände

 sich hinabsenkt, da war ein Vorsprung mit einer Felsenplatte,

 auf diese sprang plötzlich der Tell mit seinem

 Geschoß und Pfeil, das er rasch ergriff, stieß mit

 Gewalt das Schifflein von sich und ließ es durch die

 Wellen treiben. Des erschraken der Landvogt und

 seine Leute mächtig, Tell aber entfloh eilend auf Pfa-

 den, die ihm wohlbekannt waren. Als die im Schiff

 bei Laupen kamen, legte sich der Sturm, Grißler ließ

 aber dennoch bei Brunnen anlegen, denn er fürchtete

 sich nun vor dem Ungestüm der Seen. Tell wandelte

 auf Bergpfaden hoch über den Seetälern und sah,

 wohin der Landvogt zog, und da fand sich zwischen

 dem Arth und Küßnacht eine hohle Gasse, dort harrte

 Tell des Vogts, und wie der durch die hohle Gasse dahergeritten

 kam, schoß ihn der Tell mit dem aufgesparten

 Pfeil vom Rosse herunter, wie ein Jäger eine

 wilde Katze vom Baume schießt. Nach solcher Tat

 wich der Tell ungesehen von hinnen, kam im Dunkel

 der Nacht im Lande Schwyz in des Stauffachers Haus

 zu Steinen, eilte dann durchs Gebirg zu Walther Fürsten

 in Uri und sagte allen an, was und wie es sich zugetragen,

 und daß es jetzt an der Zeit sei, loszuschlagen

 und das fremde Joch abzuschütteln. Nun war es

 nicht mehr weit hin bis zum neuen Jahr, denn als der

 Bund im Gryttli tagte, war schon Wintermond, und da

 ward zuerst Roßberg mit List eingenommen von den

 Unterwaldnern, und darauf Sarnen ohne Schwertschlag,

 und mußten alle Leute der Vögte Urfehde geloben

 und schwören, nimmermehr wieder in das

 Schweizerland zu kommen, und wurden über die

 Grenze vergeleitet; das noch nicht fertig ausgebaute

 Schloß Zwing-Uri wurde wie die genannten Schlösser

 der Erde gleich gemacht, und Werner Stauffacher

 brach Schloß Louvers, das in den See hineingebaut

 stand.

 Da nun Kaiser Albrecht von allen diesen Dingen

 die Kunde vernahm, geriet er in großen Zorn, nahm

 gleich ein Kriegsheer, die Schweizer zu züchtigen.

 Aber auf diesem Zuge, da er durch den Aargau ritt

 und gen Brugg wollte, wurde er von seinem eigenen

 Neffen, Johann, Herzog von Schwaben, ohnweit Königsfelden

 meuchlings erschlagen. Darum behielten

 die Schweizer Frieden und ihre Freiheit bis auf den

 heutigen Tag. Das ist die Sage von der Schweizer

 Bündnis und der Tat des Tell, welch letztere nur wie

 eine einzelne Alpenrose in den Kranz der Geschichte

 sich einflocht. Es ist bekannt, daß die Sage vom

 glückhaften Pfeilschuß auch in Dänemark sich findet,

 und nicht unmöglich ist, daß die frühern Einwanderer

 aus dem Norden sie schon mitgebracht und sie sich

 dann verjüngt hat. Ja, die drei ersten Gründer des

 Bundes der Schwyzer, Unterwaldner und derer von

 Uri – denen sich dann Zürich, Luzern, Zug, Glarus,

 Freiburg und Solothurn anschlossen, denen endlich

 Schaffhausen und Appenzell folgten – galten und gelten

 dem Landvolke als drei Telle, die in einer Felskluft

 verzaubert schlafen, wie Kaiser Friedrich im

 Kyffhäuser und Kaiser Karl im Untersberge. Sollte

 das Schweizer Vaterland in Not kommen, so werden

 die drei Telle aus ihrer Gruft hervorgehen und es aufs

 neue befreien. Den Weg zu ihrer Höhle weiß keiner,

 nur zufällig kam einst ein Hirte, der einer verlaufenen

 Ziege suchend nachging, an eine Höhle, da fand er die

 drei Männer, und der eine Tell richtete sich vom

 Schlummer auf und fragte: Welch Zeit ist's auf der

 Welt? – Hochmittag! antwortete der Hirte. – So ist's

 noch nicht an der Zeit! sprach der Tell und legte sich

 wieder zum Schlummer hin. Keiner hat nachher die

 Höhle wiedergefunden.

 7. Luzerner Hörner und Mordnacht

 Da die Schweizer aufstanden und zu Felde zogen

 gegen ihre Unterdrücker, gebrauchten sie allerlei

 Kriegsinstrumente. So hatten die von Uri einen Mann,

 den hießen sie den Stier von Uri, der blies ein mächtig

 Urhorn, das mit Silber beschlagen war; und wenn

 man einen Keil ins Mundstück schlug, konnte man

 auch daraus trefflich trinken. Die Luzerner brauchten

 eherne Hörner, wie die alten Römer gebraucht, die

 hießen sie Harschhörner, und die hatte ihnen König

 Karl verliehen, als sie mit ihm in der Roncevaller

 Schlacht gestritten, wo Held Roland fiel.

 Zur Zeit, als die Schweiz sich erhob, gab es in Luzern

 eine Partei, die war noch gut österreichisch gesinnt,

 die erkannten sich an den roten Ärmeln, die sie

 an ihren Wämsern trugen. Die versammelten sich

 unter dem großen Schwibbogen an der Ecke der

 Schneiderzunftstube und verabredeten, daß sie um

 Mitternacht alle Eidgenössischen überfallen und morden

 wollten. Ein Bettelbube vernahm's, ward aber

 entdeckt und mit dem Tode bedreut, wenn er nicht

 schweige; mußte deshalb einen Eid schwören, niemand

 den Anschlag anzusagen. Der Knab' ging auf

 die Metzgerzunftstube, da zechten noch viele Gesellen,

 und der Knabe legte sich auf die Ofenbank und

 seufzte:

 O Ofen, o Ofen, was muß ich dir klagen,

 Wel ich's beim Ced sonst niemand darf sagen.

 Die Landsknecht wollen, wenn's Zwölfe wird schlagen,

 Alles morden und alles erschlagen.

 Da horchten die Zecher hoch auf, und lief alsbald

 einer aufs Rathaus, ein anderer zum Glöckner, daß er

 nicht Zwölfe anschlage, ein dritter und vierter und

 fünfter zu den Zünften, und kamen den Rotmänteln

 zuvor. Hernachmals ist das Bild des Knaben auf der

 Metzgerzunftstube hinter dem Ofen gemalt lange Zeit

 zu sehen gewesen.

 8. Die Herren von Hohensax

 Zwischen dem Altmann-Berge, dem Nachbar des

 Hohen Säntis, und dem Rheintale liegt die alte

 Stammburg der Freiherren von Hohensax. Deren einer

 hieß Hans Philipp, war ein ritterlicher Kriegsheld und

 zog ins Niederland, für dessen Freiheit er mitfocht,

 war ein Protestant und gerade in Frankreich, als die

 Ketzerverfolgung begann. Mit Mühe entrann er der

 Pariser Bluthochzeit. Dieser Freiherr von Hohensax

 hielt die alten Lieder gar wert, welche die Minnesänger

 in der Schweiz und in Schwaben gedichtet und gesungen

 hatten, und besaß von ihnen jenes hochwerte

 Buch, das ein Stolz der deutschen Poesie, jetzt aber in

 den Händen der Franzosen ist, die es vordessen aus

 Deutschland entführt haben und nimmermehr wieder

 herausgeben, weil man es ihnen nicht wieder genommen

 hat, da es rechte Zeit dazu war. Gar wert hielt der

 Freiherr das alte Liederbuch, da geschah es, daß ihn,

 manche sagen um des Glaubens willen, sein Neffe Ulrich

 Georg von Hohensax erschlug, das geschah im

 Jahre 1559. Darauf kam das Buch mit dem unverwelklichen

 altdeutschen Liederschatz in die Hände und in

 die Liberei des Kurfürsten von der Pfalz gen Heidelberg,

 von wo es durch die Franzosen weggeschl